Ein Morgen in Paris - Katja Maybach - E-Book
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Ein Morgen in Paris E-Book

Katja Maybach

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Beschreibung

In der Stadt der Liebe atmet sie die Luft der Freiheit – doch ein Sturm naht heran … Als Fleur Durand 1939 nach Paris kommt, erhofft sie sich einen Neuanfang. Über ihre tragische Vergangenheit hat sie einen Roman geschrieben, der das Interesse des großen Verlegers Maurice Mouret geweckt hat. Die Veröffentlichung soll ihr endlich das selbstbestimmte, freie Leben ermöglichen, das sie sich so lange gewünscht hat. Gleichzeitig findet sie in Maurice einen einfühlsamen Mann, der sie auf diesem Weg begleiten will. Doch dann spürt Fleurs gewalttätiger Ehemann sie auf und zwingt sie, mit ihm Paris zu verlassen. Während Fleur fieberhaft nach einem Ausweg sucht, bricht der Zweite Weltkrieg aus und die deutsche Wehrmacht besetzt Paris. Maurice weiß: für ihn als Jude bleibt nur eine Möglichkeit, er muss fliehen. Ein Wiedersehen zwischen ihm und Fleur scheint unmöglich … Der erste Band der dramatischen Familiensaga um die Bonnet-Frauen wird Fans von Micaela Jary und Anne Jacobs begeistern.

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Seitenzahl: 344

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses Buch:

Als Fleur Durand 1939 nach Paris kommt, erhofft sie sich einen Neuanfang. Über ihre tragische Vergangenheit hat sie einen Roman geschrieben, der das Interesse des großen Verlegers Maurice Mouret geweckt hat. Die Veröffentlichung soll ihr endlich das selbstbestimmte, freie Leben ermöglichen, das sie sich so lange gewünscht hat. Gleichzeitig findet sie in Maurice einen einfühlsamen Mann, der sie auf diesem Weg begleiten will. Doch dann spürt Fleurs gewalttätiger Ehemann sie auf und zwingt sie, mit ihm Paris zu verlassen. Während Fleur fieberhaft nach einem Ausweg sucht, bricht der zweite Weltkrieg aus und die deutsche Wehrmacht besetzt Paris. Maurice weiß: für ihn als Jude bleibt nur eine Möglichkeit, er muss fliehen. Ein Wiedersehen zwischen ihm und Fleur scheint unmöglich …

Über die Autorin:

Katja Maybach hat seit jeher zwei große Leidenschaften: das Schreiben und die Mode. Nach einer langen und bewegenden Karriere in der Modebranche, unter anderem in Paris, beschloss sie, ihre zweite Leidenschaft zum Beruf zu machen und begann, erfolgreich Romane zu schreiben. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt heute in München.

Katja Maybach veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Familiengeheimnisromane »Melodie der Erinnerung«, »Die Stunde der Schwestern«, »Das Haus unter den Zypressen«, »Der Duft von Rosenöl und Minze«, »Eine Nacht im November«, »Die Nacht der Frauen« und die Familiensaga »Ein Morgen in Paris«.

Die Website der Autorin: katja-maybach.de

Die Autorin im Internet: facebook.com/katja.maybach

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Originalausgabe Dezember 2024

Copyright © der Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motivs von © Jorge Ferreira / Adobe Stock, eines historischen Fotos, Eiffel Tower, Paris, Library of Congress sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-451-4

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Katja Maybach

Ein Morgen in Paris

Roman

dotbooks.

EINS

Paris

Juni 1939

MAURICE

Maurice Mouret stand am offenen Fenster, beugte sich ein wenig vor und sah hinunter auf die belebte Place de l’Opera. Würde er sie sehen, wenn sie den Platz überquerte, vielleicht seinen Blick spürte und hochsah? Doch er konnte sie unter den vielen Menschen nicht entdecken, obwohl sie dieses hellgrüne Kleid trug. Vielleicht, so überlegte er, traf sie im gegenüberliegenden Café de la Paix jemanden, mit dem sie den Vertrag feiern wollte, den sie gerade unterschrieben hatte. Ihr Roman war angenommen worden und würde ab dem 1. September in wöchentlichen Fortsetzungen in der Bon-weekend erscheinen, eine der Zeitungen, die Maurice Mouret als Verleger herausgab. Seine Bonne-journée war eine der meistgelesenen Tageszeitungen, stark politisch und kulturell ausgerichtet, während Bon-weekend sich mehr an die weibliche Leserschaft richtete. Mode, Kochrezepte, Werbung für Kosmetik und Haarprodukte. Nur Positives, das war das Credo der männlichen Redakteure. Keine Politik, das langweile die Frauen, und auch keine Berichte über den Spanischen Bürgerkrieg oder über die Angst vor dem Nationalsozialismus in Deutschland. Die Ehefrau, Hausfrau und Mutter, das war die relevante Zielgruppe, und die Auflagen gaben den Redakteuren recht. Aber wie die letzten Umfragen zeigten, fanden auch berufstätige Frauen Gefallen an den Romanen, und so hatte sich die Zielgruppe erweitert, und die Auflagen waren gestiegen. Das hatte ihm Frank Dubois, Chefredakteur der Bon-weekend, erklärt. Der Fortsetzungsroman in der Wochenendzeitung war das Herzstück des Blattes. Maurice gab dem Chefredakteur von Bon-weekend absolute Handlungsfreiheit, nur die Verträge gingen über seinen Schreibtisch. Wie auch heute, als die neue Autorin Violetta Cassini zu ihm kam, um ihren Vertrag zu unterschreiben.

Frank Dubois war begeistert gewesen. »Sie ist neu, frisch, unverbraucht.«

»Wie jung ist sie denn?« Maurice war neugierig geworden.

