Ein Kinderherz braucht Liebe - Annabella Annabella - E-Book

Ein Kinderherz braucht Liebe E-Book

Annabella Annabella

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Christian von Hardenberg ist so vertieft in seine Erinnerungen, daß er das Klopfen völlig überhört. Er fährt aus seinen Gedanken hoch, als die alte Anna, die Mamsell des Schlosses, plötzlich in seinem Arbeitszimmer steht. »Was ist, Anna?« »Herr Graf, entschuldigen Sie, aber ich habe einige Male geklopft. Sie müssen es überhört haben. Der kleine Ullrich macht mir Sorgen. Er hat nichts gegessen heute und macht einen ganz apathischen Eindruck. Könnten der Herr Graf nicht Dr. Hillebrandt anrufen und ihn bitten, sich den kleinen Grafen einmal anzusehen?« »Ja, ja.« Graf Christian greift sich müde an die Stirn. Dann nimmt er den Telefonhörer auf. Anna sieht ihm kopfschüttelnd zu. Es ist ihm völlig gleichgültig, was aus dem Jungen wird, sinnierte sie. Seit seine Frau, die Gräfin Ullrike, von ihm gegangen ist, hat er noch nicht ein einziges Mal nach dem Kind verlangt, geschweige denn, es überhaupt angeschaut. Das arme kleine Wurm hat keine Mutter mehr, und der Vater, der ihm die Mutterliebe mit ersetzen sollte, kümmert sich nicht um das Kind. Völlig uninteressiert ist er. Ja, manchmal kommt es der alten Anna vor, als ob er dem kleinen lieben Ullrich die Schuld an dem Tod der jungen Gräfin geben würde. Sie bleibt abwartend stehen, während sie ihren Gedanken nachhängt und beobachtet, wie der Graf langsam und bedächtig die Nummer des Dorfarztes wählt. »Hier Graf Hardenberg.

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Fürstenkinder – 22 –

Ein Kinderherz braucht Liebe

...die Liebe, die nur eine Mutter geben kann

Annabella Annabella

Christian von Hardenberg ist so vertieft in seine Erinnerungen, daß er das Klopfen völlig überhört.

Er fährt aus seinen Gedanken hoch, als die alte Anna, die Mamsell des Schlosses, plötzlich in seinem Arbeitszimmer steht.

»Was ist, Anna?«

»Herr Graf, entschuldigen Sie, aber ich habe einige Male geklopft. Sie müssen es überhört haben. Der kleine Ullrich macht mir Sorgen. Er hat nichts gegessen heute und macht einen ganz apathischen Eindruck. Könnten der Herr Graf nicht Dr. Hillebrandt anrufen und ihn bitten, sich den kleinen Grafen einmal anzusehen?«

»Ja, ja.«

Graf Christian greift sich müde an die Stirn. Dann nimmt er den Telefonhörer auf. Anna sieht ihm kopfschüttelnd zu.

Es ist ihm völlig gleichgültig, was aus dem Jungen wird, sinnierte sie. Seit seine Frau, die Gräfin Ullrike, von ihm gegangen ist, hat er noch nicht ein einziges Mal nach dem Kind verlangt, geschweige denn, es überhaupt angeschaut.

Das arme kleine Wurm hat keine Mutter mehr, und der Vater, der ihm die Mutterliebe mit ersetzen sollte, kümmert sich nicht um das Kind. Völlig uninteressiert ist er.

Ja, manchmal kommt es der alten Anna vor, als ob er dem kleinen lieben Ullrich die Schuld an dem Tod der jungen Gräfin geben würde.

Sie bleibt abwartend stehen, während sie ihren Gedanken nachhängt und beobachtet, wie der Graf langsam und bedächtig die Nummer des Dorfarztes wählt.

»Hier Graf Hardenberg. Grüß Gott, Herr Doktor. Könnten Sie auf einen Sprung vorbeikommen und nach meinem Sohne schauen? Anna sagt, sie mache sich Sorgen.« Er horcht in die Muschel. »Ich weiß es nicht, ich habe ihn noch nicht gesehen. Ja – danke, Herr Dr. Hillebrandt –, ich erwarte Sie dann!«

Er legt den Hörer auf die Gabel zurück. »Dr. Hillebrandt kommt so bald wie irgend möglich vorbei. Führen Sie ihn dann zu dem Kind.«

»Wollen Herr Graf nicht mitkommen?«

Der Graf übersieht den vorwurfsvollen Blick der alten Mamsell.

