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Als sie erfährt, dass ihr Verlobter Markus eine Affäre mit seiner gut aussehenden Kollegin Viktoria hat, fällt Annie aus allen Wolken. Doch es kommt noch schlimmer: Die zwei haben nicht nur eine Affäre, sondern stecken obendrein noch bei einem Firmenbetrug unter einer Decke! Als wäre ihr Leben nicht schon aufgewirbelt genug, bittet sie dann ausgerechnet Jason, Viktorias höllisch attraktiver Stiefbruder und Vorsitzender der Firma für die die beiden arbeiten, um Hilfe den beiden das Handwerk zu legen...
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
eins
drei
vier
fünf
sechs
sieben
acht
neun
zehn
elf
zwӧlf
dreizehn
vierzehn
fünfzehn
sechzehn
Impressum
Eine Trainingshose und Pizza, das war eigentlich alles, was Annie sich an diesem regnerischen Freitagabend wünschte. Doch daraus würde leider nichts werden. Während sie zügig die Treppe zur U-Bahn hinablief, warf sie einen abschätzenden Blick auf ihre Armbanduhr. Schon zwanzig Minuten nach fünf! Annie entfuhr ein frustriertes Stöhnen. Sie würde zu spät kommen und das ausgerechnet heute.
Normalerweise machte es nichts, wenn sie etwas später aus dem Geschäft kam. Markus, ihr Verlobter, arbeitete zurzeit so viele Überstunden, dass es ihm nicht auffiel, wenn sie spät nach Hause kam. Heute waren sie jedoch zu einer Party eingeladen und Markus hasste es, wenn sie zu spät kamen. Vor allem, wenn es sich um eine geschäftliche Veranstaltung seiner Firma handelte.
Annie sah besorgt an sich herab. Es würde nicht einfach werden, sich in so kurzer Zeit zurechtzumachen. Im Laden steckten sie gerade mitten in der Inventur und dementsprechend sah sie leider auch aus. Ihre Kleidung war schmutzig, ihr Haar verstaubt und ihre Nägel stumpf und abgebrochen. Kein guter Ausgangspunkt, wenn man in weniger als einer Stunde die präsentable Verlobte eines aufsteigenden Geschäftsmannes verwandeln musste.
Gerade als sie von der letzten Stufe auf den Bahnsteig springen wollte, hörte sie das langsam näherkommende, quietschende Geräusch der U-Bahn. Unschlüssig verzog Annie das Gesicht. Theoretisch konnte sie die Bahn einfach vorbeifahren lassen. Markus wäre zwar furchtbar verärgert, würde aber letztendlich ohne sie zu seiner Firmenparty fahren und dann stände ihrem gemütlichen Abend nichts mehr im Weg…
Während sie sich diesen brillanten Plan noch durch den Kopf gehen ließ, kam die U-Bahn zum Stehen. Annie atmete tief ein. Der Gedanke war verführerisch, es aber nicht wert deswegen einen Streit mit Markus zu riskieren. Wenn es ihm so wichtig war, dass sie mitkam, dann sollte sie das als seine Verlobte respektieren und ihn unterstützen, ob sie nun Lust auf diese versnobte Party hatte, oder nicht.
Missmutig rannte sie los und schaffte es gerade noch rechtzeitig einzusteigen, bevor sich die Türen wieder schlossen. Erschöpft sank sie auf einen der freien Sitze, wo sie erstmal herzhaft gähnte. Es war eine anstrengende Woche gewesen und ihr schmerzten Muskeln, von deren Existenz sie bis heute nichts gewusst hatte. Seit Montag früh hatte sie jede freie Minute im Lagerraum verbracht, wo sich hunderte von Kartons stapelten, die es bis Ende des Monats durchzusehen galt.
Nachdenklich musterte Annie ihre verschmutzten Hände. In Gedanken sah sie sich bereits auf der Party, umrundet von Menschen, die sie nicht kannte, und mit denen sie nichts gemeinsam hatte. Der reinste Alptraum. Und wofür? Je mehr sie darüber nachdachte, wie schrecklich der Abend werden würde, desto düsterer wurde ihre Laune. Dabei war es nicht etwa so, dass sie Partys generell nicht mochte. Ganz im Gegenteil. Sie mochte nur jene nicht, bei denen von Vornherein feststand, dass sie sich nur langweilen würde.
Außerdem handelte es sich bei der Gastgeberin um eine Frau, die sie absolut nicht ausstehen konnte. Viktoria - die Eisprinzessin. Annie entfuhr ein abfälliges Schnauben was zur Folge hatte, dass die ältere Frau ihr gegenüber verwundert von ihrem Buch aufsah. Annie lächelte entschuldigend.
Viktoria war das genaue Gegenteil von Annie. Ein schillernder Paradiesvogel, der für jede Lebenslage das passende Designerkleid besaß, stets passend gestylt war und sich grundsätzlich nie blamierte. Annie vermutete, dass die Frau schon mit perfekt manikürten Fingernägeln auf die Welt gekommen war. Sie selbst, auf der anderen Seite, ähnelte im Vergleich wohl eher einem kleinen, grauen Spatzen. An ihr war nichts Besonderes. Nichts Schillerndes. Jahrelang hatte man sie nur als das Mädchen mit der riesigen Zahnspange gekannt, oder als ‘die Rothaarige‘.
Annie erschauderte und fuhr sich gedankenverloren mit der Hand durch ihr inzwischen rotbraunes, etwas über schulterlanges Haar. Glücklicherweise brauchte sie heute nicht mehr auf alberne Zöpfe zurückgreifen, um es zu bändigen. Eine Bürste und etwas Haarspray reichten vollkommen aus. Trotzdem würde man in ihr wohl nie eine atemberaubende Schönheit sehen. Dazu standen ihre Augen zu weit auseinander und die vielen, kleinen Sommersprossen, die ihre Nase überzogen, erinnerten auch eher an eine erwachsene Pipi Langstrumpf, als an eine Claudia Schiffer.
Annie seufzte und zog frustriert die Nase kraus. Schon als Kind hatte man ihr jeden Gedanken im Gesicht ablesen können und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Sie verstand einfach nicht, warum sie in Viktorias Anwesenheit jedes Mal aufs Neue dieses nagende Gefühl pubertärer Unsicherheit überkam. Es war zum Verrücktwerden!
