Eilandfluch - Marie Kastner - E-Book

Eilandfluch E-Book

Marie Kastner

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  • Herausgeber: XOXO-Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Eine prachtvolle historische Villa, gelegen auf einer winzigen Insel im Golf von Neapel, sucht einen neuen Eigentümer. Der Kaufpreis ist unschlagbar günstig, und das obwohl die vermeintliche Traumimmobilie mitten in einem Tauchparadies liegt. Ein junger Millionär aus Deutschland erwirbt die Insel und beginnt frohgemut mit der Renovierung des Anwesens aus dem späten 19. Jahrhundert. Doch warum erzählen sich die Bewohner der umliegenden Orte Schauermärchen über einen Inselfluch, der angeblich allen bisherigen Besitzern das Leben oder zumindest Glück und Vermögen gekostet hat? Sie nennen das Eiland »la isola maledetta«, die verfluchte Insel. Schon bald bekommt der nichts ahnende Käufer einen Eindruck davon, warum das so ist … Jene im Buch beschriebene Zwillingsinsel existiert tatsächlich, sie heißt La Gaiola und ist derzeit unbewohnt.

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Seitenzahl: 399

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Eilandfluch
Impressum
1
2
3
4
5
Epilog
Reif für die Insel?
Die Autorin
Danksagungen

Eilandfluch

Das Grauen von La Gaiola

Marie Kastner

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-021-7

E-Book-ISBN: 978-3-96752-521-2

Copyright (2019) XOXO Verlag Umschlaggestaltung: Grit Richter

© Ulrich Guse, Art Fine Grafic Design, Orihuela (Costa)

© Fotos/Grafiken: Lizenz von www.dreamstime.com

Buchsatz: Alfons Th. Seeboth

Rechtlicher Hinweis:

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten rund um diesen Roman sind, abgesehen freilich von real existierenden Ortschaften, frei erfunden. Dasselbe gilt bezüglich der beschriebenen Vorgänge bei Behörden sowie anderen Institutionen oder Firmen. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sowie deren Vereinigungen sind von der Autorin nicht beabsichtigt und wären daher rein zufällig.

Selbstverständlich gilt letzteres nicht für ›Öffentliche Personen‹ aus der Politik.

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Gewidmet all jenen mutigen Menschen, die es wagen,

das Offensichtliche zu ignorieren und den Dingen tabulos auf den Grund zu gehen

auch wenn die Wahrheit manchmal schwer zu ertragen ist …

1

Und ewig lockt das Eiland

Juni 2014

»Molto bene, mille grazie ea presto!«, bedankte sich Thorsten Sasse euphorisch. Er sprach passables Italienisch, seit er vor einigen Jahren einen Crashkurs an der Volkshochschule besucht und seine Kenntnisse seither durch mehrere Toskana-Urlaube aufpoliert hatte. Das schien sich jetzt, im Juni 2014, auszuzahlen.

Kaum hatte er auf das rote Hörersymbol am Display seines IPhones gedrückt, vollführte der semmelblonde Achtundzwanzigjährige ungestüme Bocksprünge, quer durch sein geräumiges Büro. Dieses lag im zehnten Stock eines Hochhauses im Frankfurter Finanzviertel. Hurra! Das dreiköpfige Investorenkonsortium stimmte der Finanzierung seines brandneuen Vorhabens zu, und soeben hatte ihn der Hauptgeldgeber aus Neapel angerufen, um die frohe Botschaft zu verkünden.

Das musste Mona unbedingt sofort erfahren! Mit zitternden Fingern rief er das Model an, konnte vor Freude kaum an sich halten. Es dauerte ihm heute viel zu lange, bis die Schöne mit den kroatischen Wurzeln sich endlich mit ihrem Namen meldete. Ihre Stimme klang verschlafen.

»Guten Morgen, mein Schatz! Du, ich muss dir unbedingt was erzählen«, frohlockte Thorsten ins Smartphone.

»Was kann es um diese Uhrzeit schon so Wichtiges geben? Ich bin nach der Modenschau erst gegen drei Uhr ins Bett gekommen«, beschwerte sich Mona.

Thorsten sah auf die Uhr. Himmel, erst 7.30 Uhr! Klar, dass sie sauer war. Er hatte gegen sein Versprechen verstoßen, nicht vor zehn anzurufen. Mona war erklärte Langschläferin, während er eher zu den frühen Vögeln zählte. Das lag allerdings nur zum Teil an ihren völlig unterschiedlichen Berufen, führte selbst am Wochenende gelegentlich zu kleineren Reibereien. Sie kam vor

Mittag nicht aus den Federn, während er um diese Uhrzeit für gewöhnlich bereits eine längere Joggingrunde hinter sich hatte.

»Nicht nörgeln, Liebling, ich mache es wieder gut. Wie wäre es mit einem Essen beim Italiener, heute Abend um acht?«, schlug er kleinlaut vor.

»Meinetwegen, geht klar. Aber jetzt bin ich schon mal aufgestanden. Warum rufst du überhaupt an?«, fragte sie in versöhnlichem Ton. Endlich. Auf diese Frage hatte er gehofft.

»Ich bekomme die Kohle! Eine halbe Million Euro, das ist der Wahnsinn! Die Investoren sind von meiner Idee vollkommen überzeugt, und das sagt im Grunde schon alles. Daher kann ich gleich voll in die Werbung einsteigen, sobald die Plattform fertig programmiert ist.«

»Echt? Die finanzieren das tatsächlich?«, fragte Mona ungläubig. Thorsten spürte, wie sein Adrenalinspiegel sprunghaft anstieg. Seine äußerst attraktive Freundin gehörte zu jenen skeptischen, latent pessimistischen Menschen, für die das Glas immer halb leer ist. Ich hätte es wissen müssen, dachte er genervt.

Er vernahm, wie sie mit ihren Plüschpantoffeln in die Küche tappte. Das zugehörige Bild kam unwillkürlich aus seinen Erinnerungen hoch. Der offene, kniekurze Seidenkimono in Smaragdgrün, dessen Bindebänder lose herabhingen und über den Parkettboden schleiften, die schlanken Beine, das verwuschelte lange Haar, das sie sich im Gehen von den Augen strich … als eingefleischter Gewohnheitsmensch war Mona Horváth höchst berechenbar.

»Warte, gleich bin ich ganz Ohr. Ich lege mal schnell das Telefon weg«, gähnte die Fünfundzwanzigjährige. Im Hintergrund röchelte die Kaffeepad-Maschine, Tassen klapperten. Typisch, sie fischte ihren Pott wieder geradewegs aus der Spülmaschine. Mit Aufräumen und Ordnungssystemen hatte sie nicht viel am Hut; auch das war ein Grund für Störfeuer, die das Zusammensein mitunter trübten. Besonders galt das für Tage, an denen sie sich in seiner durchgestylten Wohnung trafen.

Äußerlich betrachtet, passten sie hervorragend zueinander. Er, der blonde, hochgewachsene Sohn eines wohlhabenden Investmentbankers, der praktisch mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden war – und sie, das erfolgreiche, rassige Dessous Model. Sie waren beide daran gewöhnt, dass man sich auf der Straße nach ihnen umdrehte, erst recht, wenn sie im Doppelpack auftraten.

