Ehrgeiz - Andrea Stift-Laube - E-Book

Ehrgeiz E-Book

Andrea Stift-Laube

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Beschreibung

Sei gefälligst besser!Die Erzählung vom gesellschaftlichen Aufstieg durch Leistung und Selbstoptimierung erweist sich immer mehr als Mythos. Wie gehen wir mit unserem Ehrgeiz in dieser krisenhaften Gegenwart um?Jede:r hat einen Ehrgeiz. Aber wenn uns in der Schule, in den Medien und von der Politik erzählt wird, dass wir etwas erreichen müssen, dass wir uns in Rivalität zueinander definieren und in steter Arbeit an uns selbst verbessern sollen, dann wird Andrea Stift-Laube misstrauisch. Sie beleuchtet den Ehrgeiz als konstruktive und auch als destruktive Kraft, zeigt anhand von Themen wie Bildung, Nachhaltigkeit und Erbschaften, wie unser Ehrgeiz manipuliert wird und plädiert dafür, besonders den Ehrgeiz zu pflegen, die schönen Dinge im Leben nicht zu vergessen.

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Seitenzahl: 85

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ehrgeiz

Andrea Stift-Laube

Ehrgeiz

Andrea Stift-Laube

Inhalt

Einleitung

Ich und mein Ehrgeiz

Gesundheit, Schlaf, Gewicht: Das Smartphone und die Selbstoptimierung

Vom Ehrgeiz, dieses Buch zu schreiben

Mein Kind wird das tollste sein: Der elterliche Ehrgeiz

Der Ehrgeiz, mehr zu haben

Bratkartoffel ohne Kartoffel: Vom Ehrgeiz, weniger zu haben

Vom Ehrgeiz, schreibend zu leben

Ein bisschen was zurückgeben: Vom Ehrgeiz der Superreichen

Kleiner Exkurs 1

Ehrgeiz als destruktive Kraft

Großes Kino Ehrgeiz

Kleiner Exkurs 2

Ehrgeiz als konstruktive Kraft

Vom Ehrgeiz, alles richtig zu machen

Ehrgeiz als Phrase: Das Märchen vom Aufstieg durch Leistung

Ehrgeiz, Tier und Sport

Der Ehrgeiz und die Sterblichkeit: Ein richtig gutes Ende finden

Schlusswort

Anmerkungen

Danke

Einleitung

Das Thema des vorliegenden Buches ist tatsächlich ein universelles. Sie werden vielleicht fragen: „Wieso? Einen Ehrgeiz hat nicht ein jeder, dieses Thema interessiert doch nur ganz wenige.“ Aber das stimmt nicht, erwidere ich dann, denn selbst wenn man keinen Ehrgeiz hat, dann hat man einen Ehrgeiz. Das erkläre ich weiter unten. Außerdem ist es mir im Zuge meiner Recherchen für dieses Buch nicht gelungen, auch nur einen Menschen zu finden, der keinen Ehrgeiz hat. Also wirklich keinen. Ich bin angetreten, das zu beweisen. Es gibt vielleicht auf einer sonnenüberfluteten Insel ein ehrgeizlos vor sich hin meditierendes Wesen, aber sogar bei dem bin ich mir nicht ganz sicher, ob es auf lange Sicht nicht doch einen Ehrgeiz entwickelt. Denn auch wenn man gerade mit anderen Yogabegeisterten im Herabschauenden Hund versinkt, hat man dann nicht zumindest den Ehrgeiz, ein bisschen besser zu leben? Clean, healthy, nachhaltig, im Einklang mit der Natur oder sogar schon verschmolzen mit irgendwas Jenseitigem? Nachdem ich keinen indischen Mönch kenne, der mich in diesem Bereich ein wenig aufklärt, gehe ich forsch davon aus, dass, sagen wir mal, 99 % der Menschen einen Ehrgeiz haben. Die Bandbreite ist natürlich groß und zeigt sich in vielen Bereichen.

Sportlicher Ehrgeiz: Hier gibt es die meisten Rückmeldungen, von zweimal die Woche 1500 Meter schwimmen bis zum demnächst zu absolvierenden Marathon.

Bescheidener Ehrgeiz: Endlich die Wohnung ausmisten. Gesund in Pension gehen. Das Leben meistern.

Und das war es auch schon mit den sachdienlichen Hinweisen. Ich habe einen Punkt getroffen, der mir bis dahin selbst noch nicht ganz klar war: Ehrgeiz ist intim und anrüchig. Man outet sich in gewisser Weise, wenn man seinen Ehrgeiz deutlich formuliert. Andere halten einen vielleicht für oberflächlich, wenn es um materielle oder körperliche Ehrgeize geht. Man stellt sich mit ausformulierten Zielen in das Lager derer, die gewinnen möchten, die unbedingt besser sein wollen als andere.

