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Die jüdische Musik Osteuropas, als Klezmermusik bekannt, ist ein beinahe versunkenes Juwel der europäischen Musiktradition. Sie hatte großen Einfluss auf die Komponisten der Klassik und Romantik. Das Buch bringt 27 Stücke aus der Sammlung von Isaak Loberan, der in ausgedehnten Reisen vor Ort die zu anderen Ethnien tradierte Musik der klezmorim erforscht hat. Jedes Notenblatt in diesem "Musizierenden Notenbuch" trägt einen QR-Code, der mit jedem Mobiltelefon gescant werden kann. Diese Hörsbeispiele helfen Musikern bei der eigenen interpretation und machen das Buch zu einer "Doppel-CD" für Freundinnen und Liebhaber der Klezmermusik. Die professionell ausgebildeten Musiker und begeisterten Musikanten der "Wiener Klezmer Kapelye" haben sich bei vielen Nummern mit dem international renommierten Klezmer-Klarinettisten Sasha Danilov verstärkt, um authentische Musik mit virtuoser Interpretation verbinden zu können. Die Kapelye hat zwei CDs veröffentlicht und gab zahlreiche Konzerte in der Ukraine, in Deutschland und Österreich.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 59
Veröffentlichungsjahr: 2022
Musik aus den letzten Schtetln
Weltliche jüdische Musik der klezmorim
aus Bessarabien, Galizien, Podolien und der Ukraine
vor Ort erforscht, aufgezeichnet und veröffentlicht von Isaak Loberan, arrangiert und gespielt von der
Wiener Klezmer Kapelye „di libn layt“
bei Einspielung der CD „Musik aus den letzten Schtetln“ und in den Konzerten 2020 und 2021 freundlich unterstützt von Sasha Danilov
Herausgeber: Gernot Henning
Gefördert von der Stadt Wien Kultur
www.dilibnlayt.at
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2022 Gernot Henning, Wien
Feldforschung und Notation: Isaak Loberan, Wien
Gestaltung: Gernot Henning, Wien
Musikalische Beratung: Susanna Heilmayr, Wien
Druck: Verlag tredition GmbH, Hamburg
ISBN 978-3-347-48571-6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort des Herausgebers
Zur Entwicklung der jüdischen Musik Osteuropas
Die Wurzeln
Wien und die jüdische Musik
Der Untergang der Schtetl
Die jüdische Musik in der Diaspora
Die Situation nach dem 2. Weltkrieg
Die Musik der klezmorim im 19. Jahrhundert
(Auszüge aus den Büchern von Isaak Loberan)
Musikalische Grundlagen
Das Repertoire der Klezmer Kapellen
Melodie und Instrumente
Tempo
Noten
Liste der Stücke der CD und in den Konzerten
Noten für C-Stimme mit QR-Codes zu Hörbeispielen und Videos
Gedanken zu den Arrangements der Wiener Klezmer Kapelye
Beiträge der Musiker: innen der Wiener Klezmer Kapelye von: Günther Schöller, Regina Außerwöger, Sabine Hille, Gernot Henning, Michael Preuschl, Susanne Wallner
Isaak Loberan, Sasha Danilov und „di libn layt“
Biografie Isaak Loberan
Die Wiener Klezmer Kapelye
Biografie Sasha Danilov
Die CD „Musik aus den letzten Schtetln“
Anhang
Veröffentlichungen Isaak Loberan
Links zu historischen Musikbeispielen
Karte der Landschaften am Schwarzen Meer
Nutzungsbestimmungen
Vorwort des Herausgebers
Sowohl die liturgische, als auch die weltliche jüdische Musik war für die musikalische Entwicklung Westeuropas von oft unterschätzter Bedeutung gewesen - insbesondere auch für viele Komponisten des 19. Jahrhunderts in Wien. Die Tradition der jüdischen Musik in Osteuropa erreichte zu dieser Zeit ihren Höhepunkt. Wandernde Spielleute, klezmorim genannt, leisteten mit ihren Liedern und Tänzen einen unverzichtbaren Beitrag zu jüdischen Familienfesten, insbesondere bei Hochzeiten. Nach der Verfolgung im zaristischen Russland begann jedoch seit dem Jahr 1880 der Exodus der Juden, beschleunigt durch Klimaverschlechterung, Landflucht und Verarmung weiter Bevölkerungskreise. Die klezmorim verloren so ihre wirtschaftliche Basis. Nach den Leiden des 1.Weltkriegs, den immer stärkeren Einschränkungen im stalinistischen Russland, sowie nach dem Holocaust in den von Nazi-Deutschland eroberten Ländern waren die klezmorim und ihre Musik fast vollständig verschwunden.
Das „Revival der Klezmermusik“ in den USA der 80ziger Jahre sorgte für eine weltweite Verbreitung der aus Tonträgern des frühen 20. Jahrhunderts und aus Notensammlungen bekannten Klezmer-Themen. Mangels Kenntnis der ursprünglichen Interpretation kam es aber häufig zur verfälschenden „Weiterentwicklung“ der überlieferten Themen und typischen Spielweise. Nach dem Zerfall der UdSSR bot sich wieder die Chance, nach den letzten authentischen Residuen dieses Juwels europäischer Musikkultur zu suchen und diese systematisch zu erforschen. Das erforderte jedoch zu dieser Zeit gute Orts- und Sprachkenntnisse, Ausdauer und ein umfassendes musikalisches Wissen.
