Ein schwedischer Sommer - Eva Seifert - E-Book
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Ein schwedischer Sommer E-Book

Eva Seifert

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Beschreibung

Välkommen till Sverige – entdecken Sie das Geheimnis eines schwedischen Sommers!

Die drei Schwestern Beate, Mona und Christine planen nach dem Tod von Beates Ehemann eigentlich eine Weltreise. Doch dann bittet sie ihr Bruder Leonhard, zu dem sie lange fast gar keinen Kontakt hatten, zu sich nach Schweden. Er hat ein paar Briefe und ein Tagebuch im Nachlass der Eltern gefunden, die Fragen aufwerfen. Was hat es mit dem Tagebuch einer gewissen Maria aus dem Sommer 1969 auf sich? Wer ist Maria, und was hat sie mit den Geschwistern zu tun? Die drei Schwestern machen sich daraufhin auf in das malerische Küstenörtchen Djursholm. Nichtahnend, dass ihnen dort der Sommer ihres Lebens bevorsteht, nach dem nichts mehr so sein wird, wie es einmal war …

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Buch

Eigentlich wollten die Schwestern Beate, Mona und Christine eine Weltreise machen, um nach dem Tod von Beates Ehemann wieder auf positive Gedanken zu kommen. Doch dann bittet sie ihr Bruder Leonhard, zu dem sie kaum noch Kontakt haben, seit er nach Schweden ausgewandert ist, plötzlich zu sich. Er hat ein altes Tagebuch im Nachlass der Eltern gefunden, das Fragen aufwirft. Was hat es mit der Verfasserin, einem Mädchen namens Maria, auf sich? Und was hat deren Geschichte mit den Geschwistern zu tun? Beate, Mona und Christine machen sich daraufhin in das malerische Küstenörtchen Djursholm auf – nicht ahnend, dass ihnen dort der Sommer ihres Lebens bevorsteht …

Autorin

Eva Seifert ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Schon als Kind hat sie gern gelesen und geschrieben. Nach einem Studium der Kulturwissenschaft, Germanistik und Geschichte, das sie mit einer Magisterarbeit über den schwedischen Film abschloss, arbeitete sie als Lektorin in München und bekam dort all die Bücher zu lesen, die sie selbst gerne schreiben wollte. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einer Kleinstadt bei Braunschweig, wo sie als freie Lektorin arbeitet und endlich auch schreibt. »Ein schwedischer Sommer« ist ihr erster Roman.Mehr unter www.evaseifert.net und www.facebook.com/EvaSeifertAutorinBesuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag

EVA SEIFERT

Ein schwedischer Sommer

ROMAN

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Copyright © 2019 by Eva Seifert Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover Redaktion: Margit von Cossart Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de dn · Herstellung: sam Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Satz: Uhl + Massopust, GmbH

Für meine Familie

1. TeilApril 2018

1Beate

Der Nieselregen fiel leicht in mein Gesicht, das seltsam erhitzt war, und die feinen Regentropfen kühlten meine Wangen. Sie mischten sich mit meinen langsam versiegenden Tränen. Es war furchtbar kalt an diesem Freitagmorgen Ende April, viel kälter, als es in den vergangenen Wochen gewesen war, und ich zog meinen dünnen Mantel fest um mich. Ich hatte Gespräche der Gäste mit angehört, die sich über das Wetter unterhielten, hatte hier und da einen Fetzen ihrer Erzählungen aufgeschnappt, hatte immer mal wieder freundlich genickt und unzählige Hände geschüttelt. Aber eigentlich hatte ich gar nichts mitbekommen.

Die Kälte, die an meinen in einer schwarzen Strumpfhose steckenden Beinen hochkroch, war mir egal, und wer von unseren Verwandten und Bekannten gekommen war, war mir auch egal. Erst recht, was sie zu erzählen gehabt hatten. Jetzt waren sie alle fort. Meine Kinder Caro und Steffen kümmerten sich mit meinen beiden Schwestern um die Formalitäten, rechneten mit dem Café ab und würden dann wohl wieder nach Hause fahren, während ich erneut hier stand. Ich wollte noch einmal mit ihm allein sein. Mit Frederik, meiner großen Liebe. Wir waren beinahe dreißig Jahre verheiratet gewesen, im August hätten wir unsere Perlenhochzeit gefeiert.

Wir hatten noch so viel vorgehabt. Wollten reisen, wenn er in Rente ging und wir endlich mehr Zeit haben würden. Wollten die bunten Basare von Marrakesch sehen und das Pergamonmuseum in Berlin besuchen, in Venedig eine Fahrt mit einer Gondel machen …

Wir hatten Höhen und Tiefen in unserer Ehe erlebt, zuletzt mehr Tiefen. Das musste ich wohl vor allem seiner Krankheit zuschreiben – im Nachhinein. Sie hatte ihn verändert, schon, als er noch nicht davon wusste, und erst recht, als wir die Diagnose bekamen. Koronare Herzkrankheit, die vor fünf Jahren durch einige kleinere Angina-pectoris-Anfälle eingeleitet worden war. Erst hatte er die immer wieder auftretenden Schmerzen in der Brust zu ignorieren versucht, schließlich hatte ich ihn im wahrsten Sinne des Wortes zum Arzt geschleift.

Doch Frederik hatte nicht wahrhaben wollen, dass er sich in Behandlung hätte begeben müssen. Statt etwas zu unternehmen, war er hartherzig und immer verschlossener geworden – und entsetzlich eigensinnig. Weniger arbeiten? Undenkbar! Die Ernährung umstellen? So ein Unsinn! Mit dem Rauchen aufhören? Unmöglich. Und mehr Sport treiben? Na ja, er war mit seinen Kollegen vom Versicherungsstammtisch kegeln gegangen, aber dass dabei ordentlich gebechert und gegessen wurde, ließ er unerwähnt. Alles für die Katz also. Es hatte mich traurig und wütend gemacht, dass er nichts für seine Gesundheit hatte tun wollen.

Ich starrte auf das nun mit Erde zugeschüttete Grab. Der Sarg war aus Mahagoniholz, ich hatte ihn mit roten Rosen und weißen Lilien schmücken lassen. Es waren meine Lieblingsblumen, Frederik hatte sich nicht besonders viel aus Pflanzen gemacht. Er hätte wahrscheinlich auch gut damit leben können, ohne Blumenschmuck beerdigt zu werden. Pah, damit leben können – was für eine Wortwahl! Leben könnte er vielleicht jetzt noch, wenn er nur befolgt hätte, was die Ärzte gesagt hatten. Der verdammte Sturkopf.

Ich hörte Schritte hinter mir. Eine Hand legte sich auf meinen Rücken.

»Du wirst ja ganz nass bei dem Regen, Beate.«

Christine, mit ihren vierundvierzig Jahren die jüngste von uns Schwestern. Ich zuckte mit den Schultern. Sie verstand das wohl falsch, nahm ihre Hand weg und stellte sich neben mich. Schnell fasste ich ihre Hand und drückte sie fest als Zeichen dafür, dass ich froh war, dass sie bei mir war. Auch wenn ich einen Moment vorher noch fest davon überzeugt gewesen war, allein sein zu wollen, so war es nun doch schön, sie in dieser Situation bei mir zu haben.

Gleiches galt für unsere älteste Schwester Ramona, die wir nur Mona nannten. Sie erschien an meiner anderen Seite. Gemeinsam schauten wir einen Moment schweigend auf das Grab, das mit Kränzen von Verwandten und den Freunden aus der Versicherungsagentur geschmückt war. Obwohl jeder von ihnen seine eigene kleinere oder größere Agentur führte und sie damit eigentlich in Konkurrenz zueinander standen, hatte sich dieses Netzwerk über die Jahre gehalten. Frederik hatte zu Beginn seiner Selbstständigkeit einen Stammtisch gegründet und war bei den Kollegen sehr beliebt gewesen.

Ich hatte mich in den vergangenen Jahren ein wenig von meinen Schwestern zurückgezogen, hatte genug mit meinem eigenen Leben um die Ohren gehabt, mit meinen Kindern und mit Frederik. Natürlich hatten wir uns dann und wann gesehen oder telefoniert, aber jede von uns dreien war sich doch im Grunde selbst genug gewesen. Nun waren Caro und Steffen längst erwachsen und standen auf eigenen Beinen. Ich merkte immer öfter, dass ich sie ziehen lassen musste. Wahrscheinlich würden sie mich erst wieder richtig brauchen, wenn sie selbst Kinder hatten. Und jetzt war auch noch Frederik fort. Ich war allein, vollkommen allein. Es tat gut, meine Schwestern in der Nähe zu wissen. Wir sollten uns unbedingt wieder mehr umeinander kümmern.

»Caro lässt dich noch mal drücken«, sagte Mona. »Sie und Olaf mussten gleich nach dem Kaffeetrinken zurück nach Ahrensburg. Das weißt du, nicht?«

Ich nickte. »Ja, wir hatten schon vorher darüber gesprochen. Olaf muss heute Abend wegen eines für ihn sehr wichtigen Kongresses nach Hamburg. Caro wollte bei mir bleiben, aber …« Ich ließ den Satz in der Luft hängen.

»Du wolltest es gar nicht?«, fragte Christine, und es klang überrascht.