Vielleicht lag das Trauma ihrer Zahnspange so tief, dass es ihr an Selbstbewusstsein mangelte, oder – und das vermutete sie eher – es lag daran, dass Viktoria sie hasste. Zugegeben, die Eisprinzessin hatte nie etwas in dieser Art ausgesprochen, aber das musste sie auch nicht. Jedes Mal, wenn sie sich begegneten, sah sie durch Annie hindurch, als wäre sie Luft und das war fast noch schlimmer, als wäre sie offen unfreundlich. So musste Annie sich immer fragen, ob sie sich die Ablehnung nur einbildete, oder ob sie tatsächlich bestand.
An ihrer Haltestelle angekommen stieg Annie aus der U-Bahn. Markus hatte sie nie von ihrer Unsicherheit gegenüber seiner Kollegin erzählt. Ihr Verlobter war ein großer Fan von allen Dingen, die Viktoria betrafen. Seit zwei Jahren arbeiteten sie zusammen als Makler in der gleichen Anlagefirma. Einer Firma, die von Viktorias Stiefgroßvater geleitet wurde.
Am Anfang hatte Markus ihr noch versichert, dass die freundschaftliche Beziehung zu seiner attraktiven Kollegin nur darin bestand seine Karriere anzukurbeln, aber mit der Zeit hatte Annie immer mehr vermutet, dass er in Viktoria mehr als nur eine Kollegin sah. Er verehrte sie und dieses Wissen machte die Firmenfeiern, zu denen sie Markus regelmäßig begleiten musste, alles andere als einfach.
Glücklicherweise ging heute Abend zur Abwechslung allerdings mal nicht um Viktoria. Die Party galt nicht der Einweihung eines neuen Schwimmbeckens, Jacuzzis oder eines Tennisplatzes – allesamt Errungenschaften, die Viktoria ihrer Scheidung von Ehemann Nummer zwei zu verdanken hatte. Heute wurde irgendein geschäftlicher Erfolg des Großvaters gefeiert. Cocktails um 19:00 Uhr, stand auf der Einladung. Das jedoch mit Abstand Interessanteste an der Feier war ihr Standort.
Heute Abend wurde weder in der Firma noch in Viktorias Penthouse Apartment in Manhattan gefeiert. Auf der Einladung stand eine Adresse, die wie Annie wusste, sich in einer von New Yorks besten Wohngegenden befand. Der Upper West Side. Von Markus hatte sie erfahren, dass es sich um das Haus von Viktorias Stiefbruder Jason handelte.
Wie seine Stiefschwester arbeitete auch er in der Firma des Großvaters. Allerdings nicht als Makler, sondern als Geschäftsführer. Mit Markus und Viktoria hatte er beruflich wenig zu tun, weswegen Annie ihn auch noch nie zu Gesicht bekommen hatte, aber gehört hatte sie so einiges über ihn. Annie war kein Freund von Klatsch und Tratsch, aber wenn man den Gerüchten der weiblichen Mitarbeiter aus Markus Büro glaubte, war Jason nicht nur höllisch gutaussehend, sondern mindestens so furchteinflößend wie Viktoria. Eine gefährliche Mischung, fand Annie, aber sie war trotzdem neugierig darauf ihn kennenzulernen.
Noch viel neugieriger als auf den Mann selbst, war sie allerdings auf sein Haus. Vielleicht bekam sie dort ein paar gute, neue Ideen für ihren Einrichtungsladen… Natürlich nur, wenn es sich nicht um so ein ultra-modernes, minimalistisch eingerichtetes Haus handelte, das wie so viele Häuser reicher Junggesellen lieblos von einem Innenarchitekten ausgestattet worden war.
Doch egal wie schön das Haus und wie attraktiv sein Gastgeber auch sein mochten vermutete Annie stark, dass sie auf dieser Veranstaltung nicht viel zu lachen haben würde. Vom Haus würde sie mit der größten Wahrscheinlichkeit nur die öffentlichen Räume zu sehen bekommen und Jason – nun, der war letzten Endes mit Viktoria verwandt, also konnte es sich bei ihm auch nur um einen Soziopathen im Armani Anzug handeln.
Annie hatte das Gebäude, in dem sich ihr Apartment befand, erreicht und kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Dieser Abend war für Markus Karriere... An sich eine Selbstverständlichkeit, wenn sie sich dieses Mantra inzwischen nicht fast täglich vor Augen halten müsste!
So viele Dinge waren geschehen, seit Markus und sie vor zwei Jahren den Abschluss an der Uni gemacht hatten. Die Verlobung, der Umzug in das Apartment in der Innenstadt und ihre Beförderung zur Managerin des mit Abstand bekanntesten Eichrichtungsladens in ganz New York. Auch bei Markus hatte sich beruflich viel getan, allerdings hatte er sich mit jedem Schritt auf der Karriereleiter verändert, so dass Annie ihn inzwischen kaum wiedererkannte.
Noch vor einem Jahr hätte sie jedem erzählt, dass Markus und sie auf der gleichen Wellenlänge lagen, was ihre Prinzipien und Zukunftspläne betraf. Ein eingespieltes Team, das sich, ohne zu zögern, jedem Problem stellte. Leider war sie sich da heute nicht mehr so sicher.
Nachdem sie endlich ganz unten in ihrer Tasche den Schlüssel gefunden hatte, öffnete sie die Tür. Sie hatte ihre Probleme mit Markus verdrängt, da sie an der Hoffnung festhielt, dass es mit der Zeit wieder besser werden würde zwischen ihnen. Niemand hatte ihr versprochen, dass das Leben einfach werden würde und Selbstmitleid brachte einen nicht weiter. Ein hübsches Kleid und ein fröhliches Lächeln auf den Lippen waren schon eher geeignet, um sich wieder besser zu fühlen!
Annie war gerade dabei zu den Aufzügen zu gehen, als sie aus den Augenwinkeln ihre Nachbarin auf der Treppe erblickte. Freundlich winkte sie ihr zu und wollte gerade auf den Knopf am Aufzug drücken, als sie erkannte, was die ältere Dame im Schilde führte und erschrocken innehielt. „Frankie!", rief sie entgeistert und eilte ihr, so schnell ihre Füße sie trugen, zu Hilfe.
