Einbindung von Spontanhelfenden in die Gefahrenabwehr - Andreas Hermann Karsten - E-Book

Einbindung von Spontanhelfenden in die Gefahrenabwehr E-Book

Andreas Hermann Karsten

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Beschreibung

Die Beteiligung von Spontanhelfenden kann in Krisensituation eine große Unterstützung darstellen, gleichzeitig bedeutet diese jedoch eine zusätzliche organisatorische Herausforderung für die beteiligten Organisationen. Das Buch zeigt einen Weg auf, wie Spontanhelfende ohne Änderungen in der Gesetzes- und Verordnungslage in Deutschland zum Wohle der von der Krise bzw. Katastrophe Betroffenen effektiv und effizient in die behördliche Gefahrenabwehr eingebunden werden können. Der Autor stellt hierbei die bereits vorhandenen Führungskonzepte, die sich aus der FwDV/DV 100 ableiten lassen können, in den Fokus. Wichtige rechtliche Hinweise und Tipps für die Zeit vor der Krisen- oder Katastrophenlage können als Grundlage für die individuelle Vorbereitung solcher Szenarien genutzt werden. Die Vorstellung der gängigen Empfehlungen und der DIN ISO EN 22319 sowie aktueller Forschungsprojekte runden den Titel ab.

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Andreas H. Karsten

[3]Einbindung von Spontanhelfenden in die Gefahrenabwehr

Verlag W. Kohlhammer

[4]Spontanhelfende mögen spontan sein,ihr Management sollte es aber nicht sein!

Für Britta

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Die Abbildungen stammen – sofern nicht anders angegeben – vom Autoren.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Umschlagbild: Adobe Stock, 53243135, Enrico Di Cino

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042270-4

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-042272-8

epub: ISBN 978-3-17-042273-5

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

[5]Vorwort

Die Flutkatastrophe in Westdeutschland im Jahr 2021 stellt eine Zäsur für die Einbindung von Spontanhelfenden in die behördliche Gefahrenabwehr dar:

Noch nie wurden so viele Spontanhelfende auf derartig kleinem Raum tätig.

Noch nie etablierten Spontanhelfende ein so umfangreiches eigenes Führungssystem.

Noch nie haben Spontanhelfende die Deutungshoheit über ein Krise/Katastrophe so umfassend gewonnen.

Noch nie haben Spontanhelfende in einem solchen Umfang die Entscheidungskompetenz der Gefahrenabwehr infrage gestellt.

Obwohl die Evaluationen noch nicht abgeschlossen sind, lassen sich aus meiner Sicht folgende Gründe für das »multiple Staatsversagen« anführen:

Keine Verhinderung von Hilfs-, Führungs- und Deutungsvakua durch die Gefahrenabwehrbehörden (Land, Kreis, Gemeinde).

Mängel in der Anwendung der Führungsrichtlinie FwDV/DV 100.

Defizite in der Aus- und Fortbildung sowie mangelnde Erfahrungen der eingesetzten Führungskräfte.

Mangelhafte Einbindung der Spontanhelfenden in die behördliche Gefahrenabwehr.

Dieses Buch konzentriert sich speziell auf den letzten Aspekt. Es zeigt einen Weg auf, wie Spontanhelfende ohne Änderungen in der Gesetzes- und Verordnungslage in Deutschland zum Wohle der von der Krise bzw. Katastrophe Betroffenen effektiv und effizient in die behördliche Gefahrenabwehr eingebunden werden können.

Die Situation der Betroffenen zu verbessern, ist die Aufgabe aller Hilfskräfte – Hauptamtliche und Ehrenamtliche der BOS, Spontanhelfende, Mitarbeiter:innen von Unternehmen etc. – unabhängig ihrer Motivation.

Besonderen Dank bin ich Stefan Voßschmidt verpflichtet. Dank seiner Seminare an der AKNZ konnte ich viele Aspekte dieses Buches mit ihm, Spontanhelfenden und Expert:innen der BOS diskutieren.

