Eine verrückte Erbschaft - Dietmar R. Horbach - E-Book

Eine verrückte Erbschaft E-Book

Dietmar R. Horbach

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Beschreibung

Julian und Jennifer kennen sich nicht. Erst durch eine Erbschaft der Tante Mary, lernen sie sich kennen. Jeder von ihnen erbt 20 Millionen Dollar. Doch ist die Erbschaft an Bedingungen geknüpft. Der behinderte Sohn Benny soll von ihnen versorgt werden. Dann müssen sie verheiratet sein. Da beginnt das Problem. Julian liebt Robert und Jennifer ist mit Tamara liiert. Als eine weitere unberechtigte Erbin auftaucht und alles übernehmen will, ist das Chaos vorprogrammiert. Ganz verrückt wird es, als Benny entführt wird und die Gangster Millionen Dollar erpressen. Sind die vier in der Lage, alles zu meistern und am Ende einen guten Ausgang für Benny und ihr Zusammenleben zu finden? Das kann man nur herausfinden, wenn man das Buch liest.

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Ich danke den Eltern von Jan Grünig für ihre freundliche Genehmigung, das Bild ihres Sohnes auf dem Buchumschlag zu verwenden.

Mein Dank gilt auch der Fotografin, Frau Ute Wilke, und dem down-syndrom köln e.V. für ihre Bereitstellung. Weitere Informationen finden Sie unter www.down-syndrom-koeln.de.

Der Autor

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Wie die Geschichte begann

Julian lag auf dem Bauch vor der Couch im Wohnzimmer und suchte, verzweifelt und stöhnend, mit seiner rechten Hand nach der linken Socke, die er anziehen wollte. Die Zeit verging einfach zu schnell. In spätestens einer Stunde sollte er im Büro sein. Er fühlte, dass seine Dusche von vorhin vergeblich war, denn er begann wieder zu schwitzen.

„Du blöde Socke, wo bist du nur?" schimpfte er vor sich hin. „Ich krieg' die Krise, zeig' dich gefälligst."

In diesem Augenblick öffnete sich geräuschvoll die Tür zum Wohnzimmer, und Robert, Julians Freund, trat ein. Da er französische Wurzeln hatte, nannte er sich „Robär". Und jeder, der ihn nicht so nannte, bekam etwas wie „ich bin von Geburt an Franzos und heiße Robär" zu hören.

Nun stand er hinter dem, vor ihm auf dem Boden liegenden und vor sich hin schimpfenden Julian, und fragte halblaut, mit einem verhaltenem Grinsen im Gesicht: „Darling, was suchst du?" Vor ihm brabbelte der Angeredete etwas wie „ meine Schocke!" Es folgten weitere, nicht verständliche Worte.

Robert feilte gerade seine Fingernägel und rief: „Nimm die Kartoffel aus dem Mund, wenn du mit mir sprichst. Deinem Chef gegenüber dürftest du auch nicht so reden." Da drehte sich Julian zu ihm um und maulte zurück: „Du bist aber nicht mein Chef. Außerdem, was machst du noch hier? Wolltest du nicht schon auf dem Weg zur Arbeit sein?"

„Ja, Darling", entgegnete dieser und grinste in sich hinein. Dann schwenkte er die Socke von Julian im Kreis und meinte, mit einem, Überlegenheit suggerierenden Augenaufschlag, der jeden in die Knie gezwungen hätte: „Könnte es das sein, was du suchst?"

Julian kam schnaubend hoch, drehte sich herum und schaute mit einem, nichts Gutes verheißenden Blick auf die Socke und dann auf Robert. „Hast du die Socke etwa?" „Nein", antwortete sein Freund, und sein schelmisches Grinsen zog sich erneut von einem Ende des Gesichtes zum anderen. „Nein, mein Süßer, ich habe diese Socke nicht versteckt, sondern gefunden. Und wo habe ich sie gefunden? Im Bad auf der Toilettenschüssel. Gehört sie dorthin?"

Julian kannte Roberts ausgeprägten Hang für Ordnung und Sauberkeit. Da er eine völlig andere Vorstellung von Ordnung hatte, gerieten die beiden oft genug in Diskussionen, die niemals enden würden, wenn nicht einer von ihnen aufgeben würde. Und meistens war es Julian, der den Kürzeren dabei zog.

Julian erhob sich rasch, ergriff die Socke und wollte sich eiligst aus dem Zimmer stehlen. Doch Robert hielt die Socke fest und meinte nur: „Und?" „Danke", knurrte Julian, spitzte die Lippen zu einem leichten Kuss und beeilte sich mit dem Anziehen, da er eigentlich schon hätte weg sein müssen. Denn heute hatte Robert das Auto, und er musste den Bus in die City nehmen.

Als die Tür heftig zuknallte, weil Julian endlich gegangen war, holte Robert tief Luft. Seine Gedanken eilten zurück, als er vor mehr als zwei Jahren Julian auf einer Kunstauktion kennengelernt hatte. Eigentlich interessierte er sich nicht sonderlich für die moderne Kunst, und so saß er gelangweilt mitten unter den sich unterhaltenden Kunstkennern und beobachtete, unter vornehmer Zurückhaltung, diese Sorte Menschen. Da sah er Julian, der damals sein Praktikum in dem Kunsthandelsgeschäft machte, in dem gerade die Bilder auf der Auktion ausgestellt und verkauft wurden. Er hatte einen weißen Kittel an und trug ein Bild herein, das als Nächstes versteigert werden sollte.

Robert sah ihn, und der Kerl gefiel ihm im selben Augenblick. Nachdem Julian das Bild zur Auktion überreicht hatte, drehte er sich um und verschwand wieder hinter einer Tür. Robert stand auf und machte sich auf die Suche nach ihm. Etwas unsicher suchte Robert in den Gängen und hoffte, auf das neue Gesicht zu stoßen. Es roch irgendwie seltsam. Ein wenig nach neu und nach Kunst. Doch niemand war zu sehen. Er drehte sich um und wollte schon enttäuscht das Haus verlassen, als hinter ihm eine Stimme rief: „Entschuldigen Sie, suchen Sie etwas?"

Robert drehte sich überrascht um und blickte in das erstaunte Gesicht von Julian. Robert lächelte etwas verlegen und antwortete: „Äh, eigentlich suche ich nichts. Ich habe mich nur verlaufen."

„Wenn Sie nach draußen gehen wollen, dann geht es rechts herum. Ansonsten, wenn Sie zur Auktion wollen, müssen Sie die linke Tür nehmen." „Danke", murmelte Robert und verschwand nach rechts. Draußen nannte er sich einen Idioten, der zu feige war, jemanden anzusprechen.

In den nächsten Tagen recherchierte er nach dem Namen des jungen Mannes und sann darüber nach, wie er ihm nochmal begegnen könnte. Und das Glück war ihm hold. Drei Tage später traf er auf Julian in einem Studentencafé, als dieser am Tresen eine Cola trank und sich mit zwei anderen jungen Männern lautstark unterhielt, um gegen den Lärmpegel anzukämpfen.

Robert setzte sich neben ihn, und bestellte auch eine Cola. Sein Herz klopfte heftig, als er seinen Nebenmann leicht anstieß, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Julian drehte sich nach rechts, weil er sich gestört fühlte, und blickte auf den Typen, der ihn da leicht angerempelt hatte. Schon wollte er etwas Unfreundliches sagen, da erkannte er Robert und grinste. „Holla, der Junge, der sich verlaufen hat", begann er und schaute Robert erwartungsvoll an. Robert wurde ein wenig rot und räusperte sich verlegen. „Brauchst nicht so schüchtern zu sein", begann Julian und fragte ihn, was er machen würde. Robert schluckte erst und antwortete, dass er sein Studium als Designer gerade beendet habe und einen neuen Job suche.

„Ja, so hat es begonnen", sagte Robert mehr zu sich selbst und kehrte in die Gegenwart zurück. Dann lernten sich beide näher kennen, und spürten, dass sie sich beide mochten. Und vor einem Jahr hatten sie eine gemeinsame Wohnung im Stadtteil Franklin in Nashville/Tennessee bezogen. Julian arbeitete in dem Büro einer großen Baufirma, und er, Robert, arbeitete in einem Designerbüro in der Innenstadt.

