Ein Duell mit Folgen - Sophia Farago - E-Book

Ein Duell mit Folgen E-Book

Sophia Farago

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Beschreibung

Als sich Harold, Elliot, Reginald und Oscar eine Ecke im Schlafsaal der altehrwürdigen Universität Oxford teilten, malte der Hausmeister die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen auf die Betthäupter: H, E, R, O – die Regency Heroes waren geboren. Jetzt 1812, fünf Jahre nach Studienende, sind sie die tonangebendsten Gentlemen in ganz London und ihre Freundschaft ist wichtiger denn je. Reginald Ashbourne, für seine Arroganz ebenso bekannt, wie für seine scharfe Zunge und den trockenen Humor, verliebt sich in Amerina, die Tochter des römischen Conte di Monteviale. Das wäre standesgemäß und äußerst passend, wäre sie nicht bereits die Ehefrau seines ärgsten Feindes Edgar Prestwood. Ein amouröses Abenteuer beginnt. Eines Morgens stehen sich Ashbourne und Prestwood im Duell gegenüber. Obwohl er ihn nur am Arm verletzt hat, stirbt sein Widersacher und Reginald bleibt nichts anderes übrig, als auf den Kontinent zu fliehen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Dass es ihm vorher noch gelingt, Amerina gut abzusichern, verrät er ihr in einem Brief, der sie jedoch nie erreicht. So ist Amerina der Gnade von Prestwoods Erben Lionel ausgeliefert. Als Reginald schließlich zurückkehrt, ereilen ihn zwei unerfreuliche Nachrichten: Der alte Duke of Warminster, den er eigentlich eines Tages hätte beerben sollen, hat in der Zwischenzeit geheiratet. Mit einem eigenen Sohn will er ihn, den verhassten Neffen, doch noch von der Erbfolge ausschließen. Und: Amerina ist verschwunden. Doch die Heroes wären nicht die Heroes, wenn sie sich nicht gemeinsam auf die Suche nach Lösungen machen würden …

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Kurzbeschreibung: Als sich Harold, Elliot, Reginald und Oscar eine Ecke im Schlafsaal der altehrwürdigen Universität Oxford teilten, malte der Hausmeister die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen auf die Betthäupter: H, E, R, O – die Regency Heroes waren geboren. Jetzt 1812, fünf Jahre nach Studienende, sind sie die tonangebendsten Gentlemen in ganz London und ihre Freundschaft ist wichtiger denn je. Reginald Ashbourne, für seine Arroganz ebenso bekannt, wie für seine scharfe Zunge und den trockenen Humor, verliebt sich in Amerina, die Tochter des römischen Conte di Monteviale. Das wäre standesgemäß und äußerst passend, wäre sie nicht bereits die Ehefrau seines ärgsten Feindes Edgar Prestwood. Ein amouröses Abenteuer beginnt. Eines Morgens stehen sich Ashbourne und Prestwood im Duell gegenüber. Obwohl er ihn nur am Arm verletzt hat, stirbt sein Widersacher und Reginald bleibt nichts anderes übrig, als auf den Kontinent zu fliehen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Dass es ihm vorher noch gelingt, Amerina gut abzusichern, verrät er ihr in einem Brief, der sie jedoch nie erreicht. So ist Amerina der Gnade von Prestwoods Erben Lionel ausgeliefert. Als Reginald schließlich zurückkehrt, ereilen ihn zwei unerfreuliche Nachrichten: Der alte Duke of Warminster, den er eigentlich eines Tages hätte beerben sollen, hat in der Zwischenzeit geheiratet. Mit einem eigenen Sohn will er ihn, den verhassten Neffen, doch noch von der Erbfolge ausschließen. Und: Amerina ist verschwunden. Doch die Heroes wären nicht die Heroes, wenn sie sich nicht gemeinsam auf die Suche nach Lösungen machen würden …

Sophia Farago

Ein Duell mit Folgen

Regency Heroes 3

Roman

Edel Elements

Edel Elements

- ein Verlag der Edel Verlagsgruppe GmbH

© 2022 Edel Verlagsgruppe GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2022 by Sophia Farago

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Tatjana Weichel

Covergestaltung: Designomicon, München.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-431-8

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Regency Heroes – Wie alles begann:

Während der Schulzeit im noblen Privatinternat von Harrow hatten sie sich noch misstrauisch beäugt. Harold, der trotz seiner Fröhlichkeit und dem Mut, der bisweilen an Übermut grenzte, äußerst pflichtbewusst war, betrachtete Elliot mit all seinen Streichen und dem lauten Gelächter, das durch die weiten Flure der Schule hallte, als kindischen Nichtsnutz. Dieser verstand nicht, wie man so wissensdurstig und vernünftig sein konnte wie Oscar, der sich wiederum vor der scharfen Zunge und dem Sarkasmus von Elliots Cousin Reginald hütete. Und der wiederum konnte mit den anderen drei überhaupt nichts anfangen, weil er sich ihnen überlegen fühlte.

Doch dann kam das Studium in Oxford. Die vier erkannten schnell, dass sie nur gemeinsam gegen die Übermacht der Schüler aus Eton bestehen und die Mutproben, die ihnen die Älteren abverlangten, bewältigen konnten. Fortan teilten sie Freud und Leid sowie eine Ecke im geräumigen Schlafsaal. Der Hausknecht hatte auf die Betthäupter die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen gemalt: H E R O – die Regency Heroes waren geboren.

Jetzt, im Jahr 1812, fünf Jahre nach dem Studienabschluss, beweist sich die Freundschaft der vier tonangebenden Männer als wichtiger denn je. Oscar hatte Harold gebeten, seine Schwester Emily vom Durchbrennen nach Gretna Green abzuhalten. Es kam zu einer skandalösen Verwechslung, Harold verliebte sich in Amabel Cavendish, und nun soll in Kürze die Hochzeit stattfinden. Amabels Zwillingsbruder Sebastian, der junge Marquess of Beaconsfield, ist in ernster Gefahr. Sein eigener Vormund Mr Edgar Prestwood trachtet ihm nach dem Leben. Elliot gelingt es, ihn in ein sicheres Versteck zu bringen, bevor er sich, schön wie ein Bild von einem Mann, mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass ihn sein Vater mit der Enkelin eines Webers verheiraten will. Und Reginald Ashbourne? Der lebt glücklich und zufrieden mit diversen Maitressen, bis, ja bis ihm Amerina über den Weg läuft, ausgerechnet die Gattin ihrer aller Erzfeind Prestwood.

Sophias Anmerkungen

Vor dir liegt der dritte Band der Regency Heroes-Reihe. Ich verspreche dir, dass in jedem der Bände die Liebesgeschichte fertig erzählt wird. Darum kann jedes Buch auch einzeln gelesen werden. Die Rahmenhandlung geht jedoch weiter. Daher beginnst du am besten mit „Die skandalöse Verwechslung“, machst dir dann „Ein Bild von einem Mann“ und kümmerst dich erst dann um das „Duell mit Folgen“. So macht dir das Lesen der Geschichten bestimmt noch viel mehr Vergnügen.

PS: Solltest du Cliffhanger nicht leiden können, klappst du das Buch am besten bereits vor dem 2. Epilog zu.

Eine Liste der wichtigsten Personen dieses Bandes und der Fachausdrücke findest du im Anhang.

Teil 1

Zuneigung und Leidenschaft

Kapitel 1

London

Mai 1812, etwa eine Woche vor der Hochzeit von Lady Amabel Cavendish mit Major Harold Westfield auf Millcombe Castle

Der ehrenwerte Mr Reginald Ashbourne stand am Rand des Gemüsemarktes von Mayfair und zweifelte an seinem Verstand. Auf dem lehmigen Boden vor ihm umschwirrten Fliegen einen verfaulten Salatkopf, und es stank nach Unrat. Das Treiben rundherum war ebenso hektisch wie laut und alle naselang rempelte ihn irgendjemand an, der sich mit vollbeladenen Kisten an ihm vorbeidrängen wollte. Warum war er sich bloß so sicher gewesen, dass er sie hier finden würde, und wie kam er überhaupt auf die Idee, einer verheirateten Frau nachstellen zu wollen? Verheiratete Geliebte waren doch bisher ausschließlich Elliots Metier gewesen. Seine eigene Vorliebe galt den jungen Witwen um die dreißig, die keinen Ehemann mehr hatten, der wütend seine Wege hätte kreuzen können.

Andererseits, so rechtfertigte er sich vor sich selbst, war Edgar Prestwood nicht nur verabscheuenswert, sondern auch kein ernst zu nehmender Gegner. Leider aber auch der Gatte jener Dame, die Reginald zwar erst kürzlich zum ersten Mal gesehen, die aber seine Gedanken seither nicht mehr losgelassen hatte. Prestwood war ein Nichts. Ein Emporkömmling der übelsten Sorte, ein selbstgerechter Trinker, unangenehm und verschlagen. Wäre er nicht der Vormund von Lady Amabel Cavendish gewesen, mit der sein Freund Major Harold Westfield in wenigen Tagen vor den Traualtar treten würde, er hätte ihn keines zweiten Blickes gewürdigt. Oder wahrscheinlich nicht einmal eines ersten. Dann hätte er Harold vor ein paar Tagen allerdings auch nicht in das Haus in der North Audley Street begleitet, um die Einzelheiten des Ehevertrags zu besprechen. Und das wiederum wäre höchst schade gewesen, denn dort hatte er sie getroffen. Sie, deretwegen er sich hier die Beine in den Bauch stand und sich zum Narren machte. Sie, die, einer römischen Göttin gleich, mit einem Korb voller Gemüse in der Eingangshalle aufgetaucht war. Eine großgewachsene, elegante Schönheit in einem edlen Kleid aus feiner, schwarzer Spitze. Die dunklen, dichten Haare waren aufgesteckt und von einem kleinen Spitzenschleier gekrönt gewesen, der ihr in den Nacken rieselte.