[7]Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

Ziel des Krisenmanagements und Katastrophenschutzes

2

Führen in Krisen

3

Führungssysteme

3.1

Kategorisierung

3.2

FwDV/DV 100 und Hinweise für Verwaltungsstäbe

3.3

UN OCHA-Cluster-System

3.4

Netzwerk aus Netzwerken

4

Kategorisierung von Spontanhelfenden

4.1

Kategorisierung nach systemtheoretischen Kriterien

4.2

Kategorisierung nach Art der Hilfeleistung

5

Führung bei der Einbindung von Spontanhelfenden

5.1

Führung im Chaos

5.2

Unterstellung von Einsatzkräften in den Phasen des Operational Design und des Operational Management

5.3

Aufnahme von Spontanhelfenden in die aufgabenbezogenen Einsatzabschnitte des Bereitstellungsraumes

5.4

Aufgabenzuweisung in Stäben

5.5

Stabsfunktionen und Spontanhelfende

5.5.1

Führungsstab (nach FwDV/DV 100)

5.5.2

Verwaltungsstab (VwS)

5.6

Synchronisation der Stabsarbeit der verschiedenen Führungsebenen

6

Führen mit Auftrag

7

Einbindung von Spontanhelfenden mittels operativer Krisenkommunikation

7.1

Deutungshoheit gewinnen und behalten

7.2

Einbindung von Spontanhelfenden durch Motivation

8

Rechtliche Grundlagen

8.1

Verwaltungshelfer:innen

8.2

Schäden gegenüber Dritten

8.3

Eigene Schäden und Aufwendungen

8.4

Fürsorgepflicht und Arbeitsschutz

8.5

DGSVO

8.6

Störer:innen

9

Vorbereitung auf die Einbindung von Spontanhelfenden

9.1

Aus- und Fortbildung

9.1.1

Personen der Zivilgesellschaft

9.1.2

Mitarbeiter:innen und Einsatzkräfte der Gefahrenabwehrbehörden

9.1.3

Aufeinander aufbauende Aus- und Fortbildung

9.2

Organisatorisches Vorbereitung

9.3

Technische Vorbereitung

10

DIN ISO EN 22319 – Leitfaden für die Planung der Einbindung von Spontanhelfenden

10.1

Wesentliche Aspekte

10.2

Bewertung

11

Empfehlungen der Organisationen im Bevölkerungsschutz

11.1

Empfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes

11.2

Deutsches Rotes Kreuz

11.3

Malteser

11.4

THW

12

Unterstützende Maßnahmen

12.1

Nutzung von Social Media

12.2

Mittlerorganisationen

12.3

»Runder Tisch Resilienz«

13

Forschungsprojekte

14

Aktuelle Einsatzerfahrungen

14.1

Covid-19-Pandemie 2020 ff.

14.2

Flutkatastrohe 2021 im Westdeutschland

14.3

Erkenntnisse aus den Einsatzerfahrungen

Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

[11]1Ziel des Krisenmanagements und Katastrophenschutzes

Das Ziel eines jeden Krisenmanagements und des Katastrophenschutzes ist es, die Situation der von der Krise bzw. Katastrophe Betroffenen zu verbessern. Dabei ist es erst einmal egal, ob jemand objektiv betroffen ist oder sich subjektiv betroffen fühlt. So können Menschen psychisch stark betroffen sein, selbst wenn sie auf der anderen Seite des Globus zum Geschehen leben.

Merke:

Ziel eines jeden Krisenmanagements ist es, die Situation der Betroffenen zu verbessern.