Wieder zuckte ich mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich stecke in so einem Gefühlschaos. Ich glaube, ich muss mich erst mal wieder sortieren.«

»Das verstehe ich gut.« Mona lächelte verständnisvoll und legte den Arm um mich. »Du warst in der vergangenen Woche ja so gut wie abgetaucht.«

Ich seufzte. »Dafür schäme ich mich ein bisschen, dass ich Caro und Steffen mit allem belastet habe. Es ist nicht richtig, dass ich die Kinder mit der Organisation so gut wie allein gelassen habe. Danke auch euch, dass ihr mit eingesprungen seid und tatkräftig mitgeholfen habt: beim Kartenschreiben, dem Raussuchen der Adressen, den Telefonaten, dem Gespräch mit dem Pfarrer … Ich konnte einfach nicht … Mir war alles zu viel …« Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle, als ich an die vergangene Woche dachte. Schnell schluckte ich. »So kenne ich mich gar nicht.«

»Wir dich auch nicht«, sagte Christine und streichelte mir liebevoll über die Wange. »Aber es ist ja vollkommen verständlich.«

Dankbar sah ich von ihr zu Mona. »Es tut gut, dass ihr da seid.« Ich seufzte erneut, und plötzlich spürte ich Nässe und Kälte, merkte, wie durchgefroren ich war. Es kam mir vor, als hätte mich jemand ruckartig aus einem warmen Nebel zurück in die Realität gezerrt. »Vielleicht sollten wir doch langsam wieder zurückgehen.« Ich warf noch einen letzten Blick auf Frederiks Grab. Ich hatte es überstanden. Dann hakte ich mich bei Mona und Christine unter.

»Du musst dir nicht so viele Gedanken um deine Kinder machen«, meinte Mona da. »Du hast ihnen, vor allem deinem Sohn, immer sehr viel abgenommen. Aber sie sind groß, stark und selbstbewusst. Trau ihnen zu, Verantwortung zu übernehmen.«

Ich schaute meine ältere Schwester nachdenklich an. In ihrem Blick lag keine Kritik an meiner Erziehung, nichts Herablassendes, wie es sonst durchaus mal vorkommen konnte. Nein, ihr Blick war voller Wärme.

»Vielleicht hast du recht«, murmelte ich zögerlich.

»Bestimmt«, bemerkte Mona selbstsicher wie immer. »Sie scheinen besser mit dem Tod ihres Vaters fertigzuwerden als du.«

Christine sog scharf Luft ein. Neben ihren durchaus guten Eigenschaften war Mona leider nicht immer besonders taktvoll. Aber ich wusste, von wem es kam, und nahm es ihr nicht übel, außerdem hatte ich weder die Kraft noch die Lust, sie hier und jetzt zurechtzuweisen.

»Caro hat schon sehr getrauert«, erklärte ich dennoch. »Sie hat alles versucht, Frederik zu einem Lebenswandel zu bewegen, genauso wie ich. Wie oft hat sie mit Engelszungen auf ihn eingeredet, seine Ernährungsgewohnheiten zu ändern, mehr Sport zu treiben, seine Medikamente zu nehmen. Ich glaube, zum Schluss war sie einfach verzweifelt aufgrund seiner Sturheit. Wenn sie und Olaf mal am Wochenende zu Besuch kamen, war sie manchmal richtig ungehalten Frederik gegenüber. Ich glaube, in der letzten Zeit hat sie sich unbewusst schon langsam von ihrem Vater entfernt, vielleicht sogar verabschiedet. Sie kamen immer seltener zu uns.« Ich seufzte erneut. »Wahrscheinlich hatte Caro längst das Stadium erreicht, in dem ich erst jetzt bin.«

»Welches Stadium?«, fragte Christine.

»Das der Wut auf Frederik. Darüber, dass er nichts für seine Gesundheit getan hat, nichts, um am Leben zu bleiben.«

Wir drei schwiegen eine Weile. Der Kies knirschte unter unseren Füßen. Wir kamen jetzt zum älteren Teil des Friedhofs, er befand sich in der Nähe des Ausgangs.

»Und Steffen?«, fragte Christine. »Wie hat er den Tod seines Vaters verkraftet?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ihr kennt Steffen, er ist sehr pragmatisch. Hat genug mit seinem eigenen Leben zu tun, mit seinem Job als Projektleiter bei Mercedes-Benz.« Ich dachte kurz an ihn und seine Freundin Tatjana, mit der er seit zwei Jahren in Bremen zusammenlebte. Dem heimeligen Lilienthal, in das Frederik und ich gezogen waren, kaum dass wir verheiratet waren, und in dem wir das Haus für unsere Familie gebaut hatten, hatte er schnellstmöglich den Rücken gekehrt und war schon früh in die benachbarte Großstadt gezogen. Er hatte in mehreren WGs gelebt. Ob Tatjana seine Frau fürs Leben war? Ob er nun endlich sesshaft wurde? Bisher hatte er sich eher treiben lassen. »Ohnehin hatten Steffen und Frederik nie das beste Verhältnis zueinander«, fuhr ich fort. »Er hätte es niemals so gesagt, aber im Prinzip hat Frederik Steffen für verantwortungslos und egoistisch gehalten, war der Meinung, dass er nur tat, was ihm Spaß machte, und sich sonst um nichts kümmerte. Und Steffen fand seinen Vater furchtbar konservativ und kurioserweise ebenfalls egoistisch.«

»Wieso das?«, fragte Christine.

»Weil er zu viel gearbeitet hat?«, warf Mona ein, bevor ich antworten konnte.

Ich nickte nur, denn ich nahm an, dass dies genau das war, was Mona selbst über Frederik dachte. Ebenso war ich mir ziemlich sicher, dass sie Steffen für einen Drückeberger hielt.

»Sagt mal … Wer war denn jetzt eigentlich alles da?«, fragte ich nun. Ich wollte nicht weiter auf die Befindlichkeiten meiner Familienmitglieder eingehen und wechselte lieber das Thema. Außerdem interessierte es mich auf einmal wirklich. »Ich habe, ehrlich gesagt, kaum etwas mitbekommen, kann mich nur an unzählige Hände erinnern, die ich geschüttelt habe.«

»Du weißt so gar nicht, wer da war?«, fragte Christine verwundert.

Ich verneinte. »Die Wichtigsten, schätze ich …«

»Also«, setzte sie an. »Onkel Heinz und seine neue Frau waren da, deine Freunde aus Magdeburg …«

»Ach, das interessiert doch niemanden«, unterbrach Mona sie. »Das Spannendste war ja wohl, dass unser werter Herr Bruder sich hat blicken lassen.«

Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. »Ja, stimmt, Leo war da …«, antwortete ich zögerlich.

»Hattest du ihn noch eingeladen?«, fragte Mona. »Er stand nicht auf der Liste, meine ich.«

»Ja, habe ich«, murmelte ich.

»Aber das ist doch selbstverständlich, finde ich«, kam mir Christine zu Hilfe. »Immerhin ist er unser Bruder. Ich halte es für angemessen, dass er zur Beerdigung seines Schwagers kommt.«

Ich nickte schweigend, dankbar für Christines Unterstützung. Weil ich Monas Reaktion auf Leo gefürchtet hatte, hatte ich bis zum Schluss für mich behalten, dass ich ihm auch eine Trauerkarte geschickt hatte.

»Das sehe ich nicht so. Wir haben uns seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen, was ich wirklich nicht bedauere. Schließlich hatten wir uns noch nie viel zu sagen.«

»Aber sollte man nicht wenigstens in solch einem traurigen Moment zusammenstehen?«, versuchte ich leisen Widerspruch, obwohl ich wusste, dass ich bei Mona keine Chance hatte. Meine ältere Schwester war niemand, der seine Meinung schnell änderte, und vor allem konnte man in einer Diskussion mit ihr niemals gewinnen. Entweder hatte sie die besseren Argumente oder sie brachte ihre Ansichten so überzeugend wie energisch rüber, dass ich nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Mal davon abgesehen, dass mir in solchen Momenten ohnehin nie etwas Passendes einfiel.

»Pah. Wenn jemand stirbt, braucht man sich auch nicht mehr zu bemühen, dann ist es ja wohl zu spät, oder?«

»Ich finde es jedenfalls schön, dass er extra von Stockholm hergekommen ist, um heute hier zu sein und Beate an diesem Tag beizustehen«, beharrte Christine.

»Ich genauso«, murmelte ich.

In diesem Augenblick war ich einfach zu schwach, um Widerstand zu leisten, auch wenn Mona und ich in der Vergangenheit oft genug aneinandergeraten waren. Deswegen gestand ich auch nicht, dass ich Leo nicht nur eine Trauerkarte geschickt, sondern sogar daruntergeschrieben hatte, dass ich es wirklich schön fände, wenn er käme. Klammheimlich war ich sehr froh, unseren Bruder nach so langer Zeit einmal wiedergesehen zu haben. War nicht Familie das Wichtigste? Nur leider erkannte man das häufig erst viel zu spät. Aber diese Gedanken mochte ich Mona gerade nicht auf die Nase binden.

»Und, wo ist er jetzt?«, giftete Mona weiter. »Kaum hab ich ihn am Grab gesehen, war er auch schon wieder weg. Er hätte wenigstens den Anstand haben und mit uns reden können.«

Sowohl Christine als auch ich blieben still. Ich bemerkte, wie Christine zur Seite sah.