»Nicht mehr ganz jung«, hatte Dubois ein wenig unsicher erwidert, »ich schätze, so um die vierzig.«

»Was hat sie bis jetzt gemacht, war sie berufstätig?«

Dubois zuckte mit den Schultern. »Sie war verheiratet, lässt sich scheiden, hat offenbar keine Kinder. Als sie uns das Manuskript aus Rennes eingeschickt hat, lautete die Adresse hauptpostlagernd. Und ich habe ja auch nur mit ihr telefoniert. Du musst wissen, Maurice, ich war heilfroh, als mir das Manuskript auf den Tisch flatterte. Du weißt, Berenice Montez hat nach fünf Romanen eine Schreibblockade und hat kurzfristig abgesagt. Ein Glück, dass Violetta Cassini genau da ihr Manuskript eingeschickt hat. Und es ist gut, glaub mir.«

»Ist der Name Violetta Cassini ein Pseudonym, was glaubst du?«

»Ich vermute, ja. Auch Berenice Montez ist eines. Vielleicht nur künstlerische Eitelkeit, vielleicht auch, weil Autoren sich durch einen klangvollen Namen neu definieren, sich selbst in ein neues, ein anderes Leben versetzen wollen. Wer weiß das schon so genau? Künstler sind nun mal besondere Menschen. Also, Maurice, sag mir Bescheid, wie du sie findest.«

Damit war Frank gegangen, und Maurice hatte auf die neue Autorin gewartet, die pünktlich bei ihm angemeldet wurde.

Er gab zu, neugierig auf sie gewesen zu sein. Eine Frau, die einen so klangvollen Namen angegeben hatte und mit fast vierzig Jahren anfing, Romane zu schreiben. Doch als sie dann vor einer Stunde vor ihm gesessen hatte, war er enttäuscht gewesen. Aber was hatte er erwartet? Eine kapriziöse Diva, die sich mit diesem klangvollen Namen neu erschuf?

»Lesen Sie den Vertrag gut durch«, hatte er ihr vorgeschlagen, »bevor Sie ihn unterschreiben.«

»Aber ich kenne ihn doch bereits.« Verwundert hatte sie ihn angesehen. »Frank Dubois hat ihn mir zugeschickt, er ist in Ordnung.«

Während sie unterschrieb, beobachtete er sie. Sie hatte schöne blonde Haare, doch achtlos hochgesteckt, mit ein paar Kämmen, die nur lose das Haar zurückhielten. Das Gesicht war blass, blaue Ringe unter den Augen – von schlaflosen Nächten? Sie trug keinen Ehering mehr, und ihr grünes Kleid war zerknittert. Maurice verstand nicht viel von Mode, auch wenn er mit der berühmten Modeschöpferin Elsa Schiaparelli befreundet war. Er sah nur, ob ihm ein Kleid gefiel oder nicht. Sein Blick wanderte wieder zu ihrem Gesicht, es war irgendwie … verwischt, ängstlich oder ruhelos, nur die geschwungenen Augenbrauen verliehen ihm Kontur.

»So.« Sie hatte unterschrieben, und da glitt ein unerwartetes Strahlen über ihr Gesicht und ließ es schön werden. Erwartungsvoll hatte sie ihn angesehen.

»Nun, dann heiße ich Sie in meinem Verlag willkommen, Madame Cassini, und auf eine gute Zusammenarbeit.« Er hatte sich erhoben.

»Ich freue mich darauf«, war ihre Antwort, als auch sie aufstand. »Monsieur Dubois sagte mir, dass ich bis zur Veröffentlichung noch Änderungen vornehmen soll, die ich mit einem Lektor des Verlags durcharbeite. Auf diese Arbeit freue ich mich ganz besonders.«

Doch als Maurice ihr vorschlug, mit einem Glas Champagner auf die Zusammenarbeit anzustoßen, wehrte sie hastig ab. »Ich muss gehen, vielleicht …«, ihr Gesicht bekam endlich ein wenig Farbe, »… vielleicht ein anderes Mal?«

»Ja, natürlich. Darauf freue ich mich dann.«

Damit hatten sie sich verabschiedet, und nun also stand Maurice am Fenster und suchte sie unter den vielen Menschen, die auf dem Platz vor der Oper herumliefen, rannten, sich trafen oder in den Tiefen der Metro verschwanden. Er wandte sich wieder ab, irritiert über sich selbst und seine Neugier, sogar Interesse an einer Frau, die so zurückhaltend war und jeden davon abhielt, ihr nähere Fragen zu stellen. Zum Beispiel, wie ihr richtiger Name lautete. Aber das wäre indiskret gewesen, sie wollte nun einmal Violetta Cassini sein. Und er wollte sie nicht durch diese Frage in Verlegenheit bringen.

Er ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich und sah ein paar Unterlagen durch. Er wollte noch auf die Abendausgabe seines Blattes Bon soir warten und dann erst gehen. Bon soir war eine kurze zweiseitige Zeitung mit dem aktuellsten Tagesgeschehen, die nur in Paris verkauft wurde. Während er Unterlagen durchblätterte und sie ein wenig ordnete, fiel sein Blick auf das Manuskript von Violetta Cassini. Daran angeheftet waren ihr Name, ihre Telefonnummer und die Pariser Adresse, unter der sie erreichbar war. Sie wohnte in dem kleinen Hotel Duphot in der Rue Duphot. Hatte sie es ausgewählt, da es in der Nähe des Verlags lag? War es ihr empfohlen worden? Es war ein kleines Touristenhotel, das mit der zentralen Lage in der Hauptstadt warb, doch man kannte es auch als Künstlerhotel. Hier wohnten Schriftsteller, Sänger oder Tänzer oft monatelang, manche sogar über Jahre, wie lange ihr Engagement in Paris eben dauerte.

Maurice sah auf Violetta Cassinis Manuskript. Sollte er ein wenig hineinlesen? Viele Autoren ließen eigene Erlebnisse und Gedanken in ihre Romane einfließen, vielleicht erschloss sich ihm bereits bei einer flüchtigen Durchsicht, wer Violetta Cassini war. Der Titel war ihm ein wenig zu sentimental. Nun ja, er wollte sich kein Urteil erlauben. Vielleicht war dieser Titel genau das, was den Leserinnen gefiel.