Ziel des Krisenmanagements ist es nicht, den Vorkrisenzustand wieder herzustellen, denn dies ist nicht möglich. Selbst wenn die physischen Schäden behoben sind, die Erfahrungen und Traumata aus der Krise bleiben bestehen. Ziel des Krisenmanagement ist es ebenfalls nicht – selbst wenn dies von einigen Helfer:innen angestrebt wird – zu zeigen, wie toll man als Person oder Gruppe ist. Selbstbeweihräucherung, Abenteuerlust und Selbstbestätigungsdrang haben keinen Platz im Krisenmanagement. Dienen wollen, Demut und Bescheidenheit sind dagegen wichtige Eigenschaften für Krisenmanager:innen.

Mit diesem Ziel vor Augen dürfte es kein Problem sein, Spontanhelfende in die behördliche Gefahrenabwehr einzubinden. Begibt man sich gedanklich in die Situation der Betroffenen und benutzt seinen gesunden Menschenverstand, so werden sicherlich leicht situationsgerechte Strukturen aufgebaut werden können, die eine optimierte Hilfe durch alle Akteur:inne ermöglichen.

Tipp:

Begib Dich gedanklich in die Situation der Betroffenen und benutze Deinen gesunden Menschenverstand.

Leider gelingt es uns unter großem Stress, der in Krisen herrscht, häufig nicht, die entsprechende Empathie zu entwickeln und unseren gesunden Menschenverstand zu nutzen. Entsprechend Daniel Kahneman (2012) nutzen wir in Stresssituation im Wesentlichen unser »System I« – wir handeln intuitiv. Von daher ist es notwendig, [12]sich auf solche Situationen entsprechend vorzubereiten. Dazu soll dieses Buch dienen.

Takeaway:

Krisenmanager:innen müssen immer das Wohl der von der Krise Betroffenen im Fokus ihrer Überlegungen stellen. Wenn sie sich dann noch in die Situation der Betroffenen versetzen und ihren gesunden Menschverstand benutzen, ist eine erfolgreiche Krisenbewältigung möglich.

[13]2Führen in Krisen

Die Reaktionsfähigkeit einer Führungsebene ist abhängig von mehreren Tätigkeiten, die Zeit beanspruchen (siehe Bild 1):

Datendetektion und Informationsgeneration (z.B. das Verfassen einer Meldung)

Auch das Verfassen einer Meldung benötigt Zeit. Bei umfangreichen Meldungen, Lageberichten, Situationsreports kann diese Zeit erheblich sein, wenn sie mit der notwendigen Sorgfalt erstellt werden.

Zeit für die Übermittlung einer Meldung an die Führungsebene – entweder direkt oder über mehrere Stationen

In dieser Zeit ist eine Information auf dem Weg und grundsätzlich nicht veränderbar: Ein Funkspruch kann weder eingefangen noch überholt werden. Dabei sollten Führungsebenen nicht übersprungen werden. Der Vorteil einer schnelleren Meldung an höher gestellte Führungsebenen wird durch den Informations-Overflow mehr als aufgebraucht.

Entscheidungsprozess in der zuständigen Führungsebene (z.B. durch Nutzen des Führungsvorgangs der FwDV/DV 100)

Wird nicht aus dem Bauch – intuitiv – entschieden, sondern rational (entsprechend der FwDV/DV 100), wird dazu eine entsprechende Zeit zum Nachdenken benötigt. In der Regel ist die Zeit zur Entscheidungsfindung umso länger, je weiter oben in der Führungshierarchie die Entscheidung getroffen wird.

Verfassen der entsprechenden Befehle und Anordnungen

Wie bei dem Verfassen von Meldungen benötigt die Formulierung von Befehlen und Anordnungen Zeit. Letztere sind adressaten- und situationsgerecht zu verfassen.

Übertragungszeit, bis die Befehle/Anordnungen die Ausführenden erreichen

Die Übertragungszeit ist genauso lang wie die Meldezeit. Auch hier wird dringend davon abgeraten, Führungsebenen zu überspringen.

