Effektiver Altruismus - Peter Singer - E-Book

Effektiver Altruismus E-Book

Peter Singer

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Beschreibung

Wer so viel Gutes wie möglich tun will, sollte besser auf seinen Verstand hören als auf seinen Bauch. Diese simple Idee ist Ausgangspunkt einer neuen sozialen Bewegung – des effektiven Altruismus. Peter Singer, einer ihrer Gründerväter, zeigt, wie effektives Spenden möglich und warum es richtig ist. Sein Buch ist ein Aufruf zu einem in doppelter Hinsicht gelungenen Leben: Indem man für andere das Bestmögliche tut, gibt man dem eigenen Leben Sinn.

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Seitenzahl: 275

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Wir alle haben schon irgendetwas gespendet. Doch geht es uns dabei wirklich um die Hilfe für andere? Oder wollen wir eher unser Gewissen beruhigen, ein wohliges Gefühl verspüren oder spendabel wirken? Millionäre lassen Kunstmuseen errichten, statt Verhungernden zu helfen, und Normalbürger geben Beträge, die nicht einmal die Bearbeitungsgebühren decken. Wer dagegen so viel Gutes wie möglich tun will, sollte besser auf seinen Verstand hören als auf seinen Bauch. Diese simple Idee ist Ausgangspunkt einer neuen sozialen Bewegung – des effektiven Altruismus.

 Peter Singer, einer ihrer Gründerväter, zeigt in seinem Buch, wie effektives Spenden möglich und warum es richtig ist. Gestützt auf Fakten und neue wissenschaftliche Methoden, können wir heute in vielen Fällen sagen, welcher gute Zweck der bessere ist. Gleiches gilt für die Wahl der Mittel: Auch hier orientieren sich effektive Altruisten daran, was den größten Nutzen verspricht. Um mehr spenden zu können, beschränken sich manche von ihnen auf das Allernötigste, andere geben gar freiwillig einen Teil ihrer selbst, etwa eine Niere. Effektive Altruisten sind aber weder Heilige noch Masochisten: Man darf sie sich als glückliche Menschen vorstellen.

 Singers Buch ist ein Aufruf zu einem in doppelter Hinsicht gelungenen Leben: Indem man für andere das Bestmögliche tut, gibt man dem eigenen Leben Sinn.

Peter Singer ist Ira W. DeCamp Professor of Bioethics am University Center for Human Values der Princeton University sowie Laureate Professor an der School of Historical and Philosophical Studies der University of Melbourne. Er ist einer der zentralen Vordenker der internationalen Tierrechtsbewegung und gilt als der bekannteste und umstrittenste Moralphilosoph der Welt.

Peter Singer

Effektiver Altruismus

Eine Anleitung zum ethischen Leben

Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel The Most Good You Can Do. How Effective Altruism Is Changing Ideas About Living Ethically bei Yale University Press © 2015 by Yale University.

Teile dieses Buches gehen auf die Castle Lectures zurück, die Peter Singer im Rahmen des Programms für Ethik, Politik und Wirtschaft im Jahr 2013 an der Yale University gehalten hat.

Die Castle Lectures wurden von John K. Castle gestiftet. Sie ehren seinen Vorfahren, den Reverend James Pierpont, einen der Gründer der Yale University. Die Castle Lectures werden von bekannten Personen des öffentlichen Lebens gehalten und sollen das Nachdenken über die moralischen Grundlagen von Gesellschaft und Regierung fördern sowie das Verständnis derjenigen ethischen Probleme verbessern, mit denen Menschen in unserer komplexen modernen Gesellschaft konfrontiert sind.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2016

Erste Auflage 2016

© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-74513-7

www.suhrkamp.de

Inhalt

Danksagung

Vorwort

I. Effektiver Altruismus

1.  Was ist der effektive Altruismus?

2.  Eine Bewegung entsteht

II. Wie man so viel Gutes wie möglich tut

3.  Bescheiden leben, um mehr zu geben

4.  Verdienen, um zu spenden

5.  Weitere ethische Karrieren

6.  Einen Teil von sich geben

III. Motivation und Rechtfertigung

7.  Reicht Liebe aus?

8.  Eine von vielen

9.  Altruismus und Glück

IV. Zwecke und Organisationen auswählen

10. Lokal oder global?

11. Sind manche Zwecke objektiv gesehen besser als andere?

12. Schwierige Vergleiche

13. Tierleid verringern und die Natur schützen

14. Die beste Organisation auswählen

15. Das Ende der Menschheit verhindern

Nachwort

Register

Danksagung

Die Inspiration für dieses Buch verdanke ich allen, die den effektiven Altruismus praktizieren – Ihr seid der lebende Beweis dafür, dass jene Zyniker Unrecht haben, die behaupten, Menschen seien einfach nicht fähig, sich um das Wohlergehen von Fremden zu sorgen. Eure Art der Anteilnahme für andere und Euer Wille, auf der Basis von Gründen und Fakten zu handeln, sind die Eckpfeiler der Bewegung, von der dieses Buch handelt. Ich danke den im Text Erwähnten für die Erlaubnis, ihre Geschichten mit einem breiteren Publikum teilen zu dürfen. Auch darin folgt Ihr den verfügbaren Belegen – in diesem Fall sind das Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen eher bereit sind, Fremden zu helfen, wenn sie wissen, dass andere das Gleiche tun.