Sie hatten sich nur kurz unterhalten, als sie vermeinte, ihn vor ihrem Gatten warnen zu müssen. Seine Überraschung hätte nicht größer sein können, als sich herausstellte, dass sie Italienisch sprach. Reginalds Mutter stammte aus der Nähe von Neapel und hatte es zeit ihres Lebens geliebt, mit ihrem einzigen Sohn in ihrer Muttersprache zu parlieren, und so hatte er sich mit Mrs … mit ihr auf Italienisch unterhalten können. Reginald hatte keine Ahnung, wie er die schöne Lady im Geiste nennen sollte. Es widerstrebte ihm zutiefst, von ihr als einer simplen Mrs Prestwood zu denken, und ihren Vornamen kannte er nicht.

Ein Scherenschleifer hatte in unmittelbarer Nähe sein tragbares Gestell aufgebaut und schreckte ihn nun mit lauten Rufen aus seinen Gedanken. Reginald ließ seinen Blick abermals über das Geschehen auf dem Marktplatz schweifen. Von der schwarz gekleideten Schönheit war noch immer nichts zu entdecken. Und wenn, so dachte er jetzt, was beabsichtige ich eigentlich zu tun, wenn ich ihr tatsächlich gegenüberstehe? Ich kann sie doch nicht gut einladen, mich nach Hause zu begleiten.

„He, du, denk nicht einmal daran, mir meine Äpfel zu klauen!“

Der Mann, der diese Worte schrie, war ihm so nahe, dass Reginald zusammenzuckte und reflexartig die Hände hob, um zu beweisen, dass er nichts derart Verwerfliches vorhatte. Dann atmete er tief durch und besah sich die Szene am Obststand neben sich und den großgewachsenen, mageren Jungen, dem die harschen Worte tatsächlich gegolten hatten.

„Das fiele mir nicht im Traum ein, Mister“, setzte sich der nun zur Wehr und hob trotzig das Kinn. Sein Akzent war so ungewöhnlich, dass Reginald nicht zuordnen konnte, aus welchem Teil des Landes er stammte. Die Kleidung aus einfachem Tweed war mehrfach geflickt, aber sauber. Eine zu große Kappe rutschte ihm über die Ohren, sodass er sie immer wieder zurückschieben musste, um die Augen freizubekommen. Ein hübsches, mit Sommersprossen übersätes Gesicht kam zum Vorschein. Wie alt mochte der Junge sein? Reginald schätzte ihn auf höchstens vierzehn.

„Ich schau sie nur an und schnüffle ein wenig, weil sie so gut riechen und mich an meine Heimat erinnern“, hörte er den Buben sagen. Die Sehnsucht, die in diesen Worten mitklang, war unüberhörbar.

„Geben Sie mir zwei von den roten!“ Reginald trat aus dem Schatten der Hauswand heraus und deutete auf die Früchte in der vordersten Kiste des Verkaufsstands. Der alte Händler starrte ihn an. Sein Mund klappte auf, als wollte er etwas sagen, und gleich darauf wieder zu. Sein ungewöhnlicher Kunde war eine Erscheinung, die man auf einem Gemüsemarkt wahrlich nicht oft zu sehen bekam. Wenn sich denn überhaupt je jemand aus dem Hochadel hierher verirrte, dann war das mit Sicherheit kein großer, breitschultriger Gentleman, der sich von Kopf bis Fuß in Schwarz kleidete und selbst bei Hemd und Halstuch keine Ausnahme machte. Und dies, obwohl die herrschende Mode weiße, gestärkte Hemdkragen und helle Halstücher vorschrieb.

„Wenn Sie so gütig wären, sich zwei auszusuchen, Sir, Euer Gnaden.“ Der Verkäufer hatte sich offensichtlich von der Überraschung erholt und buckelte mehrfach, bevor er den Preis nannte, der sich, wie Reginald vermutete, soeben auf das Doppelte erhöht hatte. Ashbourne tippte dem Jungen auf die Schulter. „Triff deine Wahl.“

Hätte man ihn in diesem Augenblick gefragt, warum er sich ohne Notwendigkeit in die Rolle eines Wohltäters begab, so hätte er keine Antwort gewusst. Als er jedoch sah, wie der Knabe vor Freude und Aufregung zappelte und mit leuchtenden Augen zu ihm aufsah, da war er froh, dass er es getan hatte.

„Den einen esse ich sogleich“, erklärte der Junge, nachdem er sich überschwänglich bedankt hatte, und schob einen der Äpfel in die Tasche seiner ausgebeulten Jacke. „Den zweiten hebe ich für meinen kleinen Bruder auf. Der wird außer sich sein vor Freude. Vergelts Gott, der Herr.“

Dann biss er herzhaft in den Apfel, dass es nur so knirschte und die saftigen Tropfen in alle Richtungen spritzten. Reginald, gerührt über so viel Eifer, zwang sich, sich über den Kopf des Jungen hinweg wieder auf das Marktgeschehen zu konzentrieren. Er war schließlich nicht hier, um irgendeinem Kind eine Freude zu bereiten, sondern um eine Lady aufzuspüren, die die seltsame Angewohnheit hatte, sich persönlich auf den Markt zu begeben und einzukaufen, anstatt dies den Dienstboten zu überlassen. So sehr er sich auch anstrengte, so genau er auch die Menschentrauben vor den einzelnen Ständen absuchte, er konnte sie nirgends entdecken.

„Bene, bene, un uomo con un cuore. Chi se lo sarebbe aspettato?”, hörte er eine tiefe, weiche Frauenstimme hinter seinem Rücken, und die Ironie, die bei ihren Worten mitklang, war stärker als nur ein Hauch. Reginald fuhr herum. Und da stand sie. Elegant, großgewachsen und noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Den Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen, ein kaum merkliches Zwinkern in den außergewöhnlich dunklen Augen. Hatte sie wirklich gesagt, sie habe nicht erwartet, dass er ein Herz hätte? Könnte sie ihm jetzt die Rechte auf den Brustkorb legen, so würde sie sein nun vor Überraschung und Aufregung wild schlagendes Herz eines Besseren belehren. Reginald konnte sein Glück kaum fassen. Sie hatte ihn von sich aus angesprochen! Und sie hatte dies auf Italienisch getan. Es bestand kein Zweifel, dass sie wusste, wer er war, und dass sie ebenfalls Interesse daran hatte, die Bekanntschaft zu vertiefen. Das beglückte ihn mehr, als er ihr gegenüber zuzugeben bereit war.

„Come?“, war das, was er überrumpelt fragte, während sich beide Augenbrauen hoben. Innerlich schalt er sich dafür, dass ihm außer diesem „Wie bitte?“ nichts Originelleres eingefallen war. Er war es nicht gewöhnt, dass es ihm in Gegenwart einer Dame die Rede verschlug.

„Ich meine ja nur“, erklärte sie, weiterhin in ihrer Muttersprache, mit einem Schulterzucken und wechselte dabei ihren Korb von der Rechten in die Linke. „Lassen Sie sich von der feinen Gesellschaft lieber nicht bei solch mildtätigen Handlungen erwischen, Signore. Ihr Ruf könnte ernsthaften Schaden erleiden.“

Diese Aussage fand er zu amüsant, um sie unwidersprochen stehen zu lassen. „Würden Sie mich besser kennen, meine Teure, dann wüssten Sie, wie wenig ich auf das Gerede der sogenannten feinen Gesellschaft gebe. Außerdem, wer sagt denn, dass der Adel nicht auch bisweilen bereit ist, armen Mitmenschen unter die Arme zu greifen?“

Sie schnaufte unwillig. „Mein Gemahl schert sich einen Dreck um die Bedürftigen.“

„Ihr Gemahl, meine Liebe, ist weder von Adel noch schert er sich einen Dreck um irgendeinen Menschen, außer sich selbst. Ich käme niemals auf die Idee, ihn zur feinen Gesellschaft zu zählen.“

Obwohl sie diese Aussage nicht kommentierte, schien sie sich darüber zu amüsieren.

„Sind Sie fertig mit Ihren Einkäufen?“, fragte er etwas unvermittelt und deutete auf den Korb in ihrer Hand. „Der hier scheint mir schon recht voll zu sein.“

Sie sah überrascht an ihrem Arm hinunter, gerade so, als hätte sie vergessen, dass sie überhaupt einen Korb trug. „Ach, ja richtig. Ich habe tatsächlich alles erledigt und werde mich wohl besser auf den Weg nach Hause machen. Es hat mich gefreut, Sie hier so … äh überraschend … wiederzusehen. Leben Sie wohl, Mister …“

Sie ließ das letzte Wort in der Luft hängen, so als erwartete sie, dass er sich noch einmal bei ihr vorstellte. Selbstverständlich hatte er ihr beim ersten Treffen seinen Namen genannt, doch anscheinend hatte sie ihn wieder vergessen. Auch das war etwas, das er nicht gewohnt war. Wer vergaß schon einen Reginald Ashbourne? Nun, er würde dafür sorgen, dass ihr das in Zukunft nicht mehr passierte. Sein Blick fiel auf den Jungen, der am Apfelgehäuse herumkaute, um sich auch noch den letzten Rest des süßen Geschmacks zu sichern. Dabei hatte er offensichtlich fasziniert den Wortwechsel in der fremden Sprache verfolgt, von dem er höchstwahrscheinlich kein Wort verstanden hatte. Da fasste Reginald einen spontanen Entschluss.

