Ein Buch, das vielleicht nicht jeder lesen sollte - Franziska König - E-Book

Ein Buch, das vielleicht nicht jeder lesen sollte E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Das Tagebuch eines Sommers. In lose verbundenen Episoden erzählt Franziska aus ihrem Leben.

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Chronik aus dem Leben einer Musikerfamilie

2009 Juli – September

Den Eheleuten Ute und Walter Binz zugeeignet!

Franziska ( Kika) im Jahre 1995 fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott

Ein Buch ohne Vorwort Sie können gleich anfangen zu lesen.

Die wichtigsten Vorkömmlinge finden Sie am Ende des Buches im Personenverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Juli 2009

Mittwoch, 1. Juli

Donnerstag, 2. Juli

Freitag, 3. Juli

Samstag, 4. Juli

Sonntag, 5. Juli

Montag, 6. Juli

Dienstag, 7. Juli

Mittwoch, 8. Juli

Donnerstag, 9. Juli

Freitag, 10. Juli

Samstag, 11. Juli

Sonntag, 12. Juli

Montag, 13. Juli

Dienstag, 14. Juli

Mittwoch, 15. Juli

Donnerstag, 16. Juli

Freitag, 17. Juli

Samstag, 18. Juli

Sonntag, 19. Juli

Montag, 20. Juli

Dienstag, 21. Juli

Mittwoch, 22. Juli

Donnerstag, 23. Juli

Freitag, 24. Juli

Samstag, 25. Juli

Sonntag, 26. Juli

Mittwoch, 27. Juli

Dienstag, 28. Juli

Mittwoch, 29. Juli

Donnerstag, 30. Juli

Freitag, 31. Juli

August 2009

Samstag, 1. August

Sonntag, 2. August

Montag, 3. August

Dienstag, 4. August

Mittwoch, 5. August

Donnerstag, 6. August

Freitag, 7. August

Samstag, 8. August

Sonntag, 9. August

Montag, 10. August

Dienstag, 11. August

Mittwoch, 12. August

Donnerstag, 13. August

Freitag, 14. August

Samstag, 15. August

Sonntag, 16. August

Montag, 17. August

Dienstag, 18. August

Mittwoch, 19. August

Donnerstag, 20. August

Freitag, 21. August

Samstag, 22. August

Sonntag, 23. August

Montag, 24. August

Dienstag, 25. August

Mittwoch, 26. August

Donnerstag, 27. August

Freitag, 28. August

Samstag, 29. August

Sonntag, 30. August

Montag, 31. August

September 2009

Dienstag, 1. September

Mittwoch, 2. September

Donnerstag, 3. September 2009

Freitag, 4. September

Samstag, 5. September

Sonntag, 6. September

Montag, 7. September

Dienstag, 8. September

Mittwoch, 9. September

Donnerstag, 10. September

Freitag, 11. September

Samstag. 12. September

Sonntag, 13. September

Montag, 14. September

Dienstag, 15. September

Mittwoch, 16. September

Donnerstag, 17. September

Freitag, 18. September

Samstag, 19. September

Sonntag, 20. September

Montag, 21. September

Dienstag, 22. September

Mittwoch, 23. September

Donnerstag, 24. September

Freitag, 25. September

Samstag, 26. September

Sonntag, 27. September

Montag, 28. September

Dienstag, 29. September

Mittwoch, 30. September

Juli 2009

Mittwoch, 1. Juli Lanzenkirchen-Ofenbach/Niederösterreich

Meist sonnig. Zuweilen Wolkenüberzüge. Am Abend drohte ein Gewitter bzw. Überschwemmungsrezidiv

In nur leicht variierter Form an Molières Theaterstück „Tartuffe“ erinnernd ist Buz, unser Vater, in jungen Jahren einem Heiligen begegnet: Einem weit gereisten Herrn mit Namen Yossi, Meisterbratscher von Beruf.

Zu dieser Berufszunft wäre noch allerlei zu sagen, denn wie oft begegnet einem im Curriculum vitae eines Bratschers, als Resümmee erbrachter Heldentaten, der elektrisierende Passus:

„…gilt als einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit!“

Möglich, daß sich mit dem samtenen, warmen Violaton eine gewisse Genialität doch deutlich leichter vorspiegeln lässt, als durch die Bemühungen der Geigenvirtuosen mit ihrem zuweilen schneidenden oder dünnen Tönchen und dem verbissenen Ehrgeiz und Ernst der hindurch schimmert?

