Ein Dandy in Nöten - Sophia Farago - E-Book
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Ein Dandy in Nöten E-Book

Sophia Farago

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Beschreibung

Nicolas Barnett hat alles, was sich ein junger Adeliger im Jahr 1821 wünschen kann: ein außergewöhnlich gutes Aussehen, einen modebewussten Schneider, eine Wohnung im vornehmen Londoner Stadtteil Mayfair, einen Freund, der alle seine Späße mitmacht und einen großzügigen Vormund, der diese finanziert. So verbringt er, nach Abschluss des Studiums in Cambridge, seine Tage mit Pferderennen, die Abende mit Brandy am Spieltisch und die Nächte in den Betten diverser Schauspielerinnen. Als er jedoch zur spät zur Krönung Georgs IV erscheint, reißt seinem Vormund die Geduld. Er streicht alle finanziellen Zuwendungen und Nicolas beschließt zu seinem Bruder Bertram nach Preußen zu reisen. Um die Überfahrt zu finanzieren nimmt er in Dover eine Stelle bei John Sanders an, der mit Überseehandel zu großem Reichtum gekommen war. Dieser stellt ihn als Schreiber in seinem Kontor ein, in dem seine Tochter Claire die Buchführung erledigt. Nicolas und Claire verlieben sich ineinander. Doch ist eine Kaufmannstochter gut genug für den Bruder eines Viscounts? Und ist er, arm wie eine Kirchenmaus, überhaupt gut genug für sie?

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Kurzbeschreibung:

Nicolas Barnett hat alles, was sich ein junger Adeliger im Jahr 1821 wünschen kann: ein außergewöhnlich gutes Aussehen, einen modebewussten Schneider, eine Wohnung im vornehmen Londoner Stadtteil Mayfair, einen Freund, der alle seine Späße mitmacht und einen großzügigen Vormund, der diese finanziert. So verbringt er, nach Abschluss des Studiums in Cambridge, seine Tage mit Pferderennen, die Abende mit Brandy am Spieltisch und die Nächte in den Betten diverser Schauspielerinnen. Als er jedoch zur spät zur Krönung Georgs IV erscheint, reißt seinem Vormund die Geduld. Er streicht alle finanziellen Zuwendungen und Nicolas beschließt zu seinem Bruder Bertram nach Preußen zu reisen. Um die Überfahrt zu finanzieren nimmt er in Dover eine Stelle bei John Sanders an, der mit Überseehandel zu großem Reichtum gekommen war. Dieser stellt ihn als Schreiber in seinem Kontor ein, in dem seine Tochter Claire die Buchführung erledigt. Nicolas und Claire verlieben sich ineinander. Doch ist eine Kaufmannstochter gut genug für den Bruder eines Viscounts? Und ist er, arm wie eine Kirchenmaus, überhaupt gut genug für sie?

Sophia Farago

Ein Dandy in Nöten

Die Lancroft Abbey Reihe 5

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Sophia Farago

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Agency GmbH, München.

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designonicom, München

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-777-6

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Jeder Band der Lancroft Abbey Reihe ist in sich abgeschlossen und macht auch allein Freude. Dennoch empfehlen wir, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen und mit „Der Heiratsplan“ zu beginnen.

Die Familiengeschichte von Lancroft Abbey und eine Liste der wichtigsten Personen und Begriffe finden sich im Anhang.

Prolog

Für meine lieben Leserinnen und Leser, die die Familie Barnett noch nicht kennen:

Als George Barnett, der siebte Viscount Panswick, im Jahre 1810 an einem heimtückischen Fieber verstarb, hinterließ er seine tatkräftige Witwe Louise, fünf Kinder, den Landsitz Lancroft Abbey in Kent und einen Berg von Schulden.

Nach dem Trauerjahr fasste die Viscountess einen riskanten Heiratsplan: Ihre zweitälteste, weil in ihren Augen schönste Tochter Penelope sollte, ausgestattet mit dem letzten Geld, eine Saison in London verbringen, um dort den reichen Ehemann zu finden, der bereit wäre, Familie und Landsitz vor dem finanziellen Ruin zu retten. Leider verliebte sich Penelope in einen vollkommen unpassenden Gentleman. Als aber schließlich die älteste Tochter Frederica den reichen Earl of Derryhill heiratete, waren die finanziellen Sorgen vergessen, Penelope konnte sich weiter um die geliebten Schafe kümmern, brauchte keine Verlobung wider Willen einzugehen und das Leben bewies anschaulich, dass sich so mancher Unpassende bei näherem Hinsehen durchaus als der Richtige entpuppen konnte. Die dritte Barnett-Schwester Vivian, die stürmische Braut, fand in London nicht nur einen Ehemann, sondern auch die verschwundene Cousine Agatha wieder, die schließlich den jungen Viscount Panswick Bertram und dessen Dienstherrn, den Duke of Landmark, nach Österreich begleitete. Während Agatha und der Duke Küsse am Wiener Kongress tauschten, hatte Bertram Pech in der Liebe und zog nach Berlin weiter. Unterdessen verbrachte Nicolas, das jüngste der Geschwister Barnett, ein sorgenfreies Leben in Eton und Cambridge.

Kapitel 1

CambridgeDezember 1820

„Was ich Ihnen nun zu sagen habe, Mr Barnett, ist von allerhöchster Wichtigkeit.“ Der Rektor der ehrenwerten Universität von Cambridge blickte über den Rand seines Zwickers zu dem jungen Mann auf, der regungslos vor seinem wuchtigen Schreibtisch stand. Es ärgerte ihn, dass dieser mit gleichbleibend freundlicher Miene die Wappen auf der holzvertäfelten Wand musterte, gerade so, als würde ihn diese Unterredung nicht im Mindesten betreffen. Dabei hatte er ihm doch absichtlich keinen Platz angeboten, um ihm den Ernst der Lage deutlich vor Augen zu führen.

„Natürlich haben schon viele junge Männer hierorts ihr Studium absolviert, die sich rühmen konnten, über einen wachen Verstand und herausragende Geisteskraft zu verfügen. Nicht ohne Grund zählt unsere Universität zu den besten des Königreichs, nein, ich wage zu behaupten, sie ist die beste. Doch noch selten hat ein Absolvent uns verlassen, der für seine hervorragenden Zensuren so wenig Einsatz hatte zeigen müssen wie Sie. Sie sind über den Durchschnitt hinaus intelligent, Mr Barnett, das wissen Sie selbst. Leider, wie ich hinzufügen muss. Ihre rhetorischen Fähigkeiten sind herausragend, auch wenn Sie damit in den letzten Jahren so manchem Professor das Leben schwergemacht haben. Aus Ihnen könnte Großes werden, wenn Sie es denn wollten. Suchen Sie sich eine sinnvolle Aufgabe, die Sie erfüllt. Die Sie fordert, Barnett, etwas, das das Beste in Ihnen zum Vorschein bringt.“

Er verstummte, sah abwartend zu dem jungen Mann hinauf und hoffte auf irgendeine Reaktion, vorzugsweise dessen Beteuerung, dass er bereit wäre, sich dem Ratschlag zu beugen. Doch Nicolas Barnett hatte nur kaum merklich die Augenbrauen gehoben und entfernte nun ein imaginäres Staubkorn vom Ärmel seines graublauen Jacketts. Eitler Geck, dachte der Rektor abschätzig und bemerkte selbst, wie verbittert er darüber war, dass es ihm nie gelingen würde, sein Halstuch in einem derart akkuraten Faltenwurf zu binden, wie es der Dandy vor ihm vermochte.

„Sie vergeuden die Ihnen von Gott gegebenen Talente, junger Mann“, stieß er hervor, um noch eins draufzulegen, „und zeigen einen erschreckenden Hang zu Leichtsinn und für einen Mann Ihres Standes völlig unpassenden Schabernack. Nehmen Sie wirklich an, es wäre dem Kollegium nicht aufgefallen, dass Sie Ihre freie Zeit lieber mit irgendwelchen …“, der Rektor suchte einige Augenblicke nach dem passenden Wort, bevor er es mit einer fahrigen Handbewegung fand, „Tändeleien vertrödeln, statt sich in das Studium philosophischer Schriften zu vertiefen? Besinnen Sie sich endlich Ihrer Talente, Barnett. Kommen Sie Ihren Pflichten nach.“

Er warf einen weiteren kritischen Blick zu dem so Ermahnten hinauf, sah die ebenmäßigen Gesichtszüge, die wachen blauen Augen, die dichten blonden Locken und konnte es sich einfach nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Verlassen Sie sich besser nicht auf Ihre Schönheit, denn wisse, Schönheit ist vergänglich.“

Das Lächeln des jungen Mannes war die ganze Zeit gleichbleibend freundlich geblieben. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, er sei taub und habe nicht ein Wort der mahnenden Tirade gehört. Allein die Hände, die die Schriftrolle umfassten, die man ihm als Zeichen seines erfolgreichen Studienabschlusses verliehen hatte, zeigten eine andere Sprache. Sie waren weiß geworden, so fest krallten sich die Finger jetzt um das Papier.

„Nun“, forderte der Rektor ungeduldig, „was haben Sie zu meinen Worten zu sagen?“

Nicolas Barnetts Lächeln vertiefte sich und in den Mundwinkeln zeigte sich ein Anflug von Spott: „Sie finden mich tatsächlich schön, Eure Magnifizenz?“, fragte er dann und verneigte sich leicht. „Haben Sie vielen Dank, das ehrt mich sehr.“

Es war in der Vergangenheit noch nicht oft vorgekommen, dass der Rektor der altehrwürdigen Universität die Contenance verloren hatte, doch in diesem Augenblick war es so weit.