„Wie wäre es mit einer Tasse richtig schönem italienischen Kaffee?“, wollte er von Mrs Prestwood wissen und griff nach dem Korb, den sie ihm, ohne zu zögern, überließ. Sie sah zu ihm auf, die Augen prüfend zusammengekniffen.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei diesem richtig schönen italienischen Kaffee“, wiederholte sie seine Worte und imitierte dabei auch seinen verlockenden Tonfall, „um eine Einladung in Ihr Haus handelt?“

„Oh, wir können auch Gunter’s Tea Shop aufsuchen, wenn Ihnen der Sinn nach Gesellschaft einiger Klatschmäuler steht“, meinte er leichthin. „Der liegt meinem Haus am Berkeley Square direkt gegenüber. Ich weiß allerdings nicht, ob dort der Kaffee ebenso gut schmeckt wie der, den mein Koch zuzubereiten versteht.“

Sie ließ ein kurzes Auflachen hören. „Sehr überzeugend gesprochen, Signore. Dennoch lautet meine Antwort nein.“

Sie wollte sich den Korb zurückholen, doch er zog seine Hand weg.

„Was hält Sie davon ab?“, wollte er wissen. „Moralische Bedenken? Trauen Sie mir nicht zu, mich wie ein Gentleman benehmen zu können?“

„Ach, ich traue Ihnen so manches zu“, war sie es nun, die leichthin sprach. „Allerdings gehört das Gemüse in die Küche. Meine Ka… die Köchin wartet mit Sicherheit schon darauf.“

„Da dürfen wir natürlich nicht zulassen, dass sie zu lange warten muss.“ Er klang bei diesen Worten so ernst, als wären ihm sämtliche Köchinnen der Welt tatsächlich ein Anliegen.

„Na, sehen Sie“, begann ihre Ladyschaft. Er bemerkte, dass sie ein wenig enttäuscht klang, da er anscheinend so schnell klein beigegeben hatte, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. Er wandte sich von ihr ab, damit sie es nicht bemerken konnte.

„Wie heißt du?“, fragte er stattdessen den Jungen, der noch immer an seiner Seite stand.

„Emil“, antwortete dieser und verbeugte sich so akkurat, wie er das von einem Gassenjungen nicht erwartet hätte. „Emil Church, Sir.“

„Emil Church?“, wiederholte Reginald und wusste selbst nicht, was er an diesem Namen so besonders eigenartig fand. „Nun denn, dann hoffe ich, dass du, wenn du schon Kirche heißt, auch ein ehrlicher Bursche bist. Kennst du die North Audley Street, Emil Church?“

Ihre Ladyschaft riss überrascht die Augen auf, bevor sich ihr Gesicht zu einem freudig wissenden Lächeln verzog.

„Gewiss kenne ich die“, lautete die eifrig vorgebrachte Antwort, und dann zog der Bursche den richtigen Schluss: „Soll ich den Korb von der Lady dort irgendwo abliefern?“

„An der Nummer 12“, sagten Reginald und die schwarz gekleidete Dame wie aus einem Mund. Ihre Blicke trafen sich. Beide hatten die Mundwinkel ein klein wenig angehoben.

„Sehr richtig, an der Nummer 12“, wiederholte Reginald, ohne seine Augen abzuwenden. Dann spürte er, wie der Junge nach dem Korb griff und drehte sich ihm zu. „Übergib die Einkäufe einem Diener und sag ihm, ihre Ladyschaft würde sich verspäten. Sonst nichts. Kein Wort über mich oder dieses Gespräch.“

„Was täte ich denn über das Gespräch sagen sollen?“ Der Junge grinste. „Ich habe doch ohnehin kein Wort verstanden.“

„Emil!“, rügte ihn Ashbourne eher amüsiert als streng.

„Kein Wort werde ich sagen. Nicht ein einziges. Über gar nichts, Sir, ich versprech’s.“ Der Bursch hob feierlich die Hand zum Schwur.

„Ich will es nicht bereuen, mich auf dich verlassen zu haben“, bekräftigte Reginald seine Worte, und als der Junge nickte, ließ er den Korb los. Daraufhin griff er in die Hosentasche, zog ein paar Münzen heraus, unterwarf sie einem kritischen Blick und streckte sie Emil entgegen. Zu seinem Erstaunen sah er, wie der ein paar Schritte zurückwich.

„Nein, das wäre nicht richtig. Sie haben mir schon die Äpfel gekauft, Sir. Ich erwidere nur Ihren Gefallen.“

Reginald zog eine Augenbraue hoch. Was war denn das für ein seltsamer Jugendlicher? Warum lehnte er Geld ab, das er sicher gut gebrauchen konnte?

„Nimm die Münzen, Emil“, sagte er absichtlich streng. „Stiehl mir nicht noch länger die Zeit und mach dich auf den Weg.“ Das Geld fiel klimpernd in die nun doch geöffnete, schwielige Handfläche.

„Ich danke Ihnen, Sir, ich danke Ihnen vielmals. Ich gebe nur schnell zu Hause Bescheid, und dann bin ich auch schon auf dem Weg.“

„Tu das!“, meinte Ashbourne und beobachtete, wie der Junge zur Häuserzeile herantrat, vor der sie standen, seinen Kopf durch das geöffnete Fenster im Erdgeschoss steckte und einige Worte in einer Sprache ins Innere rief, die er nicht verstand. Doch er hatte weder die Zeit noch gar die Lust, sich darüber zu wundern. Neben ihm stand eine anbetungswürdige Lady und verdiente seine volle Aufmerksamkeit.

Kapitel 2

Neben vielen anderen Dingen auch hatte sich Amerina Prestwood erst an das Wetter in London gewöhnen müssen. Manchmal regnete es hier tagelang. Der Nebel klebte grau und kalt über den Dächern der Stadt, sodass es sie fröstelte und sie das bange Gefühl beschlich, nie mehr wieder frei atmen zu können. Dann aber kam, wenn sie ihn schon gar nicht mehr erwartete, immer wieder ein kräftiger Sonnenstrahl. Er öffnete die Wolkendecke und brachte, von einer Minute auf die andere, den hellblauen Himmel beglückend zum Vorschein. Ein warmer Windhauch schien die Menschen tröstend zu umfangen und die Sonne brachte Licht in die vormals trüben Tage.

Zu ihrem eigenen Erstaunen empfand Amerina das Auftauchen von Reginald Ashbourne in ihrem kalten, düsteren Leben als genau so einen Sonnenstrahl. Allein durch seine Anwesenheit schien die Nebeldecke der Hoffnungslosigkeit, die sich seit nunmehr eineinhalb Jahren über ihr Leben gesenkt hatte, Risse zu bekommen und einen Hauch von Zuversicht zuzulassen. Wie sehr wünschte sie sich, er würde sie, dem wohltuenden Wind gleich, in seine Arme ziehen, an seine starke Brust drücken und ihr die Liebe und Wärme geben, die sie so schmerzlich vermisste. Hatte er, ein Gentleman erster Güte, sich wirklich und wahrhaftig zum Markt begeben, nur um dort nach ihr Ausschau zu halten? Das erschien ihr so unvorstellbar zu sein, dass sie es kaum glauben konnte. Und doch: Was sollte ihn sonst an einen für ihn so ungewöhnlichen Ort gebracht haben?

„Erzählen Sie mir von sich“, unterbrach er ihre Gedanken. Ashbourne war anscheinend niemand, der gern um den heißen Brei herumredete. Das war auch etwas, das ihr an ihm gefiel. Und er schien ernsthaftes Interesse an ihr und ihrem Leben zu haben. Das war etwas, was ihr noch besser an ihm gefiel. „Was hat Sie nach England verschlagen und wie, um alles in der Welt, brachte man Sie dazu, ausgerechnet Prestwood die Hand zum Bund zu reichen?“

Sie waren inzwischen bei seinem Haus am Berkeley Square angelangt und Amerina war fasziniert gewesen von der Eleganz des Eingangsbereichs. Schwarz-weißer Marmor lag wie ein großes Schachbrett auf dem Boden. Imposante Jagdszenen schmückten die mit dunkelgrüner Seidentapete überzogenen Wände. Ashbourne hatte sie in seine Bibliothek geführt, wo sie sich nun auf dem ausladenden schwarzen Ledersofa zurücklehnte und sich umsah. Der Raum war nicht allzu groß, überraschend gemütlich in gedeckten Farben eingerichtet, und schien dem Hausherrn auch als Arbeitszimmer zu dienen. Jedenfalls quoll der Schreibtisch über vor Büchern und eng beschriebenem Papier. Ein schwarzes Klavier stand an der dem Kamin gegenüberliegenden Wand, und Amerina fragte sich, ob Ashbourne manchmal darauf spielte oder ob das Instrument nur zur Zierde diente. Ein überaus vornehm wirkender Butler hatte ihnen Kaffee serviert und sich dann zurückgezogen. Amerina hob die Tasse und führte sie genussvoll an die Lippen. Ashbourne hatte nicht zu viel versprochen. Das Getränk war heiß und wohlschmeckend und erinnerte sie an Zuhause. Am liebsten hätte sie sich so gedreht, dass sie den Kopf auf die Kissen hätte legen können und die Beine auf die Sitzfläche gezogen. Es war eine so angenehme, ruhige Atmosphäre im Raum. Und es roch so frisch nach Ashbournes Rasierwasser, einer dezenten Mischung aus Zitronen und Rosmarin. Nicht nach jenem seltsam süßlichen Duft, mit dem ihr Gatte seinen unangenehmen Körpergeruch vergeblich zu überdecken versuchte.