[14]Zeit zu deren Umsetzung und Erfolgskontrolle

Neben der reinen Zeit, die für die Umsetzung der Befehle und Anordnungen durch die Hilfskräfte vor Ort benötigt wird, benötigt auch das Wirksamwerden der Maßnahmen und die Wirkungskontrolle Zeit. Bei der Covid-19-Pandemie lagen zwischen Umsetzung und Wirksamwerden mehrere Tage.

Übermittlungszeit der Ergebnisse der Erfolgskontrolle, bis sie die verantwortliche Führungsebene erreicht

Diese Zeit entspricht der Meldezeit.

Bild 1: Vergleich der Reaktion einer Führungsebene zur Lageentwicklung [zurück]

Bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der angeordneten Maßnahmen entwickelt sich die Situation vor Ort (die Lage) aufgrund der Naturgesetze entsprechend unbeeinflusst weiter. Von diesem Zeitpunkt an wird die Entwicklung zusätzlich durch die Gegenmaßnahmen beeinflusst und im besten Fall zum Besseren verändert.

Tipp:

Aufgaben, die schneller auszuführen sind als die eigene Reaktionszeit beträgt, sind zu delegieren. Führen mit Auftrag nach der FwDV 100 ist das entsprechende Führungsinstrument.

Für die Handlungsplanung folgt aus der Reaktionszeit, dass zwei Prognosen zu erstellen sind, wobei die Zweite von der ersten abhängt (siehe Bild 2).

Achtung:

Nicht jede wichtige Aufgabe kann selbst wahrgenommen werden.

Grundlage der ersten Prognose (der Lageprognose) sind Informationen (z.B. Lagemeldungen) über die Lage vor Ort. Diese stammen immer aus der Vergangenheit und [15]beschreiben immer nur einen Ausschnitt aus der Gesamtlage. Anhand dieser Informationen ist das Lagebild zu entwickeln. Und dieses ist prognostisch bis zu dem Zeitpunkt fortzusetzen, an dem die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen beginnt. Bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt sich die Situation ungehindert durch die diversen, geplanten Krisenbewältigungsmaßnahmen fort. Mit der zweiten Prognose (der Plandiagnose) wird ermittelt, welchen Einfluss die verschiedenen Handlungsoptionen auf die Situation haben werden. Die Ergebnisse dieser letzteren Prognose bilden die Grundlage der Entscheidung. Die Handlungsoption mit der besten Planprognose ist grundsätzlich anzuordnen.

Bild 2: Handlungsplanung [zurück]

Die Dauer zwischen Datenerfassung und Evaluation der angeordneten Handlungsoption kann je nach Führungsebene zwischen Bruchteilen einer Sekunde (Gruppenführer) und Stunden (Katastrophen- und Krisenstäben) betragen. Je länger diese Dauer ist, desto sinnvoller ist es, die Aufgaben der Einsatzplanung (Operational Design) von denen der Einsatzdurchführung (Operational Management) zu trennen.

Merke:

Prognosen sind entscheidend für den Planungsprozess.

Mittels des Operational Designs wird die Strategie der Gefahrenabwehrbehörde operationalisiert, das heißt die mittel- bis langfristigen Planungen der Gefahren[16]abwehr- und Krisenbewältigungsmaßnahmen werden erstellt. Das Operational Management führt dann diese erarbeiteten Pläne aus. In einem operativ-taktischen Stab sind dies beides Aufgaben des Bereiches S3; in einem administrativ-organisatorischen Stab fällt das Operational Design in den Aufgabenbereich des Verwaltungsstabes und das Operational Management in den der Fachämter.