Hunderte von Meilen entfernt, in Bismarck in North Dakota, kämpfte eine kleine, rothaarige, mit unzähligen Sommersprossen verzierte, junge, hübsche Frau gegen einen zähnefletschenden, wütend kläffenden Rottweiler an, der ihr den Weg zu ihrem Auto versperrte. In beiden Händen trug sie Tüten mit Lebensmitteln, die sie gerade im Supermarkt gekauft hatte. Sie musste unbedingt nach Hause, um ein Dinner für heute Abend vorzubereiten. Nun stand Jennifer dieser blöde, kläffende Köter im Wege und wollte sie nicht passieren lassen. Ein unangenehmer Geruch aus seinem Maul drang bis zu ihr herüber. Sie blickte ihm tief in die Augen und fletschte auch die Zähne, um ihm zu zeigen, dass sie vor diesem Vieh keine Angst hatte. Denn so, hatte sie es mal in einem Tierjournal gelesen, sollte man solchen wütenden Hunden begegnen.

Und richtig. Das Kläffen wurde immer leiser. Der Hund blickte immer noch wütend auf sie, aber irgendwie schien sein Kampfgeist nachgelassen zu haben. Nun blickte er sie etwas blöd an, denn er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Da hörte sie die Stimme eines Mannes aus einem Garten in der Nähe. „Hallo!" rief sie laut. „Gehört Ihnen dieser Hund?" Schlurfende Schritte näherten sich, und dann stand ein alter, weißhaariger Mann mit unrasiertem Gesicht, an der Gartenpforte. Er blickte abschätzend auf die junge Frau und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Dieser Idiot", dachte Jennifer. Dann rief der Alte den Hund zurück. Der ließ noch einen kurzen Beller los, drehte sich um, und trottete zu seinem Herrchen.

Jennifer atmete tief durch. Dann wandte sie sich zu ihrem alten Buick und stellte die Tüten auf der Haube des Wagens ab. Dann schloss sie den Wagen auf und legte die Tüten auf die Rückbank. Eiligst verschwand sie ins Auto und fuhr los in Richtung Wohnung. Unterwegs klingelte ihr Handy. Sie nahm den Fuß leicht vom Gaspedal zurück und blickte in den Rückspiegel, ob nicht gerade eine Polizeistreife in der Nähe war. Diese konnte wie ein Blitz aus heiterem Himmel auftauchen und einem den ganzen Tag versauen mit ihrem Kontrollfimmel.

Dann meldete sie sich. Es war Tamara, ihre Freundin und Lebenspartnerin. „Hi, Honey", flötete sie ins Handy. „Hi, Jenny, du ich hab' schlechte Nachrichten." Ehe Jennifer darauf reagieren konnte, fuhr diese mit ihrer Mitteilung fort: „Es kann heute Abend später werden. Hier ist noch einiges zu machen, bevor ich Feierabend machen kann, und das hat leider Vorrang." In Sekundenschnelle sackte Jennifers gute Laune auf den Nullpunkt. Verbissen kämpfte sie gegen ein paar Tränen an, die ihr in die Augen schossen. „Hallo!" tönte es vom anderen Ende. „Du sagst ja gar nichts!"

„Was soll ich dazu sagen?" klang es verzagt auf der anderen Seite. „Dann wird ja von unserem Abend nichts". Jennifer wollte das Handy schon abschalten. Da hörte sie Tamaras gewaltige Stimme. „Halt, halt – spinnst du? Natürlich wird aus unserem Abend noch etwas. Lass dich überraschen." Dann war es still. Jennifer klappte ihr Handy zu, legte es auf den Beifahrersitz und fuhr langsam weiter. Hinter ihr hupten schon andere Fahrer, denen es zu langsam ging. Dann fasste sie sich wieder und fuhr stracks nach Hause.

Es war bereits Nachmittag. Tamara blickte auf die Uhr. Der Zeiger quälte sich auf fünf Uhr zu, und es war kurz vor Feierabend. Sie beendete ihre Arbeit, schaltete den PC ab und räumte die Sachen weg, die noch herumlagen. Dann wandte sie sich ihrem Kollegen zu. „Ciao, Bill, ich mache jetzt Schluss. Bis morgen." Sie lächelte ihm noch zu und verschwand in Richtung Tiefgarage.

Schnell fand sie eine Lücke, als sie sich, aus der Garage kommend, in die laute, hupende, mit vielen weiteren Umweltgeräuschen angefüllte Welt einreihte. Ihr Ziel war der Großhändler Pets & Plants, bei dem sie ein entzückendes Kätzchen gesehen hatte. Sie wusste, das würde Jennifers schlechte Laune wieder auf höchste Höhen bringen. Denn es war schon lange Jennys Wunsch, eine kleine Katze im Haus zu haben. Wie oft hatte sie davon erzählt, dass es auf der Farm ihrer Großeltern in Wyoming mindestens ein halbes Dutzend Katzen gab, mit denen sie als Kind herumgetollt und ihren Spaß hatte. Dann würde der Abend etwas anders verlaufen als sonst üblich. Denn sie waren sich in der letzten Zeit manchmal auf den Wecker gegangen – oder – besser gesagt, aus dem Wege gegangen. Ihre Zuneigung zueinander hatte ein paar Risse bekommen. Und mit der kleinen, süßen Katze beabsichtigte Tamara, diese Risse wieder zu kitten.

Etwas später lenkte sie ihren Einkaufswagen vom Parkplatz des Konzerns in Richtung des riesigen Gebäudes, in dem sich der Tierhändler befand. Lautes Stimmengewirr, vermischt mit Musik und kontinuierlich einsetzenden Lautsprecheransagen, die bestimmte Waren anpriesen, empfing sie an der Eingangstür. Sie fuhr mit der Rolltreppe in die zweite Etage, in der diese süßen Kätzchen angeboten wurden. Dann stand sie vor diesem großen Glaskasten, in dem sich etwa dreißig kleine Katzen tummelten. Es roch ein wenig streng, aber bei dieser Menge an Katzen war das sicherlich kein Wunder. Tamara hielt nach der süßen Katze Ausschau, die sie bereits für Jennifer ausgewählt hatte. Zuerst konnte sie diese nicht entdecken, doch dann sah sie diese in einem Knäuel von vier, nein sechs Katzen mit den anderen toben. Einen Augenblick schaute sie den kleinen Dingern zu und erfreute sich daran, dass „ihre Katze" sich vehement gegen die Angriffe eines kleinen, schwarzen Katers wehrte, wie sie dachte. „Nur zu", rief sie leise. „Gib's den Männern. Die brauchen das."

Da trat ein junger Verkäufer auf sie zu und sprach sie freundlich an. „Entschuldigen Sie, Miss, möchten Sie gerne so eine Katze haben?" Tamara schaute von den Katzen hoch und blickte den jungen Mann erstaunt an. Der errötete bei ihrem Anblick. „Na klar", gab sie ihm zurück. „Was meinen Sie, warum ich hier stehe und mich an den Katzen ergötze?" Der Verkäufer hatte sich wieder gefasst und fragte, welche es denn sein sollte. Tamara zeigte auf ihr Kätzchen. Es war rötlich und mit dunkleren Streifen getigert. Die Pfoten und der Bauch waren weiß. „Allerliebst sieht sie aus", dachte Tamara. „Möchten Sie einen Karton oder ein Körbchen dazu?" war die Frage des Verkäufers, die sie aus weiter Ferne hörte. Sie blickte den jungen Mann an und sagte: „Wissen Sie, wir haben noch keine Katze und brauchen alles, damit sich dieses kleine Ding wohlfühlen kann." „Dann folgen Sie mir doch bitte in die Abteilung, dort drüben." Dabei drehte er sich um und stolzierte los. Tamara folgte ihm festen Schrittes, wie es ihre Art war.

Als Tamara wieder im Auto saß, das Körbchen mit der kleinen miauenden Katze neben sich auf dem Beifahrersitz, holte sie erst einmal das kleine Geschöpf aus dem Korb in ihren Schoß. Die kleine Katze klammerte sich fest an ihre Hand, miaute und leckte ihren Daumen. „O, du kleines, süßes Etwas", sagte Tamara zu ihr. Wie wird dich Jenny wohl nennen? Na, das wird wohl eine Überraschung geben." Dann setzte sie das Tier in den Korb zurück und fuhr nach Hause in den Wernher-von-Braun-Drive 25, wo Jennifer seit Stunden vor dem gedeckten Tisch saß, und ungeduldig auf ihre Tammy wartete.