Den unmittelbaren Anstoß, dieses Thema aufzugreifen, gab die Einladung, die Castle Lectures an der Yale University zu halten. Ich danke sowohl dem Castle-Lectures-Komitee unter Vorsitz von Nicholas Sambanis als auch John Castle, dem Stifter dieser Vortragsreihe. Mr. Castle wies bei einem der nach einer solchen Vorlesung üblichen Abendessen auf eine gewisse Spannung hin, die zwischen meinen Ansichten über das Spenden an sehr wohlhabende Universitäten und der Tatsache besteht, dass gerade diese von ihm finanzierten Vorlesungen es mir ermöglichten, meine Argumente Hunderten von Yale-Studenten (und nun, so könnte er hinzufügen, einem noch viel größeren Publikum) vorzutragen und damit ihr zukünftiges Handeln zu beeinflussen. Ich hoffe sehr, dass seine Gabe mehr Gutes bewirken wird als alles, was er sonst mit dem Geld hätte tun können, auch wenn ich daran festhalte, dass er einen so glücklichen Ausgang nun wirklich nicht vorhersehen konnte.

Viele Menschen haben Entwürfe oder Teile dieses Buches gelesen, hilfreiche Kommentare gegeben und meine Fragen beantwortet. Danken möchte ich insbesondere Anthony Appiah, Paul Bloom, Jon Bockman und Allison Smith von Animal Charity Evaluators, Paul van den Bosch von Give A Kidney, Nick Bostrom, Richard Butler-Bowdon, Di Franks von der Living Kidney Donation, Holden Karnofsky von GiveWell, Katarzyna de Lazari-Radek, Peter Hurford, Michael Liffman, Will MacAskill, Yaw Nyarko, Caleb Ontiveros, Toby Ord, Theron Pummer, Rob Reich, Susanne Roff, Agata Sagan und Aleksandra Taranow. Mein spezieller Dank gilt Mona Fixdal, deren großartige Unterstützung bei der Vorbereitung meines Online-Kurses »Praktische Ethik« es mir ermöglichte, mehr Zeit für das Schreiben dieses Buches zu erübrigen. Der Wiederabdruck der Abbildungen 1 und 2 wurde von Julia Wise genehmigt; die Illustrationen stammen von Bill Nelson. Zuletzt danke ich auch dem Team der Yale University Press: Bill Frucht, meinem Lektor, für seine konstruktive Kritik während des gesamten Schreibprozesses; Lawrence Kenney für seine Vorschläge im Lektorat; Jaya Chatterjee, der Lektoratsassistentin; sowie Margaret Otzel, die für den reibungslosen Ablauf in der Herstellung gesorgt hat.

Einige Passagen des Buches stützen sich auf bereits veröffentlichte Arbeiten. Über »Batkid« schrieb ich zuerst in »Heartwarming causes are nice, but let's give to charity with our heads« (Washington Post, 20. ‌12. ‌2013.); Teile meiner Argumentation in Kapitel 11 entstammen »Good Charity, Bad Charity« (New York Times, 11. ‌8. ‌2013.). Kapitel 15 enthält Stellen aus dem zusammen mit Nick Beckstead und Matt Wage verfassten »Preventing Human Extinction«, das unter <www.effective-altruism.com/ea/50/preventing_human_extinction/> abrufbar ist. Eine ausführlichere Formulierung des Arguments bezüglich der Rolle, die Vernunft und Gefühl bei der Motivierung des Altruismus spielen, findet sich in Kapitel 2 von The Point of View of the Universe (Katarzyna de Lazari-Radek, Peter Singer, Oxford: Oxford University Press 2014).

Peter Singer,

University Center for Human Values,

Princeton University &

School of Historical and Philosophical Studies,

University of Melbourne

Vorwort

Eine aufregende neue Bewegung ist im Entstehen: der effektive Altruismus. Neue studentische Organisationen gründen sich, und in sozialen Netzwerken, auf Webseiten sowie in Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post werden lebhafte Diskussionen darüber geführt.

Der effektive Altruismus beruht auf einer ganz einfachen Idee: Wir sollten so viel Gutes tun wie möglich. Die üblichen Regeln zu befolgen – nicht zu stehlen, zu betrügen, zu verletzen und zu töten – ist zu wenig, oder es ist zumindest nicht genug für Menschen wie uns, denn glücklicherweise haben wir keine materiellen Sorgen, können uns und unseren Angehörigen also Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf verschaffen und verfügen darüber hinaus immer noch über reichlich Geld und Zeit. Ein auch nur minimal akzeptables ethisches Leben zu führen beinhaltet, einen wesentlichen Teil dieser überschüssigen Ressourcen zur Weltverbesserung einzusetzen. Ein im vollen Sinne ethisches Leben zu führen beinhaltet, so viel Gutes zu tun, wie wir können.

Obwohl sich die so genannten Millennials (also die erste Generation, die im neuen Jahrtausend erwachsen wurde) am meisten für den effektiven Altruismus engagieren, haben ältere Philosophen wie ich schon über ihn nachgedacht, bevor er einen Namen hatte oder eine Bewegung war. Der als »praktische Ethik« bekannte Zweig der Philosophie hat eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des effektiven Altruismus gespielt, und dieser wiederum bestätigt die Bedeutung der Philosophie, da er zeigt, dass sich das Leben derer, die das Fach studieren, auf manchmal höchst dramatische Weise ändern kann.