Die kleine, zierliche Rentnerin blickte sich erstaunt um. „Oh, hallo, Annie!“, zwitscherte sie fröhlich, nur um dann unter größter Anstrengung ihren Wagen eine Stufe höher zu ziehen. „Hatten sie eine angenehme Woche?“
Annie musterte die alte Dame schmunzelnd. Exzentrisch wie diese war, hatte sie sich bei ihrer Kleiderwahl heute mal wieder für alle Farben des Regenbogens entschieden. Der selbstgestrickte, rosafarbene Pullover stand in krassem Widerstand zu ihrem giftgrünen Faltenrock und den gelben Nylonstrümpfen. Viel schlimmer als die Wahl ihre Kleidung war allerdings die Tatsache, dass sie gerade versuchte, einen bis oben hin gefüllten Einkaufswagen die Treppe emporzuwuchten!
"Frankie, was machen sie denn da? Warum nehmen sie nicht den Aufzug?", schalt Annie, statt zu antworten und manövrierte ihr gleichzeitig geschickt den Henkel des Einkaufswagens aus der Hand. Gerade noch rechtzeitig, wie es schien, denn schon im nächsten Augenblick musste sich Frankie schnaufend auf dem Treppengeländer abstützen.
"Weißt du, ich habe ein Interview mit so einem berühmten Arzt im Fernsehen gesehen und der hat gesagt, dass man statt dem Aufzug öfters die Treppe nehmen sollte. Für die Gesundheit und so…"
Annie schüttelte missbilligend den Kopf. "Aber ihre Wohnung liegt im vierten Stock und sie werden in ein paar Wochen 90!" Mit sanfter Gewalt drängte sie die alte Frau ein Stück zur Seite, damit sie den schweren Wagen selbst nach oben ziehen konnte. Die Räder quietschten gefährlich, als würde er jeden Moment unter seiner Last zusammenbrechen.
"Papperlapapp… So werde ich wieder fit!", kicherte Frankie und puffte Annie dabei augenzwinkernd in die Seite. "Und dann nimmt mich der gutaussehende Mr. Hopkins vielleicht mal zu einem dieser Canasta Abende im Club mit. Ich war schon so lange nicht mehr aus..." Sie seufzte theatralisch.
Gegen ihren Willen musste Annie lachen. Dieser Punkt war eindeutig an Frankie gegangen. Sie konnte nur hoffen, dass sie mit 90 Jahren auch noch so viel Energie und Lebensfreude aufbrachte. „Nun gut…“, gab Annie nach. „Aber erlauben sie mir wenigstens, dass ich den Wagen für sie nach oben bringe. Ich könnte etwas Bewegung nämlich auch sehr gut vertragen."
Vier Treppenabschnitte und fünf Minuten später parkte Annie den Einkaufswagen in Frankies Küche und wischte sich erschöpft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Frankie“, japste sie und musste sich dann erst mal die Hände in die Hüften stemmen, um tief durchzuatmen. „Bitte versprechen sie mir, dass sie nie wieder mit so vielen Einkäufen die Treppe nehmen, ja?“
"Und wie soll ich dann wieder fit werden?", fragte Frankie und zog dabei sorgenvoll die Augenbrauen zusammen.
Statt zu antworten, begann Annie erst einmal die Einkäufe aus dem Wagen zu nehmen. Ein Päckchen Zigaretten, Schokoladenkekse, eine Flasche Rum und haufenweise Fertiggerichte. Mit gerunzelter Stirn baute sie alles auf dem Küchentisch auf. Man würde meinen, dass Frankie zuerst in Erwägung ziehen sollte mit dem Rauchen aufzuhören, bevor sie an Fitnesstraining dachte…
Lächelnd schüttelte Annie den Kopf. "Wie wäre es, wenn sie zuerst ihren Einkauf mit dem Aufzug nach oben bringen und dann noch einmal nach unten fahren, um die Treppe zu nehmen?", schlug sie vor.
Frankie klatschte aufgeregt in die Hände. "Das ist eine hervorragende Idee!", rief sie und griff zufrieden nach der Flasche Rum, um diese andeutend vor Annies Nase hin und her zu wedeln. "Und wenn du mich dann das nächste Mal besuchen kommst, mische ich dir einen meiner berühmten Cocktails und wir messen meine Oberschenkel, um zu sehen, ob das mit der Fitness überhaupt was bringt, okay?"
***
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend sprintete Annie die letzten zwei Stufenabschnitte zu ihrem Apartment empor. Markus war nirgends zu sehen, also sprang sie gleich unter die Dusche. Fünf Minuten und eine Schnellwäsche später war sie gerade dabei sich abzutrocknen, als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte.
Etwa eine Minute später stand Markus auf der Türschwelle, in der Hand ein Glas Scotch auf Eis. Annie drehte sich zu ihm um. Markus war ohne Frage ein gutaussehender Mann. Kompakter Körperbau, blondes Haar und eine sonnengebräunte Haut verliehen ihm den Anschein eines professionellen Golfspielers.
"Hey Babe", grüßteMarkus lässig und drückte Annie einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Annie lächelte und überlegte gleichzeitig, wann genau er damit begonnen hatte seine Arbeitstage mit einem Glas Scotch zu beenden. Es hatte sich so vieles verändert in den letzten Jahren.
"Wie war dein Tag?", fragte sie und beobachtete im Spiegel, wie er sich auszog und dann nackt in die Dusche schlenderte.
"Fantastisch!", echote seine Stimme von den Kacheln.
"Du bist spät heute. Hattest du noch eine Besprechung?"
"Ich war noch mit ein paar Kollegen was trinken. Sozusagen als Vorbereitung für die Party heute Abend. Wie war dein Tag?"
Annie erzählte ihm von ihrer Begegnung mit Frankie, während sie versuchte ihre Locken mit etwas Haarspray in Form zu bringen.
Markus stöhnte abfällig. "Ich konnte noch nie verstehen, warum du dich mit dieser alten Schachtel überhaupt abgibst…", seufzte er, schaltete das Wasser ab und griff nach seinem Handtuch. "Wenn wir die Bude hier endlich verkaufen, kann ich nur hoffen, dass keiner der Käufer ihr im Treppenhaus begegnet. Das würde bestimmt den Preis der Wohnung senken." Er runzelte besorgt die Stirn.