»Was soll ich dabei? – Ich kann nicht helfen«, erwidert er kurz. Als Anna noch immer zögert, setzt er hinzu: »Ich habe bereits eine Anzeige im Kreisblatt aufgegeben. Sie werden sich nicht mehr lange um den Kleinen kümmern müssen, Anna.«

Anna wird rot, sie stottert: »Aber ich tue es doch gern, Herr Graf, nur…«

»Ja, ja, ich weiß!« unterbricht Christian von Hardenberg sie kurz. »Sie schaffen es einfach nicht, Anna. Sie haben sonst genug Arbeit.«

»Darum geht es nicht, nur finde ich, der Herr Graf sollten selber einmal nach dem Kind schauen. Er ist so herzig geworden, der kleine Graf, und…«

»Lassen Sie das, Anna! Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten. Und, wie gesagt, Sie werden, sowie sich jemand findet, der Sorge um das Kind enthoben sein.«

Anna erwidert nichts mehr. Sie murmelt kurz eine Entschuldigung und verläßt das Zimmer.

Graf Hardenberg verfällt, nachdem sie die Tür leise ins Schloß gezogen hat, wieder ins Grübeln.

Was geht mich das Kind an –, Ullrikes Kind? Ein harter Zug erscheint um seinen ausdrucksvollen Mund. Es genügt, wenn der kleine Ullrich im Schloß großgezogen wird, denkt er. Fortgeben kann ich ihn nicht gut. Das würde Anlaß zu Gerede und Klatsch geben.

Und das ist etwas, was Chistian von Hardenberg haßt.

Anna eilt inzwischen in die oberen Räume. Sie öffnet eine Zimmertür und steht kurz darauf an dem Kinderbettchen von Klein-Ullrich.

Armer kleiner Graf! denkt sie, als sie sich über die Bettstatt beugt. Du wächst in einem feudalen Schloß auf, hast an äußeren Dingen alles, was ein Kinderherz begehrt, aber du hast keine Mutter mehr und einen Vater, der dich nicht liebt.

Klein-Ullrich sieht ihr aus matten, traurigen Augen entgegen. Ein kleines, müdes Kinderlächeln, das über sein Gesichtchen huscht, zeigt ihr, daß er sie erkennt.

Er ist ein hübsches, zartes Kind mit dunklen Locken und den leuchtendblauen Augen, fast ein Baby noch mit seinen dreizehn Monaten.

Wie er unserem Herrn Grafen gleicht, muß Anna denken, während sie ihn wehmütig betrachtet. Sie war schon im Schloß, als die Eltern von Graf Christian noch lebten, und hat ihn von klein auf betreut. Als die Gräfin Christiane, die Mutter Christians, noch lebte, war sie aufs Schloß gekommen, und als diese starb, war der kleine Graf mit allen Sorgen und Nöten zu der alten Anna gelaufen, die damals allerdings erst dreißig Jahre zählte. Und auch später oft – als halbwüchsiger Knabe – war er häufig zur alten Anna in die Küche gehuscht oder in die Wirtschaftsräume.

Er war ein so lebhafter und liebenswerter Bub gewesen, der kleine Graf, und später ein so fröhlicher und lebenslustiger Jüngling.

Was hat ihn nur so verändert? sinnt die alte Anna, während sie Klein-Ullrich besorgt betrachtet. Wie glücklich war er, als er um Komteß Ullrike von Ravensburg warb, und wie zufrieden in der ersten Zeit der jungen Ehe. Ja, das ging so lange, wie der alte Graf Nikolaus noch lebte.

Nach seinem Tode, der Christian hart getroffen hatte, da er in abgöttischer Liebe an dem Vater hing, wurde es langsam anders.

Die junge Gräfin, der es zu langweilig auf dem Schlosse wurde, ging auf Reisen. Christian vergrub sich in die Arbeit. Gräfin Ullrike gab nur noch Gastspiele auf dem Schloß.

