Eine Nacht wie Samt und Seide - Stephanie Laurens - E-Book

Eine Nacht wie Samt und Seide E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Ein historischer Liebesroman voller Romantik, Witz und prickelnder Erotik

Priscilla Dalloway ist eine glutäugige Schönheit, die jedes Männerherz entflammt. Sie sucht ihren vermissten Zwillingsbruder Russ, der in einen Pferdewettskandal verstrickt ist. Priscilla erhofft sich entlastende Informationen in den Büchern des Jockey Clubs. Doch diese bewacht der ungemein attraktive und unbestechliche Dillon Caxton. Also versucht Priscilla es mit der Kunst der Verführung – doch sie hat nicht mit Dillons Widerstand gegen die Liebe gerechnet …

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 720

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Buch

Priscilla Dalloway ist eine glutäugige Schönheit, die jedes Männerherz entflammt. Sie sucht ihren vermissten Zwillingsbruder Russ, der in einen Pferdewettskandal verstrickt ist. Priscilla erhofft sich entlastende Informationen in den Büchern des Jockey Clubs. Doch diese bewacht der ungemein attraktive und unbestechliche Dillon Caxton. Also versucht Priscilla es mit der Kunst der Verführung – doch sie hat nicht mit Dillons Widerstand gegen die Liebe gerechnet …

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen

Verheißungsvolle Küsse · In den Armen des Eroberers · Der Liebesschwur · Gezähmt von sanfter Hand · In den Fesseln der Liebe · Nur in deinen Armen · Nur in deinen Küssen · Küsse im Mondschein · Küsse im Morgenlicht · Verführt zur Liebe · Was dein Herz dir sagt · Hauch der Verführung

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Stephanie Laurens

Eine Nacht wie Samt und Seide

Roman

Deutsch von Ute-Christine Geiler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »What Price Love?« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

Copyright der Originalausgabe © 2006 by HarperCollinsPublishers, New York. Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkterstr. 28, 81673 München Redaktion: Regine Kirtschig Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung eines Motivs von RomanceNovelCovers.com und shutterstock.com DN · Herstellung: kw E-Book-Produktion: VRH

ISBN: 978-3-641-25256-4V002

www.blanvalet.de

Prolog

August 1831

Ballyranna, Grafschaft Kilkenny, Irland

»Ich suche nach Paddy O’Loughlin.«

Lady Priscilla Dalloway, die vor der Theke in der Kneipe Pipe & Drum stand, wünschte sich, während sie den verwunderten Blick des Wirtes auffing, sie hätte daran gedacht, ihre Stimme zu verstellen und sich um eine weniger gewählte Aussprache zu bemühen. Aber dann sah sie Erkennen in Millers Augen aufflackern und begriff, dass es sinnlos gewesen wäre. Sie hatte sich ein altes Reitkostüm angezogen und trug einen breitkrempigen Hut, aber sie konnte ihr Gesicht nicht verhüllen. Ein Schleier wäre wenig hilfreich dabei, Paddy O’Loughlins Vertrauen zu gewinnen.

Miller, ein fleischiger Mann mit einem runden, kahlen Kopf, fuhr fort, sie zu mustern, als stellte sie eine exotische Bedrohung dar. Innerlich seufzend beugte sie sich vertraulich vor. »Er steckt nicht in Schwierigkeiten, ich möchte nur mit ihm sprechen.« Sie ließ sich ihren weichen, irischen Akzent stärker anmerken, aber Miller zuckte mit keiner Wimper, verriet mit keinem Anzeichen, dass er nachgeben wollte; sie bemühte sich um einen beredsameren Ton. »Es ist so, dass mein Bruder jetzt die Stellung übernommen hat, die Paddy vor Kurzem aufgegeben hat, und ich wollte wissen, was Paddy mir über die Arbeit dort und das Gestüt erzählen kann.«

Das war alles, was sie bereit war zu verraten. Sie wollte sicher sein, dass es Russ gut ging, aber sie würde nicht die schmutzige Wäsche der Dalloways vor Miller ausbreiten, der zweifellos eine ebenso große Klatschbase war wie alle Wirte.

Miller runzelte die Stirn und sah sich um.

Es war zwei Uhr; ein Stück entfernt standen drei Arbeiter an der Theke, und ein paar saßen verstreut an Tischen, sie alle beobachteten mehr oder weniger unverhohlen neugierig die offensichtlich vornehme junge Dame, die sich in ihre Höhle gewagt hatte. Die Fenster der Schankstube waren schmal, das Glas war dick und ließ nur wenig Licht durch. Im Zimmer herrschte eine Mischung aus Braun- und Grüntönen vor, es wirkte leicht schäbig und abgenutzt, einzig die Flaschen und Gläser an der Wand hinter der Theke glänzten.

Miller musterte seine anderen Gäste, dann stellte er das Glas ab, das er abgetrocknet hatte, beugte sich vor und erkundigte sich mit gesenkter Stimme: »Sie sagen, der junge Lord Russell hat Paddys Job übernommen?«

Pris gelang es nur mit Mühe, nicht wütend zu zischen. »Ja, ich dachte, Paddy könnte mir vielleicht etwas über Lord Cromartys Gestüt erzählen.« Sie zuckte die Achseln, als sei es vollkommen alltäglich für den Sohn eines Earls, die Stelle eines Hilfsstallmeisters anzunehmen, und ebenso normal, dass seine Schwester einen zweistündigen Ritt quer durchs Land auf sich nahm, um sich bei dem vorherigen Stelleninhaber nach seinen früheren Arbeitsbedingungen zu erkundigen. »Ich bin einfach nur neugierig.«

Und leicht besorgt, aus welchem Grund ein Mann wie Paddy O’Loughlin eine vermeintlich ausgezeichnete Stellung aufgeben sollte, fügte sie in Gedanken hinzu. Er war eine Legende in der Gegend, was Pferde anging; er hatte geholfen, eine ganze Reihe von außergewöhnlichen Rennpferden zu trainieren. Sie hatte ihn nie kennen gelernt, wusste aber, dass er ein Stück außerhalb dieses Dorfes wohnte und dass sie gute Chancen hatte, ihn hier zu finden.

Miller betrachtete sie, dann deutete er mit dem Kopf auf einen großen Mann in Arbeitskleidung, der in der dunkelsten Ecke des Schankraumes an einem Tisch vor einem Krug Ale saß. »Da fragen Sie am besten Seamus O’Malley. Er und Paddy waren dicke Freunde.«

Angesichts der Tatsache, dass er in der Vergangenheit sprach, zog Pris die Brauen hoch.

Er nickte bedeutungsschwanger. »Wenn Ihnen jemand weiterhelfen kann, dann ist es Seamus.« Er machte einen Schritt zurück und fügte hinzu: »Wenn es mein Bruder wäre, der in Paddys Fußstapfen treten will, dann würde ich ihn fragen.«

Besorgnis wich Angst. Pris richtete sich auf. »Danke.«

Sie drehte sich um und schaute zu Seamus O’Malley. Sie hatte noch nie von ihm gehört. Entschlossen entfernte sie sich von der Theke und durchquerte die Stube zu seinem Tisch.

O’Malley saß mit hochgezogenen Schultern vornübergebeugt da, einen Krug Ale zwischen den abgearbeiteten, rauen Händen. Sie blieb neben ihm stehen und wartete, bis er den Blick hob und sie anschaute. Er blinzelte wie eine Eule zu ihr auf, erkannte sie offenbar, hatte aber keine Ahnung, weshalb sie dort stand und was sie von ihm wollte.

Leise erklärte sie: »Ich suche Paddy O’Loughlin, Miller hat mir geraten, mit Ihnen zu sprechen.«

»Wirklich?« Seamus sah an ihr vorbei zur Theke.

Pris folgte seinem Blick nicht. Als er – offenbar von Millers bestätigendem Nicken beruhigt – sie wieder anschaute, zog sie sich den zweiten Stuhl am Tisch heran und setzte sich. »Miller sagte, Sie kannten Paddy gut.«

Seamus beäugte sie argwöhnisch. »Stimmt.«

»Also – wo ist er?«

Er blinzelte erneut, dann blickte er in seinen fast vollen Krug. »Weiß nicht.« Ehe Pris nachhaken konnte, sprach er weiter: »Keiner von uns weiß etwas. Er war in der einen Nacht hier, vielleicht vor vierzehn Tagen, und ist dann um die Sperrstunde herum nach Hause gegangen, so wie er es immer getan hat. Aber zu Hause ist er nie angekommen.« Seamus sah zu ihr, blickte ihr kurz in die Augen. »Der Weg zu seinem Häuschen führt durchs Moor.«

Pris bezwang die in ihr aufwallende Panik, bemühte sich vergeblich, eine harmlose Erklärung zu finden. »Wollen Sie etwa sagen, dass er umgebracht wurde?«

Wieder in seinen Krug schauend zuckte Seamus die Achseln. »Das wissen wir nicht. Aber Paddy ist den Weg tausendmal gegangen, als Mann und als Junge, und er war noch nicht einmal betrunken, nur ein bisschen angeheitert. Ist schon schwer zu schlucken, dass er sich verlaufen haben und so gestorben sein soll, aber seit dem Abend hat niemand mehr etwas von ihm gehört oder gesehen.«

Ein ungutes Gefühl machte sich in Pris breit. »Mein Bruder Lord Russell hat Paddys alte Stelle übernommen.« Sie hörte ihre eigene Stimme, fest, aber wie aus der Ferne, und Seamus’ Sorge war beinahe greifbar. »Ich wollte Paddy zu Lord Cromartys Gestüt befragen. Hat er irgendetwas über die Leute oder seine Arbeit dort gesagt?«