Annie machte ein missbilligendes Gesicht. Markus Pläne für ihre Zukunft sahen vor, dass sie ihr Apartment in der Stadt zu verkauften, um stattdessen eine geräumige Villa in einem der teuren Außenbezirke zu erwerben. Diese Idee hatte natürlich niemand anderes als Viktoria in seinem Kopf gesät. Diese schien sich in letzter Zeit ständig mit gut gemeinten Ratschlägen in ihre Beziehung einzumischen. Mal waren es Tipps, wie er seine Karriere ankurbeln konnte, dann Vorschläge wo sie wohnen sollten oder wie er von seinen Kollegen mehr Respekt ernten konnte. Annie verdrehte genervt die Augen.
Als Markus ihr zum ersten Mal vorgeschlagen hatte das Apartment zu verkaufen, hatten sie geschlagene drei Tage lang alle Vor- und Nachteile diskutiert. Am Ende hatte Annie nachgegeben und versprochen es sich zu überlegen. Dabei liebte sie dieses Apartment. Bis zur Arbeit war es nicht weit und sie fühlte sich wohl in dieser Nachtbarschaft. Auf der anderen Seite konnte sie Markus Wünsche nicht einfach übergehen.
Entschlossen den Abend nicht mit einem Streit zu beginnen ignorierte Annie Markus Kommentar und fuhr stattdessen damit fort ihre Locken zu kneten. Als sie endlich in der perfekten Kombination von ordentlich und verspielt über ihre Schultern fielen, hielt sie zufrieden inne und betrachtete sich im Spiegel. Das Ergebnis war alles andere als perfekt, aber definitiv passabel.
Markus ging an ihr vorbei zum Schrank. "Beeil dich, sonst kommen wir zu spät."
Annie seufzte. Insgeheim hatte sie schon gehofft, dass Markus zur Abwechslung mal nicht darauf bestand, einer der ersten Gäste sein, aber da hatte sie sich offenbar geirrt. Schnell folgte sie ihm ins Schlafzimmer, wo sie geschickt in das kleine, schwarze Kleid schlüpfte, das sie vor kurzem für wenig Geld in einem Second-Hand Laden erstanden hatte. Es war ein bisschen weit ausgeschnitten und etwas zu kurz für eine Geschäftsveranstaltung, aber sie fühlte sich fantastisch darin. Nachdem sie es richtig zurecht gezogen hatte, drehte sie sich lächelnd zu Markus um. "Und, wie sehe ich aus?"
Markus, der sich gerade ein frisches Hemd und eine Krawatte aus dem Schrank gezogen hatte, hielt inne, drehte sich zu ihr um und betrachtete sie kritisch. "Du hättest dein Haar hochstecken sollen...weißt du…so", demonstrierte er ihr, indem er mit der Hand eine drehende Handbewegung auf seinen Kopf machte. "Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr." Mit diesen Worten verließ er das Bad.
Annie blickte ihm ungläubig hinterher. Ob andere Frauen auch hin und wieder das Bedürfnis hatten ihren Mann mit einem kräftigen Tritt in den Allerwertesten vor die Tür zu befördern?
Verglichen mit Viktorias Penthouse Apartment, das man schon fast als einen Palast bezeichnen konnte, war die Villa ihres Stiefbruders auf den ersten Blick fast eine Enttäuschung. Annie gefiel sie trotzdem. Oder eher gesagt, genau deswegen. Sie strahlte genau die richtige Mischung aus urig und modern aus. Holz und Stein verschmolzen unter schrägen Dachlinien und waren mit riesigen Glasfenstern abgerundet. Es war ein beeindruckender Anblick.
Als Markus seinen BMW parkte, natürlich direkt hinter Viktorias weißem Mercedes, stand die hufeisenförmige Einfahrt noch fast leer. Nachdem er den Motor abgestellt und sich nochmal Rückspiegel versichert hatte, dass sein Haar richtig saß, warf Markus ihr einen angespannten Blick zu. "Ok, dann mal los. Du weißt doch noch, was wir gestern besprochen haben?"
Annie atmete tief ein. Markus ließ es sich nicht nehmen, sie vor jeder beruflichen Veranstaltung darüber zu unterrichten, wen sie dort treffen und was sie zu wem sagen sollte. Obwohl Annie sich bei diesen Instruktionen lächerlich vorkam, hatte sie sich Markus zuliebe damit abgefunden. Sie räusperte sich. "Ich mache in Viktorias Gegenwart ein Kompliment über die Dekoration und wenn sie mir dann sagt, dass das alles ihre Ideen waren, tue ich überrascht."
Markus nickte zufrieden. "Und weiter?"
"Wenn mich einer der Firmenpartner anspricht, lenke ich das Gespräch auf dich, indem ich von deiner freiwilligen Arbeit an der Uni erzähle."
Wieder nickte Markus erleichtert. "Richtig."
Annie wollte gerade einwenden, dass die Reinigung von Autos der Studentenverbindung wahrscheinlich von wenig Relevanz sein würde, als Markus auch schon ausgestiegen war. Seufzend schloss sie den Mund, öffnete ihre Tür und folgte ihm widerwillig zum Eingang.
Ein uniformierter Angestellter der Catering Firma öffnete ihnen die Tür und verbeugte sich tief. Auf die Idee einen Türöffner zu einzustellen konnte auch nur Viktoria kommen, dachte Annie kopfschüttelnd, während sie an ihm vorbei über die Schwelle trat. Kaum war sie im Haus und noch bevor sie sich richtig umsehen konnte, ließ eine schrille Stimme sie unangenehm zusammenzucken.
"Da bist du ja endlich Markus!" Mit einem aufgesetzten Lächeln auf den Lippen eilte niemand anderes als die Eisprinzessin selbst auf sie zu. Das laute Klappern ihrer viel zu hohen Absätze hallte dabei durch die Eingangshalle, wie die Hufe einer ganzen Pferdeschar.
Erbittert beobachtete Annie, wie Viktoria Markus mit einem Küsschen rechts und links auf die Wange begrüßte, als wären sie die besten Freunde, ohne sie dabei auch nur eines Blickes zu würdigen. Wie erwartet sah sie umwerfend aus. Ihr hautenges, rotes Kleid war um einiges eleganter als Annies eigenes und harmonierte obendrein perfekt mit ihrem gleichfarbigen Lippenstift. Das honigblonde Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten nach oben getürmt. Genauso, wie es Markus es sich bei ihr gewünscht hatte. Zufall? Annie schnaubte verärgert. Wohl kaum!