***

ENTSCHEIDUNG AUS LIEBE

Roman von Violetta Cassini

Kapitel Eins

Sommer 1919

»Papa, ich gehe nicht auf den Fischmarkt. Und im Übrigen bin ich sehr unglücklich.«

»Man kann nicht immer glücklich sein«, warf Fabien seiner Tochter Yvette gereizt zu, während er in der Küche seines Restaurants den Angestellten Anweisungen gab. Vite, vite … Für den heutigen Mittag hatte sich für zwei Uhr eine Hochzeitsgesellschaft in seiner Petite Auberge angemeldet. Er war nervös, denn schließlich konnte man sehr schnell seinen guten Ruf als exklusives Feinschmeckerlokal verlieren. Zu ihm kamen sogar Gäste aus der Stadt Rennes, die siebzig Kilometer entfernt lag. Er hatte mit dem kleinen Lokal die Kriegsjahre überstanden, und jetzt, ein Jahr nach dem Ende, wollten die Leute wieder feiern, versuchen, die furchtbare Zeit zu vergessen. Und das kam ihm, Fabien Lafitte, zugute.

»Papa, es macht mich unglücklich, hier zu arbeiten. Wieso hast du mich aufs Lyceum geschickt, und überhaupt … auf den Fischmarkt gehe ich nicht. Basta.«

Die Ader an Fabiens Stirn schwoll gefährlich an; er duldete keinen Widerspruch, besonders nicht von seiner Tochter. Und schon gar nicht in Anwesenheit der gesamten Küchenmannschaft. Sie unterdrückten alle ein Grinsen und gaben vor, nichts zu bemerken. Fabien Lafitte, von kleiner Statur, herrschte über die Angestellten und die Familie. Nicht umsonst nannte ihn seine Frau Heloise oft ironisch mon petit Napoleon. Doch genau diese Ironie – und der Vergleich mit dem großen Feldherrn – machte ihn wütend. Er hatte kein Faible für Napoleon.

»Der Blumenschmuck ist da«, rief Heloise und warf einen kurzen, abgehetzten Blick in die Küche. »Ich weiß nicht, ob wir das alles schaffen.« Hysterie klang aus ihrer Stimme. Einer der reichsten Anwälte von Rennes hatte den Auftrag für die heutige Hochzeitsgesellschaft gegeben.

Yvette griff nach dem Arm ihrer Mutter und hinderte sie daran, sofort wieder aus der Küche zu verschwinden. »Maman, ich bin so unglücklich.«

»Niemand hat ein Recht auf Glück«, rief Fabien wütend und schleuderte sein Messer, das er in der Hand hielt, auf die Arbeitsplatte. »Und sag deiner Tochter, dass sie auf den Markt gehen muss, ich komme hier nicht weg und kann auch keinen hier entbehren. Und wie gesagt, niemand hat ein Recht auf Glück.«

Mit einem Blick auf die Tochter widersprach Heloise ihrem Mann. »Doch, Yvette ist neunzehn Jahre jung, und da hat man ein Recht auf Glück. Aber«, wandte sie sich an die Tochter, »tu deinem Vater den Gefallen, es ist ja heute wirklich ein Ausnahmetag. Und wir werden sehen, wie wir das in Zukunft regeln, damit du nicht ständig hier arbeiten musst. Das verspreche ich dir.«

»Mon Dieu, ein solches Theater. Yvette soll doch nur auf den Fischmarkt gehen.«

»Ja, Papa, aber als ich dich das letzte Mal begleitet habe, hast du mir versprochen, dass ich nie mehr dorthin muss. Maman, es ist so schrecklich.« Fast weinte Yvette. »Die Hummer leben noch, ihre Scheren werden zusammengebunden, und dann werden sie verkauft, lebend! Und die Fische zappeln oft noch und sterben auf den Tischen, wenn sie dort angeboten werden.«

Während sie noch jammerte, schob Fabien seine Tochter und seine Frau aus der Küche und schloss energisch die Tür, stellte aber noch rasch den Einkaufskorb vor Yvettes Füße. Seine Angestellten hatten schon zu viel vom Widerstand der Tochter mitbekommen. Vielleicht würden auch sie dann aufsässig werden, sich gegen Anweisungen auflehnen.

»Madame? Wo sind Sie? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Der Blumenhändler René stand bereits ungeduldig im Restaurant.

»Ja, ja, ich komme, ich fliege, René«, rief Heloise ihm zu, dann wandte sie sich noch schnell an die Tochter: »Und bitte, Schatz, geh auf den Markt, du siehst ja, was heute los ist.«

»Na gut.« Yvette nahm versöhnlich den Korb hoch, zwängte sich an René mit seinen vielen Blumentöpfen und Sträußen vorbei und verließ das Restaurant.

»Fabrice weiß, was wir brauchen, geh nur zu ihm«, rief ihr der Vater aus dem Küchenfenster nach.

Yvette kannte den Riesen mit den roten Haaren, der den Fischen den Kopf abschlug und sie mit blutigen Händen verkaufte. »Er hat den besten Kabeljau«, schrie ihr Vater noch, bevor sie den Weg zum Meer einschlug.

Heute war ein wichtiger Tag, und Yvette sah letztendlich ein, dass sie mithelfen musste. Sie freute sich auch, es war aufregend, denn um zwei Uhr würde sie, gekleidet in ein schlichtes schwarzes Kleid mit Spitzenkragen, die Gesellschaft am Eingang als Erste begrüßen. Ihre Mutter geleitete die Gäste dann an die runden, mit Blumen geschmückten Tische, auf denen für jeden Gast ein Namensschild stand. Das Hochzeitspaar selbst saß an der großen langen Tafel, im Kreis der engsten Familie. Fünfzig Leute, das war für die Petite Auberge eine große Herausforderung.

Yvette trödelte und schob den Moment hinaus, wenn sie bei Fabrice die Fische in Empfang nehmen musste. Sie wollte nicht sehen müssen, wie die Fische auf den Tischen im Todeskampf zuckten und die Hummer hilflos ihre Beine bewegten. Je später sie kam, desto wahrscheinlicher war es, dass die Tiere, die bei Morgengrauen aus dem Meer gefischt wurden, tot waren. Yvette blieb stehen, sah aufs Meer, und plötzlich liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Sollte das jetzt ihr Leben sein? Vor einem Monat war sie aus dem Internat nach Hause gekommen und war sofort fest in die Arbeit im Restaurant eingebunden worden. So hatte sie sich das Leben nach neun Jahren Lyceum nicht vorgestellt. Ihr Vater hatte ihr in den Ferien immer wieder erklärt, wie schwierig es sei, das teure Internat zu bezahlen, er mache es aber, damit seine Tochter ein besseres Leben haben würde.