„Nun?“, brachte sich Reginald in Erinnerung. „Darf ich zumindest Ihren vollen Namen erfahren?“

Er hatte die langen, muskulösen Beine von sich gestreckt und schien sich in ihrer Gegenwart ebenso wohlzufühlen wie sie in seiner.

„Eine meiner Antworten gegen eine der ihren“, schlug sie vor. „Wenn hier schon ein Kennenlernen stattfinden soll, dann soll dies doch wohl auf Gegenseitigkeit beruhen.“

„Es gibt nichts, was mir lieber wäre.“ Er beugte sich in seinem Sessel vor, und sie hatte für einen kurzen Moment den Eindruck, als wollte er ihre Hand ergreifen, doch so schnell, wie er sich vorgebeugt hatte, lehnte er sich auch wieder zurück. „Lassen Sie uns mit den Namen und unserer Herkunft beginnen.“

„Ich heiße Amerina. Amerina Prestwood, wie Sie wissen. Dieser Nachname ist für mich immer noch ein wenig ungewohnt. Obwohl ich nun schon seit über einem Jahr verheiratet bin, habe ich ihn kaum je benutzt. Ich verkehre nicht in Gesellschaft.“

Diese Tatsache war ihm nicht wirklich neu. Schließlich hatte er sie noch auf keinem Ball, bei keiner Soiree, ja nicht einmal bei einer Theateraufführung in Covent Garden zu Gesicht bekommen. Das musste heißen, dass sie an keinem dieser Ereignisse anwesend gewesen war, denn ihre Schönheit wäre ihm mit Sicherheit aufgefallen.

„Wie kommt das?“, wollte er wissen. „Wieso verkehren Sie und Ihr Gatte nicht in Gesellschaft?“

Ein bitteres Auflachen war die Folge.

„Oh, Prestwood verkehrt sehr wohl in Gesellschaft“, berichtigte sie ihn. „Falls Sie ihn noch nie getroffen haben, liegt es daran, dass er nicht zu jenen höchsten Kreisen gehört, zu denen Sie sich sicherlich zählen. Mich nimmt er allerdings nirgends hin mit. Würde ich mich nicht zweimal die Woche zum Markt begeben und im Kirchenchor von St. Peter ad Vincula im Tower singen, käme ich wohl gar nicht aus dem Haus.“

Reginald schüttelte fassungslos den Kopf: „Warum nimmt er Sie denn nicht mit? Hätte ich eine so atemberaubende Ehefrau, würde ich nicht von ihrer Seite weichen wollen.“

Ihr Kopf ruckte herum, und sie sah ihm freimütig ins Gesicht. Hatte er diese Worte ernst gemeint? Hielt er sie tatsächlich für atemberaubend? Stand er zu diesem überraschend offen ausgesprochenen Kompliment oder würden sich seine Wangen nun röten, bevor er peinlich berührte Entschuldigungen stammelte? Doch Reginald Ashbourne stammelte nichts. Seine Augen waren unter schweren Lidern weiterhin erwartungsvoll auf sie gerichtet, während er einen Schluck aus seiner Tasse nahm.

„Mein Gemahl schämt sich für mich“, hatte auch sie keine Scheu, die Wahrheit gnadenlos auszusprechen. „Er sagt, da ich kaum in der Lage bin, mich in der heimischen Sprache auszudrücken, würden mich die anderen für dumm halten, und er habe keine Lust, als Ehegatte einer dummen Frau angesehen zu werden. Andererseits weigert er sich aber auch, mir einen geeigneten Lehrer zur Verfügung zu stellen, und er selbst spricht kaum mit mir. Er bellt mir höchstens irgendwelche Anweisungen entgegen.“

„Was für ein Narr!“, urteilte Ashbourne streng. „Ich erinnere mich, dass Sie, als ich Sie in Ihrem Haus angetroffen habe, mit dem Diener sehr wohl einige Sätze auf Englisch gewechselt haben.“

„Ich kann das Notwendigste“, erklärte sie ihm und stellte die Tasse auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa ab. „Eines der Hausmädchen hat es mir beigebracht. Bei den Dienern sind meine Sprachkenntnisse aber ohnehin vertane Liebesmüh. Sie behandeln mich, als wäre ich nicht da, und als wäre es ihr gutes Recht, meine Wünsche zu ignorieren.“

Ashbourne tat nicht einmal so, als würden ihn ihre Worte verwundern. „Das habe ich mit Befremden bemerkt. Warum lassen Sie sich ein so respektloses Verhalten gefallen?“

Sie zuckte resigniert mit den Schultern: „Was soll ich machen, wenn mir mein werter Gatte ständig in den Rücken fällt und es liebt, meine Anweisungen zu widerrufen?“

Reginald knirschte mit den Zähnen, enthielt sich jedoch jeden Kommentars. „Apropos werter Gatte“, sagte er stattdessen. „Ist Ihnen bekannt, dass er die Hälfte der Balletttruppe von Covent Garden für dieses Wochenende nach Millcombe Castle eingeladen hat? Auf den Landsitz seines Mündels, des jungen Marquess of Beaconsfield? Dazu eine Reihe seiner allerbesten Freunde und …“ Er unterbrach sich. „Sie sind doch nicht etwa zu zart besaitet, als dass ich dieses Thema in Ihrer Gegenwart ansprechen dürfte? Vergeben Sie mir, wenn …“

„… und einige Kisten Hochprozentiges“, setzte sie seinen ursprünglichen Satz fort. „Oh, doch, das weiß ich. Mein Gemahl ist für vieles bekannt, aber sicher nicht für Diskretion. Auch wenn er immer versucht, mich von seinen Angelegenheiten fernzuhalten, erfahre ich alles, was ich erfahren will. Und noch so einiges mehr. Also kenne ich auch den Plan, an diesem Wochenende vor der Hochzeit seines weiblichen Mündels eine … nun, wie soll ich sagen? Orgie? … abzuhalten. Millcombe Castle ist zwar das Schloss des bedauernswerten Marquess, aber mein Mann führt sich auf, als wäre er nicht dessen Vormund, sondern als würden die Ländereien und das Schloss ihm gehören.“

Reginald nickte. „Wie mir gesagt wurde, soll er dem Marquess sogar nach dem Leben trachten, um sich Besitz und Titel auf ewig zu sichern. So wenig ich Ihren Gatten schätze, so einen schändlichen Plan traue ich ihm aber dennoch nicht zu.“

„Oh doch“, rief sie aus. „Das können Sie ihm getrost zutrauen.“ Wieder sah er sie unter schweren Lidern prüfend an, so als wüsste er nicht, was er von diesem leidenschaftlichen Ausbruch halten sollte.

„Wie auch immer“, murmelte er schließlich. „Es ist wohl kein Wunder, dass der Marquess Reißaus genommen hat. Auch wenn ich es vorzöge zu wissen, wo er sich derzeit aufhält. Schon allein seiner Schwester zuliebe. Aber zurück zu dem, was Sie vermutlich völlig zu Recht Orgie genannt haben. Sie wirken überraschend gelassen, mia cara. Macht Ihnen dieses unmoralische Vorhaben Ihres Gatten denn gar nichts aus?“ Sein Blick blieb weiterhin prüfend.

„Was soll es mir denn ausmachen?“ Sie entfernte einen imaginären Krümel von ihrem Rock, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen. „Solange er sich mit anderen Frauen beschäftigt, lässt er die Finger von mir.“

Auf diese Worte herrschte Stille im Raum. Reginald biss sich nachdenklich auf die Unterlippe, und sie wandte nach einem kurzen Blick auf ihn die Augen wieder ab, da sie weder Vorwürfe noch Mitleid in den seinen sehen wollte.

„Wir waren bei Ihrem Namen“, wechselte er schließlich das Thema, „und bei der Frage, wie man Sie dazu gebracht hat, Prestwoods Antrag anzunehmen. Er ist weder schön noch reich, verfügt weder über Titel noch über Manieren und hat eigentlich gar nichts, was mich als junge Frau von Stand dazu verleiten könnte, ihm auch nur mehr als einen Wimpernschlag zu gönnen.“

Diese Ausdrucksweise brachte sie zu einem überraschend mädchenhaften Kichern. Sie konnte sich den düsteren Mann mit den dichten, dunklen Augenbrauen und dem rabenschwarzen Haar so gar nicht als junge Lady vorstellen. Die Schwermut, die sie ergriffen hatte, verflog.

„Mein Name ist Amerina Louisa Donata, mein Vater war der Conte di Monteviale. Prestwood besteht darauf, dass ich mich hier in London Contessa nenne, obwohl das nicht den Tatsachen entspricht.“

„Ihr Vater war ein Conte?“, fuhr er auf. „Das ist doch so etwas wie ein Earl, nicht wahr? Der gibt doch sein Kind nicht einem dahergelaufenen Mr Prestwood!“

Sie nickte. „Das ist richtig. Hätte er es gewusst, hätte er es nicht getan. Aber wir waren in völliger Unkenntnis der Sachlage, und die Zeit drängte.“

„In Unkenntnis worüber?“, wollte er wissen.

„Prestwood legte Papiere vor, die ihn als Marquess of Beaconsfield auswiesen. Er war stets höflich und wusste sich angenehm zu benehmen. Wir hatten keinen Grund, an seinen Angaben zu zweifeln. Mein Bruder, also mein Halbbruder, um genau zu sein …“

„Er gab sich als Beaconsfield aus?“, rief Reginald, und seine Stimme ließ erkennen, wie fassungslos er darüber war. „Was für eine Ungeheuerlichkeit! Was für eine Schande! Kein Wunder, dass sich Sebastian Cavendish, also der wahre Marquess, auf der Flucht vor ihm befindet.“ Er unterbrach sich, blickte zur Zimmerdecke und atmete tief durch, bevor er fortfuhr: „Wir haben unseren Freund Sandhill-Jones ausgeschickt, den armen jungen Mann zu suchen. Es kann doch nicht angehen, dass die Braut am kommenden Dienstag ohne den Segen ihres Zwillingsbruders vor den Altar treten muss. Ich hoffe, die Suche stellt sich nicht als vergebens heraus.“

„Ich kann verstehen, dass Sie das hoffen.“ Sie seufzte tief. „Ich hingegen hoffe stattdessen, dass die Suche vergebens sein möge. Prestwood ist nicht zu trauen. Allein die Anwesenheit in der Kirche könnte den jungen Gentleman in ernsthafte Gefahr bringen.“

„Nun“, meinte Ashbourne mit einer wegwerfenden Handbewegung, „seine Lordschaft würde die ganze Zeit unter dem Schutz der Heroes stehen, also dem meiner drei Freunde und mir. Zu viert sollten wir doch sehr wohl in der Lage sein, ihn von drohenden Gefahren fernzuhalten.“

„Wenn Sie davon ausgehen können, dass Sie und Ihre Freunde ebenso verschlagen sind wie Prestwood und die seinen, dann mag das tatsächlich zutreffen.“ Sie klang alles andere als überzeugt.

Er sah nachdenklich zu ihr hinüber, und ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Mundwinkel: „Sie scheuen kein offenes Wort.“

Sie sah ebenso unbefangen zu ihm zurück und lächelte ebenfalls. „Natürlich nicht. Würden Sie es bevorzugen, wenn ich es täte?“

„Nein, nein!“ Er hob abwehrend die Hände. „Im Gegenteil. Ich schätze offene Worte. Ich bin es bloß nicht gewohnt, sie aus dem Mund einer Dame zu hören. Eines darf ich Ihnen versichern: Sie ahnen nicht, wie verschlagen ich sein kann, wenn es darauf ankommt. Zum Unterschied zu Ihrem Gatten bin ich dabei allerdings noch nie kriminell geworden.“

Sie sahen sich einige Augenblicke lang an, bis Reginald das stille Einvernehmen dadurch brach, dass er eine Augenbraue hob, worauf sie sich abwandte.

„Sie nahmen den Antrag also an, weil Sie, wie Sie sagten, die Wahrheit nicht kannten und die Zeit drängte“, fasste er daraufhin das zuvor Gehörte zusammen. „Warum drängte denn die Zeit?“

„Ist diese Frage nicht doch ein wenig zu persönlich, Signore?“ Sie zögerte, die ganze, bittere Wahrheit auf den Tisch zu legen.

Er verzog das Gesicht, als müsste er angestrengt nachdenken.

„Nein“, sagte er schließlich. „Wie soll ich Sie kennenlernen, wenn ich das nicht weiß? Ich würde doch glatt annehmen, Sie seien zu Prestwood in unstillbarer Liebe entflammt.“

„Ha!“, fuhr sie auf, „in unstillbarer Liebe! Mein gütiger alter Vater lag auf dem Sterbebett, wenn Sie es genau wissen wollen. Er ist zwei Tage vor unserer Abreise in meinen Armen gestorben.“ Sie seufzte abermals und setzte dann etwas leiser hinzu: „Ich wünschte, Prestwood hätte mir gestattet, noch ein paar Tage in Rom zu bleiben, damit ich bei der Beerdigung hätte anwesend sein können. Doch er wollte so schnell wie möglich nach London zurück.“

„Das tut mir leid zu hören.“ Ashbourne legte mitfühlend seine Rechte auf die ihre.

„Danke“, sie lächelte tapfer zu ihm hinüber. „Papa starb zumindest in dem für ihn so wichtigen Glauben, mich gut versorgt zu wissen.“ Sie wünschte sich, ihr Gegenüber hätte seine wärmende Hand nicht schon wieder weggezogen. „Lebt Ihr Vater noch?“, wollte sie wissen.

Er schüttelte den Kopf. „Kein Vater, keine Mutter, keine Geschwister“, sagte er leidenschaftslos und so, als müsste er auf einem königlichen Amt ein Formular ausfüllen. „Ich habe nur meinen Cousin Elliot, der zu meinen drei besten Freunden zählt. Und einen alten Onkel, einen Vetter meines Großvaters, den ich eines Tages beerben werde. Was ist mit Ihrem Halbbruder?“

„Paolo ist achtzehn Jahre älter als ich. Er hat meine Mutter, die zweite Frau unseres Vaters, zeit ihres Lebens gehasst. Mich hat er nie wirklich beachtet.“ Sie schnaufte unwillig. „Dafür beachtete mich seine Ehefrau umso mehr. Maria Lauretta hat mir das Leben zur Hölle …“, sie korrigierte sich, „… sagen wir einfach, sie hat es mir sehr schwer gemacht. Papa meinte, sie wäre eifersüchtig auf mich, da ihr eigenes Aussehen zu wünschen übrig ließe. Aber warum sie ist, wie sie ist, ist im Grunde egal. Wäre sie allerdings nicht gewesen, ich hätte es mir wohl zweimal überlegt, Prestwoods Antrag anzunehmen. Doch so hatte ich keine andere Wahl. Mein ursprünglicher Verlobter war zwei Jahre zuvor an Pocken gestorben. Die anderen Bewerber um meine Hand waren Papa zu minder oder erfüllten mich mit Abscheu. Maria Lauretta drängte darauf, mich mit ihrem schwachsinnigen Cousin zu vermählen, und mein Bruder war geneigt, ihr diesen Wunsch nach Papas Tod zu erfüllen. Prestwood gab sich charmant und war angeblich ein englischer Marquess. Wer hätte passender sein können, um mich vor diesem drohenden Schicksal zu bewahren?“

Dann schwiegen sie beide. Was hätten sie auch sagen sollen? Sie wussten doch inzwischen, dass sich diese Partnerwahl als äußerst unglücklich herausgestellt hatte.

„Mein Freund Harold, der kommenden Dienstag auf Millcombe Castle Lady Amabel heiraten wird“, war er es, der schließlich die Stille brach, „und ich haben beschlossen, Ihrem Gatten die geplante Orgie gründlich zu versalzen.“

Sie blickte interessiert zu ihm hinüber. „So, haben Sie das? Darf ich fragen, warum?“

„Ich wollte schon bisher nicht tatenlos zusehen, wie Prestwood das Heim eines Marquess in ein Bordell verwandelt. Aber jetzt, da ich Ihre Geschichte kenne, erfüllt mich unser Plan mit noch größerer Zufriedenheit.“

Diese Worte entlockten ihr ein Lächeln. „Was haben Sie vor?“

Er war aufgestanden und zu einem kleinen Tischchen mit Karaffen getreten. Nun hob er eine von ihnen in die Höhe: „Ich habe hier einen ganz ausgezeichneten Mandellikör aus Saronno. Darf ich Ihnen etwas davon einschenken?“

Jetzt strahlten ihre Augen regelrecht, als sie die Hände vor der Brust zusammenfaltete. „Ich liebe Mandellikör! Wie konnten Sie das bloß wissen?“

Er stimmte in ihr Lächeln ein. „Ich wusste es nicht. Und doch ahnte ich, dass der Geschmack Sie an die Heimat erinnern könnte. Auch wenn das Getränk nicht direkt aus Rom stammt. Ein Gläschen?“

„So verlockend es auch sein mag, aber nein. Nein, danke.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich trinke generell keinen Alkohol vor dem Abendessen.“

„Sehr vernünftig.“

Er stellte das Glasgefäß, ohne zu zögern, zurück und nahm wieder auf seinem Sessel Platz. „Ich werde darauf achten, Ihnen den Likör das nächste Mal erst zu späterer Stunde anzubieten.“

Was macht Sie denn so sicher, dass es ein nächstes Mal geben wird?, war sie versucht zu fragen. Doch sie traute ihrer Stimme nicht. Wahrscheinlich hätten die Worte unangemessen hoffnungsfroh geklungen. Vielleicht aber auch atemlos, weil ihr Bilder durch den Kopf gingen, was sie beide zu späterer Stunde noch so alles gemeinsam machen könnten.

„Zurück zum Plan, den der Major und ich ausgeheckt haben“, hörte sie Ashbourne sagen und scheiterte gleich darauf bei dem Versuch, ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Reginald Ashbourne sah so unglaublich gut aus. Dunkles, volles Haar, wache Augen unter schweren Lidern. Er war geheimnisvoll, klug und männlich und es schien nur eines zu geben, wovor sie sich bei ihm fürchten musste. Nämlich, dass sie ihr Herz unwiederbringlich an ihn verlor. Wie wohl seine Küsse schmeckten? Und wie es wohl war, wenn er sie in seine starken Arme zog?

Ashbourne wollte eben mit seiner Erzählung fortfahren, als ihm offensichtlich ihr verklärter Blick aufgefallen war. Zumindest stutzte er, und eine Augenbraue schnellte in die Höhe. „Wollen Sie mir verraten, woran Sie gerade gedacht haben?“

Sie errötete zutiefst und wandte sich wieder dem Krümel auf ihrem Rock zu, der noch immer nicht da war.

„Was haben Sie und der Major denn … äh … ausgeheckt?“, stammelte sie anstelle einer Antwort. Sie atmete auf, als er sie gewähren ließ.

„Nun“, sagte er nämlich, „gleich morgen früh werde ich die Damen vom Ballett aufsuchen und sie mit Konfekt und Blumen darüber hinwegtrösten, dass der Ausflug ins Schloss des Marquess nicht stattfinden wird.“

„Oh, er wird also zur Gänze abgesagt?“ Sie war wieder ganz Ohr.

„So ist es.“ Er grinste in diebischer Vorfreude. „Stattdessen werden Harold und ich anreisen und bei den Männern, denen man weibliche Gesellschaft versprochen hat, für Fassungslosigkeit sorgen. Ich überlege sogar, noch eins draufzusetzen, um ihnen den Spaß so richtig zu verderben. Harolds Halbbruder, der Baron Tetbury, ist …“

„… der strengste Moralapostel unserer Zeit!“, vervollständigte sie seinen Satz. Ihre Augen leuchteten nun vor Übermut und sie rutschte aufgeregt auf ihrem Sitz hin und her. „Oh ja, bitte, Sie müssen den Baron unbedingt dazu einladen. Wenn jemand eine ausgelassene Stimmung verderben kann, dann er.“

Reginald grinste erfreut. „Wie schön, dass Sie das auch so sehen, mia cara. Doch sagen Sie, wie kommt es, dass Sie mit Tetbury bekannt sind? Ich dachte, man trifft Sie nicht in Gesellschaft.“

„Wir singen im selben Kirchenchor“, erklärte sie ihm. „Ich persönlich schätze seine Lordschaft sehr, weiß aber, dass andere mit den Bibelzitaten, die er zu jeder x-beliebigen Gelegenheit hervorholt, wenig anfangen können. Prestwood wird schäumen vor Wut, wenn er ihn sieht. Ich wollte, ich könnte mit Ihnen kommen. Um nichts auf der Welt würde ich mir das entgehen lassen wollen.“

„Warum sollten Sie auch? Das ist eine geradezu glänzende Idee!“, rief er, ohne zu zögern. „Ich denke, Sie werden Ihrem Gemahl zu seinem Glück gerade noch gefehlt haben.“ Er lachte kurz auf, bevor sich seine Lider senkten. „War das jetzt allzu frei heraus?“

„Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Sie mir gegenüber die Wahrheit aussprechen“, beeilte sie sich, ihn zu beruhigen. „So wie Sie meine offenen Worte schätzen, schätze ich die Ihren. Viel schlimmer ist doch, dass Sie tatsächlich damit recht haben, dass meine Anwesenheit meinen werten Gatten alles andere als erfreuen wird.“ Sie straffte die Schultern und schaute ihm erwartungsvoll entgegen. „Also, wie sieht Ihr Plan aus, mio caro?“ Sie betonte das „mein Lieber“ genauso, wie er es immer tat. „Nehmen Sie mich mit nach Millcombe Castle?“

„Mit dem größten Vergnügen!“ Er zog ihre Hand zu sich, um einen kleinen Kuss darauf zu drücken. Ob aus Erleichterung darüber, dass sie ihm seinen Scherz nicht krummnahm oder um mit ihr zu flirten, sie wusste es nicht zu sagen. „Korrekterweise muss ich aber anmerken, dass nicht ich Sie, sondern Sie mich mitnehmen sollten. Ich werde den Kammerdiener in meinem Wagen folgen lassen. So können Sie dann allein auf Millcombe Castle vorfahren und niemand wird uns beide miteinander in Verbindung bringen. Was die Zeit betrifft, so denke ich, wir sollten gegen halb elf aufbrechen.“

„Dann werden wir das tun.“ Sie erhob sich lächelnd, als die Uhr auf dem Kaminsims zur vollen Stunde schlug. „Schon so spät?! Die Zeit muss verflogen sein. Hoffentlich hat Prestwood mein Fehlen nicht bemerkt, ich will ihn nicht schon heute verärgern. Leben Sie wohl, Mr Ashbourne, danke für den Kaffee. Er war, wie angekündigt, ausgezeichnet. Wir sehen uns dann morgen.“

Reginald war ebenfalls aufgestanden, begleitete seine Besucherin höchstpersönlich zur Tür und wies den Lakaien an, eine Sänfte für sie heranzuwinken.

Kapitel 3

Am nächsten Vormittag erwartete Reginald Ashbourne ein straffes Programm. Aber allein die Tatsache, dass er sich in Kürze die Kutsche mit seiner Angebeteten teilen würde, erfüllte ihn mit so großer Vorfreude, dass er all seine Pflichten mit ungewohnter Heiterkeit erledigte. Als Erstes standen die Mädchen vom Ballett auf seiner gedanklichen Liste. Sie liefen aufgeregt zusammen, als der großgewachsene, schwarz gekleidete Gentleman vor ihrem Quartier auftauchte, und wollten es dann kaum glauben, dass er ihre Vorfreude auf ein Wochenende im Landhaus eines wahrhaftigen Marquess mit wenigen Worten zunichtemachte.

Ashbourne war kein Freund des Balletts. Trotzdem gab es einige Mädchen, die ihn erkannten und die Chance ihres Lebens witterten. In Windeseile wurde sein Name von Ohr zu Ohr geflüstert. Manche Tänzerin fand seinen finsteren Blick vielleicht zum Fürchten, andererseits war er aber reich, auf düstere Weise gut aussehend und würde dereinst die Würde und das Vermögen eines Herzogs erben. Es war also kein Wunder, dass Ellenbogen zum Einsatz kamen und sich ein paar besonders Resolute nach vorn drängten, um seine Bekanntschaft zu machen. Sie mussten jedoch rasch feststellen, dass sie ihre Hoffnungen auf einen verheißungsvollen Gönner ebenso vergessen konnten wie den Ausflug, den Prestwood ihnen versprochen hatte. Bunte Blumen und in elegantes Seidenpapier eingeschlagenes Konfekt, das ihr Besucher von zwei Dienern verteilen ließ, waren da nur ein schwacher Trost. Ihr vielstimmiger Protest hätte Ashbourne nicht weniger kümmern können, denn in diesem Augenblick bog Prestwoods ausladende braune Reisekutsche um die Ecke. Er ging ihr entgegen und brachte sie mit einer strikten Handbewegung zum Stehen.

„Die Pläne haben sich geändert“, verkündete er zum Kutschbock hinauf. „Mrs Prestwood wird Sie anstelle der Tänzerinnen nach Millcombe Castle begleiten.“

Der Kutscher war ein alter, wettergegerbter Mann, den so schnell nichts erschütterte.

„Wer auch immer Sie sein mögen, mir soll es recht sein, Sir. Ich habe eine Nichte in dem Alter der aufgeregten jungen Dinger dort drüben. Die hätte ich auch nicht gern bei unserem Herrn im Bett.“

Ein paar lohnende Münzen wechselten den Besitzer.

„Fahren Sie in die North Audley Street zurück und lassen Sie Ihre Herrin einsteigen. Warten Sie mit der Abfahrt auf mich, ich werde Sie ebenfalls begleiten. Dennoch haben Sie mich nie gesehen und nie von mir gehört.“

„Sehr wohl, Sir. Nie gesehen, nie gehört“, brummte der Alte, schob die Münzen in seine Hosentasche, hob die Hand zur Kappe und setzte die Pferde wieder in Bewegung.

Ashbourne war höchst zufrieden.

Gut gelaunt machte er sich auf den Weg, um Baron Tetbury aufzusuchen und ihn mit der Tatsache zu überraschen, dass er bereits heute und nicht erst nach dem Wochenende zur Hochzeit seines Halbbruders anreisen und diesen zudem in seiner Kutsche mitnehmen sollte. Seine Bedenken, dass der Baron schwer zu überzeugen sein würde, zerstreuten sich in den ersten Minuten ihres Gesprächs. Tetbury konnte es nicht dulden, dass sich ein gewöhnlicher Mr Prestwood zum Herrn des Landsitzes eines Marquess aufspielen wollte. Als Reginald dann auch noch das geplante Saufgelage und die Tänzerinnen erwähnte, trat er zum Klingelstrang hinüber, um die nötigen Anweisungen zu geben.

„Diesem Sodom und Gomorra muss ein Riegel vorgeschoben werden!“, verkündete er streng. „Das bin ich dem verstorbenen Vater des jetzigen Marquess schuldig!“

Kurz vor halb elf setzte seine Kutsche Ashbourne dann in der North Audley Street ab. Er beauftragte den Kammerdiener, darin weiterzufahren und vor dem Kirchenportal von Beaconsfield auf ihn zu warten. Auf keinen Fall konnte er gemeinsam mit Amerina auf Millcombe Castle eintreffen, also würde er dort die Kutsche wechseln. Allein das Erscheinen von Prestwoods Gattin anstelle der erwarteten Tänzerinnen würde dort schon für enormes Aufsehen sorgen, da brauchte er sich nicht selbst auch noch in die Schusslinie bringen. Er überquerte die Fahrbahn und ging auf den ausladenden braunen Wagen zu. Der alte Kutscher hielt ihm den Schlag offen, so als wäre das für ihn eine Selbstverständlichkeit. Wie ebenso selbstverständlich stieg er ein und setzte sich in Fahrtrichtung neben die Dame in Schwarz, die dort schon auf ihn wartete. Dabei fiel ihm auf, dass es weit und breit keine Kammerfrau gab, mit der er eigentlich gerechnet hatte. Die schöne Römerin war allein. Sie wandte sich ihm zu, ein kleines Lächeln auf den Lippen.

„Pünktlich auf die Minute“, waren die Worte, mit denen sie ihn begrüßte.

„Ich halte Verlässlichkeit für eine der wichtigsten Eigenschaften eines Gentlemans“, antwortete er ebenfalls auf Italienisch, während er sich auf der brüchigen Lederbank zurechtrückte und den Hut neben sich auf die Sitzfläche legte. Auch wenn er es niemals zugegeben hätte und auch wenn sein Äußeres nichts als die gewohnt leicht gelangweilte Gelassenheit widerspiegelte, so fühlte er doch jene erwartungsvolle Aufregung, von der er gedacht hatte, sie sei ihm bereits in frühester Jugend abhandengekommen.

Mrs Prestwood sah ihn weiterhin unverblümt von der Seite her an: „Nur eines Gentlemans?“, wollte sie wissen. „Was sind denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften einer Lady?“

Von der Frage überrascht überlegte er kurz, bevor sich seine Lippen zu einem amüsierten Grinsen verzogen.

„Nein, warten Sie“, war jedoch sie es, die weitersprach und ihm für einen Augenblick die Hand auf den Unterarm legte. „Lassen Sie mich raten.“

Sein amüsiertes Grinsen vertiefte sich, und er gab ihr mit dem Heben einer Augenbraue zu verstehen, dass sie fortfahren sollte.

„Alora, die wichtigsten Eigenschaften einer Lady Ihrer Meinung nach sind …“, sie tat, als müsste sie angestrengt nachdenken, bevor es aus ihr herausplatzte, „Gehorsam und Duldsamkeit.“

Er ließ einen verächtlichen Laut hören: „Nehmen Sie ernsthaft an, mir stünde der Sinn nach Langeweile?“

Ein prüfender Blick ihrerseits war die einzige Antwort.

„Apropos langweilen“, sagte sie nach einigen Momenten des Schweigens. „Denken Sie nicht, es wäre an der Zeit, die Kutsche in Bewegung zu setzen? Warum geben Sie nicht den Befehl zur Abfahrt?“

Er zuckte mit den Schultern und streckte die Beine von sich. „Es ist Ihre Kutsche, Contessa. Sie haben hier das Sagen. Möchten Sie denn, dass ich das tue?“

Das war offensichtlich nicht der Fall, denn sie streckte sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, und klopfte mit der Faust dreimal gegen das Kutschendach, worauf sich der Wagen in Bewegung setzte.

„Als junger Mann ist man noch so naiv zu glauben, dass Schönheit die wichtigste Eigenschaft eines weiblichen Wesens sei“, nahm er den Faden wieder auf, als sie zum Stadtrand hinausfuhren. „Oder“, er lächelte kaum merklich, „die einzige wichtige Eigenschaft, um genau zu sein.“

„Neben Stand und Vermögen, selbstverständlich“, mutmaßte sie mit unverhohlenem Spott in der Stimme.

Sein Grinsen vertiefte sich wieder. „Selbstverständlich.“

„Und das denken Sie nun nicht mehr?“ Der Spott war bei dieser Frage nur geringfügig weniger geworden.

Er schüttelte den Kopf. „Nicht mehr nur, nein.“

„Sondern?“

Er sah aus dem Fenster und schwieg. So lange, bis es ihr zu dumm wurde.

„Das kann doch nicht so schwer sein!“ Sie gab ihm mit der Rechten einen Klaps auf den Unterarm. „Nennen Sie mir doch endlich zumindest eine Eigenschaft, die Sie bei einer Dame für essenziell halten. Zum Unterschied zu Ihrer Jugend, jetzt, in Ihrem Alter, quasi als Greis.“

Er lachte laut auf.

„Geduld“, erklärte er dann. „Geduld ist ganz besonders wichtig.“

Der nächste Klaps folgte.

„Au weh!“ Mit einer dramatischen Geste zog er den Arm vor seinen Körper, so als müsste er sich schützen. In seinen Augen blitzte es vor Vergnügen. „Wichtig ist mir auch Friedfertigkeit“, ergänzte er mit ernstem Tonfall. „Eine Lady darf nicht zu körperlicher Gewalt neigen.“

Als er erkannte, dass sie abermals ausholen wollte, umfasste er blitzschnell ihre beiden Handgelenke. „Sie haben die Gepflogenheiten hierzulande nicht verstanden, cara mia“, sagte er sanft. „Wohlerzogene, sittsame, englische Ladys haben die Augen niederzuschlagen, nicht ihre Gesprächspartner.“

Sie schnaufte unwillig, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, ihre Hände zu befreien.

„Ich muss doch nicht annehmen, dass Sie mich zu beleidigen beabsichtigen, Signore?“ Das amüsierte Zwinkern in ihren Augen strafte die strengen Worte Lügen. „Nichts liegt mir ferner, als eine dieser sittsamen, englischen Ladys sein zu wollen. Schließlich bin ich stolze Römerin von Geburt!“

Er schob sein Gesicht nah an das ihre heran und blickte ihr direkt in die Augen. Die ihren antworteten ihm, ohne zu blinzeln. Dabei hob sich ihr Kinn ganz leicht an, so als wollte sie ihn herausfordern.

„Wie soll ich das verstehen?“, fragte er gedehnt. „Sind Römerinnen am Ende nicht sittsam?“

Seine Provokation schien ihre Empörung noch weiter zu schüren, obwohl ihn ernste Zweifel beschlichen, ob die Empörung wirklich gar so groß war, wie sie zu sein vorgab.

„Was ist denn das für eine Frage, Signore?! Natürlich bin ich sittsam. Äußerst sittsam sogar, schließlich bin ich Katholikin. Oder, na ja, jedenfalls …“ Sie unterbrach sich und senkte den Blick auf ihre Handgelenke, die er bereits wieder losgelassen hatte. Dann seufzte sie und wandte sich ihm wieder zu. „Was ich sagen wollte, ist lediglich, dass ich nicht so fade und blass bin, wie man es als gute, englische Lady offensichtlich zu sein hat. Ich falle nicht alle naselang in Ohnmacht, schaffe es ohne Sonnenschirm über die Straße und echauffiere mich nicht über irgendwelche unwichtigen Nichtigkeiten.“

Er hätte diese Aufzählung ohne Zweifel amüsant gefunden, wenn nicht eines ihrer Worte seine Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich gezogen hätte: „Sie sind Katholikin?“

„Das kann Sie doch nicht ernsthaft verwundern!“ Ihr Tonfall klang, als müsste sie sich gegen ungerechtfertigte Kritik wehren. „Schließlich komme ich aus Rom, wo der Papst regiert. Sagen Sie nicht, dass Sie das nicht wussten.“

„Natürlich weiß ich das. Papst Pius VII. Was ich sagen wollte, war, dass es nicht ratsam ist, hier im Königreich so frank und frei zuzugeben, diesem Glauben anzugehören. Auch wenn er von manch hohem Herrn inzwischen toleriert wird, so ist die Ausübung Ihrer Religion in unserem Land doch immer noch verboten.“

Sie verzog die Lippen, wandte den Kopf ab und ihm dann doch wieder zu. „Was ist mit Ihnen? Tolerieren Sie die katholische Religion ebenfalls, wie die manchen hohen Herren, von denen Sie sprachen, oder …“

„Meine Güte“, er atmete tief durch, „wer bin ich, dass ich mich als Richter in religiösen Angelegenheiten aufspielen könnte? Bei der Hochzeit kommenden Dienstag werde ich zum ersten Mal seit Jahren eine Kirche von innen sehen. In der kleinen Kapelle auf meinem Landsitz Pansy Manor lagern Baumaterialien für die Renovierung. Also nein, ich bin keiner, dessen Urteil über Religionen etwas bedeutet. Ich befürchte bloß, es könnte Ihnen in diesem Land Probleme bereiten, dass Sie eine Katholikin sind, das ist alles.“

Dann schwiegen sie wieder, und er versuchte, die Fliege, die seinen Kopf umschwirrt hatte, mit der bloßen Hand zu fangen. Ein Vorhaben, das ihm nach wenigen Versuchen gelang. Er kurbelte das Seitenfenster hinunter und warf das Tier hinaus.

„Ich bin konvertiert“, erklärte sie, als er das Fenster wieder schloss. „Also besteht kein Grund zur Sorge. Prestwood wollte es so, und es fiel mir nicht allzu schwer, dem zuzustimmen. Ich lebe jetzt in England, also muss ich mich an die Gesetze halten, die hierzulande gelten. Auf welche Art ich in meinem Inneren zu meinem Gott bete, kann niemand kontrollieren.“

„Eine kluge Sichtweise“, lautete sein Kommentar, bevor ihm einfiel: „Haben Sie mir bei unserem letzten Treffen nicht erzählt, dass Sie im Chor einer anglikanischen Kirche singen?“

Nun schlich sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen und vertrieb die ernste Stimmung, die sie umfangen hatte. „Das ist doch eine perfekte Tarnung für eine innerliche Katholikin, finden Sie nicht auch?“

„Die allerbeste“, sagte er und lachte auch. Ich würde dich nicht heiraten können, wenn du Katholikin wärst, schoss es ihm durch den Kopf. Als zukünftiger Herzog von Warminster hatte er sich an noch strengere Regeln zu halten als die, die ohnehin schon für andere Mitglieder des Adels galten. Erschrocken hielt er die Luft an. Woher kam denn auf einmal dieser Gedanke? Er kannte die Lady an seiner Seite doch kaum. Außerdem war sie bereits verheiratet. Ihr Gatte war kaum älter als er, es war nicht anzunehmen, dass Prestwood in absehbarer Zeit das Zeitliche segnen würde.

„Warum sehen Sie dann immer noch so entsetzt aus?“, wollte sie wissen.

„Ich frage mich gerade“, sagte er, ohne nachzudenken, „ob Sie immer noch Katholikin genug sind, dass eine Scheidung für Sie nicht infrage käme.“

Während er sich am liebsten auf die Zunge gebissen hätte und sich einen Narren schalt, starrte auch sie ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

„Selbstverständlich kommt eine Scheidung niemals infrage“, erklärte sie mit Nachdruck.

„Auch nicht, wenn der Mann den Vater der Braut getäuscht hat? Und ein verschlagenes Ekel ist?“

„Auch dann nicht“, antwortete sie, ohne zu zögern. „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Aus. Fertig. Amen.“

„Aus. Fertig. Amen“, wiederholte er.

Dann herrschte Schweigen in der Kutsche, die in schnellem Tempo eine gerade Landstraße entlangrumpelte. Amerina hatte sich zum Fenster gedreht und beobachtete anscheinend interessiert die Landschaft, die draußen vorbeizog. Es war kein unangenehmes Schweigen und doch hatte Ashbourne das Gefühl, wertvolle Zeit zu vergeuden, die er lieber besser nutzen wollte.

„Sie sind also nicht fade und blass?“, kam er auf das ursprüngliche Thema zurück.

Sie fuhr herum. „Das klingt ja geradezu so, als wären Sie überrascht!“

„Nein, eigentlich nicht“, sagte er und klang dennoch nicht überzeugt. „Ich frage mich nur, welche Eigenschaften Sie stattdessen auszeichnen …“

„Ich bin Südländerin, Signore. Daher verfüge ich über Temperament und Leidenschaft.“ Die Heftigkeit, mit der sie diese Worte ausgesprochen hatte, bewiesen ihre Wahrheit auf das Anschaulichste. Das war etwas, was ihm außerordentlich gut gefiel. Denn auch wenn er nach außen hin nichts als typisch englische Kühle zur Schau stellte, war auch er zur Hälfte ein leidenschaftlicher Südländer. Das war eine Seite von ihm, die allerdings nur die wenigsten Menschen zu Gesicht bekamen. Was er aber vor allem liebte, war, andere zu provozieren. Besonders Menschen, die er mochte. Und seine Reisebegleiterin mochte er. Sehr sogar. Ja, mehr noch, je länger er neben ihr saß, je länger er mit ihr sprach, desto stärker stieg das Verlangen, sie in die Arme zu reißen, um sie mit eben jener Leidenschaft zu küssen, die sicher auch ihr selbst zu eigen war. Das wusste er nicht nur durch ihre Worte, das bemerkte er an ihrer Stimme, das las er aus all ihren Bewegungen.

„Leidenschaftlich?“, wiederholte er und klang dennoch alles andere als überzeugt. „Na, ich weiß nicht so recht … Oh!“

Sie hatte sich zu ihm umgedreht, seine Oberarme mit ihren Händen umklammert und drückte ihm nun einen so festen Kuss auf die Lippen, dass ihm erst einmal die Luft wegblieb.

„Beweis genug?“, fragte sie triumphierend.

Oh ja, das unterscheidet sie allerdings von den zimperlichen Damen der noblen Londoner Gesellschaft, dachte er, alles andere als schockiert. Dann zog er sie so stürmisch an sich, dass sie seine Ärmel loslassen musste und die Hände stattdessen in seinen Rücken krallte. Ihre Münder öffneten sich ohne jedes Zögern und die Zungen begannen einen feurigen Tanz. Er wusste nicht zu sagen, wer von ihnen beiden zu stöhnen begonnen hatte, doch er war höchst beglückt, das ihre zu hören. Ihre Leidenschaft stachelte die seine immer weiter an und am liebsten hätte er ihr, gleich hier in der Kutsche, die Kleider vom Leib gerissen. Doch sie war eine Lady von Geburt. Außerdem hatte er noch zu gut im Ohr, wie wichtig es ihr gewesen war, ihre Sittsamkeit zu betonen. Also begnügte er sich damit, den Kuss noch weiter zu vertiefen.

Von ihm aus hätten sie sich bis Beaconsfield küssen können. Von ihm aus hätte der Kuss nie enden müssen. Als er es dann doch tat, lehnte sie sich schwer atmend in den Lederpolstern zurück, wandte den Blick wieder aus dem Fenster und sagte kein Wort.

Dass sie sich nach so einem Kuss von ihm zurückzog und ihm damit das Gefühl gab, er allein sei schuld daran, dass sie die Grenzen des guten Anstands überschritten hatten, ärgerte ihn. Und weil er Reginald Ashbourne war und nicht anders konnte, fragte er in gelangweiltem Tonfall: „Sieh mal einer an. Einen fremden Mann zu küssen ist also gestattet? Auch für eine sittsame, verheiratete Katholikin?“

Er war in der Regel mit sich im Reinen, aber für diesen Satz hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt, kaum dass er ihn ausgesprochen hatte. Was, wenn sie den Kuss tatsächlich bereute? Was, wenn er sie mit seinen dummen Worten, die allein verletzter Eitelkeit geschuldet waren, ernsthaft beleidigt hatte? Was, wenn sie sie so abstießen, dass sie ihn nie wieder in die Nähe lassen würde? Oder wenn er ihr Vertrauen verloren hätte? Etwas, das ihn, wie er erstaunt feststellte, fast noch mehr enttäuschen würde.

„Was sind Sie doch für ein romantischer Schmeichler, Signore“, hörte er ihren Kommentar, der bewies, dass sie ihm an Ironie in nichts nachstand. „Ich bebe vor Entzücken.“

Was hätte er da anderes tun können, als sie abermals in seine Arme zu ziehen und ihr mit Küssen zu beweisen, dass er durchaus etwas von Romantik verstand? Als sich ihre Lippen wieder trennten, wandte sie sich diesmal nicht von ihm ab.

„Ich erlaube mir, mich von Ihnen küssen zu lassen, Mr Ashbourne, da dies etwas ist, was mein Mann niemals tut. Also nehme ich ihm nichts weg, was ihm eigentlich zustünde.“

„Er küsst Sie nicht?“ Reginald konnte es nicht glauben. „Nie?“

Sie blickte ihm offen ins Gesicht. „Nie!“

Da schüttelte er den Kopf und zog sie wieder an sich, um das nachzuholen, was Mr Prestwood anscheinend konstant versäumte. Insgeheim fragte er sich hoffnungsfroh, ob der dumme Kerl wohl auch verabsäumte, mit seiner Angetrauten das Lager zu teilen. Er würde nur zu gern auch diese Aufgabe übernehmen.

Kapitel 4

Millcombe Castle

Mai 1812, vier Tage vor der Hochzeit von Amabel und Harold

An diesem Abend saß Amerina Prestwood vor dem Schminktisch in jenem Gästezimmer auf Millcombe Castle, das sie als das ihre erkoren hatte, und sah sich im Raum um. Es war alles einst von kundiger Hand geschmackvoll eingerichtet worden, doch inzwischen arg in die Jahre gekommen. Wie im gesamten Schloss des jungen Marquess of Beaconsfield war auch hier deutlich zu erkennen, dass es seit langem an dem nötigen Geld und der Dienerschaft fehlte, um notwendige Instandhaltungsarbeiten durchführen zu lassen. So war der verblichene, altrosa Vorhang auf einer Seite heruntergerissen und hing nun schief vor den fast blinden Fensterscheiben. Beim Waschtisch fehlte eine der beiden Schranktüren, ein feiner, dunkler Sprung zog sich durch die Porzellanschüssel.