"Oh. Hallo. Ich wusste gar nicht, dass du heute auch hier sein würdest“, grüßte Viktoria kühl, als sie endlich von Annie Notiz genommen hatte. Abschätzend ließ sie ihren Blick an Annie herabschweifen. Dabei breitete sich ein eisiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus. "Das ist ein wirklich... interessantes Kleid, Annemarie."
Annie hätte am liebsten die Augen verdreht. Was für eine doofe Zicke. "Danke, Viktoria."
Ohne sie weiter zu beachten, drehte Viktoria sich wieder zu Markus um. Während die zwei sich unterhielten, studierte Annie neugierig den Eingangsbereich von Jasons Villa. Auch von innen war das Haus ganz anders als Viktorias, vollkommen in weiß gehaltener, Eispalast. Hier überwogen Holz und dunkle Farbtöne, die dem Haus eine ruhige, gemütliche Stimmung verliehen. Wenn man nach Google Maps ging, hatte das Haus einen spektakulären Ausblick über den Hudson River. Davon war von hier jedoch noch nichts zu erkennen.
Markus und Viktorias Stimmen vermischten sich im Hintergrund, während Annie gedankenverloren mit den Fingern über einen antiken Eichentisch fuhr, auf dem ein wunderschönes Blumenbouquet stand. Es war ein fantastisches Möbelstück. Die geraden Linien der Maserung und das massive Design verliehen dem Stück eine Ausstrahlung, die zu gleichermaßen edel, wie auch maskulin war. In ihrem Laden würde sich so etwa sofort verkaufen. Viktorias Stiefbruder hatte entweder einen fantastischen Geschmack oder einen fantastischen Inneneinrichter.
Während sie noch den Tisch bewunderte sah Annie aus den Augenwinkeln wie jemand zu ihnen trat. Neugierig sah sie auf und hielt erstaunt den Atem als sie erkannte, dass ein Mann vor ihr stand, der ohne Frage der attraktivste Mann war, den sie je gesehen hatte. Verlegen verlagerte Annie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Der Geruch von teurem Aftershave flutete in ihre Nasenflügel und ließ sie alles um sich herum vergessen.
Obwohl sie sich bewusst war, dass ihr Starren unhöflich wirken musste, wollte es ihr einfach nicht gelingen den Blick abzuwenden. Der Mann war groß, aber nicht zu groß, hatte breite Schultern und dunkles, glänzendes Haar das, obwohl es perfekt gestylt war, trotzdem irgendwie ungebändigt wirkte. im Zusammenspiel mit seinem kurz gehaltenen Bart verlieh es ihm ein markantes, männliches Aussehen, das durch die gerade Augenbrauen und seine gebräunte Haut nur noch unterstrichen wurde.
Der Mann hielt kurz inne, vermutlich um die Situation zu deuten, bevor er mit großen, selbstsicheren Schritten genau auf sie zukam. Annie schluckte und spürte gleichzeitig, wie ihr die Beine zu zittern begannen. Ein paar unwahrscheinlich grüne, intelligente Augen bohrten sich in ihre und seine Mundwinkel zucken amüsiert. Annie vermutete stark, dass sie nicht die erste Frau war, der es bei seinem Anblick die Sprache verschlug. Trotzdem wollte es ihr immer noch nicht gelingen den Blick abzuwenden. Es war zum Verrücktwerden!
Wie ein Schlag traf sie auf einmal die Erkenntnis, wen sie vor sich hatte. Jason Amaro. Gastgeber, Besitzer dieses Hauses, Millionär und Viktorias Stiefbruder. Annie gratulierte sich innerlich. So musste es sein und es erklärte auch, warum sich die Frauen in Markus Büro jedes Mal Luft zu wedelten, wenn das Gespräch auf diesen Mann kam.
Jason sah nicht nur gut aus, sondern strahlte obendrein Kompetenz und Stärke aus. Außerdem bewegte er sich so natürlich in seinem teuren Anzug, dass man meinen könnte er wäre darin geboren. Annie schluckte verlegen, als er kurz vor ihr zum Stehen kam. Lächelnd streckte er ihr die rechte Hand entgegen, wobei er eine Reihe perfekt grader, weißer Zähne entblößte. Annie musste inzwischen zu ihm aufsehen, um den Augenkontakt zu halten, und fragte sich insgeheim, ob er wusste, dass seine Augen die gleiche Farbe hatten wie die hauchdünnen, waldgrünen Streifen auf seiner Krawatte.
Annie bemühte sich verzweifelt ihre Gesichtszüge zu entspannen. Sie wollte ihm nur ungern die Genugtuung geben zu sehen, wie beeindruckt sie von ihm war. Gerade als sie sich einen Ruck geben und seine Hand nehmen wollte, ließ Viktorias schrille Stimme sie innehalten.
"Jason! Da bist du ja endlich!“ Annie und Jason drehten fast gleichzeitig die Köpfe in ihre Richtung.
„Markus, das ist unser Gastgeber. Mein Stiefbruder Jason."
Zu Annies Überraschung ignorierte Jason seine Stiefschwester und richtete den Blick stattdessen sofort wieder auf sie. Annie fühlte ein triumphierendes Lächeln in sich aufsteigen und musste sich arg zusammenreißen, um es zu unterdrücken. Da der Adonis ihr noch immer die Hand entgegenstreckte, reichte sie ihm zögernd die ihre.
Das was darauf folgte, konnte man allerdings kaum als ein Händeschütteln bezeichnen. Sanft, aber kraftvoll, schloss Jason seine Hand um ihre und drückte sie kurz. Statt sie zu schütteln, zog er sie jedoch geschickt ein Stückchen näher zu sich. Annie kam es vor, als würde er ihr damit ein geheimes Angebot machen. Oder bildete sie sich das nur ein? Nervös blinzelte sie ihn an.
"Hallo", schmunzelte er mit einem freundlichen Augenzwinkern.
Annies Herz machte einen Sprung. Der Klang seiner Stimme erinnerte sie an einen guten Whiskey. Weich, und mit einem leichten Brennen, entfachte sie ein angenehm warmes Feuer in ihrem Inneren. Gleichzeitig fühlte sie einen Blitz ihren Arm entlangfahren, als stünde sie unter Strom.