Beim Frühstück sprachen wir über den Heiligen, der mittlerweile leider alle Cellisten von ganz Wien verprellt habe, und ich wunderte mich, warum all diese Cellisten wohl beim Yossi vorstellig geworden sind? Das Gerücht, in Wien habe sich ein Genie niedergelassen, das zwecks Bildung einer hochkarätigen Kammermusikformierung einen Cellisten suche, war allgemein zu Ohren gestiegen.

Dem Yossi schwebte Großes vor: Das Gesamtwerk für Kammermusik von Brahms in einer nie gehörten Lesart zu interpretieren und aufzunehmen.

Aber er besaß nicht einmal einen Stuhl, auf den sich der Cellist, der ihm vorzuspielen gedachte, hätte niedersetzen können.

Da borgte er sich einen Stuhl beim Nachbarn aus, und probte so lange und intensiv an Winkeln der Werke herum, bis die ersten vereinzelten Musiker den Verstand verloren hatten. Meist spielten sie ihm zu laut, so daß er unwirsch die Lautstärke zu drosseln suchte, die sein Alabasterohr zu beleidigen schien. Dann lief er in den hintersten Winkel des Raumes, um auf Kennerart die Ballance zu prüfen, und rief alsbald tadelnd und anklagend: „Ich heeere niiichts!“

Seit einigen Tagen haben wir einen Gast im Hause: Den jungen aufstrebenden chinesischen Bratscher „Wembo“, der sich für uns anfühlt wie ein Adoptivkind aus Fernost, und so viel Frische und Fröhlichkeit in´s Haus bringt.

Es handelt sich hierbei um den Bratscher aus dem „Jade-Quartett“ – gebildet aus drei Damen und besagtem Herrn aus Buzens so reichhaltiger internationaler Schülerschar.

In Wembos Bratschenkasten befindet sich eine liebliche Fotografie seiner jungen Ehefrau, und diese holte er nun herbei, um uns Frühstückende damit zu entzücken.

Schelmisch erzählte ich, wie der Wembo seine Frau „Lao po!“ zu nennen pflege (zu deutsch: Weib!).

Am Nachmittag fuhr ich mit dem Wembo in die Mauerbachstraße in Wien, um mit der Familie Leopold zu proben. Schostakowitschs Klavierquintett stand auf der Agenda.

Die dünngewordene, apathische Tochter Valerie am Pult der zweiten Violine macht ihrer lebhaften amerikanischen Mutti „Terry“ am Klavier große Sorgen, da sie kaum etwas ißt und stark abgenommen hat.

Zuweilen verlief die Arbeit mühsam, besonders wenn sich Familienoberhaupt Rudi hinter dem Cellopult mit seinen Argusohren auf die Intonation verstieg. Dann wurde auf anstrengende Weise an vereinzelten Tönen herumradiert, und die Valerie zu meiner linken wirkte lethargisch. Sie ließ die Probe über sich ergehen wie eine Schicksalsstrafe, der sich nichts entgegenstellen lässt.

Zum Schluß hatten wir uns plötzlich alle lieb.

Die zweitägige Probenphase war vorüber, und nun hatte man bis zum Abend des 15. Juli erst einmal Ruhe voreinander. Doch so weit mochte man zur Stund´ noch gar nicht denken.

Der Rudi schien sich mit dem Wembo angewärmt zu haben, und während man die heißgelaufenen Instrumente trocknete und einpackte, erzählte er launig von der großen Musikhochschule in Jakarta, wo es äußerst interessierte und hinzu fantastische Musiker gäbe.

Er, als vereinzelter Dozent aus Europa, sah sich einem riesengroßen Acker mit unzähligen aufblühenden musikalischen Setzlingen gegenübergestellt. Einer brillianter als der andere – und nur die Namen, die in einem Normhirn leider rasch zu Staub zerfallen verhindern, daß ein jeder den ihm angemessenen Platz im Weltgeschehen der Klassik einnehmen kann.