Für ihn erbrachte die komplizierte Beziehung mit Mona sowieso einen zusätzlichen Mehrwert, den er ihr gegenüber aber besser nicht erwähnte. Er musste rein schon aus Prestigegründen eine tolle Frau an seiner Seite haben. Erfolgreiche Männer besaßen seit jeher die Schönsten der Schönen, dies war ein ungeschriebenes Gesetz. In der Welt der kühlen Kalkulation kannte er sich dank seines Vaters bestens aus. Ergo – Augen zu und durch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar Schlucken Kaffee schenkte ihm Mona ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Wie gesagt, die Herren Moretti, d’ Angelo und Battaglia haben einen Investment Case in meinem Vorhaben gesehen. Und glaube mir, die finanzieren beileibe nicht alles! Wenn diese Haie bereit sind, so viel Kapital in meine Firma zu stecken, wittern sie fette Gewinne. Sie haben nur eine einzige Bedingung gestellt: Ich soll zur Einführung eine groß angelegte Präsentation bieten und dazu möglichst viele potentielle Affiliate Marketing Kunden und Presseleute einladen.«

»Das freut mich für dich, Schatz. Aber ich habe immer noch nicht begriffen, wieso du dich nicht mit deinem bestens laufenden Vergleichsportal für Urlaubsreisen zufrieden gibst. Davon kannst du doch prima leben. Wie das neue Projekt funktionieren soll, müsstest du mir sowieso noch erklären. Und wieso hast du dir ausgerechnet drei Italiener ins Boot geholt, anstatt deinen alten Herrn nach dem Investment zu fragen? Wer garantiert dir, dass die Typen nicht der Mafia angehören?«

Thorsten konnte deutlich heraushören, dass sie das Interesse nur ihm zuliebe vorgab. In Wirklichkeit langweilte sie Geschäftliches. Womit er seinen aufwändigen Lebensstil verdiente, war ihr im Grunde egal. Sie verfügte über eigenes Einkommen.

»Wir reden heute Abend drüber, ja? Komm du erst einmal in die Gänge, frühstücke in aller Ruhe. Nur so viel noch: Battaglia hat mir einen Vorschlag für die Location der Präsentation unterbreitet. Da unser Portal europaweit aktiv sein soll, können wir diesen Event genauso gut in Italien durchziehen.

Im Golf von Neapel soll es eine kleine Insel geben, auf der eine alte Villa steht. Das wäre die passende Kulisse für Investoren, Firmenbosse und uns, man könnte sich dort fulminant in Szene setzen. Zumal in der Region Neapel alles, was auf dieser Insel geschieht, ganz automatisch von Interesse ist. Man munkelt dort, dass sie verflucht sein soll.«

»Eine verfluchte Insel im Mittelmeer als schräge Kulisse für deine Geschäfte? Na, wenn das mal keine Aufmerksamkeit erregt. Davon abgesehen … dieser außergewöhnliche Ort würde sich wahrscheinlich auch für eine Catwalk Show der neuesten Kollektion von Versace eignen, oder?«, lachte Mona.

Sie räusperte sich schuldbewusst. Sobald es um seine Entscheidungen ging, duldete ihr Freund keine Späße. Er konnte dann schnell ekelhaft werden.

»Gut, dann also bis heute Abend. Holst du mich ab?«

»Pünktlich wie immer, ich warte aber im Auto. Sonst würde ich auf der Suche nach einem freien Parkplatz vermutlich wieder eine halbe Stunde lang um den Block kurven müssen.«

Nachdem er das Gespräch nach ein paar Küsschen beendet hatte, googelte Thorsten Sasse sich auf der Suche nach besagter Insel kreuz und quer durch das Internet. Was er dabei zu sehen und lesen bekam, bestärkte ihn fest in der Annahme, dass Enzo Battaglia mit seinem Vorschlag einen Volltreffer gelandet hatte. Er musste diese pittoreske Doppelinsel einfach für seine Präsentation mieten!

*

Der feuerrote Jaguar xe samt Fahrer wartete, mit laufendem Motor und halb auf dem Gehweg stehend, vor dem Apartmenthaus, in dem Mona sich vor einem halben Jahr eine Eigentumswohnung gekauft hatte. Sie lag im obersten Stock eines Wohnund Geschäftshauses am Kleinen Hirschgraben.

Hier in Frankfurts Innenstadt war jeder verratzt, der sich keinen Tiefgaragenstellplatz mietete. Derjenige seiner Freundin war mit ihrem sonnengelben Mini Cooper belegt. Ansonsten standen rund um diesen Bereich nur Kurzzeitparkplätze und sündhaft teure Parkhäuser zur Verfügung. Viele der Gehsteigflächen waren zudem mit Sicherheitspollern gegen Befahren und Parken gesichert. Nur vor Ausfahrten oder neben Mülltonnen konnte man sich für kurze Zeit verbotswidrig hinstellen.

Genau das tat Sasse soeben, nervös auf die Zeitanzeige am Armaturenbrett schielend. Sie verspätete sich wieder, typisch!

Zehn Minuten später schwebte seine Freundin aus der Haustür. Ihr Outfit passte perfekt zur Wagenfarbe. Heute kombinierte sie ein knapp knielanges, in Taillenhöhe asymmetrisch drapiertes, feuerrotes Shiftkleid mit hauchdünnen schwarzen Feinstrümpfen, hohen Lacksandaletten und einem goldenen Handtäschchen im Clutch-Stil. Dazu trug sie, wie immer und überall, dezenten Goldschmuck. Das lange schwarze Haar hatte sie mit einem Lockenstab bearbeitet, es fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern.

Ihm stockte bei diesem Anblick schier der Atem. Noch immer, obwohl sie bereits seit acht Monaten ein Paar waren.

Eilig begab sich Thorsten auf die Beifahrerseite, um ihr mit eleganten Bewegungen die Wagentür aufzuhalten. Mehrere Passanten gafften neugierig. Mona schmiegte sich gekonnt in die rot-schwarze Lederkomposition des Sitzes, zog ihre langen Beine ins Fahrzeuginnere – und schon röhrte der auf Hochglanz polierte Jaguar davon.

Die Fahrt endete auf dem Parkplatz eines Edel-Italieners, den Thorsten und Mona als Lieblingslokal auserkoren hatten. Pizza und Spaghetti Bolognese suchte man hier vergebens auf der Karte, handelte es sich doch um ein Spezialitäten-Restaurant der gehobenen Kategorie. Entsprechend exklusiv waren auch die Preise. Doch wer hierher ins Positano zum Essen kam, für den spielte Geld höchstens noch eine untergeordnete Rolle.

Kaum sah er seine Stammgäste auf das Gebäude zu kommen, wieselte Inhaber Mario Valluzzi zur Eingangstür, riss diese weit auf. Er geleitete die erlesenen Gäste stets höchstpersönlich zum besten Tisch, den er auch heute für sie reserviert hatte.

Hier, am Platz neben dem weißen Marmorbrunnen, hatten sie sich einst kennengelernt und verliebt. Und hier hatte Thorsten seiner Angebeteten wenige Tage später voller Stolz erzählt, dass er trotz seines jugendlichen Alters bereits mehr als vier Millionen Euro mit einer, durch massive Fernsehwerbung bekannten, Vergleichsplattform für Flüge und Urlaubsreisen sowie einigen lukrativen Investments verdient habe. Er wusste bis heute nicht, ob sein Reichtum der Hauptgrund dafür war, dass Mona ihm seither nicht mehr von der Pelle wich.

Valluzzi stellte eine reich verzierte Platte mit Antipasti, kleinen Töpfchen mit Dips und frischem Weißbrot auf die schneeweiße Tischdecke. Anschließend reichte er seinen Gästen schwungvoll die überdimensionierten, in edles grün-weiß-rotes Kalbsnappaleder gebundenen Speisekarten.

»Nicht nötig«, winkte Thorsten ab. »Ich nehme, wie meistens, deine göttliche Saltimbocca und eine Flasche Amarone. Was darf ich für dich ordern, mein Schatz?«

Mona hasste es eigentlich, wenn er voreilig bestellte und ihr gar keine Zeit gab, selbst in der Karte zu stöbern. Sie schluckte ihren Ärger jedoch hinunter, wollte nicht gleich zu Beginn des Abends Unstimmigkeiten heraufbeschwören.

»Saltimbocca klingt sehr gut! Und zum Wein hätte ich gerne noch ein Pellegrino«, sagte sie lächelnd.

»Sehr wohl, die Herrschaften. Zweimal Saltimbocca, kommt sofort.!«, dienerte der klein gewachsene Italiener routiniert und steuerte schnellen Schrittes die Küche an. Drei Minuten später schimmerte bereits der erlesene Rotwein in den Gläsern, nach dem Thorsten einen Schluck fachmännisch gekostet und diesen Jahrgang für gut befunden hatte.

Beide bedienten sich bei den Antipasti, dann erhob Thorsten sein Glas.