"Hi." Ganz im Gegensatz zu seiner, hörte sich ihre eigene Stimme brüchig und fremd an.
"Jason!", zischte Viktoria ungehalten.
Annie beobachtete gebannt, wie sich eine dunkle Wolke über seine schönen Augen legte. Widerwillig löste er den Blick von ihr und drehte sich zu seiner Stiefschwester. Ihre Hand ließ er dabei jedoch nicht los.
"Was kann ich für dich tun, Vickie?"
Jasons Stimme klang höflich, aber Annie war nicht entgangen, wie seine rechte Augenbraue bei 'Vicky' spöttisch nach oben gewandert war. Neugierig spähte sie zur Eisprinzessin und musste sich schnell auf die Unterlippe beißen, um nicht laut zu kichern. Viktoria sah aus, als würde ihr jeden Moment ein Schwarm Killerbienen aus den Augen schießen. Anscheinend war ihr der Kosename alles andere als lieb.
"Das ist Markus", wiederholte sie giftig.
Jason nickte. "Guten Abend, Markus", grüßte er so lässig, dass es fast schon gelangweilt klang. "Ich habe schon viel von dir gehört."
Markus, dem weder Viktorias Verärgerung noch das Desinteresse seines Arbeitgebers entgangen war, lachte nervös. "Glauben sie nicht alles, was ihre Schwester über mich erzählt", scherzte er, offensichtlich in der Hoffnung die Stimmung wieder etwas aufzulockern.
Jason verzog jedoch keine Miene. "Stiefschwester", berichtigte er ihn nur knapp und richtete dann seine ganze Aufmerksamkeit zurück auf Annie. "Und du bist?" Seine Stimme klang dabei gleich viel freundlicher. Eine Tatsache, die Viktoria nicht entgangen sein konnte.
Annie errötete verlegen, als sich daraufhin alle Augen auf sie richteten. Sie räusperte sich kurz. "I-ich bin Annie.“
"Markus Verlobte", fügte Viktoria mit scharfer Stimme hinzu.
Jason nahm keine Notiz von ihr und legte stattdessen vertraulich auch noch die zweite Hand über Annies. Diese erschauderte unter der intimen Geste. "Es ist mir ein Vergnügen, Annie."
Annie hielt den Atem an und sah mit großen Augen zu ihm auf. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass seine Worte sich eher wie eine Drohung als ein Kompliment anhörten? Und warum stellte sie sich auf einmal vor, nackt mit ihm zwischen den Laken zu liegen?
So abrupt wie er ihre Hand ergriffen hatte, ließ Jason sie wieder los und drehte sich zum Gehen. Ganz langsam entwich Annie der Atem, den sie vor lauter Aufregung viel zu lange angehalten hatte, und sie sank erleichtert gegen den hinter ihr stehenden Tisch.
"Was für ein freundlicher Kerl", bemerkte Markus voller Ironie, nachdem Jason die Eingangshalle verlassen hatte. Offensichtlich war ihm Jasons abwertender Behandlung nicht entgangen.
Annie wollte es nicht mehr länger gelingen ihr Lächeln zu unterdrücken, aber Markus und Viktoria nahmen ihre Gegenwart sowieso kaum zur Kenntnis, also machte es keinen Unterschied. Nachdem Markus sie mehr oder weniger für Viktoria stehen gelassen hatte, tat es Annie nicht leid, dass Jason Amaro sich Markus gegenüber so ausgesprochen unhöflich verhalten hatte und dass er auf Viktoria ebenfalls keine großen Stücke zu halten schien, machte ihn, zumindest in ihren Augen, nur noch sympathischer.
Zu ihr war er jedenfalls mehr als zuvorkommend gewesen.
***
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis alle Gäste eingetroffen waren und ein reges Treiben einkehrte. Annie, die es gewohnt war sich auf solchen Veranstaltungen alleine durchzuschlagen, wanderte ziellos zwischen den Leuten umher. Ab und zu hielt sie inne, um sich mit jemanden über die Dekoration, oder über das Haus zu unterhalten. Markus fand es einfacher, sich ohne seine Verlobte durch den Raum zu arbeiten, aber das war Annie nur recht. Sie kannte die Erfolgsgeschichten seiner Karriere eh alle in- und auswendig.
"Annie, du siehst wunderbar aus!" Eine hübsche, junge Frau mit dunklem, kurzem Haar und unendlich langen Beinen bahnte sich freudestrahlend ihren Weg durch das Getümmel, genau auf Annie zu. Als sie sie erreichte, umarmte sie sie überschwänglich.
Annie lächelte und drückte sie an sich. "Kara! Wie schön dich zu sehen!", erwiderte sie, erleichtert unter all den Fremden eine Freundin entdeckt zu haben. "Ich war mir nicht sicher, ob du und Thomas heute hier sein würdet… Was für eine schöne Überraschung!"
Karas Mann, Thomas, arbeitete ebenfalls mit Markus und Viktoria in der Firma, aber da sie ein kleines Kind hatten, kamen sie nur selten zu den Firmenveranstaltungen. Kara und Annie hatten sich auf Anhieb gut verstanden, sahen sich aber heutzutage eher selten. Kara arbeitete viel. Sie war eine erfolgreiche Anwältin, Marathonläuferin und leistete obendrein noch freiwillige Arbeit an der Schule ihrer Tochter.
Bei einer Frau von ihrer Größe und einem Modebewusstsein, um das man sie nur beneiden konnte, hätte sie allerdings auch gut als Supermodel durchgehen können. Auch heute sah sie wieder umwerfend aus. Ihr langes, auberginefarbenes Kleid brachte ihre dunkle Haut perfekt zur Geltung und harmonierte schön mit der grob geschmiedeten Silberkette, die sie um ihren schlanken Hals trug. Sie war eine Frau, nach der die Männer scharenweise ihre Köpfe umdrehten. Daran konnte selbst der verdrießliche Gesichtsausdruck, den sie Annie gerade zuwarf, nichts ändern.
"Leider können wir nicht lange bleiben. Unser Babysitter hat morgen eine Klausur. Bleibt ihr den ganzen Abend?"