„Scheren Sie sich zum Teufel!“, brüllte er, und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte dem Dandy das schwere Lateinwörterbuch an den Kopf geworfen, das stets griffbereit auf seinem Schreibtisch lag.

Kapitel 2

LondonApril 1821

Die schweren Samtvorhänge waren zugezogen. Unzählige Kerzen erhellten das Hinterzimmer des Black Swan und sorgten gleichzeitig für eine derart große Hitze, dass die jungen Damen ihre Fächer munter zum Einsatz brachten, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Der Duft ihrer schweren Parfums benebelte die Sinne aller Anwesenden und wurde vom großzügig ausgeschenkten Alkohol dabei auf das Erfreulichste unterstützt. Nur einer trübte noch die ausgelassene Stimmung.

„… und so hebe ich denn das Glas …“ Zur Erleichterung aller schien jedoch der ehrenwerte Marcus Farrensby nun endlich am Ende seiner Rede angelangt zu sein. Er griff zum Weinkelch und wandte sich dem Geburtstagskind zu. „Auf Nicolas Barnett, den besten Freund, den sich ein Mann nur wünschen kann. Alles erdenklich Gute zu deinem dreiundzwanzigsten Wiegenfest. Du bist nicht nur …“

Was auch immer er noch hatte sagen wollen, ging in lauten Jubelrufen der anderen Gäste unter. Gläser klangen. Alle stürzten sich auf Nicolas, um zu gratulieren und ihm ihre Glückwünsche vorzutragen. Stimmen schwirrten durcheinander, unterbrochen von manch glockenhellem Lachen. Während sich der Gefeierte mit Vergnügen den vielen Umarmungen und dem zahlreichen Schulterklopfen hingab, stellte sich Marcus, wie gewohnt, an den Rand des Gastraums und beobachtete das Schauspiel, das sich ihm bot. Er mochte Nik, seit er ihn mit dreizehn Jahren das erste Mal gesehen hatte. Marcus genoss seine Gesellschaft, liebte die tiefschürfenden Unterhaltungen, die er mit ihm allerdings nur dann führen konnte, wenn sie unter vier Augen waren. Er dankte ihm dafür, dass er ihn, den ernsten Freund, zu Veranstaltungen mitschleppte und ihn dadurch immer wieder vom Studium der Bibel und anderer religiöser Schriften loseiste, in die er sich sonst vergraben hätte. Ohne Nik wäre er nie im Leben auf die Idee gekommen, ausgelassene Feierlichkeiten wie diese hier zu besuchen, auf denen sich Männer der besten Gesellschaft betranken, ihre guten Manieren vergaßen und zu allerlei derben Späßen aufgelegt waren. Und auf denen die jungen Schauspielerinnen, die man wie so oft nach der Vorstellung vom Drury Lane Theater abgeholt hatte, ihre Fesseln entblößten und Einblicke in Dekolletés gewährten, die seine Mutter nie zu Gesicht bekommen durfte. Ganz zu schweigen von der Freigiebigkeit der jungen Frauen, was das Küssen betraf und wohl noch so manch anderes, was wiederum er selbst gar nicht so genau wissen wollte. Marcus fuhr sich mit zwei Fingern in den Kragen, der ihm plötzlich eng geworden war.

„Sie haben sehr schön gesprochen“, meldete sich da unvermittelt eine weibliche Stimme neben ihm zu Wort. „Etwas zu lang vielleicht, aber sehr schön.“

Eine zarte Hand legte sich auf seinen Unterarm, und zwei dunkle Augen blickten neugierig zu ihm empor: „Ich bin die Henriette, aber Sie dürfen Hetty zu mir sagen, so wie alle meine Freunde.“

Farrensby spürte nur zu deutlich die Wärme der Hand an seinem Arm. Er verbeugte sich. „Es ist mir eine Ehre. Ich bedaure, dass wir einander noch nicht vorgestellt wurden, Hett … Miss Henriette.“

Ein perlendes Gekicher war die Antwort: „Seien Sie doch nicht so steif, Sir. Wer sollte uns denn miteinander bekannt machen? Es sind doch alle viel zu beschäftigt.“ Sie kicherte abermals und wies mit einer unbestimmten Geste zu den anderen Mädchen, die mit den anwesenden jungen Herren plauderten und an ihren Gläsern nippten. Manche Gäste hatten sich bereits paarweise auf den braunen Samtsofas niedergelassen, um sich Frivolitäten in die Ohren zu flüstern und die ersten Küsse zu tauschen.

„Darf ich nun auch erfahren, wer Sie sind, Sir?“ Hetty wandte sich wieder an ihn. „Sie haben so eine beruhigende Art zu sprechen. Und erst die salbungsvollen Worte, die Sie für unseren lieben Nik gefunden haben. Sind Sie vielleicht ein Pfaffe oder irgend so etwas?“

Der junge Mann seufzte. „Ich wollte, ich wäre es.“

„Das müssen Sie mir unbedingt näher erklären.“ Hetty zog ihn mit sich zu einem der letzten noch freien Diwane. „Besorgen Sie mir etwas zu trinken? Ein Glas Perlwein wäre mir jetzt angenehm.“

Marcus gab dem Diener ein Zeichen, der sofort diensteifrig herbeisprang, sich verneigte und Hetty das mit Gläsern gefüllte Silbertablett entgegenhielt. Diese griff zu und nahm freudig den ersten tiefen Schluck. „Hui, das kitzelt aber in der Nase.“ Sie ließ abermals ein perlendes Kichern hören.

Diesmal beachtete Marcus sie nicht. Sein Blick war quer durch den Raum an seinem Freund hängen geblieben. Dieser sah von ihm zu Hetty und wieder zurück und verzog dann die Lippen zu einem anerkennenden Grinsen. Farrensby war schon auf dem Sprung, zu ihm hinüberzugehen, um ihm zu versichern, dass er einem Irrtum erlegen war und er nicht daran dachte, sich dem frivolen Treiben anzuschließen. Doch Nik hatte sich wieder abgewandt und mit dem Ausruf: „Na, dann wollen wir doch wieder einmal meine Talente vergeuden!“ Elli, die rothaarige Schauspielerin neben sich, in die Arme gerissen und begann sie nun so innig zu küssen, dass Marcus die beiden keinesfalls stören wollte.

„Was hat Nik da gerufen?“, brachte sich Hetty in Erinnerung.

„Nicht der Rede wert“, antwortete Marcus, ohne sich ihr zuzuwenden. Für einen kurzen Augenblick flammte noch einmal der Ärger in ihm auf, den er empfunden hatte, als Nicolas ihm von seiner Unterredung mit dem Rektor erzählt hatte. Wie war der Mann bloß dazu gekommen, seinen Freund zu verdammen? Er kannte ihn doch gar nicht gut genug, um sich ein Urteil bilden oder gar den Stab über ihn brechen zu können. Marcus seufzte. Der Abschluss des Studiums lag nun schon fast ein halbes Jahr zurück. Seither schien es, als würde Nik mit jedem Tag ein wenig mehr dem Bildnis gleichen wollen, das der Rektor damals von ihm gezeichnet hatte.

„Warum sind Sie denn kein Pfarrer, wenn Sie doch gern einer wären?“, unterbrach Hetty abermals seine Gedanken.

Marcus seufzte wieder. „Ich bin der Erbe eines Earls“, sagte er düster.

„Ah, und wenn man das ist, darf man kein Pfarrer werden, oder wie? Das wusste ich nicht. Elli …“, rief sie zu ihrer Freundin hinüber, die noch immer, im wahrsten Sinn des Wortes, an den Lippen von Nicolas Barnett hing. „Hast du gewusst, dass ein Erbe …“

Marcus beeilte sich, sie zu unterbrechen. „Natürlich dürfte man das. Theoretisch. Aber nicht, wenn man meine Mutter als Mutter hat. Sie meint, als Erbe des Earls of Derryhill sei es meine Pflicht …“

„Derryhill?“, wiederholte Hetty und bekam große Augen. „Ist das der, von dem man sagt, er gehöre zu den reichsten Männern des Landes?“ Sie rückte an Marcus heran und legte ihm den Arm um die Taille, als sie zu ihm hinauflächelte: „Und den werden Sie einmal beerben? Also da wüsste ich wahrlich Schlimmeres!“ Sie kicherte wieder und überlegte dann: „Ist der nicht auch irgendwie mit Nicolas verwandt?“

„Der Earl ist mein Onkel und gleichzeitig auch der Gatte von Frederica, Niks ältester Schwester“, erklärte Marcus und versuchte von der jungen Frau wegzurücken, doch sie hatte ihn fest im Griff.

„Von seiner Schwester? Hat die denn so einen alten Mann geheiratet, dass man schon ans Erben denken darf … äh … muss?“

„Er ist Anfang vierzig, also noch kein Greis“, informierte sie Marcus. „Allerdings hat ihm seine Gemahlin bisher nur drei Töchter geboren, sodass die Aussicht, dass sie ihm auch noch einen Sohn schenken wird, sehr gering ist. Zumindest wenn man meiner Mutter glaubt.“

„Ach, wirklich?“, sagte die junge Schauspielerin und strahlte nun umso inniger zu ihm hinauf. Sie wäre offensichtlich gern noch näher gerückt, aber dann hätte sie sich bereits auf seine Knie setzen müssen, und das erschien ihr dann wohl doch zu gewagt. Ganz im Gegensatz zu Elli, die Nicolas Barnett längst erklommen hatte, nun mit gespreizten Beinen auf seinem Schoß saß und sich noch leidenschaftlicher von ihm küssen ließ.