In lebhaften Erzählschwung geraten fuhr der Rudi fort und berichtete, daß er drei Pädagogismen auf chinesisch sagen könne:

„Hön hao“, „Bu hao“ und „Fang song“. („Sehr gut“, „ungut“, und „Entspanne Dich!“)

(Wir lachten).

Abends daheim in Ofenbach:

Buz las dem Wembo vermeintliche Wilhelm Busch Geschichten vor, doch die Gedichte unter den Bildern stammten vom Opa Pannonius, da Wilhelm Busch in diesem Falle nur die köstlichen Zeichnungen angefertigt hatte.

Etwas, das man allerdings erst erfuhr, als man das Buch wieder zuklappte, und Buz war hingerissen!

Der Opa liegt nun bereits seit 7 Jahren unter der Erde, doch hinterlassen hat er uns eine Truhe, gefüllt mit purem Gold.

Rehlein im Sorgenstuhl las Kinderberichte vor:

Der junge Ming* hat einst als 2-jähriger in einem Zuge sämtliche Fenster vom Adventskalender geöffnet.

„Das muß ich wissen, damit ich mich besser freuen kann!“ sagte er damals erklärend, und das fand ich so goldig vom süßesten Schatz!

*Mein Bruder, der „Klavierpianist“ – wie er einmal treffend von einem Herrn genannt wurde.

Auf dem Tisch lag die Abschiedsbroschüre von Pfarrer Anton Zach, der sich dieser Tage in den wohlverdienten Ruhestand zu verabschieden plant. Voll mit Fotografien, die Erinnerungen aus einem langen erfüllten Leben im Dienste des HERRN aufleben ließen:

„Oberlaa 1980“, las man beispielsweise unter einem Bild, das einen schönen Moment des Gemeindelebens eingefangen hatte.

„Gab´s dort zu diesem Zeitpunkt nicht einen ungeklärten Prostituiertenmord zu beklagen?“ räkelte sich in mir die Miss-Marpelige Erbmasse von Omi Ella, die derartiges ja stets im Hinterkopf zu behalten pflegte.

Man denkt´s und verfolgt den Gedanken nicht weiter, weil er unschicklich scheint.

Buz wußte vom neuen Pfarrer aus Afrika zu berichten, der gekommen sei, um das religiöse Geschehen in Lanzenkirchen etwas besser anzufeudeln.

Donnerstag, 2. Juli

heiß und sommerlich, doch abends drohte ein Gewitter

Heut sollten zusätzlich zum Wembo, der ja schon da ist, zwei Herren zu Besuch kommen, wie man sie sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann: der Herwig, ein meist grantig gestimmter Cellist aus Wien, und Buzens bester Freund Peter, ein quirliger Pianist und Komponist, der nicht so recht in unsere Zeit zu passen scheint.

Unser Heim sollte somit in eine klingende Musikhochschule umgewandelt werden, und ich wollte Rehlein dazu animieren, währenddessen mit mir ins Vivarium zu gehen, um dem häuslichen Lärm zu entfliehen. Doch Rehlein wollte ihre Küche lieber gescheit unter Kontrolle halten, zumal neulich einfach ein Löffel verschwand.

Auf dem Tisch stapeln sich Prospekte und Journale.

Unter der Abschiedsbroschüre von Pfarrer Anton Zach fand sich eine Hochglanzbroschüre über den „Niedersächsischen Musikpreis“.

Alle Preisträger sind ausnahmslos Kämmerlingschüler, und bei diesem Thema (Lug und Trug bei Wettbewerben), ist auch der so herrlich junge Wembo ganz in seinem Element, denn mehr als einmal (z.B. bei den Musikwettbewerben in Graz und München) hat er als Jungbratscher und „Herr des Geschehens“ im frischgegründeten Jade-Quartett eine empörende Ungerechtigkeit zu spüren bekommen.

Den Hochschulwettbewerb wiederum habe das Jade-Quartett ja auch keinesfalls wegen Buzen, sondern bloß dank dem schmückenden Namen des „Melos-Quartett“s gewonnen, vermerkte Rehlein sinnig – und dabei versteht es Buz wie kein Zweiter „aus Stroh Gold zu spinnen“.