Jennifer blickte auf die Uhr, die an der Wand, ihr gegenüber, hing. Gleich schon sechs Uhr. „Wenn sie in fünfzehn Minuten nicht kommt, dann räume ich den Tisch ab und lege mich ins Bett", dachte sie resigniert und seufzte still vor sich hin.

Doch plötzlich hörte sie ein Geräusch. Ein Schlüssel drehte sich in der Tür, und Tamara kam herein. Jennys Körper straffte sich, als wollte sie alle Resignation und Enttäuschung damit abschütteln. Dann öffnete sich die Zimmertür, und Tamara stand hinter ihr. „Hallo, Honey, hier bin ich. Es war doch nicht so lang, wie ich vorher dachte."

Bei diesen Worten war Jennifer aufgestanden und stand nun ihrer Liebsten gegenüber, die sie anstrahlte. Jennifer spürte, das etwas Besonderes in der Luft lag, als Tammy, wie sie ihre Freundin immer nannte, sie in den Arm nahm und einen Kuss gab. Jenny spürte den Geruch von Deo, den sie an ihr so liebte, und wollte die Stunden vorher in Tammys Armen vergessen.

Da hörte sie ein Geräusch. Zuerst konnte sie nicht registrieren, was es war und woher es kam. Halt, da war es wieder. Es klang wie ein Wimmern oder Weinen. Nun war es wieder still. Da war es erneut. Es klang jetzt wie das klägliche Miauen einer Katze. Jenny blickte Tamara fragend an, die nun strahlte und es nicht länger aushalten konnte. „Für den heutigen Tag, für unseren Tag, möchte ich dir ein Geschenk machen", sagte sie.

Jennifer wusste immer noch nicht, worauf sie hinauswollte. Dann klang es wieder kläglich aus dem Flur. Sofort riss sie sich von Tammy los und eilte dorthin. Tamara folgte ihr auf dem Fuß. Da saß sie, die süßeste, allerliebste, kleine Katze, die sich Jennifer hätte vorstellen konnte. Ein Schrei der Begeisterung ließ das kleine Geschöpf zusammenfahren, und es miaute kläglich. Inzwischen war Jenny auf die Knie gegangen und hielt das kleine warme Knäuel in ihren Händen. Die kleine Katze blickte sie mit großen Augen an und leckte ihre Hand. „Oh, ist die süß! Ist das ein wunderbares, liebes Kätzchen. Und noch in der Farbe, wie ich sie liebe." Jennifer war außer sich vor Freude. Sie sprang auf, umarmte ihre Tammy und sagte immer wieder: „Danke, Tammy, ganz herzlichen Dank. Ich liebe dich, mein Schatz. Das ist die schönste Überraschung, die du mir machen konntest."

Tamara war, nach der Erfüllung dieses Wunsches für Jenny, und der Anspannung von vorher, nur noch hungrig und müde. „Du, ich vergehe vor Hunger", raunte sie und blickte erwartungsvoll auf den Tisch. „Ich bin sofort bei dir", rief Jenny. „Ich will nur noch das Kätzchen versorgen. Denn es ist bestimmt genauso hungrig wie du. Außerdem muss es sicher mal Pipi machen." „Ach, du Schande", rief Tamara aus dem Zimmer, ein Stück Spargel kauend. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Wir müssen morgen unbedingt noch ein Klo für die Süße kaufen. Wie willst du sie eigentlich nennen?"

Als Jennifer mit dem satten Kätzchen auf dem Arm ins Wohnzimmer trat, lag Tamara bereits auf der Couch und schlief seelenruhig. „Schade", bemerkte Jenny. „Dann wird ja doch nichts mehr aus unserem schönen Abend." Sie blickte auf das Kätzchen und meinte, mehr zu sich selbst: „Ich werde dich Loulou nennen. Das ist ein hübscher Name, der zu dir passt." Dann setzte sie sich hin, um etwas zu essen. Später wechselte sie in den Sessel und spielte mit ihrer neuen Errungenschaft, der kleinen Loulou.

Julian betrat das riesige Gebäude der Totham & Arlington Inc. und war auf dem Weg zum Fahrstuhl. Davor warteten, schon ungeduldig einige Personen, darunter sein Kollege Oliver. Als dieser ihn sah, kam er zu ihm 'rüber und flüsterte: „Gut, dass du kommst. Da oben scheint dicke Luft zu sein." Julian sah ihn fragend an. „Was meinst du damit?" „Nun, der Alte, Mr. Totham, erschien im Zimmer von Covenant, dem Abteilungsleiter. Und da ging es laut und hoch her. Wir wissen noch nicht, was es ist. Aber mach' dich auf etwas gefasst."

Bei seinen letzten Worten öffnete sich der Fahrstuhl. Nachdem alle ausgestiegen waren, die heraus wollten, ließen sie sich mit dem Pulk Menschen hinein treiben, die alle nach oben wollten. Der Geruch von Rasierwasser, Tabaksqualm und Männerschweiß erfüllte den kleinen Raum. Oliver verdrehte die Augen. Julian stieg im 19ten Stockwerk aus.

Im Flur summte es wie in einem Bienenhaus. Kolleginnen und Kollegen, die kaum um sich blickten, wenn sie über den Flur eilten, um ihrer Tätigkeit nachzugehen, strömten an Julian vorbei. Rosi, seine Zuarbeiterin, sah ihn kommen. „Schnell, Julian, Covenant will dich sprechen. Er ist richtig aufgebracht. Es geht um die Geschichte mit Rotherford in L.A.". Julian bedankte sich kurz und eilte zum Büro seines Abteilungsleiters.

Er klopfte an. Drinnen schnarrte eine frostige Stimme: „Herein!"

„Da sind Sie ja endlich, Razotti. Der Alte war schon hier und wollte etwas über Rotherford wissen. Niemand konnte mir etwas Genaues über den Sachstand berichten. Hoffentlich stehen Sie nicht so hilflos da, wie ich vorhin beim Chef. Dann mache ich Sie fertig." Mit diesen Worten plumpste er, sich den Schweiß abwischend, in seinen schweren Ledersessel und bot mit einer Hand Julian einen Platz an. Eine leichte, unangenehme Duftwolke seines Chefs, die Schweiß und Ärger mit sich trug, wehte zu ihm herüber.

Julian setzte sich. In seinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Die letzten Informationen, die er über den Vertrag mit der Firma Rotherford hatte, befanden sich in seinem PC. „Die Verträge stehen kurz vor dem Abschluss, Mr. Covenant", hörte er sich sagen. Dann hatte er sich wieder im Griff. „Letzte Woche, am Dienstag, habe ich mit Rotherford jun. telefoniert. Es sieht so aus, dass wir nächste Woche den Abschluss der Verträge in L.A.

vornehmen können. Wenn Sie mir gestatten, drucke ich Ihnen die Vorverträge und Konditionen aus."

Es schien, als wenn Mr. Covenant bei den Worten Julians vor Erleichterung in sich zusammensackte. Seine Zornesfalte war verschwunden, und etwas, wie ein leichtes Lächeln, umspielte seine Mundwinkel. Dann antwortete er: „Ab sofort möchte ich über den aktuellen Stand in der Sache Rotherford unterrichtet werden, ist das klar?" Julian nickte beiläufig, und erwartete weitere Anweisungen von seinem Chef. Dann wurde er aufgefordert, diesem die bisherigen Unterlagen auf seinen PC zu übertragen. Wieder nickte Julian und verließ das Büro von Mr. Covenant.

In seinem Büro stand bereits ein herrlich duftender Kaffee auf dem Schreibtisch und verbreitete ein wenig Erholung vom Stress. Julian warf seinen PC an und übertrug die erforderlichen Daten an seinen Chef. Dann atmete er tief durch, öffnete den oberen Hemdenknopf, setzte sich in seinen Sessel, legte die Füße hoch und trank genüsslich seinen Kaffee.

Er hatte den Kaffee gerade ausgetrunken, da klingelte das Telefon. „Kommen Sie 'rüber Razotti, ich muss mit Ihnen reden", bellte die Stimme von Covenant. „Gibt der denn keine Ruhe?" dachte Julian und machte sich auf den Weg zum Chef, wieder Ungutes befürchtend.

„Ich habe mir die Sachen angesehen", wurde er bei seinem Eintritt empfangen. „Scheint ja bis jetzt alles okay zu sein. „Ich denke, wir zwei werden nächste Woche nach L.A. fliegen und die Sache unter Dach und Fach bringen. Oder haben Sie andere Termine, die das nicht ermöglichen?" Julian beeilte sich, den Kopf, auf die

Frage des Chefs, zu schütteln. Dann gab dieser ihm den Hinweis, sich nochmals in die Sache einzulesen, dass ihnen kein Fehler unterlaufen würde und sie von der anderen Seite nicht übers Ohr gehauen würden. „Man weiß ja nie", war die Bemerkung, mit der er entlassen war.

Julian kehrte in sein Büro zurück und las die Verträge noch einmal genau durch inklusive des Kleingedruckten. Nachdem er diese Arbeit fast geschafft hatte, blickte er auf seine Uhr. „O, schon nach fünf Uhr. Wird Zeit, dass ich Feierabend mache. Robert wird schon warten. Na, was der wohl sagen wird, wenn ich nächste Woche nach L.A. fliege." Schnell packte er seine Sachen, beendete das Programm und befand sich bald im Aufzug in Richtung Tiefgarage.

Als Julian im Summerdrive 12 die Tür aufschloss, hörte er bereits, dass Robert in der Küche beschäftigt war. Da dieser zwei Stunden früher nach Hause gekommen war, übernahm er den Küchendienst, denn er war sowieso der bessere Koch von beiden. Julian leckte sich über die Lippen. Es gab Pfannkuchen mit Ahornsirup, die er so liebte.

„Robär", rief Julian bereits im Flur und stand schon in der Küche. Robert drehte gerade einen Pfannkuchen um und konnte nicht hinsehen. Aber er wusste, wenn Julian ihn bei der Begrüßung so nannte, dann gab es etwas Besonderes, oder es war etwas im Busch.

Julian begrüßte seinen Partner mit einem Kuss und schaute ihn leicht schmunzelnd an. „Wie kommt's, dass du heute Pfannkuchen machst?" „Ich weiß, dass du sie gerne magst, und irgendwie hatte ich Lust dazu, Darling", flötete Robert zurück. „Aber du hattest bestimmt etwas auf dem Herzen, als du hereinkamst, oder?"

Julian blickte seinen Freund an und atmete erst einmal tief durch. „Ja, Robär, nächste Woche fliege ich nach L.A. mit meinem Chef." „Was machst du?" Bei dieser Frage hielt Robert die Pfanne schief, so dass der Pfannkuchen fast auf die Erde gefallen wäre. Er konnte ihn soeben noch auffangen. Dann blickte er seinen Freund etwas vorwurfsvoll an und sagte mit eben einer solchen Stimme: „Du weißt doch, dass ich nicht gut alleine bleiben kann. Tut denn das nötig? Kann nicht ein anderer für dich fliegen?"

Julian schüttelte den Kopf und antwortete: „Nein, das geht nicht. Da ich an den Verträgen erheblich mitgearbeitet habe, kann der Chef auch nicht auf mich verzichten. Aber, wie wär's, wenn mein Bruder John dich für ein paar Tage besuchen würde? Er ist im Augenblick ohne Job und würde sich sicherlich freuen, zu uns zu kommen." Robert machte einen Gesichtsausdruck als hätte ihm ein Bär eine runtergehauen. „Igitt! Nein, doch nicht dein Bruder. Der stellt immer so komische Fragen." Seine Empörung steigerte sich zusehends. Julian schaute gerade flüchtig in die Tageszeitung und fragte eher beiläufig: „Der stellt immer so komische Fragen? Was denn für Fragen?" Als zunächst keine Antwort von Robert kam, wendete sich Julian von der Zeitung ab und blickte Robert ebenso fragend an, wie er sie gestellt hatte. Sein Partner druckste herum, als müsste er etwas ausspucken, konnte es aber nicht.

„Nun?" fragte Julian und blickte ihn genauer an. „Nun, der - der will immer wissen, wie wir beide das machen." Julian blickte seinen Freund seltsam und kopfschüttelnd an.

Dann hatte er die Antwort verstanden. „Das alte Ferkel!" rief er nun ebenso empört aus wie Robert zuvor. „Du hast es ihm wohl hoffentlich nicht gesagt."

„Wo denkst du hin, Darling, ich frage ihn ja auch nicht, was er mit all den Frauen macht, die er bisher, neben seiner Ehefrau, gevögelt hat."

Einen Augenblick las Julian in der Zeitung weiter, als dann seine weitere Antwort kam. „Wie wäre es mit meiner Mutter?" meinte er. „Sie kehrte erst gestern von den Bahamas zurück und käme sicher gerne zu dir." „Neeeeiiiinnnnn!" kreischte Robert und hob erschrokken die Hände hoch. „Deine Mutter spioniert mir immer nach. Letztens wäre sie mir fast ins Badezimmer gefolgt und hätte mir beim Duschen zugesehen." Julian konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, das scheu über sein Gesicht flog. „Also dann", fuhr er fort, um die Sache zu Ende zu bringen. „Dann bleibt nur noch Susan von der Ecke, dass sie dir etwas Gesellschaft leistet. Ich glaube, die ist sowieso hinter dir her."

Robert blickte auf Julian, als wenn der ihn aufgefordert hätte, sich mit einem Säbelzahntiger zu paaren. „Wie kannst du nur so etwas von mir erwarten?" war seine Antwort, bei der er die Pfannkuchen und den Ahornsirup auf den Tisch stellte. Beide nahmen Platz und langten zu. „Vielleicht wäre das ja mal was Neues für dich", murmelte Julian zwischen zwei Bissen und lachte seinen Freund an. „Nein!" kam es trotzig zurück. „Da bleibe ich lieber einen Monat alleine und verzehre mich nach dir."

Damit war dieses Thema abgeschlossen. Beide saßen kauend und schweigend am Küchentisch. Nachdem sie gegessen hatten, räumte Robert den Tisch ab und stellte alles in den Geschirrspüler. Julian las den Rest der Zeitung, die auf der Couch lag. Da klingelte das Telefon. Es war John, der Bruder von Julian. „Hi, John, was gibt es Neues?" fragte Julian. „He, Leute", tönte es am anderen Ende. Habt ihr Lust auf ne Party nächste Woche?" „Ne Party? Was für eine Party?" entfuhr es Julian. „Ein Kumpel von mir gibt seinen Junggesellenabschied, und wir brauchen noch ein paar Leute dazu." Julian schüttelte den Kopf und meinte: „Tut mir leid, John. Keine Zeit! Ich muss geschäftlich nach L.A. - Aber vielleicht hat Robert ja Lust, da mitzumachen? Ich frag ihn mal, Augenblick!"

Julian wandte sich an seinen Freund, der die Sache mit halbem Ohr mitbekam. Erst schüttelte er heftig seinen Kopf. Doch bevor Julian seinem Bruder absagen konnte, rief er: „Ja, warum nicht! Bin ja sowieso allein. Sag ihm, ich komme auch." Julian notierte Datum, Anschrift und Uhrzeit. Dann legte er auf. „Na, dann viel Spaß", murmelte er und schaltete den Fernseher ein.

Jenny wurde von dem kläglichen Miauen der kleinen Loulou geweckt. Da saß dieses niedliche Ding vor ihrem Bett, streckte die Pfötchen nach oben, und maunzte herzzerreißend. Jennifer hob sie auf ihr Bett. Gleich tapste Loulou zu ihrem Gesicht, leckte mit ihrer kleinen Zunge Jennys Wange und schmiegte sich an sie. Wie ein kleiner Motor klang ihr augenblickliches Schnurren. Genüsslich schloss die kleine Katze die Augen und schwebte im siebten Katzenhimmel.

„Es hilft nichts, Schätzchen", murmelte Jennifer nach einer Weile. „Der Tag ruft und damit die Arbeit. Ich muss leider aufstehen." Dann griff sie nach ihrem Kätzchen, das ein wenig beleidigt knurrte, sich aber in die unabdingliche Situation fügen musste, dass die Kuschelei zu Ende war.

Jenny zog ihren flauschigen Morgenmantel an und ging mit der Kleinen zunächst in den Garten. Dort erleichterte sich Loulou und trottete Jenny nach, die zum Briefkasten gegangen war, um die Zeitung zu holen. „Nun komm, Süße, es ist noch ganz frisch draußen." Leicht fröstelnd ergriff sie ihren kleinen Stubentiger und trug ihn in die Küche, damit sie das Frühstück für sich und Loulou machen konnte.

Während dieser Zeit saß Tamara in ihrem Büro und telefonierte mit ihrem Chef. „Tamara, bitte kommen Sie doch in mein Büro. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen." Als Tammy aufgelegt hatte, überlegte sie kurz, was der Chef wohl von ihr wollte. Sie kam jedoch zu keinem Ergebnis. Einen Augenblick später klopfte sie an seine Bürotür.

„Herein", tönte es von drinnen. Als Tamara eintrat, stand ihr Chef auf und bot ihr einen Platz an dem kleinen Besprechungstisch an, der etwas abseits in seinem Büro stand. Tamara bedankte sich. Der Chef fragte, ob sie Kaffee möchte oder lieber einen Tee? Sie entschied sich für einen Kaffee und war innerlich gespannt, was nun kommen würde.

„Mrs. Wagner", sprach der Chef sie an. Tamara stutzte und setzte die Tasse dampfenden Kaffees von ihren Lippen ab. Wenn der Chef so anfing, dann wurde es wichtig. So machte sie ein freundliches Gesicht und schaute ihn dennoch fragend an.

„Wir haben einen neuen Mandanten gewonnen. Dieser Klient ist für unser Unternehmen sehr wichtig. Dieser neue Mandant wohnt in L.A. und wünscht, dass ich ihn persönlich aufsuche, um die geschäftlichen Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Und nun halten Sie sich fest. Es ist Eddy Fisher, der reichste Filmmogul in Hollywood. Er hat mich letzte Woche angerufen und ein Treffen für nächste Woche, am Wochenende, vereinbart."

Tamara standen vor Aufregung die Schweißperlen auf der Stirn. Schnell tupfte sie diese mit ihrem Taschentuch ab. Das war ja wirklich ein ungeheuerlicher Fisch im geschäftlichen Netz der Firma, der dort „gefangen" wurde. „Aber was habe ich damit zu tun?" fragte sie ihren Chef. „Darauf komme ich jetzt, Tamara." „Aha, nun wird er wieder normal", dachte Tammy und war gespannt wie ein Bogen, der zu hart gespannt wurde, und vor dem Zerbrechen schien.

„Ich möchte Sie gerne als meine Sekretärin und Vertraute mitnehmen. Denn ich denke, dass Sie einen positiven Einfluss auf unseren Mandanten und die Abwicklung der Geschäfte haben werden." Nun war es heraus. Der Chef wischte sich über die Stirn und trank erst einmal einen Schluck Kaffee. Zugleich studierte er das Gesicht seiner Sekretärin, um darin, wie in einem Buch zu lesen.

Tamara war zunächst sehr überrascht. „Es ehrt mich, wenn Sie so von mir denken, Mr. Gouddart", antwortete sie und war dabei, ihre Gedanken, die durch ihr Hirn schossen und wie Planeten um die Sonne kreisten, zu ordnen. „Ich bin natürlich überrascht", fuhr sie fort. Doch dann hatte sie sich wieder im Griff. „Gerne möchte ich Sie und die Firma bei dieser Aufgabe unterstützen. Ich muss das nur noch Jenny beibringen. Na, die wird auch Augen machen."

Dann entwickelten die beiden den weiteren Vorgehensplan und verabredeten, am nächsten Donnerstag nach L.A. zu fliegen. Tamara erhielt den Auftrag, die notwendigen Formalitäten, wie Flugtickets zu ordern, Hotelunterbringung zu reservieren sowie Bereitstellung eines Wagens zu organisieren. Nachdem die Besprechung ihren Abschluss fand, machte sich Tamara ans Werk, die Voraussetzungen für einen guten Vertragsabschluss mit dem neuen Mandanten, in die Wege zu leiten.

Dann überlegte sie, dieses außergewöhnliche Ereignis mit Jennifer zu feiern. Sie wollte einen Tisch im Restaurant „Palazzo de la Riviera" organisieren, mochte das aber nicht ohne Jennys Einverständnis machen. Dazu griff sie zum Hörer und rief zu Hause an.

Dort saß Jenny an ihrem PC und entwickelte gerade einen neuen Sessel für die nächste Möbelausstellung in Atlanta, die im Juni, also in drei Monaten, stattfinden sollte. Jennifer war Möbeldesignerin und liebte ihren Beruf sehr. Vor drei Jahren hatte sie bereits bei einem Wettbewerb, auf einer Möbelausstellung, in Taragona, Texas, einen dritten Platz belegt. Dort hatte sie ihren jetzigen Chef und Arbeitgeber getroffen, der sie sofort für seine Firma engagierte und einstellte.

Da klingelte das Telefon. Zuerst beachtete sie es nicht. Die kleine Loulou lag in ihrem Körbchen und schlief. Doch es klingelte weiter. Etwas genervt, stand Jenny auf und ergriff den Hörer des immer noch schrill vor sich hin klingelnden Telefons. Loulou gähnte und streckte sich. Das laute Klingeln hatte sie geweckt. „Hallo, wer ist dran?" meldete sich Jennifer. „Hi, Honey, ich bin's", hörte sie ihre Freundin am anderen Ende. „O, hallo, Darling", flötete sie und freute sich, die Stimme ihrer Partnerin zu hören. „Du, ich möchte heute Abend mit dir essen gehen." „Wieso, ist was Besonders?" fragte Jenny zurück. „Das erzähl' ich dir heute Abend. Ich möchte einen Tisch im Palazzo bestellen. Ist dir das recht?" „Jaaa, - aber was machen wir mit Loulou?" „ Die nehmen wir im Körbchen mit. Dann ist sie bei uns und kann nichts anstellen", war Tamaras Antwort. „Okay, dann bis heute Abend, gegen sieben?" „Ja, okay, mach' dich schön. Wir treffen uns kurz vor sieben dort im Palazzo."

Gedämpftes Licht gab dem großen Saal im Palazzo eine ruhige und gemütliche Atmosphäre. Die Kellner eilten schnell und ruhig, fast lautlos, zu den Tischen, um die Gäste zu bedienen. Selbst das Stimmengewirr der anwesenden Besucher hatte sich dem Gesamtbild angepasst und wurde als angenehm empfunden. Tamara saß Jennifer gegenüber. Sie erhob das Glas Sekt, das der gutaussehende Kellner gerade eingeschenkt hatte und prostete Jennifer zu. Diese erhob ebenfalls ihr Glas und warf einen kleinen prüfenden Seitenblick auf das Körbchen, das neben ihr auf dem Stuhl stand. Loulou lag darin sicher und schlief selig vor sich hin.

„Zum Wohl, Honey, wir trinken auf einen wunderschönen Abend." „Ja, zum Wohl", erwiderte Jenny und stieß an Tamaras Glas, dass es einen glockenhaften Klang gab. Nachdem sie das Glas abgsetzt hatte, beugte sich Jenny vor und flüsterte: „Nun verrat mir doch mal, was es eigentlich Besonderes heute Abend gibt." Tammy lächelte in sich hinein, beugte sich ebenfalls nach vorne und antwortete im gleichen Flüsterton: „Wir haben einen neuen Mandanten hinzugewonnen, und mein Chef nimmt mich auf der ersten Tour zu ihm mit." „Wieso, wohnt der nicht hier? Ich meine, der neue Mandant." „Nein, Honey, der wohnt in L.A., und ich fliege mit Dagobert nächste Woche dorthin." „Ach nein! Das ist ja interessant. Könntest mich eigentlich mitnehmen auf diesen Trip, und wir würden uns dann noch einige schöne Tage in L.A. machen. Ich war noch nie dort." „Ich auch nicht, Honey, aber leider geht das nicht."

Sie waren mitten im Gespräch vertieft, als der gutaussehende Kellner das Essen brachte. Loulou war von dem verlockenden Duft der Speisen wach geworden. Sie schnupperte vor sich hin und maunzte. Anscheinend wollte sie an dem Festmahl der beiden Frauen teilhaben. Als Jenny ihr ein Stückchen Käse vor die Nase hielt, schnüffelte sie eifrig und begann, daran herumzunagen.