Auf Seamus’ Miene spiegelte sich eine beklemmende Mischung aus Besorgnis und Mitleid. Er trank einen Schluck Ale, dann bemerkte er mit gesenkter Stimme: »Er hat drei Jahre lang dort gearbeitet. Zuerst hat es ihm gut gefallen, die Pferde waren hervorragend, aber in letzter Zeit – er hat erzählt, da ginge etwas vor sich, mit dem er nichts zu tun haben wollte. Das war auch der Grund, weshalb er gegangen ist.«

»Etwas ging vor sich?« Pris beugte sich vor. »Hat er angedeutet, was das sein könnte?«

Seamus verzog das Gesicht. »Nur dass der Teufel Harkness – das ist der Oberstallmeister bei Cromarty – bis über beide Ohren drinsteckt und dass es, was auch immer es war, um ein Register ging.«

Sie runzelte die Stirn. »Register?«

»Paddy hat nie gesagt, was für ein Register oder warum das wichtig war.« Seamus betrachtete nachdenklich sein Ale, dann blickte er Pris an. »Ich hab gehört, Ihr Bruder kann’s großartig mit Pferden, aber nie, dass er in etwas Anrüchiges verwickelt sei. Der Himmel weiß, Paddy war kein Heiliger, aber wenn da etwas bei Cromarty in den Ställen geschehen ist, das er nicht guthieß, dann scheint es mir wahrscheinlich, dass auch Ihr Bruder damit Probleme bekommt.«

Pris starrte ihn an. »Und Paddy ist spurlos verschwunden.«

»Aye. Ich denke mir, es wäre vielleicht gut, wenn Ihr Bruder das wüsste.« Seamus zögerte eine Sekunde, dann fragte er behutsam: »Er ist Ihr Zwillingsbruder, nicht wahr?«

Pris nickte. »Ja.« Sie musste sich Mühe geben, damit ihre Stimme fest blieb. »Und danke. Ich werde ihm von Paddy erzählen.«

Sie stand auf, hielt inne und fasste in ihre Rocktasche. Sie holte eine Silbermünze heraus und schob sie über den Tisch zu Seamus. »Trinken Sie noch ein Bier. Auf Paddy.«

Seamus schaute auf die Münze, dann brummte er leise: »Danke. Sagen Sie Ihrem Bruder, er soll auf sich aufpassen.«

Pris nickte, drehte sich um und verließ das Wirtshaus.

Zwei Stunden später betrat sie den hinteren Salon von Dalloway Hall.

Ihre Tante Eugenia, die verwitwete Schwester ihres Vaters, die seit dem Tod ihrer Mutter vor sieben Jahren bei ihnen lebte, saß auf einer Chaise und klöppelte Spitze. Auf der breiten gepolsterten Fensterbank hatte sich Adelaide mit einem Roman niedergelassen, Eugenias verwaistes Patenkind, das inzwischen ihr Mündel war.

Sie war ein hübsches junges Mädchen mit schimmerndem braunem Haar, zwei Jahre jünger als die vierundzwanzigjährige Pris. Adelaide blickte auf und legte ihr Buch zur Seite. »Hast du irgendetwas herausgefunden?«

Während sich Pris noch mit fast grimmiger Miene die Handschuhe auszog, schritt sie schon zum Damenschreibtisch am Fenster. »Ich muss Russ unverzüglich schreiben.«

Eugenia ließ ihre Klöppel sinken. »Daraus schließe ich, dass du etwas Beunruhigendes erfahren hast. Was ist es?«

Pris ließ ihre Handschuhe auf den Tisch fallen, schwang ihre schweren Reitröcke zur Seite und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Beide, Eugenia und Adelaide, wussten, wo sie gewesen war und weswegen. »Ich hatte erwartet zu hören, dass Paddy mit dem Oberstallmeister gestritten habe oder etwas Ähnliches. Ich hatte gehofft, der Grund für seine Kündigung bei Cromarty wäre einfach und unverdächtig. Leider ist das nicht der Fall.«

Über den verblassten Prunk des Aubusson-Teppiches hinweg schaute Pris ihrer Tante in die weisen Augen. »Paddy hat davon gesprochen, dass etwas in Cromartys Stallungen vor sich ginge, das ihm überhaupt nicht gefiele – daher ist er auch gegangen. Jetzt ist er verschwunden – seine Freunde glauben, man habe ihn aus dem Weg geräumt.«

Eugenias braune Augen weiteten sich. »Gütiger Himmel!«

»Oh je!« Adelaide schaute sie bestürzt an.

Pris drehte sich zu dem Schreibtisch um und zog die Schublade auf. »Ich werde Russ schreiben und ihm sagen, dass er unverzüglich seine Stellung aufgeben soll. Wenn da etwas Unschönes mit den Pferden geschieht – nun, ihr kennt ja Russ. Er wird sich einmischen, versuchen, es in Ordnung zu bringen. Aber ich will nicht, dass er in Gefahr gerät. Schon gar nicht an einem Ort, wo Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wenn er nicht heimkommen kann und sich mit Papa auseinandersetzen, dann muss er sich eben anderswo nach jemandem umsehen, für den er Pferde trainieren kann.«

Zu ihrem nicht geringen Erschrecken bebte ihre Stimme; sie machte eine Pause, um tief Luft zu holen.

Russ war immer schon verrückt nach Pferden gewesen. Sein Ziel war es, einen irischen Derby-Sieger zu trainieren. Auch wenn sie seine Begeisterung nicht teilte, verstand Pris voll und ganz seinen Drang, diesen Traum zu verwirklichen. Unheilvollerweise hatte ihr Vater Denham Dalloway, der Earl of Kentland, reichlich unbeugsame Ansichten dazu, was sich als angemessene Beschäftigung seines Sohnes und Erben eignete – nämlich vor allem die Verwaltung und Hege des Familienbesitzes. Pferde zu züchten und auszubilden war gut und schön für andere Menschen – im Sinne von Menschen niedrigeren Ranges –, aber für den nächsten Earl of Kentland war es völlig unangemessen.

Von den drei Söhnen des Earls war Russ derjenige, den die Rolle des Landbesitzers als Dreh- und Angelpunkt seines Lebens am wenigsten ausfüllen würde. Wie Pris schlug er mehr nach ihrer Mutter, war mehr keltisch als englisch, wild, mit einem Hang zur Dramatik und lebensfroh. Beide Zwillinge sahen ein, wie wichtig es war, dass der Besitz gut verwaltet wurde, aber die Aufgabe an und für sich besaß keinen Reiz für sie. Glücklicherweise geriet ihr jüngerer Bruder Albert – inzwischen einundzwanzig Jahre alt – nach ihrem Vater: solide, zuverlässig und unerschütterlich; Albert begeisterte sich für die Gutsverwaltung und würde zweifellos darin brillieren.

Pris, Russ und Albert hatten sich immer nahegestanden, wie alle Dalloway-Kinder, aber die anderen drei – Margeret, Rupert und Aileen – waren mit zwölf, zehn und sieben Jahren wesentlich jünger. Daher wurden sie weniger als mögliche Mitverschwörer angesehen. Noch bevor ihre Mutter gestorben war, hatten die drei ältesten Geschwister einen Pakt geschlossen: Russ würde tun, was ihr Vater verlangte, und sich um den Besitz kümmern, bis Albert von der Universität in Dublin zurückkehrte, dann würden sie ihren Plan ihrem Vater präsentieren. Albert sollte in Russ’ Namen die Verwaltung der Ländereien übernehmen, während Russ selbst sich der Aufgabe widmete, ein Gestüt für Rennpferde aufzubauen.

Es war eine Vorstellung für die Zukunft, die allen dreien zusagte.

Vor zwei Monaten war Albert dann aus Dublin zurückgekehrt, seine Studien hatte er abgeschlossen. Nachdem er sich mit dem Besitz wieder vertraut gemacht hatte, waren die drei wie besprochen zum Earl gegangen und hatten ihm ihr Vorhaben vorgetragen, doch der hatte den schönen Plan sogleich weit von sich gewiesen.

Russ würde weiterhin die Verwaltung leiten. Wenn er unbedingt wollte, dürfte Albert ihm helfen. Aber auf keinen Fall würde je ein Dalloway so tief sinken, sich geschäftsmäßig mit der Pferdezucht zu befassen.

So lautete die unmissverständliche Antwort des Earls.

Russ war explodiert. Pris und Albert verstanden ihn; er hatte seinen sehnlichsten Wunsch unterdrückt und sieben Jahre lang alles getan, was ihr Vater verlangte. Jetzt hatte er das Gefühl, dass er verdient hatte, nun endlich das Leben zu führen, das er sich wünschte.

Der Earl hatte nur verächtlich die Lippen verzogen und sich geweigert, die Wünsche seines Erben auch nur in Erwägung zu ziehen.

Es waren Worte gefallen, Dinge gesagt worden, auf beiden Seiten Wunden geschlagen. Über die Grenze des Zumutbaren hinausgetrieben, war Russ außer sich vor Wut aus Dalloway Hall gestürmt. Er hatte nur mitgenommen, was er in seine Satteltaschen stopfen konnte, und war davongeritten.

Sieben Tage später, ziemlich genau vor drei Wochen, hatte Pris einen Brief erhalten, in dem er schrieb, er habe Arbeit in Lord Cromartys Gestüt gefunden, einem der bedeutendsten Rennställe in der benachbarten Grafschaft Wexford.