»Trinken wir auf eine erfolgreiche Zukunft, auf die nächsten Millionen!«, deklamierte er feierlich. Das Paar prostete sich zu, und Mona wollte endlich wissen:

»Worauf genau stoßen wir hier überhaupt an? Bislang sprichst du in Rätseln. Wozu also hast du den italienischen Investor an Land gezogen?«

»Die Investorengruppe«, berichtigte Sasse mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich möchte ein neuartiges Portal programmieren und so gut wie möglich bewerben lassen, aber eines mit richtig aufwändigen Features und in mehreren Sprachen.«

»Noch eines? Aber wofür den ganzen Aufwand, du verdienst mit deinem Urlaubsportal doch nicht schlecht«, wunderte sich das Model und nippte vornehm am Weinkelch.

»Das ist im Moment noch richtig. Die Konkurrenz hat jedoch in den letzten Jahren auch nicht geschlafen. Neue Portale schießen wie die Pilze aus dem Boden. Der Kuchen namens Tourismusmarkt muss inzwischen in viele Stücke aufgeteilt werden. Es ist abzusehen, dass die Ära der schwarzen Zahlen irgendwann vorübergeht. Inzwischen gibt es gar schon Vergleichsportale, die Vergleichsportale vergleichen. Es wird nicht endlos so weitergehen wie bisher. Unsere Position als Marktführer wackelt.«

»Ich verstehe«, nickte Mona. »Und dein neues Projekt ist krisenfester?«

»Das will ich meinen, ja. Und um auf deine Frage von heute Vormittag zurück zu kommen: Ich rede seit dem Streit neulich noch immer nicht mit meinem Vater. Nähme ich jetzt von ihm Geld, müsste ich mir von diesem blasierten Egomanen wieder überall hineinreden lassen. Nein danke, darauf habe ich keine Lust. Lieber erhält ein Fremder die Zinsen.

Aus privater Hand möchte ich lieber nicht zu viel Kapital in meiner Firma versenken. Wie du weißt, wohne ich im Moment noch zur Miete. Sobald ich das richtige Objekt gefunden habe, werde ich in eine Immobilie investieren. Da muss ich von heute auf morgen flüssig sein.«

»Das sehe ich alles ein. Aber du bist mir noch die Vorstellung deiner Idee schuldig. Also – um was für ein Portal handelt es sich diesmal?«

»Nur Geduld, mein Liebes. Jetzt essen wir erst einmal in Ruhe. Sieh mal, Mario kommt schon mit dampfenden Tellern aus der Küche. Nachher beim Dessert lasse ich die Katze aus dem Sack, versprochen«, grinste Sasse schelmisch. Seine Miene wurde jedoch gleich wieder ernst.

»Und vorsorglich noch etwas, Mona. Bitte nimm hier den Begriff Mafia nicht in den Mund, wenn du von den Investoren sprichst. Wir befinden uns gerade in einem italienischen Restaurant, und Mario stammt aus der Nähe von Neapel. Man kann nie wissen«, fügte er etwas leiser hinzu.

*

Das Hauptgericht mundete wieder mal vorzüglich, auch wenn die Portionen, auf Tellern mit extra breitem Rand angerichtet, ein bisschen mickrig dahergekommen waren. Zum Nachtisch gönnte sich Thorsten eine frisch zubereitete Tiramisu nach Art des Hauses, während Mona auf ihre Figur achten musste und lediglich einen Espresso mit Amarettini bestellte.

Zum Glück füllte sich das Restaurant nach 20 Uhr allmählich; ansonsten hätten sie den überaus gesprächigen Wirt vermutlich wieder endlos lange am Hals gehabt. Der extrovertierte Italiener liebte es über alles, seine Gäste zu unterhalten, und schoss dabei meistens weit über das Ziel hinaus. Man konnte sich dann kaum mehr privat unterhalten. Dies war der einzige Wermutstropfen an diesem wunderbaren Etablissement.

»Gut, dann will ich dich mal besser nicht länger auf die Folter spannen, sonst platzt du mir vor Neugier noch«, meinte Thorsten augenzwinkernd. »Ich werde eine innovative Plattform für Geschenke ins Leben rufen. Du kennst doch bestimmt diese Tische, die Brautpaare vor ihrer Hochzeit in Kaufhäusern aufstellen lassen, damit sich die bucklige Verwandtschaft dort in Ruhe Geschenke aussuchen kann?«

»Klar! Das ist so Brauch, damit niemand etwas doppelt kauft und das Hochzeitspaar keinen Ramsch geschenkt bekommt, den es hinterher gar nicht gebrauchen kann.«

»Richtig, und dieses Prinzip habe ich übernommen. Aber bei meiner Idee geht es darum, eine Geschenkeauswahl für sämtliche Eventualitäten zusammenzustellen, also für Geburtstage, Weihnachten, Ostern, Nikolaus, Jubiläen, Valentinstage … alle denkbaren Geschenkanlässe eben.«

»Sowas gibt es im Netz doch bestimmt schon«, gab Mona emotionslos zu bedenken.

»Nicht in der effektiven Form, wie es mir vorschwebt. Natürlich habe ich das vorher eingehend eruiert«, entgegnete Thorsten scharf. Er fühlte sich ein bisschen beleidigt. Trotzdem referierte er weiter, schon weil er ihren Einwurf keinesfalls auf sich sitzen lassen konnte.

»Pass auf, es funktioniert folgendermaßen: Jemand legt sein persönliches Profil mitsamt seinem Foto an. Und schon kann es losgehen. In die dafür vorgesehenen Felder der wishlist fügt er Fotos oder Icons der Dinge ein, die er gerne in nächster Zukunft haben möchte. Es stehen eine Menge hübscher Grafiken zur Verfügung, die Wünsche symbolisieren – also bunte Bildchen von einem Geldschein, einem Smartphone, einer Uhr und so weiter. Per drag and drop kann man sie leicht in seine persönliche Wunschliste ziehen. Das bekommen selbst Kinder locker hin, und die sind eine überaus wichtige Zielgruppe.

Angenommen, der User möchte zwar ein Smartphone, aber nicht irgendeines. Der wählt dann eben nicht das Symbol einer allgemeinen Produktgruppe aus, sondern setzt ein Foto von der Webseite des Herstellers in das Feld, also zum Beispiel ein IPhone 6 S in der gewünschten Farbe.

Unter dieses Feld könnte man ergänzend einen Text schreiben und bei ausgefallenen Wünschen angeben, in welchem Shop man das Objekt seiner Begierde gesehen hat. Selbstverständlich können auf diese Weise auch Erlebnisgeschenke, Reisen, eine Stunde von Vaters Zeit am Wochenende und ähnlich Konkretes gewünscht werden.«

»Das klingt interessant. Und den Link zu meinem persönlichem Profil sende ich dann an potentielle Schenker, also Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen?«

»Du hast es erfasst. Sobald einer der Schenker ein Symbol für sich fest reserviert und den entsprechenden Artikel über einen Link online gekauft hat, verschwindet es wie von Zauberhand aus der Wunschliste.«

»Aber sind die billigen Sachen dann nicht zuerst weg, und die teureren Wünsche bleiben auf ewig unerfüllt?«

»Das wäre sicher tatsächlich so – wenn wir keine Crowdfunding-Option eingebaut hätten. Es können sich bei uns mehrere Schenker zusammentun und in ein kostspieliges Gemeinschaftsgeschenk investieren.

Wir propagieren diese Lösung natürlich besonders, was unsere Affiliate-Unternehmen mit entsprechend aggressiv platzierten Lockangeboten forcieren werden. Verknüpfung ist alles. Dazu gibt es sogar zinsgünstige Finanzierungsangebote, damit sich Oma den Gebrauchtwagen für ihren Enkel auch dann leisten kann, wenn der Rest der Familie beim Crowdfunding nicht mitspielen sollte.«

»Und du verdienst über Vermittlungsprozente, die wiederum die Affiliate-Nehmer an dich abdrücken?«

»In der Hauptsache ja. Dazu kann man am Rand der Webseite noch Werbeflächen für gutes Geld vermieten. Am Ende profitieren alle davon. Der Onlinehandel, Kreditinstitute, wir natürlich und auch der Beschenkte, der endlich keine doppelten oder unpassenden Präsente mehr bekommt. Stattdessen hat er eher eine Chance auf Geschenke aus dem Hochpreissegment. Du siehst also – wir revolutionieren das Schenken. Dieser Satz wird auch zu unserem Slogan werden«, erklärte Thorsten voller Stolz.

