Leitfaden für das Kommunale Krisenmanagement - Andreas Hermann Karsten - E-Book

Leitfaden für das Kommunale Krisenmanagement E-Book

Andreas Hermann Karsten

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Beschreibung

Krisen sind immer auch lokal zu bewältigen und fallen somit ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Um die Herausforderungen einer Krise beherrschen zu können, bietet der Autor einen Überblick, welche Führungsaufgaben der öffentlichen Hand, der Gemeinden, Städte und Kreise ausgeführt werden müssen. Das Buch ist vor allem an diejenigen gerichtet, deren Ausbildung Krisenmanagement nicht oder nur rudimentär beinhaltet, etwa Bürgermeister, Landräte, Dezernenten, Leiter der Feuerwehr oder ehemalige Bedienstete der Polizei und der Bundeswehr. Durch die konkrete Darstellung von Handlungsanweisungen ist der Inhalt besonders praxisbezogen gestaltet, sodass der Leitfaden zur Vorbereitung auf Krisen und auch zum Nachschlagen während einer Krise nutzbar ist.

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Andreas H. Karsten

[3]Leitfaden für das Kommunale Krisenmanagement

Hilfestellungen und Handlungsanweisungen für Verantwortliche in den Kommunen

Verlag W. Kohlhammer

[4]Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Die Abbildungen stammen – sofern nicht anders angegeben – vom Autor.

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Umschlagsbild: Adobe Stock, 96296088, Gina Sanders

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039083-6

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-039085-0

epub: ISBN 978-3-17-039086-7

mobi: ISBN 978-3-17-039087-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

[5]Vorwort

Krisen sind lokal, egal wie groß sie sind. Den Betroffenen zu helfen, fällt schon gesetzlich in die Zuständigkeit der Kommunen, ob im Frieden nach den Katastrophenschutzgesetzen der Länder oder im Verteidigungsfall entsprechend den Regelungen des Bundes. Aber darüber hinaus erwarten die Betroffenen, dass sich ihr Bürgermeister, ihre Oberbürgermeisterin, ihre Landrätin, ihr Landrat die Ärmel hochkrempelt und sich an der Spitze der Gefahrenabwehrorganisationen – staatlichen wie privaten – stellt und die Krisensituation meistert. Diesen Personen, die an einer wichtigen Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung agieren, denen eine – wenn nicht sogar die – entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Krisen zufällt, ist dieses Buch gewidmet. Sie stehen mit einem Bein in der Politik mit dem anderen im operativen Geschäft. Sie überbrücken operatives und strategisches Krisenmanagement und nehmen eine schwierige Position bei der Krisenbewältigung ein. Ihnen soll dieses Buch ein Ratgeber zur Vorbereitung auf Krisen sein.

Gewidmet ist dieses Buch insbesondere drei herausragenden Lehrern, die mich wesentlich in meinem beruflichen Leben geprägt haben:

Wolf-Dieter Prendke,

Stefan Berglund und

Eric Rasmussen.

Hamburg, August 2020

Aufgrund des begrenzten Umfangs, wird davon Abstand genommen, immer korrekt die weibliche und die männliche Form anzugeben. Auch die Zwischenform »*innen« erscheint nicht leserfreundlich. Aus diesem Grund hat der Verfasser versucht die weibliche und männliche Form abwechselnd und möglichst gleich oft zu benutzen. Das bedeutet: Ist von Bürgermeisterin die Rede, sind Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gemeint – beide gleichberechtigt, gleichwertig und vom Bestreben her gleich oft.

[7]Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Vorbemerkungen

1.1   Über das Buch

1.2   Krisenarten

2 Strategische Aufgaben der politisch verantwortlichen Führungskraft

2.1   Wirksamkeit von Führung in der Krise

2.2   Führen Sie in der Krise!

2.3   Die Führungskraft als Leuchtturm in der Krise

2.4   Krisenstrategie: Grundlage des Delegierens

3 Führen und Leiten bzw. Koordinieren und Kultivieren

3.1   Mythos Führung

3.2   Natürliches Wachsen der Krisenabwehrorganisation

3.3   Zentralisiertes oder dezentralisiertes Krisenmanagement

3.4   Führen mit Auftrag

3.5   Vertrauen versus Kontrolle

3.6   Netzwerk statt Hierarchie

4 Krisenkoordination

4.1   Zur Zusammenarbeit mit Externen verdammt

4.2   Grundlagen der Koordination unterschiedlicher Akteure

4.3   Unterschiede zwischen den zu koordinierenden Entitäten

4.4   Koordination von Akteuren im eigenen Zuständigkeitsbereich

4.5   Koordination von Akteuren aus anderen Zuständigkeitsbereichen

5 Aus dem Chaos in das geordnete Krisenmanagement

5.1   Chaossituation

5.2   Komplexe Situation

5.3   Komplizierte Situation

5.4   Einfache Situation

6 Informations- und Wissensmanagement

6.1   Aus Daten Wissen generieren

6.2   Reduzierung der Informationsflut

6.2.1   Lagemeldung und Unterrichtungen

6.2.2   Übersicht

6.2.3   Komplexitätsreduzierung

6.2.4   Lagebesprechungen

6.3   Frühzeitiges Erkennen und Verstehen einer Krise

7 Einsatzplanung

7.1   Grundlagen der Einsatzplanung

7.2   Kreative Einsatzplanung

7.3   Agile Einsatzplanung

7.4   Nutzen der Szenario-Technik zur Einsatzplanung

8 Entscheidungsfindung

8.1   Fundamentale Prinzipien der Entscheidungsfindung

8.2   Rationale Entscheidungsfindung

8.3   Intuitive Entscheidungsfindung

8.4   Entscheiden ohne zu Planen – Improvisieren

9 Stabslehre

9.1   Ihr Führungsunterstützungsgremium – der Stab

9.2   Homogene versus heterogene Stäbe

9.3   Gesamtverantwortlicher versus Leiterin des Stabes

9.4   Leiten eines Krisenstabes

9.5   Gruppendynamische Prozesse in Stäben

9.6   Entscheidungen im Stab

10 Krisenkommunikation

10.1  Deutungshoheit gewinnen und behalten

10.2  Interne Krisenkommunikation

10.3  Externe Krisenkommunikation

11 Nach der akuten Krise

11.1  Die Zeit unmittelbar nach der akuten Krise bewältigen

11.2  Aus Krisen lernen und Veränderungen umsetzen

12 Die Führungskraft als Person

12.1  Die Führungskraft – auch nur ein Mensch

12.2  Vorbereitung auf die Krise

13 Der Krisenmanager

Fazit

Literaturverzeichnis

[11]1    Vorbemerkungen

1.1   Über das Buch

Das Buch richtet sich an politisch verantwortliche Führungskräfte – an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungsspitzen:

an die Hauptverwaltungsbeamten – den Landrätinnen, den Oberbürgermeistern und den Bürgermeisterinnen,

an deren Vertreterinnen, den Dezernenten und Fachbereichsleiterinnen

sowie an die Amtsleiter.

Je nach Position müssen Sie mehr oder weniger als Mitarbeiterinnen der Verwaltung oder auch gewählte Vertreterinnen der Bürger agieren. Dies gilt besonders im gesamten Bereich des Risiko- und Krisenmanagements (siehe Bild 1). So müssen Sie vor einer Krise Ihre Verwaltung darauf vorbereiten, dass Sie auch in einer Krise handlungsfähig bleiben, d.h. Sie müssen ein Business Continuity Management für Ihre Verwaltung besonders für die Gefahrenabwehrorganisationen implementieren. Gleichzeitig müssen Sie die Zivilgesellschaft davon überzeugen, resilienter zu werden.

Bild 1: Risiko- und Krisenmanagement [zurück]

Dazu stehen rechtliche Mittel besonders im Bereich des Risikomanagements (z.B. das Baurecht) zur Verfügung. Im Bereich der Vorbereitung, beispielsweise bei der persönlichen Vorratshaltung von Überlebenswichtigen Ressourcen (Lebensmittel, Trinkwasser, Kerzen usw.), bedarf es dagegen eher Überzeugungskraft.

Heutige und zukünftige Krisen werden Sie als politisch verantwortliche Führungskraft nur meistern, wenn Sie eine ganzheitliche, allumfassende Herangehensweise anwenden. Vor einer Krise müssen Sie die Risiken erkennen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen, falls die Gefahr wirksam wird, minimieren. Dies erfolgt im Risikomanagement. Um nach einer Krise auf die nächste besser vorbereitet zu sein, muss das Risikomanagement unmittelbar mit der Wiederherstellungsphase nach der akuten Krisenbewältigung beginnen. Somit ist das Risikomanagement mit dem Krisenmanagement untrennbar verwoben. Denn auch das Krisenmanagement muss schon vor dem Erkennen einer Krise – sprich heute – beginnen.

Nur wenn Sie als politisch verantwortliche Führungskraft bei den unterschiedlichsten Akteuren (von den betroffenen Menschen bis zur Weltöffentlichkeit) über Vertrauen und eine entsprechende Reputation verfügen, werden Sie in der Lage sein, das operative und administrative sowie vor allem das politische Krisenmanagement erfolgreich zu beherrschen. Es reicht heute nicht mehr aus, das Richtige zu tun – [12]es’muss auch von der Mehrheit als richtig angesehen werden. Dies ist Aufgabe der Krisenkommunikation.

Ist die akute Krisenbewältigung erfolgreich abgeschlossen, müssen Sie zum einen die Lebenssituation in Ihrer Kommune wieder auf das Vorkrisenniveau oder ein höheres bringen und zum anderen die politischen Folgen meistern. Scheitern Sie in einem von beidem, wird Ihre Karriere ein jähes Ende finden. Ihre politischen Gegner warten aber nicht erst das Ende der akuten Krisenbewältigung ab. Nach einer gewissen Schonfrist bestehend aus Schock und Anteilnahme beginnen die unterschiedlichsten Akteure nach Schuldigen zu suchen und die Krise für eigene Interessen zu nutzen. Sie als kommunaler Krisenmanager werden unweigerlich in deren Schussfeld gelangen.

In diesem Buch versuche ich, die wesentlichen Aspekte eines Krisenmanagements anzusprechen sowie die heutigen und die zukünftigen Herausforderungen zu [13]berücksichtigen. Es ist kein wissenschaftliches Werk, Theorien werden nicht analysiert, sie werden dahingegen betrachtet, welchen Wert sie für die praktische Krisenbewältigung haben. Das Leitbild dieses Vorgehens lieferten

Goethe: »Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt.« und

Thoreau: »Darum vereinfachen, vereinfachen!«

Denjenigen unter Ihnen, die sehr schnell erste Tipps benötigen, empfehle ich das Lesen der Merk-, Tipp- und Infokästen und das Kapitel 13. Leitlinien bei der Erstellung dieses Buches sind, neben meinen eigenen Erfahrungen, Erkenntnisse, die ich in Diskussionen mit Praktikern und Theoretikern sowie aus deren Veröffentlichungen gewinnen durfte. All diesen Personen gilt mein Dank!

1.2   Krisenarten

Eine Krise ist eine ungewünschte und unerwartete Situation. Sie entsteht häufig aus einer Anzahl von unerwarteten Ereignissen, die eine Abwärtsspirale in Gang setzt. Wird sie nicht adäquat bekämpft, hat sie erhebliche langfristige negative Folgen. Krisen sind so alt wie die Menschheit und Krisen, die die herrschenden Strukturen zerstören, kommen immer wieder vor. Im Gegensatz zu früher zeichnen sich die heutigen Krisen dadurch aus, dass sie weder einen festdefinierten Anfang noch ein entsprechendes Ende besitzen. Eine Krise ist eine außergewöhnliche Herausforderung für jede Verwaltung. Sie ist ihr »Realer Stress-Test«. Kennzeichnend für eine Krise sind drei Eigenschaften: Bedrohung, Dringlichkeit und Unsicherheit.

Die Bedrohung betrifft die Grundfeste einer Person, Gruppe, Organisation, Kultur, Gesellschaft oder der gesamten Menschheit. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bedrohung real existiert oder eine hinreichende Anzahl von Mitglieder einer sozialen Gruppe glauben, sie würde existieren. Dadurch entsteht eine dreier Beziehung aus dem eigentlichen Ereignis, dem Handeln der Verantwortlichen und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, in der sich alle drei Dimensionen gegenseitig beeinflussen und somit ein dynamisches, nichtlineares, gekoppeltes System erzeugen. Die Bedrohung wird größer empfunden, wenn sie fundamentale Werte oder überlebenswichtige Strukturen betrifft. Viele Bedrohungen, ihre Art und Eintrittswahrscheinlichkeit sowie die Auswirkungen sind lange vor ihrem möglichen Eintritt bekannt (»Knowns«), andere sind zwar bekannt, aber die konkrete Art, Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen sind aufgrund von fehlenden Infor[14]mationen unbekannt (»Known Unknowns«) und von manchen wissen wir noch nicht einmal, dass sie existieren (»Unknown Unknowns« oder »Black Swans«).

Ausgangspunkt von Krisen sind häufig Ereignisse,

die man vorhergesehen hat, aber deren Einfluss unterschätzt wurde (z.B. die Krise nach Hurricane Katrina, die durch mangelnde Initiative hervorgerufen wurde),

die nicht vorhergesehen werden konnten (so war die Ankunft der Europäer für die Ureinwohner Nordamerikas vermutlich nicht vorhersehbar),

die vorhersehbar waren, aber nicht vorhergesehen wurden (bspw. die Covid-19-Krise, deren Auswirkungen nicht vorhergesehen wurden).

Aber es gibt keine festen Regeln, wie Krisen entstehen und verlaufen. Allerdings sind die Auswirkungen von Krisen immer lokal und öffentlich. Man kann Krisen danach unterscheiden, ob sie an einem oder an mehreren Orten Auswirkungen generieren. Aber die Lösung von Krisen muss immer lokal erfolgen und sie sollten so einfach wie möglich gehalten sein.

Um die Bedrohung abzuwenden, gilt es umgehend eventuell weitreichende Gegenmaßnahmen umzusetzen. Die Dringlichkeit ergibt sich aus zwei Faktoren: einmal dem Zeitpunkt, an dem das System aufgrund der Bedrohung nicht mehr zu tolerierende Schäden hinnehmen muss und der Dauer bis zum Wirksamwerden der Gegenmaßnahmen. So werden erst in einigen Jahren die ersten Inseln aufgrund des Klimawandels untergehen. Die Auswirkungen einer Reduzierung der Emission von Treibhausgasen werden aber ebenfalls erst in einigen Jahren den Klimawandel merklich verlangsamen und umkehren. Die Dringlichkeit kann oft nicht objektiv quantifiziert werden. Auch sie wird häufig von Mitgliedern einer Gesellschaft sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Unsicherheit bezieht sich i.d.R. sowohl auf die Auswirkung der Bedrohung – besonders bei kaskadierenden Effekten in vernetzten, nicht linearen Systemen, zum Beispiel der kritischen Infrastrukturen – wie auch auf die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen. Sie betrifft sowohl die Natur als auch die möglichen Konsequenzen der Bedrohung.

Krisen sind kritische Verzweigungen im Leben jeder Organisation und somit auch von Verwaltungen. Welcher Weg verfolgt wird, entscheidet über die weitere Karriere der politisch verantwortlichen Führungskräfte. Für letztere sind sie Grenzsituationen, die in der Regel nicht alltäglich, aber häufig auch persönlich existenzbedrohend sind. Sie sind eine Ansammlung von Problemen, die zu einem bestimmten Grad in einer bestimmten Zeit und Effektivität mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches gelöst werden müssen. Die Ressour[15]cen, die vor der Krise existieren, spielen dabei besonders zu Beginn der Krise eine entscheidende Rolle.

Immer häufiger müssen Krisenmanager mit anderen Akteuren um die Deutungshoheit konkurrieren:

Was ist die Natur der Krise?

Worauf wird sich die Bedrohung auswirken?

Welche Kaskadeneffekte werden auftreten?

usw.

Krisen durchlaufen eine Evolution. Snowden und Boone unterscheiden in ihrem Cynefin Framework vier Krisensituationen (vgl. Kapitel 5):

einfach:

Die Strukturen wiederholen sich, die Ereignisse sind widerspruchsfrei.

Es liegt eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung vor.

Es existieren für jeden einsichtig (eindeutige) richtige Lösungen.

kompliziert:

Eine Expertenanalyse ist erforderlich.

Die Ursache-Wirkung-Beziehung ist ermittelbar, aber nicht für jeden sofort einsichtig.

Es existieren mehre Lösungen, die richtig sein könnten.

komplex:

Es liegt eine dynamische, nicht vorhersagbare Situation vor.

Es existieren keine eindeutig richtigen Lösungen mehr, sondern viele miteinander konkurrierende.

Kreative und innovative Herangehensweisen sind notwendig.

chaotisch:

Es herrschen große Schwierigkeiten (in einem oder in mehreren Bereichen).

Es kann keine klare Ursache-Wirkung-Beziehung hergeleitet werden.

Es existiert kein Ansatzpunkt zum Finden der richtigen Lösung.

Viele Entscheidungen sind unter Zeitnot zu treffen.

Es herrscht ein hoher psychischer Druck.

Dabei gleicht keine Krise einer anderen – jede ist einmalig. Deshalb existieren auch keine Standardeinsatzregeln für Krisen. Allerdings lassen sich einige wenige »Gesetzmäßigkeiten« finden. Krisen können grob in mehrere Phasen eingeteilt werden: [16]Eintritt, Chaosphase, Sicherstellung der Notversorgung, Stabilisierung der Lage und Wiederaufbau. Zudem haben Sie es in Krisen immer mit irgendwelchen Massenphänomenen zu tun: verstopfte Straßen, Zusammenbruch der Informations- und Kommunikationskanäle oder wie bei der Covid-19-Pandemie mit dem Ausverkauf von Toilettenpapier. Dies sollten Sie bei all Ihren Maßnahmen und Äußerungen beachten.

Verlauf einer Krise:

Eintritt

Chaosphase

Sicherstellung der Notversorgung

Stabilisierung der Lage auf niedrigem Niveau

Wiederaufbau des »Normalzustandes«

In der Krise ist alles anders als im Normalzustand. Menschen reagieren anders: Sie verwandeln sich von klar denkenden Individuen zu Herdentieren. Es gelten vor allem in der Chaosphase besondere Regeln. Die üblichen Ablaufroutinen führen nicht zum Erfolg. Die regulären Gesetzmäßigkeiten und Verfahren sind in Krisenzeiten außer Kraft gesetzt. Deshalb müssen neue Herangehensweisen während der Krise entwickelt werden. Die Personen, die diese neuen Herangehensweisen generieren, bedürfen einem Koordinatensystem – einer Krisenstrategie –, an dem sie sich orientieren können (vgl. Kapitel 2.4). Jede dieser Situationen fordert von den Krisenmanagern unterschiedliche Vorgehensweisen. Manche Krisen treten plötzlich und mit einer großen Wucht ein, andere dagegen beginnen erst schleichend über einen längeren Zeitraum oder sie entwickeln sich wellenförmig. Einige Krisen eskalieren oder kaskadieren über die Zeit, andere sind zeitlich konstant oder deeskalieren. Sie können durch externe oder interne Ereignisse ausgelöst werden. Unterschiedliche Krisen können auch miteinander verwoben sein.

In den heutigen modernen Gesellschaften treten Krisen aufgrund ausgefeilter Vorsorgemaßnahmen seltener auf als früher. Allerdings sind die Folgen dieser Krisen deutlich gestiegen. Aufgrund der Komplexität der gesamten Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Kultur usw.) und da ihre verschiedenen Teilsysteme miteinander oft nicht linear und vorab unerkannt gekoppelt sind, können Entwicklungen, die für sich alleine undramatisch wären, katastrophale Auswirkungen zeigen. Diese Multi-Ursachen-Beziehung macht es schwierig, selbst schleichende Krisen so rechtzeitig zu erkennen, dass die Auswirkungen nicht eskalieren. Selbst die besten Experten sind nicht in der Lage, diese Systeme und die Interaktionen untereinander vollständig zu [17]verstehen. Durch die Kopplung der Systeme mit Sozialsystemen – besonders mit den Social Media – wird eine Prognose über deren zukünftiges Verhalten selbst bei der Nutzung der besten Computer unmöglich.

Das Ende einer Krise tritt in der Regel nicht mit dem Ende der »Einsatzmaßnahmen« ein. Schon während der Durchführung der Akutmaßnahmen, aber besonders nach deren Beendigung, werden Fragen nach den Ursachen, der Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen usw. an die politisch verantwortlichen Führungskräfte gestellt. So ist der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma auch eher an der Krise in den Wochen nach dem Abschluss der Bergungs- und Sicherungsarbeiten infolge des Stadtarchiveinsturzes als an der Kritik an den Einsatzmaßnahmen gescheitert.

Beispiel: Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 03.03.2009

Aufgrund eines Wassereinbruchs in einer benachbarten Baugrube stürzte das Kölner Stadtarchiv ein. Bei dem Unglück kamen zwei Personen ums Leben. Unmittelbar nach den Bergungsmaßnahmen (der akuten Krisenbewältigung) setzen die Diskussionen über die Ursachen und Verantwortlichkeiten zum Unglück ein. Der amtierende Oberbürgermeister Schramma erklärte am 12.03. in einem Interview im Deutschlandfunk: »[Ich]kann (…) mir nicht und werde mir auch nicht hier in der Form irgendeine Schuld persönlich politisch zuschreiben lassen.« Die Kritik an seinem Krisenmanagement führte Ende März 2009 dazu, dass er seine Kandidatur zur Wiederwahl im Spätsommer des gleichen Jahres zurückzog. Als Grund gab er an, dass der Einsturz zunehmend in den Wahlkampf gezogen werde, es werde »spekuliert, verdächtigt, verunglimpft, vorverurteilt«. Auch wurde gegen Herrn Schramma strafrechtlich ermittelt, da er interne, vertrauliche Sitzungen illegal mitgeschnitten haben soll. Die gesamte öffentliche Diskussion führte dazu, dass sich in einer repräsentativen Umfrage des Kölner Stadt-Anzeigers und des Express nur 38 % der Befragten für eine Wiederwahl Schramma und 50 % für die Wahl seines Herausforderers aussprachen. Endgültig beendet war die Krise erst mit den Urteilen im Strafverfahren im Jahr 2019.

[18]2    Strategische Aufgaben der politisch verantwortlichen Führungskraft

Die Aufgaben für die politisch verantwortliche Führungskraft teilen sich in drei Bereiche auf (siehe auch Bild 2):

Aufgaben vor der Krisen – Präventive Maßnahmen unterteilt in:

Risikomanagement und

vorbereitende Maßnahmen des Krisenmanagements sowie der Krisenkommunikation.

Aufgaben während der Krise:

Operatives Krisenmanagement,

Administratives Krisenmanagement,

Politisches Krisenmanagement.

Aufgaben nach der Krise:

Wiederherstellung sowie

Lessons Learned.

Die Lessons Learned münden direkt in die Prävention der nächsten Krise.

Bild 2: Die Aufgaben der politisch verantwortlichen Führungskraft

[19]2.1   Wirksamkeit von Führung in der Krise

In Krisen durchläuft eine Gesellschaft wie ihre Mitglieder in der Regel fünf unterschiedliche Phasen (vgl. Hanke, 2016):

Verleugnen,

Zorn,

Verhandeln,

Depression,

Akzeptanz.

Nicht nur die betroffene Bevölkerung erwartet von den politisch verantwortlichen Führungskräften in Krisensituationen, dass sie nicht nur die Führung übernehmen und die Gesellschaft durch diese fünf Phasen führt, sondern dabei auch herausragende Leistungen erbringt. Während die Einsatzkräfte den Schaden begrenzen und/oder beheben, ist eine Hauptaufgabe der politisch verantwortlichen Führungskraft, das Vertrauen der Menschen in die Institutionen wieder herzustellen. Im Nachkriegsdeutschland wird häufig Helmut Schmidt sowohl durch seine Führung bei der Sturmflut 1962 wie auch während des deutschen Herbst 1977 als Vorbild genannt.

Beispiel: Helmut Schmidt: Hamburger Flutkatastrophe

Die Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 kostete in Hamburg 315 Menschen das Leben. Große Teile des Stadtgebietes (ca. 120 km2) wurden überflutet. Schmidt, damals Innensenator, stellt in seinen Erinnerungen (Schmidt, 2008) fest: »Ich muß gestehen, über die Gesetzesverstöße damals nicht nachgedacht zu haben. Vielmehr ließ ich mich allein von der moralischen Pflicht leiten, Menschen in großer Zahl aus unmittelbarer Lebensgefahr zu retten. Ich hatte später das Glück, von keiner Seite angeklagt zu werden.«

Die politisch verantwortliche Führungskraft soll wie ein Leuchtturm in einem Sturm den Unbilden der Krise trotzen und den Weg weisen. Bei den heutigen Krisen reicht es nicht mehr aus, die staatliche Krisenreaktion effektiv und effizient zu organisieren, vielmehr muss die politisch verantwortliche Führungskraft alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenbringen und deren Reaktion auf die Krise koordinieren. Gelingt dies nicht, weil zum Beispiel wesentliche gesellschaftliche Akteure sich nicht koordinieren lassen und eine eigene Agenda verfolgen, so bietet dies eine offene Flanke für Kritik. Bürger, Wirtschaft, Medien und Politiker (besonders der Opposition) erwarten aber nicht nur eine angemessene und professionelle Reaktion auf die Krise, sondern sie [20]erwarten auch, dass die politisch verantwortliche Führungskraft im Vorfeld alles vernünftig Realisierbare unternommen hat, um Risiken zu minimieren und Bedrohungen abzuschwächen, wenn nicht sogar zu eliminieren. Ist die Krise eingetreten und die Reaktion angelaufen, schwenkt die öffentliche Aufmerksamkeit schnell auf das Warum um: Warum ist es zur Krise gekommen? Warum zeigt die eingetretene Gefahr solch verheerende Folgen? Warum sind die Gefahrenabwehrbehörden nicht besser vorbereitet?

In Krisen sind die Führungskräfte gefordert. Sie müssen bestehende Routinen, Verfahrensabläufe, Dienstvorschriften usw. an die Krisensituation adaptieren oder sogar eliminieren, wenn dies notwendig ist. Sie müssen ihre Verwaltung/ihre unterstellten Einheiten aus dem Alltagsmodus in den Krisenmodus hieven. Aber das reicht nicht aus, sie müssen auch der Öffentlichkeit Vertrauen in den neuen Status Quo geben. Beide Aufgaben fallen mit einer entsprechenden Vorbereitung leichter: Die Führungskräfte müssen ihren Bereich resilienter gegenüber Schocks und Stressereignisse machen (vgl. Voßschmidt/Karsten, 2020).

Merke:

Kenne Deine Prioritäten und wer für was verantwortlich ist (Bund-Land-Kommune)!

Erkenne, womit Du es eigentlich zu tun hast!

Erkenne die verdeckten, nicht ausgesprochenen Bedürfnisse der Betroffenen!

Garantiere eine effektive interne und externe Krisenkommunikation!

Überarbeite Deine Strategie regelmäßig, kalkuliere.

Nach Boin et al. (2017) ist Krisenmanagement eine Abkürzung für eine Reihe von miteinander verbundenen und außergewöhnlichen Herausforderungen für Verwaltung und Politik. Durch eine Kombination der folgenden Aufgaben wird ein effektives Krisenmanagement erreicht, wenn:

eine sich abzeichnende Krise schnell erkannt wird,

die Einsatzkräfte verstehen, was passiert,

kritische Entscheidungen von den richtigen Personen getroffen werden,

die Bemühungen der Einsatzkräfte aufeinander abgestimmt sind,

die Verwaltung mit den Bürgern kommuniziert wird,

ein geeignetes Rechenschaftsverfahren existiert

und die Beteiligten bereit sind, gemeinsam die Lehren aus dieser Krise zu ziehen.

[21]Keine dieser Aufgaben ist einfach.

Merke:

Als politisch verantwortliche Führungskraft sollten Sie stets aktiv und nicht reaktiv sein.

Für die Bewältigung von Krisen, die in die Zuständigkeit der Kommunen fallen, müssen in der Regel eine Vielzahl von staatlichen und privaten Organisationen, deren Arbeitsweisen vollständig unterschiedlich sind, eingebunden geführt werden (siehe Bild 3): z.B. Feuerwehren, Polizei, Verwaltung, Hilfsorganisationen, Bundeswehr, Firmen (speziell der Kritischen Infrastrukturen), Spontanhelfer und die betroffene Bevölkerung. Die letzten beiden Gruppen bilden sich erst während Krise, weshalb Vorabsprachen mit ihnen nicht möglich sind.

Merke:

Sie müssen der Leim sein, der alle Akteure in der Krise zusammenhält!

Führen von Menschen bedeutet heute in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft, die Menschen dazu zu motivieren, dass zu tun, was man als Führungskraft möchte. Dazu sind die Bemühungen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auf das gemeinsame Ziel auszurichten: Sie sind zu koordinieren und ihr Umfeld ist so zu kultivieren, dass sie ohne Druck auf das gewünschte Ziel zusteuern. Aus dem preußischen »Führen und Leiten« (im Englischen Command and Control – C2) ist »Koordinieren und Kultivieren« (im Englischen Coordination and Cultivation – C2) geworden (McChrystal et al., 2015). Die Führungsperson muss jede Möglichkeit nutzen, die Situation für die betroffene Bevölkerung zu verbessern. Und falls sie solche Möglichkeiten nicht findet, dann muss sie sie erzeugen.

[22]Bild 3: Zehn-Säulenmodell einer resilienten Gesellschaft [zurück]

Wie die Analysen des U.S. Kongresses zu den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York zeigen, steigt ein Mehr an Einsatzkräften, Ressourcen, Informationen und Führen und Leiten nicht immer die Effektivität der Gefahrenabwehr. Die Covid-19-Krise oder 9/11 waren ein Versagen der Vorstellungskraft und des rechtzeitigen Erkennens der aufkommenden Krise. Und die Gefahrenabwehr nach dem Hurricane Katrina ein Scheitern der Initiative und ein Scheitern der Führung (Crosweller, 2015). Krisen sind leichter zu bewältigen, wenn alle Akteure sich entsprechend vorbereiten und somit die Gesellschaft resilienter wird. Die Menschen dazu zu motivieren, ist allerdings schwieriger als in der eigentlichen Krise – Menschen sind durch Angst leichter zu mobilisieren als durch Hoffnung (Rose, 2019).

Trotzdem werden die heutigen und besonders die zukünftigen Krisen ohne eine entsprechende Vorbereitung der gesamten Gesellschaft nicht zu meistern sein. Als politisch verantwortliche Führungskraft werden Sie Krisen nur meistern, wenn Sie in der Lage sind,

in hoch komplexen und dynamischen Situationen effektiv und effizient zu handeln,

neue, sich ggf. schnell wechselnde untereinander konkurrierende Prioritäten zu erkennen, entsprechend darauf zu reagieren und

unerwartete Blockaden zu überwinden.

Sie und Ihre Initiativen sind gerade dann gefordert, wenn die vorgehaltenen Kapazitäten zur Krisenbewältigung überfordert sind und wenn die üblichen Systeme und Prozesse ineffektiv werden. Dann müssen Sie die Kreativität und die Innovationskraft der gesamten Gesellschaft aktivieren und nutzen. Sie müssen die entsprechende Notwendigkeit dazu übermitteln und ein gemeinsames Situationsbewusstseins erzeugen (vgl. Kapitel 10.1). In Krisen reicht es in der Regel nicht aus, Einsatzplanungen für »normale« Katastrophen auszuweiten. In Krisen herrschen andere Regeln als im üblichen Leben (vgl. Kapitel 7).

[23]Info:

In diesem Buch soll folgende Unterscheidung gelten:

Notfall: Ein Ereignis, dass tagtäglich vorkommt und mit den Standardroutinen bewältigt werden kann (z.B. Feuerwehr- oder Rettungsdiensteinsatz, Streik im öffentliche Dienst, IT-Ausfall)

Katastrophe: Ein großer Notfall, welcher eine besondere Koordination bedarf und auf die sich die Verwaltung vorbereitet hat.

Krise: Ein Katastrophe, die die Verwaltung unvorbereitet trifft.

In der Krise muss das Ziel eines jeden Krisenmanagements sein, vom Reagierenden zum Agierenden zu werden, d.h. »vor die Lage« zu kommen. Das bedeutet, dass die eigenen Handlungen das Umfeld so beeinflussen, dass sich die Krise in die gewünschte Richtung entwickelt. Führung ist heute mehr denn je auch deshalb erforderlich, weil sich Krisen aufgrund der schnellen und digitalisierten Kommunikation immer weiter dynamisieren. Krisen werden nur dann bewältigt und nicht nur überstanden, wenn Sie als politisch verantwortliche Führungskraft in der Lage sind, die Bevölkerung kommunikativ zu erreichen, um sie zu kurz-, mittel- und langfristigen, individuellen und kollektiven Maßnahmen zur Bewältigung der Krise zu animieren.

In Krisen besteht der Wunsch nach Einfachheit in einer komplexen Welt (was häufig zu Verschwörungstheorien führt) sowie das Bedürfnis nach Gewissheit inmitten des Chaos und unseren oft widersprüchlichen Wünschen nach Autonomie einerseits und Führung andererseits. Krisen sind Ausnahmesituationen, die besondere Anstrengungen zur Bewältigung bedürfen. Stellen und fordern Sie deshalb ständig hohe Ansprüche an sich selbst und an die Ihnen unterstellten Akteure – Krisen bedürfen eine Top-Leistung aller Akteure. Dazu müssen Sie den Ihnen unterstellten Akteuren den Rücken freihalten. Diese haben schon genug um die Ohren und Querschüsse von außen vermindern nur ihre Leistungen.

Tipp:

Loben Sie Ihre unterstellten Einsatzkräfte regelmäßig.

Das Ergebnis von Führen ist das Resultat eines dynamischen Prozesses zwischen unterschiedlichen Faktoren:

Kompetenz der Führungskraft,

Einflüsse durch andere Personen,

organisatorische Rahmenbedingungen,

[24]allgemeine Faktoren der sogenannten »Kalten Lage«,

unmittelbare Situationseinflüsse der so genannten »Heißen Lage«.

Als politisch verantwortliche Führungskraft können Sie einige dieser Faktoren stark beeinflussen (Ihre Kompetenz, Organisation, Kalte Lage) andere weniger (Einflüsse anderer Personen) und manche gar nicht (Heiße Lage). Wo Sie im Vorfeld einer Krise Einfluss nehmen und dadurch die spätere Krisenbewältigung erleichtern können, sollten Sie dies auch tun.

2.2   Führen Sie in der Krise!

Krisen tendieren dazu, Sie als politisch verantwortliche Führungskraft vor bisher noch nicht gekannte, häufig nicht vorhersehbare Herausforderungen zu stellen. Schon die heutigen Gefahren und Bedrohungen können nicht alle abgewehrt werden. Wir müssen akzeptieren, dass bei ihrem Eintritt Schäden garantiert entstehen werden. Deshalb ist es notwendig, die Resilienz der Gesellschaft zu steigern (Voßschmidt/Karsten, 2020). Damit die Bevölkerung dies akzeptiert, bedarf es Ihrer Führung als politisch verantwortliche Führungskraft. Und diese erfolgt im besten Fall schon vor dem Eintritt einer Krise: Bereiten Sie alle Akteure, besonders aber die Bevölkerung, auf die mögliche Konsequenzen vor. Verbreiten Sie aber auch Zuversicht und Optimismus (Churchills »Blut-Schweiß- und Tränen-Rede« vom 13.05.1940). Seien Sie dabei aufrichtig. Auch wenn das politische Risiko für Sie nicht zu verneinen ist. Etwaige Gefahren und Bedrohungen, die eventuell auftreten können, und die noch beherrschbaren Grenzen der staatlichen Gefahrenabwehrbehörden offen zu benennen, bietet eine offene Angriffsflanke für Ihre Opposition. Aber Führungskräfte müssen klar, aufrichtig und offen über die heutigen Risiken sprechen. Zu erwarten, dass eine Bevölkerung, die sich in vollständiger Sicherheit wiegt, im Bedarfsfall problemlos in einen Krisenmodus wechseln kann, ist grob fahrlässig.

Führung nach McChrystal et al., 2009:

Führung ist kontextabhängig und dynamisch und muss daher ständig angepasst werden, anstatt auf eine starre Formel reduziert zu werden.

Führung ist ein Phänomen, das in einem komplexen System mit reichhaltigem Feedback entsteht, und weniger ein einseitiger, vom Führer initiierter Prozess.

Die Figur des Führers ist für das Führungskonzept von maßgeblicher Bedeutung, aber nicht aus den traditionellen Gründen. Oft hat sie mehr [25]mit Symbolismus, Sinnstiftung und Zukunftsversprechen zu tun, die Führer ihrem System bieten, und weniger mit tatsächlich erzielten Ergebnissen.

Führung ist oft eine Kombination aus den Handlungen der Führungskraft, glücklichen Umständen und kontextbezogenen Faktoren, die für ein positives Ergebnis sorgen. Dabei wird häufig bei der konkreten Bewältigung einer Krise die Führungskraft überschätzt. So vertritt Thomas Carlyle die Auffassung, dass der Lauf der Geschichte von einzelnen Personen mit besonderen Eigenschaften geformt wird. Dagegen steht die Auffassung, die Lew Tolstoi in »Krieg und Frieden« ausführt, dass der Lauf der Geschichte zufallsbedingt und der Einfluss von Führungskräften eher zu vernachlässigen ist. Welche Auffassung man auch vertritt, klar ist, dass keine Führungskraft eine Krise alleine bewältigen kann. Deshalb müssen Sie sich als politisch verantwortliche Führungskraft selbst und Ihre Organisation ertüchtigen, Krisen bewältigen zu können. Sehen Sie sich nur als einen – wenn auch wichtigen – Teil Ihrer Organisation an. Stellen Sie das »WIR« mehr in den Fokus als Ihre Anstrengungen, als das »ICH«. Führung hat nie nur mit der Kompetenz einer einzelnen Person zu tun. Verbessern Sie deshalb schon vor dem Eintritt einer Krise, adaptives, kreatives und innovatives Denken in Ihrem Krisenbewältigungsteam. Diskutieren Sie das Unvorstellbare in Ihrem Team. Dabei werden Sie bessere Ergebnisse erzielen, wenn Sie ein inhomogenes Team aufstellen.

Jede Entscheidung, jedes Handeln der Betroffenen, der Hilfskräfte, der Stabsmitglieder und von Ihnen selbst wird durch Emotionen beeinflusst. Bewegte Bilder erzeugen beim Menschen starke Emotionen. Emotions-Management ist eine wichtige Aufgabe der politisch verantwortlichen Führungskraft. Führung ist auf ein Ziel ausgerichtet, aber gleichzeitig abhängig vom gewählten Weg zu diesem Ziel. Führung ist weder glamourös noch unkompliziert.

Vorbilder helfen nur im gewissen Maße; ihre Erfahrungen, Weisheit und Lösungen passen nie so ganz zu Ihrer aktuellen Situation. Patentrezepte funktionieren nicht. Sie werden vor noch nie in dieser Form dagewesenen Situationen stehen und müssen neue Lösungen finden. Alte, gut eingeübte Routinen zeigen in der Regel für neuartige, noch nie dagewesene Ereignisse einen geringen Erfolg. In der Krise muss neues entwickelt werden. Deshalb: »Wenn etwas dumm ist, aber funktioniert, ist es nicht dumm.« Allerdings heiligt der Zweck nicht jedes Mittel.

In Krisen gelten andere »Spielregeln« als in Katastrophen. Es muss mit einem hohem Maß an Komplexität und Nichtwissen umgegangen werden. Prioritäten müssen der sich schnell veränderten Situation angepasst werden – teilweise schließen [26]sich die Lösungsoptionen gegenseitig aus oder beeinflussen sich negativ. Ein einfaches Verstärken der in Katastrophen erfolgreichen Maßnahmen reicht nicht aus. Es reicht nicht, einfach ein Mehr an Einsatzkräften, Fahrzeugen, Informationen oder Führung zum Einsatz zu bringen. Neue Lösungsansätze müssen in einer sich schnell verschlechternden Situation entwickelt werden. Und dazu bedarf es Sie als politisch verantwortliche Führungskraft. Katastrophen kann Ihr Feuerwehrchef und die Leitungen Ihrer Verwaltung eigenständig lösen, Krisen aber gerade nicht.