Trotz des Trödelns kam sie noch rechtzeitig zu den Tischen, an denen die Fischer ihre Ware anboten. Eine lange Schlange Käufer hatte sich davor gebildet, doch Yvette drängelte sich durch bis zu Fabrice. Nur schnell wieder weg.

»Ah, Mademoiselle, sind Sie heute allein?«

Yvette nickte stumm und stellte den Korb auf seinem Tisch ab. Während er die Fische in Zeitungspapier einwickelte und in den Korb legte, erklärte er stolz: »Ihr Vater weiß genau, wer hier den besten Kabeljau aus dem Atlantik holt, nämlich ich, der alte Fabrice.«

Yvette nickte wieder nur, erleichtert, dass sich kein Fisch mehr bewegte. Als sie den Korb hastig hochnehmen wollte, legte sich eine Hand auf die ihre.

»Der ist doch viel zu schwer für eine so feine Lady.«

Yvette fuhr erstaunt herum. »Das ist Alphonse, mein Neffe«, hörte sie Fabrice sagen, »er hilft mir.«

Alphonse lachte sie an und zeigte dabei eine Reihe weißer Zähne, dann strich er sich die schwarzen Locken aus der Stirn – eine selbstverliebte Geste, wie Yvette fand. Sein Gesicht war braun gebrannt, und in den dunklen Augen erkannte sie eine direkte Bewunderung, die sie verlegen machte. Sie war es nicht gewohnt, so herausfordernd angesehen zu werden. Letztendlich kannte sie keine Männer außer ein paar Lehrer im Lyceum. Keiner von ihnen hatte ihr Herz dazu gebracht, schneller zu schlagen, nur weil er sie ansah.

»Ich muss gehen. Salut, Fabrice.« Hastig drehte sie sich zu dem Fischer um.

»Ich werde dich begleiten«, erklärte Alphonse und nahm ungefragt ihren Korb hoch.

»Alphonse, sei höflich zu Mademoiselle Lafitte, mach mir keine Schande.«

Die umstehenden Kunden und die Fischer lachten und nickten Yvette freundlich zu. »Sie müssen aufpassen, er ist der größte Frauenheld weit und breit«, rief ihr noch einer der Männer lachend nach, doch das hörte Yvette kaum mehr.

Sie nahm Alphonse den Korb mit einer energischen Geste wieder ab, was bei ihm ein Lachen provozierte, und dann drängelte sie sich zurück bis zum Weg, der am Strand entlang zur Petite Auberge führte. Mit einer leichten Drehung des Kopfes sah sie, dass Alphonse ihr folgte. Sie beschleunigte ihren Schritt, doch Alphonse war schneller. Schon lief er neben ihr her, berührte sie leicht am Arm.

»Wir kennen uns«, erklärte er.

Aus Neugierde blieb Yvette abrupt stehen. Es konnte nicht sein, denn an diesen jungen Mann mit dem unverschämten Lachen hätte sie sich erinnert.

Wieder lachte er und zeigte die schönen Zähne, während sein Blick abschätzend über ihren Körper glitt. Dann sah er sie an. »Doch, vor einem Jahr in der Bucht, da habe ich dich und eine Freundin gesehen.«

Tiefe Röte überzog Yvettes Gesicht. Er hatte sie nackt gesehen. »Du widerlicher Kerl.« Sie hob die Fäuste, um ihn zu schlagen, doch sein Lachen wurde breiter, er nahm ihre Hände und drückte sie leicht gegen ihren Körper.

»Du musst dich nicht schämen«, hörte sie ihn sagen, während sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.

»Ich wüsste nicht, dass wir per Du sind«, erklärte sie dann, und endlich ließ er sie los.

»Du musst nicht verlegen werden.« Ungerührt duzte er sie weiterhin. »Du hast einen schönen Körper, du kannst stolz sein.« Hastig wandte sie sich ab und lief weiter. Doch wieder war Alphonse schneller, blieb direkt vor ihr stehen und zwang sie anzuhalten. Er kam ihr ganz nahe, und seine Lippen berührten ihr Ohr; es war frech, aber auch aufregend. »Komm in die Bucht, ich warte auf dich. Jeden Tag um fünf Uhr nachmittags, du kommst einfach, wenn du willst.«

Dann gab er den Weg frei. Yvette rannte los und machte erst vor der Petite Auberge halt. Dort stand bereits ihr Vater vor der Tür und erwartete sie ungeduldig.

»Wo steckst du denn so lange?«, rief er ihr gereizt entgegen und griff nach dem Korb.

Yvette blieb immer noch stehen. Sie hatte etwas erlebt, was neu war. Es gab einen Mann, der sie nackt kannte. Vor einem Jahr hatte ihre beste Freundin Lilly die Ferien bei ihr verbracht, und bei schönem Wetter waren sie gegen Mittag in die einsame Bucht gegangen, hatten sich nackt ausgezogen und waren ins Meer gelaufen. Es waren Momente einer unschuldigen Sinnlichkeit, sie hatten die Scheu überwunden, hatten sich frei gefühlt, ihren Körper gespürt. Im Internat der Klosterschwestern durften die Schülerinnen sich nie nackt im Spiegel ansehen, und wenn sie samstagabends badeten, legte eine Nonne ein breites Leinentuch über die ganze Wanne, damit sie ihren Körper nicht sehen, möglichst auch kaum berühren konnten. Und darum war es so befreiend gewesen, als Lilly und sie nackt ins Meer liefen, vollkommen überzeugt, dass an dem einsamen Strand niemand sie beobachten konnte. Und nun wollte also der erste Mann, der sie nackt kannte, sich mit ihr verabreden. Alphonse ist ein Frauenheld, hatte sie die Stimme des Fischers noch im Ohr. Nein, sie würde nicht in die Bucht gehen. Einem Impuls folgend, suchte sie jetzt ihre Mutter. Vielleicht kannte sie Fabrice’ Neffen ja. Doch ihre Mutter hetzte vollkommen aufgelöst durchs Restaurant, gab Anweisungen, nickte der Tochter nur zu und arbeitete weiter.