Von einigen der Menschen, die mir auf Facebook oder in privaten Gesprächen geantwortet haben, weiß ich, dass sie ganz andere Ehrgeize haben, als sie selbst laut proklamieren. Aber die klingen nicht ganz so gut, haben vielleicht mit Macht oder Ermächtigung zu tun und damit, dass ein:e Konkurrent:in schlechter aussteigt. Ich hatte einmal eine Freundin, die sich nur mit Frauen umgeben hat, die in ihren Augen weniger hübsch waren als sie selbst. Ihr Ehrgeiz war es, in jeder Situation die Schönste zu sein. Wir waren, was Wunder, nicht lange befreundet. Ehrgeiz ist auch deswegen schambesetzt, weil er nicht immer das Beste im Menschen hervorbringt.

Meine Einstiegshypothese in diesen kleinen Essay lautet, dass jede:r von uns einen großen oder auch kleinen Ehrgeiz sein:ihr Eigen nennt. Ich habe ihn genauso wie Sie. Ich plädiere dafür, rechtzeitig zu erkennen, wenn dieser Ehrgeiz überhandnimmt und die schönen Seiten des eigenen Lebens beeinträchtigt. Ich möchte Sie dazu bringen, den Ehrgeiz zu pflegen, aufs schöne Leben nicht zu vergessen. Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Erkunden wir diese treibende Kraft unserer Leben doch gemeinsam.

Ich und mein Ehrgeiz

Wenn ich einen Brief von einem Amt bekomme, weiß ich schon, was mich am Anfang desselben erwartet, vor allem dann, wenn es ein Amt in Graz ist, wo ich lebe, wo man mich vom Hörensagen kennt oder in dem man mich der Kulturszene zuordnet. Dasselbe erwartet mich, wenn ich eine persönliche Einladung von einem der Vereine bekomme, bei denen ich Mitglied bin. Es erwartet mich die Anrede „Frau Mag.“ Ich habe es mittlerweile aufgegeben, zu antworten und um Richtigstellung zu bitten, damit man mich nicht später einmal der Anmaßung oder gar des Betrugs bezichtigen kann. Vielen Dank für Ihre Mitteilung, ich bitte bloß um eine kleine Korrektur: Ich führe keinen akademischen Titel. Ich habe das aufgegeben, denn jedes Mal hat man mir zurückgeschrieben: Danke für den Hinweis, wir ändern das in unserer Datenbank. Genutzt hat das bis heute wenig. Es war leichter, die Ämter und Vereine nach der Hochzeit an meinen Doppelnamen zu gewöhnen, als an meine Titelfreiheit. In Österreich hat man einen Titel. Wenn man keinen Titel hat, dann macht man sich einen. Entweder durch jahrelanges, ehrgeiziges Studium oder durch einen Schnellkurs in Bratislava. Man kann sich Titel auch ersitzen, wenn man dementsprechende Stellen im öffentlichen Dienst innehat, oder man ist so berühmt, dass irgendeine Uni einen bemerkt und einem einen Ehrendoktor verleiht. Mittlerweile tragen auch Fachhochschulen und Aufbaustudien zur fröhlichen Titelschwemme bei. Jede:r hat einen Titel, und wenn man keinen hat, dann wird man trotzdem mit einem angesprochen. Bei der letzten Einladung zu einem Kulturbeirat einer Einrichtung für Erwachsenenbildung war mein Name auf nahezu beängstigende Weise von solchen mit Titeln umgeben. Alle klangen sie sehr imposant. Da gab es: UProf., DI, Dr., UD, MMMag., Prof., Präsident, DDr. – und dann gab es mich: Frau Stift-Laube. Die einzige Kulturbeirätin ohne akademisch geprüfte Expertise. Ich fühlte mich sozusagen am Papier nackt zwischen all diesen Titeln, die in den verschiedensten Kombinationen gedoppelt und getrippelt daherkamen.

Das Schlimme ist: Ich sehe das mit einem linken kritischen und einem rechten ironischen Auge – und will trotzdem einen. Die mich umgebende Titelflut rührt an eine tiefsitzende Kränkung, weil ich mein Studium nie abgeschlossen habe. Sie erinnert mich daran, dass mein Leben anders verlaufen ist, als es sich zum Beispiel mein Vater für mich gewünscht hat. Mein Vater hat sich so sehr einen Titel für eine seiner Töchter gewünscht und beide haben ihm nur die Matura nach Hause gebracht. Es muss eine transgenerationale Geschichte sein, denn auch mein Onkel hat beim Familienfest anlässlich seines 80. Geburtstags alle Anwesenden mit ihren vollen Titeln vorgestellt – also halt alle, die einen haben. Wir anderen wurden zwar auch vorgestellt, aber wir fielen auf, weil wir wenige waren. Den Ehrgeiz, einen Titel zu besitzen, habe ich überdies an meinen Sohn weitergegeben, der zwar mit Freude, aber nicht gerade leicht lernt. Er hat sich die Matura erkämpft, er wird sich auch einen Titel erkämpfen, das ist absehbar.