»Wie? Ihr habt mit ihm gesprochen? Mehr als das übliche ›Guten Tag‹ und ›Herzliches Beileid‹?«, fragte Mona.

»Mhm …«, machte ich.

»Na ja, ein bisschen«, gab Christine zu. »Er war schon eine ganze Weile vor der Beerdigung an der Kapelle. Ist wohl direkt vom Flughafen hergekommen. Da warst du noch nicht hier.«

»Und hinterher musste er gleich wieder zurück zum Flieger, sodass er nicht mit ins Café kommen konnte«, ergänzte ich. Ich nahm an, dass er vor allem deshalb nicht länger hatte bleiben können, weil er einer direkten Konfrontation mit Mona aus dem Weg gehen wollte. Zu Recht, wie sich gerade zeigte.

»Aha. Und, was erzählt der feine Herr Doktor? Hat er sich wenigstens dafür entschuldigt, dass er Omas altes Büfett auf den Sperrmüll geworfen und Opas Münzsammlung meistbietend verscherbelt hat?«

»Mensch, Mona, das sind doch alte Kamellen!« Mich ärgerte das Verhalten meiner älteren Schwester. Sich nach all den Jahren immer noch über solche Dinge aufzuregen, fand ich irgendwie kindisch. »Ja, zugegeben, es ist damals bei der Verteilung des Erbes ziemlich ungerecht zugegangen, aber das ist ewig her. Sollte man da nicht irgendwann mal drüber wegkommen?«

»Ich nicht«, schimpfte Mona. »Wenn er sich mal vernünftig bei uns entschuldigen würde für den Mist, den er so verzapft hat, für die Sachen, die er uns weggenommen hat … dann könnte ich ihm vielleicht verzeihen. Aber so … Für mich ist unser Bruder nur ein aufgeblasener Feigling, der immer alles in den Allerwertesten geschoben bekommen hat. Das ist meine Meinung von ihm, und wenn er die jemals ändern wollen würde, müsste er sich mal wirklich was einfallen lassen.« Sie hatte sich von mir gelöst und ging mit vor der Brust verschränkten Armen und verbissenem Gesichtsausdruck neben mir weiter. »Es ist einfach zu viel passiert«, fügte sie resigniert hinzu.

Ich blickte zu Christine. Sie wirkte einerseits genervt und andererseits hilflos. Ihre Augen waren auf die alten Gräber gerichtet, die wir passierten. Auf dem einen Grabstein prangte ein Engel, der mitfühlend auf die Erde unter sich sah. Ein friedliches Bild.Wenn es bloß überall friedlich sein könnte, dachte ich.Ich konnte Mona ein bisschen verstehen. Sie, als die Älteste, hatte besonders viel zurückstecken müssen, nachdem der ersehnte Sohn auf den Plan getreten war. Doch war seitdem viel Zeit ins Land gezogen, und man konnte Leo nicht unbedingt die Schuld an allem geben. Zudem schien Mona trotzdem in ihrem Leben erreicht zu haben, was sie wollte. Meiner Meinung nach könnte sie zufriedener sein.

»Wir haben schon so oft darüber diskutiert«, sagte Christine schließlich, »vielleicht sollten wir es für den Moment einfach dabei belassen. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für alte Familienstreitigkeiten, finde ich.«

Ich war Christine unheimlich dankbar für ihren Einwurf. Leo war für Mona noch immer ein heißes Eisen, und Christine wollte offenbar ebenso wenig einen Streit mit Mona riskieren wie ich. Christine war stets der ausgleichende Pol zwischen uns Schwestern gewesen. Mona, mit ihrer impulsiven, extrovertierten und manchmal bestimmenden Art die Dramaqueen, und ich, eher ruhig und bodenständig, immer bemüht, das Beste aus einer Situation zu machen, hatten uns bereits als Teenager aneinander abgearbeitet. Andererseits wirkten wir drei für Außenstehende häufig wie Pech und Schwefel, und das stimmte, denn wenn es darauf ankam, hielten wir zusammen und ließen nichts aufeinander kommen. Ich hatte mich von Monas Lebensfreude und Energie oft mitreißen lassen, sie hatte von meinem realistischen Denken und meiner Genauigkeit aber ebenso profitiert. Auch wenn meine Ordnungsliebe sie in der Vergangenheit oft genug in den Wahnsinn getrieben hatte.

»Sollen wir gleich noch mit zu dir kommen, Beate?«, fragte Christine.

Christine war die einfühlsamste von uns. Sie bemerkte immer sehr schnell, in welcher Gefühlslage sich jemand befand oder welche Stimmung zwischen Personen herrschte. Meine jüngere Schwester war mir während der vergangenen Tage eine besondere Stütze gewesen.

Dennoch schüttelte ich den Kopf. »Danke, aber ich glaube, ich möchte einfach nur allein sein. Mich, wie gesagt, etwas sortieren. Es zumindest versuchen.«

»Du kommst zurecht?«, fragte Mona, jetzt wieder in einem versöhnlicheren Ton.

»Ich denke schon. Selbst wenn es seltsam sein wird, in das leere Haus zu kommen.«

»Wenn du doch Gesellschaft brauchst oder dir irgendetwas fehlt, dann melde dich bitte«, sagte Christine. »Du weißt, ich kann in zwei Stunden bei dir sein.«

Mona nickte zustimmend. »Genau. Du lässt von dir hören, ja?«

»Das mache ich.« Ich konnte selbst nicht verstehen, warum ich lieber allein in meinem großen einsamen Haus in Lilienthal sein wollte, als noch eine Weile länger meine Schwestern um mich zu haben, vielleicht noch gemeinsam durch die alten vertrauten Straßen Bremens oder durch den schönen Bürgerpark zu spazieren, dessen grüne Weite mich bereits als Jugendliche immer geerdet und gleichzeitig fasziniert hatte. Wahrscheinlich brauchte ich nur etwas Ruhe. Ich hatte schon früher alles mit mir selbst ausgemacht. Vielleicht war es auch die Angst davor, die alten Familiengeschichten wieder ausgraben und Monas Ärger über die ihr angetanen Ungerechtigkeiten erneut ertragen zu müssen. Dafür war ich an diesem Tag eindeutig nicht in der Verfassung.

Außerdem, so seltsam es klingen mochte, war dies Frederiks Tag, und ich wollte an ihn denken, an uns und an mich. Und nicht an das, was vor vielen, vielen Jahren zwischen uns Geschwistern vorgefallen war. Vielleicht hatte ich meine Schwestern aus demselben Grund fortgeschickt wie zuvor meine Tochter Caro und ihren Mann Olaf sowie meinen Sohn Steffen und seine Freundin Tatjana. Ich spürte, dass nicht nur etwas endete – mein Leben als Ehefrau und Mutter, die Zeit als Familie in unserem gemeinsamen Haus –, sondern dass etwas Neues begann. Ich hatte sehr jung geheiratet, und nun konnte ich mit meinen fünfzig Jahren einen Neuanfang wagen. Darin lag zwar eine enorme Herausforderung, aber auch eine Chance.

Ich musste mir in Ruhe darüber klar werden, ob ich das, worüber ich schon seit einer Weile nachdachte, wirklich in die Tat umsetzen wollte.

2Christine

Dass wir so schnell wieder von Beate hören würden – und vor allem mit solchen Neuigkeiten –, hätten wohl weder Mona noch ich erwartet. Keiner hätte für möglich gehalten, was sie uns eine knappe Woche nach der Beerdigung ihres Mannes verkündete. Direkt nach Frederiks Tod war sie so unsagbar traurig, war ein paar Tage lang sogar kaum ansprechbar gewesen. Und nun das.

Da sie nach dem Schulabschluss in Bremen geblieben war und ich seit Langem in Braunschweig lebte, konnten wir uns zwar nicht viel sehen, doch hatte ich in der schwierigen Zeit von Frederiks Tod bis zu seiner Beerdigung beinahe jeden Abend und Nachmittag nach meiner Arbeit in der Schule mit ihr telefoniert. Dabei hatte allerdings meistens ich gesprochen, sie war ungewohnt still gewesen. Beate hatte Frederik wirklich geliebt. Nach der Beerdigung war sie mir gefasster erschienen, als würde sie langsam wieder die Alte, die sich nie hatte unterkriegen lassen. Aber Beate war noch nie jemand gewesen, der vor verrückten Ideen übersprühte, also erwartete keiner von ihr – schon gar nicht in der derzeitigen Situation –, dass sie uns derart überraschen würde.

Unsere Schwester bat Mona und mich zu einem Gespräch, und bereits einen Tag nach ihrer mysteriösen Ankündigung trafen wir drei uns erneut an einem Freitagnachmittag in Bremen. Mona und ich kamen mit demselben Zug an – sie aus Berlin, ich aus Braunschweig, wir mussten beide in Hannover umsteigen, sodass wir uns schon dort verabredet hatten.

Beate wirkte seltsam abgeklärt, kein bisschen mehr durcheinander und unsicher, wie sie es noch am Freitag zuvor gewesen war. Sie schien etwas Dringendes auf dem Herzen zu haben, und Mona und ich waren äußerst gespannt, was Beate von uns wollen konnte, sodass wir uns gleich in ein kleines Café im Bremer Hauptbahnhof setzten.