Parallel zu seinem wunderbaren Gedeihen unter Buzens pädagogischer Fuchtel, wurde das Jade-Quartett vom Melos-Quartett lediglich in einer gewissen Pseudogenialität musikalisch bewedelt und mit Ausrüfen befeuert.

„Psssssst!“ oder „Con Moo-too!!“ hieß es beispielsweise von berufenen Lippen in schmerzgepeinigtem Gesichte, verbunden mit sensiblen Handposen, die Einhalt vor jugendlichem Ungestüm zu gebieten suchten.

Nach dem Frühstück bestaunte man Wembos üppige Strohfrisur auf dem Kopf.

Der Wembo nutzte es auf frische Chinesenart aus, daß er jetzt einen Violinlehrer im Hause hat, und als Rehlein zum Einkauf hinweggeradelt war, trat er mit der Bratsche hinter dem Vorhang im Flur hervor und blickte sich suchend nach seinem Guru um.

Buz hatte es sich soeben mit der Zeitung auf der Terrasse gemütlich gemacht, als ich ihn nach Art eines kleinen Töchterleins herbeiholte.

„Ich glaube, der Wembo will dich anbratschen!“ sagte ich, und tatsächlich bratschte der Wembo Buz noch vor dem Musikzimmer mit einem steilen und sperrigen Notenhügel aus einem Bratschenkonzert an. Die beiden letzten Töne schienen ihm nicht saftig genug, doch der kluge Buz wußte, wie immer, Rat.

Als ich oben in Mings ashramsartiger Dachgebälkswohnung die Erdbeeren, die Rehlein von ihren Einkäufen mitgebracht hatte, in den Kühlschrank stellte, hörte ich, wie Ming und Herwig im Nebenzimmer die Prokofieff-Sonate probten. Ich stellte mir vor, wie Birgit Böhme, die Cellistin aus dem Faust-Quartett, sich in den Türrahmen stellt, um ungefragt kritische Anmerkungen zu machen, so daß der Herwig davon noch grantiger würde:

„Das würd ich mit ganz viel Herz spielen!“ sagt sie, und dann - mit einem flinken Hupf neben den Noten stehend, gekrümmt nach einer Notenkette Ausschau haltend, und schließlich gefunden habend: „Die Stelle würd ich viel witziger spielen! Du spielst das noch ein bißchen zu verbissen – aber wahrscheinlich spielst du es ja das erste mal so ab?“ (Begütigend).

Und während ich mir dies ausdachte und vorstellte, hörte man den Wembo unten im Musikzimmer Bratschengebirgsketten überwinden. Es klang jauligröhrend und gleichzeitig energetisch-gipfelstürmend.

Zur Kaffeestund:

Ming erzählte, daß seine Schwiegereltern unverheiratet seien, und daß dies besser so wäre, doch für den Wembo kommt diese Erkenntnis leider zu spät.

(Wir lachten.)

Zu vorgerückter Stund´ riefen wir den Onkel Andi zu seinem 60. Geburtstag an.

Der Andi feierte ganz allein, denn seine Frau Lisel war bereits zu Bett gegangen.

Leider hat sich der Onkel den Fuß verknackst, und ist nun 6 Wochen lang krankgeschrieben. Drei Wochen sind schon um, und danach will er zur Altersteilzeit hinüberschwenken. Onkel Andi klang so mild, und ich liebte ihn unglaublich.

Freitag, 3. Juli

stickig, sonnig – hi und da Wolkenüberzüge

Ich erzählte, daß ich gestern abend vor dem Einstieg ins Bettgehäuse eine rote Spinne kennengelernt habe, die mir direkt vor dem Bette aufzulauern schien. Ich wollte sie einfangen, doch sie entwischte mir, und zu dieser Schilderung spürte ich wieder meine Entzündung im rechten Oberarm.

Rehlein hatte sich schon Gedanken gemacht, und da ging ich ein bißchen mit mir ins Gebet: „Wie komme ich dazu, meiner alten Mutter Sorgen zu bereiten?“ ← dies zumindest erzählte ich Rehlein am Nachmittag, daß ich gedacht hätte.

„Nein, „alt“ habe ich nicht gedacht“, korrigierte ich mich, „…meiner betagten Frau Mutter“.