Diese beiden Tätigkeiten lassen sich zwei verschiedenen Bereiche des Stabsarbeitskreislaufes zuordnen (siehe Bild 3). Nach der mentalen Vorbereitung der Stabsangehörigen durch den/die Stabsleiter:in und nachdem ein gemeinsames Situationsbewusstsein erzeugt wurde, beginnt die Einsatzgrobplanung (der erste Schritt des Operational Designs). Es sind unterschiedliche Handlungsoptionen grob auszuarbeiten und der entscheidungsbefugten Person (in der Regel die politisch gesamtverantwortliche Person) bzw. der Einsatzleitung vorzustellen, die sich dann für eine Option entscheidet. Damit endet das Operational Design. Die gewählte Option wird dann vom Stab bzw. den Fachämtern detailliert ausgearbeitet, angeordnet und deren Ausführungen überwacht. Dies sind die Aufgaben des Operational Management. Kleinere Anpassungen der Planung an die Realität werden im Rahmen des Operational Managements vollzogen. Sollte der Plan nicht zur Verbesserung der Lage führen oder sollte sich die Lage drastisch verändern, muss wieder mit dem Operational Design begonnen werden.

Bild 3: Operation Design und Operational Management innerhalb der Stabsarbeit [zurück]

Da jede Prognose mit Unsicherheiten verbunden ist, ist es sinnvoll die Phase Operational Design in Zeiten zu legen, in denen vor Ort keine Krisenbewältigungshandlungen ausgeführt werden. In dieser Zeit entwickelt sich die Lage vor Ort nur aufgrund naturwissenschaftlicher Gesetze unabhängig von den Gefahrenabwehrhandlungen weiter. Bei kurzfristigen Schockereignissen wie einer Flutkatastrophe verändert sich die Lage, nachdem die Flutwelle vorbei ist, nur unwesentlich. Deshalb kann die Lageprognose mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit erstellt werden. Dies vereinfacht das Operational Design erheblich. Sehr häufig ruhen die Gefahrenabwehrhandlungen nachts, sodass sich eine entsprechendene Schichtfolge für das Operational Design und das Operational Management ergibt. Die Schicht, die für das Operational Design verantwortlich ist, arbeitet von 21:00 Uhr bis 07:00 Uhr während sich das Operational Management zwei Schichten von 07:00 bis 21:00 teilen.

Merke:

Jede Entscheidung beruht auf unsicheren Informationen und mangelbehafteten Wissen.

[17]Bild 4: Beispiel für die Schichtplanung eines Stabes

Die zeitverzögerte Reaktionsfähigkeit und die schnelle Lageentwicklung sind der Grund, warum das sogenannte »Eisenhower-Prinzip« (Führungskräfte sollen die Aufgaben selber wahrnehmen, die wichtig und dringend sind) in Krisen nicht funktioniert. Aufgaben, die schneller gelöst werden müssen als die Reaktionszeit beträgt, müssen delegiert werden (entsprechend dem Prinzip »Führen mit Auftrag« in der FwDV/DV 100), egal wie wichtig sie sind (siehe Bild 5).

[18]Bild 5: Aufgabenwahrnehmung in der Krise, in Anlehnung an das Eisenhower-Prinzip [zurück]

Takeaway:

Besonders in Krisen ist darauf zu achten, dass mit Auftrag geführt wird. Dringende Aufgaben sind zu delegieren. Die Prognosen für das Operational Design sollten eher in Zeiten stattfinden, in denen vor Ort nicht gehandelt wird. Das Operational Management erfolgt hingegen in den aktiven Zeiten der Gefahrenbewältigung.

[19]3Führungssysteme

In der heutigen Zeit mit den vielfältigen, teilweise nicht vorhersehbaren, komplexen Gefährdungen unserer Gesellschaft und somit kaum abzuschätzenden Herausforderungen an den Bevölkerungsschutz bedarf es eines Führungssystems, das sich leicht an die Gefahrenlage und an die Helfer-Lage adaptieren lässt. Es muss agil auf Veränderungen reagieren können. Die FwDV/DV 100 bietet mit dem Prinzip des »Führens mit Auftrag« solch ein System an. Sie ist lediglich entsprechend anzuwenden.M.E. sollte man komplexe Krisensituation nicht durch ein entsprechend komplexes Führungssystem begegnen. Ist der Stress hoch, führen i.d.R. einfache Lösungen eher zum Ziel.