»Ich werde unser Haus verkaufen«, sagte Beate in einem derart sicheren Ton, der zeigte, dass es sich nicht um eine Laune handelte, sondern um einen Entschluss nach reiflicher Überlegung.

»Wie bitte?« Mona fand ihre Stimme zuerst wieder. »Das kann nicht dein Ernst sein. Du liebst dieses Haus. Wolltest nie woanders leben.«

Ich schaute nur entgeistert von einer zur anderen. Beates Entschluss überraschte mich ebenso wie Mona, aber ganz so überzeugt wie sie war ich nicht.

»Nur weil ich dreißig Jahre im Heckenrosenweg 17 gelebt habe, heißt das doch wohl nicht, dass ich an dieses Haus gekettet bin«, erwiderte Beate beinahe angriffslustig.

»Wieso willst du das Haus denn überhaupt verkaufen?«, schaltete ich mich nun ein in der Hoffnung, dass mir ein versöhnlicherer Ton gelungen war. »Und so schnell nach … Willst du nicht mehr in dem Haus wohnen, weil dort überall Frederik ist?«

Dankbar sah Beate mich an. »Ja, sicher, das ist ein Grund. Aber es wird mir auch schlichtweg alles zu viel. Das Haus ist groß, war für eine vierköpfige Familie genau das Richtige. Doch nur für mich allein? Es macht so viel Arbeit. Schon der Garten …«

»Du könntest dir einen Gärtner nehmen oder eine Putzfrau beschäftigen«, schlug Mona vor. »Das kannst du dir doch leisten, oder?«

Sie schien nicht zu glauben, dass Beate ihr Haus wirklich verkaufen wollte. Es überraschte mich ja ebenfalls. Klammheimlich hatten Mona und ich Beate wohl immer für ein bisschen spießig gehalten.

»Ja, vielleicht. Frederik hat uns gut abgesichert, aber … Ach, ich möchte einfach da raus. Neu anfangen.« Sie zuckte mit den Schultern und schlürfte dann verlegen an ihrem Latte macchiato.

»Was ist denn mit deinen Kindern?«, fragte ich.

»Carolin und Steffen führen ihr eigenes Leben, die beiden können sich nicht um das Haus kümmern. Und wollen es wohl auch nicht.« Beate seufzte.

»Kann ich mir vorstellen«, murmelte Mona.

»Die beiden haben wirklich genug um die Ohren«, sagte Beate unmissverständlich. Und irgendwie schwang da ein »Aber was weißt du denn schon?« mit, hatte ich das Gefühl.

Klar, unsere Schwester Ramona, die sich irgendwann den Künstlernamen Mona Rodin zugelegt hatte, natürlich französisch ausgesprochen, hatte keine Ahnung von Familie. Sie hatte hier und dort eine Liebelei gehabt, Affären, sogar Beziehungen, hatte gebrochene Herzen hinterlassen. Sie war nicht oberflächlich, doch sie wusste nicht, wie man Beziehungen am Leben erhielt, was es mit einem machte, jemanden zu haben, der einen in- und auswendig kannte, mit dem man alles, wirklich alles, teilte. Und schon gar nicht wusste sie, was die Liebe zu einem Kind mit einem machte. Wie allumfassend dieses Gefühl war. Was man alles opferte, erreichte, gab und kämpfte, nur für sein Kind. Im Gegensatz zu Mona war ich verheiratet gewesen, wenn auch seit vier Jahren geschieden, aber diese Ehe hatte mir das Wichtigste gegeben, was das Leben für mich zu bieten hatte – Kinder. Emil und Elena waren inzwischen zwanzig und achtzehn Jahre alt und mehr oder weniger selbstständig.

Mona war das komplette Gegenteil von Beate. Wo Beate verständnisvoll, pragmatisch und zuverlässig war, war die ungebundene Mona lebenslustig, spontan und ein bisschen verrückt. Sie hatte in Paris gelebt, in London, Barcelona, eine Zeit lang in Kapstadt und war seit ein paar Jahren in Berlin heimisch. Ihre Engagements als Jazz- und Chansonsängerin trugen sie noch immer dann und wann durch die Lande, inzwischen allerdings im Wesentlichen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Keine exotischen Aufenthaltsorte mehr wie damals, als sie jung gewesen war. Ihr Leben war ruhiger geworden. Selbst eine nicht ganz erfolglose Sängerin konnte eben mit den Jahren bequemer werden, auch wenn sie auf der Bühne noch immer ganz die Grande Dame war, die ihre kupferroten Locken schüttelte und mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme eine Edith Piaf oder einen ihrer eigenen Songs ins Mikrofon hauchte.

Manchmal fragte ich mich, wie wir drei eigentlich Schwestern sein konnten. Beate und Mona waren so grundverschieden. Ich hatte immer das Gefühl, ich würde irgendwo zwischen den beiden stehen. Und wahrscheinlich war das auch so. Ich versuchte stets zu vermitteln. Nicht weil ich diese Rolle unbedingt wollte, sondern weil ich meistens tatsächlich beide Seiten bis zu einem gewissen Punkt verstehen konnte. So war es vielleicht nicht verwunderlich, dass Mona der fröhliche Single, Beate die viele Jahre glücklich verheiratete Ehefrau und Mutter und ich die geschiedene Alleinerziehende war. Trotz der Unterschiede verstanden wir uns, und wenn es mal krachte, versöhnten wir uns hinterher. Manchmal dauerte das allerdings, denn wir waren alle drei mehr oder weniger ausgeprägte Sturköpfe. Darin, immerhin, waren wir uns ähnlich. Und wir waren füreinander da, wenn es drauf ankam. Das hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder bestätigt.

»Ich verstehe, dass dir das alles zu viel wird. Es ist ja auch wirklich ein großes Haus. Aber so schnell? Und ich meinte eben nicht, dass deine Kinder dir bei der Gartenarbeit helfen sollen, sondern dass Caro oder Steffen vielleicht gern selbst dort wohnen würden. Irgendwie hängt man doch an so einem Haus, wenn man da praktisch die wichtigsten Jahre seines Lebens verbracht hat«, gab ich zu bedenken.

»Ja, natürlich hänge ich an dem Haus. Nur habe ich andere Pläne.« Beate klang geheimnisvoll. »Den Entschluss zu verkaufen habe ich im Grunde schon vor einer Weile gefasst. Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, als es mit Frederik immer schlechter ging.« Sie zögerte. »Findet ihr das schlimm? Darüber nachzudenken, was man nach dem Tod des Ehepartners macht, wenn der noch gar nicht tot ist?«

Mona schüttelte den Kopf.

»Du musstest ja damit rechnen, dass es irgendwann dazu kommen wird, wenn Frederik nichts unternimmt«, bemerkte ich.

Beate nickte.

»Was wolltest du eigentlich gerade sagen?«, fragte Mona vorsichtig.

»Ach so, ja. Also, Caro hat ja selbst ein schönes Haus in Ahrensburg und wird wohl dort wohnen bleiben. Schon aus beruflichen Gründen. Und weil Olaf dort sicher nicht wegwill.«

»Und Steffen?«, hakte ich nach.

»Ja …«, murmelte Beate. »Das ist schwierig. Ich hoffe, dass er jetzt endlich seinen Platz im Leben gefunden hat, aber sicher bin ich mir da nicht. Bei ihm weiß ich noch nicht so recht, wo die Reise hingehen soll …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.

Mona sinnierte: »Er weiß das wohl selbst nicht, oder?«

Beate zuckte mit den Schultern. Wir wussten beide, worauf Mona anspielte. Steffen war die Personifizierung von »In den Tag hinein leben«.

»Er hat halt so viele Interessen … Und nicht so viel Geld. Im Grunde reicht ihm seine Wohnung momentan völlig aus. Vielleicht bleibt er ja auch gar nicht in Bremen.«

»Na ja, Geld hat er bestimmt, er gibt es nur … auf andere Weise aus, als er könnte, würde ich mal sagen«, spöttelte Mona. »Er fährt gern dicke Autos, macht teure Fernreisen und beschenkt seine Freundin mit hübschen Klunkern. Versteh mich nicht falsch, da ist nichts Schlechtes dran.« Sie ließ ihre goldenen Armreifen demonstrativ klimpern. »Diamonds are a girl’s best friend. Aber wenn man so lebt, kann man eventuell kein Geld mehr zur Seite legen.«

»Siehste, passt doch zu dir.« Ich grinste Mona an und knuffte sie in die Seite, damit sie – hoffentlich – merkte, dass sie sich ein wenig zurückhalten sollte.

Wir hielten Steffen zwar beide für einen kleinen Angeber, der sich überall durchmogelte, nur sprach sie es wesentlich deutlicher aus als ich. Vermutlich hatten Frederik und vor allem Beate ihm einfach immer zu viel abgenommen. Während Caro schon frühzeitig recht selbstständig gewesen war, sich um Bewerbungen, Geldangelegenheiten und Arzttermine selbst gekümmert hatte, hatte Beate für Steffen alles organisiert. Er war schließlich Legastheniker und brauchte Unterstützung. Eine ganze Weile hatte er nichts gemacht und auf Kosten seiner Eltern gelebt. Die hatte das aber anscheinend nicht weiter gestört.