Die meisten effektiven Altruisten sind keine Heiligen, sondern Menschen wie du und ich; die wenigsten behaupten also, ein ethisches Leben im vollen Sinne zu führen. In der Regel stehen sie irgendwo zwischen den Polen eines völlig und eines minimal akzeptablen ethischen Lebens. Moralisch unvollkommen zu sein, verursacht ihnen aber keine permanenten Schuldgefühle. Effektive Altruisten sehen wenig Sinn darin, ein schlechtes Gewissen zu haben; sie konzentrieren sich lieber auf das Gute, das sie bewirken. Einige von ihnen sind damit zufrieden, einen wichtigen Beitrag zur Weltverbesserung zu leisten; viele versuchen, jedes Jahr ein bisschen mehr zu tun.

Der effektive Altruismus ist in mehreren Hinsichten bemerkenswert, die ich im Folgenden alle genauer untersuchen werde. Zuallererst: Er bewegt tatsächlich etwas. Die Philanthropie ist heute zu einem riesigen Geschäft geworden. Allein in den Vereinigten Staaten gibt es fast eine Million Wohltätigkeitsorganisationen, die jährlich insgesamt etwa 200 Milliarden Dollar an Spendengeldern erhalten; hinzu kommen noch einmal rund 100 Milliarden für Religionsgemeinschaften. Einige dieser Einrichtungen handeln in betrügerischer Absicht, doch die Intransparenz der meisten Organisationen stellt das wesentlich größere Problem dar: Es lässt sich nicht entscheiden, ob sie wirklich Gutes tun. Der Großteil der 300 Milliarden wird gespendet, weil die entsprechenden Hilfsorganisationen uns einfach Bilder von Menschen, Tieren oder Wäldern zeigen, die uns emotional berühren und so zum Spenden animieren. Der effektive Altruismus versucht, dies zu ändern, indem er Wohltätigkeitsorganisationen belohnt, die ihre Effektivität nachweisen können. Schon jetzt sorgt die Bewegung dafür, dass Millionen von Dollar an Hilfswerke fließen, die durch extreme Armut verursachtes Leiden und Sterben wirksam verringern.

Zweitens gibt uns der effektive Altruismus die Möglichkeit, unserem Leben einen Sinn zu verleihen und uns in dem, was wir tun, zu verwirklichen. Viele effektive Altruisten sagen, dass es ihnen guttut, Gutes zu tun. Sie helfen anderen auf möglichst direkte Art, doch indirekt profitieren sie oft selbst davon.

Drittens wirft der effektive Altruismus neues Licht auf alte philosophische und psychologische Fragen: Sind wir im Wesentlichen durch unsere angeborenen Bedürfnisse und emotionalen Reaktionen bestimmt, während unsere rationalen Vermögen nur ein wenig rechtfertigende Tünche auf Handlungen sind, die schon feststanden, bevor wir überhaupt nach Gründen dafür suchten? Oder kann die Vernunft eine entscheidende Rolle bei unserer Lebensgestaltung spielen? Was bringt manche Menschen dazu, über die eigenen Interessen und diejenigen ihrer Lieben hinaus die Interessen von Fremden, künftigen Generationen und Tieren in den Blick zu nehmen?

Zuletzt gibt das Aufkommen des effektiven Altruismus und die offensichtliche Begeisterung und Intelligenz, mit der ihm viele Millennials am Anfang ihrer Karriere begegnen, Anlass zum Optimismus. Seit langem schon wird bezweifelt, dass Menschen tatsächlich von einer selbstlosen Anteilnahme am Schicksal anderer motiviert sein können. Unsere moralischen Vermögen seien vielmehr auf die Hilfe für wenige Personen beschränkt: unsere Verwandten, diejenigen, mit denen wir in wechselseitig vorteilhaften Beziehungen stehen oder stehen könnten sowie Mitglieder unserer eigenen Stammesgruppe oder Gemeinschaft. Der effektive Altruismus spricht jedoch für das Gegenteil. Er zeigt, dass wir dazu fähig sind, unseren moralischen Horizont zu erweitern, Entscheidungen auf Grundlage einer umfassenderen Form von Altruismus zu treffen und unsere Vernunft einzusetzen, um die Folgen unseres Handelns zu prognostizieren. Daher gibt er Grund zu der Hoffnung, dass künftige Generationen den moralischen Anforderungen einer neuen Zeit gewachsen sind, in der unsere Probleme nicht nur lokaler, sondern auch globaler Natur sein werden.

I. Effektiver Altruismus

1. Was ist der effektive Altruismus?

Ich lernte Matt Wage im Jahr 2009 kennen, als er mein Seminar »Praktische Ethik« an der Princeton University besuchte. In der Seminarlektüre ging es um die weltweite Armut und was wir dagegen unternehmen sollten. Matt fand eine Schätzung, die angab, wie viel es kostet, das Leben eines der Millionen von Kindern zu retten, die jedes Jahr an Krankheiten sterben, die wir eigentlich verhüten oder heilen können. Dies brachte ihn darauf, auszurechnen, wie viele Menschen er im Lauf seines Lebens retten könnte. Dazu setzte Matt ein Durchschnittseinkommen an, von dem er 10% an eine hocheffektive Organisation spenden wollte, also eine, die beispielsweise Moskitonetze zur Prävention von Malaria – eine der Hauptursachen der Kindersterblichkeit – an Familien verteilt. Als er herausfand, dass er so etwa 100 Menschenleben würde retten können, sagte er sich: »Angenommen, du siehst ein in Flammen stehendes Haus, kämpfst dich durch das Feuer, trittst eine Tür ein und befreist 100 dahinter eingesperrte Menschen. Das wäre der beste Tag deines Lebens. Und ich könnte genauso viel Gutes tun!«[1]

Zwei Jahre später war Matt mit dem Studium fertig. Seine Abschlussarbeit wurde von der philosophischen Fakultät als beste des Jahres ausgezeichnet, und die University of Oxford ließ ihn zur Promotion zu. Viele Philosophiestudenten träumen von so einer Gelegenheit – ich jedenfalls tat das –, doch Matt hatte in der Zwischenzeit viel darüber nachgedacht und mit anderen diskutiert, welche berufliche Laufbahn es ihm erlauben würde, am meisten Gutes zu tun. Daraufhin traf er eine ganz andere Entscheidung: Er ging an die Wall Street, um für ein Unternehmen zu arbeiten, das im Arbitragehandel tätig ist. Ein höheres Einkommen ermöglicht es ihm, sowohl prozentual als auch absolut gesehen viel mehr zu geben als 10% eines Professorengehalts. Schon ein Jahr nach seinem Abschluss spendete Matt einen sechsstelligen Betrag – rund die Hälfte seines Jahresverdiensts – an hochgradig effektive Wohltätigkeitsorganisationen. So rettete er 100 Menschen das Leben, und zwar nicht im Lauf seiner ganzen Karriere, sondern innerhalb der ersten ein bis zwei Jahre seines Berufslebens – und ebenso in jedem weiteren, seitdem vergangenen Jahr.

Matt handelt effektiv altruistisch. Seine Berufswahl ist allerdings nur eine von mehreren Möglichkeiten, die effektiven Altruisten zur Verfügung stehen. Diese tun unter anderem Folgendes:

bescheiden leben und einen großen Teil ihres Einkommens – oft viel mehr als den traditionellen Zehnten – an effektive Hilfsorganisationen spenden;

recherchieren und mit anderen darüber diskutieren, welche Wohltätigkeitsorganisationen am effektivsten sind, oder sich dabei auf Resultate anderer unabhängiger Gutachter stützen;

diejenige Karriere einschlagen, in der sie am meisten verdienen können – nicht, um in Saus und Braus zu leben, sondern, um mehr Gutes zu tun;

persönlich oder online mit anderen über das Spenden sprechen, damit die Ideen des effektiven Altruismus sich verbreiten;

einem Fremden einen Teil ihres Körpers spenden – Blut, Knochenmark oder sogar eine Niere.

In den folgenden Kapiteln wird es um Menschen gehen, die diese Dinge getan haben.

Was vereint die gerade aufgezählten Handlungen unter dem Banner des effektiven Altruismus? Die Definition, die sich für diesen gerade einbürgert, lautet: »Eine Philosophie und soziale Bewegung, die Informationen und Verstand darauf verwendet herauszufinden, wie sich die Welt möglichst effektiv verbessern lässt.«[2] Die Definition schweigt sich sowohl über die Motive eines effektiven Altruisten als auch über die ihm entstehenden Kosten aus, was seltsam erscheinen mag, wo der Altruismus doch schon im Namen der Bewegung vorkommt. Üblicherweise wird diesem der Egoismus, also der Eigennutz, gegenübergestellt, aber dennoch sollten wir nicht glauben, der effektive Altruismus erfordere die Selbstaufopferung im Sinne von etwas, das den eigenen Interessen notwendig zuwiderläuft: Am besten für alle ist es, wenn man möglichst viel für andere tut und davon auch noch selbst profitiert. Wie ich in Kapitel 9 zeige, bestreiten viele effektive Altruisten, dass ihnen überhaupt etwas abverlangt wird – und dennoch handeln sie altruistisch, da sie in erster Linie darum bemüht sind, möglichst viel Gutes zu tun. Die Tatsache, dass sie selbst Erfüllung und Glück darin finden, schmälert ihren Altruismus nicht.

Psychologen, die sich mit dem Spendenverhalten beschäftigen, ist aufgefallen, dass manche Menschen erhebliche Summen an nur ein oder zwei Hilfsorganisationen spenden, während andere Menschen oft, aber wenig geben. Erstere informieren sich darüber, was diese Organisationen tun und ob sie wirklich einen positiven Einfluss haben. Sprechen die Indizien dafür, dann geben sie ihnen einen großen Betrag. Wer häufig kleine Summen spendet, ist dagegen nicht besonders daran interessiert, ob er anderen hilft. Psychologen nennen solche Menschen warm glow givers – Leute, die sich durch den Akt des Spendens ein gutes Gefühl verschaffen möchten und denen es nicht darauf ankommt, ob sie damit auch etwas bewirken. In vielen Fällen ist ihre Spende so gering (10 Dollar oder weniger), dass sie mit ein wenig Überlegung einsehen könnten, dass schon die Bearbeitungsgebühren deren Nutzen für die Hilfsorganisation wahrscheinlich übersteigen.[3]

Im Jahr 2013 versammelten sich zu Beginn der mit einer stark erhöhten Spendenbereitschaft verbundenen Weihnachtssaison 20 ‌000 Menschen, um einen fünfjährigen, als »Batkid« verkleideten Jungen zu bestaunen, der in einem Batmobil und mit einem als Batman verkleideten Schauspieler an seiner Seite durch die Straßen San Franciscos fuhr. Die beiden retteten eine Jungfrau in Nöten und fassten den »Riddler« – heroische Akte der Verbrechensbekämpfung, für die sie vom Bürgermeister (nicht etwa von einem Schauspieler, es war wirklich der echte Bürgermeister San Franciscos) den Stadtschlüssel von »Gotham City« erhielten. Der Junge, Miles Scott, hatte aufgrund von Leukämie drei Jahre Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen, und als er nach seinem größten Wunsch gefragt wurde, antwortete er: »Batkid sein«. Die Make-A-Wish-Foundation machte es möglich.

Verschafft Ihnen diese Geschichte ein wohliges Gefühl? Mir schon, allerdings weiß ich auch, dass sie noch eine andere Seite hat. Die Make-A-Wish Foundation wollte nicht preisgeben, wie viel Geld ihr Miles' Anliegen wert war, sie verriet jedoch, dass ein erfüllter Herzenswunsch durchschnittlich 7500 Dollar kostet.[4] Effektive Altruisten haben wie jedermann das emotionale Bedürfnis, die Wünsche kranker Kinder zu erfüllen, aber sie wissen auch, dass man mit 7500 Dollar ausreichend Malariavorsorge betreiben kann, um das Leben von mindestens drei und vielleicht noch deutlich mehr Kindern zu retten. Bereits ein Kinderleben ist mehr wert als der Wunsch eines Kindes, Batkid zu sein, und vor die Wahl gestellt, ihrem Sohn den Wunsch zu erfüllen oder seine Leukämie zu heilen, hätten Miles' Eltern fraglos das Heilmittel genommen. Die richtige Entscheidung ist noch offensichtlicher, wenn gleich mehrere Kinder auf einmal gerettet werden könnten. Warum unterstützen dann so viele Menschen die Make-A-Wish Foundation anstelle der höchst effektiv arbeitenden Against Malaria Foundation, die Moskitonetze an Familien in betroffenen Regionen verteilt? Zum Teil liegt das an dem emotionalen Sog des Wissens, dass man gerade diesem Kind hilft. Sein Gesicht ist im Fernsehen zu sehen, dasjenige der anonymen Kinder, die ohne den Schutz der Moskitonetze an Malaria sterben, jedoch nicht. Zum Teil liegt es auch an der Tatsache, dass Make-A-Wish sich an Amerikaner wendet und Miles ein amerikanisches Kind ist.

Auch effektive Altruisten werden den Drang verspüren, einem bestimmten Kind ihres Heimatlandes, ihrer Region oder ihrer Ethnie zu Hilfe zu kommen – aber dann fragen sie sich, ob das wirklich das Beste ist. Ihnen ist klar, dass man lieber ein Leben retten sollte, als einen Wunsch zu erfüllen, und dass drei Leben mehr wert sind als eines. Daher lassen sie sich nicht von ihren Gefühlen leiten, sondern setzen sich für diejenige gute Sache ein, bei der ihre Fähigkeiten sowie ihre Zeit- und Geldressourcen das Beste bewirken.

Das Beste oder so viel Gutes wie möglich zu tun ist eine vage Idee, die viele Fragen aufwirft. Hier sind ein paar der offensichtlicheren sowie einige vorläufige Antworten:

Was zählt als »das Beste«?

Auch wenn nicht alle effektiven Altruisten die gleiche Antwort auf diese Frage geben, teilen sie doch einige Werte: Sie alle sind sich einig, dass eine Welt, in der es weniger Leid und mehr Glück gibt, ceteris paribus besser ist als eine, in der es sich umgekehrt verhält; die meisten würden auch sagen, dass eine Welt, in der die Menschen länger leben, ceteris paribus besser ist als eine, in der sie ein kürzeres Leben führen. Diese Werte erklären, warum viele effektive Altruisten vordringlich extrem armen Menschen helfen. In Kapitel 10 wird sich zeigen, dass unser Geld wesentlich mehr Leid lindern und Leben retten kann, wenn wir damit Menschen unterstützen, die in Entwicklungsländern in größter Armut leben, anstatt es für die meisten anderen wohltätigen Zwecke auszugeben.

Zählt das Leid jedes Einzelnen gleich viel?

Für effektive Altruisten wiegt ein Leid nicht weniger schwer, weil es Menschen betrifft, die weit entfernt oder in einem anderen Land leben oder einer anderen Ethnie oder Religion angehören. Sie stimmen darin überein, das Leid von Tieren ebenfalls zählen zu lassen, und sie sind sich im Großen und Ganzen einig, dass es nicht schon deshalb weniger schwer wiegen sollte, weil die Leidtragenden nicht zu unserer Spezies gehören. Allerdings gewichten sie tierisches im Vergleich zu menschlichem Leid eventuell unterschiedlich.[5]

Bedeutet »so viel Gutes tun wie möglich«, dass es falsch ist, seine eigenen Kinder zu bevorzugen? Es kann doch nicht falsch sein, die Interessen von Familienangehörigen und engen Freunden über die Interessen von Fremden zu stellen?

Effektive Altruisten können zugeben, eine besondere Verantwortung für das eigene Kind zu haben, die diejenige für die Kinder von Fremden überwiegt. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe. Die meisten Eltern lieben ihre Kinder, und es wäre weltfremd, von ihnen zu verlangen, sich im Zweifelsfall nicht für die eigenen und gegen andere Kinder zu entscheiden. Wir sollten diese Voreingenommenheit auch gar nicht zu verhindern suchen, da es Kindern in Familien, deren Mitglieder zusammenhalten und sich lieben, besser geht, und da es zugleich nicht möglich ist, jemanden zu lieben, ohne sich mehr um dessen Wohlergehen zu sorgen als um das anderer Menschen. In jedem Fall sind effektive Altruisten keine Heiligen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Es ist ein wichtiger Teil ihres Lebens, möglichst viel Gutes zu tun, aber sie denken nicht rund um die Uhr ausschließlich daran. Wie wir noch sehen werden, lassen sich effektive Altruisten normalerweise genug Zeit und Mittel, um zu entspannen und das zu tun, was sie wollen. Und die meisten von uns möchten nun einmal unbedingt Zeit mit ihren Kindern, Angehörigen oder Freunden verbringen. Effektive Altruisten verstehen aber auch, dass die dringenderen Bedürfnisse anderer Menschen ihnen Grenzen dafür setzen, wie viel sie für den eigenen Nachwuchs tun sollten. Sie glauben nicht, dass ihre Kinder immer das neueste Spielzeug oder eine verschwenderische Geburtstagsfeier brauchen, und sie lehnen die weit verbreitete Überzeugung ab, Eltern sollten praktisch ihren ganzen Besitz den eigenen Kindern vererben, anstatt einen wesentlichen Teil denen zu vermachen, die viel mehr davon profitieren können.

Wie steht es mit anderen Werten, beispielsweise Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit oder Wissen?

Die meisten effektiven Altruisten halten solche Werte für gut, weil sie notwendig für die Schaffung von Gemeinschaften sind, in denen Menschen ein besseres Leben führen können – ein längeres und weniger leidvolles Leben, frei von Unterdrückung, mit größerer Selbstachtung und der Freiheit zu tun, was immer sie wollen.[6] Zweifellos schätzen einige effektive Altruisten diese Werte unabhängig davon auch um ihrer selbst willen, andere jedoch tun das nicht.

Kann auch die Förderung der Künste eine Rolle dabei spielen?

In einer Welt, die weder extreme Armut noch die übrigen großen Problemen kennt, denen wir uns heute gegenübersehen, würde es sich lohnen, die Künste zu unterstützen. In unserer Welt aber wird eine Spende für Opernhäuser oder Museen wahrscheinlich nicht so viel Gutes bewirken wie nur möglich. Auf die Gründe dafür komme ich in Kapitel 11 zu sprechen.

Wie viele effektive Altruisten kann es geben?Kann jeder mitmachen?

Jeder, der ein wenig Zeit oder Geld hat, kann effektiv altruistisch sein. Leider wollen die meisten Leute – und wie wir ebenfalls in Kapitel 11 sehen werden, zählen dazu sogar professionelle Spendenberater – gar nicht so genau wissen, wofür sie spenden sollen. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass sich schon bald jeder zum effektiven Altruisten wandelt. Die spannendere Frage lautet, ob es genug von ihnen geben wird, um das Spendenverhalten in den wohlhabenden Nationen zu beeinflussen. Einige vielversprechende Anzeichen weisen in diese Richtung.

Was ist, wenn man mit seiner Handlung zwar ein Leid mindert, dafür aber lügen oder einem Unschuldigen schaden muss?

Im Allgemeinen erkennen effektive Altruisten an, dass das Brechen einer moralischen Regel, die das Töten oder Verletzen eines Unschuldigen verbietet, fast immer schlimmere Folgen hat als das Befolgen dieser Regel. Selbst kompromisslose Utilitaristen, die Handlungen ausschließlich nach ihren Konsequenzen beurteilen, halten nicht viel von hypothetischen Szenarien, denen zufolge wir grundlegende Menschenrechte im Interesse einer fernen, besseren Zukunft verletzen sollten. Sie wissen, dass Lenin, Stalin, Mao und Pol Pot Visionen einer künftigen utopischen Gesellschaft zur Rechtfertigung unaussprechlicher Gräueltaten benutzten, und selbst heute noch glauben manche Terroristen, ihre Verbrechen so legitimieren zu können. Kein effektiver Altruist will, dass sich diese Tragödien wiederholen.

Angenommen, ich errichte eine Fabrik in einem Entwicklungsland und zahle den Arbeitern mehr als dort üblich und genug, um sie aus ihrer extremen Armut zu befreien. Macht mich das zu einem effektiven Altruisten, selbst wenn ich mit der Fabrik Profit mache?

Nun, es hängt davon ab, was ich mit dem Gewinn tue. Lasse ich in diesem Land produzieren, um den Menschen aus ihrer Not herauszuhelfen, dann werde ich auch einen Großteil des Profits reinvestieren, um noch mehr Leuten helfen zu können. In diesem Fall bin ich effektiver Altruist. Mache ich mir dagegen mit dem Geld ein schönes Leben, dann macht die Tatsache, dass ich einigen Armen geholfen habe, noch keinen effektiven Altruisten aus mir. Zwischen diesen beiden Extremen liegen viele verschiedene Positionen. Reinvestiere ich einen Teil der Gewinne, um mehr Menschen ein anständiges Einkommen zu verschaffen, führe selbst aber ein noch viel luxuriöseres Leben als meine Angestellten, dann bin ich knapp auf Seiten des effektiven Altruismus – ich führe zwar kein vollkommenes, aber immerhin ein minimal akzeptables ethisches Leben.

Wie steht es mit Spenden für das eigene College oder die eigene Universität? Sie lehren an der Princeton University, und dieses Buch beruht auf Vorträgen, die Sie an der Yale University gehalten haben und die durch die großzügige Unterstützung eines Yale-Absolventen ermöglicht wurden. Wollen Sie bestreiten, dass es effektiv altruistisch ist, solchen Institutionen Geld zu geben?

Ich schätze mich glücklich, an einer der weltbesten Universitäten unterrichten zu dürfen. Das gibt mir die Gelegenheit, hochintelligenten und fleißigen Studenten wie etwa Matt Wage etwas beizubringen, die voraussichtlich einen überproportionalen Einfluss auf die Welt nehmen werden. Aus dem gleichen Grund habe ich auch die Einladung, die Castle Lectures in Yale zu halten, mit Freuden angenommen. Princeton verfügt momentan allerdings über ein Stiftungsvermögen von 21 Milliarden Dollar, und das von Yale beträgt sogar 23,9 Milliarden. Augenblicklich spenden schon genug Ehemalige, um sicherzustellen, dass diese Universitäten auch weiterhin hervorragende Bildungseinrichtungen bleiben, und das Geld, das Sie einer von ihnen spenden könnten, wäre an anderer Stelle wohl besser aufgehoben. Falls der effektive Altruismus jemals so beliebt wird, dass sich diese Hochschulen nicht mehr in der Lage sehen, Spitzenforschung zu betreiben, könnte eine Spende zu ihren Gunsten vielleicht wieder Sinn ergeben.[7]

[1] E-Mails von Matt Wage an den Autor, 2013-2014, sowie von Matts Besuch meines Kurses an der Princeton University, 23. ‌10. ‌2013. Das Seminar wurde aufgezeichnet und ist Teil des Kurses »Praktische Ethik«, der zuerst von März bis Juni 2014 auf Coursera angeboten wurde.

[2] »Effective Altruism«, Wikipedia, <https://en.wikipedia.org/wiki/Effective_altruism>.

[3] Dean Karla, Daniel Wood, »The Effect of Effectiveness. Donor Response to Aid Effectiveness in a Direct Mail Fundraising Experiment«, Economic Growth Center Discussion Paper No. 1038 / Economics Department Working Paper No. 130, Yale University, 15. ‌4. ‌2014., <http://ssrn.com/abstract=2 ‌421 ‌943>; siehe insbesondere S. 2-5 zu einer Diskussion des warm glow giving und S. 15 zu Spenden, die geringer sind als die Bearbeitungsgebühren. Zu anderen Studien des warm glow giving siehe Heidi Crumpler, Philip J. Grossman, »An Experimental Test of Warm Glow Giving«, Journal of Public Economics 92 (2008), S. 1011-1021; und Clair Null, »Warm Glow, Information, and Inefficient Charitable Giving«, Journal of Public Economics 95 (2011), S. 455-465.

[4] Make-A-Wish Foundation, »Miles' Wish to Be Batkid«, <http://sf.wish.org/wishes/wish-stories/i-wish-to-be/wish-to-be-batkid>.

[5] Siehe etwa Holden Karnofsky, »Deep Value Judgments & Worldview Characteristics«, <http://blog.givewell.org/2013/04/04/deep-value-judgments-and-worldview-characteristics/>.

[6] Ebd.

[7] Die Zahlen für Princeton und Yale stammen aus Daniel Johnson, »Updated: Princeton Endowment Rises 19.6%, Now Valued at $ 21 Billion«, Daily Princetonian, 17. ‌10. ‌2014., <http://dailyprincetonian.com/news/2014/10/>; und Michael MacDonald, »Harvard's 15.4% Gain Trails as Mendillo Successor Sought«, Bloomberg News, 24. ‌9. ‌2014, <http://www.bloomberg.com/news/articles/2014-09-23/harvard-has-15-4-investment-gain-trailing-dartmouth-penn-1->.