»Yvette, wieso stehst du hier allen im Weg herum und träumst vor dich hin?« Die unwillige Stimme des Vaters riss sie aus ihren Gedanken. »Und denk daran, um zwei Uhr kommt die Hochzeitsgesellschaft, und du wirst freundlich sein und alle begrüßen.«

Der Champagner floss in Strömen, es wurde gegessen, getrunken, es wurden Reden gehalten und getanzt. Dann lief die ganze Gesellschaft hinunter ans Meer, zog Schuhe und Strümpfe aus und hüpfte lachend und kreischend barfüßig am Strand entlang, während das Meer ihre Füße umspülte. Sogar die älteren Hochzeitsgäste entledigten sich der Schuhe und gingen in angemessenem Schritt den Jungen hinterher. Kellner folgten ihnen mit Flaschen Champagner und Gläsern auf silbernen Tabletts. Niemand schien mehr nüchtern zu sein. Später wurde wieder getanzt, obwohl das Brautpaar schon längst mit großem Rufen und Klatschen in einer Kutsche abgeholt worden war. Yvette wurde oft zum Tanzen aufgefordert, doch die Anweisung ihres Vaters lautete, nicht zu vertraulich mit den Gästen zu werden, auch mit niemandem zu tanzen. Während das Fest sich am späten Abend langsam auflöste, verließ sie durch den Hintereingang das Restaurant und setzte sich auf die Bank am Haus. Tief atmete sie die frische Luft ein, die vom Meer herüberwehte. Dann holte sie aus der Tasche ihres Seidenkleids eine Zigarette, die sie heimlich von einem Tisch genommen hatte.

»Darf ich?«

Yvette sah hoch. Ein Mann stand vor ihr und gab ihr Feuer. »Danke, Monsieur«, antwortete sie und nahm einen tiefen Zug.

»Darf ich?«, stellte er die gleiche Frage noch einmal, und Yvette nickte. »Natürlich, Monsieur Lambert.«

Im spärlichen Licht hatte sie den Gastgeber des heutigen Festes erkannt. So rückte sie zur Seite, und Louis Lambert setzte sich neben sie. Sie wollte höflich sein, mehr nicht. Während des ganzen Abends hatte sie gespürt, dass er sie beobachtete. Er sah gut aus, keine Frage, aber er war sicher bereits im Alter ihres Vaters. Also so Anfang fünfzig. Mehr oder minder doch alt. Da er schwieg, sie aber von der Seite betrachtete, stellte sie ihm die leicht provozierende Frage: »Sind Sie nicht entsetzt, dass ich rauche? Als Frau?«

Er lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, wieso? Sie sollten es nur nicht unbedingt in der Öffentlichkeit tun. Sie haben heute Ihre Aufgabe wunderbar gemeistert«, wechselte er das Thema. »Ich habe auch bemerkt, dass Sie sich mit meinen englischen Gästen sehr gut in ihrer Sprache unterhalten haben.«

Yvette freute sich über das Kompliment. »Danke, Monsieur Lambert, ich war im Internat der englischen Fräulein. Neun Jahre, da habe ich Sprachen gelernt.«

»Und wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?«, fragte er direkt. »Ihr Vater will sicher, dass Sie die Petite Auberge übernehmen. Ihre Mutter hat so etwas angedeutet.«

»Nie und nimmer«, rief Yvette und sprang vor Wut von der Bank auf.

Louis Lambert blieb ruhig sitzen. »Und? Haben Sie eigene Pläne? Gibt es einen Verlobten?«

Seine Fragen wurden ihr zu persönlich, aber sie sollte freundlich bleiben, ihrem Vater zuliebe. »Nein, ich habe noch keine Pläne, und nein, es gibt keinen Verlobten. Ich bin ja erst seit einem Monat aus dem Internat zurück.« Einen ganzen Monat, in dem sie hier im Restaurant arbeitete, als wäre sie nie auf ein Lyceum gegangen. Aus dem Restaurant wurden jetzt Stimmen laut, und Louis Lambert erhob sich. »Ich denke, der große Aufbruch hat begonnen. Es war mir eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben.« Er nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.

Yvette starrte ungläubig auf ihre Hand, die heute zum ersten Mal geküsst worden war. War es ihr unangenehm oder einfach nur nicht wirklich angenehm?

Die Tage vergingen, an denen Yvette weiterhin in die Abläufe des Restaurants eingebunden war. Sie schrieb jeden Abend und am frühen Morgen die Menükarten für den nächsten Tag. Die Speisekarte war immer der Saison angepasst. »Du hast eine so wunderbare Handschrift, und es wirkt für die Gäste sehr persönlich, wenn die Karten handgeschrieben sind«, erklärte ihr Vater. Mittags und auch abends stand Yvette in ihrem schwarzen Kleid am Eingang, begrüßte die Ankommenden und führte sie zu ihrem Tisch. Es bedeutete, sich die Namen der Gäste zu merken und die Vorbestellungen zu kennen. Doch eines Abends erklärte sie den Eltern, sie wolle nicht mehr. »Ihr habt mir versprochen, dass sich für mich etwas ändert, dass ich nicht den ganzen Tag fürs Restaurant arbeiten muss«, klagte sie. »Es langweilt mich, die Auberge langweilt mich, und den Geruch nach Fisch aus der Küche kann ich nicht mehr ertragen.« Sie fing an zu weinen. »Das kann doch nicht mein Leben sein. Es ist euer Leben, ihr habt es euch ausgesucht, aber es wird nie mein Leben werden«, schluchzte sie.

Heloise nahm ihre Tochter in die Arme. »Sie hat recht.« Vorwurfsvoll wandte sie sich an Fabien. »Ich denke«, überlegte sie, »wir können sie jeden Tag doch für gute zwei Stunden entbehren. Zwischen halb fünf und halb sieben. Nach dem Mittags- und vor dem Abendgeschäft.«

Fabien schwieg verbissen.