Dennoch hatte er irgendwann sein Abitur geschafft und eine Ausbildung zum Mechatroniker bei Daimler im Mercedes-Benz-Werk in Bremen begonnen. Darin musste er wohl gut gewesen sein, denn man legte ihm nahe, ein duales Studium der Mechatronik zu absolvieren. Dafür war er eine Zeit lang in Sindelfingen gewesen. Seit ein paar Jahren war er zurück im Werk in Bremen und lebte als Projektleiter gar nicht schlecht.

»Und für den Mercedes wird er wohl nicht so viel bezahlen müssen«, ergänzte ich noch, um ihn ein bisschen vor der Naturgewalt von einer Tante in Schutz zu nehmen.

Aber Mona konnte einfach nicht besonders gut mit Steffen, genauso wenig, wie sie mit Frederik gekonnt hatte. Der Himmel wusste, warum. Dabei ließ auch sie sich gern mal »treiben«. Sie würde es nicht hören wollen, ich war jedoch der Meinung, dass Mona und Steffen sich in manchen Dingen sehr ähnlich waren. Sie reiste ähnlich gern wie Steffen und ließ sich das, genau wie er, auch etwas kosten. Am liebsten reiste sie allerdings allein. Und sie fand überall Anschluss – Männer, Frauen, Wandergruppen, Studienreisende … Mona kam mit allen gut zurecht und hatte nie Langeweile. Wenn sie mit ihren Lovern reiste, waren die Beziehungen allerdings schnell Geschichte. Vermutlich bekam Mona die große Nähe einfach nicht.

Im Großen und Ganzen lebte unsere älteste Schwester sehr bescheiden. Sie wohnte seit Jahren in ihrer kleinen, aber gemütlichen Zweizimmerdachgeschosswohnung in Berlin, die mit ein paar alten, auf Flohmärkten oder bei Entrümpelungen ergatterten Möbelstücken eingerichtet war. Ein Auto brauchte sie nicht, da sie mitten in der Stadt lebte, umgeben von zahlreichen Geschäften des täglichen Bedarfs und in der Nähe eines Kleinkunsttheaters und einiger Bars, wo sie dann und wann auftrat. Sie musste also ihren Kiez nie verlassen, außer für ihre Reisen und Tourneen – oder um uns Schwestern zu besuchen. Sie liebte ihren Stadtteil Kreuzberg, der früher ziemlich verrufen gewesen war, sich in den letzten Jahren aber ordentlich gewandelt hatte. Da sie schon so lange in ihrer Wohnung lebte, war diese bezahlbar geblieben, während ringsum die Mietpreise in die Höhe schossen.

Wenn Mona allerdings unterwegs war, brauchte sie paradoxerweise einen gewissen Luxus um sich. Die Aussage: »Reise mit Stil« hätte von ihr stammen können. Sie liebte es zudem, sich auf exquisiten Veranstaltungen blicken zu lassen und dort teure Kleidung zur Schau zu tragen. Dafür gab sie den größten Teil ihrer Honorare aus. Männer durften sie gern hofieren und kostbare Geschenke machen. Wäre sie ein paar Jahre jünger, wäre Steffen vermutlich der ideale Mann für sie.

»Ist ja gut«, lenkte Mona nun ein. »Dein Entschluss, das Haus zu verkaufen, steht also fest?«

»Ja«, antwortete Beate nun wieder mit fester Stimme. »Die Kinder zieht es nicht mehr nach Lilienthal.« Sie machte eine Pause, als ob sie Kraft tanken wollte für das, was sie uns als Nächstes sagen würde. »Außerdem habe ich schon einen Käufer gefunden.«

»Du hast was?« Monas überraschter Ausruf ließ nicht lange auf sich warten.

»Das ging aber wirklich schnell.« Auch ich konnte meine Überraschung nicht verbergen.

»Ja, das stimmt«, sagte Beate. »Der Sohn einer guten Freundin von mir sucht seit Längerem ein Haus in oder um Bremen. Sie wohnen zurzeit in einer Zweizimmerwohnung in Oberneuland. Doch jetzt erwarten sie ein Baby und wollen sich dringend vergrößern. Sie zahlen mir vierhundertfünfundzwanzigtausend Euro, und ich muss mich um nichts mehr kümmern. Muss mir nur noch eine Wohnung suchen.« Sie zuckte mit den Schultern.

»Okay, das ist echt super!« Mona nickte anerkennend.

»Ja, Lilienthal ist eine gute Wohngegend, wie ihr wisst, perfekt gelegen in Bremens Speckgürtel. Das Haus wäre ich in jedem Fall schnell losgeworden, aber es jemandem zu verkaufen, den ich kenne, macht mich natürlich besonders glücklich. Wir gewinnen alle. Ich bekomme eine ordentliche Stange Geld, mit der ich mir einen schönen Neustart ermöglichen kann, und tue einem jungen Paar noch etwas Gutes. Das Haus wird bald wieder voller Leben und Trubel sein.«

»Das freut mich für dich, Beate.« Ich nahm sie in den Arm. »Aber ich muss sagen, du überraschst mich. Wann hast du das denn alles organisiert?«

»Ich weiß nicht. Irgendwie hat sich alles auf seltsame Weise gefügt. Meine Freundin Angela hat mir vor einiger Zeit mal erzählt, dass ihre Kinder ein Haus suchen und nichts finden würden. Und plötzlich ist bei mir der Groschen gefallen.«

»Schicksal, ich sag’s ja immer. Nichts geschieht ohne Grund. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo eine andere«, sinnierte ich.

»Ach, Christine, du immer mit deinen Sprüchen«, fing Mona gleich wieder an zu lästern. »Fünf Euro für die Phrasendreschmaschine.«

»Lass sie«, meinte Beate. »Sie hat ja irgendwie recht.«

»Hast du schon eine Wohnung in Aussicht?«, fragte ich gespannt.

Beate schmunzelte. »Das nun doch nicht. Ich weiß noch nicht so recht, wo ich hinziehen will. In die Stadt oder aufs Land. Ich spiele sogar mit dem Gedanken, zu Caro in die Nähe zu ziehen. Wenn da irgendwann mal Kinder kommen sollten, wäre ich gern für sie da.«

»Wann musst du denn aus dem Haus raus sein?«

»In vier Monaten, zum 1. September, übernehmen die beiden das Haus. Sie haben natürlich einiges umzubauen, bevor das Kind im Oktober kommt.« Beate fuhr sich durchs Haar. »Aber das ist längst nicht alles. Wie ihr ja wisst, habe ich ein paar Stunden pro Woche in Frederiks Versicherungsbüro die Sekretariatsarbeit gemacht. Das hat sich ja nun leider auch erledigt.« Sie schien ihre mühsam bewahrte Fassung zu verlieren. Kurz überlegte ich, sie wieder in die Arme zu nehmen, doch da straffte sie die Schultern und sprach mit fester Stimme weiter: »Ich werde mir über kurz oder lang einen neuen Job suchen müssen. Und ich möchte wieder eine Aufgabe haben, etwas, das mich fordert. Ich bin schließlich noch jung. Frederik war ja zehn Jahre älter als ich.«

»Na, dann geht der Spaß ja jetzt richtig los.«

Ich stöhnte. Kaum jemand war so unsensibel und taktlos wie unsere Schwester Mona.

Beate schüttelte verärgert den Kopf. »Mensch, Mona, wie wäre es, wenn du mal denken würdest, bevor du redest!« Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich weiß, dass du mein Leben langweilig findest und Frederik nie besonders gut leiden konntest, und ja, Frederik hat viel gearbeitet, und ja, es war nicht immer leicht für mich. Aber wir haben uns geliebt, und in jeder Beziehung muss man Kompromisse eingehen. Was weißt du denn schon davon? Wer bist du, über die Beziehungen anderer zu urteilen?«

Sie hielt inne, atmete tief durch, bemerkte dann, dass sie die Aufmerksamkeit der anderen Cafégäste erregte. Schnell wischte sie die Tränen weg und griff nach ihrem Latte macchiato. Wie durch ein Wunder blieb Mona ruhig, sagte ganz gegen ihre Gewohnheit nichts. Hatten die Worte sie etwa erreicht? Oder gar getroffen? Was Beate gesagt hatte, stimmte. Mona sprach immer sofort aus, was ihr in den Sinn kam. Das konnte sehr verletzend sein. Wenn das hingegen jemand anderes bei ihr tat, konnte sie damit gar nicht gut umgehen. Seltsam, dass das bei vielen Leuten so war. Normalerweise hätte Mona jetzt sofort zurückgeschossen. Verstohlen blinzelte ich zu ihr hinüber. Sie wirkte blass – und älter als sonst. Nicht zu fassen – Mona Becker alias Mona Rodin war getroffen.