»Niemand muss sich künftig mehr in die überfüllte Innenstadt quälen und sich den Kopf darüber zerbrechen, was er seinen Liebsten in diesem Jahr zu Weihnachten kaufen soll. Geht alles wie von selbst, mit ein paar Klicks.«

»Ist ja gut und schön … aber es könnte der Vorwurf kommen, dass ihr damit den Einzelhandel schädigt. Außerdem führen die Links doch sicher nur zu bestimmten Online-Shops, oder?«

»Klar. Für den Anfang ist es wichtig, dass wir mit Shops verlinkt sind, die so ziemlich alles im Angebot haben. Ich muss dir sicher nicht sagen, welche das sind. Auch für Erlebnisgeschenke, Textilien oder Technik gibt es Marktführer, und an die treten wir selbstverständlich als erstes heran.

Die namhaften Kaufhausketten verkaufen mittlerweile selber schon über Onlineshops, also wäre das alles kein Problem. Und selbst wenn jemand in die kleine Boutique in der Fußgängerzone geht und dort einkauft – der kann dann immer noch den Kassenzettel einscannen und so beweisen, dass er das Geschenk zu Recht aus der Liste nimmt. Allerdings geschieht das in diesem Fall natürlich manuell.«

»Aha … und ganz nebenbei erhaltet ihr jede Menge Daten über das Konsumverhalten der Leute, nicht wahr?«

»Korrekt. Sobald nämlich jemand die Seite über unsere App auf Smartphone oder Tablet aufruft, kommen dazu noch die jeweiligen Standortdaten. Aber keine Sorge, so etwas stört die Leute inzwischen schon gar nicht mehr. Das macht schließlich jeder«, beschwichtigte Thorsten.

»Na, dann auf ein gutes Gelingen! Meine Liste bekommt ihr sicher als erste. Du weißt ja, welchen Blödsinn mir meine Mutter immer zum Geburtstag schickt. Sie meint es ja nur gut, aber ich brauche nun mal keinen selbst gestrickten Wärmflaschenüberzug, auch wenn sie dafür Wolle in meinen Lieblingsfarben verwendet hat … «

Thorsten verdrehte amüsiert die Augen.

»Und selbst sowas könnte man sich wünschen. Einfach das Symbol mit Stricknadeln und Wolle auswählen, drunter schreiben Wärmflaschenbezug, und dazu die Maße vermerken.«

»Um Himmels willen, bloß nicht!«, kicherte Mona. Sie erhob ihr Glas, um Thorsten zuzuprosten und den Rest auszutrinken. Doch ehe sie sich versah, nahte Mario Valluzzi schon von hinten und schenkte ihr ungefragt nach.

»Wäre doch schade um die gute Tropfen, eh?«, scherzte er in seinem gebrochenen Deutsch.

Thorsten fiel siedend heiß etwas ein.

»Komm, setze dich einen Moment zu uns, wenn es geht«, lud er den Restaurantbesitzer zu Monas Erstaunen ein. Normalerweise ließ ihr Freund, möglichst gleich nach dem Aufessen, die Rechnung kommen; mit dem Verweis, wieder an die Arbeit zu müssen – um einem längeren Plausch zu entgehen.

Mario strahlte über beide Ohren, gab dem Kellner ein Zeichen, seinen Part mit zu übernehmen, und platzierte sein knochiges Hinterteil flugs auf einem der freien Stühle.

»Und wie geht es meine gute Freund?«

»Molto bene, wie ihr Italiener das so schön ausdrückt. Du … ich hätte da mal eine Frage an dich. Du kommst doch aus der Gegend um Neapel, wenn ich nicht irre?«

»Si, aus Positano, was auch Name von meine Laden hier ist«, nickte Mario eifrig.

»Prima. In diesem Fall müsste dir doch die Insel La Gaiola etwas sagen?«

Marios Miene gefror zu Eis. Er wirkte geradezu erschrocken.

»Nix du aussprechen Name von verflucht Insel. Nix wissen, was kann passieren. Warum du fragst?«

»Oh, ich möchte hinfahren. Wir denken darüber nach, demnächst dort auf der Insel eine geschäftliche Präsentation zu veranstalten«, entgegnete Thorsten ungerührt.

»Nein nein, kannst du nix. Nix auf diese Insel. Dort alles kaputt, alles schlecht«, protestierte der Italiener und sah dermaßen unglücklich drein, als habe man ihm angedroht, ihn gegen seinen Willen nach La Gaiola zu deportieren.

»Mir ist bewusst, dass die alte Villa momentan nicht im besten Zustand ist. Das macht ja gerade ihren Reiz aus. Sie gehört seit Jahren der Region Kampanien, weil nach gewissen Vorkommnissen niemand mehr dort leben wollte. Weißt du Näheres darüber?«

Mario schüttelte mit Vehemenz seinen runden Schädel. Seine Lippen wirkten blutleer und verkniffen.

»Ach komm schon, jetzt lass mich nicht betteln! Ich sehe dir doch an, dass du die alten Geschichten kennst. Erzähle mir eine davon, und ich werde mir nochmals überlegen, ob ich dort tatsächlich hinfahren möchte«, behauptete Sasse hinterlistig.

Der Restaurantinhaber bekreuzigte sich hastig, warf flehentliche Blicke zur abgehängten Decke.

»Mamma mia! Hoffentlich nix wirkt Fluch, wenn nur darüber sprechen, über große Unglück von Grappone«, merkte er kleinlaut an.

1978

Ein Fall von schädlichem Hochmut

»In 1970-ern gab mehrere Geschäftsleute in Neapel, die waren schwerreich. Einer davon ist gewesen Gianpascale Grappone. Haben alle gehabt eitle Wettbewerb, du weißt schon … wer von uns hat schnellste Auto, tolle Frau, die schönste Haus … jeder wollte gefeiert sein als heimlich König von bella Napoli.

1978 jeder der Signori hat Grappone beneidet, weil der konnte kaufen sein eigene Insel mit alte Villa auf eine Hälfte. Die musste aber werden … wie sagt man … wieder schön gemacht … ?«

»Renoviert, meinst du wahrscheinlich«, half Thorsten weiter.

»Genau. Das hat gekostet viele Lire, nie wurde fertig. Zu gleicher Zeit sein Geschäfte liefen auf einmal nix mehr gut, kamen Rechnungen viele. Nix lang gedauert, dann war Geschäft total kaputt, Konto leer und der Grappone hat Schulden nix bezahlen können. Musste in Gefängnis einfahren. Stolze Mann in Knast, stell dir vor, was für eine Katastrophe für Ehre von famiglia!

Aber Unglück war noch nix zu Ende. Genau an Tag, wo La Gaiola ist versteigert worden, kam Ehefrau von Grappone bei schwere Autounfall ums Leben.

Insel hat sich so geholt beide, ist bis zu heutige Tag verflucht«, erzählte Mario. Er wirkte dabei nervös, fast wie jemand, der ein Geheimnis ausplaudert und dabei von niemandem überrascht werden möchte. Mehrfach hatte er sich beim Sprechen über die Schulter geschaut, den Kopf eingezogen.

Thorsten Sasse amüsierte sich insgeheim köstlich. Wie dieses sonst so gesprächige und temperamentvolle Kerlchen auf einmal in sich zusammensank, vor Furcht transpirierte und sogar vergessen hatte, ihm noch einen Likör aufzuschwatzen … sein Interesse, diese Insel mit eigenen Augen zu sehen und temporär zu mieten, stieg soeben ins Unermessliche.