Der Spalt zwischen ihrem Vater und ihrem Bruder war nun tiefer als je zuvor. Pris war entschlossen, den Riss in ihrer Familie zu flicken, aber erst brauchten die Wunden Zeit, um zu heilen. Das wusste sie. Doch so ohne Russ, zum ersten Mal in ihrem Leben auf Dauer von ihm getrennt, fühlte sie sich einsam und im Stich gelassen, als sei ihr ein wichtiger Teil von sich selbst abhandengekommen. Das Gefühl war viel heftiger als damals, da ihre Mutter gestorben war. Da war Russ ja auch bei ihr gewesen.

Sie hatte sich auf den Weg zu Paddy gemacht, um ihre Sorgen aus dem Weg zu räumen, um die wachsende Beunruhigung wegen Russ zu vertreiben. Stattdessen musste sie erfahren, dass sich Russ in einer lebensbedrohlichen Lage befand.

Sie zog ein Stück Papier aus der Schublade, legte es vor sich auf die Unterlage. »Wenn ich sofort schreibe, kann Patrick hinüberreiten und ihm den Brief gleich heute Abend übergeben.«

»Meine Liebe, ich denke, es wäre besser, wenn du erst einmal das hier liest.«

Pris drehte sich um und sah, wie Eugenia einen Brief unter ihrer Handarbeit hervorzog.

Sie hielt ihn ihr hin. »Von Russ. Der Brief kam heute Mittag mit der Post. Als er dich nicht finden konnte, hat Bradley ihn sicherheitshalber mir gegeben, statt ihn auf dem Tablett in der Eingangshalle liegen zu lassen.«

Wo ihr Vater ihn am Ende bemerkt hätte. Bradley war ihr Butler; wie bei den meisten Bediensteten lagen seine Sympathien bei Russ.

Pris stand auf und nahm den Brief an sich. Sie ging zum Schreibtisch, brach dabei das Siegel und setzte sich wieder, faltete die Blätter auseinander und begann zu lesen.

Die einzigen Geräusche im Zimmer waren das Klappern von Eugenias Klöppelbesteck und das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims.

»Oh nein! Was hast du? Was ist geschehen?«

Adelaides aufgeregte Fragen brachten Pris jäh zu ihnen zurück. Sie schaute von dem jungen Mädchen zu ihrer Tante und las aus ihren besorgten Mienen, dass sich ihr wachsendes Entsetzen auf ihren Zügen gezeigt haben musste.

»Russ ist nach England gegangen – nach Newmarket – mit Cromartys Tross.« Sie befeuchtete sich die trockenen Lippen, schaute wieder auf die Blätter in ihrer Hand. »Er sagt …« Sie machte eine Pause, bis sie sich wieder ganz in der Gewalt hatte, dann sprach sie mit fester Stimme weiter. »Er sagt, er denkt, Harkness, der Oberstallmeister, führe etwas Undurchsichtiges im Schilde, eine Art Betrug bei der Pferdezucht, während sie in Newmarket sind. Er hat zufällig mit angehört, wie Harkness es dem Oberstallburschen erklärt hat – einem üblen Kerl laut Russ. Aber er hat nicht verstanden, wie genau das Manöver vor sich gehen soll, nur dass es mit einem Register zu tun hat. Russ meint, Harkness bezog sich auf das Register mit allen Pferden, die aufgrund ihrer Abstammung auf englischen Rennstrecken laufen dürfen.«

Sie drehte ein Blatt um, überflog die Seite, dann berichtete sie: »Russ schreibt, er kennt sich nicht mit den Details dieses Registers aus, aber wenn er jemals selbst Züchter werden will, dann sollte er auf jeden Fall mehr darüber herausfinden. Da dieses Register in Newmarket im Jockey-Club aufbewahrt wird, kann er das dort leichter tun.«

Auf der letzten Seite angekommen machte sie einen abfälligen Laut. »Der Rest ist voller Plattitüden, in denen er mir versichert, dass es ihm gut geht und ihm nichts passieren wird, wenn etwas schiefgeht, müsse er ja nur Lord Cromarty informieren, ich soll mir keine Sorgen machen … und dann unterschreibt er mit ›dein dich liebender Bruder, der zu einem Abenteuer aufgebrochen ist‹!«

Sie warf den Brief auf den Schreibtisch und drehte sich zu Eugenia und Adelaide um. »Ich muss wohl nach Newmarket reisen.«

Entschlossen reckte Adelaide ihr Kinn. »Wir alle drei gehen nach Newmarket – du kannst nicht alleine fahren.«

Pris schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, dann schaute sie zu Eugenia.

Ihre Tante musterte sie, dann nickte sie und begann ihre Handarbeit wegzuräumen. »Allerdings, Liebes. Ich sehe keine andere Möglichkeit. So sehr ich Russ auch liebe, wir können nicht zulassen, dass er damit alleine fertig werden muss – was auch immer es nun ist. Und wenn da etwas Undurchsichtiges geplant wird, kannst du noch nicht einmal riskieren, ihn in einem Brief zu warnen – für den Fall, dass er in falsche Hände fällt. Du musst wohl mit ihm sprechen.«

Sie faltete die Hände auf der Klöppelbank und schaute Pris fragend an. »Welche Geschichte wollen wir deinem Vater auftischen, die unseren plötzlichen Wunsch erklärt, nach England zu reisen?«

1

September 1831

Newmarket, Suffolk

»Ich hatte eigentlich gehofft, uns wäre eine längere Phase der Ungestörtheit gegönnt.« Dillon Caxton ließ die Tür des Kaffeehauses Twig & Bough auf der High Street in Newmarket hinter sich ins Schloss fallen und trat neben Barnaby Adair auf den Bürgersteig. »Unheilvollerweise hat der Sonnenschein die Damen und ihre Töchter in Scharen aus den Häusern gelockt.«

Dillon ließ seinen Blick über die Kutschen schweifen, die sich auf der Straße drängten, und war gezwungen, zwei Matronen zu grüßen, die beide strahlend lächelnde Töchter an ihrer Seite hatten. Rasch klopfte er Barnaby auf den Arm und begann in die entgegengesetzte Richtung zu schlendern. »Komm, wenn wir herumstehen, laden wir zum Angriff geradezu ein.«

Schmunzelnd folgte ihm Barnaby. »Du klingst noch weniger angetan von den jungen Dingern, als Gerrard es war.«

»Da du in London lebst, bist du vermutlich wesentlich Schlimmeres gewohnt, aber denke auch an uns, die wir unser ländliches Leben schätzen. Für uns ist selbst die Kleine Saison eine unerwünschte Erinnerung an das, was wir verzweifelt zu vermeiden suchen.«

»Wenigstens hast du mit diesem jüngsten Fall etwas, das dich ablenkt. Einen ausgezeichneten Vorwand, dich anderswo aufzuhalten, anderes zu tun.«

Als er eine Matrone erblickte, die ihrem Kutscher gerade die Anweisung gab, ihren Landauer etwa zehn Schritt vor ihnen am Straßenrand zum Stehen zu bringen, fluchte Dillon lautlos. »Da nun einmal unglücklicherweise dieser Fall unser Geheimnis bleiben muss, fürchte ich, wird Lady Kershaw zum Zug kommen.«

Ihre Ladyschaft, eine engstirnige Dame der örtlichen Gesellschaft, winkte sie herrisch zu sich. Da war nichts zu machen; Dillon ging zu ihrer nunmehr wartenden Kutsche und begrüßte Ihre Ladyschaft und deren Tochter Margot, dann stellte er Barnaby vor. Sie standen da und machten etwa fünf Minuten lang höfliche Konversation. Aus dem Augenwinkel bemerkte Dillon, wie viele interessierte Blicke sie auf sich zogen und dass eine Reihe Matronen nun ebenfalls ihren Kutschern das Zeichen gaben, am Randstein anzuhalten.

Zu Barnaby schauend, der sein Bestes gab, Miss Kershaws Erwartungen gerecht zu werden, seufzte Dillon innerlich. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie beide – so nebeneinanderstehend – wirkten. Er selbst wurde allgemein als gut aussehend beschrieben, ja, mit seinen dunklen Haaren verglich man ihn oft genug mit Lord Byron, und Barnaby galt gemeinhin als blonder Adonis, mit seinen Locken und den hellblauen Augen– sie bildeten einen perfekten Kontrast. Sie waren beide hoch gewachsen, gut gebaut und elegant gekleidet. In der kleinen Gesellschaft Newmarkets war es kein Wunder, dass die Damen Schlange standen, um mit ihnen zu plaudern. Unseligerweise lag ihr Ziel, der Jockey-Club, noch gute hundert Schritt entfernt; es würde ein Spießrutenlauf werden.

Sie fügten sich ins Unvermeidliche und meisterten die Lage mit der Gewandtheit und Sicherheit, die aus zahllosen Stunden in den Ballsälen des Londoner Ton stammte. Trotz seiner Vorliebe für das Leben auf dem Lande hatte auch Dillon dank seiner Cousine Flick – Felicity Cynster – im letzten Jahrzehnt einen Teil seiner Zeit im Kreise der guten Gesellschaft verbracht – in London und anderswo, um, wie Flick es ausdrückte, nicht aus der Übung zu kommen.