Ich bemühte das Internet:

„Spinnenbiss“, und was dort zu lesen stand, war nicht unbedingt ermunternd: Ein Bub wurde in den Fuß gebissen und jammerte. Daraufhin musste die eiternde Stelle notoperiert werden, und glücklicherweise hatte das Gift noch nicht auf den Knochen übergegriffen, denn in dem Falle hätte man wohl das ganze Bein amputieren, und den Bub mehr oder weniger verloren geben müssen. Dies zumindest las man in einem schockierenden Erfahrungsbericht.

Wachgerüttelt von dieser Schaudergeschichte fuhr ich dann tatsächlich zum Dr. Bogad nach Katzelsdorf, auch wenn ich große Angst hatte, er könne mir Blut abzapfen, und dabei käme dann „so manches“ ans Tageslicht. Dann wär´s vorerst vorbei mit meinem sorglosen Leben.

In der Praxis ging es zu wie in einem köstlichen Sketsch von Gerhard Polt.

„S´ Gott!“

„S´ Gott!“

„S´ Gott….“

Wie ein kleiner Flo hüpfte der höfliche Gruß durch die Räume.

An der Wand im Wartezimmer hing ein 12-Punkte-Plan, den der Doktor eigenhirnig ausgearbeitet hatte, und auf welchem sorgsam aufgelistet war, wie er seine Patienten in Zukunft zu behandeln gedächte.

Der letzte Punkt schien mir besonders nett und sehr persönlich:

12.) Eine liebevolle Betreuung – Lachen inklusive! liest der Wartende gerührt.

Da die beiden Bediensteten am Telefon immer zu sagen pflegen: „Broouxis Dr. Bogad und Lechner, S´ Goott!!“ hab ich gemeint, der eine Herr, der die Patienten immer persönlich ins Sprechzimmer bittet, sei womöglich der geheimnisvolle „Lechner“? Jemand, den man noch nie gesehen hat. Doch es war der Dr. Bogad selber, der sich sehr verändert hatte: Ein wenig pummelig geworden, erinnert er in seiner leicht behäbigen Ausstrahlung eher an einen harmlosen Hornisten im Orchester, der nach Feierabend gern ein Bier zwitschert, als an einen Doktoren von dessen Lippen man sich gleich die todbringende Prognose anhören muß.

Ich setzte mich nieder und wartete, und schließlich wurde auch ich aufgerufen. Eilig packte ich mein Buch zusammen, um dem Doktor keine Sekunde Zeit zu stehlen, und stürzte regelrecht kopflos ins Behandlungszimmer.

„s´Gott!“ sagten auch wir einander.

Zuerst musste der Doktor den Verband aufschneiden, den mir Rehlein am Vormittag so kunstvoll angelegt hatte.

Wenig später schaute er durch seinen Zwicker in ein sehr zerfleddertes Buch hinein, weil ich gesagt hatte, daß ich einmal vom Antibiotikum kränker geworden wäre denn je. Und so verschrieb er mir ein Mittel namens „Apis“, und entließ mich ohne großes Federlesen in die Freiheit zurück.

Ich gab die Apotheke in Erlach in den Navigatoren ein, doch es muß sich wohl um ein anderes Erlach gehandelt haben, da der Navigator gleich vier Autostunden veranschlagte.

Na, da hätte sich Rehlein wohl gewundert, wie lang ich aushäusig geblieben wäre.

Natürlich: der farblose Ort, der die gelbe Apotheke umschlingt, heißt ja mittlerweile Bad Erlach.

(11 Minuten Fahrt.) Glücklich erreichte ich die Apotheke, die allerdings geschlossen war.

Wieder daheim.

Ming, der Leptosome, saß schweigsam am Mittagstisch auf der Terrasse. Es gab Zucchini aus dem Garten und rotgetönte Hirse, und ich fabulierte meinen Lieben vor, wie der Dr. Bogad gesagt habe, mit ein, zwei Spinnenbissen wird der Körper eventuell noch fertig, doch ab dreien bricht der Kreislauf zusammen, und man stirbt einen qualvollen Tod.

Dann aber fegten wir das traurige Thema erstmal vom Tisch.

Abends besuchten wir das Ehepaar Poppinger, das mit seinem kleinen Taschendackel Jakob in einem sehr schönen Haus mitten im Walde wohnt. Gerhard & Renate, 66 und 49 Jahre alt.

Auch der Jakob freute sich sehr über den Besuch. Er kläffte zwar laut, fast keifend, wackelte dazu aber dermaßen schnell mit dem Schwanz, daß sich die ganze Hinteransicht des Hündchens in ein kleines Taktell verwandelt zu haben schien, das jemand einfach auf 208 geschaltet hat.

Ein Hirschkäfer hatte sich vor dem Jakob totgestellt.

Wir wurden in die Stube gebeten, und erzählten von unseren betrüblichen Erlebnissen in Taiwan. Von der armen Evelyn Chan, die auf einen dreisten Organisationsschwindler hereinfiel, der ihr das ganze Geld, das ihr die Sponsoren gegeben hatten, und das doch für die Künstler gedacht war, gestohlen hat.

Und damit der Schmerz über diese Schlechtigkeit nicht gar zu sehr auf der Seele brenne, versuchte ich ihn mit einem kleinen Scherz zu mildern: Daß man die traurige Geschichte über die Evelyn zu einem Singspiel verarbeiten sollte: „Die Schröpfung“.

Samstag, 4. Juli

heiß und hochsommerlich

Ming hatte bereits wie selbstverständlich im Rad der Tüchtigkeit Fuß gefasst, während ich´s mir für mich schon gar nicht mehr vorstellen konnte - so als sei ich klaftertief in einen Brunnenschacht hinabgefallen und könne daraus nicht mehr emportauchen. Das Wohlbehagen im Bett ist einfach zu groß: Man ist leicht wie eine Feder, und der Alltag kann mit der Nacht nicht konkurrieren. Ein Glück nur, daß oben kein Vater aus dem Holze eines Herrn Andreas auf mich wartete.

„Wir sind hier kein Groun-Hotel!“ würde der mich anpflaumen, weil ich meiner Mutter zur Hand zu gehen hätte.

Ich spannte meinen Wecker erstmal auf 45 Minuten wie in der Schule – verbuchte es allerdings bereits als Arbeit, daß ich mich überhaupt erhob und ankleidete, und hernach versuchte ich dann doch im Sinne von Herrn Andreas, Rehlein in der Küche im Rahmen meiner Möglichkeiten zur Hand zu gehen. Rehlein kommentierte angstvoll jeden meiner Handgriffe, so daß eine normale Tochter vielleicht aufgeschäumt wäre, doch mein Plan sah es vor, innerhalb dieser 45 Minuten wie ein Engel durchs Leben zu schweben.

Ich kaufte meine Globuli, und der Kauf in den man ja eine gewisse Hoffnug setzt, zappelte in einer Papiertüte.

Es heißt ja, daß sich das Leiden, dessen man Herr zu werden trachtet, durch die Globuli ersteinmal verschlimmere: Es könne also sein, daß mein entzündeter Arm zunächst kochend heiß wird. Er fängt an zu glühen, und es dampft durch meinen Ärmel.

Der Herwig tat dem mitfühlenden Rehlein so leid, weil er ihr gestern so geknickt und gebeugt erschienen war, und außerdem sei er unlängst mehrere Tage lang im Spital gelegen.

„Eine ekelhafte Darmgeschichte!“ hatte er am Telefon niedergeschlagen zu berichten gewusst, und dies schnitt nun auch mir ins Herz.

Mittags bemutmaßte ich Rehlein damit, wie jene andere Tochter, auf die ich hi und da die Rede schwenke, wohl geworden wäre? Jene Tochter, die der Storch den Eheleuten König an meiner Statt, jedoch zu einem klüger gewählten Zeitpunkt, wohl auch hätte gebracht haben können, wenn die Uroma damals nicht zum Friedhof gewackelt wäre, und ich in großem juvenilem Unverstand einfach in ihrem Zimmer gezeugt worden bin?

Sie raucht lange Eve-Cigaretten wie Renate P. und sagt vielleicht: „Das ist für mich ein Stück Lebensqualität, und die laß ich mir auch von Dir nicht vermiesen, Mutti!“

Buz schaute gebannt das Tennisfinale von Wimbledon, welches heuer von den Schwestern Serena und Venus Williams bestritten wurde, und es hieß, sie spielten beide ganz genau gleich gut. Grad so wie das Klavierduo Güher und Süher Pekinel, wo selbst Fachleute keinen Unterschied in der Qualität der beiden Schwestern herauszuhören vermögen.

Sonntag, 5. Juli

bis auf ein Gewitter mit Starkregen zur Mittagsstund, meist sonnig

In „arte“ wurde ein Film über Mendelssohn-Bartholdy gesendet, und der Musikfreund erfuhr allerlei:

Z.B., daß sich der Komponist in Berlin leider nicht wohl gefühlt habe. Seine Briefe verstand er so außerordentlich dichterisch zu formulieren, daß man seine Bibliothek damit füllen möchte.

Es spielte ein steifer asiatischer Pianist mit Hornbrille poetische Lieder ohne Worte.

„Das gefällt vielleicht dem Kämmerling*?“ spöttelte Rehlein, da Rehlein eine leidenschaftliche und vehemente Kämmerlingsgegnerin ist.

*Ein Scharlatan der Klavierpädagogik.

Ein Geiger hob seine Violine aus dem Kasten, und an den rötlich-braunen Härchen auf seinem Handrücken erkannte ich Daniel Hope.

Daniel H. spricht wunderbar deutsch, und ich finde ihn sehr ansprechend. Er bettete sein Kinn auf die Violine und spielte eine Phrase aus Mendelssohns Violinkonzert in der Urfassung, die uns bislang gänzlich unbekannt war, und es klang in Etwa so, wie der selbstbewusste Lauf von der tiefen Saite in die Höh, wo die Luft vielleicht etwas dünn wird, den der Wembo Buzen neulich förmlich um die Ohren gestäubt hat.

„Geniert er sich nicht?“ frug Rehlein angesichts der Nacktheit und Blöße des Laufes. Doch das „Lied ohne Worte“, das sich der kleinen Tonkanonade anschmiegte, gefiel Rehlein denn doch.

Nach dem Frühstück übten Ming & ich oben die Fauré-Sonate, und Rehlein hatte meine Bitte ernst genommen, uns ein wenig zu unterrichten, da Rehleins reichhaltige künstlerische und hinzu unerschöpflich scheinende Erfahrung, dem Werk nur dienlich sein könne.

Nach einer Weile kam das interessierte Rehlein somit herbei, und das Spielgefühl war sofort gänzlich anders. Wenn ich allein üb´, geht’s allemal so gut, nun aber fühlte ich kritische Aug- und Ohren auf mir und meinen Bemühungen lasten.

Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen das Gefühl, mich nun anders zu fühlen und versuchte, mich mit Leidenschaft und Hingabe in der Spur des Musikstroms über Wasser zu halten.

Gottlob gefiel Rehlein unser Spiel, und es hätte ja weiß Gott anders kommen können: „Das müsst ihr aber noch üben! Füfüüüüju! (In gesunder Skepsis und mit wohlausgewogenem Bogen durch Zähne und Lippen gepfiffen.) Da hätt´ ich Einiges dazu zu sagen!“

Doch nun empfand ich das süße Rehlein als so anregend. Zu meiner unbändigen Freude sagte Rehlein, daß sie davon richtig Lust bekäme, nach Aurich zum „Musikalischen Sommer“ zu reisen. .

Einmal rutschte Rehlein hindess vom Pfad der Pädagogik ab und meinte, daß man vor dem Fenster dringend einen Balken anbringen müsse, da sich dort jemand hinauslehnen und in die Tiefe plumsen könne.

Ming machte gleich stirnfurcherisch abwiegelnde Worte, doch Rehlein denkt doch dabei in erster Linie an Mings Kinder, auch wenn es die zur Stund noch gar nicht gibt. Mings Kinder habe ich heimlich schon benannt: Karl-Friedrich und Renate, (wie die Kinder vom Kempowski) und die werden ja womöglich so wie Buz und ich, so daß die Sorge, daß die aus dem Fenster fallen könnten, durchaus ihre Berechtigung hat.

Ming trug ein Hemd mit einer kleinen aufgestickten Windmühle drauf, und davon musste ich an den Ashkenazy* denken, der ja morgen Geburtstag hat, und hinzu eine Schwäche für Windmühlen habe.