»Lass gut sein, Mario. Wir haben genug gehört. Du kannst uns jetzt gerne die Rechnung fertigmachen lassen. Weißt ja Bescheid

– Zeit ist Geld. Nicht, dass es uns am Ende noch wie diesem Grappone ergeht, nicht wahr?«

»Nix machen Scherze damit«, maulte Valluzzi, bevor er aufstand und sich hastig in Richtung seines Kellners bewegte.

Mona war sprachlos.

»Krass!«, war das einzige, was ihr dazu noch einfiel.

*

Vier Personen saßen am Konferenztisch der Liegenschaftsbehörde. Für den Bereich Posillipo war die sogenannte Metropolitanstadt Neapel als Vollzugsbehörde der Regione Campania zuständig, und dieser wiederum gehörten eine Reihe von Immobilien und Grundstücken – unter anderem auch die Insel La Gaiola samt historischer Villa.

Bei einem der Anwesenden handelte es sich um Enzo Battaglia, Sasses Hauptinvestor. Soeben hatte er dem behördlichen Gremium wortreich die Gründe vorgetragen, wieso sein deutscher Geschäftspartner die verwaiste Insel unbedingt für ein paar Tage mieten wollte. Die abweisenden Mienen der drei übrigen Herren ließen jedoch den Schluss zu, dass er sich vergeblich um einen Konsens bemühte.

Der Dienststellenleiter straffte seinen Rücken.

»Grundsätzlich spräche selbstverständlich nichts dagegen, ein Grundstück der Region Kampanien temporär an Privatleute zu vermieten. Wir können in Zeiten der Eurokrise jede Einnahme gebrauchen, keine Frage. Aber nicht dieses Objekt, das geht auf gar keinen Fall. Wir haben, seit das Eigentum auf uns übergegangen ist, ohnehin schon alle Hände voll zu tun, leichtsinnige Touristen von dort fernzuhalten.

Das Betreten der Insel birgt Gefahren, und die haben nichts mit dem angeblichen Fluch zu tun. Immer wieder klettern Leute auf den Felsen herum, balancieren über den schmalen Steg zwischen den beiden Inselhälften, wagen sich trotz Hochwassergefahr in die Grotten oder treiben sich marodierend in der verfallenen Villa herum. Es gibt auf der Insel jede Menge Unfallgefahren, schon weil inzwischen alles verrottet und baufällig ist.

Ich prophezeie Ihnen daher eines, Battaglia. Keine Versicherung weit und breit würde für diesen Event je einstehen wollen. Suchen Sie sich bitte ein anderes Objekt.«

So schnell gab ein Enzo Battaglia jedoch nicht auf. Schließlich gehörte er seit langem zu den einflussreichsten Persönlichkeiten dieser Stadt, war es gewohnt, Fäden zu ziehen.

»Wir könnten einen Haftungsausschluss für die Region Kampanien in den Vertrag einbauen. Wahrscheinlich wäre der Mieter sogar bereit, ein paar notwendige Sicherheitseinrichtungen nach baurechtlichen Vorgaben zu installieren, bevor unser Großereignis stattfindet. Zeit wäre jedenfalls noch reichlich vorhanden. Wir planen die Präsentation erst im Frühsommer des kommenden Jahres«, gab er zu bedenken.

»Wir haben alle Eventualitäten vor dieser Besprechung bei uns im Hause bereits hinreichend diskutiert. Unser Entschluss steht fest – es bleibt bei einem Nein. Wir werden uns wegen diesem verdammten Inselchen in keiner Weise in die Nesseln setzen. Wenn Ihr Partner dort feiern will, muss er uns La Gaiola schon abkaufen. Selbstverständlich wären in diesem Fall bei der Renovierung der Villa eine Menge denkmalschutzrechtlicher Bestimmungen zu beachten, schließlich gilt sie als historisch wertvoll«, konstatierte der Beamte kühl.

Fünfzehn Minuten später stand Enzo Battaglia draußen auf der Straße, fieselte fahrig sein Smartphone aus der Innentasche seines Kaschmirsakkos und versuchte, Thorsten Sasse telefonisch zu erreichen. Er konnte mit Niederlagen schlecht umgehen, fühlte sich regelrecht gedemütigt.

In knappen Sätzen schilderte er, was er in der Liegenschaftsbehörde zu hören bekommen hatte und schlug vor, gemeinsam über eine andere Location für den wichtigen Event nachzudenken. Die Herren Beamten seien leider zu borniert und unflexibel, um eine stinknormale Vermietung in die Wege zu leiten. Es tue ihm außerordentlich leid, er habe alles in seiner Macht stehende versucht. Leider sei es heutzutage auch wegen diverser Anti-Korruptionsgesetze nicht mehr so einfach wie früher, Beamte zu schmieren.

»Merda«, fluchte Thorsten frustriert. »War das wirklich deren letztes Wort? La Gaiola ist unter keinen Umständen zu haben?«

»Oh doch! Aber man müsste es kaufen«, merkte Battaglia sarkastisch an.

Sasse erwiderte darauf nichts, gespannte Stille entstand.

»Bist du noch da?«, vergewisserte sich der Italiener.

»Klar! Ich muss über all das nachdenken. In dieser Angelegenheit ist das letzte Wort garantiert noch nicht gesprochen. Ich melde mich wieder bei dir.«

»Halt, warte! Du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, die Insel des Grauens zu kaufen?!«

»Selbstverständlich nicht um jeden Preis, aber Durchdenken könnte man die Option durchaus. Ich bräuchte ohnehin endlich einen standesgemäßen Wohnsitz. Und Gedankenspiele kosten ja nichts, oder? Besser noch … ich könnte hinfliegen, mir vor Ort ein Bild machen und Mona mitnehmen. Die liegt mir schon die ganze Zeit in den Ohren, dass sie gerne mal wieder wenigstens einen Kurztrip mit mir unternehmen möchte, wenn ich schon keine Zeit für Urlaubsreisen habe.

Außerdem, hör mir doch mit diesem albernen Fluch auf. Bestimmt gibt es für all die Katastrophen eine rationelle Erklärung, und man ist nur noch nicht draufgekommen. Shit happens.

Zugegeben – ich habe auch erst geglaubt, es könnte in den alten Horrorgeschichten ein Körnchen Wahrheit stecken. Aber bitte … wir sind doch schließlich wissenschaftlich aufgeklärte Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert! Schon seit Jahrzehnten ist auf La Gaiola Ruhe eingekehrt. Wann war überhaupt das letzte Ereignis, das man dem angeblichen Fluch zuschrieb? In den Achtzigern oder so?«

Er wurde eines Besseren belehrt.

2009

Der Gärtner ist immer der Mörder … oder?

»In früheren Zeiten gehörte zur Doppelinsel La Gaiola noch ein großes Stück Land am direkt gegenüber liegenden Kap, weswegen manche Leute steif und fest behaupten, dass der angebliche Inselfluch sich sogar bis dort hinüber auswirke. Einem wirksamen Fluch, der an ein bestimmtes Stückchen Grund und Boden gebunden sei, könne es quasi egal sein, ob das Land in späteren Jahren auf unterschiedliche Eigentümer und in mehrere Parzellen aufgeteilt werde. Einmal verflucht – immer verflucht. Das ist die landläufige Meinung.

Ob man das nun zu Recht glaubt oder nicht, es scheinen sich immer dieselben Muster zu wiederholen. Reiche Besitzer – und manchmal auch deren Gäste – gehen nach großen geschäftlichen Erfolgen entweder mit Pauken und Trompeten in die Pleite, werden verrückt oder sterben.

Im Falle des Francesco ›Franco‹ Ambrosio und seiner Gattin trafen sogar gleich zwei dieser Unglücke ein, und das, obwohl sie gar nicht auf der Insel selbst, sondern am Festland lebten.

Im Jahre 1960 gründete der aus San Gennarello stammende Ambrosio in Neapel die Italgrani, eine Firma für Imund Export von Getreide. Damals war er achtundzwanzig Jahre alt. 1970 wurde aus dem prosperierenden Unternehmen eine HoldingGesellschaft, geschäftlicher Erfolg stellte sich ein.