Übung wofür, das war hier die Frage, auf die er sich nicht länger sicher war, die Antwort zu kennen. Vor seinem Absturz und dem Skandal, der sein Leben bis in die Grundfesten erschüttert hatte, war er immer davon ausgegangen, dass er heiraten würde, eine Familie haben und alles, was dazugehörte. Doch während er die letzten zehn Jahre damit verbracht hatte, sein Leben in Ordnung zu bringen, seine Schulden – die gesellschaftlichen und moralischen Verpflichtungen – zu begleichen und sich und seine Ehre in den Augen aller, die ihm wichtig waren, wiederherzustellen, hatte er sich an sein Leben allein gewöhnt, an das Dasein eines unbelasteten Gentlemans.

Mit einem Lächeln für Lady Kennedy, die dritte Matrone, die sie aufhielt, entschuldigte er sich und Barnaby und schlenderte mit ihm weiter, ohne die Reihe wartender Kutschen mit ihrer liebreizenden Last aus dem Auge zu lassen. Nicht eine weckte auch nur das leiseste Interesse in ihm. Kein einziges der süßen Gesichter entlockte ihm einen Anflug von Neugier.

Unglückseligerweise hatte die Tatsache, dass er nun im Ruf stand, hartherzig und unempfänglich für weibliche Reize zu sein, nur Öl ins Feuer der Hoffnungen der Damen gegossen. Zu viele betrachteten ihn nun als Herausforderung, ein widerspenstiges Mannsbild, das sie unbedingt bekehren wollten. Was ihre Mütter anging, so musste er mit jedem Jahr, das verstrich, mehr auf der Hut sein, die Augen nach Fallen aufhalten, die Sorte gesellschaftlicher Fallen, die gewisse Mütter unachtsamen Junggesellen stellten.

Sogar jene auserwählten Damen, mit denen er sich gelegentlich und äußerst diskret in der Stadt auf mehr einließ, standen nicht darüber, Pläne zu schmieden. Seine letzte Geliebte hatte versucht, ihn von den zahlreichen Vorzügen einer Heirat mit ihrer Nichte zu überzeugen. Zu besagten Vorzügen gehörte natürlich auch sie selbst.

Er war gar nicht empört gewesen, noch nicht einmal überrascht; er stand dicht davor, dem Thema Ehe ein für alle Mal den Rücken zu kehren.

»Mrs Cartwell, es ist mir eine Freude, Sie zu sehen.« Er nahm die Hand, die die hochnäsige Matrone ihm hinhielt, schüttelte sie und verneigte sich vor der lieblichen Vision neben ihr, dann machte er einen Schritt zurück und stellte Barnaby vor. Immer an Menschen interessiert, begann Barnaby nach einer höflichen Begrüßung ein belangloses Gespräch mit der reizenden Miss Cartwell; in feiger Dankbarkeit hielt Dillon sich zurück und überließ ihm die Bühne.

Mrs Cartwell verfolgte den Austausch zwischen ihrer Tochter und Barnaby, dem dritten Sohn eines Earls und somit einem ebenso begehrenswerten Junggesellen wie Dillon selbst, mit Argusaugen. Mit der Rolle als Randfigur mehr als zufrieden wandte sich Dillon in Gedanken wieder dem Thema zu, das zu besprechen er und Barnaby sich ins Twig & Bough zurückgezogen hatten, bis sie von den eindringenden Damen vertrieben worden waren. Sie hatten sich für die ruhigere Gaststätte für die gehobene Gesellschaft statt des Kaffeehauses des Clubs, das bei den Anhängern des Reitsports beliebt war, entschieden, einfach aus dem Grund, dass das Thema ihrer Unterhaltung in Rennsportkreisen zu gespitzten Ohren und tuschelnden Zungen führen würde.

Ein weiterer Skandal beim Pferderennen war genau das, was er sich zu verhindern bemühte.

Dieses Mal allerdings war er nicht auf der falschen Seite darin verwickelt; dieses Mal war er von dem allmächtigen Komitee des Jockey-Clubs hinzugezogen worden, um den Gerüchten eines Wettbetruges nachzugehen, die nach der letzten Rennsaison im Frühjahr aufgekommen waren.

Diese Bitte war ein beabsichtigter und bedeutender Vertrauensbeweis – eine Erklärung, dass das Komitee seine Jugendsünden als gesühnt ansah, die Schuld getilgt war. Mehr noch, es war eine Bestätigung, dass das Komitee vollkommenes Vertrauen in ihn hatte, in seine Verschwiegenheit, seine Hingabe für die Zucht von Rennpferden, den Pferdesport insgesamt, den das Komitee überwachte und dem er und sein Vater vor ihm so lange gedient hatten.

Sein Vater General Caxton hatte sich längst zurückgezogen, Dillon war nun Hüter des Abstammungsregisters und des Zuchtbuchs, den beiden offiziellen Werken, die gemeinsam über die Zucht und die Rennen von Vollblütern in England herrschten. In dieser Rolle war er darum gebeten worden, nachzuforschen, was an den Gerüchten dran war.

Da es sich nun einmal um Gerüchte handelte, die zudem in diesem Fall aus London stammten, hatte er den ehrenwerten Barnaby Adair, einen guten Freund Gerrard Debbingtons, um Hilfe gebeten. Dillon kannte Gerrard gut, schon seit vielen Jahren wegen ihrer beider Verbindung zu der mächtigen Familie der Cynsters; Barnaby hatte Gerrard kürzlich bei der Aufdeckung eines bestürzenden Mordfalles unterstützt. Als Dillon die Möglichkeit eines Betrugs beim Pferderennen erwähnt hatte, hatten Barnabys Augen aufgeleuchtet.

Das war Ende Juli gewesen. Barnaby hatte gewissenhaft ermittelt und hatte im August berichtet, dass, obwohl es die Gerüchte tatsächlich gab, sie doch recht vage waren und mehr damit zusammenhingen, dass Pferde, von denen die Leute gedacht hatten, sie müssten gewinnen, stattdessen verloren hatten. Kaum etwas Bemerkenswertes im Rennsport. Es schien wenig Greifbares dahinterzustecken, keine belastenden Fakten. Nichts, was weitere Ermittlungen rechtfertigte.

Nachdem die ersten Rennen der Herbstsaison gelaufen waren, war allerdings etwas Merkwürdiges geschehen. Seltsam genug für Dillon, um Barnaby zu rufen.

In der Ruhe des Twig & Bough hatte er die Einzelheiten von drei verschiedenen Versuchen geschildert, in den Jockey-Club einzubrechen, begleitet von Berichten eines Mannes, der sich in den örtlichen Kaschemmen – Kneipen, die der Abschaum der Stadt bevorzugte – nach dem »Register« erkundigte.

Sie waren gerade erst damit fertig gewesen, zusammenzutragen, was man über diesen Unbekannten wusste – einen Iren, seinem Akzent nach –, als immer mehr in das Kaffeehaus strömende Damen sie vertrieben hatten. Dillons Büro im Jockey-Club war nun ihr Ziel, der einzige Ort, an dem sie ihre Diskussion einigermaßen ungestört fortführen konnten.

Aber es war nur ein schleppendes Vorwärtskommen. Mrs Cartwell eben erst entkommen, fielen sie Lady Hemmings zum Opfer. Nachdem sie Ihre Ladyschaft verlassen hatten, ergriff Dillon die Gelegenheit beim Schopfe, als zwei Gruppen Damen gerade durch ihre Gespräche abgelenkt waren, Barnaby zwischen den beiden Wagen über die Straße zu bugsieren. Sie schritten schneller; als die Damen schließlich merkten, dass sie ihnen durch die Finger geschlüpft waren, waren die beiden längst in die mit hohen Bäumen gesäumte Auffahrt eingebogen, die zur Eingangstür des Jockey-Clubs führte.

»Himmel!« Barnaby warf ihm einen Blick zu. »Ich verstehe, was du meinst. Es ist schlimmer als in London – es sind weniger von uns, die ihr Feuer auf sich ziehen.«

Dillon nickte. »Glücklicherweise sind wir nun sicher. Die einzigen Frauen, die man je in diesen heiligen Hallen zu sehen bekommt, sind pferdeverrückt und nicht auf der Jagd nach Ehemännern.«

Auf dem Weg zur Eingangstür befand sich im Augenblick niemand, daher wurde er langsamer und griff ihre unterbrochene Diskussion wieder auf. »Diese Einbrüche – wenn jemand nach ›einem Register‹ fragt, stehen die Chancen gut, dass es um das Abstammungsregister geht, vermutlich auch das, worauf unser Möchtegerndieb aus ist. Sonst befindet sich nichts von Wert in den Mauern des Jockey-Clubs.«

Gemächlich schlendernd blickte Barnaby zu dem soliden roten Ziegelgebäude am Ende der schattigen kurzen Allee. »Sicherlich gibt es doch irgendwelche Cups, Teller, Medaillen – Sachen, die etwas wert wären, wenn man sie einschmilzt. Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass ein Dieb darauf aus ist?«

»Die meisten dieser Trophäen sind nur versilbert oder vergoldet. Ihr Wert ist eher ideell. Und dieser Dieb ist nicht vom Fach, aber er scheint entschlossen. Außerdem ist das doch ein zu großer Zufall – erst fragt jemand nach ›dem Register‹, und kurz darauf versucht man, in den Club einzubrechen, in dem das Objekt, das man in Newmarket gemeinhin als ›das Register‹ bezeichnet, aufbewahrt wird.«

»Stimmt«, räumte Barnaby ein. »Also, inwiefern ist das Abstammungsregister wertvoll? Kann man dafür Lösegeld erpressen?«