Merke:

Die FwDV/DV 100 bietet ein Führungssystem an, dass den heutigen und den zukünftigen Herausforderungen an den Bevölkerungsschutz gewachsen ist.

3.1Kategorisierung

Führungssysteme können nach Albert und Hayes (2005) anhand drei Parameter eingeteilt werden (siehe Bild 6):

Verteilung des Rechts auf Entscheidung im Kollektiv (von keine bis breit)

Art der Zusammenarbeit der Entitäten (von eingeschränkt bis uneingeschränkt)

Informationsverteilung zwischen den Entitäten (von keine bis breite)

Bild 6: Kategorisierung von Führungssystemen entsprechend Alberts/Hayes 2003 (Grafische Darstellung entsprechend Farell)

Je nach Ausprägung dieser Parameter können vier Kategorien unterschieden werden:

1. De-Conflicted (entflochten)

Diese Art der Führung findet man im heutigen Bevölkerungsschutz bei BOS-Einheiten bis zu Verbänden. Der/die Verbandsführer:in trifft ggf. zusammen mit dem Führungstrupp die Entscheidungen für seine/ihre Einheit. Eine Zusammenarbeit und Informationsverteilung mit anderen Entitäten erfolgt bezüglich des eigenen Aufgabenbereiches nur eingeschränkt.

[20]2. Coordinated (koordiniert)

Beim Führen mit Auftrag werden Entscheidungskompetenzen an unterstellte Entitäten abgegeben. Dazu müssen diese entsprechend informiert werden und in der Lage sein, mit nicht unterstellten Entitäten zusammenzuarbeiten. So gibt ein Stab Ziele für die Technische Einsatzleitung (TEL) vor. Um diese umzusetzen, muss die TEL Absprachen mit den Kräften der Polizei oder Kommunen treffen.

3. Collaborative (kollaborativ)

Bei einer kollaborativen Führung werden die Entscheidungskompetenzen auch an nichtunterstellte Entitäten delegiert. Dazu müssen umfangreiche Informationen auch mit diesen geteilt werden und eine umfangreiche Zusammenarbeit ist unabdingbar.

4. Edge

Edge-Führung – also die weitestgehende Delegation der Entscheidungsbefugnis und Eigenständigkeit der agierenden Entitäten – findet sich extrem selten, ist aber die Voraussetzung, dass die unterschiedlichen Entitäten bei einer Großschadenlage [21](BOS-Einheiten, Spontanhelfende, Unternehmen etc.) ohne Reibungsverluste zum Wohle der Betroffenen agieren können.

Die bisherig angewendete Führung entsprechend den Katastrophenschutzgesetzen der Länder und der FwDV/DV 100 kann als coordinated bis collaborative bezeichnet werden. Wichtig ist an dieser Stelle anzumerken, dass zwar Entscheidungskompetenzen delegiert werden können, aber nicht die Verantwortung.

Tipp:

Etabliere eine Edge-Führungsstruktur, um agil auf Veränderungen reagieren zu können und Spontanhelfende effektiv und effizient einbinden zu können.

Verantwortlich ist immer die politisch gesamtverantwortliche Person, wie sie in der FwDV/DV 100 etwas kryptisch beschrieben wird. Im Klartext: verantwortlich ist der/die Bürgermeister:in der Gemeinde, in der der Schaden eingetreten ist. Dies gilt so lange bis eine übergeordnete Behörde (zum Bespiele der Landrat oder die Landrätin) die Einsatzleitung übernimmt (z.B. durch Ausrufen des Katastrophenfalles). Ein nach oben Delegieren ist nach der deutschen Gesetzgebung nicht möglich.

3.2FwDV/DV 100 und Hinweise für Verwaltungsstäbe