Annie seufzte und verzog ebenfalls das Gesicht. "So sieht es leider aus. Wir sind sogar schon vor allen anderen hier gewesen. Markus wollte Viktoria noch bei den letzten Vorbereitungen helfen. Ich vermute, dass der Abend sich noch endlos in die Länge ziehen wird."
"Pass bloß auf", murmelte Kara ihr düster zu, während sie mit dem Finger auf Viktoria zeigte, die inmitten einer kleinen Gruppe in der Nähe der Tür stand und sich unterhielt. "Die Frau ist ein Monster."
Annie kicherte amüsiert. "Absolut. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, habe ich eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion!"
Kara warf ihr einen missbilligenden Blick zu. “Ich meine es ernst, Annie. Viktoria Amaro ist eine Soziopathin. Nichts an dieser Frau ist menschlich."
"Markus scheint da anderer Meinung. Wenn man nach ihm geht, ist sie eine Göttin”, seufzte Annie und hakte sich freundschaftlich bei Kara unter. „Ich bin allerdings froh, dass ich nicht die Einzige bin, die diese unheimlichen Schwingungen von ihr kriegt."
Kara lachte. "Diese Schwingungen sind berechtigt. Hör auf dein Bauchgefühl!", warnte sie Annie eindringlich. "Viktoria ist dafür bekannt, dass sie die Männer um ihren kleinen Finger wickelt. Besonders die, die schon vergeben sind. Für sie ist das ein Spiel! Allerdings nur, bis sich ihr etwas Besseres bietet. Dann lässt sie ihr Opfer fallen, wie eine heiße Kartoffel."
Annie machte ein zweifelndes Gesicht. Sie konnte Viktoria nicht ausstehen, aber dass sie so berechnend war, konnte sie sich irgendwie auch nicht vorstellen.
"Du glaubst mir nicht, aber ich weiß, wovon ich spreche", beharrte Kara. "Bei Thomas hat sie es auch probiert."
Annie starrte Kara schockiert an. "Bei Thomas? Deinem Thomas?"
Thomas war ein gutaussehender Mann, aber jeder wusste, dass er Hals über Kopf in seine Frau und in seine kleine Tochter verliebt war.
Kara nickte. "Zum Glück hat sie uns unterschätzt. Niemals hätte ich dieser gelangweilten Soziopathin meinen Ehemann als Sexspielzeug überlassen“, flüsterte sie. „Diese Niederlage hat sie natürlich nicht gut aufgenommen. Sie hat einen Beschwerdebrief beim Vorstand eingereicht, worin sie behauptet hat, Thomas hätte sie sexuell missbraucht. An der Anschuldigung war kein Funken Wahrheit, aber man hat Thomas trotzdem für eine ganze Woche vom Dienst suspendiert, während der Fall geprüft wurde. Die ganze Sache steht noch heute in seiner Akte!"
Annie fiel vor Überraschung das Kinn herunter und sie konnte sich nicht davon abhalten, einen verstohlenen Blick in Viktorias Richtung zu werfen.
"Du siehst schockiert aus”, bemerkte Kara.
"Ich dachte, sie wäre einfach nur eine blöde Ziege…“, erwiderte Annie kopfschüttelnd.
"Das sowieso." Kara lächelte verschmitzt.
Annie schüttelte den Kopf. "Wie kannst du es nur im gleichen Raum wie sie aushalten? Ich könnte mich nicht davon abhalten ihr das Martiniglas aus der perfekt manikürten Hand zu schlagen!"
Kara zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Ich begnüge mich damit davon zu fantasieren. Außerdem wird diese völlig bekloppte Frau sich irgendwann selbst einen Strick drehen.“
"Du bist definitiv ein geduldigerer Mensch als ich", erwiderte Annie seufzend, während sie zwei Gläser Champagner von dem Tablett eines vorbeikommenden Kellners schnappte. Eines davon reichte sie Kara. "Auf das wir niemals völlig bekloppt werden!", lachte sie und hob auffordernd ihr Glas in die Höhe.
Kara lachte ebenfalls und stieß ihr Glas gegen Annies. "Amen. Und jetzt erzähle mir, hast du schon Jason getroffen?"
Annie kicherte. "Wenn du den attraktivsten Mann im ganzen Universum meinst, dann ja. Er hat mir die Hand geschüttelt. Meine Finger brennen jetzt noch von seiner Berührung."
Kara zwinkerte ihr wissend zu. "Habe ich dir doch gesagt…"
***
Annie unterdrückte ein gelangweiltes Gähnen. Seit zwanzig Minuten erzählte die ältere Dame neben ihr von nichts anderem als ihrer Yorkshire Terrier Züchtung. Annie ging davon aus, dass es sich dabei um Hunde handelte. Kara und Thomas hatten sich vor einer halben Stunde aus dem Staub gemacht, um ihren Babysitter ablösen und hatten Annie so gezwungen sich wieder unter die Leute zu mischen, was sie jetzt schon bereute.
"Und weißt du, nur weil Horatio der III als Zuchthund nicht mehr zu gebrauchen war, konnten wir ihn ja nicht einfach abschieben..." Die Frau drückte sich dramatisch eine ihrer mit schweren Ringen besetzten Hände an die Brust.
"Natürlich nicht", pflichtete Annie ihr bei, während sie ihren Blick durch den 'Grand Salon', wie Viktoria den Raum genannt hatte, schweifen ließ. Dabei entdeckte sie Markus, der rechts neben einem großen Kamin stand und gekünstelt über das Kommentar eines älteren Herren lachte.
Annie hätte bei seinem Anblick beinahe laut gestöhnt. Wie lange war es her, dass Markus lieber ein kaltes Bier, statt ein Glas Scotch, in der Hand gehalten hatte? Aber Bier und Pizza passten nicht so gut in seinen neuen Lebensplan, wie Scotch und Golf. Den ganzen Sommer über hatte er jedes Wochenende Unterricht genommen und war furchtbar stolz auf seine Fortschritte. Um nicht vollkommen den Anschluss zu seinem Leben zu verlieren hatte Annie ihn sogar ein paar Mal begleitet. Dabei hatte sich jedoch schnell herausgestellt, dass Golf einfach nicht ihr Ding war und weil sie Markus nicht blamieren wollte, war sie am Ende lieber zu Hause geblieben.