Dillon hob die Brauen. »Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber das wäre gefährlich. Der Verlust des Abstammungsregisters würde den gesamten Rennsport zum Erliegen bringen. Wollte man es also dazu verwenden, würde sich das sicherlich rasch als ungesund erweisen. Sollte das Abstammungsregister verschwinden, würde es mich nicht überraschen, wenn es innerhalb von drei Tagen wie von Zauberhand wieder auftaucht.« Er sah zu Barnaby. »In diesem Sport gibt es nicht wenige, die bereit sind, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, besonders bei solchen Sachen.«

Barnaby runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, du hättest gesagt, der Dieb sei hinter dem Abstammungsregister her?«

»Nicht das Register allein – das Bücherpaar –, sondern die Informationen, die es enthält. Die sind Gold wert.«

»Wie das?«

»Da«, räumte Dillon ein, »bin ich mir nicht wirklich sicher. Es kommt darauf an, wozu die Information benutzt wird. Wie auch immer, im Lichte der früheren Gerüchte drängt sich eine mögliche Verwendung auf.«

Er schaute Barnaby in die Augen. »Pferdetausch. Es war vor ein paar Jahrzehnten, ehe man das derzeitige System einführte, gang und gäbe. Ein Pferd kam in den Ruf zu gewinnen, dann tauschten die Besitzer es in einem Rennen gegen ein anderes, gaben es aber als den vorherigen Gewinner aus, und die Wetter verloren. Die Besitzer steckten mit bestimmten Buchmachern unter einer Decke und konnten sich einen netten Anteil der verlorenen Wetten einstecken und zusätzlich noch das, was sie und ihre Freunde dabei gewonnen hatten, gegen den Gewinn des Champions zu setzen.«

»Aha!« Barnabys Augen verengten sich. »Unerwartete Verlierer – wie es sie den Gerüchten nach im Frühjahr gegeben hat.«

»Genau. Und da kommt das Abstammungsregister ins Spiel. Es ist eine Liste, in der für jedes Pferd zwingend erforderlich seine Herkunft und Abstammung aufgeführt werden muss, damit es das Recht zuerkannt bekommt, auf englischen Rennstrecken unter den Regeln des Jockey-Clubs anzutreten. Der Stammbaum ist vollständig im Zuchtbuch dokumentiert, während das Register im Grunde genommen eher eine Lizenzliste ist – jedes Pferd muss genehmigt und eingetragen werden, ehe es die Erlaubnis erhält, auf irgendeiner Rennbahn unter der Aufsicht des Jockey-Clubs zu laufen. Allerdings enthält der Registereintrag zusätzlich zu Namen und anderen Einzelheiten eine Beschreibung des Tieres, die ausreichend sein muss, irgendein Pferd irgendeines Namens, Alters, Stammbaumes und mit einer Rennerlaubnis von jedem anderen Pferd zu unterscheiden.«

Dillon schnaubte. »Es ist unmöglich, immer hundertprozentig sicher zu sein, aber mithilfe dieser Beschreibung begutachtet jeder Rennleiter vor jedem Rennen alle startenden Pferde und noch einmal alle Platzierten nach dem Rennen. Daher müssen die Pferde auch immer schon Wochen vorher zum Wettrennen gemeldet werden, damit die Rennleiter mit Kopien der Beschreibungen ausgestattet werden können, die auf die gemeldeten Tiere zutreffen müssen.«

»Und diese Beschreibungen stammen aus dem Abstammungsregister, das hier in Newmarket geführt wird?«

»Meine Schreiber sind damit beschäftigt, diese Kopien der Beschreibungen anzufertigen.«

»Und warum wäre unser Dieb dann an den Beschreibungen interessiert, die in dem Buch aufgeführt sind? Inwiefern würde es ihm nützen?«

»Da fallen mir auf Anhieb zwei Wege ein.« Dillon schaute nach vorne; sie hatten beinahe die Eingangstür des Jockey-Clubs erreicht. »Zunächst einmal, wenn sein Herr einen Champion ersetzen möchte, der ihm gehört, muss er wissen, welche Eigenschaften seines Pferdes in der Beschreibung am wichtigsten sind, weil das Austauschpferd genau diese Eigenschaften unbedingt haben müsste, damit der Tausch unbemerkt bleibt.«

Sie blieben am Fuße der flachen Steinstufen stehen, die zur Tür des Clubs führten, und er drehte sich zu Barnaby um. »Die zweite Möglichkeit ist, dass wer auch immer unseren Dieb geschickt hat, einen neuen Tausch plant, aber noch kein passendes Pferd dafür gefunden hat. Die Beschreibungen im Register durchzugehen würde Zeit kosten, aber am Ende fraglos zu dem besten ›Opfer‹ führen.«

Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Vergiss nicht, dass in einem solchen Austausch das Pferd nur die anfängliche Begutachtung passieren muss, die weniger gründlich ist. Weil das ausgetauschte Pferd als eines der letzten ins Ziel kommt, fällt es nicht unter die abschließende und wesentlich eingehendere Untersuchung nach dem Rennen.«

Barnaby runzelte die Stirn. »Also könnten wir hier eine bereits eingeführte Betrugsmasche haben, nach der im letzten Frühjahr Pferde unbemerkt ausgetauscht wurden, plus einen Iren, der vermutlich für einen Besitzer handelt und versucht, Einblick in das Register zu erhalten, um weitere Tauschmanöver durchzuführen.«

Dillon nickte. »Ob das eine direkt mit dem anderen verbunden ist – nun, es gibt keinen Grund, dass dem so sein muss. Es ist nur wahrscheinlich.«

Barnaby schnaubte leise. »Das Gefühl habe ich aber.«

Sie drehten sich zur Eingangstür des Clubs um. Beide blieben stehen, als sie durch die Glasscheibe der Tür den Pförtner des Clubs erkennen konnten, wie er gerade eilig nach der Klinke griff.

Er öffnete die Tür weit und verneigte sich unterwürfig, stolperte beinahe über seine Schuhspitzen, während er zurückwich, um einer Dame Platz zu machen, die den Club verlassen wollte.

Aber nicht einfach irgendeine Dame. Eine schimmernde Vision in Smaragdgrün – sie verharrte auf der obersten Stufe, erschrocken, plötzlich den beiden Männern gegenüberzustehen.

Ihr Kopf, gekrönt von einem seidigen schwarzblauen Lockengewirr, hob sich instinktiv. Und ihre Augen – von einem noch leuchtenderen Grün als ihr elegantes Kleid – schauten an ihnen empor; als ihr Blick Dillons traf, wurden sie groß.

Barnaby murmelte eine Entschuldigung und trat zur Seite.

Dillon bewegte sich nicht.

Einen endlosen Moment lang war alles, was er sehen konnte – seine ganze Welt – dieses Gesicht.

Diese Augen.

Strahlend grün, glitzernde Smaragde – voller Versprechen und Verlockungen.

Sie war von durchschnittlicher Größe; da sie zwei Stufen über ihm stand, befanden sich ihre wunderschönen Augen auf einer Höhe mit seinen. Er war sich vage der klassischen Symmetrie ihres herzförmigen Gesichts bewusst, makelloser, fast durchschimmernder Haut, zart geschwungener Brauen, dichter schwarzer Wimpern und einer geraden kleinen Nase sowie eines Mundes, der nur einen Hauch zu groß war. Ihre Lippen waren voll und eine sinnliche Einladung, aber statt die Vollkommenheit ihrer Schönheit zu beeinträchtigen, ließen diese Lippen ihr Gesicht erst lebendig werden.

Wie ein dummer Junge stand er da und starrte sie an.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Pris zurück, während sie versuchte, zu Atem zu kommen. Sie hatte das Gefühl, als ob einer ihrer Brüder sie in den Bauch geboxt hätte. Jeder ihrer Muskeln hatte sich zusammengezogen und verkrampft, es gelang ihr einfach nicht, sie kraft ihres Willens zu lockern.

Neben ihr strahlte der hilfsbereite Pförtner. »Wie gut, Miss. Hier ist Mr Caxton.«

Ihre Gedanken überschlugen sich.

Zu den Herren sagte er: »Diese Dame hat nach dem Register gefragt, Sir. Wir haben ihr erklärt, dass sie erst mit Ihnen sprechen müsse.«

Welcher von beiden war Caxton? Himmel, bitte, lass es nicht ihn sein!

Sie riss ihren Blick von den dunklen Augen los, in denen sie irgendwie versunken zu sein schien, und schaute hoffnungsvoll zu dem griechischen Gott, aber das wetterwendische Schicksal war ihr heute nicht gewogen. Der griechische Gott sah seinen sündhaft gut aussehenden Begleiter an. Zögernd folgte sie seinem Beispiel.

Seine ganz tiefdunkelbraunen Augen, die eben genauso erstaunt gewirkt hatten, wie sie sich fühlte – sie bezweifelte, dass es ihm oft passierte, ein weibliches Wesen zu treffen, das die gleiche dramatische Schönheit besaß wie er selbst –, hatten sich nun verhärtet. Unter ihrem Blick wurden sie schmaler.

»Ach ja?«

Die exakte Aussprache, der arrogant überlegene Tonfall verrieten ihr alles, was sie über seine gesellschaftliche Stellung und seinen Hintergrund wissen musste. Die darin liegende Macht bewirkte, dass sie den Kopf hob und die Tochter des Earls zum Vorschein brachte. Sie lächelte freundlich, selbstsicher. »Ich hatte gehofft, das Register ansehen zu können, sofern das möglich ist.«

Sofort spürte sie, dass das Interesse der Männer geweckt war – eine konzentrierte Aufmerksamkeit, die auf sie gerichtet war und nichts mit ihrem Lächeln zu tun hatte. Ihr Blick blieb an Caxton hängen, an den dunklen Augen, in denen – falls sie sich nicht sehr täuschte – Misstrauen aufflammte; im Geiste ging sie ihre Worte durch, konnte aber nichts finden, das diese Reaktion hätte auslösen können. Sie schaute den griechischen Gott an, bemerkte den warnenden Blick, den er ihm sandte – es war ihr Akzent, der diese Reaktion ausgelöst hatte.

Wie alle irischen Adeligen sprach sie fehlerloses Englisch, aber gleichgültig, wie viele Stunden sie ihre Aussprache schulte, es war nicht möglich, den leisen Singsang, den Stempel Irlands, vollkommen aus ihrer Stimme zu entfernen.

Bei Russ war es ebenso.

Sie drängte die jäh in ihr aufkeimenden Gefühle zurück – Hoffnung, Erwartung – und schaute wieder zu Caxton. Sie fing seinen Blick auf, hob eine Braue. »Vielleicht könnten Sie mir nun, da Sie zurückgekehrt sind, bei meinen Nachforschungen helfen?«

Sie würde nicht zulassen, dass sein unglaublich attraktives Äußeres oder ihre nie zuvor aufgetretene Reaktion darauf ihr in die Quere kam.

Vielmehr lieferte ihr seine Reaktion auf sie eine Waffe, die zu benutzen sie wild entschlossen war. Sie würde alles tun, absolut alles ohne Einschränkungen, um Russ zu helfen; nach der Pfeife eines Engländers zu tanzen und ihn dabei um den Finger zu wickeln war dabei kaum der Rede wert.

Dillon neigte den Kopf zustimmend und bedeutete ihr, wieder hineinzugehen – in sein Reich. Dieses ablenkende Lächeln spielte weiterhin um ihre noch ablenkenderen Lippen, als sie sich umdrehte und darauf wartete, dass der Pförtner ihr Platz machte, dann trat sie durch die Tür ins Foyer.

Dillon folgte ihr über die Stufen nach drinnen. Er hatte den berechnenden Ausdruck in ihren leuchtenden Augen gesehen und war gewarnt. Eine irische Dame, die darum bat, das Register zu sehen? Oh ja, er würde auf jeden Fall mit ihr sprechen.

In der Eingangshalle blieb sie stehen, warf ihm über die Schulter einen angeboren hochmütigen Blick zu. Trotz der Forderungen seines Verstandes spürte er, wie sein Körper reagierte, als er ihr in die direkt und irgendwie herausfordernd schauenden Augen sah; er fragte sich unwillkürlich, ob sie, ihre Taten, ihre Blicke wirklich berechnend waren oder nicht doch unbewusst.

Und welche von beiden Möglichkeiten für ihn gefährlicher wäre.

Mit einem unverbindlichen, eher kühlen Lächeln deutete er auf den Flur zur Linken. »Zu meinem Büro geht es dort entlang.«

Sie erwiderte seinen Blick einen Herzschlag lang, offensichtlich ohne Barnaby zu bemerken, der direkt neben ihm stand. »Und das Register?«

Angesichts ihrer Hartnäckigkeit musste er sich ein Grinsen verkneifen. Sie war nicht nur unglaublich schön, sondern besaß auch Geist und Schlagfertigkeit. »Der neuste Band ist auch dort.«

Sie ließ sich über den Flur führen. Er folgte einen halben Schritt hinter ihr. Weit genug entfernt, um ihre Figur bewundern zu können, ihre schmale Mitte und die geschwungenen Hüften, die durch die herrschende Mode leicht nach oben verrutschter Taillen nicht verborgen wurde; unwillkürlich malte er sich aus, wie lang ihre Beine wohl sein mochten, die von den einladend schwingenden Hüften zu den erstaunlich zierlichen Halbstiefelchen reichen mussten, die er unter dem Saum ihrer smaragdgrünen Röcke erblickt hatte.

Ein kleiner flacher Hut mit einer gefärbten Feder thronte auf den dicken Locken an ihrem Hinterkopf. Von vorne war nur die Spitze der Feder zu sehen, die über ihrem rechten Ohr neckisch gebogen war.

Er wusste genug von weiblicher Mode, um sowohl Kleid als auch Hut der neuesten Entwicklung zuzuordnen, beinahe sicher aus London stammend. Wer auch immer die Dame war, sie war weder arm noch stand sie, so vermutete er, gesellschaftlich unter ihm.

»Die nächste Tür rechts.« Er freute sich schon darauf, sie in seinem Büro zu haben, im Stuhl vor seinem Schreibtisch, wo er sie gründlich mustern und eingehend befragen konnte.

Er griff an ihr vorbei, als sie an der Tür stehen blieb, und ließ sie aufschwingen. Mit einem königlichen Nicken betrat sie das Zimmer. Er folgte ihr und winkte sie zu dem Stuhl vor dem Schreibtisch. Dann ging er um den zwischen zwei hohen Fenstern stehenden Tisch herum und nahm auf dem Stuhl dahinter Platz.

Barnaby schloss ruhig die Tür, dann setzte er sich auf einen Lehnstuhl an der Seite, gegenüber dem Regal, in dem die jüngste Ausgabe des Abstammungsregisters ruhte. Dillon fing kurz Barnabys Blick auf und verstand, dass der die Rolle des sprichwörtlichen Mäuschens spielen wollte und ihm das Fragenstellen überlassen, damit er in Ruhe Miss …

Lächelnd wandte er sich an sie: »Ihr Name, Miss …?«

Sich offensichtlich in dem hohen Stuhl mit den gepolsterten Armlehnen wohlfühlend, erwiderte sie das Lächeln. »Dalling. Miss Dalling. Ich gestehe, ich habe keine Ahnung von oder auch nur echtes Interesse am Rennsport oder Rennpferden, aber ich hatte gehofft, mir einmal dieses Register ansehen zu können, von dem man so viel hört. Der Pförtner hat mir zu verstehen gegeben, dass Sie der Hüter dieses berühmten Wälzers sind. Ich dachte, es sei öffentlich einsehbar wie das Geburten- und Sterberegister, aber offenbar ist das nicht der Fall.«

Sie hatte eine melodische, beinahe hypnotisierende Stimme, nicht unbedingt sirenenhaft, sondern mehr die einer Märchenerzählerin, die einen lockte, ihr zu glauben, ihr zu vertrauen und entsprechend zu antworten.

Dillon bekämpfte den Drang dazu und zwang sich, leidenschaftslos zuzuhören, suchte, fand und klammerte sich an seine sonstige Unnahbarkeit. Obwohl ihre Worte wie Aussagen klangen, spürte er die Fragen dahinter. »Das Register, auf das Sie anspielen, ist allgemein als das Abstammungsregister bekannt und kein öffentlich zugängliches Dokument. Es ist ein Archiv des Jockey-Clubs. Genau genommen ist es eine Auflistung von Pferden, die auf den von dem Club geführten Rennstrecken laufen dürfen.«

Sie trank jedes seiner Worte von seinen Lippen. »Verstehe. Wenn man sich also … vergewissern möchte, dass ein bestimmtes Tier die Erlaubnis für diese Rennbahnen besitzt, dann würde man im Abstammungsregister nachsehen.«

Eine weitere Frage, die in einem Aussagesatz verpackt war. »Ja.«

»Also ist es möglich, in das Register Einsicht zu erhalten.«

»Nein.« Er lächelte, absichtlich ein wenig herablassend, als sie die Stirn runzelte. »Wenn Sie wissen wollten, ob ein bestimmtes Pferd an einem Rennen teilnehmen darf, dann müssten Sie diese Auskunft beantragen.«

»Beantragen?«

Endlich eine offene unverhohlene Frage; er vertiefte sein Lächeln. »Sie füllen ein Formular aus, und einer der Schreiber besorgt Ihnen die gewünschte Information.«

Sie sah angewidert aus. »Ein Formular.« Mit einem abschätzigen Fingerschnippen bemerkte sie. »Es ist eben England.«

Darauf erwiderte er nichts. Als klar wurde, dass er nicht nach dem Köder schnappen würde, versuchte sie eine andere Taktik.

Sie lehnte sich ein wenig vor. Vertrauensvoll richtete sie ihre großen grünen Augen auf sein Gesicht, zog gleichzeitig Aufmerksamkeit auf ihren wirklich beeindruckenden Busen, zwar nicht übergroß, aber an ihrer schlanken Figur köstlich verlockend.

Nachdem er sie vorhin schon betrachtet hatte, gelang es ihm, seinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet zu halten.

Sie lächelte leise, verführerisch. »Sicherlich könnten Sie es mir doch gestatten, einen Blick auf das Register zu werfen, oder? Nur ganz kurz?«

Er schaute in ihre smaragdgrünen Augen und verfiel ihrem Zauber. Wieder. Diese Stimme, nicht schwül oder sinnlich, aber irgendwie verheerender in ihrer Wirkung, drohte ihn erneut nach unten zu ziehen; er musste darum kämpfen, das lähmende Gefühl abzuschütteln.

Und sein Stirnrunzeln zu verhindern kostete ihn noch mehr Mühe. »Nein.« Er setzte sich anders hin, milderte seine Absage. »Das ist, fürchte ich, nicht möglich.«

Eine Falte erschien auf ihrer Stirn, ihre Verständnislosigkeit wirkte völlig echt. »Warum nicht? Ich möchte es mir einfach nur ansehen.«

»Warum? Was steckt hinter Ihrem Interesse an dem Abstammungsregister, Miss Dalling? Nein, warten Sie.« In seine Augen trat eine gewisse Härte, er ließ sie seinen Argwohn sehen. »Sie haben uns bereits gesagt, dass Sie kein echtes Interesse an der Sache haben. Warum ist Ihnen dann das Register so wichtig?«

Sie erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln. Ein Moment verstrich, dann seufzte sie und entspannte sich sichtlich, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Es ist wegen meiner Tante.«

Als er sie überrascht anschaute, winkte sie ab. »Sie ist exzentrisch. Ihre jüngste Leidenschaft sind Rennpferde, darum sind wir hier. Sie ist auf alles und jedes – und sei es noch so unbedeutend – neugierig. Sie hat irgendwo von dem Register gelesen, und jetzt gibt sie keine Ruhe, bis sie alles darüber weiß.«

Sie seufzte übertrieben. »Ich dachte, hier wäre man nicht begeistert, wenn eine zerstreute alte Dame herkäme und in Ihrem Foyer herumliefe. Daher bin ich da.« Sie richtete ihre beunruhigend grünen Augen auf ihn und fuhr fort: »Und daher würde ich gerne einen Blick auf dieses Abstammungsregister werfen. Nur einen.«

Das klang beinahe flehentlich; Dillon überlegte, was er antworten sollte.

Er könnte wirklich zum Regal gehen, die gültige Ausgabe hervorholen und vor ihr auf den Schreibtisch legen. Die Vorsicht mahnte ihn, ihr nicht zu zeigen, wo das Register sich befand oder auch nur, wie es aussah. Er konnte ihr verraten, welche Information in jedem Registereintrag stand, aber auch damit konnte er das Schicksal herausfordern. Diese Gefahr war zu ernst, um sie zu ignorieren.

Vielleicht sollte er sie zwingen, Farbe zu bekennen, und vorschlagen, ihre Tante zu ihm zu bringen, aber egal wie eindringlich er in ihren Augen suchte, er konnte sich nicht sicher sein, ob sie bezüglich ihrer Tante log. Es war möglich, dass ihre Geschichte, so unwahrscheinlich sie auch klang, die Wahrheit war. Das konnte am Ende dazu führen, dass er für eine liebenswerte alte Dame die bis dahin nie gebrochene Regel missachtete, dass es niemandem außer ihm und den Schreibern gestattet war, das Abstammungsregister einzusehen.

Einer Dame, der man zudem nicht trauen konnte, darüber absolutes Stillschweigen zu bewahren.

»Ich fürchte, Miss Dalling, alles, was ich Ihnen sagen darf, ist, dass die Einträge im Register aus einer Auflistung von Rennerlaubnissen für einzelne Pferde bestehen, unter den Regeln des Jockey-Clubs zu laufen.« Er breitete die Hände mitleidheischend aus. »Das ist alles, was ich frei bin, Ihnen zu sagen.«

Ihre grünen Augen waren hart wie Glas geworden. »Was für eine Geheimniskrämerei.«

Er lächelte leise. »Jeder hat seine Geheimnisse.«

Die Entfernung zwischen ihnen war zu groß, als dass er sich sicher sein konnte, aber er hatte das Gefühl, als schleuderten ihre Augen Blitze. Einen Moment lang hing der Ausgang in der Schwebe – ob sie den Rückzug antreten oder eine andere Masche, ihn zu überreden, versuchen würde. Aber dann seufzte sie nur, nahm ihr Retikül aus ihrem Schoß und erhob sich anmutig.

Dillon tat es ihr nach und verspürte zu seiner Überraschung den Drang, etwas zu unternehmen, um ihren Besuch zu verlängern. Aber als er um den Schreibtisch herumging, kam er ihr nah genug, um den Ausdruck in ihren Augen zu sehen. Zorn stand darin – ein irisches Temperament, das zu ihrem Akzent passte. Es war gezügelt, aber sie war eindeutig verärgert und wütend auf ihn.

Weil es ihr nicht gelungen war, ihn ihrem Willen zu beugen.

Er spürte, wie es um seine Lippen zuckte, sah den Ärger in ihrem Blick wachsen und sich verfestigen. Sie hätte auf den ersten Blick wissen müssen, dass er ihren Reizen nicht erliegen würde.

»Danke für Ihre Zeit, Mr Caxton.« Ihr Ton war kalt, eisig kalt, soweit das bei ihrem weichen Akzent möglich war. »Ich werde meine Tante in Kenntnis setzen, dass sie mit ihren Fragen wird leben müssen.«

»Es tut mir leid, wenn ich eine alte Dame enttäuschen muss, aber …« Er zuckte die Achseln. »Regeln sind Regeln, und meist gibt es sie aus gutem Grund.«

Er beobachtete sie, suchte nach einer Reaktion, wie schwach auch immer, doch sie hob nur offenkundig ungläubig die Brauen und wandte sich sichtlich ungehalten ab.

»Ich bringe Sie zur Tür.« Er ging mit ihr zur Tür seines Zimmers und öffnete sie ihr.

»Das wird nicht nötig sein.« Sie schaute ihn flüchtig an, als sie an ihm vorbeirauschte. »Ich kann sehr gut selbst den Weg nach draußen finden.«

»Trotzdem begleite ich Sie.« Er folgte ihr auf den Korridor.

Ihr kerzengerader Rücken sprach Bände über ihre Empörung, dass er ihr offenbar nicht traute, geradewegs zur Tür zu gehen, wenn sie auf sich allein gestellt war. Aber sie wussten auch beide, dass sie das nicht getan hätte, dass, wenn er sie sich selbst überlassen hätte, sie umhergestreift wäre und sich darauf verlassen hätte, dass sie sich dank ihrer Schönheit aus jeder Klemme herausreden könnte, sollte sie ertappt werden.

Sie schaute nicht zurück, als sie die Halle erreichte und zu den Eingangstüren segelte. »Auf Wiedersehen, Mr Caxton.«

Die kühlen Abschiedsworte wehten über ihre Schulter zu ihm. Er blieb im Korridor stehen und beobachtete, wie der Pförtner – immer noch leicht benommen – aufsprang, um ihr die Tür zu öffnen. Sie trat hinaus, verschwand in den hellen Sonnenschein; die Türen schlossen sich, und er konnte sie nicht länger sehen.

Er kehrte in sein Büro zurück und fand Barnaby am Eckfenster stehen und hinausspähen.

»Rauscht beleidigt von dannen.« Er wandte sich vom Fenster ab und setzte sich auf den Stuhl, von dem sie eben aufgestanden war. »Was denkst du darüber?«

Dillon nahm wieder Platz. »Eine überaus interessante kleine Vorstellung. Oder besser, eine Vorstellung, die für mich von größtem Interesse ist.«

»Allerdings. Aber wie deutest du es? Meinst du, der Ire hat sie geschickt?«

In seinen Stuhl zurückgelehnt, die langen Beine von sich gestreckt und mit den Fingern leise auf die Tischplatte trommelnd, dachte er nach. »Nein, eher nicht. Zuerst einmal stammt sie mindestens aus dem Landadel, vielleicht sogar aus dem Hochadel. Diese unbestimmbare Selbstsicherheit ist da. Daher bezweifle ich, dass sie direkt mit dem Iren zu tun hat, der in den Kneipen Fragen stellt. Wenn du mich jedoch fragst, ob dessen Herr sie geschickt hat, dann ist das sehr wohl eine Möglichkeit.«

»Aber warum die Bitte, das Register zu sehen? Nur einen kurzen Blick, hat sie gesagt?«

Dillon sah Barnaby an. »Als wir uns an der Tür gegenüberstanden und der Pförtner ihr sagte, einer von uns sei Mr Caxton, hoffte sie, du wärest es. Du hast sie gesehen. Wie viele Männer, denkst du, wären ihren Überredungskünsten gegenüber unempfänglich geblieben? Der Überredungskunst, die sie am Ende aufgebracht hätte?«

»Ich war nicht in Versuchung geführt.«

»Nein, aber du warst auch auf der Hut, sobald du gehört hattest, dass sie sich für das Register interessierte, und noch mehr, nachdem sie etwas gesagt hatte. Aber sie und wer auch immer sie geschickt hat, hätte damit nicht gerechnet.«

Barnaby schnaubte. Er sah Dillon an. »Du aber bist immun, unempfänglich und in der Beziehung nicht zu beeindrucken.« Seine Lippen zuckten. »Nachdem sie dich gesehen hatte, muss die Nachricht, dass du Caxton bist, Hüter des Registers, eine unangenehme Überraschung für sie gewesen sein.«

Dillon rief sich den Moment ins Gedächtnis; Überraschung ja, aber unangenehm?

Was er in jenem ersten Augenblick dieses ersten befremdlichen Gefühls des Wiedererkennens vor allem empfunden hatte, war aufflackernde Neugier gewesen. Die er ebenso wie sie verspürt hatte.