„Frederica ist wieder schwanger“, erfuhr Hetty da, und ihr nächstes „Wirklich?“ klang längst nicht mehr so erfreut.

Marcus nickte energisch. „Ja, wirklich. Ich hoffe, ich habe diesmal Glück und es wird ein Junge.“

Kapitel 3

Lancroft Abbey, KentJuli 1821

Louise Barnett, die Viscountess Panswick, hatte die dünnen Stores ein wenig zur Seite geschoben und blickte gedankenverloren aus einem der hohen Wohnzimmerfenster. Der liebe Gott hat einen seltsamen Humor, dachte sie nicht zum ersten Mal. Auf der Wiese vor dem Haus versuchten die drei kleinen Mädchen ihrer ältesten Tochter Frederica mit ihrer Nanny Kränze aus Gänseblümchen zu flechten, während die beiden Buben ihrer Zweitältesten Penelope rund um sie Fangen spielten und immer wieder dafür sorgten, dass die eine oder die andere zu weinen oder zu kreischen begann. Natürlich war es gut, dass Penelope einem Erben das Leben geschenkt hatte, der dereinst ihr kleines Landhaus White Rose Place bekommen würde, aber da es kein Familienerbgut war, hätte sie es gut und gern auch einer Tochter vermachen können. Derryhill, Fredericas Gatte hingegen, brauchte ganz dringend einen Sohn. Es ging schließlich um den Titel eines Earls, um einen weitläufigen Landsitz, ein Stadtpalais in London und ein enormes Vermögen. Nicht auszudenken, wenn dies alles dereinst an den Nachkommen seines Cousins fallen würde, während Frederica und die Mädchen leer ausgingen. Nichts gegen den Cousin, den jungen Marcus Farrensby. Er schien ein pflichtbewusster, gottesfürchtiger Mann zu sein, was man von seinem besten Freund, ihrem eigenen Sohn Nicolas, nicht immer behaupten konnte. Aber Marcus’ Mutter! Die Derryhills nannten sie nicht umsonst das schreckliche Weib. Nein, sie durfte das Zepter über Derryhills Vermögen keinesfalls in die Hand bekommen.

Die Lautstärke des Geschreis vor ihrem Fenster hatte zugenommen und riss Ihre Ladyschaft aus den Gedanken. Ah, sieh an, die Gentlemen waren vom Fischen zurückgekehrt. Sie übergaben soeben die beiden Angelruten und die gefüllten Blecheimer einem der herbeigeeilten Diener, und schon waren sie von ihren Kindern umringt, die an ihren Kniebundhosen oder Ärmelaufschlägen zupften und hochgenommen werden wollten. Während sich Henry Bernhard Markfield lachend am Fangenspiel seiner Söhne beteiligte, wirbelte Derryhill gut gelaunt eine Tochter nach der anderen durch die Luft, was das Gekreische der Kleinen noch weiter verstärkte. Die Viscountess runzelte die Stirn. Seltsame Sitten waren dabei, Platz zu greifen. Ihrem verstorbenen Gatten wäre es nicht im Traum eingefallen, sich mit seinem Nachwuchs abzugeben, solange er noch kurze Hosen trug. Von ihrem eigenen Papa ganz zu schweigen. Doch sie wollte nicht allzu streng urteilen. Ihre Schwiegersöhne waren großartige Menschen, die nicht nur ihre Frauen und Kinder aufrichtig liebten, sondern eine Bereicherung für die gesamte Familie darstellten. Außerdem konnte sie Derryhill nicht genug dafür danken, dass er Frederica keine Vorwürfe darüber machte, dass sie es bisher noch nicht geschafft hatte, einem Sohn das Leben zu schenken. Aber vielleicht war ihnen das Glück ja diesmal hold und …

„Ich wollte dich nur darüber informieren, dass die Hebamme gegangen ist, Mama“, meldete sich Penelope von der Wohnzimmertür her. „Ich werde Frederica herunterholen, damit sie sich wieder hier aufs Sofa legen kann. Wir wissen doch, wie sehr sie es liebt, trotz ihres delikaten Zustands im Mittelpunkt des Geschehens zu sein.“ Sie hatte sich bereits wieder abgewandt, als sie es sich anders überlegte und noch einmal ihren Kopf durch den Türspalt steckte: „Es wird Derryhill nicht behagen, dass ihn seine Gemahlin nicht zur Krönung begleiten kann. Die Hebamme hat Freddy dringend davon abgeraten, sich den Strapazen einer so weiten Reise zu unterziehen. Sie meinte, bereits die Fahrt hierher sei ein zu großes Risiko gewesen.“

Um Himmels willen, die Krönung, fuhr es der Viscountess durch den Kopf, bevor sie ihrer Tochter zunickte, die sich daraufhin zurückzog. Blieb ihr denn gar nichts erspart? Sie hasste London. Sie hasste es, zu verreisen. Sie verabscheute den künftigen König Georg IV. aus tiefstem Herzen. Wie hätte sie als pflichtbewusste, hart arbeitende, sittenstrenge Lady auch einen Mann gutheißen können, der das Geld, das ihm das Parlament immer wieder gewährte, mit beiden Händen aus dem Fenster warf? Nicht, dass sie seine Gemahlin, die grobschlächtige Frau aus Braunschweig, weniger verachtete, aber das Scheidungsverfahren, in das er sie gezwungen hatte, war eine Schande für das gesamte Königreich gewesen. Wie konnte er sich nur öffentlich darüber mokieren, dass sie hässlich war, wenn er doch aufgrund seiner Leibesfülle selbst in kaum eine Kutsche mehr passte? Mit Schrecken erinnerte sie sich an ein Dinner im Carleton House, an dem sie mit ihrem Gatten, Gott habe ihn selig, einst teilgenommen hatte. Es war heiß und unerträglich stickig gewesen und der Abend hatte sich über Gebühr in die Länge gezogen, da der Prinzregent nicht weniger als hundertundsechzig verschiedene Gerichte auftragen ließ. Kein Wunder, dass sich Karikaturisten darin überboten, seine schwammige Körperfülle zum Anlass für allerhand triefenden Spott zu nehmen.

Die Viscountess verließ ihren Platz am Fenster, um zu ihrem Schreibtisch zurückzukehren. Sie musste unbedingt die Abrechnungen des Butlers kontrollieren, bevor sie nach London aufbrachen. Aber noch ließen sie die Bilder vom damaligen Abendempfang nicht los. Der Prinzregent hatte seine Leibesfülle in eine geradezu absurde, selbst entworfene Uniform gesteckt. Es hieß, dass er sich auch die Kleidung, die er bei der Krönung tragen würde, selbst ausgedacht und dafür ein Vermögen ausgegeben habe. Bei diesem Gedanken schnaufte Lady Panswick unwillig auf. Selbstverständlich würde sie trotz all ihrer Abscheu an diesen sicherlich pompösen Feierlichkeiten teilnehmen und dafür das erste Mal seit mehr als zehn Jahren in die Hauptstadt reisen. Sie war eine Viscountess, sie drückte sich nicht vor den Pflichten, die mit diesem Rang einhergingen, mochte es ihrem Herzen noch so widerstreben. Im Stillen beneidete sie Cassandra, die Mutter ihres geliebten ältesten Schwiegersohns, um ihre schlimme Erkältung, die sie daran hindern würde, den ihr zustehenden Platz als Dowager Countess in der Westminster Abbey einzunehmen. Georg IV. duldete keine verkühlten oder kranken Personen in seiner Nähe, da er aufgrund seiner zarten Konstitution in ständiger Angst lebte, sich anzustecken. Was für ein unmännlicher Patron, dachte die Viscountess voller Verachtung, schlug das ledergebundene Buch vor sich auf und griff zu ihrer Brille, um sich in die Abrechnungen zu vertiefen.

Kapitel 4

Dover, KentJuli 1821

Zur selben Stunde, als sich die Viscountess Panswick wieder einmal bewusst wurde, wie sehr sie es hasste, nach London zu reisen, um sich der strapaziösen und langwierigen Zeremonie einer Krönung auszusetzen, vertrat eine andere Frau, kaum sechzig Meilen weiter westlich von Lancroft Abbey, eine ganz andere Ansicht. Miss Prudence Sanders, ein lediges Fräulein von vierundfünfzig Jahren, hatte ihrem Bruder hinter der Tür zu seinem Schifffahrtskontor aufgelauert und verstellte ihm nun mit ihrem Rollstuhl den Weg ins Innere. Sie war wie immer ganz in Schwarz gekleidet. Eine riesige Haube ohne jeden Zierrat thronte auf ihren dünnen, streng zurückgekämmten und am Hinterkopf zu einem mageren Dutt zusammengefassten Haaren. Die blassen, mit blauen Äderchen durchzogenen Wangen waren leicht gerötet.

„Wir müssen nach London, Bruder! Als gute Royalisten ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, unserem neuen Monarchen zuzujubeln. Schließlich ist er König von Gottes Gnaden und …“

„Vor allem ist er ein elender Verschwender“, unterbrach sie ihr Bruder mürrisch, „und gerade dich als alte Jungfer sollten seine Weibergeschichten abschrecken. Jetzt lass mich durch, ich habe zu arbeiten!“

Prudence dachte gar nicht daran, mit ihrem Rollstuhl zu weichen. „Es steht dir als einfachem Kaufmann nicht zu, über einen König zu urteilen“, erklärte sie großspurig, wobei die Bezeichnung einfacher Kaufmann eine Retourkutsche für seine alte Jungfer gewesen war, wie ihrem Bruder nicht entging. „Es gehört sich, dass wir bei diesem Ereignis dabei sind, wenn wir schon die Gelegenheit dazu haben.“ Sie hob energisch ihre Rechte: „Da lasse ich keinen Widerspruch aufkommen. Das hätten auch unsere Eltern, Gott sei ihrer Seele gnädig, so gewollt.“

John Sanders war ein ernster Mann mit festen Grundsätzen, der es gewöhnt war, dass sein Wort galt und es keinen gab, der sich ihm zu widersetzen wagte. Seine ältere Schwester bildete, zu seinem Leidwesen, eine Ausnahme. Er hatte dereinst von seinem Vater zwei kleine Boote und ein weitläufiges Steinhaus am Hafen geerbt. Längst hatte er dem Fischfang Good Bye gesagt und sich als Kaufmann einen Namen gemacht. Sobald er Anfang des Jahres 1812 Wind davon bekommen hatte, dass die East-India-Company das Privileg verlieren würde, die Einzigen zu sein, die Tee importieren durften, hatte er ein Frachtschiff in Auftrag gegeben. Diese Entscheidung hatte sich als goldrichtig erwiesen, hatte er doch, seit er 1813 mit dem Handel von Tee aus dem fernen Indien begonnen hatte, ein stattliches Vermögen angehäuft. Ein Vermögen, das er mit harter Arbeit in Zukunft noch weiter zu vergrößern trachtete. Für Ausflüge in die Hauptstadt gab es daher in seiner Terminplanung keinen Platz. Schon gar nicht an der Seite seiner Schwester, die ihm wieder einmal über alle Maßen auf die Nerven ging.

„Unsere Eltern sind seit dreißig Jahren tot, Prue“, sagte er daher streng. „Außerdem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Vater einen Mann gutgeheißen hätte, der, wenn man dem Dover Chronicle glauben darf, allein vierundzwanzigtausend Pfund für einen Krönungsmantel auszugeben gedenkt. Nur weil es seiner Eitelkeit dient, diesen mit etwas so Sinnlosem wie einem weißen Hermelinkragen und goldenen Sternen schmücken zu lassen …“

Mr Sanders wurde abermals von einer strikten Geste seiner älteren Schwester unterbrochen. „Ein König ist und bleibt ein König. Allwissend und unantastbar, von Gott dem Herrn ernannt, um über uns zu herrschen.“

Mr Sanders verzog unwillig das Gesicht und klopfte mit dem altmodischen schwarzen Dreispitz, den er immer noch in Händen hielt, ungeduldig gegen seine Oberschenkel. Er hasste es, vom Hafen zurückzukommen und sich mit einem für ihn uninteressanten Thema befassen zu müssen, bevor er noch die Gelegenheit gehabt hatte, Hut und Umhang abzulegen. Also fand er, genug gehört zu haben. Er drängte sich am Rollstuhl vorbei und hängte den Hut an den Haken.

„Meine Antwort ist und bleibt ein klares Nein, Schwester. Die Cloud of the Seas ist seit Tagen überfällig. Ich muss hier im Hafen sein, wenn sie ankommt.“

Da spielte Prudence Sanders noch einen weiteren Trumpf aus: „Willst du allen Ernstes Lady Wingham vor den Kopf stoßen, John? Es war so überaus freundlich von ihr, uns ihre reservierten Plätze bei der Parade zu überlassen. Sie kann sie ja nicht selbst in Anspruch nehmen, nachdem ihr Gatte vom Pferd gestürzt ist und sich beide Beine verletzt hat …“

„Ach, richtig“, die Erwähnung des wichtigsten Ehepaares im Landkreis ließ ihren Bruder kurz innehalten, bevor er, bar jeden Einfühlungsvermögens, hinzufügte: „Wenn sich der Baron schon mit seinen harmlosen Blessuren außerstande sieht, in die Hauptstadt zu reisen, wie willst du es dann anstellen? Du sitzt im Rollstuhl, es gibt nichts, wozu du dich allein in der Lage siehst. Verlangst du etwa allen Ernstes, dass ich nur deshalb als dein Begleiter mitkomme, um dich durch die Gegend zu schieben? Und hier meine bedeutend wichtigeren Pflichten vernachlässige?“

Seine Tochter Claire, die wie meist an ihrem Schreibtisch vor dem Fenster saß, schnappte erschrocken nach Luft, sagte jedoch keinen Ton. Das war nichts, was den anderen aufgefallen wäre, denn Claire sprach so gut wie nie. Wenn sie etwas gesagt hätte, dann hätte es keinen der beiden interessiert. Dabei hätte Claire allerhand zu sagen gewusst, doch da sie sich weder Ermahnungen noch Rügen oder Belehrungen einhandeln wollte, vertraute sie ihre Gedanken allein ihrem Tagebuch an.

Claires Mutter war eine junge Schneiderin aus der Normandie gewesen, die nach der Revolution allein und mit kaum Geld in der Tasche aus ihrer Heimat hatte fliehen müssen. Trotz dieses schlimmen Schicksals war sie fröhlich und unbeschwert geblieben. In Dover, der Stadt, in der sie von Bord des Schiffes gestiegen war, hatte sie eine Stelle im Schneidersalon angenommen und erfreute sich durch ihre gewinnende Art und ihren stilsicheren Geschmack bei ihren Kundinnen rasch großer Beliebtheit. Zwei Jahre später heiratete sie John Sanders, half ihm durch geschicktes Wirtschaften das Geld zu vermehren, gebar ihm eine Tochter und starb vor sieben Jahren an einem heimtückischen Fieber. Claire war damals erst vierzehn Jahre alt gewesen. Eine Woche später kam ihre Tante nach Dover, um das Kommando zu übernehmen. Das Gehen war ihr auch damals schon schwergefallen, aber noch war sie nicht an den Rollstuhl gefesselt gewesen. Prudence war kaum eine Woche hier, da war sie, ohne anzuklopfen, in Claires Zimmer geplatzt und hatte sie dabei ertappt, wie sie ihr Tagebuch hinter dem Rücken zu verstecken versuchte. Sofort hatte sie es sich geschnappt, gelesen und ihre Nichte für dieses und jenes zurechtgewiesen. Seither schrieb Claire alle Einträge auf Französisch, und die neugierige Tante hatte das Nachsehen.

Mit dem Tod seiner geliebten Gemahlin schienen auch sämtliche angenehmen Eigenschaften in John Sanders gestorben zu sein. Er vergrub sich in seine Arbeit, wurde immer wortkarger und strenger und ließ seine Schwester, die er herbeigeholt hatte, um sich um Claire und den Haushalt zu kümmern, schalten und walten, wie es ihr beliebte. Mit Prudence kamen Gottesfurcht, schwarze Kleider und Sparsamkeit ins Steinhaus am Hafen, dafür verschwanden alle Leichtigkeit und jeder Frohsinn, Lachen, Liebe und Lebenslust. Wenn man es genau nahm, dann kümmerte sich Prudence viel weniger um Claire, als Claire sich um sie kümmern musste. Das tat sie still, um nicht aufzufallen, aufmerksam aus dem Hintergrund.

In diesem hielt sie sich auch jetzt, während ihre Tante nicht lockerließ: „Ich dachte, du legst so großen Wert darauf, mit dem Baron Wingham in bestem Einvernehmen zu stehen“, keifte sie gerade. „Da kannst du ihn doch nicht vor den Kopf stoßen und die Freundlichkeit seiner Gemahlin zurückweisen, als wäre sie eine unbedeutende … äh … Dienstmagd. Hast du vergessen, dass Ihre Ladyschaft uns auch die gebuchten Zimmer während der Reise und in einem Londoner Hotel zur Verfügung stellt? Du bist es doch, der immer sagt …“

Ihr Bruder verzog die blassen Lippen zu einem Strich und griff sich kurz mit der Rechten ans Herz.

„Gut, dann fahr, in Gottes Namen. Nimm Claire mit. Aber Joseph bleibt hier, den brauche ich, wenn das Schiff entladen werden soll. Ihr müsst mit William vorliebnehmen.“

Während Prudence nickte und mit einem höchst zufriedenen Lächeln den Rollstuhl mit geübten Griffen zu drehen begann, um vom Eingang in den Raum hinein zu rollen, glaubte ihre Nichte, den Ohren nicht trauen zu können, und ließ einen erschrockenen Aufschrei hören. Sie sollte nach London reisen? Sie? Die noch nie aus Dover hinausgekommen war? Hieß es nicht immer, London sei schmutzig und gefährlich und es stinke zum Gotterbarmen? Was, wenn sie sich in all den vielen Gassen der Hauptstadt verirrte? Außerdem hatte sie nichts Passendes anzuziehen! Sie konnte doch nicht in einem ihrer schlichten schwarzen Kleider aus grobem Leinen bei einer feierlichen Krönung erscheinen. Außerdem hatte sie im Kontor viel zu viel zu tun. Wenn erst einmal das Schiff hier einträfe, dann würden sie die Abrechnungen viele Tage beschäftigen. Da sie nach den richtigen Worten suchte, war der erschrockene Aufschrei bisher das Einzige gewesen, was ihren Vater auf sie aufmerksam gemacht hatte.

„Komm mir du nicht auch noch mit Widerspruch, Tochter!“, hörte sie da auch schon seine strenge Stimme. „Ohne Anstandsdame kannst du nicht hierbleiben, und deine Tante braucht deine Hilfe, wie du sehr wohl weißt. Erinnere mich daran, dich mit dem nötigen Kleingeld auszustatten. Genieß deinen letzten Ausflug in Freiheit. Wenn die Cloud of the Seas erst einmal wieder sicher im Hafen liegt und Jason Croydon festen Boden unter den Füßen hat, dann wird geheiratet. Na, wie klingt das für dich?“

Wie das für sie klang? Schrecklich klang das. Natürlich wollte Claire eines nicht allzu fernen Tages vor den Traualtar treten, aber doch nicht mit diesem polternden, um einiges älteren Mann, der in ihr Angst und Respekt anstatt romantische Gefühle auslöste. Andererseits war er rechtschaffen und fleißig, und Papa hielt große Stücke auf ihn, also würde ihr wohl keine andere Wahl bleiben. Sie bemerkte, dass ihr Vater sie mit zusammengekniffenen Augen erwartungsvoll ansah und beeilte sich, mit einem „Wie du meinst, Papa“ zu bestätigen, dass sie ihn gehört hatte. Dann stand sie auf, um ihrer Tante vom Rollstuhl aufs Sofa zu helfen.

„Claire, koch mir Baldriantee“, forderte diese, ohne sich dafür zu bedanken. „Das Gespräch mit dem sturen Mannsbild, das sich dein Vater nennt, hat doch allzu sehr an meinen zarten Nerven gezerrt.“ Sprachs und versank in ein stilles Gebet.

Ihr Bruder schnaufte unwillig, griff zu seinem Hut und verließ erneut das Kontor.

Kapitel 5

London18. Juli 1821

Am Abend vor dem großen Ereignis versammelten sich alle Mitglieder der Familie Barnett, die der Krönung beiwohnen sollten, im Stadtpalais des Earl of Derryhill am Berkeley Square im vornehmen Stadtteil Mayfair. Alle, bis auf einen. Mr Nicolas Barnett glänzte durch Abwesenheit, und so hatte man nach einigen Minuten vergeblichen Wartens beschlossen, mit dem Dinner zu beginnen.

Auch ein Außenstehender hätte die Stimmung, die an der Tafel herrschte, kaum als angenehm bezeichnet. Der Gastgeber selbst, der den Vorsitz führte, war müde und ungewöhnlich gereizt. Wenn seine Schwiegermutter nicht endlich den Mund hielt, dann würde es nicht mehr lange dauern, und er würde seine gewohnte Gelassenheit verlieren. Seit sie gestern Morgen in die Kutsche eingestiegen war, um mit ihm von Lancroft Abbey in die Hauptstadt zu reisen, hatte sie an allem etwas auszusetzen gehabt. In ihrer gewohnten Umgebung verrichtete sie ihre Aufgaben stets, ohne zu murren, mit Tatkraft und Umsicht. Doch kaum hatte man sie aus ihrem natürlichen Umfeld herausgerissen, da benahm sie sich wie eine verwöhnte alte Countess, der keiner etwas recht machen konnte. Die Kutsche war zu groß, die Sitze zu weich, die Aufenthalte in den Poststationen zu lang, aber als er ihr zuliebe beim Pferdewechsel in Chistlehurst zum schnellen Aufbruch gedrängt hatte, wiederum zu kurz. London war viel zu laut, noch größer und monströser, als sie es in Erinnerung hatte, von Menschen geradezu überlaufen, und es stank wie die Pest. Sie hatte sich lang und breit darüber beschwert, dass ihr jüngster Sohn Nicolas an der Dinnertafel fehlte und ihr niemand die Gründe für dessen Abwesenheit hatte nennen können. In diesem Augenblick bemängelte sie gerade, dass das Gemüse, das seine Köchin als Beilage zur gegrillten Hochrippe zubereitet hatte, die Frische vermissen ließ, die sie von zu Hause gewöhnt war. Außerdem wäre es eine Unsitte, sich um diese Uhrzeit zu Tisch zu begeben, da ihr das späte Essen sicher auf den Magen schlagen würde.

„Kein Auge werde ich zutun können!“, jammerte sie und schob das Gemüse von links nach rechts über den Teller. Auf dem Land nahm man die letzte Mahlzeit des Tages gut zwei Stunden früher ein als in der Metropole, und sie hätte es vorgezogen, es hier ebenso zu halten.

„Es ist aber mein Haus und darum machen wir es so, wie es mir beliebt“, hätte sie der leidgeprüfte Earl am liebsten zurechtgewiesen. „Wenn dir das nicht passt, kannst du ja hinüber zum Grosvenor Square spazieren und die Mieter von Lancroft House fragen, ob sie dir morgen etwas zu essen geben“, hätte er am liebsten noch hinzugefügt, unterließ es aber, weil er wusste, dass Streitereien mit seiner Schwiegermutter selten zu einem für ihn erfreulichen Ergebnis führten.

Ach, Frederica, dachte er im Stillen, warum musstest du bloß auf Lancroft Abbey bleiben? Du hättest gewusst, wie man deine Mutter beruhigen und das Gespräch in erfreulichere Bahnen hätte lenken können. Seine Schwägerin Vivian, Fredericas jüngste Schwester, die junge Viscountess Badwell, die seiner Schwiegermutter gegenübersaß, wusste es ganz offensichtlich nicht.

„Ich denke, es gibt Wichtigeres, worüber wir uns echauffieren sollten, Mama, als irgendwelches Gemüse, das im Übrigen ganz ausgezeichnet schmeckt“, sagte sie in diesem Augenblick und säbelte sich seelenruhig ein Stück vom Fleisch auf ihrem Teller ab. „Könnt ihr mir zum Beispiel verraten, was es an der St. Edward’s Crown auszusetzen gegeben haben könnte, die so viele Könige vor ihm bei der Zeremonie getragen haben? Musste Seine Majestät wirklich eine neue Krone in Auftrag geben, die ganze fünfundsechzigtausend Pfund gekostet haben soll? Wisst ihr, wie vielen Mädchen mit diesem Geld geholfen werden könnte? Für diesen Betrag hätte man eine neue Schule errichten können und …“

„Soweit ich weiß“, meldete sich ihr Gatte, der Viscount Badwell zur Rechten der Schwiegermutter, zu Wort, „hat er die neue Krone zwar bei Rundell & Bridges in Auftrag gegeben, sie aber nicht gekauft. Er mietet sie vom Juwelier und zahlt jeweils ein Zehntel des Betrages pro Jahr. Also …“

„Wen interessiert denn eine dumme Krone?“, unterbrach ihn die Viscountess Panswick. „Verschone mich mit deinen hehren Ideen, sämtliche Mädchen des Landes vor dem Untergang bewahren zu wollen, Vivian. Sei froh, dankbar und glücklich, dass du einen Mann gefunden hast, der dich dabei unterstützt, ein Institut für Höhere Töchter zu führen. Das ist mehr, als du von einem Gatten erwarten konntest. Also erspare uns weitere Einzelheiten zu diesem öden Thema.“

„Ja, aber …“ Natürlich ließ sich ihre Jüngste nicht so schnell in die Schranken weisen. Doch eine strikte Handbewegung ihrer Mutter hieß sie schweigen. „Kein Wort mehr darüber, solange ich in London bin. Jetzt sollten wir uns endlich um die Feierlichkeiten kümmern. Derryhill, fass die wichtigsten Einzelheiten der morgigen Zeremonie noch einmal zusammen.“ Da fiel ihr Blick in das Gesicht ihres ältesten Schwiegersohns und sie beeilte sich, ein „Wenn du bitte die Freundlichkeit hättest!“ hinzuzufügen.

„Einen wunderschönen Abend, allerseits!“, meldete sich da eine fröhliche Stimme von der Tür her. Nicolas Barnett war eingetroffen. In einem dunkelblauen Jackett, zu langen, bisquitgelben Hosen, das Halstuch unter der eng taillierten, geblümten Weste in mathematischem Stil geknüpft, ein Bild von einem tonangebenden Londoner Stutzer.

„Ihr ergebenster Diener, Mama.“ Mit raschen Schritten war er bei seiner Mutter, um sich formvollendet über ihre Hand zu beugen, bevor er ihr mit verschmitztem Lächeln einen kleinen Kuss auf die Wange drückte. Derryhill sah das Lächeln seines Schwagers, und er bemerkte ebenso, wie sehr sich die Viscountess über die herzliche Begrüßung freute, auch wenn sie weit davon entfernt zu sein schien, dies zuzugeben.

Was für ein charmanter Dandy, ging es ihm durch den Kopf. Wider Willen musste er selbst lächeln, bevor sich seine Miene wieder verdüsterte. Mit seiner gewinnenden Art und seinem ausnehmend schönen Äußeren setzte Nik immer und überall seinen Willen durch. Auch wir, dachte er, die Mitglieder seiner engsten Familie, haben ihm in der Vergangenheit viel zu viel durchgehen lassen,und tun es immer noch.

Er war zwar nicht mehr sein Vormund, der er gewesen war, bevor Niki zu Nik geworden war, und doch musste er immer wieder für ihn in die Bresche springen. Musste Schuldscheine begleichen, die zugunsten von Schneidern, Schustern und Hutmachern ebenso ausgestellt worden waren wie zugunsten glücklicher Gewinner an diversen Spieltischen und für die Niks ohnehin großzügig bemessene Apanage nicht ausreichte. Darüber hinaus kam er immer wieder in die unangenehme Situation, aufgebrachte Ehemänner beruhigen zu müssen, deren meist um vieles jüngere Gattinnen dem hübschen Spund zu nahe gekommen zu sein schienen, und konnte nur froh darüber sein, dass sein Schwager bisher zumindest schlau genug gewesen war, keine eindeutigen Beweise seines tollkühnen Liebeslebens zu hinterlassen. Dennoch teilte er insgeheim die Befürchtungen der gehörnten Ehemänner, Nik könnte zahlreiche Schlafgemächer verheirateter Ladys von innen kennen. Und nicht zuletzt musste er wütende Wirtsleute entschädigen, wenn Nicolas und seine Freunde es wieder einmal zu arg getrieben hatten. Jedes Mal schwor er sich aufs Neue, dass das diesmal das letzte Mal gewesen war. Doch dann kam sein Schwager mit seinem offenen, gewinnenden Lächeln, seinen überzeugenden Beteuerungen, sich bessern zu wollen, brachte ihn zum Lachen und dazu, dass er ihm alle Sünden verzieh. Er würde es nie zugeben, aber Nicolas erinnerte ihn ein wenig an sich selbst. An den unbeschwerten Antony Farrensby, der er gern gewesen wäre, wenn er nicht schon als junger Mann die Würde eines Earls of Derryhill und alle damit verbundenen Pflichten hätte übernehmen müssen.

Sein Schwager hatte in der Zwischenzeit alle begrüßt und auf dem freien Stuhl neben seiner Schwester Platz genommen.

„Nie und nimmer hätte ich zu träumen gewagt, dich je in der Hauptstadt anzutreffen, Mama“, hörte er ihn jetzt sagen. „Wie schön, dass du da bist und wir einige Stunden miteinander verbringen können. – Besten Dank, das sieht ja köstlich aus.“

Der letzte Ausruf galt dem Hausdiener, der das Essen auf einer silbernen Platte für ihn bereithielt.

„Du kommst zu spät“, rügte die Viscountess, nicht bereit, diese Tatsache unerwähnt zu lassen.

„Ich weiß, Mama, und ich stehe nicht an, mich in aller Form dafür zu entschuldigen.“ Nicolas lächelte in die Runde. „Leider muss ich mich auch bald wieder verabschieden. Es war von Einzelheiten für die Krönung die Rede, als ich den Raum betreten habe. Derryhill, bitte lass dich nicht aufhalten. Ich bin auch begierig darauf, Genaueres zu erfahren.“

Mit einem Schlag richtete die Viscountess ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren ältesten Schwiegersohn. Dieser war, wider Willen, zutiefst beeindruckt. Brillant gemacht, Nik, dachte er. Sein Schwager hatte sich nicht nur weitere Rügen vom Leib gehalten, er hat seiner Mutter auch noch untergejubelt, nicht den ganzen Abend mit ihr verbringen zu wollen und elegant das Thema gewechselt. So sehr er dies auch bewunderte, so sehr ging es ihm zunehmend auf die Nerven, dass Nik mit allem und jedem ungeschoren davonkam.

„Die Prozession wird in Westminster Hall beginnen“, sagte er, ohne seine Gedanken preiszugeben, „und von dort zur Westminster Abbey führen. Ich habe mir den Prozessionsweg heute Nachmittag angesehen. Es handelt sich um einen Bretterboden, der mit einer Markise überdacht ist. Morgen will man ihn noch mit blauen Teppichen belegen. Entlang des Weges wurden Sitzplätze für begüterte Schaulustige vermietet.“

„Das betrifft uns ja nicht, oder?“, warf die Viscountess ein.

Derryhill gab ihr recht. „Nein, denn ihr werdet in der Abbey warten. Es betrifft die, die es sich zwar leisten konnten, Sitzplätze zu kaufen, die aber keine Einladung, oder sollte ich besser sagen, Vorladung für die Zeremonie in der Kirche bekommen haben. Hinter den Sitzenden wird sich das Volk drängen, das einen Blick auf Seine Majestät und die Prozession erhaschen will.“

„Das heißt, wir werden bereits vor den Menschenmassen eintreffen, reservierte Plätze in der Abbey einnehmen und dort in Ruhe warten, bis Seine Majestät mit Gefolge einlangt?“, unterbrach ihn seine Schwiegermutter abermals und rief, als er nickte, ungewohnt dramatisch aus: „Dem Himmel sei Dank! Ich hätte keine Lust, in der Prozession mitzumarschieren und mich den neugierigen Augen des Pöbels auszusetzen.“

„Das wäre ohnehin unter keinen Umständen der Fall gewesen“, konnte sich Derryhill nun nicht verkneifen zu sagen, „denn es sind ausschließlich Gentlemen im Gefolge unseres neuen Königs zugelassen …“

„Mit Ausnahme der Kräuterfrauen“, berichtigte ihn nun sein Schwager Badwell grinsend.

„Bis auf die Kräuterfrauen“, stimmte Derryhill in dieses spöttische Grinsen ein. „Sie werden den Weg mit Kräutern und Blumen bestreuen, um Prinny vor Seuchen zu schützen, die ihm vom gewöhnlichen Volk drohen, das seinen Weg säumen wird.“

„Ein Glück, dass Penelope nicht hier ist, die hätte sicher noch ein paar Kräuter beizusteuern gehabt“, teilte die Viscountess den Spott, den ihre Schwiegersöhne für dieses übervorsichtige Vorgehen des neuen Königs übrighatten.

„Ach ja, richtig“, fuhr Vivian auf, der dieser Umstand anscheinend erst jetzt aufgefallen war. „Dass Frederica aufgrund ihres delikaten Zustands nicht in London ist, verstehe ich. Aber was ist mit Penelope? Ist sie etwa auch wieder …“

„Sie ist nichts dergleichen“, unterbrach ihre Mutter streng. Schwangerschaften waren nun wirklich kein passendes Thema für ein Tischgespräch. „Die Westminster Abbey wird mit dem Hochadel bereits unangenehm voll sein. Da konnte man nicht auch noch Hinz und Kunz einladen.“

Vier Köpfe rückten wie auf Kommando herum und starrten Ihre Ladyschaft an.

„Was wollt ihr denn?“, verteidigte sich diese. „Eure Schwester hat einen simplen Mr Markfield geheiratet, da musste sie doch damit rechnen, dass ihr bei Veranstaltungen des Hochadels die Türen verschlossen bleiben.“

„Worüber sie sicherlich froh und glücklich ist“, war Vivian sofort wieder versöhnt, „denn sie hasst London ohnehin, fast noch mehr als du, Mama. Ich kenne niemand anderen, der sich nur auf dem Lande wohlfühlt, so wie Penelope.“

„Da stimme ich dir zu“, bestätigte Derryhill und nahm dann seinen ursprünglichen Faden wieder auf: „Die einzigen beiden Familienmitglieder, die an der Prozession teilnehmen dürfen, sind der Herzog of Landmark, also der Gatte eurer Cousine Agatha, und ich.“

Nur Prinzen, Herzöge und einige auserwählte Earls waren als Gefolge willkommen. Alle anderen Mitglieder des Hochadels mussten in der Kirche warten. Es konnte schließlich nicht jeder Hinz und Kunz mitmarschieren, dachte er schadenfroh, verkniff es sich jedoch, dies laut auszusprechen, schon allein Badwell zuliebe.

„Ach ja, richtig“, fiel Vivian da ein, „weil du sie gerade erwähnst, Derryhill, ich habe heute Cousine Agatha einen Besuch abgestattet. Sie lässt euch alle herzlich grüßen. Sie ist immer noch etwas geschwächt, obwohl die Zwillinge bereits beinahe drei Jahre alt sind. Die beiden Buben gedeihen prächtig. Ich verstehe, dass Landmark außer sich vor Freude ist. Nichts macht einen Mann glücklicher, als sein Erbe gesichert zu wissen.“

„Vivian!“, rief ihre Mutter entgeistert und rollte die Augen in Richtung Derryhill. Das ist wieder so typisch für meine Jüngste, dachte sie, zu reden, ohne nachzudenken. Musste sie ihrem Schwager, der sich so sehnsüchtig einen männlichen Nachkommen wünschte, auch noch Salz in die Wunde streuen?

„Apropos Landmark“, wechselte Nicolas elegant das Thema und legte das Besteck auf den Teller, zum Zeichen dafür, dass auch er die Mahlzeit beendet hatte. „Man sagte mir, er käme in den Genuss eines der Kostüme, die unser neuer König selbst entworfen hat.“

„Sie sollen an die Gewänder der Tudor-Zeit im sechzehnten Jahrhundert erinnern“, ergänzte nun Badwell seinerseits belustigt. „Der Duke wird großartig darin aussehen. Allein seine langen Beine in kurzen Pluderhosen, und dann erst das farbenprächtige Wams.“

„Du hast recht, er ist genau der Richtige für eine derart groteske Verkleidung“, stimmte Derryhill freimütig zu, und jetzt lachten sie alle. Denn sie kannten den ernsthaften, traditionsbewussten, bisweilen etwas steifen, zu arrogantem Spott neigenden Herzog und wussten, dass er seinen Auftritt im historischen Kostüm hassen würde. Derryhill war nur zu froh, dass es ihm erspart bleiben würde, einen derart unmännlichen Anblick bieten zu müssen, der für Karikaturisten mit spitzer Feder sicher ein gefundenes Fressen sein würde.

„Wenn ich daran denke, dass diese Kostüme, die ohnehin keiner tragen will, ebenfalls Unsummen verschlungen haben“, meldete sich nun wieder seine Schwägerin zu Wort, „dann werde ich richtig zornig. Man könnte mit diesem Geld …“

„Vivian“, unterbrach sie der scharfe Tonfall ihrer Mutter, „wenn ich an diesem Tisch noch einmal die Wörter arme Mädchen oder Schule höre, dann schicke ich dich auf dein Zimmer.“

Sie alle wussten, dass die Viscountess nicht die Berechtigung hatte, ihre verheiratete Tochter irgendwohin zu schicken, ganz abgesehen davon, dass diese im Haus ihres Schwagers gar kein Zimmer hatte, aber niemand hielt es für angebracht, sie darauf hinzuweisen.

„Die Krönung wird um elf Uhr beginnen, darum ist es wichtig, dass ihr mindestens eine halbe Stunde vorher in der Abbey seid, um eure Plätze einzunehmen. Es werden zwar genügend Bedienstete zur Verfügung stehen, aber dennoch wird es geraume Zeit dauern, bis jeder seine Sitzreihe gefunden hat. Für die Viscounts ist im hinteren Teil des Hauptschiffes reserviert. Ihr vier sitzt zusammen auf der Südseite. Es wird daher das Vernünftigste sein, ihr nehmt zum Hineingehen das letzte Tor auf der rechten Seite.“

„Ich danke dir, dass du es arrangieren konntest, dass mich Nicolas an Bertrams Stelle begleitet, Derryhill“, wandte sich die Viscountess ihm zu und hatte nun zum ersten Mal seit Tagen wieder ein wohlwollendes Lächeln für ihn übrig. „Ich verabscheue derartige Menschenansammlungen ohnehin, aber es wäre noch schlimmer gewesen, würde ich die weiten Wege nicht am Arm einer meiner Söhne zurücklegen können.“

Sie erhob sich zum Zeichen dafür, dass das Dinner zu Ende war und sie sich mit ihrer Tochter ins Wohnzimmer begeben würde, um die Herren dem Portwein zu überlassen. Die anderen beeilten sich, es ihr gleichzutun, und Nicolas verbeugte sich vor Mutter und Schwester und wünschte ihnen noch einen schönen Abend.

„Wie du weißt, logiere ich im Haus der Badwells am Piccadilly“, erinnerte ihn die Viscountess. „Dort erwarte ich dich um Viertel nach zehn und keinen Augenblick später, Nicolas. Haben wir uns verstanden?“

Ihr Jüngster nickte, legte sich die Hand aufs Herz und schwor, sich keine einzige Minute zu verspäten.

„Nun darf ich mich auch von euch verabschieden“, sagte Nik, als sich die beiden Ladys zurückgezogen hatten. „Danke, Derryhill, für das wie immer vorzügliche Mahl. Es freut mich, dass wir uns bereits morgen wiedersehen. Ich wünsche euch noch einen angenehmen Abend mit Mama.“ Er grinste seinen beiden Schwagern zu. „Auf mich müsst ihr leider, leider verzichten, ich werde erwartet.“

Die anderen Herren reagierten völlig unterschiedlich.

Derryhill zog die Augenbrauen hochzog und warf ihm ein „Kannst du deiner Mutter nicht wenigstens einen Abend lang Gesellschaft leisten, wenn sie schon die Strapaze auf sich genommen hat, nach London zu kommen?“ an den Kopf. Dabei fragte er sich, warum eigentlich immer er die Aufgabe hatte, die Viscountess zu unterhalten. Er sah sie bei Weitem öfter als ihre beiden Söhne. Badwell interessierte etwas ganz anderes: „Mit wem triffst du dich denn nun schon wieder, du Teufelskerl? Eine ehrenwerte Heiratskandidatin wird es wohl kaum sein, zu so später Stunde.“ Er schlug dem Jüngeren anerkennend die Faust gegen den Oberarm.

Derryhill runzelte befremdet die Stirn, bevor ihm einfiel, dass Badwell vor seiner Heirat ebenfalls ein ziemliches Lotterleben geführt hatte und vom Bett einer verheirateten Dame in das der nächsten gesprungen war. Wenn er allerdings sah, wie glücklich Vivian und er miteinander waren, dann wusste er, dass dieses Verhalten zum Glück der Vergangenheit angehörte. Offensichtlich ganz im Gegenteil zu Nicolas. Konnte dieser junge Stutzer eigentlich auch noch irgendetwas anderes, als Geld zum Fenster hinauszuwerfen, Dummheiten zu machen und sich unpassender Liebschaften zu erfreuen? Wie schon so oft zuvor dachte er, dass Nik dringend eine sinnvolle Aufgabe bräuchte. Sein Angebot, ihm ein Offizierspatent zu kaufen, hatte Nik schon vor Monaten mit den Worten abgelehnt, er wolle nicht so enden wie der arme Markfield. Den hatte der Krieg so übel zugerichtet, dass er es nur Penelopes Heilkünsten verdankte, überhaupt noch am Leben zu sein. Pfarrer wollte er ganz bestimmt auch nicht werden, es reichte ihm schon, sich die salbungsvollen Predigten anhören zu müssen, die ihm sein bester Freund in regelmäßigen Abständen hielt. Und die Marine? „Mein Magen dreht sich schon um, wenn ich ein Segelboot nur sehe“, hatte Nik gemeint und damit auch diese Idee verworfen. Was blieben da noch für Aufgaben übrig, die für den Bruder eines Viscounts passen würden? Vielleicht sollte er sich umhören, ob irgendjemand einen klugen Verwalter für seine Landgüter suchte?

„Loulou Gabani“, verkündete der junge Dandy soeben mit sichtlichem Stolz. Derryhill wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen.

„Du teilst das Lager mit dem Star des Drury Lane Theaters?“, vergewisserte er sich und konnte es nicht glauben. Er hatte die Schauspielerin vor einem halben Jahr als Katharina in DerWiderspenstigen Zähmung von Shakespeare gesehen, und sie war umjubelt worden wie keine andere. „Ist sie nicht viel zu alt für dich?“

Nicolas lachte auf. „Sie ist Ende zwanzig, also genau im richtigen Alter. Du willst doch immer, dass ich etwas dazulerne, lieber Schwager. Glaubt mir, von Loulou lerne ich so allerhand, wenn ihr versteht, was ich meine.“

Das verstand Derryhill sehr gut, hatte aber nicht die geringste Lust, die Aussage zu kommentieren und den Jungspund auch noch zu ermutigen. Ganz im Gegensatz zu seinem anderen Schwager.

„Die Gabani?“, wiederholte Badwell. „Respekt! Eine Frau von Schönheit und Format.“ Er stutzte kurz und sagte dann: „Allerdings erscheint mir eines höchst seltsam. Ich hörte, wie sich der vermaledeite Glostershire im Club rühmte, dass sie seine Mätresse sei.“

Wieder lachte Nicolas auf. „Ich wusste, dass dich das freuen würde! Wenn man bedenkt, wie übel der Alte in der Vergangenheit dir und später auch Vivian mitgespielt hat“, sagte er und klopfte seinem Schwager auf die Schulter, „dann macht mir dieses Techtelmechtel noch größeren Spaß.“

„Du schläfst also tatsächlich mit der Mätresse des Barons?“, fragte Badwell und versuchte die Erinnerung daran zu verdrängen, dass er selbst einst sogar mit dessen Frau das Bett geteilt hatte. Nichts, worauf er jetzt im Nachhinein besonders stolz war. Sein Blick war ernst geworden, und auch Derryhills Stirnrunzeln vertiefte sich. Langsam machte er sich wirklich Sorgen um den jungen Schwager. Der Baron Glostershire war ein einflussreicher Mann und seine Wutausbrüche nur allzu bekannt. Hatte es da nicht auch schon einmal ein Gerücht um ein Duell in Richmond gegeben? Er musste sich diesbezüglich vorsichtig im Club umhören.

Nicolas strahlte. „Mit eben dieser. Nun muss ich aber wirklich gehen. Ihr versteht sicher, dass man eine Frau wie Loulou nicht warten lassen darf.“

Er hob die Hand zum Zeichen des Grußes, vollführte eine elegante Verbeugung, die in einer ebensolchen Drehung mündete, und verließ schwungvollen Schrittes das Esszimmer.

Kapitel 6

Es war nicht das erste Mal, dass Nicolas Barnett den Türklopfer an der weinroten Tür in der Half Moon Street betätigte. Da das Einkommen der Diva auch als gefeierte Schauspielerin sicher nicht ausreichte, um sich ein, wenn auch schmales, Stadthaus in Londons bester Lage leisten zu können, freute er sich für sie, dass sie immer wieder reiche Gönner fand, die ihr Miete und Personal bezahlten und auch sonst dafür sorgten, dass es ihr an nichts fehlte. Er selbst hätte nicht die Mittel aufbringen können, ihr so großzügig unter die Arme zu greifen. Ein Schmuckstück hie und da, ja, das lag im Rahmen seiner Möglichkeiten. Doch monatliche Mietzahlungen, nein, die hätte er sich nicht leisten können. Seine eigene Wohnung in Albany war schon teuer genug.

Das Hausmädchen öffnete ihm die Tür, knickste und sah offensichtlich keine Veranlassung, ihn nach seinem Begehr zu fragen. Wahrscheinlich hatte ihn ihre Herrin bereits als willkommenen Gast angekündigt. Also nahm sie den Zylinder entgegen und führte ihn ins opulent eingerichtete Wohnzimmer. Sofort hüllte ihn der vertraute und doch so aufregende Geruch von süßlich duftenden Blumen und Patschuli ein. Es waren nur wenige Kerzen in den Wandleuchtern entzündet. Ihr Schein spiegelte sich in den geschliffenen Gläsern der Vitrine aus Mahagoni, dessen schwanenförmiger Giebel den letzten Schrei der Mode darstellte. Auch die goldenen Rahmen der Gemälde glänzten im gedämpften Licht. Ein üppiges Bouquet von Lilien, Freesien und Rosen auf der halbrunden Kommode zeugte davon, dass Glostershire erst kürzlich hier gewesen sein dürfte. Die zierliche, vergoldete Standuhr am Kaminsims schlug in zarten melodiösen Klängen zur vollen Stunde.

„Ist Miss Gabani bereits im Haus?“, wollte er wissen.

Das Mädchen bedauerte: „Nein, Madame befindet sich noch im Theater, Eure Lordschaft. Allerdings dürfte die Vorstellung vor wenigen Minuten zu Ende gegangen sein. Es wird also nicht mehr allzu lange dauern, bis sie sich zu Ihnen gesellen kann. Wenn Sie bitte so lange Platz nehmen wollen, Sir.“ Sie wies zuerst auf das zierliche blasslila Sofa und dann auf das mit Einlegearbeiten verzierte Schränkchen daneben, auf dem allerhand alkoholische Getränke bereitstanden. „Bitte zögern Sie auch nicht, sich in der Zwischenzeit eine Erfrischung zu genehmigen.“

Mit diesen Worten knickste sie wieder und ließ ihn allein.

Nicolas war viel zu aufgeregt, um still sitzen zu können. Sein ganzer Körper spürte die Vorfreude auf das, was ihn in Kürze erwartete. Loulou war sehr freigiebig in ihrer Gunst, und ihr gemeinsames amouröses Abenteuer ließ sich mit denen, die er mit ihren vor Nervosität kichernden jüngeren Kolleginnen erlebte, nicht im Geringsten vergleichen. Das besonders Angenehme war, dass er sich bei Loulou fallen lassen konnte. Sie stellte keine Erwartungen an ihn. Obwohl er stets mit offenen Karten spielte, hoffte doch so manch andere, ihn eines Tages vor den Traualtar schleppen zu können. Loulou wäre es nicht im Traum eingefallen, ihn heiraten zu wollen. Außerdem verfügte sie nicht nur über einen biegsamen Körper und geschickte Hände, sondern auch über eine erfreuliche Anzahl an Schafsdärmen, die, mit Seidenbändern straff befestigt, sie beide vor den ungewollten Folgen ihrer Stelldicheins schützen konnten.

Nicolas ging zum Schränkchen hinüber, in der Absicht, sich, wie sonst auch, etwas vom honiggelben Whisky aus der geschliffenen Karaffe einzuschenken. Da stach ihm eine braune Flasche ins Auge, die er bisher hier noch nie gesehen hatte. Sie hatte eine ungewöhnlich wuchtige Form und trug das Etikett an einer Kordel um den Hals. Er versuchte die Aufschrift zu lesen und scheiterte, da diese offensichtlich französisch war: Le Fleuron de la Vigne des Femmes Pieuses. Obwohl jetzt, da der Krieg gegen Napoleon seit fünf Jahren vorüber war, immer mehr Waren aus Frankreich auf die Insel herüberkamen, war er doch noch selten in den Genuss eines französischen Weines gekommen. Die geheimnisvoll klingende Aufschrift hatte ihn neugierig gemacht und so griff er zum bereitliegenden Flaschenöffner und zog den Korken heraus. Dann goss er sich einen Schluck in eines der ebenfalls bereitgestellten Gläser. Ja, dachte er amüsiert, dies ist wahrlich ein gastfreundliches Haus. Madame sorgt dafür, dass sich ihre männlichen Besucher auch außerhalb ihres Schlafgemachs wohl fühlen.

Es beobachtete, wie sich die dunkelrote Flüssigkeit ins Glas ergoss, und nippte dann daran. Erwartungsvoll, vorsichtig. Er hielt fasziniert inne. So einen Wein hatte er noch nie getrunken. Er erinnerte ihn an reife Johannisbeeren, vielleicht mit einem Hauch von Himbeeren und noch etwas anderem, das er nicht benennen konnte. In jedem Fall war er der beste Tropfen, den er je zwischen den Lippen gehabt hatte. Begeistert griff er wieder zur Flasche, schenkte sich das Glas diesmal ganz voll und trank es mit großen Zügen leer.

„Was machst du denn da, um Himmel willen?“, meldete sich Loulous entrüstete Stimme von der Tür her, als er sich eben noch ein weiteres Mal nachschenken wollte. Nicolas fuhr herum, bereit, mit scherzhaft rügendem Ton zu sagen, dass ihre Worte nicht im Geringsten der liebevollen Begrüßung ähnelten, die er sonst von ihr gewöhnt war, als ihre erzürnte Miene ihn innehalten ließ. Die Diva war mit großen Schritten und raschelnden Röcken zu ihm getreten und riss ihm nun die Flasche geradezu aus der Hand.

Wie schön sie ist, wenn sie sich aufregt, dachte er hingerissen. Rote Wangen zu tiefschwarzen, locker aufgesteckten Haaren. Das nach der neuesten Mode eng geschnürte Mieder war im selben Blau wie ihre Augen, die ihn nun vorwurfsvoll anblitzten.

„Wie konntest du nur?“ Sie hob die Flasche vor das Licht einer Kerze, um zu kontrollieren, wie viel bereits fehlte.

Sein Arm umfing ihre Mitte. Er liebte diese neue Mode, die dabei war, die hochtaillierten Empirekleider der letzten Jahrzehnte abzulösen, und bei denen sich die Taille wieder an der natürlichen Stelle befand.

„Der Wein war so köstlich, da konnte ich nicht widerstehen“, verteidigte er sich, um ihr gleich darauf zuzublinzeln. „Genau so wenig, wie ich dir widerstehen kann, meine Schöne!“

Noch war die Gastgeberin nicht bereit, ihm zu vergeben, und entwand sich seinem Griff: „Dennoch, Niki, du kannst doch nicht einfach hereinkommen und dich bedienen, wie es dir beliebt …“

„Dein Hausmädchen hat es mir gestattet“, brachte er zu seiner Vereidigung vor.

Nun war Loulou doch etwas milder gestimmt. „Leider hat Rosie keine Ahnung.“ Flüchtig küsste sie ihren Gast auf die Wange. „Wie auch immer, es ist schön, dass du da bist, Niki, mein Süßer.“ Sie ergriff seine Hand, um ihn mit sich zu ziehen. „Die Vorstellung war anstrengend, ich bin müde und sehne mich nach einer Massage von kräftigen, jungen Händen.“

Er deutete eine Verbeugung an: „Ich stehe Mylady mit all meinen Fingerfertigkeiten zur Verfügung“

Sie ließ ein glockenhelles Lachen hören, in das er nur zu gerne einstimmte. Dann wurde sie schlagartig wieder ernst: „Was den Wein betrifft, mein Lieber, so hoffe ich, dass du morgen am frühen Vormittag noch nichts vor hast …“

Nik hielt im Schritt inne: „Du scherzt wohl, meine Teuerste. Morgen zelebriert unser Land eine Krönung mit Pomp und Gloria. Das kannst du doch unmöglich vergessen haben!“

„Als wenn ich das nicht wüsste!“ Loulou stöhnte auf. „Darum sitzen wir ja so tief in der Bredouille. Glossy, also ich meine, Baron Glostershire, kommt morgen um elf hier vorbei, um … um sich den Tag von mir verschönern zu lassen. Ihm sitzt die Schmach im Nacken, dass man ihn nicht zur Zeremonie eingeladen hat.“

„Was hat das mit dem Wein zu tun? Soll er beim … äh … Verschönern … doch etwas anderes trinken.“

„Der Wein gehört ihm, Niki. Er hat ihn heute extra dafür vorbeibringen lassen.“

Sie machte sich von ihm los, eilte zu ihrem kleinen Schreibtisch hinüber und klappte das Verdeck auf. „Ah, da ist sie ja, Gott sei Dank!“ Sie nahm eine Visitenkarte in die Hand und kam zu Nik hinüber, um sie ihm zu reichen. „Das ist die Adresse des Händlers in der Berkeley Street. Am besten nimmst du das Etikett mit und diese Karte dazu. Du musst mir versprechen, dass du dich gleich morgen früh auf den Weg machst und mir exakt die gleiche Flasche bringst. Spätestens um halb elf, besser noch um zehn, muss sie hier angekommen sein!“

Kurz streifte den jungen Barnett die Erinnerung an das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. Er würde tatsächlich sehr früh seine Wohnung verlassen müssen, um alles zeitgerecht zu schaffen, aber es müsste machbar sein. Also legte er sich die Hand aufs Herz und versprach es.

„Versprich mir, dass du die Flasche persönlich vorbeibringst!“, drängte sie weiter.

Nicolas überlegte. Die Berkeley Street war nicht weit weg von hier und von hier war es wiederum nicht weit zu Badwells Haus. Am besten würde es sein, wenn er den Weg zu Fuß zurücklegte. Er konnte natürlich auch eine Sänfte mit zwei flotten Burschen nehmen, wenn er denn eine geeignete auftreiben konnte. Reiten war wohl keine gute Idee. Bei den vielen Schaulustigen, die von allen Seiten herbeiströmen würden, gab es sicher nirgends einen sicheren Platz, um während des Einkaufs sein Pferd abzustellen. Nicolas Barnett war nicht der Typ Mann, der sich Sorgen über etwas machte, was sich in der Realität vielleicht gar nicht als Problem herausstellen würde.

„Ich verspreche es“, sagte er daher abermals. Dann fasste er die Hand seiner Gastgeberin mit festem Griff und zog sie in Richtung Schlafgemach. „Ich denke, der Versprechen sind genug gegeben. Lass uns endlich zum erfreulichen Teil des Abends übergehen.“

Sie lächelte zufrieden und folgte ihm bereitwillig. Im Vorbeigehen schnappte er sich die Weinflasche und klemmte sie sich unter den Arm. Wenn ich ohnehin eine neue besorgen muss, dachte er im Stillen, dann kann ich mir den Rest der Flasche auch noch ruhigen Gewissens zu Gemüte führen.