Der jüdische Musiker Isaak Loberan wurde in Moldawien geboren, wo er auch aufgewachsen ist und ausgebildet wurde. Von seiner neuen Heimatstadt Wien aus hat er seit dem Jahr 1991 mehrere Reisen durch Polen, Rumänien, Moldawien und die Ukraine unternommen. Dort führte er vor Ort zahllose Interviews durch, zeichnete die zu den unterschiedlichen Ethnien tradierte Musik jüdischer Herkunft auf und studierte schriftliche Quellen. Das umfangreiche Material ordnete er in Wien, hielt dann über 800 Musikstücke in Noten fest und veröffentlichte hunderte davon in seinen Büchern.
In seiner Forschungsarbeit war Isaak Loberan stets der Authentizität verpflichtet. Dank seiner Publikationen erschließt sich daher uns Wiener Musikerinnen und Musikern die versunkene Welt der klezmorim aufs Neue. „di libn layt“ wollen mit diesem Buch und mit unseren CDs ein wenig zur lebendigen Pflege und zur Verbreitung dieses Erbes beitragen. Das vorliegende Notenbuch bietet authentisches Forschungsmaterial aus der Sammlung Isaak Loberan mit Hintergrundinformationen sowie ein wenig Musiktheorie, soll aber vor allem - dank je eines Hörbeispiels für jedes der Stücke - zur eigenen Interpretation anregen. Der QR-Code der Stücke kann mit der App am Smartphone gelesen werden. Auf Knopfdruck kann man dann die Video- und Audio-Files abspielen, auch mit anderen teilen, oder in das eigene Archiv kopieren. Bitte beachten Sie dazu die Hinweise im Anhang.
Der Stadt Wien sei Dank für ihre Förderung unserer Konzerte und für ihren Beitrag zur Durchführung dieses Buch-Projektes. Wir danken Isaak Loberan herzlich für seine jahrzehntelange Unterstützung und die Zustimmung zur Veröffentlichung. Wir danken Sasha Danilov für seine Mitwirkung bei der Einspielung der CD „Musik aus den letzten Schtetln“ und bei den Konzerten. Last, but not least, danke ich allen „libn laytn“ für ihre jahrelange Mitarbeit in unzähligen Proben und bei vielen Auftritten!
Wien, im November 2022
Gernot Henning
1. Zur Entwicklung der jüdischen Musik Osteuropas
Die Wurzeln
Die jüdische Musik Osteuropas entstand im Schwarzmeerraum, nachdem die römischen Legionen kurz vor Christi Geburt Palästina erobert hatten. Denn in den folgenden Jahrhunderten flohen viele Juden vor der Verfolgung durch Rom aus dem Reich zur Nordküste des Schwarzen Meeres. Im ersten Jahrtausend bildete sich dort ein Vielvölkerstaat, später unter Führung der Chasaren, in dem auch Bulgaren, Ruthenen, Ungarn, Walachen und andere slawische Volksgruppen, sowie viele Juden lebten. Das Chasarenreich kontrollierte den Handel über die Seidenstraße, war ein enger Verbündeter Ostroms und pflegte Handel mit Westeuropa, insbesondere mit Polen und Deutschland. Bis zum hohen Mittelalter hatte sich in diesem Schmelztiegel vieler Ethnien aus den ursprünglich rein liturgischen Gesängen der dort lebenden Juden eine weltliche, jüdische Musiktradition mit Liedern und Tänzen entwickelt. Viele persisch-arabische, germanische, slawische und zuletzt türkische Elemente wurden integriert und verschmolzen zu einer erstaunlich vielfältigen und differenzierten Musik. Die ersten wandernden Spielleute nannte man lejtsim. Sie zogen von Dorf zu Dorf und von Schtetl zu Schtetl, um auf religiösen Festen und Hochzeiten zu spielen. Sie standen in regem Austausch mit den Musikern lokaler Ethnien. Besonders im liberalen polnisch-litauischen Königreich blühte die weitgehend gleichberechtigte jüdische Kultur auf. Die weltlichen jüdischen Musiker nannte man in der Neuzeit „klezmorim“, das bedeutet „Gefäß der Lieder“. Sie schufen die Basis für das gesamte heute gespielte Repertoire der Klezmermusik.
Wien und die jüdische Musiktradition
Schon im Mittelalter war Wien das Tor der Westeuropäer zum Südosten. Der deutsche Hochadel nützte Wien als idealen Stützpunkt „auf halbem Wege“ zum ungarischen Königshaus, mit dem er eng verbundenen war. Während der Kreuzzüge wanderten zahllose Pilgerscharen unter Führung der christlichen Ritterorden entlang der Donau in das gelobte Land. Mit ihnen zogen auch viele Musikanten durch Wien – und kehrten bereichert durch interkulturellen Austausch wieder heim. Jahrhunderte später erweiterte das Habsburger Reich - nach der erfolgreichen Vertreibung der Türken aus dem Balkan - seine Territorien im Südosten um die Länder Galizien, die Bukowina und Siebenbürgen. Dort gab es besonders hohe jüdische Bevölkerungsanteile. Dies alles verstärkte den Einfluss der jüdischen Musik stetig - auch auf österreichische Komponisten der Wiener Klassik, Romantik und Moderne. Der Kantor Salomon Sulzer war ein guter Freund Schuberts. Mendelsohn, Johann Strauss und Mahler interessierten sich sehr für die jüdische Musik. Auch viele andere Komponisten nutzten harmonische und rhythmische Elemente jüdischer Musik in ihrem Werk.
Der Untergang der Schtetl Osteuropas