Aber da redete Beate schon weiter, leiser jetzt, wieder etwas ruhiger: »Mona, ich hab dich lieb, auch wenn du Rücksicht und Sensibilität absolut nicht mit Löffeln gefressen hast. Dennoch verurteile ich deinen Lebensstil nicht, und ich möchte, dass du auch meinen nicht verurteilst. Ich habe mein Leben geliebt, genau so, wie es bis vor Kurzem war. Jeder richtet sich eben so ein, wie er es für richtig hält. Die Hauptsache ist doch, dass man mit dem glücklich ist, was man hat.«

»Weise Worte«, sagte ich und nahm Beates Hände in meine. Ebenso hielt ich Mona meine Linke hin als Zeichen, dass sie sie nehmen sollte. »Wieder Freunde?«

Mona zögerte eine Moment. Dann lächelte sie. »Noch besser: Schwestern und Freundinnen«, sagte sie und schlug ein. Gleichzeitig lachend und weinend drückten wir uns die Hände. »Und ich halte dich nicht für spießig. Vielleicht beneide ich dich klammheimlich sogar ein bisschen dafür, dass du jemanden hattest, mit dem du alles teilen konntest und mochtest.« Sie straffte die Schultern. »Wenn mich allerdings irgendwann einmal einer darauf ansprechen sollte, werde ich leugnen, so etwas jemals gesagt zu haben.«

Mit Tränen in den Augen lächelte Beate. »Danke. Ich bin so froh, euch zu haben. Ihr seid mein ›Es‹ und mein ›Über-Ich‹.«

»Die Frage ist nur, wer ist wer?« Ich lachte ebenfalls. Der Sturm war vorüber.

»Dank Mona konnte ich euch aber bisher noch nicht alles erzählen …«, hob Beate an.

»Was? Jetzt sag nicht, du hast einen anderen Mann«, schoss es aus Mona heraus.

»Tatsächlich kann ich mir heute bei dir auch alles vorstellen«, ergänzte ich.

»Nein, Himmel! Was denkt ihr denn von mir? Es ist etwas anderes. Und es betrifft euch.« Nun wurden wir richtig neugierig. »Ich habe viel nachgedacht. Alles wird sich nun für mich ändern. Früher, als ich es mir je ausgemalt hätte. Zu früh. Ich werde in eine kleine Wohnung umziehen – wer weiß, wohin. Ich werde mir einen neuen Job suchen – wer weiß, welchen. Ich werde allein sein. Und ich verfüge jetzt über einen ganz schönen Batzen Geld. Deswegen kam mir eine Idee, und ich bin wirklich gespannt, was ihr dazu sagen werdet. Ich kann überhaupt nicht einschätzen …«

»Mein Güte, nun sag schon«, unterbrach ich sie ungeduldig. »Das ist ja nicht zum Aushalten.«

»Also, es ist so … Ich wollte euch fragen, ob ihr mit mir zusammen eine Weltreise machen würdet. Ich würde natürlich alle Flüge und Hotels bezahlen und so …«

Gespannt sah Beate in die Runde. Keiner von uns sagte etwas. Dann begannen Mona und ich gleichzeitig zu schreien, und wir fielen uns gegenseitig um den Hals.

»Da ist absolut genial!«

»Du bist verrückt!«

»Großartige Idee!«

»Völlig irre!«

»Wann soll es losgehen?«

»Wo soll es hingehen?«

»Moment mal«, die Euphorie legte sich etwas, denn ich war langsam, aber sicher auf den harten Boden der Realität zurückgefallen. »Ich kann nicht weg. Ich muss arbeiten. Ich kann nicht einfach für ein paar Wochen dem Unterricht fernbleiben. Wie soll das gehen? Wer soll meine Schüler übernehmen?«

»Lass dich krankschreiben«, warf Mona ein.

Ich brauchte nichts zu sagen, ein Blick genügte. Natürlich würde ich mich nicht für einen Urlaub krankschreiben lassen. Dafür war ich viel zu gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Ich wäre nicht mal in der Lage gewesen, zu meinem Arzt zu gehen und ihm irgendein Leiden vorzuschwindeln. So etwas konnte ich gar nicht.

»Na ja, wir brauchen ja nicht monatelang unterwegs zu sein«, meinte Beate. »Wir können doch die sechs Wochen Sommerferien nehmen. Das müsste gehen, oder?«

Ich nickte. »Klingt gut.«

»In sechs Wochen kann man bestimmt schon einiges von der Welt sehen«, sprach Beate weiter.

»Super!« Mona klatschte in die Hände. »Bei mir ist in der Sommerpause ohnehin nichts los. Dann ist es also geritzt. Wir machen in den Sommerferien eine Weltreise …«

3Beate

An diesem Abend fuhren weder Mona noch Christine nach Hause. Zu aufwühlend war der Tag und zu aufregend waren die Neuigkeiten gewesen, die ich ihnen in dem kleinen Café im Bremer Hauptbahnhof offenbart hatte. Für uns alle. Nun, da ich mit meinen Schwestern darüber gesprochen hatte, war ich absolut sicher, dass mein Entschluss, das Haus zu verkaufen und wegzuziehen, richtig war. Es wirkte jetzt schon seltsam kühl und leer, fast fremd – ohne Frederik hatte es seine Behaglichkeit verloren.

Noch fast die ganze Nacht saßen wir zusammen und schmiedeten Pläne, redeten, durchsuchten alte Unterlagen, tauschten Erinnerungen aus, leerten eine Flasche Wein nach der anderen, lachten und weinten gemeinsam. Irgendwann gingen wir dann doch zu Bett – Mona brachte ich in Steffens früherem Zimmer unter, Christine lag nun in Caros ehemaligem Kinderzimmer in deren altem weißem Himmelbett. Mit neunzehn war meine Tochter ausgezogen, um zum Studium nach Hamburg zu ziehen, wo sie Olaf kennengelernt hatte. Von da an war alles sehr schnell gegangen. In Windeseile der Bachelor of Science als Ingenieurin, eine Stelle mit Zukunft in einem großen Unternehmen, im vorletzten Jahr Hochzeit und Hauskauf.

Ein paar Monate nach den Feierlichkeiten traten Frederiks Beschwerden verstärkt auf: immer häufigere und schlimmere Schmerzen in der Brust, zusätzlich Herzrhythmusstörungen. Als ich meinen Mann endlich zum Arzt hatte zerren können, war die Erkrankung schon in einem fortgeschrittenen Stadium gewesen. Eine Bypassoperation hätte ihn womöglich retten können, aber davor hatte er zu große Angst. Er machte einfach weiter wie bisher, ignorierte alle Anzeichen. Und dann folgte vor zwei Wochen beinahe unausweichlich der Herzinfarkt. Er hatte mal wieder lange im Büro gesessen, wohl über ein paar Akten gebeugt, mit einem Schinkenbrötchen in der Hand, das man hinterher angebissen auf seinem Schreibtisch fand. Er hatte es nicht mehr geschafft, den Notarzt zu rufen. Und ich war jetzt allein, eine Witwe. Niemand lag mehr neben mir im Bett, keiner saß morgens mit der Zeitung am Frühstückstisch, wenn ich aus dem Bad kam, niemand abends neben mir auf dem Sofa und ärgerte sich mit mir über das Fernsehprogramm. Ob ich mich jemals daran würde gewöhnen können?

Um mich herum war es ruhig, offenbar war ich die Erste, die wach wurde. Mein Kopf dröhnte. Ich tastete mit einer Hand den Nachtschrank ab, die Augen geschlossen. Da musste doch irgendwo eine Schachtel Aspirin liegen. Meine Hand zog wie ferngesteuert die Schublade auf, bekam den Blister zu fassen, nun musste ich mich nur noch aufsetzen – langsam, ganz langsam – und die Augen öffnen. Zum Glück waren die Rollläden heruntergelassen und das helle Sonnenlicht, das mir fröhlich einen guten Morgen wünschen wollte, konnte nur leicht durch die Ritzen hereinblitzen.

Blinzelnd sah ich mich um. Hier, in meinem Schlafzimmer, sah alles beinahe so aus wie damals, als wir eingezogen waren. Kleiderschrank, Bett und Nachttischchen hatten wir neu gekauft und nie ersetzt. Ich hatte nicht das Bedürfnis gehabt, etwas zu verändern, doch nun kam mir mit einem Mal alles alt vor. Alt und verbraucht. Ich wusste noch genau, wie das Babybettchen neben meinem Bett gestanden und erst Steffen und dann Caro darin gelegen hatte. Wo war nur die Zeit geblieben? Ich war gespannt, ob bei Caro und Olaf bald das erste Kind unterwegs sein würde. Ob die beiden, wenn denn Kinder kamen, mich um Hilfe bitten würden? Dass sich bei Steffen in nächster Zeit Nachwuchs einstellte, konnte ich mir nicht vorstellen. Er genoss das Leben in vollen Zügen, nichts ließ erkennen, dass er und seine Freundin Nachwuchs überhaupt in Erwägung zogen.

Wenn ich es recht bedachte, hatte sich im ganzen Haus im Laufe der Jahre kaum etwas verändert: Möbel, Bücherregale, CDs und DVDs, Fernseher, Sofas, Sessel, Bilder an den Wänden. Die Kinder und ich würden noch eine Menge Zeit hier verbringen müssen, um alles durchzusehen, zu sortieren, wegzuwerfen oder in ihre jeweiligen Heime zu transportieren. Ich würde meine Sachen erst mal einlagern, um dann später ganz in Ruhe umziehen zu können, wenn ich bis Reisebeginn keine neue Bleibe fand. All das musste in den nächsten sieben, acht Wochen geschehen, bevor die Sommerferien in Niedersachsen begannen und wir zu unserer Reise starten wollten. Zudem musste ich meine Bewerbungsunterlagen auf Vordermann bringen. Nach dieser Zeit wäre ich sicher mehr als urlaubsreif.