Weitere zehn Jahre später verpasste man Ambrosio bereits den Spitznamen Getreidekönig. 1985 hatte er sich sogar den größten Marktanteil für Hartweizengries auf dem US-Markt erobert. Von da an ging es mit dem Erfolg, auch wegen juristischer Querelen, allerdings wieder abwärts, bis das Unternehmen 1999 von Konkurs und Schließung bedroht war.

Der Erfolg seiner Firma war nicht Ambrosios einzige Passion. Er sponserte zum Beispiel, von 1977 an, ein Formel 1 Team. Aber auch in dieser Hinsicht erlebte er ein ständiges Auf und Ab. Es wurde nach einer Serie von Misserfolgen versucht, bessere Fahrer für die Rennboliden zu finden. Ambrosios rechtliche und finanzielle Probleme nahmen zur selben Zeit stetig zu, sodass er das Sponsoring schweren Herzens einstellen musste.

Immer noch waren die Ambrosios Eigentümer jener protzigen Villa am Steilhang, die direkt am Fußweg liegt, der hinunter zum kleinen Strand vor der Insel des Grauens führt. Zudem verfügte Francesco trotz aller Einbußen der vergangenen Jahre nach wie vor über ein ansehnliches Privatvermögen, das ihm und seiner Frau Giovanna eigentlich einen sehr angenehmen Lebensabend ermöglichen hätte sollen … wenn, ja wenn er nicht diesen rumänischen Gärtner eingestellt hätte.

Am Morgen des 15. April 2009 wurden die Leichen der Eheleute Ambrosio in ihrer Villa aufgefunden. Es hatte Diebstähle gegeben, alles im Haus war gründlich durchwühlt worden. Man ging schnell von einem missglückten Einbruch aus, der in einen Raubmord an den Multimillionären gemündet war.

Nach erstaunlich kurzer Ermittlungsarbeit nahm die Kriminalpolizei drei rumänische Einwanderer fest, von denen einer auf dem Ambrosio-Anwesen als Gärtner gearbeitet hatte. Der anfängliche Verdacht, die beiden Söhne des Ehepaares könnten die drei Ausländer aus Habgier für die Beseitigung ihrer Eltern angeworben haben, konnte in der gerichtlichen Verhandlung nie bestätigt werden. Bis heute haben sich die genauen Umstände nicht klären lassen.

Für die Zeitungen und die meisten Einwohner von Posillipo stand natürlich sofort fest, wer der eigentliche Mörder gewesen sein musste: la isola maledetta.«

Thorsten beschloss vorsorglich, seiner Freundin diesen jüngsten Teil der bewegten Geschichte La Gaiolas besser vorzuenthalten. Schließlich wollte er möglichst noch am selben Abend die Flugtickets nach Neapel übers Internet ordern.

Wie zu erwarten gewesen war, flippte Mona vor Freude über ein paar entspannte Tage im Sonnenschein schier aus. Ein passender Termin für den Trip war wider Erwarten schnell gefunden, und so konnte der junge Internetmillionär die Flüge nach bella Italia noch am selben Abend buchen. Am Freitag, dem 26. September 2014 sollte es losgehen.

Anschließend wühlte er noch einmal intensiv in den Untiefen des Internets, um vor der Reise möglichst viele Fakten über die böse kleine Doppelinsel zusammenzutragen. Was er hierbei an zusätzlichen Informationen ausgrub, ließ ihn an seiner eigenen Aussage von vorhin ein Stück weit zweifeln.

Die merkwürdige Häufung von Pleiten, anderen Unglücken und Todesfällen war auf La Gaiola tatsächlich exorbitant hoch. Doch je mysteriöser die Sache wurde desto stärker drängte ihn die Neugierde zum Golf von Neapel.

*

Die Maschine der Alitalia landete mit zehn Minuten Verspätung auf dem Flughafen Napoli-Capodichino. In bester Urlaubslaune schlenderten Thorsten und seine schöne Freundin zum Schalter der Mietwagenfirma, um den elektronischen Schlüssel für das vorab gebuchte Mercedes SLK Cabrio in Empfang zu nehmen. Wenn schon, denn schon.

Ein Glück, dass sie sich innerhalb des drei Tage währenden Aufenthalts jede Menge Zeit nehmen konnten. Andernfalls wäre Thorsten während der Fahrt durch die verstopfte Millionenstadt vermutlich ausgerastet. Er tat es den temperamentvollen Südländern gleich und hupte was das Zeug hielt. Zuerst lachte Mona über die sinnlos erzeugte Geräuschkulisse, doch bald ging sie ihr ziemlich auf die Nerven.

Beide waren daher heilfroh, als sie die Häuserschluchten des Stadtkerns endlich hinter sich lassen und im südwestlich gelegenen Stadtteil Chiaia über die Via Mergellino auf die Via Posillipo einbiegen konnten. Ein wunderschöner Meerblick eröffnete sich ihnen auf dieser Straße, die kilometerweit der Küstenlinie folgte. Häuser in Cremeweiß, Maisgelb und Ocker wechselten sich an der Steilküste mit unzähligen Treppen, Stützmauern und Terrassen ab. Dazwischen bildeten hauptsächlich Bougainvilleas violette und orangene Farbtupfer vor dem satten Grün der Pinien. Über all dieser verschwenderischen Pracht leuchtete der Himmel azurblau. Nur vereinzelt trieben weiße Wölkchen mit dem lauen Sommerwind gemächlich gen Osten.

Prüfende Seitenblicke verrieten Thorsten, wie überaus angetan seine Begleiterin von der atemberaubenden Mittelmeerkulisse war. Ein prima Auftakt, der morgen im ersten Anblick von La Gaiola gipfeln solle.

Nun kam endlich das ersehnte Urlaubsfeeling auf. Mehrmals hielt Thorsten am Straßenrand, damit Mona mit ihrem Smartphone Fotos schießen konnte. Auf der Außenterrasse des Ristorantes Reginella nahmen sie je einen Latte Macchiato zu sich, um anschließend gemütlich zurück in Richtung der Stadt zu cruisen. Es dämmerte bereits, und da lohnte es sich nicht mehr, bis nach Marechiaro hinunter zu fahren. Die Insel samt Umgebung würden sie am nächsten Tag noch ausgiebig genug erkunden können. Jetzt galt es, im Hotel einzuchecken.

Das Vier-Sterne-Haus Best Western Paradiso lag in der Via Catullo und bot einen herrlichen Blick über die Bucht von Neapel, sowie den mächtigen Vesuvio, der düster wie ein Menetekel am Horizont über der Stadt thronte. Mona würde beim Frühstück Augen machen. Der Raum mit dem Frühstücksbuffet bot nämlich einen unschlagbaren Rundumblick, was er im Internet mit der gewohnten Akribie recherchiert hatte. Ein Thorsten Sasse überließ grundsätzlich nichts dem Zufall.

Zwei Stunden später standen sie nebeneinander am Geländer des Balkons vor ihrem Doppelzimmer. Die gesamte Bucht war hell erleuchtet, Verkehrslärm brandete als dezentes Summen aus der Stadt herüber. Unzählige Lichter und bunte Leuchtreklamen reihten sich wie an einer Perlenkette aneinander, spiegelten sich auf dem ruhigen Wasser als verzerrte Reflexionen. Schneeweiße Boote schaukelten direkt unterhalb des Hotelareals dekorativ in einem kleinen Yachthafen. Das Glucksen des Wassers an der Kaimauer beruhigte die Sinne, machte ein wenig schläfrig.

»Wie romantisch! Der erste Eindruck von dieser Gegend ist einfach umwerfend«, schwärmte Mona. Sie jettete zwar als gefragtes Model fast ständig in der Welt herum, kam aber während ihrer Reisen kaum dazu, all die Gegenden zu erkunden, in denen sie sich jeweils nur sehr kurzfristig aufhielt. Wie sie da so stand, braungebrannt und mit offenem schwarzem Haar, hätte man sie für eine waschechte Italienerin halten können. Nur war sie dafür eigentlich nicht klein genug.