»Also abgemacht«, erklärte Heloise. »In dieser Zeit hast du frei, da kannst du machen, was du willst, ans Meer gehen, was immer dir gefällt.«

»Es ist nicht gut«, warnte Fabien. »Unsere Tochter ist ein schönes Mädchen, man kann sie nicht einfach sich selbst überlassen. Wer weiß, in welche Gesellschaft sie gerät.«

»Ach, Unsinn«, widersprach Heloise. »Yvette ist vernünftig. Jeder kennt sie, jeder weiß, wer sie ist. Ich vertraue ihr, und das solltest du auch.«

»Wenn du meinst, Heloise, aber du hast als Mutter die Verantwortung für unsere Tochter.«

Es war ein warmer Juninachmittag, und Yvette lief zögernd am Meer entlang. Es war Tage her, dass Alphonse gesagt hatte, er warte auf sie. Sie wollte ihn ja auch gar nicht treffen, ihm einfach nur sagen, sie werde nicht kommen. Basta. Und sicher war er sowieso nicht da. Doch als sie zur Bucht kam, lehnte er an einem der kleinen Felsen und sah aufs Meer hinaus, auf dem sich die Nachmittagssonne spiegelte und ihr Licht auf die Felsen warf. Langsam ging sie auf ihn zu, während ihr Herz bei seinem Anblick bereits stark klopfte. Er sah sie, löste sich vom Felsen und kam auf sie zu, langsam, Schritt für Schritt, bis er vor ihr stand.

»Ich wusste, dass du kommen wirst.« Er lächelte, und bevor sie ihm erklären konnte, dass sie nicht mehr kommen würde, umschloss er ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie. Mit seinen Lippen öffnete er ihren Mund, und Yvette spürte dieses köstliche Gefühl eines ersten Kusses, und sie wehrte sich nicht, auch nicht, als er sie an sich zog und sie seinen Körper spürte. Doch dann ließ er sie los. »Ich bin glücklich, dass du da bist.« Sie nickte und sagte, ja, das sei sie auch. Und wieder küsste er sie, drängender, bis sie sich von ihm löste.

»Nein … bitte … nein …«, stammelte sie, doch war sie nicht längst wehrlos diesem schönen Mann gegenüber, der sie küsste, als sei sie eine erfahrene Frau?

»Ich möchte dein Haar berühren, deine Haut spüren«, flüsterte er, während er durch ihre Haare fuhr und sie spürte, wie seine Hand unter der Bluse nach ihren Brüsten tastete. Ein unbeschreibliches Gefühl überfiel sie, doch dann löste sie sich. »Ich muss nach Hause und … ich werde nicht wiederkommen.«

Er lachte nur.

Falls sie morgen doch kommen sollte, musste sie ihm sagen, dass ihre Eltern ihr verbieten würden, ihn zu treffen. Instinktiv ahnte sie, dass ihn dieses Argument zurückhielt. Doch als sie mit großen Vorsätzen am nächsten Tag in die Bucht kam, zog er sie an sich und verschloss ihr mit Küssen den Mund. Und da dachte sie nicht mehr an ihre Eltern. Sie spürte, wie er sie auszog, wie er erklärte, er habe sich ein Jahr lang gewünscht, sie nackt zu sehen, berühren zu dürfen. Und sie gab nach, bis sie nackt in der Sonne auf einer weichen Decke lag. Er sah sie an, und unter halb geschlossenen Augenlidern beobachtete sie, wie auch er sich rasch auszog. Noch nie hatte sie einen nackten Mann gesehen, und seine Schönheit war überwältigend. Als er sich langsam über sie beugte, seine Hände zart ihre Schenkel auseinanderdrückten, empfand sie ein köstliches, erregendes Glücksgefühl. Das also war die Liebe, die große, die einzige Liebe, über die Dichter Verse schrieben und Schriftsteller ganze Romane füllten.

Der Sommer war schön, und in den Stunden, die ihr die Eltern zugestanden hatten, lief sie in die Bucht. Kaum konnte sie es erwarten, Alphonse zu treffen. Sie zogen sich gegenseitig ungeduldig aus und liefen ins Meer. Danach verbrachte sie die restliche Zeit in seinen Armen. Sie lagen auf der Decke und auf Kissen, die Alphonse mitbrachte.

»Du lernst schnell«, flüsterte er ihr an einem der letzten Augusttage ins Ohr. »Du bist geschaffen für die Liebe, du bist ein Naturtalent, du hast durch mich gelernt, wie man einen Mann glücklich macht. Dein Ehemann wird das zu schätzen wissen.«

Plötzlich war es da, das Entsetzen, das schlechte Gewissen, die Reue. In Gedanken hörte sie ihre Mutter sagen: »Ein Mädchen muss als Jungfrau in die Ehe gehen. Wenn sie das nicht ist, wird sie nicht geheiratet, oder sie kann froh sein, wenn irgendein Witwer oder armer Schlucker sie noch nimmt. Als Jungfrau, vor allem, wenn sie schön ist, hat sie eine gewisse Macht und kann wählen. Ist sie es aber nicht mehr, hat sie keine Möglichkeiten mehr.« Entsetzt stieß sie ihn von sich.

»Ich liebe dich doch, Alphonse«, flüsterte sie verzweifelt. »Ich dachte, wir …«

Er verschloss ihr mit einem Kuss den Mund. Er war härter, die Leidenschaft brutal, bis er sie losließ. »Ich habe dir nichts versprochen.« Er stand auf und fuhr in seine Kleider. »Merk dir das. Keine Erwartungen, kein Versprechen. Nur wenn du das akzeptierst, können wir uns weiterhin sehen.« Dann drehte er sich abrupt um und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.

Aber Yvette gab nicht auf, sie glaubte, dass auch er sie liebte, es nur nicht zugeben wollte, warum auch immer. Und da sie daran glaubte, kam sie immer wieder, um ihn zu treffen, um ihn durch ihre Hingabe umzustimmen. Doch Alphonse wurde launisch, verspätete sich und ließ sie warten, bis er manchmal gar nicht kam. Die Tage wurden kühler, das Meer unruhig, oft kam ein starker Wind auf. Es wurde September, und sie hatten sich eine Woche nicht gesehen. In diesen Tagen fühlte sich Yvette nicht gut, sie war müde, die Brüste spannten, und morgens rannte sie ins Bad und übergab sich. Und an einem Tag, als sie aus dem Bad schlich, um die Eltern nicht aufzuwecken, stand ihre Mutter vor ihr, packte sie am Arm und schob sie in Yvettes Zimmer.

»Was ist los?«, wollte sie wissen.