»Aber ich sehe, was du meinst«, sprach Barnaby weiter. »Nach einem Blick, warum nicht einen zweiten? Und nach zweien, wieso nicht das reizende junge Ding eine oder zwei Stunden lang über dem Buch brüten lassen? Es kann ja nichts passieren, solange es in dem Büro hier ist – und es wäre gewiss keine harte Prüfung, ihr beim Lesen zuzusehen.«

»Allerdings.« Dillons Tonfall war leicht ironisch. »Ich nehme an, so oder ähnlich wäre es gegangen, hätte ich mich empfänglicher gezeigt.«

»Gleichgültig, ihre Ankunft eröffnet uns zwei Ansatzpunkte. Der Ire und die Einbruchsversuche einerseits und die erstaunlich schöne Miss Dalling andererseits.«

Tatendurstig schaute Barnaby zu Dillon, dann schnitt er eine Grimasse. »Im Lichte der Neigungen, die Miss Dalling gezeigt hat, würde ich lieber auf Nummer sicher gehen und es dir überlassen, Nachforschungen über sie anzustellen. Ich werde mich auf den unbekannten Iren konzentrieren und alle, die mir etwas über Leute verraten können, die sich nach Einbruch der Dunkelheit hier herumtreiben.«

Dillon nickte. »Wir können uns morgen Nachmittag hier treffen und berichten, was wir herausgefunden haben.«

Barnaby stand auf. Dillon lächelte, als er seinen Blick auffing. »Während du die Kaschemmen durchstreifst, kannst du dich mit dem Gedanken trösten, dass Miss Dalling zu folgen höchstwahrscheinlich dazu führt, dass ich genau die gesellschaftlichen Ereignisse besuche, die ich am liebsten meiden würde.«

Barnaby grinste. »Jeder muss hier Opfer bringen.« Er hob grüßend die Hand und ging.

Auf seinem Platz am Schreibtisch, den Blick auf den nun leeren Stuhl gerichtet, kehrten Dillons Gedanken wieder zu Miss Dalling und allem zurück, was er nun wissen wollte.

2

»Ich kann Russ nirgends entdecken.« Pris suchte mit den Augen das Gedränge aus Pferden, Jockeys, Trainern, Sattelmachern und Stallburschen ab, die sich auf der Rennbahn von Newmarket tummelten. Ein kleineres Wettrennen musste bevorstehen; viele Ställe nutzten die Gelegenheit der Trainingsläufe, um ihre Pferde auf der Bahn selbst zu testen – so hatte es ihr der Stallbursche im Crown & Quirt erklärt. Solche Übungsläufe halfen außerdem dabei, bei den Zuschauern Begeisterung für die einzelnen Pferde zu wecken.

Das, dachte Pris, erklärte auch die Menschenmenge, die wie sie und Adelaide hinter den Absperrungen auf der anderen Seite der Rennstrecke stand und die Pferde betrachtete. Wenigstens boten die vielen Zuschauer eine gute Deckung.

Adelaide schaute sich auf der Bahn um. »Kannst du jemanden aus Lord Cromartys Ställen entdecken?«

»Nein.« Pris musterte erneut die bunt zusammengewürfelte Truppe auf der Bahn, Jockeys, die unruhige Pferde ritten und sich grobe Bemerkungen zuriefen, die Trainer und Burschen dazwischen. »Aber ich bin mir auch nicht sicher, dass ich jemand anderen als Lord Cromarty selbst erkennen würde. Er ist nicht groß und so breit wie hoch – er ist jedenfalls nicht hier. Ich habe seinen Oberstallmeister Harkness einmal kurz getroffen. Er ist groß und dunkel – und ziemlich Furcht einflößend anzusehen. Dort drüben sind zwei oder drei, die ähnlich aussehen, aber ich denke nicht, dass er einer von ihnen ist. Nicht dunkel oder grimmig genug.«

Sie blickte sich um. »Lass uns weitergehen. Vielleicht sind Cromarty oder gar Russ auf dieser Seite der Bahn und führen Gespräche.«

Damit spannten sie ihre Sonnenschirmchen auf, um sich vor der Morgensonne zu schützen, spazierten über den Rasen und erregten dabei nicht wenig Aufmerksamkeit.

Pris war sich der bewundernden Blicke bewusst, doch sie war schon lange unempfänglich dafür. Genau genommen neigte sie dazu, für diejenigen, die sie hingerissen und gelegentlich auch gierig anstarrten, so etwas wie Verachtung zu empfinden.

Sie und Adelaide bewegten sich verstohlen suchend durch die Menge. Als sie eine größere Gruppe freundlicher Gentlemen umrundeten, die ihre Aufzeichnungen zu den verschiedenen Pferden verglichen, entdeckte sie ein paar Schritt vor ihnen eine hoch gewachsene, schlanke und auf dramatische Weise gut aussehende Gestalt.

Caxtons dunkle Augen ruhten auf ihr.

Sie bezwang den Drang, Adelaide am Arm zu fassen, auf dem Absatz kehrtzumachen und in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen. Sie wünschte sich, sie könnte das tun, aber das würde Caxton in seinem Argwohn nur bestärken. Einmal abgesehen davon, dass es nach Feigheit schmeckte.

Dass er eine solche Wirkung auf sie hatte, dass sie am liebsten den Rückzug angetreten hätte, ärgerte sie genug, um sich ihm mit gerecktem Kinn zu nähern.

Er wartete, bis sie vor ihm stehen blieb, ehe er sich ein Lächeln gestattete. Ein Lächeln, das in ihr den heftigen Wunsch weckte, ihm einen Tritt zu geben – und sich selbst. Sie hätte ein Stück entfernt von ihm anhalten sollen und ihn zu sich kommen lassen.

Schließlich verneigte er sich und ergriff das Wort: »Guten Morgen, Miss Dalling. Begutachten Sie die angebotenen Waren?«

»Allerdings.« Sie weigerte sich, auf die versteckte Andeutung einzugehen, die darauf anspielte, dass nicht sicher war, welches Angebot sie interessierte. Es war Jahre her, seit sie sich mit solchen Spielchen abgegeben hatte, und sie war eingerostet. Besser, sie blieb bei schockierender Geradlinigkeit. »Das hier ist Miss Blake, eine enge Freundin.«

Dillon beugte sich über Miss Blakes Hand und wechselte mit ihr die üblichen Begrüßungsfloskeln. Miss Blake war eine hübsche junge Dame mit dunkelblondem Haar und strahlend haselnussbraunen Augen; normalerweise würde ihr Stern hell aufstrahlen, aber neben Miss Dalling wirkte sie blass und viel weniger lebendig. »Ist dies Ihr erster Besuch in Newmarket?«

Er blickte zu Miss Dalling und schloss sie in die Frage ein. Sie hatte ihm nicht ihre Hand geboten; sie hielt mit beiden Händen den Griff ihres Sonnenschirmchens umschlossen.

Die irische Prinzessin beantwortete seine Frage: »Ja.« Mit schwingenden Röcken, heute in einem lebhaften Blau, drehte sie sich zu der Strecke um, als ein Trupp Pferde vorüberdonnerte. »Wenn man in Newmarket weilt …« Sie deutete auf die Rennbahn, dann schaute sie ihn an. »Sagen Sie, geben alle Ställe ihren Tieren die Gelegenheit zum Probelauf? Ist das Pflicht?«

Er wunderte sich, weshalb sie das wissen wollte. »Nein, jeder Trainer kann sein Pferd auf das Rennen vorbereiten, wo und wie er will, ganz wie es ihm beliebt. Allerdings nutzen die meisten das Angebot, wenn das Gelände zum Üben freigegeben ist, und meist aus dem Grund, ihren Pferden die Möglichkeit zu geben, sich mit der Strecke vertraut zu machen. Jede Rennbahn ist anders, unterschiedlich lang, verläuft unterschiedlich, lässt sich unterschiedlich rennen.«

Ihre Brauen hoben sich. »Das muss ich Tante Eugenia erzählen.«

»Ich dachte, sie sei verrückt nach Pferderennen, das müsste sie dann doch wissen.«

»Oh, ihre Leidenschaft währt noch nicht lange, daher will sie auch so viel wissen.« Sie betrachtete ihn, als wollte sie sich ein Urteil darüber bilden, wie nützlich er ihr sein könnte.

Er fing ihren Blick auf, hielt ihn, wusste, sie überlegte, wie sie ihn am besten manipulieren sollte, und ließ sie sehen, dass er es wusste.

Sie las in seinen Augen und verstand seine Botschaft. Zu seiner Überraschung zögerte sie kurz – als müsste sie entscheiden, ob sie ihn herausfordern sollte, ihren Reizen zu widerstehen –, ehe sie sich dann dazu entschloss, ihn offen zu fragen: »Da Sie mich das Register nun einmal nicht sehen lassen wollen, könnten Sie mir vielleicht wenigstens verraten, was genau die Einträge enthalten. So könnte ich meiner Tante immerhin diesen Teil des Rätsels lüften.«

Er erwiderte ihren Blick, war sich bewusst, dass Miss Blake neben ihnen stand, von einem zum anderen sah, dann wandte er sich an sie: »Ist die Dame auch Ihre Tante?«

Miss Blake lächelte freundlich. »Oh, nein. Sie ist Pris’ Tante. Ich bin Lady Fowleys’ Patentochter.«

Dillon schaute gerade rechtzeitig zu Pris – Priscilla? – zurück, um das Stirnrunzeln zu bemerken, das sie Miss Blake zuwarf, aber als sie wieder ihn ansah, war ihre Miene nur milde interessiert.

Sie hob eine Braue. »Die Registereinträge?«

Wie viel sollte er ihr verraten – überhaupt irgendetwas oder gerade genug, sie zu locken? Damit sie dann vielleicht enthüllen würde, warum sie fragte und für wen. »Jeder Eintrag enthält den Namen des Pferdes, sein Geschlecht, die Farbe des Fells, Geburtsdatum und -ort, seinen Vater und seine Mutter sowie deren Stammbaum – ein Pferd muss ein Vollblüter sein, um im Jockey-Club rennen zu dürfen.«