Ich seufzte. Mein Kopf dröhnte beim Gedanken an all die Dinge, die zu erledigen waren, noch mehr. Aber ich war niemand, der sich einem Problem nicht stellte. Gleich am kommenden Morgen würde ich damit anfangen, meine Unterlagen zu ordnen, doch nun musste ich erst einmal etwas gegen meine Kopfschmerzen tun.

Ich nahm das Aspirin und schlich hinunter in die Küche. Nachdem ich die Tablette mit einem Glas Wasser heruntergespült hatte, stellte ich die Kaffeemaschine an. In dem Moment kam Christine mit dunklen Augenringen und in einem Nachthemd von mir zur Tür herein.

»Zu wenig Schlaf, was?«

Wir hatten viel geredet in der letzten Nacht. Vieles aus der Vergangenheit, das wir nicht voneinander wussten oder vergessen hatten, war zur Sprache gekommen. Die Weltreise würde also in vielerlei Hinsicht ein spannendes Erlebnis für uns alle werden.

»Mhm«, murmelte sie nur. Mit Blick auf mein Wasserglas ergänzte sie: »Aspirin? Hast du noch eine?«

»Hier, nimm.« Ich drückte ihr eine Tablette aus dem Blister.

Christine nahm sich ein Glas, ließ Wasser aus dem Hahn hineinlaufen und setzte sich zu mir an den Küchentisch. Stöhnend rieb sie sich die Stirn.

»Wir sind ziemlich versackt gestern, was?«

»Das kann man wohl sagen. Christine, ich werde zu alt für so was. Ich kann nicht mehr die Nächte durchmachen. Schon gar nicht mit schwerem Rotwein.«

»Obwohl er wirklich gut war.«

»O ja, das war er.«

»Aber ich weiß, was du meinst. Manche Dinge gehen einfach nicht mehr.«

»Viele Dinge.«

»Na ja, einige gehen doch noch. Wir sind schließlich nicht alt! Wir stehen in der Blüte unserer Jahre, wie man so schön sagt. Mitte vierzig zu sein ist gar nicht so schlecht. Man weiß, was man kann, wer man ist, braucht sich und anderen nichts mehr zu beweisen …«

Ich nickte. »Stimmt schon. Du hast nur ›man weiß, wo man hingehört‹ vergessen. Und das ist bei mir leider gerade weggebrochen.«

Christine griff über den Tisch und nahm meine Hand. »Warum willst du eigentlich gerade jetzt diese Reise unternehmen?«

Ich sah auf. »Gute Frage. Einerseits, weil ich einfach mal ganz rauswill aus allem, mir mal keine Gedanken über Frederiks Tod, das Haus, mein Leben machen will. Weil jetzt gerade ein großer Abschnitt zu Ende ist und bald ein neuer, ganz anderer beginnen wird. Weil ich momentan so viel Geld und Zeit habe wie wahrscheinlich nie wieder. Und andererseits, weil ich etwas mit euch machen will. Irgendwie war doch jeder in den vergangenen Jahren so beschäftigt mit sich selbst und seinem Alltag, dass wir uns beinahe aus den Augen verloren haben. Ich meine nicht, dass wir keinen Kontakt mehr zueinander hatten, so wie es bei Leo der Fall ist, aber die Vertrautheit, die Innigkeit zwischen uns, wie es sie früher gab, die ist uns doch abhandengekommen.«

»Da hast du wohl recht«, pflichtete Christine mir bei. »Leider.«

Wenn man Familie hatte, war man ständig beschäftigt, das kannten wir beide nur zu gut. Oft hatte Mona versucht, uns Schwestern zusammenzutrommeln und uns zu ihren Auftritten in mehr oder weniger weit entfernten Städten eingeladen, aber Christine und ich hatten in den allermeisten Fällen abgesagt. Immer war irgendetwas dazwischengekommen. Entweder fand ich keinen Babysitter für Caro und Steffen, wenn Frederik mal wieder keine Zeit hatte, oder ein Kind war gerade krank oder wir selbst waren zu eingespannt gewesen. Christine hatte, sogar als die Kinder noch klein gewesen waren, schnell wieder in Vollzeit gearbeitet und war an den Wochenenden häufig schlichtweg ausgebrannt gewesen. Gründe gab es zahlreiche, warum man nie einfach so eine Auszeit nehmen konnte. Und das, obwohl wir nicht einmal besonders weit voneinander entfernt wohnten. Braunschweig war gerade mal zwei Stunden weg von Bremen, Berlin drei. Und Braunschweig lag sogar auf dem Weg von Bremen nach Berlin, wir hätten uns doch eigentlich gut mal in der Mitte treffen können, sollte man meinen. Wir hätten es ab und zu möglich machen müssen, uns alle drei zu treffen. Aber hinterher war man immer schlauer.

Irgendwann hatte Mona aufgegeben. Das letzte Mal, dass wir uns zu dritt gesehen hatten, war an Christines Geburtstag vor einem Jahr gewesen.

»So darf es nicht weitergehen«, sagte Christine energisch. »Wir müssen uns wieder mehr umeinander kümmern, sollten mehr gemeinsam unternehmen. Die Reise ist eine großartige Idee! Lass uns beim Frühstück überlegen, wo wir überhaupt hinwollen.«

Zum Glück war Samstag, denn diese Überlegungen würden sicherlich noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

»Ich werde mich mal schnell anziehen und dann Brötchen holen. Bis dahin ist Mona vielleicht aufgewacht, und wir können eine Liste unserer Wunschziele machen.«

»Gute Idee.«

Wir genehmigten uns ein üppiges Frühstück und ließen es uns so richtig gut gehen. Ich hatte nicht nur Brötchen besorgt, nein, im Supermarkt neben dem Bäcker war ich so richtig in einen Kaufrausch geraten – zum ersten Mal seit langer Zeit. Und zum ersten Mal seit zwei Wochen konnte ich auch wieder vernünftig essen. Mit Lachs, Sekt, frisch gepresstem Orangensaft, Weintrauben und feinsten Käsesorten starteten wir in den neuen Tag, fast so, wie wir den alten beendet hatten.

»Also, wohin soll unsere Reise gehen?«, setzte Christine irgendwann mit vollem Mund an, während ihr mein selbst gemachtes Holunderblütengelee über die Finger lief.

»Ich wollte schon immer mal nach Dubai«, erwiderte ich mit ebenso vollem Mund. »In dieses Riesenhotel. Wie heißt es noch gleich?«

»Du meinst dieses Ding, das aussieht wie ein aufgeblähtes Segel?«, murmelte Christine.

»Irgendwas mit Arab?«, steuerte Mona bei.

»Stimmt, Burj al Arab. Genau das.«

»Na, da willst du es aber gleich so richtig wissen. Ist das nicht eines der teuersten Hotels der Welt? Dann fliegen wir da hin, bleiben eine Nacht und fliegen gleich wieder zurück?«

»Ach, Christine, warum musst du denn jetzt so realistisch sein? Ist das nicht eigentlich mein Part? Na gut, du hast ja recht. Also nicht das Burj al Arab. Vielleicht auch nicht unbedingt Dubai. Ist vielleicht momentan ein bisschen zu aufregend, die arabische Welt. Würde sagen, die lassen wir erst mal weg. Was ist mit Afrika?«

»Na ja, Nordafrika muss es zurzeit auch nicht gerade sein. Südafrika, Namibia und so ginge. Wäre bestimmt ganz interessant«, meinte Mona. »So eine nette Safari-Lodge, den ganzen Tag am Pool liegen und vielleicht mal einen Elefanten oder eine Antilope vorbeilaufen sehen …«

»Ja … Den ganzen Tag am Pool liegen … Ich weiß nicht … Macht man dafür eine Weltreise? Dann könnte man auch einfach nach Malle fahren«, gab ich zu bedenken. »Lasst uns doch mal überlegen, was unsere persönlichen Traumziele wären. Vielleicht nimmt sich jede einen Zettel und schreibt, sagen wir, drei Länder oder Orte auf?«

»Das finde ich gut«, sagte Christine. »Hier sind Zettel und Stifte.«

Nun wurde es erst mal ruhig am Tisch. Jede von uns Schwestern musste nachdenken. Ich hätte gedacht, dass es mir leichtfallen würde, meine Lieblingsziele aufzuschreiben, aber überraschenderweise war es tatsächlich schwierig, die drei Orte zu nennen, die ich wirklich am allerliebsten besuchen wollte, und dabei Sicherheit, politische Stabilität, Wetter, interessante Sehenswürdigkeiten oder auch Stressfaktor abzuwägen. Offenbar erging es Mona und Christine ähnlich, denn beide grübelten, an ihren Stiften kauend, über ihrem Blatt Papier.

Ich begann mit meinen Überlegungen in Europa. Im Süden waren Frederik, die Kinder und ich viel gewesen. An spanischen und italienischen Badestränden hatten wir die meisten unserer Sommerurlaube verbracht. Frederik musste es im Urlaub immer warm haben, zudem war er ganz und gar nicht der Typ Individualreisender. Er hatte gern schon im Vorfeld alles perfekt organisiert, sogar die Ausflüge gebucht. Mir war das recht gewesen, denn so hatte ich weniger Arbeit. Jetzt konnte ich mir durchaus vorstellen, eine andere Art von Urlaub zu machen. Jedenfalls ein bisschen anders. Zwei Urlaubsziele waren mir besonders wichtig. Mal sehen, was meine Schwestern zu meinen Vorschlägen sagten. Schnell schrieb ich sie auf, legte den Stift hin und drehte das Blatt um. Es war gut, dass wir vereinbart hatten, dass jeder drei Ziele nennen durfte, so würde niemand den Wunsch einer anderen ablehnen können.