»Nichts, gar nichts, ich habe irgendwie was Schlechtes gegessen.«

Heloise war blass geworden. »Ich bin schuld«, jammerte sie. »Dein Vater hat recht, einem schönen Mädchen wie dir kann man keine Freiheit lassen. Du bist schwanger, das sieht man dir doch an.« Unwillkürlich legte Yvette die Hände auf den Bauch, der flach und fest war.

»An deinem Gesicht mit den tiefen Augenringen sehe ich es, und deine Brüste sind größer geworden. Und dazu die morgendliche Übelkeit, ich kenne die Symptome. Wer? Wer ist es?« Heloise packte ihre Tochter hart am Arm.

Yvette begann zu weinen. Weil ihr so schlecht war, weil sie ihre Eltern belogen und hintergangen hatte, weil sie erkannte, dass Alphonse nicht zu ihr stehen würde. »Alphonse«, murmelte sie dann doch fast unhörbar.

Abrupt ließ Heloise sie los. »Das kann nicht sein.« Ihre Stimme klang tonlos. »Du hast dich weggeworfen an den schlimmsten Frauenhelden, den es im ganzen Umkreis gibt? Das wird er büßen, das …«

»Nein«, schrie Yvette gequält auf, »lass mich mit ihm reden, bitte.«

Heloise rang nach Atem, hielt sich an der Wand fest, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. »Gut, einverstanden, Yvette, versuch es, aber ich weiß, dass er jede Verantwortung ablehnen wird, und was willst du überhaupt mit diesem Herumtreiber?« Bevor ihre Tochter das Wort Liebe aussprechen konnte, redete sie weiter, während ihre Stimme eskalierte. »Aber … gut … gut … gut … sprich mit ihm.« Dann beugte sie sich vorsichtig über das Treppengeländer. »Dein Vater ist bereits beim Gemüsehändler, und vorerst darf er nichts erfahren. Bevor wir eine Lösung gefunden haben. Versprich es mir.«

Yvette versprach es erleichtert. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm, vielleicht freute sich Alphonse sogar über ein Kind und alles würde gut werden …

Am Nachmittag rannte sie zur Bucht. Sie musste es wissen, sie musste Klarheit haben. Alphonse wartete bereits auf sie. Er lehnte an dem kleinen Felsen und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haltung war ablehnend, und es fiel Yvette schwer, jetzt auszusprechen, was sie sich zurechtgelegt hatte.

»Ich muss mit dir reden.« Es war Alphonse, der anfing.

»Ich auch mit dir«, war ihre hastige Antwort.

»Nun, ich zuerst«, erklärte er großspurig. »Ich will dir nur sagen, dass ich fortgehe. Hier wird es mir zu kalt. Mein Onkel Fabrice will zwar, dass ich bleibe, da jetzt der Austernfang beginnt, und er braucht mich dazu, aber ich habe keine Lust, ich werde in den Süden gehen, Marseille, denke ich. Im Hafen finde ich schon irgendeine Arbeit … ich …«

»Alphonse.« Yvettes Stimme klang wie die einer Ertrinkenden. »Alphonse, bitte, hör mir zu.« Es fiel so schwer, es auszusprechen. Sie sah ihn an, sah die Ablehnung, die Gleichgültigkeit in seinen Augen, doch sie sprach es aus. »Alphonse, ich bin schwanger.«

Er sah sie an, seine Augen verengten sich, als er mit den Schultern zuckte. »Und wer ist der glückliche Vater?«

Da hob Yvette ihre Hand und versetzte ihm mit aller Kraft eine Ohrfeige, so stark, dass er taumelte, da er keinen Schlag erwartet hatte. Dann schlug er zurück, ihr mitten ins Gesicht, doch sie taumelte nicht, sie blieb stehen und warf den Kopf in den Nacken, obwohl sein Schlag schmerzte, ihr wehtat bis in die Tiefen ihrer Gefühlswelt.

»Niemand, hörst du? Niemand schlägt Alphonse, hörst du, niemand, vor allem keine Frau. Und woher soll ich wissen, dass es meins ist?«

Yvette richtete sich kerzengerade auf. »Ja, Alphonse, du hast recht, ich weiß nicht genau, ob es deins ist.« Sie wusste nicht, wieso sie das sagte, vielleicht, um sich einen Rest Würde, einen Rest Stolz zu bewahren.

Er starrte sie verblüfft an, dann lachte er sein freches Lachen, drehte sich um und ging. Doch nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um. »Dann wirst du auch wissen, dass man ein Kind nicht bekommen muss. Du wirst es schon schaffen, du bist stark. Salut.«

Yvette blieb stehen, wagte nicht zu atmen. Vielleicht kam er doch zurück, entschuldigte sich, sagte, er habe es sich überlegt und es werde alles gut werden … er liebe sie doch … Aber er kam nicht zurück. Und irgendwie hatte sie es gewusst.

Auch sie drehte sich um, ging in Richtung ihres Elternhauses, doch dann ließ sie sich in den Sand fallen. Es war kühl, der Wind wurde stärker, aber sie spürte nichts außer dem Gefühl der Demütigung und den Schmerz einer Liebe, die so enden musste. Brutal, hässlich, eine Liebe, die für sie schön begonnen hatte, eine Liebe, der sie sich selbst hingab, ohne Vorbehalte, ohne Zögern.

Es wurde bereits dunkel, als plötzlich ihre Mutter keuchend neben ihr stand und ihr hochhalf.

»Komm, ich habe dich gesucht, ich hatte schon Angst …« Sie sprach nicht weiter.

Und Yvette erkannte, dass ihre Mutter Angst gehabt hatte, sie würde ins Meer gehen, nicht mehr leben wollen.

»Ich hätte mir nichts angetan«, flüsterte sie, »mir nicht und auch … meinem Kind nicht.« Obwohl es dunkel wurde, erkannte sie den eigenartigen Blick ihrer Mutter, doch den Rest des Wegs legten sie wortlos zurück. Sie gingen durch den Hintereingang und über die Privattreppe hoch in den ersten Stock, in dem die Wohnung der Familie lag. Heloise strich ihrer Tochter die von Sand und Wind verklebten Haare aus dem Gesicht.