Nach zwei Jahren jedoch, als Klein-Ullrich geboren werden sollte, hoffte man, daß es besser werden würde. Aber Ullrike, die schöne, lebenslustige Ullrike, starb bei der Geburt des Kindes. Und Graf Christian wurde noch verschlossener. Das Kind schaute er gar nicht an, er überließ es bezahltem Personal. Etwas später ging er auf Reisen.

Erst vor vierzehn Tagen kehrte er zurück, braungebrannt und gut erholt, aber noch wortkarger.

Anna seufzt. Sie beugt sich zu dem Kleinen herab. »Ulli, bald kommt der Onkel Doktor, mein Kleiner. Der wird schauen, wo Ulli sein Weh-Weh hat.«

Klein Ulli schaut sie nur – wie ihr scheint – wehmütig und müde an. Er plappert nicht wie sonst in seinem lustigen Kauderwelsch.

»Hoffentlich ist es nichts Ernsthaftes«, ängstigt sich die alte Anna. Sie überhört das Läuten. Erst als es kurz an der Tür klopft, schreckt sie hoch.

Der alte Dorfarzt folgt Sebastian, der ihn meldet, auf dem Fuße.

»Guten Abend, Anna! Wo ist der Herr Graf?«

Anna weicht seinen Blicken verlegen aus. »Er befindet sich in seinem Arbeitszimmer.«

»So, so, hat er wieder mal seinen schwarzen Tag?«

Sebastian ist inzwischen wieder nach unten gegangen. Der Arzt wendet sich dem Kinderbett zu.

»Nun, dann werde ich mir einmal den kleinen Grafen ansehen. Tag, Ulli! Wo hat denn das Bübchen sein Weh-Wehchen?« Freundlich neigt er sich dem Kind zu. Dann befiehlt er Anna, den Oberkörper des Kleinen freizulegen.

Er packt seine Instrumententasche aus und entnimmt ihr das Stethoskop. Bald darauf horcht er das Kind ab.

»Der Kleine steht dicht vor einer Lungenentzündung. Hat er bloßgelegen oder Zugluft bekommen, Anna?« Als Anna ihn besorgt und erschrocken ansieht, fügt er hinzu: »Er fiebert ein bißchen.«

Ganz entgeistert starrt ihn die Alte an. »Nicht, daß ich wüßte, Herr Doktor!«

»Es kann auch schon ein bißchen länger in ihm stecken«, sagt Dr. Hillebrandt beruhigend. »Wo ist denn eigentlich die Kinderschwester?«

Errötend gesteht ihm die alte Anna, daß Schwester Herta seit acht Tagen nicht mehr auf dem Schlosse weilt. »Es ist das alte Lied, Herr Doktor. Die eine hat es auf unseren Herrn abgesehen, die andere findet einen Posten in der Stadt, und die dritte, nun, der ist es zu langweilig und zu einsam auf dem Schloß. Und manch eine glaubt, sich den Grafen zu angeln und die Mutter von dem Kleinen zu werden. Tja, und wenn sie dann merkt, daß Graf Christian so gar nicht reagiert, haut sie ab. Es ist nun schon die vierte in der kurzen Zeit!« schließt Anna mit einem Seufzer. »Die beste von den Schwestern war noch die erste, die Hannelore, aber die mußte zurück an die Klinik, die hatte man nur leihweise abgegeben.«

»Es wäre das beste, wenn Graf Christian wieder heiraten würde. Es muß ja nicht gerade die Kinderschwester sein!« poltert der alte Arzt.

»Sie wissen, Herr Doktor, wie zurückgezogen der Graf lebt. Dabei wäre sicher die eine oder andere der Gutsbesitzertöchter gern bereit, Gräfin Hardenberg zu werden.«

»Tja, es ist ein Kreuz mit ihm. Dabei war er früher ein so netter junger Mann. Ich kann mich noch gut erinnern.«

»Ja.« Anna hat ein verzweifeltes Gesicht. »Hat er den Tod seiner Frau noch immer nicht überwunden? Wenn ich das nur wüßte, dabei…« Anna unterbricht sich selbst. Was geht es fremde Leute an, auch wenn es in diesem Falle der freundliche alte Dorfarzt Hillebrandt ist.

Der Arzt beugt sich noch einmal zu dem Kleinen. »Es wird bald wieder besser werden, Ulli. Der Onkel Doktor wird dir etwas verschreiben. Die alte gute Anna wird dir nachher gleich Brustwickel machen. Und dann werden wir dir fürs Herz eine liebe, lustige Tante heraufschicken. Ich glaube, das ist es, was dir zur Hauptsache fehlt.« Als Anna den Arzt fragend ansieht, sagt er nur kurz: »Bitte, Anna, melden Sie mich dem Herrn Grafen. Ich muß mit ihm reden. Später schaue ich dann noch einmal herauf und gebe Ihnen Verhaltensmaßregeln.«

Umständlich packt er seine Tasche zusammen und fordert Anna auf, mit ihm hinunterzugehen.

Wieder klopft die alte Anna an das Arbeitszimmer des Grafen. Diesmal bekommt sie eine Aufforderung zum Eintreten.

»Herr Dr. Hillebrandt möchte Sie kurz sprechen, Herr Graf.«

»Ich lasse bitten!«

Dr. Hillebrandts massige Gestalt schiebt sich gleich darauf ins Zimmer. Graf Christian steht auf und kommt dem alten Arzt entgegen.

»Grüß Gott, Doktor!«

»Tag, Herr Graf! Ich werde Ihnen zur Pflege des Kindes jemanden heraufschicken.« – Als Christian ihn fragend ansieht, setzt er hinzu: »Bei dem kleinen Ulli ist eine Lungenentzündung im Anzug. Ich hoffe, daß es nichts Ernstes ist, aber ich möchte vorbeugen, da das Kind sehr zart ist. Von Anna höre ich gerade, daß niemand zur Pflege da ist. Und Anna ist zu alt und hat wohl auch zu wenig Zeit.«

Dr. Hillebrandt wundert sich, daß sich der Graf überhaupt nicht nach dem Kind erkundigt. Er erwidert nur höflich auf den Vorschlag des Arztes: »Ich danke Ihnen, Herr Doktor!«

*

Dr. Wilhelm Hillebrandt spricht mit Rotraud Behrens, der Tochter des einstigen Lehrers von Hardenberg, wie der kleine Ort unterhalb des Schlosses heißt.

Rotraut hat gerade ihr Studium als Pflegerin beendet. Sie möchte als Gemeindeschwester Dienst tun. Dr. Hillebrandt, der das Mädchen in sein altes Junggesellenherz geschlossen hat, unterstützt es dabei. Bis jetzt hat aber Rotraud die offizielle Bestätigung von der Gemeinde noch nicht erhalten.

Sie ist bereit, nachdem der alte Dorfarzt ihr seine Bitte vorgetragen und die Verhältnisse auf dem Schlosse geschildert hat, die Pflege des kleinen Ullrich zu übernehmen. Rotraud kennt den Grafen nur vom Sehen her. Als er heiratete, war sie erst sechzehn Jahre alt und derzeit in einem Kloster. Nur die Ferien verbrachte sie in dem kleinen Heimatort.

Alle Mädchen schwärmten für ihn und auch Rotraud fand ihn damals imponierend und sehr männlich.

Heute tut er ihr leid, weil man munkelt, daß er nach dem Tod seiner jungen Frau Ullrike ein verschlossener und wortkarger Mann geworden sei.

Und das ist der Grund, weshalb sie auch sofort zusagt, mit Dr. Hillebrandt aufs Schloß zu fahren und seinen Sohn zu pflegen.

Am Nachmittag desselben Tages also fährt sie mit ihm hinauf. Der Arzt fragt nach dem Grafen. Verlegen erwidert der alte Sebastian, daß der Herr Graf nicht gestört werden möchte.

Der Dorfarzt geht nicht weiter auf die Worte ein.

»Ist die alte Anna bei dem Kind? Dann führen Sie uns hinauf, Sebastian. Oder lassen Sie, ich finde den Weg schon selbst. Komm, Rotraud!« fordert er das Mädchen auf, ihm zu folgen. »Gehen wir nach oben. Ich nehme an, wir kommen auch ohne den Grafen zurecht«, sagt er ein wenig ironisch.

Der alte Bastian schaut hinter den beiden her. »So jung und dazu so

hübsch. Und der Herr Graf mag keine jungen, hübschen Frauen.«

Aber es geht besser, als der alte Diener denkt. Mit viel Liebe und Geduld und Initiative übernimmt Rotraud die Pflege des kleinen Grafen.

Anna ist direkt erlöst und erleichtert. Vom ersten Augenblick an hat sie das junge Mädchen, das so zärtlich und liebevoll mit Klein-Ulli umzugehen weiß, in ihr altes Herz geschlossen.

Sie geht ihrer Arbeit wieder unbesorgt nach, weiß sie doch das Kind in allerbesten Händen. Ihre Sorge im allerersten Moment, das Mädchen Rotraud könne zu jung sein, ist völlig unbegründet.

Rotraud Behrens weilt nun schon über acht Tage im Schloß. Sie wundert sich, daß sie Graf Christian, den Vater des kleinen Ullrich, bisher noch nicht zu Gesicht bekommen und er das Kinderzimmer noch nie betreten hat.

Aber Rotraud ist ein Mensch, der nicht viel fragt, auch nicht die alte Mamsell, mit der sie fast so etwas wie Freundschaft verbindet und die ihr ein reizendes Fremdenzimmer im Schloß zugewiesen hat.

Klein-Ulli erholt sich zusehends, der alte Dr. Hillebrandt ist mit dem Kleinen und auch mit seiner Pflegerin sehr zufrieden.

Als Ulli soweit wiederhergestellt ist, daß Rotraud gehen kann, fällt es dem Mädchen schwer, den kleinen süßen Kerl, an den sie inzwischen ihr ganzes Herz gehängt hat, wieder zu verlassen. Sie weiß inzwischen von Anna so einiges, die sie gebeten hat, wenigstens so lange zu bleiben, bis ein neues Kindermädchen kommt.

»Sie soll in den nächsten Tagen eintreffen, Fräulein Rotraud, hat mir der Graf gesagt«, erklärte die alte Anna. »Wie sie ist und wie sie aussieht, weiß ich selbst nicht. Der Graf hat es mir gestern nur kurz mitgeteilt.«

»Ist gut, Anna. Selbstverständlich bleibe ich so lange«, erwidert Rotraud freundlich.

Heute nun geht Rotraud zum ersten Male mit dem kleinen Ullrich in den blühenden Park von Schloß Hardenberg hinaus. Sie hat den Kleinen warm angezogen und trägt ihn über die große Schloßterrasse hinunter.

Ulli hat seine weiche Kinderwange an die samtene des Mädchens gelegt. Zärtlich schaut Rotraud ihn an, und Klein-Ullrich macht ein glückliches Gesichtchen.

Die alte Anna schaut ihnen nach. Kommt es ihr so vor, oder ist das kleine zarte Kerlchen tatsächlich kräftiger geworden? Fröhlicher auf alle Fälle, muß sie denken.

Er jauchzt und plappert in seiner lustigen Babysprache. Rotraud gibt ihm Antwort und sagt ihm geduldig immer wieder einzelne Worte vor.

In der Nähe vom Schloßteich – unter einem schattigen Baum – läßt sich Rotraud mit dem Kind nieder. Sie breitete eine weiche Wolldecke auf dem kurzgeschorenen Rasen aus und läßt Klein-Ulli ein wenig kriechen.

Vergnügt krähend, kriecht nun Klein-Ulli um sie herum. Er zaust mit seinen keinen Händchen in ihren Locken oder patscht ihr zärtlich-tapsig im Gesicht herum.

Ulli, der noch nicht ganz fest auf seinen kleinen Beinen steht, kriecht zwischendurch auch auf allen vieren ein wenig weiter.

Rotraud, besorgt wie eine kleine Mutter, holt ihn sich dann jedesmal wieder zurück. Es gibt dann stets ein lustiges Kreischen von seiten Ullis, wenn sie den Kleinen packt, hochhebt und wieder auf die Decke zurücksetzt.

Dabei sinnt sie wehmütig, daß es wohl nur noch einige Tage sein werden, die sie mit dem lieben kleinen Mann zusammen sein kann. Es kommen ihr allerlei grüblerische Gedanken.

Warum kümmert sich eigentlich der Graf nie um sein Kind, sein einziges Kind? muß sie denken. Solange sie auf dem Schlosse weilt, hat er noch nie die Räume seines einzigen Sohnes Ullrich betreten. Und dabei ist Ulli das liebste, bescheidenste und reizendste Kind, das es gibt, für jedes liebevolle Wort dankbar und anschmiegsam und zärtlich.

Es fällt ihr direkt schwer, den dunkellockigen Bub mit den blauen Augen, die nun wieder leuchtend sind und strahlen, wenn sie sich mit ihm beschäftigt, wieder herzugeben. –

Auch die alte Anna macht sich Gedanken. Sie sieht natürlich auch, wie das Kind in den letzten Tagen aufgelebt ist und mit einer rührenden Liebe an dem zarten Mädchen Rotraud mit dem liebevollen Herzen hängt.

Hoffentlich kommt diesmal ein vernünftiges Fräulein! sind ihre sorgenvollen Gedanken.

*

Graf Christian hat von der Mamsell Anna gehört, daß es Ulli wieder besser geht und er in den Händen der Pflegerin, die Dr. Hillebrandt noch am nächsten Tag heraufgeschickt hat, bestens aufgehoben ist.

Sowie das neue Kinderfräulein – diesmal hat er ein etwas älteres Mädchen ausgewählt – eingetroffen ist, beschließt er, auf Reisen zu gehen. Wenn die Ernte beginnt, will er wieder zurück sein. –

In Gedanken versunken schlendert er durch den Park und gelangt dabei in die Nähe des kleinen Schloßteichs. Eine helle, weiche Mädchenstimme klingt plötzlich an sein Ohr –, dazwischen lustiges Kindergeplapper.

Wie angewurzelt bleibt er einen Moment später stehen. Die Bäume, die ihm zuvor die Sicht verdeckten, treten etwas zurück. Unter einem schattigen Baum auf dem Rasen sieht er ein zartes Mädchen stehen, das einen kleinen Buben – Ulli, wie er annimmt – hoch in der Luft herumschwenkt. Das fröhliche Jauchzen und Krähen des Kleinen ist weithin zu vernehmen.

Ganz helles, wie matter brauner Samt leuchtendes Haar lockt sich um ein gemmenhaft zartes Antlitz. Er sieht nur das Profil des Mädchens, eine feingebogene Nase, eine runde hohe Stirn und das sanfte Oval des leichtgebräunten Gesichtes.

Ob er will oder nicht, das anmutige Bild nimmt ihn gefangen. Es geht ein fast unwirklicher Zauber davon aus.

Schweigend verharrt er. Er hält unwillkürlich den Atem an, aus Angst, das liebliche Bild könne sich verwischen.

Aber das Kind, das das Köpfchen wendet, hat ihn dennoch entdeckt.

»Da… da Mann!« sagt er erschreckt.

Das Mädchen läßt den Kleinen auf die Erde gleiten und wendet ihm ihr Gesicht zu. Saphirblaue Augen mustern ihn erstaunt, während eine leichte Röte in das zarte Gesicht des Mädchens steigt.

Wie unter einem Zwang nimmt sie den Buben wieder auf den Arm und schreitet auf ihn zu.

Graf Christian schaut ihr gebannt entgegen.

Wie ein Botticelli-Engel sieht sie aus. Seine Augen, die sonst meistens finster blicken, lächeln unbewußt. Dadurch faßt Rotraud, die schon viel von dem eigenartigen Grafen gehört hat, Mut. Sie tritt auf ihn zu.

»Graf von Hardenberg?« fragt eine sanfte, weiche Stimme.

»Ja, und Sie sind sicher die Pflegerin, die Dr. Hillebrandt geschickt hat, nicht wahr?«

»Ja – Rotraud Behrens«, stellt sich das Mädchen vor. »Ulli, mein Liebling, gib deinem Vati ein Küßchen!« fordert sie dann den Kleinen auf und hält ihn dem Vater entgegen.

Sie sieht nicht den abweisenden Zug im Gesicht des Grafen, sie spürt nur, daß der Kleine von dem Mann fortstrebt. Er bricht plötzlich in Weinen aus und sagt: »Niss Arm böse Mann, Tata bleiben.«

Erschreckt schaut Rotraud zu dem Grafen hin, der nun ein finsteres und sehr abweisendes Gesicht macht. »Lassen Sie das, Fräulein Behrens!

Sie sehen ja, daß das Kind nicht will.«