Gespannt wartete ich, bis die anderen beiden fertig waren. Was würde wohl Mona gewählt haben? Drei große Städte oder irgendeine tolle Insel? Vielleicht die Seychellen? Und Christine? Ich wusste, dass sie Skandinavien mochte. Schweden kannte sie seit ihrem Auslandsaufenthalt während des Studiums, sie hatte später mit ihrer Familie ein paarmal dort Urlaub gemacht. Stockholm, wo Leo wohnte, war ihre Traumstadt, auch die norwegischen Fjorde reizten sie. Bei ihr war zudem irgendetwas mit Gesundheitsaspekt denkbar. Heiße Quellen auf Island oder Yoga in Indien?

Christine legte ihren Stift zur Seite und griff eilig nach ihrem Sektglas, das sie in einem Zug leerte. Sieh an, es musste sie ebenfalls eine gewisse Überwindung gekostet haben, sich zu entscheiden. Ich wurde immer aufgeregter. Wo würde uns unsere gemeinsame Reise hinführen?

Mona hatte bemerkt, dass Christine und ich fertig waren, denn sie sah kurz hoch und blickte nervös zwischen uns hin und her.

»Bin gleich so weit, bin gleich so weit«, murmelte sie und kaute wieder am Ende ihres Bleistifts. »Schwierig ist das. Ist überall so schön.« Sie nahm einen ordentlichen Schluck Sekt und schrieb dann energisch ihre drei Wunschziele auf. Mit einem Seufzer ließ sie schließlich ihren Stift fallen und lehnte sich zurück. »Und nun? Wie geht es weiter? Nehmen wir jetzt von jedem die drei Wunschziele als gesetzt an oder werden sie noch diskutiert?«

»Wie sieht überhaupt der finanzielle Rahmen aus, Beate?«, fragte Christine. »Du wirst dir ja sicher ein bestimmtes Budget für die Reise überlegt haben.«

Wir waren alle so aufgeregt und redeten wild durcheinander.

»Was stellt ihr euch eigentlich für Transportmittel vor?«, überlegte nun wieder Mona eifrig. »Bustouren in den jeweiligen Ländern oder Mietautos oder ohnehin nur an einem Ort bleiben? Hotels oder Herbergen? Rucksack oder Rollkoffer? Vielleicht hätte ich das fragen sollen, bevor ich meine drei Wünsche aufgeschrieben habe …« Sie seufzte erneut. »Ich hätte ja im Leben nicht gedacht, dass es so eine Herausforderung sein könnte, sich auf drei Hauptziele in der Welt festzulegen. Fiel euch das auch so schwer?«

Christine und ich nickten einträchtig. Eine Weile schwiegen wir alle drei.

Schließlich erwiderte ich: »Ich denke, wir sollten einfach einmal unsere Zettel anschauen. Vielleicht erübrigt sich dann ja schon die ein oder andere Frage.« Meine Schwestern nickten zum Zeichen dafür, dass sie einverstanden waren.

»Wer fängt an?« Mona schaute aufgeregt hin und her, ihre Wangen waren gerötet. Ich hatte sie lange nicht so enthusiastisch gesehen.

»Jede liest erst mal nur ihren Hauptwunsch vor«, antwortete ich. »Dann geht es reihum weiter.«

»Du machst es ja spannend. Aber gute Idee. Also, Beate, es ist deine Reise. Fängst du an?« Christine sah ebenfalls sehr glücklich aus.

»Ach, startet ihr mal. Ich bin ja so gespannt, was ihr notiert habt!«

»In Ordnung. Soll ich beginnen?«, fragte Mona. Wir nickten. »Also, mein Erstwunsch ist – tatataaa – Kuba. Ist ja momentan recht beliebt, aber ich wollte da tatsächlich schon immer mal hin. Besonders nach Havanna. Ich hoffe, das sagt euch zu …«

»Ist bestimmt interessant«, sagte Christine. »Davon nicht so weit entfernt ist das Land, das ich auf meiner Liste als zweites aufgeschrieben habe: Peru. Und da speziell die Inka-Stadt Cusco und, wenn es uns möglich sein sollte, Machu Picchu.«

»Oje …« Mona verzog das Gesicht. »Liegt das nicht beides sehr hoch, und muss man nach Machu Picchu nicht wandern? Ich fürchte, dass das nicht unbedingt etwas für mich ist. Aber ich kann mir ja ein paar nette Tage im Hotel machen, während ihr euch die Anden raufkämpft.«

»Nichts da«, warf ich energisch ein. »Alle sind mit dabei. Wir machen diese Reise schließlich gemeinsam. Ausnahmen gibt es nur bei Krankheit. Außerdem kann man da mit einem Bus hochfahren, meine ich. Oder, Christine?«

»Ich glaube schon«, murmelte diese etwas eingeschüchtert. »Könnte sein, dass es sogar direkt am Machu Picchu ein Hotel gibt. Aber um die Details müssten wir uns dann noch kümmern.«

»Sicher, dies ist ja nur eine Liste unserer Traumziele. Ist doch klar, dass da keine von uns einen bereits perfekt ausgearbeiteten Reiseplan vorlegen kann«, sagte ich mit Nachdruck in Monas Richtung. »Ich finde den Vorschlag toll. Das ist ganz bestimmt einer der faszinierendsten Orte auf dieser Erde. Und jetzt bin ich dran. Ich habe nämlich zwei ähnlich aufregende Plätze auf meiner Liste.« Mona stöhnte verhalten. »Wenn nicht sogar drei«, fügte ich geheimnisvoll hinzu und schaute dabei mit – wie ich hoffte – strengem Blick über den Rand meiner Brille zu meiner älteren Schwester. »Also, mein Platz eins: Thailand. Und wenn es geht, würde ich das gern mit ein paar Tagen in Vietnam verbinden, was ja quasi gleich nebenan liegt.«

»Toll!«, rief Christine. »Dass ich da nicht selbst draufgekommen bin! Vietnam sollten wir unbedingt mitnehmen. Hanoi soll sehr schön sein, und diese berühmte Landschaft mit den ganzen Inseln … Ich komme nicht auf den Namen.«

»Du meinst die Halong-Bucht. Da hat mir mein Duettpartner auf der Gala in Peking vergangenes Jahr ständig von vorgeschwärmt. Da solle man unbedingt eine Bootstour machen, erwähnte er immer und immer wieder. Daran kann ich mich erinnern. Wie war bloß noch sein Name? Irgendwas Japanisches, er kam aus Tokio … Na, egal. Seine Fähigkeiten waren ohnehin begrenzt.«

Ob sie nun seinen Gesang meinte oder auf irgendwelche anderen Talente anspielte, ließ sie offen und brachte damit Christine und mich zum Grinsen. Dass Mona kein Kind von Traurigkeit war, war bekannt, aber würde sie mit Kollegen, mit denen sie einen gemeinsamen Auftritt hatte, ins Bett gehen? War das nicht unprofessionell? Na ja, vielleicht hatte sie es auch erst hinterher getan. Sozusagen nach der Arbeit, im Taumel und der Euphorie nach einem gelungenen Auftritt und einer alkoholgeschwängerten After-Show-Party? Mona hatte mal erzählt, dass irgendein chinesischer Mogul sie zu seiner Geburtstagsparty eingeladen hatte, die er mit Hunderten von Gästen in Peking gefeiert hatte. Neben Mona und ihrem dubiosen japanischen Gesangspartner waren noch diverse andere mehr oder minder berühmte internationale Schauspieler und Sänger anwesend gewesen beziehungsweise aufgetreten. Der Herr und seine bezahlten Freunde hatten es sich so richtig gut gehen lassen, hatte Mona berichtet.

»Aber es soll dort wirklich toll sein. Hab’s nach diesem Dauerwerbefeuer mal gegoogelt. Sollten wir machen. Thailand auch. Da können wir wenigstens mal am Strand liegen, und ich muss nicht ständig laufen. Wanderschuhe hab ich eh keine.«

»Die solltest du dir womöglich vorher zulegen«, meinte ich. »Ist in manchen Regionen nicht das schlechteste Schuhwerk.«

»Wenn dir richtige Wanderschuhe zu extrem sein sollten, kannst du es ja mit Trekkingschuhen versuchen. Die sind nicht so hoch, wirken eher wie ein Turnschuh. Da kann man auch mal in Städten mit herumlaufen«, fügte Christine, die im Gegensatz zu Mona gern wanderte und sich in der Natur aufhielt, hinzu.

»Aber meine Stilettos kommen auch in den Koffer«, bestimmte Mona energisch. »Es wird ja wohl hier und dort mal eine Gelegenheit für ein wenig Nachtleben geben. Oder etwa nicht?«, fügte sie beinahe ängstlich hinzu.

»Wir sorgen schon dafür, dass all unsere Interessen berücksichtigt werden.« Ich konnte mir ein wenig Spott nicht verkneifen.