»Wir haben Glück«, flüsterte sie, »dein Vater ist für einige Tage nach Paris gefahren. Er und zwei Freunde wollen ein paar berühmte Restaurants besuchen, um sich Anregungen zu holen. Das sagt er jedenfalls«, betonte sie, doch Yvette fiel es nicht auf, wichtig war nur, dass es einen Aufschub gab, da er verreist war. »Wir haben also Zeit, die Sache zu regeln.«

Welche Sache?, wollte sie fragen, doch sie war zu müde, um überhaupt den Mund aufzumachen oder nur den Arm zu heben. »Dr. Hulot soll gleich morgen früh kommen, aber … du wirst jetzt ein warmes Bad nehmen, dir die Haare waschen und heute Abend an einem Essen teilnehmen.«

»An welchem Essen? Heute ist Ruhetag, Montag.« Hatte ihre Mutter das vergessen?

»Das weiß ich doch«, fuhr Heloise ihre Tochter an, »aber Monsieur Lambert hat einen Tisch bestellt, und du weißt, er ist immer willkommen.«

Der Tonfall ihrer Mutter ließ Yvonne aufhorchen. »Wieso?«

»Das tut jetzt nichts zur Sache.« Heloise wischte mit einer Handbewegung die Frage weg. »Also, du wirst baden und um acht Uhr unten sein.«

Trotz der eigenen Verzweiflung spürte sie die Nervosität ihrer Mutter. »Warum hat er immer Vorrang, bekommt einen Tisch, auch wenn Ruhetag ist?« Yvette ließ nicht locker.

»Er ist Anwalt«, war die knappe Antwort.

»Du wirst doch nicht … mit ihm über mich sprechen … ich habe übrigens Alphonse gesagt, dass es nicht sicher ist, dass es von ihm ist.«

»Was?« Heloise starrte sie an, dann hob sie die Hand und verpasste ihrer Tochter eine schallende Ohrfeige. »Mit wem hast du es noch getrieben? Ist meine Tochter eine Hure geworden?«, schrie sie.

»Maman, du hast kein Recht, mich zu schlagen. Und wenn du so wenig Vertrauen in mich hast, dann werde ich dir gar nichts mehr sagen. Ich gehe weg, ja, das werde ich, ich gehe einfach weg.« Sie wandte sich abrupt ab, ging in ihr Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich innen dagegen.

»Mach auf, Yvette, mach sofort auf. Ja, es tut mir leid. Aber bitte komm um acht Uhr nach unten. Ich bereite jetzt selbst das Abendessen für Monsieur Lambert zu.«

Yvette riss die Tür auf. »Er ist dein Liebhaber, nicht wahr, Maman?«

»Was? Was denkst du von mir?«, schrie Heloise die Tochter an. »Bin ich eine Hure? Ich liebe deinen Vater.«

»Ach ja?« Auch Yvette wurde laut. »Darum streitet ihr immer und arbeitet wie verrückt, und nachts …«

»Was ist nachts?«

»Ja, da höre ich, wie ihr euch streitet. Lambert sieht gut aus, und er ist reich, oder nicht?«

»Wie kannst du so etwas von deiner eigenen Mutter denken?« Heloise atmete durch, sah auf ihre Tochter, spürte ihre Verzweiflung, die Ratlosigkeit. Und da wurde sie ruhig. »Es ist schon spät, und ich bitte dich einfach nur, zieh das neue blaue Kleid an, mach dich hübsch und komm nach unten.«

»Ich komme nur, wenn du nicht mit Lambert über mich redest und ihn bittest, gegen Alphonse rechtlich vorzugehen.«

Ihre Mutter lachte ironisch auf. »Unsinn, dieser Herumtreiber ist keinen Gedanken wert. Aber, Yvette, bitte versprich mir, dass du nicht einfach davonläufst, während ich unten in der Küche stehe. Wir finden eine Lösung.«

Yvette nickte stumm, denn sie erkannte die tiefe Sorge ihrer Mutter, und so schloss sie die Tür. Sie trat vor den Spiegel und starrte sich an. Schwanger. Sah man das? Sie sah nur, dass ihr Gesicht von dem Schlag, den ihr Alphonse versetzt hatte, leicht angeschwollen war. Oder von der Ohrfeige ihrer Mutter. Heute hatten zwei Menschen sie geschlagen, ihre temperamentvolle Mutter, der in Yvettes Kindheit schon oft die Hand ausgerutscht war, aber Alphonse’ Schlag ins Gesicht schmerzte mehr, auch wenn sie ihn zuerst geschlagen hatte. Wie konnte dieser Mann, den sie so sehr liebte, sie schlagen? Etwas zerbrach in ihr. Es war die Liebe zu ihm, die große Liebe, die Bewunderung.

»Beeil dich, Yvette, mach schnell, er ist bereits da«, rief ihre Mutter zu ihr hoch, und langsam löste sie sich vom Spiegel und ging ins Bad, um sich hübsch zu machen für einen Mann, den sie nicht besonders mochte und der vielleicht der Liebhaber ihrer Mutter war.

Das Essen wurde noch quälender, als Yvette es sich vorgestellt hatte. Sie trug das dunkelblaue Kleid, das ihre schmale Taille betonte, aber über den Brüsten spannte. Die verstohlenen Blicke von Louis Lambert entgingen weder Yvette noch ihrer Mutter.

»Ich möchte nicht, dass Sie mich so ansehen, Monsieur Lambert«, erklärte Yvette und sah, wie ihre Mutter blass wurde.

Doch Lambert lächelte. »Sie sind sehr schön, Mademoiselle Lafitte, darf ich Sie nicht bewundern?«

Yvette antwortete nicht, ihr war plötzlich bewusst geworden, dass sie es war, die ihm gefiel. Wollte ihre Mutter sie diesem Mann in die Arme treiben?

Während des Essens bemühte sich Heloise um ein unverfängliches Gespräch, ging auf Lamberts Erzählungen ein, der von Opernaufführungen in Rennes berichtete.

»Wir haben ein sehr schönes, wunderbares Opernhaus«, wandte er sich an Yvette.

»Ich weiß«, erklärte sie, »aber ich mag Oper nicht, das ist langweilig.« Sie provozierte ihn, doch Lambert lachte nur gut gelaunt, und wie es Yvette schien, konnte er den Blick nicht von dem kleinen Ausschnitt und dem Ansatz ihrer vollen Brüste wenden.