Alles klappte genauso, wie er es sich ausgemalt hatte. Diesen ersten Nachmittag in Italien konnte man also schon als Erfolg verbuchen. Wenn morgen die Insel noch halten würde, was sie versprach …

Monas millionenschwerer Freund nickte selbstzufrieden und ließ sich vom Zimmerservice zur Feier des Tages kurzentschlossen eine Flasche besten Champagners aufs Zimmer liefern. Er fühlte, wie sich sein Akku bereits wieder aufzuladen begann. Ich arbeite wirklich zu viel, sollte mir öfters so eine Auszeit gönnen, sinnierte er während des Einschenkens.

Der Zimmerkellner verschwand mit den besten Wünschen für einen angenehmen Restabend, nachdem er sein Trinkgeld in der weinroten Livree hatte verschwinden lassen.

Thorsten reichte Mona eine der hohen Sektflöten.

»Auf La Gaiola!«

»Auf La Gaiola. Mann … ich platze schon vor Neugier«, wiederholte sie mit leuchtenden Augen.

*

Der folgende Tag lockte mit grellen Sonnenstrahlen, die durch die geöffnete Doppel-Balkontür ins Hotelzimmer fielen. Thorsten und Mona hatten sich in der Nacht nicht überwinden können, sie zu schließen, wollten das Meeresrauschen und die salzhaltige Luft beim Einschlafen genießen.

Gegen halb zehn wurde es dem umtriebigen Unternehmer zu bunt mit dem Müßiggang, er scheuchte Mona unbarmherzig aus dem Bett und ins Badezimmer. Dort würde sie ohnehin wieder eine Weile brauchen.

Er selbst griff zu seinem Notebook, gab den hoteleigenen Wifi-Schlüssel ein und checkte seine E-Mails. Unglaublich, was im Postfach innerhalb der kurzen Zeitspanne seiner Abwesenheit aufgelaufen war! Während seine Freundin ihr Haar föhnte, trennte er die wichtigen von weniger brisanten Mails und beantwortete dringende Fragen seiner Mitarbeiter. Wochenenden und Feierabende waren bei ihm relativ. Abschließend sah er sich die Küste vor La Gaiola zu Orientierung auf Google Earth an.

Gut gelaunt schwebte das Model aus dem Bad, und Thorsten klappte den Rechner zu. Er stand auf, griff nach seinem Kulturbeutel. Bei ihm würde die Prozedur samt Dusche nicht länger als zehn Minuten in Anspruch nehmen.

»Wozu hast du dich eigentlich voll geschminkt? Wir wollten doch am Strand des Parco Sommerso della Gaiola, Area Marina Protetta, schwimmen gehen«, wunderte er sich.

Mona lächelte kopfschüttelnd.

»Männer! Keine blasse Ahnung, wie sehr Unsereins nach dem Aussehen beurteilt wird. Ich habe keinerlei Bock auf grässliche Fotos, die irgendein Paparazzo auf dem Weg dorthin von mir schießt.«

Gegen Mittag verließ der Mercedes SLK die hoteleigene Tiefgarage. Bei angenehmen achtundzwanzig Grad konnte man wieder mit offenem Verdeck fahren. In Deutschland zog Ende September bereits der Herbst ein, aber hier am Mittelmeer herrschte noch schönstes Hochsommerwetter.

Monas Haar war zum Schutz gegen den Fahrtwind mit einem farbenfrohen Seidentuch von Hermès zurückgebunden, das einen farbigen Kontrast zu ihrem schwarzen, gerade so oberschenkellangen Kaftan aus semitransparentem Leinen bildete. Opulente Ton-in-Ton-Stickereien umrahmten den V-Ausschnitt und die Gehschlitze am Saum. Darunter trug sie einen mitternachtsblauen Bikini mit goldfarbenen Zierelementen, der neckisch hervorblitzte.

Mehr als einmal glitt Thorstens Blick unwillkürlich von Straße und Armaturenbrett zu seiner Beifahrerin hinüber, deren glänzendes Haar wie eine schwarze Fahne im Fahrtwind wehte. An ihrem schlanken Hals funkelte ein goldenes Kettchen mit brillantbesetztem Herzanhänger, das er ihr zum Geburtstag verehrt hatte. Wie sie da so entspannt im Sitz saß und aufs Meer hinausträumte, sah sie zum Anbeißen aus.

Der Wagen bog nach dem Verlassen der Via Posillipo in die Discesa Gaiola ein. Der befahrbare Teil dieser schmalen Straße endete auf einem heillos überfüllten Parkplatz, auf dem Thorsten mehrere Runden drehen musste, bis ihm das Glück hold war und eine Parklücke frei wurde. Von hier aus musste man zu Fuß weitergehen, wenn man an den Strand oder zu den archäologischen Stätten gelangen wollte. Unter anderem gab es hier ein gut erhaltenes Amphitheater aus der Römerzeit zu bestaunen, doch danach stand den Frankfurtern heute nicht der Sinn.

In Serpentinen schraubte sich der Weg den Steilhang hinab. Mona war froh, zu ihren flachen Zehensandaletten gegriffen zu haben, sonst hätte sie wohl irgendwann barfuß gehen müssen. So konnte sie die Wegstrecke wenigstens in vollen Zügen genießen. Entlang der üppig mit wildem Wein, Efeu oder Bougainvilleas bewachsenen Bruchsteinmauern und kleinen Häusern ging es im Halbschatten sanft nach unten, bis das Meer in Sicht kam. Thorsten bemerkte, wie Lichtreflexe durch die Zweige der Olivenbäume fielen und auf der süßen Nase seiner Freundin fröhlich zu tanzen schienen.

Eine kleine Badebucht breitete sich vor den Betrachtern aus. Die schmalen Strände waren mit Badenden, spielenden Kindern und Booten total überfüllt. Über dieser Bucht thronte die Villa Ambrosio, fast so erhaben wie ein kleineres Kastell, und man konnte einen ersten Blick auf La Gaiola erhaschen. Das Eiland lag unglaublich nahe am Festland.

Thorsten und Mona mussten jetzt nur noch eine Minilandzunge überqueren und einige Treppenstufen hinabsteigen, dann waren sie am Ziel ihres kurzen Fußmarsches angelangt. Hier war die Küste durchgehend felsig, man konnte an manchen Stellen jedoch von glatten Felsplattformen aus baden gehen. Direkt vor der Insel planschten Touristen im petrolgrünen Wasser, Kanus und Ruderboote zogen in gemächlichem Tempo vorüber. Am Meeresgrund vor der Zwillingsinsel konnte man schemenhaft lineare Steinstrukturen erkennen.

»Was ist das? Sieht wie Unterwasserruinen aus«, fragte Mona.

»Gut erkannt. Da unten liegen die Überreste einer römischen Siedlung. Ich habe mir auf You Tube mehrere Videos angesehen. Wenn man hier abtaucht, kann man sogar noch verschnörkelte Bodenfliesen von damals erkennen. Diese reizvolle Gegend war schon immer von reichen Leuten bewohnt«, erklärte Thorsten geduldig.

»Schau, da vorne am Eck wäre noch Platz für unser Handtuch. Wir könnten uns dort niederlassen und die paar Meter zur Insel hinüber schwimmen.«

Mona zeigte sich einverstanden. Sie breitete das Badetuch aus, band ihr Haar zu einem Knoten hoch und streifte Tunika und Sandalen ab.

»Schon fertig! Wegen mir kann es sofort losgehen.« Sie ließ sich bis zum Hals ins lauwarme Wasser gleiten, anmutig wie eine Nixe. Ihr Freund brauchte da etwas länger. In Gewässer, die er nicht kannte, hielt er grundsätzlich erst die große Zehe hinein, bevor langsam der Rest seines durchtrainierten Körpers folgte.

»Jetzt komm endlich! Wovor hast du Schiss? Hier gibt es bestimmt keine Haie. Die haben instinktiv eine Heidenangst vor dem Inselfluch«, lästerte Mona ironisch und planschte derart mit den Füßen, sodass Thorsten von oben bis unten klatschnass wurde. Dann schwamm sie kichernd von dannen, sich dabei immer wieder frech nach ihm umdrehend.

Er ließ sich vollends ins klare Wasser plumpsen.

»Na warte!«, drohte er zum Scherz und folgte ihr. Sie hatte mit wenigen Schwimmzügen bereits mehr als die Hälfte der kurzen Distanz zur Insel zurückgelegt. Am Felsvorsprung vor der Grotte hielt sie jedoch inne.

»Was meinst du, Schatz … kann ich es wirklich wagen, diesen

mit einem Fluch belegten Grund und Boden zu berühren?«

»Aber unbedingt!«

Thorsten zog sich hoch, reichte seiner Begleiterin seine starke Hand, um ihr aus dem Wasser zu helfen. Er war eben durch und durch Kavalier. Nun standen sie unmittelbar vor einer geräumigen Grotte, deren Eingang durch ein rostiges Scherengitter versperrt wurde. Man konnte lediglich zwei, drei Meter weit hineingehen. Dennoch prangte daneben ein weißes Warnschild mit roter Aufschrift an der Felswand:

Attenzione Pericolo! Specchio acqueo area demaniale interdetta, stand da zu lesen. Die Regione Campania hatte es angebracht.

Mona studierte es, konnte sich keinen Reim darauf machen.

»Bei steigendem Wasserspiegel könnte es hier gefährlich werden«, übersetzte Thorsten sinngemäß.

Mona lehnte sich gegen die raue Felswand, hielt ihr Gesicht in die Sonne. Blinzelnd sah sie zur anderen, unbebauten Hälfte der Insel hinüber, musterte skeptisch den schmalen Steinsteg, der die Hälften verband. Er wirkte marode. Nie im Leben würde sie mit ihrer Höhenangst dort hinüber gehen können.

»Mir ist schon ein wenig mulmig zumute, das muss ich zugeben. Wir könnten ebenso gut wieder zum Festland schwimmen, denn die Villa sieht man von hier aus sowieso nicht. Ich würde auch ungern verbotswidrig über die Absperrung klettern, um auf die Treppe zu kommen«, meinte Mona.

»Da hast du Recht. Wäre viel zu gefährlich«, bestätigte Thorsten und ließ sich wieder ins Wasser hinunter. Mona folgte. Gemeinsam steuerten sie schwimmend die Stelle an, an der sie ihre Siebensachen zurückgelassen hatte. Nur dass dort jetzt weder das Handtuch, noch Monas oder Thorstens Klamotten lagen. Nichts als nackter Fels leuchtete ihnen entgegen.

Hatte vielleicht der Wind die Sachen ins Wasser geweht? Sie sahen sich aufmerksam um. Nichts. Nach kurzer Suche war klar, dass hier ein dreister Dieb am Werk gewesen sein musste. Zum Glück bewahrte Thorsten Geld, Kreditkarten und Autoschlüssel traditionell in einer wasserfesten Box auf, die ihm an einer neongrünen Nylonschnur am Hals baumelte. Ansonsten wäre die Sache böse ausgegangen und wahrscheinlich auch der Mietwagen gestohlen worden.

»Verdammte italienische Langfinger! Mein Lacoste-Shirt konnten sie wohl gut gebrauchen. Jetzt dürfen wir nachher halbnackt ins Hotel zurückfahren«, fluchte der blonde Frankfurter.

Mona nickte betroffen. Schade um die schöne Tunika.

»Das stimmt leider, und diese Art von Pech können wir nicht einmal dem Inselfluch zuschreiben. Wenigstens habe ich meine nagelneue Gucci-Sonnenbrille vorhin in weiser Voraussicht im Handschuhfach verstaut.«

Das Paar beschloss, wenigstens das Beste aus der Situation zu machen. Von einer erhöhten Plattform aus, auf der ein größeres Verwaltungsgebäude stand, blickten sie zu La Gaiola hinüber. Von dieser Warte aus konnte man die Bebauung gut erkennen.

»Wer hat denn die herrschaftliche Villa auf der Insel erbaut, und wie alt mag sie sein?«, wollte Mona wissen. Die halb verrotteten Gemäuer hatten sie offenbar in Windeseile in ihren Bann gezogen.

»Ich habe selbstverständlich ein paar Recherchen angestellt, und das nicht nur über diesen vorgeblichen Inselfluch. Obwohl

… irgendwie scheint alles, was auch nur entfernt mit La Gaiola zu tun hat, damit ebenfalls zusammenzuhängen. Ich schildere dir gerne, was ich im Internet über die ersten Besitzer der Insel gefunden habe. Danach kannst du dir ein eigenes Bild machen.

Allerdings wirft die Antwort auf jegliche Frage gleich ein paar neue auf … also ich werde aus der ganzen Geschichte jedenfalls nicht schlau. Wieso diese wunderschön gelegene Villa dermaßen oft den Besitzer gewechselt hat – und das in einem Land des starken Familienzusammenhalts, wo man sein Eigentum traditionell seinen Kindern vererbt – ist mir ein Rätsel.«

»Schluss mit der langatmigen Vorrede, nun lass schon hören!«, quengelte Mona voller Ungeduld.

1874

Klein aber mein

»In etwa um Christi Geburt soll hier ein kleines Heiligtum der Göttin Venus gestanden haben. In späteren Zeiten hat man die Insel als Verteidigungsstützpunkt genutzt, aber etwas Genaueres konnte ich über die graue Vorzeit nicht herausfinden. Im siebzehnten Jahrhundert müssen auf diesen wenigen Quadratmetern verschiedene Fabrikationsstätten existiert haben, und zwar bevor La Gaiola erneut militärischen Zwecken diente.

Als erster Eigentümer der neueren Geschichte ist ein Archäologe namens Guglielmo Bechi dokumentiert, der die Insel 1820 zusammen mit einem Teil der gegenüber liegenden Landzunge kaufte. Es wird vermutet, er habe damit verhindern wollen, dass sich wieder Fabriken oder Militär dort ansiedeln, weil dadurch seine archäologischen Ausgrabungen gestört worden wären.

1874 veräußerte er die Liegenschaften an den Besitzer eines großen Fischereiunternehmens, der kurz nach dem Erwerb auch diese Villa erbaut haben soll. Jener Luigi di Negri muss innerhalb weniger Jahre mit seiner Firma eine gründliche Pleite hingelegt haben, und zwar noch während er auf La Gaiola lebte.

Er verkaufte notgedrungen an einen anderen Unternehmer, der in den Felshöhlen am Fuße der Insel und drüben am Festland angeblich pozzolana, das ist antike Vulkanasche von einem frühen Ausbruch des Vesuv, abbaute. Man kann dieses Material für die Herstellung einer ganz speziellen Betonsorte verwenden. Aber auch dieser Eigentümer kann dort nicht auf Dauer glücklich geworden sein.

Insel, Villa sowie das Grundstück am Kap gingen anschließend komplett in den Besitz der Familie des ehrenwerten Senators Paratore über. Sieh nur mal dort hinüber, Mona. Das ganze Areal, zu dem heute der Parco archeologico und das große Ambrosio-Anwesen gehören, also die riesige Villa dort am Steilhang, zählten damals zur Liegenschaft. Heutzutage wären allein schon die Grundstücke viele Millionen Euro wert.«

»Ein Traum, solche Anwesen zu besitzen«, meinte Mona. Sie beschirmte ihre Augen gegen die Sonne und sah in die angegebene Richtung.

»Stimmt haargenau! Und dennoch wechselte der Besitzer nach erstaunlich kurzer Zeit erneut. Paratore verkaufte alles an den Schriftsteller Norman Douglas, der ein großes Faible für Süditalien hatte. Der taufte die Inselvilla auf den Namen Maya. Jedoch verzog dieser ursprünglich aus Vorarlberg stammende Buchautor wenig später auf eine andere Insel, aufs Neue in eine opulente Villa – auf Capri.

Warum mag er das getan haben, frage ich dich? Warum hat er ein Paradies gegen ein anderes eingetauscht? Irgendetwas muss ihm auf La Gaiola wohl gründlich missfallen haben. Das Mysteriöse daran ist, dass er im Jahre 1911 ein Buch mit dem Namen Siren Land geschrieben hat.