Natürlich hatte sie sich des Öfteren gefragt, wie ihre Zukunft wohl aussehen würde, wenn sie es aufgab mit seinem Kurs mitzuhalten. Würden sie dann immer weiter auseinanderdriften? Waren seine Zukunftspläne so viel besser als ihre? Sicher, durch all die Arbeit, die er in seinen Beruf steckte, waren sie finanziell abgesichert, aber mussten sie dafür wirklich aufgeben wer sie waren - oder zumindest wer sie selbst war? Frustriert blies Annie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Entschlossen heute Abend nicht weiter über ihre Beziehung nachzugrübeln richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Frau neben ihr, die ihre Erzählung gerade damit endete, dass sie und ihr Mann, Herbert von und zu irgendwas, Horatio den III auf einem nahegelegenen Bauernhof untergebracht hatten, wo er den Rest seiner Tage in ländlicher Idylle und mit der Jagd auf Hühner verbringen konnte.
Annie lächelte und hörte sich mit beipflichtender Stimme ein Kommentar abgeben, während sie sich insgeheim einen kleinen Hund im Strickpullover vorstellte, der unter einer Kuh hervortrippelte. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ihr Glas Champagner war leer, ihre Blase voll und ihre Füße schmerzten vom Stehen in den hohen Schuhen. Zeit sich für eine Weile davonzuschleichen! Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen murmelte sie eine höfliche Entschuldigung und bahnte sich dann erleichtert ihren Weg aus dem Salon.
Fünf Minuten später, nach einem Besuch im Waschraum, und mit einem neuen Glas Champagner in der Hand, fühlte Annie sich gleich viel besser. Langsam schlenderte sie zurück zum Grand Salon und spähte hinein. Markus stand noch immer mit seinem Glas Scotch am Kamin. Nur sein Gesprächspartner hatte sich geändert. Annie überlegte, was sie nun tun sollte. Wahrscheinlich sollte sie hineingehen und sich auch ein paar Leuten vorstellen. Auf der anderen Seite würde es Markus bestimmt nicht auffallen, wenn sie sich für eine Weile nicht blicken ließ. Außerdem hatte sie noch kaum etwas vom Haus gesehen. Sicher musste es hier irgendwo ein ruhiges Plätzchen geben, vielleicht sogar mit einer gemütlichen Couch, wo sie sich für ein paar Minuten ausruhen konnte.
Neugierig sah sie sich um. Hinter einer angelehnten Tür, auf der linken Seite des Korridors, befand sich eine beleuchtete Treppe, die in den Keller zu führen schien. Annie hielt für einen kurzen Moment den Atem an. Dann trat sie kurz entschlossen auf die oberste Stufe und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Leise machte sie sich auf den Weg nach unten. Zu ihrer Überraschung empfing sie dort ein gemütlich eingerichtetes Zimmer mit einer Bar, einem riesigen Flachbildfernseher und einem Billardtisch. Perfekt.
Annie zog ihre Schuhe aus und ließ ihre Füße dankbar in den weichen, cremefarbenen Teppich sinken. Vor ihr öffneten sich riesige Glastüren auf eine überdachte Terrasse. Leider war es bereits dunkel. Bei Tageslicht hatte man von hier aus bestimmt einen umwerfenden Blick über den Fluss. Gleich neben der Bar auf ihrer linken Seite befand sich ein kleiner Gang, der zu einem weiteren Waschraum und einem kleinen Fitnessstudio führte. Der letzte Raum war dunkel. Leise ging Annie darauf zu und erkannte, als sie durch die Glastür schaute, verschiedenfarbige Linien auf dem Boden. Ungläubig hielt sie den Atem an. Dieser Jason hatte tatsächlich einen Squash Court in seinem Haus!
Diese Entdeckung war zu gut, um sie zu ignorieren. Vorsichtig öffnete Annie den Schrank neben der Tür und fand dort Schläger, Bälle und sogar ein paar Handtücher. Entschlossen griff sie nach einem der Schläger und einem Ball. Dann öffnete sie die Tür und schaltete das Licht an. Wahrscheinlich war der Champagner daran schuld, aber sie konnte der Verlockung ein paar Bälle zu schlagen einfach nicht widerstehen. Natürlich nur für ein paar Minuten...
Annie liebte es, Squash zu spielen. Dabei hatten Markus und sie sich in ihrem letzten Jahr an der Uni auch kennengelernt. Natürlich hatte sie ihn gleich bei ihrem ersten Spiel haushoch geschlagen. Das Glas mit dem Champagner noch in der Hand balancierte sie den Ball auf dem Schläger, ließ ihn ein paar Mal springen und schlug ihn dann schwungvoll gegen die Wand. Das befriedigende Geräusch, das der Kontakt des Balls mit der Wand verursachte, entlockte ihr ein Lächeln.
Energisch zog sie den Saum ihres Kleides etwas nach oben, um den von der Wand zurückschnellenden Ball besser erwischen zu können. Entspannt und locker traf sie ihn und schickte ihn zurück zur Wand. So spielte sie eine Weile mit sich selbst. Dabei bewegte sie sich so anmutig auf dem Court hin und her, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.
"Ich dachte das Entertainment ist oben?", echote plötzlich eine tiefe Stimme durch den Raum.
Annie fuhr erschrocken zusammen.
Schwungvoll drehte Annie sich um und vergoss dabei prompt das ganze Glas Champagner über ihrem Ausschnitt. Das Herz schlug ihr bis in den Hals als sie erkannte, wen sie vor sich hatte. Mr Sexy höchstpersönlich! Lässig an den Türrahmen gelehnt, mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen und einem Handtuch über der Schulter, sah er sie an.
Annie schluckte. Aus dieser Situation würde sie so schnell kein elegantes Entkommen finden, das stand fest. Nervös räusperte sie sich. "Erwischt! Ich bin eine Squash spielende Einsteigdiebin."
Sie konnte nicht erkennen, ob es ein Grinsen oder ein Lächeln war, das jetzt um seine Lippen spielte. Schweigend studierte er ihr Gesicht und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er wieder sprach.
"Zum Glück hat mein Sicherheitssystem einen ganz spezifischen Alarm für Squash spielende Einsteigdiebe."
Annie atmete erleichtert auf. Sie hatte schon befürchtet, dass ihr Einbruch in seinen privaten Bereich ihn verärgert haben könnte. Schließlich war er mit Viktoria verwandt und wie die reagiert hätte, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen.