Ehemänner und andere Irrtümer - Karen Hartig - E-Book

Ehemänner und andere Irrtümer E-Book

Karen Hartig

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Beschreibung

Eigentlich kann Corinna mit Job und Familienleben rundherum zufrieden sein. Sogar die geschlechtsbedingten Macken ihres Ehemannes Benno bringen sie kaum aus der Ruhe. Doch dann kommt Benno eines Tages auf die wahnwitzige Idee, ein halb verfallenes Haus auf dem Land zu kaufen. Ohne mich, denkt Corinna und sagt ihrem Gatten unverzüglich den Kampf an. Zu allem Überfluß muß sie eines Morgens auch noch feststellen, daß sie die Pille nicht mehr verträgt … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 426

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Karen Hartig

Ehemänner und andere Irrtümer

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Inhalt

Ehemänner und andere Irrtümer [Teil 1]Ehemänner und andere Irrtümer [Teil 2]Ehemänner und andere Irrtümer [Teil 3]

Wenn wir bedenken, daß wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.

Mark Twain

*

Der durchtrainierte Mittvierziger neben mir seufzte laut und genießerisch. Ein Schweißtropfen löste sich aus seinem Nackenhaar, rann den muskulösen Rücken herab und versank schließlich zwischen seinen wohlgeformten nackten Pobacken.

»Ganz schön heiß hier, nicht wahr?« stellte er mit einem interessierten Blick auf meine Hüften fest.

Gelangweilt nickte ich ein knappes Ja in seine Richtung. Wirklich wahnsinnig originell, diese Form der Anmache, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß um uns herum knappe neunzig Grad Lufttemperatur herrschten. Der Nackedei war bei mir sofort unten durch.

»Na, ganz allein hier?« hakte er nach und tastete mit den Augen meine ausschließlich von Schweiß bedeckte Vorderfront ab.

»Nein«, sagte ich wahrheitsgemäß, »es dürften sich noch etwa dreißig weitere Personen in diesem Raum aufhalten.« Den Zusatz »Sie Einfaltspinsel« verkniff ich mir.

Statt einer Antwort wischte er sich die Augenpartie ab, um besser sehen zu können. »Haben Sie vielleicht Lust auf ein Bier, Sie kluges Kind? Ich beschütze Sie auch vor zudringlichen Männern! Sehen Sie her!« Er deformierte seinen Bizeps zu einem aderndurchzogenen Fleischberg.

Ach herrje. Ein Platzhirsch. Ein brunftschreiender Zwölfender.

Junge, geh kalt duschen, dachte ich und sah weg, weil ich abnorm schwellende Extremitäten ziemlich öde finde.

Er veranstaltete jetzt einige Spielereien mit seinem anderen Bizeps, was ich zum Glück nur noch aus dem Augenwinkel wahrnahm. Womöglich hoffte er, mich auf diese Weise erst schwächen und anschließend zügig zur Strecke bringen zu können.

Ich beschloß, kurzen Prozeß zu machen.

»Reizend von Ihnen«, sagte ich also in jenem liebenswürdigen Tonfall, den man für gewöhnlich Handwerkern gegenüber anschlägt, um sie an einem Feiertag zur Reparatur des Wasserrohrbruchs im Wohnzimmer zu bewegen. »Aber ich bin eine anspruchsvolle Frau. Und in Ihrem Fall hielte ich es für besser, Sie ließen schweigend Ihren Blick schweifen, statt umgekehrt vorzugehen.«

Ziemlich abrupt sank der kraftstrotzende blonde Beau in sich zusammen, was mir mal wieder bestätigte, daß gewisse Männer relativ schnell die Waffen strecken, wenn man sie nur genug verblüfft. Seine Zehen wippten beleidigt auf und ab. Ich rückte ein paar Zentimeter nach links, wo meine Freundin Andrea auf einem blauen Saunahandtuch zerfloß.

»Der Typ neben dir ist ein Prachtexemplar«, flüsterte sie mir zu und kniff die Augen zusammen, »Labsal für entwöhnte Hausfrauenaugen! Das erkenne ich sogar ohne meine Brille. Sieh dir doch nur diese Oberschenkel an!«

Offensichtlich hatte sie von der vorangegangenen geistvollen Konversation nichts mitbekommen. Ich winkte ab. »Absolut nicht meine Kragenweite. Wenn du mich fragst, haben wir es hier mit einem typischen Viemuhoko zu tun.«

Andrea zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Glaub ich nicht«, sagte sie im Brustton der Überzeugung, ohne ihre Stimme wesentlich zu dämpfen. Daß der Nackedei sich weit vorgebeugt hatte und unserem kreativen Gedankenaustausch voller Interesse lauschte, schien sie nicht weiter zu stören. »Der ist doch viel zu schön, um ein Viemuhoko zu sein. Mann, diese Formen!«

Jemand tippte mir aufs Knie. Das Muskelpaket neben mir hatte tatsächlich die Stirn, noch einen Vorstoß zu riskieren. Na gut. Auf eigene Gefahr.

»Entschuldigen Sie die Störung – aber was ist ein Viemuhoko?«

»Viele Muskeln, hohler Kopf«, erläuterte ich bereitwillig. »Schöne Abkürzung eigentlich, finden Sie nicht?«

Es kam keine weitere Frage von rechts.

»Pfui, Andrea. Ich wußte gar nicht, daß du so voyeuristisch veranlagt bist«, dröhnte es ziemlich kritisch von hinten. Lissy, die dritte in unserem Frauentrio, saß eine Stufe höher im Temperaturmaximum, wo die trockene Gluthitze schon mehrfach meine Nasenschleimhäute angesengt hatte, weswegen ich für gewöhnlich den Aufenthalt auf der mittleren Saunabank bevorzugte.

Andrea grinste diabolisch. »Gleiches Recht für alle. Glaubst du etwa, unsere Ehemänner starren in einer solch körperbetonten Umgebung angestrengt auf die Holzroste unter ihren Füßen?«

»Das nicht«, erwiderte Lissy, »aber sie verteilen mit Sicherheit keine Punkte für das knackigste Hinterteil, wie es dir letzte Woche beliebte.«

»Wetten, daß doch?« gluckste Andrea. »Erinnerst du dich noch an den Typ mit dem Birnenhintern, den ich leider disqualifizieren mußte, weil er –«

Unvermittelt erhob sich der blonde Muskelmann neben mir und flüchtete. Wahrscheinlich wollte er seine eigene Sitzfläche Andreas direktem Blickfeld entziehen, bevor diese ein Papptäfelchen zücken und »vierkommazwei« brüllen konnte. Ich sah keinerlei Veranlassung, ihn zurückzuhalten.

Entspannt lehnte ich mich zurück und beobachtete meinen Bauchnabel, der sich langsam mit Schweißtropfen füllte und in regelmäßigen Abständen überlief. Wie jeden Donnerstag genoß ich unseren Jour fixe mit Leib und Seele. Keine Kinder, keine Karriere, keine Ehemänner; wahrhaftig ein exquisiter Genuß. Wir drei wohnten mit unseren Familien in einer Kolonie von mausgrauen und handtuchschmalen Reihenhäusern, »Karnickelställe« genannt, welche ein findiger Architekt konstruiert hatte, als die Baupreise rund um Frankfurt für Normalsterbliche nicht mehr zu finanzieren gewesen waren. Im vergangenen Winter hatten wir es uns zur Gewohnheit gemacht, den Abend in der Saunalandschaft des »Aquaparks« zu verbringen. Das tropische Spaßbad bot neben dem üblichen Palmeninventar mehrere unterschiedlich temperierte Planschbecken für Erwachsene und eine Bar namens »Flipper-Club«, die mein liebender Gatte Benno ziemlich pejorativ den »Stripper-Club« nannte.

Für die Sauna als solche hatte Benno nichts übrig, er schwitzte lieber auf dem Tennisplatz, und das nach Möglichkeit täglich, woraus sich leicht ersehen läßt, daß unser Eheleben auf der Basis einer gesunden, völlig legalen Mariage à trois funktionierte: der Tennisschläger, er und ich. Unnötig, näher auf die Rangfolge einzugehen. Wenn ich Benno dabei beobachtete, wie er sein erlesenes armschonendes Racket mit einem neuen Griffband ausstaffierte, legte er dabei genau jene tiefe Hingabe und weihevolle Andacht an den Tag, welche ich als Ehefrau schon so manches Mal schmerzlich hatte entbehren müssen.

Andererseits geben Tennisschläger auch keine Widerworte.

Jedenfalls machte er nach einem fehlgeschlagenen Versuch, mich in den »Aquapark« zu begleiten, bei dem er seine körperliche Konstitution minimal überschätzte und nach dem ersten Aufguß mit ausgeprägtem Drehschwindel aus der Saunakabine geleitet werden mußte, nie wieder Anstalten, ein solches Etablissement zu betreten.

»Endspurt!« frohlockte Saunameister Kalli und schüttete noch ein Eimerchen Wasser auf die glühenden Kohlen. Kalli war ein ziemlich exzentrischer Exschwimmlehrer aus Emden, der seine von bizarrer friesischer Grandezza geprägten Aufgüsse mit dem Werfen von Eiswürfeln und anderen ausgefallenen Späßchen aufzulockern pflegte. Breitbeinig vor dem Kohleofen stehend, stimmte er nun den Partyhit »Heute blau und morgen blau und üüübermorgen wieder« an und wedelte dazu rhythmisch mit seinem Handtuch, was die mörderisch heißen Dampfschwaden dazu veranlaßte, bis in die hintersten Winkel der Saunakabine und meiner nikotingeschwächten Atemwege zu kriechen. Ein paar Fans grölten trotz der Hitze mit, ich selber rang nach Luft. Erbarmen! Wenn Kalli nicht bald Gnade walten ließ und zwecks Frischluftzufuhr die Holztür öffnete, würde ich wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit so blau anlaufen wie die Schnapsnasen, die er noch immer besang.

»Mir reicht’s«, sagte Andrea schnaufend, »mein Kleinhirn fängt gleich an zu sieden. Kommt, nichts wie raus hier.«

Dankbar zuckelte ich mit meinem triefenden Handtuch hinter ihr her ins Freie, wissend, daß mir nun der Moment der Wahrheit bevorstand: das Tauchbecken. Zwölf Grad kaltes Wasser! Ich gebe zu, daß es mich jedesmal starke Überwindung kostet, meinen glühenden Körper auf ähnlich gefühllose Weise abzukühlen, wie man gekochte Eier abschreckt. Andererseits läßt sich Sauna ohne den anschließenden Knalleffekt des polarkalten Wasserlochs durchaus mit vielversprechend heißem, aber klimaxlos verendendem Sex gleichsetzen. Das nur für die Saunaunkundigen und Kreislaufschwachen.

Ich stand unschlüssig am Beckenrand herum. Tat es eine kalte Dusche nicht auch?

»Wirst du wohl sofort einsteigen!« befahl Andrea, die längst durchs Wasser pflügte.

Mit angehaltenem Atem stelzte ich in die eisigen Fluten, blieb jedoch unverzüglich stehen, als der Kälteschock meine Oberschenkel traf. Brrr!

»Weiter!« schrie Andrea.

»Extreme Kälte in Hüfthöhe ist ungesund!« wandte ich feige ein.

»Rein mit dir!!!«

Ich seufzte. Wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, mal wieder des Mimosentums geziehen zu werden, wobei Andrea meistens die Vokabel »Weichei« vorzog, hatte ich keine andere Wahl. Quietschend warf ich mich nach vorne, tauchte unter. Grandios!

Daß wir wenig später ohne weitere Umwege an der Bar des »Flipper-Clubs« landeten, war auf den enormen Flüssigkeitsverlust zurückzuführen, der für gewöhnlich mit einem Saunabesuch einhergeht. Dummerweise erwartete uns der strunzdoofe Zwölfender bereits, so daß es uns angebracht schien, alle Getränkewünsche auf später zu verschieben und statt dessen in einen der leise vor sich hin blubbernden Whirlpools zu fliehen. Leicht erschöpft lümmelte ich im leuchtendblauen Wasser herum, jeden aufkommenden Gedanken an die Wahrscheinlichkeit eines bakteriellen Befalls ignorierend. Ich hätte schnurren können vor animalischem Wohlbehagen.

Donnerstags platzte die Saunaanlage aus allen Nähten. Wohin auch immer man blickte, wackelten unbekleidete Bäuche, Hinterteile und Schenkel beiderlei Geschlechts über die rutschigen Fliesen, wobei sich der ästhetische Genuß teilweise in relativ engen Grenzen hielt. In den finnischen Brutkästen klebte man längst Backe an Backe. Unvermittelt drang frenetischer Applaus aus der 75-Grad-Sauna, wahrscheinlich hatte Kalli gerade Handstand auf dem Ofen gemacht oder mit Kohlestücken jongliert oder so ähnlich. Es roch ganz leicht nach Eukalyptus- und Zitronenöl.

»Stellt euch vor«, sagte Andrea träumerisch und mit halbgeschlossenen Augen, »Johannes hat mich vorhin gefragt, wie ich diesen neuen Werbespot mit dem unvergänglichen Diamanten finde. Ich glaube, er befaßt sich intensiv mit meinem Geburtstagsgeschenk.«

Aber hallo! Andreas Ehemann war ein schmächtiger Lehrer mit Vollbart, der Französisch und Musik unterrichtete und im Normalfall seine Frau nicht mit glitzernden Pretiosen, sondern mit so unvergänglichen Utensilien wie einer original italienischen Spaghettimaschine oder einem Messerset in Profiqualität überraschte. Naheliegenderweise hielt er es für entbehrlich, ihre starke Affinität zu Haushaltsdingen durch unbedachte Gaben wie beispielsweise einem Mountain Bike zu torpedieren, obwohl sie sich dieses schon seit Jahren sehnlichst wünschte. Immerhin hatte sie unlängst einen Kindersitz für ihr verschrammtes Hollandrad bekommen, was ja nun, wenn auch im weitesten Sinne, mit »Radfahren« zusammenhing. Daß Andrea in jenen Kindersitz nicht mehr so richtig hineinpaßte, dafür ihre zweijährige Tochter Marie um so mehr, war Pech, nun ja. Und jetzt ein Diamantring?!

»Wird auch allmählich Zeit, daß Johannes begreift, was ein Ehefrauenherz erfreut«, murmelte ich träge und plätscherte mit den Beinen im Whirlpoolwasser herum. »Diamanten sind immerhin seit Jahrhunderten ein Zeichen für wahre Liebe.«

Lissy lachte schallend auf. Nach nunmehr knapp fünfundzwanzigjährigen ehelichen Strapazen konnte ihr diesbezüglich niemand mehr etwas vormachen. Sie war mit einem ganz besonderen Exemplar der Spezies Mann verheiratet, einem bemerkenswert spießigen Langweiler namens Peter Pohlmann, der sich wochentags hinter einem Frankfurter Versicherungsschreibtisch den Hintern breit saß. Am Wochenende nutzte er für diese Zwecke das heimische Sofa. Die Aufgabe an sich entsprach seinem Temperament.

»Wenn Diamanten ganz unvermittelt daherkommen, sind sie meistens ein Hinweis auf ein schlechtes Gewissen«, bemerkte sie feinsinnig, »wahre Liebe ist etwas ganz anderes.«

Soso. Interessiert spitzte ich die Ohren. Da ich erst dreiunddreißig war und im Vergleich zu Lissy etwa fünfzehn Ehejahre hinterherhinkte, hatte ich liebesmäßig noch nicht ausgelernt; diesbezügliche Erkenntnisse nahm ich also jederzeit dankbar auf. Doch noch bevor Lissy dazu ansetzen konnte, uns an ihrem profunden Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen, meldete Andrea sich zu Wort.

»Also, ich weiß mittlerweile, was Liebe ist.«

»Ach ja? Laß hören.«

»Liebe ist, wenn er nicht sagt: ›Schatz, das Kind stinkt‹, sondern ins Kinderzimmer geht und es wickelt.«

Typisch Andrea. Praktisch veranlagt wie eh und je, und recht hatte sie auch. Allerdings war ihre weise Erkenntnis auf meine eigenen häuslichen Verhältnisse nicht zu übertragen. Neunjährige Jungen brauchen nur in den seltensten Fällen noch Windeln.

»Sehr gut«, lobte Lissy. »Du kommst der Sache schon ganz schön nahe. Aber meine These lautet folgendermaßen: Wahre Liebe ist, wenn er die Klobrille runterklappt und seine Geschäfte im Sitzen verrichtet.«

»Himmel, bist du unromantisch«, sagte ich pikiert. »Seit wann hat Liebe etwas mit Klobrillen zu tun?«

»Im glutvollen ersten Jahr noch nicht, logisch. Aber mit der Zeit schwindet die Romantik. War jedenfalls bei mir so. Und irgendwann kam der Moment, in dem ich keine Lust mehr hatte, dauernd Spritzer rund um das Klo wegzuwischen. Spritzer, die ihre Existenz ausschließlich dem Umstand verdankten, daß Peter zu bequem war, sich hinzusetzen!«

Nette Konversation, dachte ich. Im Whirlpool zu liegen und dabei männliche Stellungen erörtern, das hat doch was.

»Armes Lissyschätzchen«, warf Andrea sarkastisch ein. »Also, MIR macht das bißchen Männerpipi nichts aus.«

Ich grinste unauffällig vor mich hin. Im Gegensatz zu mir beurteilte Andrea jegliches Hantieren mit Putzlappen und Seifenlauge als a) sinnvoll, b) befriedigend und c) insgesamt schöne, weibliche Beschäftigung. Übers Putzen sprach man nicht, man tat es. Nie hätte sie einen Montag verstreichen lassen, ohne das gesamte Haus zu wischen – egal, ob es dreckig war oder nicht –, und nie hätte sie es zugelassen, daß sich auch nur ein vereinzeltes Haar durch ihr keimfreies Waschbecken schlängelte. Ihr Haus hatte sauber zu sein, und das rund um die Uhr. Punktum. In meinem Reihenhaus dagegen wurde geputzt, wenn es nötig war, vorausgesetzt, ich hatte gerade Zeit. War dies zufälligerweise nicht der Fall, und ich gebe zu, daß mir der Zufall dann und wann zu Hilfe kam, so durften die Staubflusen durchaus ein paar Tage lang ungestraft im Treppenhaus Walzer tanzen. Und wegen so ein paar vertrauter Familienhaare neben dem Abfluß hätte ich mit Sicherheit nicht um Mitternacht zum Wischlappen gegriffen. Um diese Uhrzeit tendierten meine Hände eher dazu, sich auf die Suche nach Benno zu begeben, vorausgesetzt, sie hatten überhaupt noch das Bedürfnis, sich auf welche Weise auch immer zu betätigen.

Na ja, chacun à son gôut. Andrea und ich verstanden uns wahrscheinlich auch deswegen so großartig, weil keine von uns jemals den Versuch gemacht hatte, die andere zu bekehren. Wäre im übrigen auch vertane Zeit gewesen.

»Jawohl, armes Lissyschätzchen«, sagte Lissy streng. »Bin ich kraft der Eheschließung vielleicht Peters persönliche Klofrau? Ich denk ja gar nicht dran! Und ich hasse aufgeklappte Klobrillen und kahle Porzellanbecken!«

»Männer haben dafür kein Auge«, sagte Andrea sachlich.

»Ach, und warum nicht, bitte schön?« gab Lissy zurück.

Gute Frage eigentlich. Leider hatte ich diese Problematik bisher ausschließlich in Zusammenhang mit gemischtgeschlechtlichen WGs als relevant erachtet und demzufolge auf die Schnelle keine fundierte Antwort parat. Auch Andrea beschränkte sich auf ratlose Blicke.

»Weil, ihr Lieben«, sagte Lissy triumphierend, »weil die Mütter unserer Männer ihren Söhnen das Sitzendpinkeln und Deckelzuklappen und Säubern der versifften Toilette niemals beigebracht, geschweige denn zugemutet haben. Und wir Ehefrauen leider auch nicht. Also, ihr zwei, Hand aufs Herz: Tun eure Männer es im Sitzen oder im Stehen? Macht IHR sauber, oder tun SIE es? Sagt was dazu!«

Ich schlug schamvoll die Augen nieder, da auch im Hause Beifuß das Reinigen der sanitären Anlagen zu den verdienstvollen Obliegenheiten der Ehefrau gehörte. Schließlich hatte Benno einen anstrengenden Beruf. Im übrigen tätigte er jene von Lissy angesprochenen Verrichtungen im Stehen.

»Siehste? Meistens bleibt es dann dabei. Und diesen mechanischen Vorgang nach dreißig oder gar vierzig Jahren zu durchbrechen – das ist Liebe!«

»Wo bleibt die Pointe?« erkundigte Andrea sich trocken.

Lissy zwinkerte ihr zu. »Peter liebt mich. Seit ziemlich genau zwei Wochen. Halleluja.«

Wie praktisch und erquickend zugleich, dachte ich, zweifelte jedoch an der Durchführbarkeit des Unternehmens »Klobrille« in meinem eigenen Haushalt. Wahrscheinlich würde ich niemals in den Genuß dieses ultimativen Liebesbeweises kommen, denn selbst wenn ich insistierte und mein Ehemann Benno daraufhin die Toilette auf die vorgeschriebene Art und Weise benutzte, so war von anderer Stelle mit Sabotage zu rechnen. Wofür sonst hat man Kinder?

Bei uns gab es nämlich noch Julian, einen experimentierfreudigen und leicht chaotischen Knaben mit graublauen Augen und einem charmanten Grübchen im Kinn. Letzteres stammte wie fast alle seiner äußeren Merkmale aus der väterlichen Erbmasse; mehr als ein paar unbedeutende Sommersprossen hatten meine Gene offenbar nicht enthalten. Jedenfalls neigte Julian zu der weitverbreiteten Ansicht, ein richtiger Mann pinkele nun mal im Stehen, was er oft und gerne zu demonstrieren suchte, wobei die Trefferquote jedoch zu wünschen übrig ließ.

Ach ja, was ist schon wahre Liebe, dachte ich und reckte mich wohlig. Jede will sie, aber jede will sie anders. Die eine will sie mit Haut und Haaren, die andere will sie mit lockerer Leine, und die dritte jagt einem diffusen Phantom nach. Kein Wunder, daß seit Aristoteles die Menschheit definitionsmäßig nicht auf einen Nenner kommt.

Ich für mein Teil fand, ich war eigentlich ganz gut bedient. Benno verfügte zwar über ein respektables Repertoire an geschlechtsbedingten Macken, welche jedoch allesamt mehr oder weniger alltagstauglich waren und somit nur selten ernsthafte Zerwürfnisse provozierten. Der Mensch gewöhnt sich schließlich an fast alles.

Andrea riß mich aus meinen philosophischen Betrachtungen.

»Sehr facettenreich, das Ganze«, konstatierte sie wahrheitsgemäß, »trotzdem würde ich den Diamantring einer spritzerfreien Toilette vorziehen. Außerdem beeinträchtigt das Wasserlassen im Sitzen beim Mann den körperlichen Genuß an der Sache, sagt Johannes. Frauen haben davon einfach keine Ahnung.«

Lissy richtete sich erschüttert auf. »Aber vom körperlichen Genuß beim Putzen, ja? Freunde, nicht diese Töne!«

Noch bevor ich meinen Senf dazugeben konnte, näherte sich sportlichen Schrittes ein wunderschöner Farbiger dem Whirlpool und glitt schlangengleich ins Becken. Hübsch, was die Natur so hervorzubringen vermag, dachte ich erfreut und fuhr im gleichen Moment zusammen, weil Andrea mir unter der perlenden Wasseroberfläche ihren Ellenbogen in die Rippengegend gebohrt hatte. Der gutgebaute Farbige sah mich an, stutzte für einen Moment, dann überzog ein breites Lächeln sein Gesicht.

»Hi, Corinna«, rief er mit blitzenden Zähnen, »ich hätte dich ohne Klamotten fast nicht erkannt. How ya doin’?«

»Hallo, Ritchie«, entgegnete ich erfreut und zog unwillkürlich den Bauch ein, »mir geht’s richtig gut. And you? Das sind übrigens Lissy und Andrea. Friends of mine.«

Allgemeines tropfnasses Händeschütteln im Whirlpool setzte ein. Wie wunderbar unkonventionell, dachte ich hellauf begeistert, keine Standesunterschiede, keine Probleme mit der Kleiderordnung. Alle Menschen sind gleich, besonders nackt in der Sauna.

»Woher kennst du diesen Traumkerl?« zischte mir Lissy zu.

»Rein dienstlich«, sagte ich beruhigend und fand es ziemlich schade, daß schlagartig keinerlei Geheimnisse mehr existierten, was Ritchies vollendeten Körper betraf. Er war tatsächlich perfekt, vom gekräuselten Scheitel bis hin zu den hellbraunen nackten Fußsohlen. »Ritchie kommt aus New York und arbeitet in dem Fitneßcenter draußen im Gewerbegebiet. Vor zwei Wochen habe ich dort eine Reportage über Bodybuilder fotografiert. Und er ist KEIN Viemuhoko!«

Sichtlich beeindruckt beeilte Andrea sich, etwas Ordnung in ihre klamme Kurzhaarfrisur zu bringen. Ihr Blick enthielt jede Menge giftgelben Neid. »In meinem nächsten Leben werde ich auch freie Mitarbeiterin bei einer Tageszeitung und fotografiere Adonisse. Erlaubt dir Benno das wirklich?«

»Erlaubt dir Johannes vielleicht, daß du in der Sauna Männerhintern bewertest?« konterte ich vorlaut. »Wenn er das wüßte, ließe er sich die Sache mit dem Diamantring garantiert noch einmal durch den Kopf gehen. Und deine Zehnerkarte für den ›Aquapark‹ wärst du schlagartig los. Übrigens habe ich Hunger und Durst. Ihr nicht?«

»Doch. Laßt uns gehen.« Andrea erhob sich.

»Och, jetzt schon?« In aller Diskretion warf Lissy einen wohlwollenden Blick auf Ritchies durchtrainierten Oberkörper, was ich gefühlsmäßig durchaus nachvollziehen konnte, da ihr Gatte Peter zwar auch über einen trapezförmigen Oberkörper verfügte, allerdings mit umgekehrtem Aufbau.

»Jetzt schon«, sagte ich gnadenlos und scheuchte sie Richtung Umkleidekabinen. Wie üblich rochen die kunststoffverkleideten Sperrholzzellen stark nach Käsefüßen und fünf Tage altem Schweiß. Indigniert machte ich mich am Schloß meines Spindes zu schaffen, während Lissy in einem der deckenhohen Wandspiegel ihre Taillengegend beäugte und sich erst in den kleinen Rettungsring unter dem Bauchnabel, dann in den Po kniff.

»Ich bin immer noch zu fett. Da, das schwabbelt doch! Und da hinten auch!« Mit unzufrieden gerunzelter Stirn drehte sie sich einmal um die eigene Achse.

»Das einzige, was hier schwabbelt, sind deine Komplexe«, amüsierte sich Andrea und stopfte ihre nassen Handtücher in eine Tasche.

Ich cremte mir das Gesicht ein und bemühte mich gleichzeitig, den Vorgang des Einatmens auf das notwendige Mindestmaß zu beschränken. Gott, was für ein Gestank! Nebenan wurden gerade unter langanhaltenden Zischlauten zwei Achselhöhlen besprayt. Der Vorgang reicherte die vorherrschende penetrante Schweißnote mit einer klebrigen Wolke »Axt« (Tendenz: Sprühstoß genügt – Frau neben dir fällt erst in Trance und dann über dich her, auch wenn du gerade am Steuer sitzt und sehr unerotisch in der Nase bohrst) an. Sekunden später erfolgte ein überraschender Aromawechsel in die Richtung »Moschusochse« (Tendenz: Sprühstoß genügt – zahme Ehefrauen und brave Mütter mutieren binnen Sekunden zu hemmungslosen Amazonen). Die beiden Duftstoffe vereinigten sich zu einer schwülen Nebelwolke, welche sanft auf meine Kabine niedersank. Eine knappe Minute später registrierte ich betäubt, daß ich sowohl von Trance als auch von jeglichem Amazonentum weit entfernt war, im Gegenteil. Wenn die Wolke sich nicht bald verflüchtigte, würde nur noch eine jener kleidsamen Plastikzwingen, mit denen bei Olympischen Spielen die Synchronschwimmerinnen auf Tauchstation gehen, die unmittelbar bevorstehende Ohnmacht verhindern können.

Lissy war noch immer mit ihrer Figur beschäftigt. »He, ich fragte dich gerade, ob du Erfahrung mit Trennkost hast! Habe ich vorgestern angefangen. Soll ja unglaublich gesund und entschlackend sein. Mehr als ein halbes Pfund ist aber noch nicht runtergegangen.«

Die spinnen, die Frauen, dachte ich stumm und stieg in meine Jeans. Ich für mein Teil trennte Chips von Schokolade und Gummibärchen von Spaghetti, niemals hingegen gutes Essen von gutem Wein.

»Dieser verdammte Wanst! Irgendwie muß er doch wegzukriegen sein«, fuhr sie unzufrieden fort. »Alles habe ich ausprobiert, alles! Sogar dieses tapetenkleisterartige Herbadeath-Zeug, und das literweise! Nichts zu machen. Keine Wespentaille. Die letzten fünf Kilos kleben fest.«

»Jutta Speidel nimmt Slimslow, ist gertenschlank und kriegt trotzdem keine Hauptrollen«, gab ich zu bedenken und betrachtete nachdenklich den unbedeutenden Speckring unter Lissys Bauchnabel. Alles halb so wild. Kein Mann mit einem solch minimalen Fettansatz wäre auf die wahnwitzige Idee gekommen, deswegen wochenlangen Diätterror zu betreiben, ach was. Augenzwinkernd hätte er sein Bierbäuchlein zum Inbegriff deutscher Gemütlichkeit deklariert und sich zur Erhaltung derselben ein Schnitzel kommen lassen.

Frauen sind da ja leider ganz anders. Ich nahm alle meine Phantasie zu Hilfe und malte mir zumindest versuchsweise eine Kneipentheke aus, an welcher eine Frau mit deutlich sichtbaren Gewichtsproblemen lehnte und sich gerade das dritte Pils bestellte. Dieses mit einem genüßlichen »Aaaaah, das zischt« geleert habend, tätschelte sie sich in aller Öffentlichkeit die Fettpolster und ließ dann voll unbekümmerter Selbstgefälligkeit den Spruch »Eine Frau ohne Bauch ist ein Krüppel« vom Stapel! Grotesk! Welch entrüsteter Aufschrei aus Männermund hallte durch das Land!

Lissy verzog den Mund. »Du mit deiner flachen Taille hast gut reden«, sagte sie larmoyant. »Du kannst ja essen, was du willst. Andere Leute nehmen schon vom Zusehen zu. Ich zum Beispiel!«

Apropos Essen, dachte ich. Mein Magen gab vor Hunger nervöse Geräusche in verschiedenen Tonlagen von sich. »Nicht daß ich sadistisch wirken möchte, aber ich habe wahnsinnige Lust auf was Handfestes. Heute mittag gab es bei uns wieder mal nur Reste.«

»Ich bin doch auf Diät«, jammerte Lissy und zerrte eine Haarbürste aus ihrer Tasche. »Hast du denn gar kein Mitgefühl?«

»Wenn der Geist willig ist, bleibt auch das Fleisch willig«, widersprach Andrea. »Es erfordert nur ein bißchen Disziplin!«

Lissy verdrehte die Augen und murmelte düster, nach den erlittenen Saunastrapazen sei ihr Geist in etwa so fleischlüstern wie ein ausgehungerter Piranha in einem vegetarischen Restaurant, woraufhin Andrea ihr beschied, sie habe eine Superfigur und solle sich demzufolge nicht so anstellen.

»Peter findet mich auch ein bißchen zu dick«, sagte Lissy muffig.

»Ach, schieß den Kerl doch in den Wind. Außerdem sieht er selber nicht gerade aus wie eine steirische Eiche.« Entschlossen stöpselte Andrea ihren antiken Reisefön in die Steckdose und stellte ihn an, was einen Höllenradau erzeugte und die Diskussion zügig beendete.

Kurz darauf klemmte ich die heftig widerstrebende Lissy zwischen Andrea und mir ein und geleitete sie zum Auto. Die »Casa Argentina« war unser Ziel, genauer gesagt ein gemütlicher Ecktisch in jenem Etablissement. Ohne jede Hemmung vertilgte ich ein Filetsteak, dazu eine Folienkartoffel und einen buttertriefenden Maiskolben, und fand es mal wieder sehr erfreulich, daß wenigstens ich nicht zum Fettansatz neigte. Von ein paar hochkalorischen Exzessen einmal abgesehen, nach denen meine Jeansknöpfe nur noch in Rückenlage zu schließen gewesen waren, hatte mir bisher noch keine Waage der Welt bittere Reuetränen in die Augen treiben können. Derweil stocherte Lissy abwechselnd in einer Kartoffel und einem Salat herum, zählte alle nur erdenklichen Assoziationen auf, die überwiegend in die Richtung »Kaninchenfutter« gingen, und starrte so lange unter gierigem Inhalieren der Grilldüfte auf mein Fleischstück, bis ich ohne langes Überlegen den Kellner herbeizitierte und ihm auftrug, stehenden Fußes ein kleines Steak zu beschaffen. Medium, wenig Kräuterbutter, gracias.

»Laß dich doch mal gehen«, sagte ich lockend, weil es kaum etwas Anstrengenderes gibt als eine hungerkurende Tischnachbarin, die mit Argusaugen den Weg jedes Bissens vom Teller in deinen Mund verfolgt.

»Man lebt schließlich nur einmal«, fügte Andrea hinzu und erwähnte Miss Piggy, die mit dem Abbrechen von Diäten immerhin Weltruhm erlangt habe.

»Nein.« Lissys Augen sezierten den reichgedeckten Tisch. »Heute falle ich nicht auf euch rein. Heute nicht.«

Tust du doch, dachte ich im stillen. Genau wie bei der letzten und vorletzten ebenso überflüssigen Diät. Der menschliche Körper ist nun mal ein verführbar’ Ding, zum Glück. Wär ja sonst gar nicht auszuhalten, so ein Leben inmitten lauter verbissener Prinzipienreiter!

Nun, der Konflikt endete so, wie er immer endete, genauer gesagt mit dem Erscheinen des Kellners. Er servierte feurige Blicke für die Señoras und ein paar wohlklingende spanische Wortfetzen als Beilage, dann stellte er mit einer hinreißend eleganten Handbewegung das Filetsteak vor Lissy ab.

Andrea und ich betrachteten sehr konzentriert die Stierfelle an den Wänden.

»Ich hasse euch von ganzem Herzen«, teilte Lissy uns mit. Dann griff sie huldvoll zum Besteck.

Same procedure as every week, dachte ich aufatmend, endlich! Beim Bezahlen schwor Lissy, nie, aber auch niemals wieder mit uns gemeinsam ein Restaurant aufzusuchen. Ach ja. Es geht doch nichts über einen gepflegten Frauenabend.

Zu Hause lag Benno längst im Bett. Ich putzte mir schnell die Zähne und robbte mich an seinen Rücken heran. »Benno?«

»Mmmh.« Undefinierbare Grunzlaute.

Also schlief er schon. Oder zumindest so gut wie. Voller Behagen zog ich mir die Decke bis ans Kinn und schloß die Augen, als plötzlich das Licht anging und Bennos Gesicht über mir auftauchte wie der Leibhaftige persönlich. Seine dunkelblonden Locken standen wirr vom Haupte ab. Er strahlte. »Reingelegt! Ich schlaf noch gar nicht!«

Zu Tode erschrocken richtete ich mich auf. In diesem Moment erinnerte Benno mich stark an seinen eigenen Sohn, der derlei kindlichen Zubettgehspielen voller Begeisterung und fast täglich nachging, wobei es ihm jedoch nur selten gelang, mich zu täuschen.

Ein Kuß befeuchtete meine Nasenspitze, der nächste meine Oberlippe. »Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?«

Die Frage galt meiner obligatorischen Tagesdosis an Hormonen. Ich nickte gehorsam. Eher hätte ich das Zähneputzen verschwitzt als die Einnahme jener kleinen weißen Pille.

»Sehr gut. Herzblatt, nimm dir für Sonntag abend nichts vor.«

Ich gähnte. »Warum nicht?«

Sein Zeigefinger zog geheimnisvolle Kreise auf meinem Kinn. »Sag ich nicht. Ist eine Überraschung!«

Na toll. Bennos Art von Überraschungen kannte ich zu Genüge. Das letzte Mal hatte er in einem unvorhersehbaren Anflug von Wahnsinn einen dieser unerhört praktischen Sitzrasenmäher gekauft, die aufgrund ihrer Mähleistung bevorzugt auf Golfplätzen und in Stadtparks eingesetzt werden, und war, den wild begeisterten Julian neben sich, mit dem Vehikel laut knatternd von der Haustür mitten durch das Wohnzimmer bis in den Garten gerollt. Ein Bombenerfolg, klar, schon allein wegen der Tatsache, daß die grasbewachsene Parzelle hinter unserem Haus exakt fünf Meter in der Breite und zwölf in der Länge mißt und aufgrund dessen mit Fug und Recht das Attribut »weitläufig« für sich in Anspruch nehmen darf. Übrigens hatte Benno damals den Erwerb des Aufsitzrasenmähers damit begründet, daß selbiger gebraucht und außerordentlich preisgünstig gewesen war. Ein veritables Schnäppchen also, das er sich unter keinen Umständen habe entgehen lassen können.

Und jetzt eine neue Überraschung? Schon wieder?!

»Bis Sonntag halte ich es aber nicht aus. Erzähl mal ein bißchen«, sagte ich argwöhnisch und überlegte fieberhaft, worum es sich handeln mochte. Ein ausrangierter Zirkuswagen zum Sonderpreis? Ein Käfig voll niedlicher Rennmäuse, der umständehalber günstig abgegeben wurde? Eine preiswerte Partie giftgrüner Jogginganzüge aus einem Versicherungsschaden?

»Es wird nichts verraten! Die Überraschung grenzt ans Epochale!« Benno gluckste vor Wonne und Vorfreude und fühlte mit einer Hand vorsichtig, ob meine Oberschenkel noch an der gleichen Stelle in den Rücken übergingen wie gestern. Da ein Aufschrei des Entsetzens ausblieb, schien alles in bester, gewohnter Ordnung zu sein.

»Na, dann schlaf mal schön, Rumpelstilzchen«, sagte ich und gähnte noch mal. Die tiefe Müdigkeit, die sich nach jedem Saunabesuch bleischwer auf mich legte, drosselte meine bangevolle Neugierde auf ein erträgliches Maß. Allerdings hatte ich den vagen Eindruck, daß sich trotz der fortgeschrittenen Stunde Bennos ausgeprägter Spieltrieb bemerkbar machte, der ihm zwar die nötige Bettschwere verlieh, ihn jedoch fatalerweise daran hinderte, stillzuliegen und auf den Schlaf zu warten.

Der Eindruck täuschte nicht. Sekunden später lüftete er meine Decke und schlängelte sich ganz zwanglos darunter.

»Nach der Sauna hast du immer eine Haut wie Milch und Honig«, flüsterte er schwärmerisch in meine rechte Armbeuge hinein, »auch wenn sie heute ein bißchen nach Knoblauch riecht. Die reinste Pfirsichhaut.«

Ich gestattete mir gerade den albernen Gedanken, Pfirsichhaut sei einer Orangenhaut unbedingt vorzuziehen, als Benno wieder einmal seine Bette-Davis-Nummer abzog und mit der hochintelligenten Aufforderung »Schnallen Sie sich an, es wird eine stürmische Nacht« zum Generalangriff überging, was jeglichen weiteren Denkvorgang meinerseits im Keime erstickte. Irgendwann später drangen herzhafte Gähnlaute an mein müdes Ohr.

»Benno?« murmelte ich sanft und war schon kurz vorm Einnicken.

»Ja?«

Ich holte tief Luft. »Meinst du, du könntest ab jetzt im Sitzen pinkeln?«

*

Als ich anderntags das Gebäude betrat, in dem sich die Redaktion der »Mühlstettener Rundschau« befand, schlug mir bereits im Flur eine Welle der Hektik entgegen. Jungredakteur Leopold Adam, ein bildschöner dunkeläugiger Dressmantyp, hastete mit wehendem Haar den Korridor entlang Richtung Fotolabor. Er schenkte sich jede Form der Begrüßung, was an sich schon ein Alarmzeichen war, und schrie statt dessen nur schrill: »Mach schnell, Corinna, Lorenzen scharrt schon mit den Hufen!«

Also Gewitterstimmung. Gerhard Lorenzen war unser Redaktionsleiter, ein breitschultriger, schlanker Mittvierziger, der seine Redakteure und freien Mitarbeiter mit der Liebenswürdigkeit eines ungezähmten Gorillas durch das lokale Tagesgeschehen dirigierte. Als Taktstock diente ihm seine Unberechenbarkeit, als Partitur sein Wahlspruch »First class or no class«, und das alles irgendwo zwischen allegro und prestissimo. Wenn er nicht bekam, was er wollte, so neigte er zu beängstigend cholerischen Anfällen. Die Redaktion versah er gerne mit allerlei unangenehmen Vergleichen, von denen »Irrenhaus« noch als einer der milderen gelten mußte; ganz im stillen jedoch hegte ich die Vermutung, daß er ohne uns und seine Zeitung eingegangen wäre wie eine Primel.

Lorenzen nahm zu Recht für sich in Anspruch, ein sprachlicher Purist zu sein, und sein übliches Outfit – Jeans und Dreitagebart – neben dem beständigen Durcheinander auf seinem Schreibtisch täuschte nur unbedarfte Neulinge über die Tatsache hinweg, daß er über eine gerade in politischer Hinsicht gnadenlos spitze und somit im ganzen Landkreis gefürchtete Feder verfügte. Übrigens hatte Lorenzen auch seine netten Seiten und Momente, so einmal am Tag, und das wiederum relativ verläßlich in jenem luftleeren Augenblick, der auf einen seiner Tollwutanfälle zu folgen pflegte. An dieses unberechenbare und in psychischer Hinsicht recht anstrengende Auf und Ab hatten wir uns im Laufe der Jahre ebenso gewöhnt wie an die bejammernswerte Tatsache, daß den Topfblumen auf der Redaktionsfensterbank nur ein kurzes irdisches Dasein beschieden war, da man sie konsequent und ausschließlich mit Kaffe-, Milch- und Cognacresten goß.

Kurz gesagt: Mein Chef war Dynamit, aber ein Schatz.

Ich schulterte meine Kameratasche und zwängte mich in Erwartung einer kollektiven Stimmungsapokalypse ins Büro. Das desolate Stilleben, das sich mir darbot, bestätigte meine Vermutung. Außer dem dezenten Klappern dreier Tastaturen war nichts zu hören. Üblicherweise wurde in diesem Büro pausenlos geredet, gequasselt, gelacht, telefoniert und das Tagwerk auf eher legere Art und Weise hinter sich gebracht. Dem fusselhaarigen Achim Fritsch beispielsweise kamen grundsätzlich die besten Gedanken, wenn er beide Füße auf dem Nachbarschreibtisch ablegen und Zwiesprache mit einer dampfenden Tasse Kaffee halten konnte; Redakteur Huber, der ein hinreißend fliehendes Kinn sein eigen nannte, ging meistens laut brabbelnd am Fenster auf und ab und raubte mir damit den letzten Nerv, und die elegante Heike-Maria Müller-Klinsmann pflegte so lange stumpfsinnig auf ihre Tastatur zu stieren, bis sie einen zündenden Einstieg gefunden hatte, woraufhin sie wie entfesselt losschrieb und dabei über die cäsareske Fähigkeit verfügte, gleichzeitig noch in vollständigen Sätzen telefonieren und sich die Fingernägel feilen zu können.

Heute hingegen war alles anders. Schweigen im Walde und mürrische Gesichter.

»Was’n los hier?« sagte ich erstaunt und ließ mich auf einem freien Drehstuhl nieder.

Achim sah hoch. Seine rötlichen Augenbrauen hingen auf Halbmast. So knapp wie vielsagend deutete er mit dem Daumen auf das abgetrennte kleine Büro mit den Glasscheiben, in dem der Chef residierte. »Lorenzen ist mal wieder total durchgeknallt. Statt Mittwoch will er die Dokumentation über die 600-Jahr-Feier der Stadt schon morgen ins Blatt heben. Und zustätzlich hat er noch eine seiner dusseligen Umfragen angeordnet, um die Ausgabe ein bißchen aufzupeppen. Meine Frau wird mich kommentarlos um die Ecke bringen, wenn ich schon wieder so spät nach Hause komme. Scheißjob!«

Hinter der Glasscheibe bewegte sich etwas, Lorenzen hatte mich offenkundig gesichtet. Sekunden später fegte er auch schon um die Ecke und brüllte mit tragender Stimme »Ruhe!!!«, obgleich kein Mensch etwas gesagt hatte. Unglücklicherweise verkannte Achims Telefon den Ernst der Lage und begann dreist zu klingeln. Gänzlich unaufgefordert schrillte nun auch noch Heike-Marias Apparat.

»Geh mal einer ran«, sagte Lorenzen ärgerlich, »das Scheppern hält doch kein Mensch aus.«

Achim erhob sich folgsam und nahm nacheinander beide Hörer ab. »Mühlstettener Rundschau, einen Moment bitte«, sagte er charmant und ließ sogleich die Hörer zurück auf die entsprechenden Gabeln fallen. Dann sah er seinen Chef erwartungsvoll an.

Der Olymp begann zu beben, Lorenzens Augen versprühten Blitze, Göttervater Zeus war mal wieder kurz davor, in Rage zu geraten. »Mensch, Herr Fritsch, sind Sie eigentlich wahnsinnig? Wenn das der Verleger war?!«

»Der ruft wieder an. Können Sie Gift drauf nehmen.«

Totenstille. Ich hielt vor lauter Spannung die Luft an. Eigentlich gab es jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Achim sprang freiwillig aus dem Fenster, oder Lorenzen war ihm dabei behilflich. Einem nervösen Stier fuchtelt man nicht ungestraft mit einem roten Tuch vor der Nase herum.

Lorenzen räusperte sich in einer seiner tieferen Tonlagen, die ich augenblicklich als bedrohlich identifizierte.

Jetzt!, dachte ich ängstlich.

Jeglicher Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Trotz atmete er nur tief durch und warf Achim einen vernichtenden Blick zu. »Das war kein Heldenstück, Octavio«, sagte er finster. »Irgendwann werde ich diesen Saustall ausmisten, daß es nur so kracht. Bedauerlicherweise fehlt mir heute die Zeit dazu.«

Also Entwarnung, Gott sei Dank. Ich entließ die Luft aus meinem Brustkorb.

»Frau Beifuß!«

»Ja, Chef«, sagte ich erschrocken.

»In genau zwei Stunden brauche ich die Repros für die Dokumentation.«

»Welche?«

»Alle!!!« dröhnte Lorenzen. »Und damit meine ich ausnahmslos alle. Wie Sie das machen, ist Ihr Bier. Um eins will ich die Porträts für die Umfrage, die üblichen Pappnasen, Sie wissen schon. Sprechen Sie sich mit diesem rothaarigen Halbaffen hier ab. Alles klar?«

»Alles klar, Chef.«

Lorenzen galoppierte zurück in sein gläsernes Séparée, während ich betreten auf meine Knie blickte. Der Auftrag mit den Repros war an sich eine Fleißaufgabe für mehrere arbeitslose Archivare. Und dann zusätzlich noch eine Umfrage?

Übergeschnappt, dachte ich. Typischer Fall von manisch-depressiver Nachrichtensucht. War aber eigentlich kein Wunder: Anfang Juli forderte die Sauregurkenzeit immer ihren ersten Tribut.

»Auf, Matrosen, die Anker gelichtet«, kommandierte Heike-Maria Müller-Klinsmann enschlossen und trug Ernst Huber auf, ein Kännchen Kaffee zu kochen. »Corinna, ich brauche die Repros zweispaltig mal zwölf. Geht das?«

Es überlief mich kalt. Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich die gewünschten antiken Stadtbilder noch nicht einmal herausgesucht, geschweige denn bearbeitet. Allerdings hielt ich es strategisch gesehen für falsch, die sich langsam ausbreitende Katastrophenstimmung durch derlei Mitteilungen noch anzuheizen, weswegen ich ihre drängende Frage mit einem vagen »Kann schon sein« beantwortete.

Schande über dein Haupt, schalt ich mich. Elende Schlamperei, Corinna, immer alles auf den letzten Drücker! Achim hingegen war es zwischenzeitlich gelungen, seine Fassung wiederzugewinnen. Er deponierte beide Füße ganz gemütlich auf meinem Schoß. Zwischen Sockenrand und Jeans kräuselten sich entzückende rote Härchen. »Bis jetzt haben wir uns doch noch immer durchgewurschtelt. Also keine Panik, wenn ich bitten darf. Übrigens, wie nennt man das, wenn zwanzig Frauen in einer Garage eingeschlossen sind?«

»Komm mir jetzt bloß nicht mit schwachsinnigen Chauvi-Witzen!« schrie Heike-Maria von der Seite. »Der Journalist schwätzt nicht, er schreibt!« Kurzerhand warf sie ihm den blauen Aktendeckel an den Kopf, in dem sie Themenvorschläge und Notizen sammelte. Mitten im Sinkflug ergoß sich eine Vielzahl von losen Zetteln auf Achims Haupt, da er zwar instinktiv in Deckung gegangen war, bedauerlicherweise aber zur falschen Seite.

Unter gepreßten Seufzlauten quälte er seinen Körper Richtung Boden, hob in Zeitlupe eins der Papierchen auf und reichte es Heike-Maria ganz artig zurück. »Wie sagte Bismarck schon so treffend? Der Zeitungsschreiber ist ein Mensch, der seinen Beruf verfehlt hat. Heike-Maria, ich empfehle dir wärmstens eine Umschulung zur Diskuswerferin. Was mich betrifft, so werde ich in meinem nächsten Leben Postbote. Ganz definitiv.«

»Mach mir erst mal die Namensliste fertig«, sagte ich mit einem ziemlich besorgten Blick auf die Uhr. Dieser Kindskopf! Achim Fritsch war als Kollege ein liebenswertes Prachtstück, aber heute paßten mir seine Kinkerlitzchen absolut nicht ins Konzept.

Genausowenig wie diese Umfrage übrigens. Derartige Kurzinterviews waren freitags etwa ähnlich begehrt wie eine Malariainfektion und rangierten auf der redaktionsinternen Horrorskala auf gleicher Höhe mit unvorhergesehenen Todesfällen in Prominentenkreisen. Ich kenne einen Frankfurter Kulturredakteur, der es Václav Neumann noch immer übelnimmt, daß dieser sein Ableben ohne vorherige Ankündigung auf ein Wochenende legte und ihm – des Nachrufs wegen – mit diesem egoistischen Abgang einen freien Sonntag ruinierte. Wer sich bei uns beliebt machen wollte, der verschied gefälligst wochentags und mit Voranmeldung, bitte schön!

»Sag mal, was ist überhaupt die Fragestellung dieser dämlichen Umfrage?« erkundigte ich mich vorsichtig, da mir Lorenzens bizarre Phantasie in jenen Dingen hinlänglich bekannt war.

Achim grinste. »Ob du’s glaubst oder nicht: ›Wie gehen Sie mit plötzlichem Streß um?‹«

»Ehrlich?!«

»Quatsch. Das Thema heißt ganz banal: ›Wo verbringen Sie Ihren diesjährigen Sommerurlaub?‹ Und jetzt wühl mal im Archiv, Corinna, ich brauche ein Porträt vom Stadtdirektor, vom Bürgermeister und vom Pastor. Dazu mindestens vier Stimmen aus dem Volk.«

»Ich muß aber um halb eins nach Hause«, sagte ich leicht besorgt, weil sich Achims Programm richtiggehend nach ernsthafter Arbeit anhörte, »dann kommt mein Sohn aus der Schule. Also trödel nicht herum, ja?«

Lustlos schlurfte ich zur Tür und kollidierte dabei fast mit der Redaktionssekretärin Christine Wagner, die gerade die Post vom Pförtner hochgeholt hatte und mir einen Briefumschlag hinhielt. »Da, für dich. Ich glaube, dein Leser hat mal wieder geschrieben.«

Beglückt riß ich ihr den Umschlag aus der Hand und an Ort und Stelle auf. Ich liebte Leserbriefe, sie waren meist voll netter, aufrichtiger Komplimente und insofern Balsam für meine Seele, als Lorenzen nur dann ein Lob aussprach, wenn es sich beim besten Willen nicht vermeiden ließ.

Aha. Leicht verzitterte Aufschwünge, dünne Buchstaben, Seniorenpost also. Thema der Zuschrift: Meine Fotos von der Hundeausstellung in der Stadthalle. Geniale Bilder, übrigens, ich hatte mich selbst übertroffen. Mal nicht nur die übliche Darstellung von gerührten Frauchen mit medaillentragenden toupierten Vierbeinern, sondern auch ein paar Szenen abseits vom Wettbewerbstrubel. Das originellste Foto hatte dreispaltig und sehr dekorativ Achims Bericht ergänzt und einen adligen Bedlingtonterrier gezeigt, der auf drei Beinen neben einer ebenso adligen Maseratifelge balancierte und selbige mit Siegerpipi benetzte.

»Lies vor«, verlangte Achim sardonisch grinsend. Er litt noch immer unter einem Schmähbrief voller Häme, in dem ihn vergangene Woche ein anonymer Verfasser als »analphabetischen Schmock« bezeichnet hatte, und lauerte nun mit stark angeschlagenem Selbstbewußtsein darauf, daß die Leserschaft auch seinen Kollegen mal richtig eins auswischte.

»Okay. Sehr geehrte Frau Beifuß, seit dreißig Jahren bin ich nun schon Abonnent der ›Mühlstettener Rundschau‹. Ihre Fotos von der Hundeausstellung überraschen mich.«

»Die waren wirklich nicht übel«, unterbrach mich Heike-Maria beifällig.

»Weiß ich.« Angestrengt versuchte ich, die Schriftzüge zu entziffern. »Und weiter: Sie können sich –« In diesem Moment erfaßten meine Augen den Rest des Satzes. Ich brach ab.

»Weiterlesen!« brüllte Achim mit seibernden Lefzen.

»Ach, nee. Ist reichlich verworren, dieser Brief.«

»Weiterlesen!!!«

»Nervensäge!« fauchte ich ziemlich vergrätzt und räusperte mich. »Also, da steht: ›Sie können sich schämen für solch widerwärtige Zumutung. Vielleicht können Sie vermögend werden mit diesem Stil à la ›Spiegel‹, vornehm nie!‹ So, bist du jetzt zufrieden?!«

Beleidigt ließ ich die Karte sinken und beschäftigte mich angelegentlich mit meiner Gürtelschnalle. Meine Damen und Herren Kollegen johlten vielstimmig und schadenfroh. Ich zog es vor, eilig die Redaktion zu verlassen.

Sagte ich es schon? Ich liebe Leserbriefe.

Drüben im Archiv machte ich mich ausgesprochen widerstrebend an die Arbeit. Einerseits gehörte das Wühlen in unserer umfangreichen Hängeregistratur genauso zu meinem Job wie das Anrühren von übelriechenden Chemikalien oder die tägliche Hektik kurz vor Redaktionsschluß. Andererseits verabscheute ich jene unkreative Bildersuche von ganzem Herzen. Es dauerte auch keine fünfzehn Minuten, bis ich Achims vorhin geäußertem Wunsch nach einem Berufswechsel nicht nur tiefstes Verständnis entgegenbringen konnte, sondern ihm zum Zwecke der Umschulung bereitwilligst in die Hauptpost gefolgt wäre. Trotzdem untersagte ich mir jede weitergehende Unlustregung und zwang mich zur Konzentration.

Dienst ist Dienst, Corinna! Denk doch mal an deine Hausfrauenära zurück, du weißt schon. War’s damals nicht schlimmer und langweiliger, hm? Schon vergessen?!

Nein. Nicht doch. Mit einer leichten Gänsehaut auf dem Rücken wehrte ich eine Vielzahl unliebsamer Erinnerungen an die Jahre nach Julians Geburt ab, in denen ich ein ausschließliches Dasein als Mutter, Ehefrau und Karnickelstallhüterin geführt hatte. Immer nur stupides Waschen, Bügeln und Saubermachen. Und dieses schauderhafte Gefühl, als Mensch nur noch am Reinheitsgrad meiner Fenster gemessen zu werden!

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das Problem lag nicht in der Mutterschaft. Es lag im nurhausfraulichen Alltag und dessen Begleiterscheinungen. Hoffnung schöpfte ich erst dann wieder, als Julian in den Kindergarten aufgenommen werden sollte. Ich fieberte dem Ereignis in dem unbestimmten Glauben entgegen, meinen Wirkungsradius nun gewaltig erweitern zu können. Leider führte das schöpferische Basteln von Weihnachtsmännern aus zerdrückten Klorollen und das gesellige Backen von mißgebildeten Osterhasen nicht zu der gewünschten geistigen Auslastung.

Schließlich die Einschulung. Ein neuer zarter Hoffnungsschimmer keimte auf. Unglückseligerweise war auch diesem kein gesundes Gedeihen beschieden. Nach drei Monaten des Hegens und Pflegens fiel er der Erkenntnis zum Opfer, daß sogar die anspruchsvolle Tätigkeit, mit einem ungelenk krakelnden Siebenjährigen das deutsche Abc zu üben, mich nicht mit dem Hausfrauenleben zu versöhnen imstande war.

Um die Wahrheit zu sagen, langweilte ich mich irgendwann zu Tode. Grenzenlos. Alles ödete mich an.

Mag sein, daß Tausende anderer Frauen glücklich und zufrieden als Hausfrau und Mutter leben können. Mag sein, daß Tausende von Frauen ganzen Herzens ihre besten Jahre damit verbringen, Mann und Kindern zu dienen, Haus und Garten zu versorgen und sich darüber zu vergessen. Mag vielleicht sogar sein, daß Tausende von Frauen es widerspruchslos hinnehmen, wenn sonntags der abgearbeitete Göttergatte träge auf dem Sofa herumlümmelt, sich dem wohlverdienten Genuß diverser Sportsendungen hingibt und seiner Frau wohlgefällig dabei zusieht, wie sie kocht, die Kinder füttert, Wäsche faltet, für wohlschmeckende Torten sorgt, Babyflaschen ausspült, Hausaufgaben kontrolliert und so ganz und gar darin aufgeht, es ihren Lieben recht zu machen. Und das, obwohl sie während der Woche nebenbei bei Aldi Dosen eingeräumt oder bei Hertie Damenoberbekleidung verkauft hat.

Tausende von Frauen können das. Ich konnte das nicht.

Benno fing an, mich zickig zu finden.

Ich selber fand mich unausstehlich. Und ihn dazu.

Und dann kam der Tag X. An diesem Montag hatte ich endlich das getan, was ich wahrscheinlich schon Jahre zuvor hätte tun sollen: Ich hatte mir einen Job gesucht. In meinem erlernten Beruf.

Arbeit, eigenes Geld und Anerkennung. Nicht mehr und nicht weniger.

Dem Job war es gelungen, meine sich fußlahm dahinschleppende Ehefrau-und-Mutter-Existenz um den entscheidenden, prickelnden Kick zu bereichern. Mir ging es gut. Richtig gut. Bei Licht besehen war sogar die heutige mühselige Suche nach Archivbildern deutlich besser, als monoton zu Hause zu hocken und Julians Hosen zu flicken. Eigentlich war ja ALLES besser als das. Frisch motiviert klappte ich die nächste Fotomappe auf. Als nach einer halbstündigen Wühlaktion nur noch das Foto vom Nachkriegsbürgermeister fehlte, klingelte das Telefon. Eine Männerstimme bellte mich an: »Corinna, schnapp dir deine Kamera, wir müssen los.«

Minuten später traf ich Achim unten auf dem Parkplatz. »Was ist passiert? Banküberfall? Geiselnahme?«

»Quatsch. Die Waschstraße neben der Tankstelle brennt«, sagte er nervös und zwängte sich hinter den Lenker seines weißen Kombis.

Wider Willen brach ich in lautes Gelächter aus. »Das ist doch völlig paradox. Wie kann eine Waschstraße brennen?«

»Erkläre ich dir später am Objekt. Es handelt sich hier um eine ziemlich technische Angelegenheit, weißt du. Danach können wir auch gleich die Umfrage erledigen.«

Mit nagelndem Dieselmotor jagte er den Kombi in die Stadt. An der Tankstelle war nichts zu sehen. Kein Rauch, keine Flammen, keine Feuerwehr. Achim stürmte das Büro, ich hetzte im Eilschritt und mit gezückter Kamera hinterher. »Schnell, wo ist das Feuer?«

Der Tankwart im knallroten Overall musterte ihn sehr nachdenklich. »Ei, was denn für e Feuä?«

»Das Feuer in der Waschstraße. Man hat uns angerufen.«

Bedächtiges, abschätzendes Kopfschütteln. Er starrte interessiert auf meine Kamera. »Sinn Sie von dä Zeidung?«

»Sind wir«, bestätigte Achim voller Ungeduld und schnüffelte, ob es irgendwo nach Rauch roch. »Wo ist denn jetzt dieses Feuer, bitte schön?«

»Ei, des hab isch lengsd gelöscht.«

Achim sträubten sich sämtliche rostroten Nackenhaare. »Guter Mann, nun lassen Sie sich doch nicht die Würmer aus der Nase ziehen! Was genau hat gebrannt?«

»Ei, de Waschstraß dohinne.«

Eine Ahnung sagte mir, daß Achim in allernächster Zukunft platzen würde. Er verdrehte die Augen, dann packte er mein Handgelenk und zerrte mich grimassierend aus dem Kassenhäuschen heraus. »Komm mit, wir erledigen das jetzt selber. Bis diese Schlaftablette den Mund aufkriegt, habe ich längst den ganzen Bericht fertig.«

Im Schweinsgalopp erreichten wir die Waschanlage, in der noch das Wasser von den Wänden tropfte; ganz hinten ein paar runde, durchnäßte Riesenbürsten, deren rotweiße Plastikborsten kraftlos herabhingen. Binnen Sekunden waren Schuhe und Hosenbeine aufgeweicht.

»Hier ist nichts«, sagte Achim, konsterniert die Bürsten untersuchend, »kannst du mir vielleicht sagen, was der ganze Quatsch soll?!«

Das konnte ich leider nicht.

»Übrigens«, erinnerte ich ihn, »du wolltest mir noch am Objekt erklären, wie eine Waschstraße brennen kann.«

Er rettete sich in eine verworrene und ziemlich unverständliche Satzkonstruktion, aus der einwandfrei hervorging, daß Achim von dem Funktionsprinzip einer Waschanlage nicht die geringste Ahnung hatte. Glücklicherweise wurde er von dem temperamentvollen Tankwart unterbrochen, der sich mittlerweile von hinten angeschlichen hatte. Passenderweise standen die Hosenbeine des Overalls auf Hochwasser. »Ei, was suche Sie denn noch?«

»Das Feuer!!!« schrie Achim wutentbrannt und wischte sich ein paar Tropfen Unterbodenschutz aus dem Gesicht. Vielleicht war es auch ein Rest Flüssigwachs, so genau ließ sich das nicht sagen.

»Des hat gornett werklisch gebrannt, Sie«, sagte der Tankwart schleppend, »des wor nur e klaane Kurzschluß. Abä gequalmt hats, un do hab isch de Feuäwäär gerufe. Dä Scheff secht immä, isch soll uff Nummä Sischä gehe.«

Seufzend klappte ich mein Blitzlicht weg. Es war offensichtlich, daß hier für uns nichts zu holen war. Die Story war ein Flop. Ein totgeborenes Kind.

»Einpacken«, sagte Achim schlicht. »Abmarsch.«

In diesem Augenblick drang lautes Hupen an mein erschrockenes Ohr. Tumult an der Zapfsäule! Schrilles, hysterisches Geschrei! Kurz darauf startete mit quietschenden Reifen und aufheulendem Motor ein silbergrauer Polo, dessen rechter Kotflügel unschön eingebeult war. Mehrere Fußgänger sprangen unter wüstem Geschimpfe zur Seite.

Urplötzlich erwachte der Tankwart aus seiner Lethargie. In einem Tempo, das ich ihm niemals zugetraut hätte, sprintete er hakenschlagend Richtung Kassenhäuschen. »Das Geld! Das Geld!« brüllte er ohne Unterlaß. »Haltet den Dieb! Polizei!!!«

Ganz am Rande und eher im Unterbewußtsein registrierte ich, daß er vor lauter Schreck auf hochdeutsch gebrüllt hatte. Dann riß ich ziemlich geistesgegenwärtig meine Kamera hoch und fotografierte den Polo, der gerade über den Fußweg radierte und dann unter völliger Mißachtung eines Stoppschildes in die Hauptstraße einbog. Zwei Sekunden später war er von der Bildfläche verschwunden.

Wahnsinn, dachte ich beeindruckt. Wo bleibt Hauptkommissar Schimanski?!

»Polizei!!!« Unter wildem Lamentieren rannte der Tankwart in sein Kassenhäuschen und reckte verstört beide Arme gen Himmel. Achim hing längst am Telefon und verständigte die örtliche Polizeidienststelle. Mit einem geklauten Schokoriegel aus dem Süßwarenregal – der dreiste Mundraub war dem Tankwart übrigens entgangen – lehnte er sich schließlich gegen die Diesel-Zapfsäule und wartete zufrieden kauend ab. Etwas Besseres als dieser Fehlalarm mit der Waschstraße hatte ihm wahrscheinlich gar nicht passieren können: Ohne mühselige Themensuche, ohne aufwendige Recherche stand er quasi mitten im Aufmacher für die morgige Titelseite. Wenn das kein Grund zur Freude war –

Kurz darauf tauchten zwei dynamische Wachtmeister mit gezücktem Notizblock auf und nahmen den bedauernswerten Tankwart in die Mangel. Da dieser jedoch unter Schock stand und deshalb nur konfuses Zeug von sich gab, erwies sich die behördliche Zeugenbefragung als wenig ergiebig.

»Haben Sie sich wenigstens das Kennzeichen merken können?« erkundigte sich der jüngere der beiden Polizeibeamten halbwegs freundlich.

»Ei, des ging doch viel zu schnell«, heulte der Tankwart und raufte sich die Haare. »Des Geld is weg, un dä Scheff werd misch rausschmeise. Un isch hab Frau un zwaa Kinnä!«

»Herrgott, nun reißen Sie sich doch zusammen«, herrschte ihn der dienstältere der beiden Ordnungshüter an. »Sie führen sich ja auf wie ein Waschweib!«

Ich tippte ihm auf die Schulter.

Er fuhr herum. »Was wollen Sie? Haben Sie sachdienliche Hinweise?«

»Mein Name ist Beifuß«, sagte ich verbindlich, obwohl ich diesem rüpelhaften Freund und Helfer am liebsten in den fülligen Polizistenhintern getreten hätte. »Mühlstettener Rundschau.«

»Ach, die Presse ist auch schon da«, höhnte der Beamte, »das ging aber schnell heute. Aber es gibt hier nichts zu sehen. Verschwinden Sie schon, Sie behindern eine Amtshandlung!«

»Aber ich habe –«

»Lassen Sie mich mit Ihrer Sensationsgier zufrieden«, schmähte der Wachtmeister. »Ich bin im Dienst!«

Augenblicklich riß mir der Geduldsfaden. »In Ordnung«, sagte ich süffisant und ohne lange nachzudenken. »Vielleicht interessiert sich ja Ihr Vorgesetzter für die Fotos, die ich von dem Täterfahrzeug gemacht habe. Und möglicherweise kann er sogar etwas mit dem Kennzeichen anfangen. Komm, Achim, wir hauen ab.«

Na warte, Schwarte, dachte ich. Sieh zu, wo du deine sachdienlichen Hinweise herkriegst. Ich winkte dem Polizisten provozierend neckisch zu und schlenderte in aller Gemütsruhe zu Achims weißem Kombi. Hinter mir brach eine erregte Diskussion zwischen den beiden Beamten aus. Kurz darauf hörte ich Schritte hinter mir.

»Warten Sie!«

»Tut mir leid«, bemerkte ich mit aller Gehässigkeit, zu der ich fähig war, »ich bin im Dienst und habe es eilig. Wenn ich den Film entwickelt habe, melde ich mich vielleicht, andernfalls können Sie sich das Foto des Täterfahrzeugs morgen früh aus der Zeitung ausschneiden. Wiedersehen, die Herren!«

Achim gab schweigend Gas. An der nächsten Kreuzung sah er mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Bewunderung an. »Das war ganz schön riskant, Frau Kollegin. Kann sein, daß du gewaltigen Ärger kriegst.«

Und wenn schon, dachte ich zufrieden. Hauptsache, diesem Ekelpaket war das Maul gestopft worden. So sprang man nicht mit harmlosen Bürgern und Bürgerinnen um. So nicht!

Allmählich begann es zu pressieren. In aller Eile feierten wir in der Geschäftsstraße unsere Urlaubsumfrage ab. Frage, Antwort, Foto. Und gleich der nächste, bitte schön, die Damen und Herren Journalisten stehen unter jenem berühmten Zugzwang, den man den »Druck der Aktualität« nennt! Zwei Männer Anfang Dreißig hatten einen Mallorca-Trip gebucht, um dort im Ballermann 6 »die Sau rauszulassen«, eine junge Mutter mit Kleinkind wollte am Fuße der Externsteine meditieren, und eine Mittfünfzigerin mit strenger Hornbrille und Farbklecksen an den Fingern frisierte sich erst umständlich den Dutt, bevor sie uns mitteilte, wegen der vielen ausländischen Bakterien kein fremdes Essen zu vertragen. Infolgedessen gedachte sie, mit ihrer Staffelei auf dem heimischen Balkon zu übersommern.

Fertig. Ab ins Auto. Ich spulte den Film zurück, dachte an den Tankstellenräuber und ließ mich nebenbei von Achim darüber aufklären, daß der Bürgermeister ein Ferienhaus in Dänemark gemietet hatte, was für mich nur von begrenztem Interesse war. Hoffentlich hatte Julian heute morgen seinen Schlüssel nicht wieder auf dem Küchentisch liegengelassen.

»Du hörst mir ja gar nicht zu«, sagte Achim vorwurfsvoll.

»Doch«, log ich. »Du sagtest gerade, daß der Stadtdirektor nach Dänemark fährt.«