Julian stand mit seinem Partner Robert bereits seit einer halben Stunde am Abfertigungsschalter der Pan Am-Linie, mit der Julian und sein Chef fliegen wollten. Alle Augenblicke sah Julian nervös auf seine Armbanduhr. Sein Chef war bereits überfällig. Laut dröhnten die Ansagen über die Lautsprecher der verschiedensten Luftfahrtsgesellschaften durch die Halle. Übertönt wurden sie durch das An- und Abschwellen der redenden Menschen, die in die ganze Welt fliegen wollten und von ihren Angehörigen oder Freunden und Mitarbeitern begleitet wurden. Der Geräuschpegel dehnte sich immer weiter aus. Es wurde extrem laut.

Da erblickte Julian seinen Chef, der von einer seiner Töchter begleitet wurde. Schnell begrüßten sie Mr. Covenant. Dieser übergab das Flugticket und den Koffer seiner Tochter, die für ihn eincheckte. Dann war es an der Zeit, sich zu verabschieden.

Julian umarmte Robert und gab ihm einen flüchtigen Kuss. Mr. Covenant, der das sah, verdrehte die Augen. Denn er mochte solche Sachen nicht in der Öffentlichkeit, obwohl er Julian als Mitarbeiter sehr schätzte, und nichts gegen ihn hatte. Seine Tochter Claire beobachtete diese kleine Abschiedsszene mit einem Lächeln und heimlicher Freude, da sie ihren Vater genau kannte. Dann verabschiedete sie ihren Vater etwas förmlich, was dieser liebte. Dieser trat mit Julian auf das Rollband, welches die beiden zum Abflugterminal brachte.

„Darf ich Sie mitnehmen?" erkundigte sich Robert freundlich bei der Tochter von Julians Chef. Diese winkte jedoch ab, da sie noch einiges in der City zu tun hatte. Robert drehte sich um, verließ die Flughafenhaile und war mit seinen Gedanken schon bei der Party, die übermorgen, bei seinem „Schwager", wie er ihn nannte, stattfinden sollte.

Tamara blickte erschrocken auf die Uhr. Es war höchste Zeit, zum Flughafen zu fahren. Jennifer konnte sie leider nicht begleiten, da diese einen wichtigen Termin in ihrer Firma hatte. Heute war die Entscheidung für die Produktion der neuen Möbelstücke. Allein Jennifer hatte achtzehn Entwürfe bei ihrem Chef eingereicht. Sie hoffte wenigstens, einen Vorschlag anerkannt zu bekommen.

So hatte sich Tamara bereits von ihrer Liebsten verabschiedet, die Loulou im Körbchen mit zur Firma genommen hatte. Irgendjemand würde sich schon um das kleine Kätzchen kümmern, während sie der geplanten Konferenz beiwohnte.

Tamara rief ein Taxi, das bereits nach fünf Minuten vor dem Haus stand und sich durch kurzes Hupen bemerkbar machte. Tamara schnappte ihren Koffer und die Handtasche, zog die Tür ins Schloss und stieg ins Taxi, während der Taxifahrer das Gepäck im Kofferraum verstaute. Ab ging es zum Flughafen.

Dort wurde die Zeit bereits knapp zum Einchecken. Doch Tamara kannte sich darin aus. Dagobert Gouddart erwartete sie bereits am Schalter und hatte eine leicht säuerliche Miene aufgesetzt. „Immer diese Frauen", waren seine Gedanken noch vor einigen Minuten. „Dass die doch nie pünktlich sein können." Doch als er Tamaras strahlendes Gesicht sah, das sie extra wegen des säuerlichen Gesichtsausdrucks ihres Chefs aufsetzte, verflogen die albernen vorherigen Gedanken wie ein Spuk. Er begrüßte seine Mitarbeiterin mit einem leichten Küsschen links und rechts in der Luft, wie es Stars bei der Begrüßung zu tun pflegen, sich aber nicht aufs Fell sehen können.

„Es wird Zeit, zum Terminal zu kommen", bemerkte Tamara, und schon setzten die beiden sich in einen Shuttle-Bus, der sie augenblicklich zum Terminal fuhr. Die Maschine hob pünktlich ab und flog Los Angeles direkt an.

2

Der riesige Flughafen des Washington-Airports in L.A. beeindruckte Tamara sehr. Dabei war es nur einer von fünf Flughäfen, auf denen tausende Maschinen landeten. „Wir fahren erst mal ins Hotel", entschied Dagobert. Tamara nickte etwas geistesabwesend, da sie im Augenblick, auf ein paar wahnsinnig interessante Schuhauslagen im Schaufenster fokussiert war. Doch als sie den Preis erblickte, fuhr ihr Interesse auf den Nullpunkt zurück. Schnell fanden sie ein Taxi, das die beiden ins Sheradon-Hotel brachte, wo Tamara selbst für drei Nächte gebucht hatte.

Es waren zwei Einzelzimmer, die nebeneinander lagen, damit eine weitere Nachbesprechung vorgenommen werden konnte, falls sie nach Abschluss der Verträge noch notwendig war. Vor der riesigen Flügeldrehtür hatten zwei Männer etwas Schwierigkeiten, mit ihren Koffern von außen nach innen ins Hotel zu gelangen. Jedesmal, wenn der eine mit seinem Koffer durch die sich automatisch drehende Tür ging, stoppte der andere den Drehmechanismus der Tür, da er gleichzeitig mit hindurch in die Vorhalle des Hotels wollte.

„Können wir Ihnen helfen?" versuchte Mr. Gouddart seine Hilfe anzubieten. Der etwas ältere Mann, bei dem die Haare bereits wichen und einer Tonsur wie bei einem Mönch Platz machten, blickte ein wenig verärgert Mr. Gouddart an. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Er ließ seinen Koffer stehen, eilte auf den, nun erstaunten Mr. Gouddart mit entgegengestreckter Hand zu. „O, was für eine Überraschung, Dagobert. Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht gesehen. Wie geht es dir, alter Junge?" Dagobert Gouddart blickte auf den Mann, der ihn anlächelte, als wenn er seinen besten Freund begrüßte, und schüttelte etwas verwundert den Kopf. Er konnte sich beim besten Willen nicht an sein Gegenüber erinnern. „Entschuldigen Sie", begann er etwas stotternd. Der andere bemerkte das Zweifeln im Gesicht des Mannes, den er gerade begrüßte. „Ich bin es, George Covenant. Weißt du nicht mehr – auf dem Joshua Avira College in Atlanta? 1972 – Mensch, was waren wir da noch jung."

Nun hatte es bei Mr. Gouddart gefunkt. Wie ein Blitz schoss die Erinnerung in sein Gedächtnis. „Mensch, Georgie-Boy, ist es denn die Möglichkeit? Ich habe oft an dich gedacht. Alter Junge, dass ich dich hier treffe." Dann lagen sich die beiden in den Armen und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Während der folgenden Minuten innigster Begrüßung, stand draußen, neben den beiden Männern, Tamara Wagner und schaute sich die Szene schmunzelnd an. „Männer", dachte sie. „Wie lustig, wenn sich alte Freunde begrüßen."

Drinnen wartete ein entnervter Julian Razotti auf seinen Chef. Er blickte zurück und erkannte, dass sein Chef in den Armen eines anderen Mannes hing und diesen leidenschaftlich begrüßte. Ein süffisantes Schmunzeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „Na, das müssten die Kollegen in der Kanzlei sehen", dachte er bei sich.

Endlich lösten sich die beiden Freunde von damals. Wieder schien sich ein Stau vor der Flügeltür zu entwickeln, weil jeder der beiden dem anderen den Vortritt lassen wollte. Doch endlich hatten sie es geschafft. Alle Personen, die zueinander gehörten, befanden sich endlich in der großen Halle des Hotels. Die beiden Chefs beachteten ihre Mitarbeiter nicht, so sehr waren sie im Gespräch vertieft, als sie vor der Hotelinformation hielten. Tamara hatte Julian flüchtig begrüßt und angelächelt. „Ich mach' das schon", sagten beide wie in einem Ton und kümmerten sich um die Hotelreservierung. Die beiden Chefs schwelgten noch immer in ihrer Jugendzeit und hatten keinen Blick für die Gegenwart. Julian und Tamara nahmen die Schlüssel für die bestellten Zimmer in Empfang und stellten fest, dass die Zimmer auf derselben Etage schräg gegenüber lagen

Robert stand unter der Dusche und sang einen neuen Hit, den er erst kürzlich im Radio gehört hatte. In Gedanken war er schon auf der Party, zu der er heute Abend eingeladen war. Was wohl sein zukünftiger Schwager da wieder ausheckte. Robert erinnerte sich an eine der früheren Partys, die er zusammen mit Julian im Hause seines Schwagers gefeiert hatte. Es war dort hoch hergegangen. Der Alkohol floss in Strömen und am Ende lagen mehr als zwölf Bier- oder Schnapsleichen in der Wohnung herum, die erst gegen Mittag aufwachten und unter Gestöhne und Kopfschmerzen einen starken Kaffee verlangten.