2. Eine Bewegung entsteht

Der effektive Altruismus ist ein Kind vieler Eltern. Ich darf mich dazu zählen, weil ich 1972 – als junger Dozent am University College in Oxford – einen Aufsatz mit dem Titel »Famine, Affluence, and Morality« verfasste. Darin argumentierte ich dafür, dass wir angesichts des gewaltigen Leids, das Hungersnöte und ähnliche Katastrophen hervorrufen, einen Großteil unseres Einkommens für die Katastrophenhilfe spenden sollten. Wie viel genau? Logisch betrachtet, so schlug ich vor, so viel, bis wir den Punkt des Grenznutzens erreichen – den Punkt also, an dem sich der eigene Verlust und der Gewinn für den Spendenempfänger die Waage halten. In den über 40 Jahren, die seitdem vergangen sind, wurde der Text immer wieder abgedruckt, und Lehrende auf der ganzen Welt nutzen ihn, um die moralische Selbstzufriedenheit ihrer Studenten zu erschüttern.[1]

Hier ist der Haken: Obwohl ich behauptete, dass wir so handeln sollten, hielt ich mich selbst nicht daran. Als ich den Aufsatz schrieb, spendeten meine Frau und ich etwa 10% unseres bescheidenen Einkommens (sie arbeitete als Lehrerin und verdiente etwas mehr als ich). Im Lauf der Zeit wurde es stetig mehr; heute geben wir etwa ein Drittel unserer Einkünfte und haben vor, auf die Hälfte zu kommen. Aber damit sind wir immer noch nicht einmal in der Nähe des Grenznutzens. Es war unter anderem deshalb psychologisch so schwierig, noch höher zu gehen, weil wir viele Jahre lang prozentual mehr spendeten als alle, die wir kannten – nicht einmal die Superreichen schienen einen größeren Anteil ihres Vermögens herauszurücken.

Im Jahr 2004 jedoch veröffentlichte der New Yorker ein Porträt von Zell Kravinsky, der fast sein gesamtes Immobilienvermögen von 45 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke gestiftet hatte. Für Frau und Kinder legte er zwar etwas Geld in Treuhandfonds an, aber Letztere besuchten öffentliche Schulen, und er und seine Familie lebten von etwa 60 ‌000 Dollar jährlich. Da er noch mehr tun wollte, vereinbarte Kravinsky mit einem nahe gelegenen Krankenhaus eine Operation, um auch noch eine seiner Nieren herzugeben. Der Artikel im New Yorker stellte zwischen meinem damals 32 Jahre alten Aufsatz und Kravinskys Lebensweise eine Verbindung her und zitierte ihn mit den Worten: »Es scheint mir auf der Hand zu liegen, dass ich mein ganzes Geld und all meine Zeit und Energie für einen guten Zweck einsetzen sollte.«[2]

Zu dieser Zeit lehrte ich bereits in Princeton, und Kravinsky lebte ganz in der Nähe. Daher lud ich ihn ein, in einem meiner Seminare einen Vortrag zu halten, was er seitdem regelmäßig tut. Zell ist eine beeindruckende Persönlichkeit: Er hat einen Doktortitel in Bildungswissenschaften und einen weiteren über John Miltons Dichtung erworben, außerdem lehrte er an der University of Pennsylvania, bevor er ins Immobiliengeschäft einstieg, daher fühlt er sich im universitären Umfeld heimisch. Trotz seines Faibles für Poesie fasst Zell seinen Altruismus allerdings in mathematische Begriffe. Er zitiert wissenschaftliche Studien, die belegen, dass das Risiko, an einer Nierenspende zu sterben, nur bei 1 zu 4000 liegt. Nicht zu spenden hätte bedeutet, sein Leben 4000-mal höher zu schätzen als dasjenige eines Fremden – für ihn eine nicht zu rechtfertigende Vorstellung. Ian Parker, dem Autor des Profils im New Yorker, vertraute er sogar an, dass viele Menschen seinen Wunsch, eine Niere zu spenden, nicht verstehen, weil »sie keine Ahnung von Mathe haben«.

Ungefähr zur gleichen Zeit hörte ich von Abhijit Banerjee und Esther Duflo, Wirtschaftswissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die beiden hatten dort das Poverty Action Lab gegründet, um »soziale Experimente« durchzuführen – empirische Forschungen, die zeigen sollten, welche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung funktionieren und welche nicht. Ohne entsprechende empirische Informationen agieren wir Duflo zufolge nämlich wie die Ärzte im Mittelalter, die Krankheiten durch das Ansetzen von Blutegeln bekämpften.[3] Banerjee und Duflo waren die Ersten, die randomisierte kontrollierte Studien – das Nonplusultra in der Pharmaindustrie – einsetzten, um bestimmte Hilfsprojekte zu testen. Bis zum Jahr 2010 führten mit dem Poverty Action Lab (mittlerweile bekannt als Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab oder J-PAL) assoziierte Forscher 240 Experimente in 40 Ländern durch. Dean Karlan, ehemals Schüler von Banerjee und Duflo und nun selbst Professor für Ökonomie an der Yale University, gründete Innovations for Poverty Action, um die Lücke zwischen akademischer Forschung und konkreter Entwicklungshilfe zu schließen. Diese gemeinnützige Organisation hat heute 900 Mitarbeiter sowie ein Budget von 25 Millionen Dollar, und die Idee randomisierter Studien ist eindeutig auf dem Vormarsch.

Im Jahr 2006 waren Holden Karnofsky und Elie Hassenfeld beide Mitte zwanzig, arbeiteten für einen Hedgefonds in Connecticut und verdienten weit mehr, als sie auszugeben