Warum führe ich denn nun keinen Titel? Ich habe doch sehr viele Jahre lang studiert und einige legendäre Studienplanänderungen mitgemacht. Ich habe es nicht geschafft, dieses vermaledeite Studium abzuschließen, weil ich in meinem Leben ordentliche Umwege gegangen bin. Das Zielstrebige, die Konsequenz, Dinge abzuschließen, hat sich bei mir erst beim Gehen entwickelt. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt so viele Lehrveranstaltungen absolviert habe. Ich habe dieses Studium, ein Kombinationsstudium der Angewandten Sprachwissenschaft und der Deutschen Philologie, auch deshalb nicht finalisiert, weil ich zur gleichen Zeit ganz andere Probleme hatte. Persönliche Herausforderungen, die die Gesundheit meiner Kinder in Anspruch nahmen und unter anderem zeitlich und organisatorisch anstrengende Therapieleistungen über Jahre hinweg verlangten. Heute bin ich 47 und studiere seit drei Jahren wieder, nämlich Kulturwissenschaften im Bachelor an einer Fernuniversität. Ich werde nicht aufhören, bis ich diesen dämlichen Titel habe. Das ist mein ganz persönlicher Ehrgeiz,1 beziehungsweise einer davon.

Jede:r von uns hat Menschen in seinem:ihrem Bekanntenkreis, die Ehrgeize entwickelt haben, die wir selbst nicht nachvollziehen können. Es handelt sich dabei oft um Dinge wie Kinder, Haus, Karriere. Es kann auch der Drang sein, berühmt zu werden oder besonders beliebt. Für Außenstehende sieht es dabei oft so aus, als hätte dieser Mensch bereits das große Glück getroffen, und damit quasi die Verpflichtung, nichts Zusätzliches mehr zu wollen. Dieser andere, zusätzliche Wunsch macht ihn, weil er so unerreichbar ist oder weil der Ehrgeiz, dieses eine Ziel zu erreichen, so viel anderes verdirbt, rätselhaft oder gar unsympathisch. Aber es scheint nicht nur in der Natur des Menschen zu liegen, immer noch mehr erreichen zu wollen, sich immer noch ein zusätzliches Ziel zu stecken, sondern es liegt, wie oben bereits angedeutet, auch in der Natur unserer Elternbeziehung. Jede:r von uns kennt die Beispiele: Da gibt es die Freundin, die Rechtswissenschaften studiert hat und für die es klar war, mit 30 einen Mann, zwei Kinder, eine Eigentumswohnung und ein dickes Auto ihr Eigen nennen zu müssen. Das Leben, das sie führt, wirkt auf den ersten Blick perfekt – erst auf den zweiten erkennt man die Sinnkrisen, von denen sie zernagt wird. Aber ihre Eltern haben ihr dieses Modell vorgelebt und sie wird es nie in Frage stellen, denn sie bezieht einen Großteil ihres Selbstverständnisses daraus. Ein anderer hat eine Mutter, die schon immer davon überzeugt war, dass er einmal ein Künstler wird. Er ist dann auch ein Künstler geworden, aber eher ein Lebenskünstler, denn er ist unbekannt, hat kein Geld und überspielt sein Unglück mit der Attitüde, sich für besser als alle anderen zu halten. Die Mutter finanziert ihn bis heute, jetzt ist er über 40 und beide sind überzeugt: Alle anderen sind schuld daran, dass es so ist, wie es ist, nämlich unfair. Oder die Tochter meiner ehemaligen Gymnasialprofessorin, sie ist gleich alt wie ich, hatte aber schon im Alter von 24 Jahren ein Burn-out. In der Schule „Einserschülerin“, hochbegabt, BWL-Studium in Rekordzeit, dann ein Job in der Unternehmensberatung. Heute lebt sie wieder bei ihren Eltern, denn mit dem Burn-out einher ging eine psychische Erkrankung, die es ihr bis heute unmöglich macht, einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Gesundheit, Schlaf, Gewicht: Das Smartphone und die Selbstoptimierung

Folgende Apps hatte ich bereits installiert, um mich zu verbessern: Fastic Intervallfasten. BodyFast Intervallfasten. Yazio Kalorienzähler & Fasten. Read Russian in 3 hours. Pilates für Anfänger. Meditation & Sleep. Zero – simple fasting Tracker. Pedometer Schrittzähler. Samsung Health. Simple weight. Fitbit. Duolingo. Trink weniger Kaffee. Steig mehr Stiegen. Entspann dich. Sei gefälligst immer besser. Dann habe ich noch Memrise zum Slowenischlernen. Slowenisch zu lernen ist ein Wunsch, den ich seit 2007 hege und dem ich bislang noch nicht viel näher gekommen bin, als friktionsfrei nach dem nächsten Klo zu fragen.2