Eine halbe Stunde später, verließ er das Haus gestylt und fest entschlossen, sich nicht auf der Party gehenzulassen. Denn er kannte sich. Wenn der Trubel richtig losging, dann hatte es der Alkohol leicht, ihn zu erobern, und am Ende wusste Robert nicht mehr, was geschehen war. Aber soweit wollte es Robert heute nicht kommen lassen. Mit dieser Absicht stieg er in seinen Mustang und fuhr zum Hause von Julians Bruder, das nur einige Meilen entfernt lag.

Als er den Wagen neben einem Lamborghini parkte, und den Motor ausstellte, hörte er bereits das Stimmengewirr und die laute Musik, die aus den geöffneten Fenstern dröhnte. „Na, hier steigt die Stimmung ja schon ganz mächtig", waren seine Gedanken, als er vor der Tür stand. Zur Feier des Tages hatte Robert noch zwei Flaschen Kognak dabei, die sein Beitrag zur Party waren. Auf sein Klingeln hin, wurde erst nach einigen Minuten geöffnet, da das Klingeln bei dem Lärm nicht zu hören war. John stand lachend vor ihm. Er schien schon ein wenig angeheitert zu sein. Dann begrüßte er Robert herzlich und bat ihn herein.

An den Lärm im Haus musste sich Robert erst gewöhnen. John lotste ihn in die Küche, wo auf mehreren Tischen köstliche Speisen standen und auf einem anderen Tisch Getränke paradierten, um von den Partygästen genommen und getrunken zu werden. Der Duft von leckeren Salaten erweckte bei Robert schon ein verlangendes Magengrummeln. Aber er bezwang sich noch, und wollte den Wünschen seines Magens erst später nachkommen.

Eileen, Johns Frau, begrüßte Robert und geleitete ihn zu einer Gruppe junger Frauen. Dort stellte sie Robert als den Partner von Julian vor. Die jungen Ladies lachten ihn an und sagten etwas, was Robert nicht verstand. Dann wurde er zu einer Gruppe junger Männer geleitet und wiederum vorgestellt. Die Männer waren zum Teil schon ein wenig vom Alkohol benebelt. So fiel die Begrüßung sehr oberflächlich aus. Robert bekam wieder Hunger und wollte in die Küche, sich etwas zu essen zu holen. Bald saß er auf einem Hocker in der Küche und genoss von den Speisen, die er sich auf den Teller getan hatte. Durch die geschlossene Tür schallte nur gedämpfter Lärm herein, was ihm nur recht war. Dazu trank er Sekt, der ihn verlockend angelacht hatte.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein junges Mädchen, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, rauschte herein. „Hi", rief sie und steuerte auf den Getränketisch zu. Dort nahm sie ein Glas und kam damit zu Robert. „Könntest du mir vielleicht etwas von deinem Sekt abgeben?" fragte sie ihn. Robert nickte kauend und goss ihr von seinem Sekt ein. Dann schluckte er den Bissen herunter und meinte: „Entschuldigung! Aber ich muss erst mal etwas essen." „Ist schon okay - Bist du auch von hier?" begann sie ein Gespräch mit Robert. Dieser schmunzelte innerlich und fand das Mädel ganz hübsch. Dann entspann sich ein Gespräch zwischen den beiden. Nach einigen Minuten fragte Rachel, so hieß die Kleine, ob Robert nicht mit ihr tanzen wolle. „Okay", erwiderte dieser, und schon nahm Rachel den überraschten Mann bei der Hand und zog ihn auf die kleine Tanzfläche im Wohnzimmer. Hier dröhnte die Musik in voller Stärke. Zuerst hielt er sich die Ohren zu, aber dann war Robert konzentriert bei der Sache, um seiner jungen Tänzerin nicht nachzustehen. „Was wohl Julian sagen würde, wenn er mich so sähe", dachte er und spürte die Kleine plötzlich an seinem Körper, da der DJ auf Schmusemusik umgestellt hatte. Rachel hatte wohl das Bedürfnis, heute einen Mann zu erobern, ahnte jedoch nicht, dass ihr Tanzpartner gar nicht so auf dieser Seite stand. Da Robert jedoch ein guter Tänzer war, wurde dieses auch von anderen Frauen wahrgenommen, die plötzlich mit Robert tanzen wollten.

Rachel brauchte ein wenig Abkühlung. So ergab es sich, dass zwei andere junge Damen um die Gunst des Tänzers warben. Doch Robert wollte ein wenig Pause machen. Die Party gefiel ihm immer mehr. Plötzlich stand die Gefahr, sich wieder auf dieser Party zu verlieren, deutlich neben ihm. Er trank ein paar Kognaks, die er beim nächsten Tanz mit Lucie, wie sie ihm ins Ohr brüllte, bereits spürte. Beim nächsten und übernächsten Tanz mit anderen Ladies, befand sich Robert in seinem Element. Er tanzte, er trank und tanzte und trank.

Auf einmal befand er sich an der Treppe, die in die oberen Räume führte. Es rauschte in seinem Kopf, und sein Blick war auch nicht mehr klar. Rachel saß auf der vierten Stufe und schaute ihn mit traurigen Augen an. Zwei kleine Tränen rannen ihr auf einmal die Nase herunter. Sie schluckte und starrte ihn an. Robert wollte gerade etwas sagen, da flüsterte sie: „Hol' mir was zu trinken, Süßer. Ich will mich heut' besaufen." „Warum willst du dich besaufen?" fragte Robert zurück. „Weil ich keinen Mann abkriege", war die Antwort von Rachel. „Aber wieso kann ein süßes Mädel wie du keinen Mann abkriegen? Hast du denn keinen Freund?" „Der Scheißkerl ist vor einer Woche mit meiner besten Freundin durchgebrannt", knurrte sie und machte ein Gesicht, wie ein waidwunder Basset, dessen Herrchen gestorben war.

Robert eilte zur Küche, in der es noch immer lecker nach den Speisen roch, und holte für Rachel und sich Nachschub. Dann saßen sie beide auf der Treppe und klagten sich gegenseitig ihr Leid. Robert erzählte Rachel von seinem Freund Julian, den er liebte, und Rachel brach in Tränen aus. Auf einmal drehte sie sich zu ihm um und küsste ihn. „Du bist so süß, Robär", flüsterte sie und legte ihren Arm um seine Schulter. Auf diesen Angriff war Robert nicht gefasst. Darauf musste er sich erst einmal stärken. So goss er den nächsten und den folgenden und den übernächsten Drink in sich hinein. Rachel hielt ihm ihr Glas hin und murmelte mit leicht quietschender Stimme: „Das ist leer. Sorg' mal für Nachschub."

Robert wollte sich erheben, aber seine Beine versagten den Dienst. In halber Höhe plumpste er wieder zurück und saß auf der Treppe. Dann blickte er Rachel an, grinste wie ein Honigkuchenpferd und flüsterte: „Du bist ja ein süßes Ding. Aber, ich liebe meinen Julian, und darum kann ich dir deinen Freund nicht ersetzen."

„Auch nicht für heute?" erwiderte Rachel lallend und streichelte sein Bein. „Auch nicht für heute", widerstand Robert. „Aber du bist so einfühlsam", war die Antwort von Rachel. Sie wollte sich zu ihm beugen und ihn erneut küssen. Da erschien John auf der Bildfläche. Er war auch sehr angetrunken und forderte die beiden auf, nach oben, ins nächste Schlafzimmer, zu gehen und sich dort in Ruhe zu unterhalten. Dann schenkte er ihre Gläser mit irgendeinem Zeug voll und schwankte, leicht vor sich hinsingend, ins Wohnzimmer.

Robert stieß mit Rachel an, und sie tranken die Gläser leer. Dann versuchten sie, sich gegeneinander festhaltend, den oberen Raum zu erreichen. Nach einigen vergeblichen Versuchen, standen sie vor dem genannten Zimmer, und Robert stieß die Tür auf. Sie schwankten auf das große Bett zu, und plötzlich schwanden Robert die Sinne.

Am frühen Morgen, gegen zehn Uhr, öffnete Robert die Augen. Als er den stechenden Schmerz in seinem Kopf spürte, schloss er sie sofort wieder. Dann öffnete er sein linkes Auge. Plötzlich hörte er neben sich Atemgeräusche. Erschrocken drehte Robert seinen Kopf zur Seite. „Hilfe", dachte er. „Da liegt ja eine Frau?" Die pochenden Kopfschmerzen hämmerten mit Gewalt auf ihn ein.

Langsam, ganz langsam, fast schemenhaft kehrte die Erinnerung zurück. „Wer ist diese Frau?" fragte sich Robert. „Und was macht die in meinem Bett? Oder besser gesagt: Was mache ich in ihrem Bett?" Dann stellte Robert fest, dass er Unterwäsche anhatte, und diese Frau auch. „Um Himmelswillen!" entfuhr es Robert. „Was ist da heute Nacht geschehen? Ich habe doch nicht -?" Er wehrte sich, den Gedanken zu Ende zu führen. „Ich habe doch nicht mit dieser Frau geschlafen???"

„O, Julian", war sein nächster Gedanke. „Das wird er mir nie verzeihen." Robert wehrte diesem Gedanken, der in seinem, vor Schmerzen pochenden Gehirn Einlass begehrte und sich ausbreiten wollte. Dann vernahm er ein leichtes Stöhnen von rechts. Rachel war erwacht. Auch sie schielte mit einem Auge zu ihm herüber. Als sie ihn registrierte, kam ein leichtes Lächeln auf ihr verknautschtes Angesicht. „O, Robär, Süßer, da bist du ja!"

„Ich bin nicht dein Süßer", wehrte Robert entschieden ab. „Außerdem war ich viel zu besoffen, als dass ich etwas Süßes mit dir gehabt hätte." Rachel begann zu lachen. Es gluckste so aus ihrem Körper heraus und wollte kein Ende finden. Robert, der auf einmal fühlte, dass er eine Morgenlatte hatte, weil er aufs Klo musste, entschied sich, der Situation ein Ende zu machen. Er stand auf und schwankte, noch ein wenig benommen, ins Bad.

Gut eine Stunde später saß Robert, frisch geduscht und angezogen, in Johns Küche, die bereits umgeräumt war und trank einen starken Kaffee. Die Luft, die er einsog, roch nach Alkohol und Tabaksqualm. Sein Magen verweigerte das Frühstück, das, mit knusprigem Toast und Rührei, mit krossem, lecker duftenden Speck, dampfend vor ihm stand. John saß ebenfalls im Morgenmantel in der Küche und versuchte gedanklich, den gestrigen Abend einzufangen. „Ich kann mich an nichts mehr erinnern", murmelte er, als Robert ihn über seine Situation mit Rachel ausfragte. „Irgendjemand hat euch ausgezogen, da ihr mit den Klamotten im Bett lagt und beide schlieft. Das war schon einmal beruhigend für Robert. Denn er konnte sich an keine sexuelle Aktivität mit Rachel besinnen, und doch bohrte ein leiser Gedanke wie ein Wurm in seinem Hirn: „Und wenn da doch was war?" Dieser machte Robert ein fürchterliches, schlechtes Gewissen.

Während Robert wieder nach Hause fuhr, nicht ohne seinen zukünftigen Schwager dazu verdonnert zu haben, aber auch gar nichts über die peinliche Situation seinem Bruder Julian zu sagen, klingelte es bei Jennifer an der Tür.

Sie war gerade damit beschäftigt, ihre Blumen zu pflegen, als es noch einmal an der Tür läutete, da sie in ihrer Arbeit so beschäftigt war. Als sie öffnete, stand ihre Schwester Catherine mit offenen Armen vor der Tür und rief laut: „Überraschung!!" Dann stürzte sie sich auf ihre Schwester und drückte sie an ihren Busen. Erst jetzt bemerkte Jennifer, dass ihre Schwester nicht alleine war. Hinter ihr grinsten zwei blondschopfige Wesen sie verlegen an. Dann fielen sie in ein schallendes Gelächter ein, wobei Dutzende von Sommersprossen auf den Gesichtern der beiden Kinder herumtanzten. Es waren ihre Nichte Carolyne und ihr Neffe Geoffry, beide der Schrecken der ganzen Familie.

Als Jenny sich von dem ersten ungestümen Begrüßungsritus erholt, und sie ihre Schwester ins Haus gebeten hatte, wobei sie die Aufgabe übernahm, den Koffer und die Tasche ins Haus zu tragen, da flitzten auch schon die Zwillinge mit großem Geschrei an ihr vorbei. Sie hatte gerade den Koffer und die Tasche in der Diele abgestellt, als sie die beiden Kinder rufen hörte: „O, ein Kätzchen!! Wie süß."

Jennifer ahnte Fürchterliches. Denn schon drang das klägliche Miauen ihrer kleinen Loulou an ihr Ohr. Als sie um die Ecke kam und in die Küche blickte, drohte sie, ohnmächtig umzukippen. Dort zogen Carolyne und Geoffry an der kleinen Loulou und schrien sich an: „Das ist meine Katze, lass sie sofort los, du Biest." „Nein, das ist mein Kätzchen, du Idiot. Sie gehört mir", kam es von der anderen Seite.

Jennifer sprang auf die beiden Kinder zu und schrie: „Lasst sie sofort los, ihr Ungetüme! Das ist kein Spielzeug, sondern ein lebendiges Wesen, an dem man nicht herumzerren kann, wie man will."

Kaum hatte Jenny die Worte ausgesprochen, als beide, schreckerstarrt auf Kommando, Loulou losließen. Gerade konnte Jenny das wimmernde Ding auffangen und an sich pressen. Dann funkelte sie ihren Neffen und ihre Nichte an und brüllte: „Ihr geht jetzt sofort nach oben und muckst euch in der nächsten Stunde nicht mehr."

Sofort fingen die beiden Kinder an zu weinen und stellten sich als die verletzten Kinder dar. Ihre Mutter kam gerade aus dem Bad, wo sie ihr Make-up erneuert hatte. Mit missbilligendem Augenaufschlag zu ihrer Schwester blickend, fragte sie unschuldig: „Was ist denn hier los? Waren die Kinder etwa nicht artig?" Jennifer zwang sich zur Ruhe, obwohl sie innerlich kochte. Dann drehte sie sich um und brachte ihre Katze vor den Scheusalen in Sicherheit.

Inzwischen waren ihre Schwester und die Kinder in die oberen Zimmer gegangen und dabei, den Inhalt der Koffer und der Tasche in die Schränke und Kommoden zu räumen. Es sah aus, als wenn ihre Schwester sich mit den Kindern für vier Wochen hier gemütlich einnisten wollte. Aber sie wollte nur übers Wochenende bleiben, da sie wusste, dass Jenny ohne Partnerin war. Catherine hatte nämlich einen Heidenrespekt vor Tamara. Sie wusste, dass diese ihr nicht aufs Fell sehen konnte. Besonders, weil sie die Erziehung ihrer wilden Sprösslinge nicht im Griff hatte. Catherines Mann Dustin, der Buchmacher in einem riesigen Wettbüro war, verlagerte seinen ständigen Aufenthalt mehr in die Firma, als zu Hause zu sein. Denn ihm gingen die Gören, die stets etwas Neues ausheckten, auch gehörig auf die Nerven.

Nachdem Jennifer ihre Katze im Schlafzimmer untergebracht hatte, wo sie vor den fünfjährigen Rangen sicher war, ging sie in die Küche, um das Essen vorzubereiten. Denn Jenny hatte das Zimmer abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt. Gerade war sie dabei, das Gemüse zu putzen, als Catherine sich zu ihr gesellte. „Was machen die Kinder?" war Jennys erste Frage. „Sie sagten, dass sie ein wenig müde wären und sich ausruhen wollten", entgegnete ihre Schwester. Das kam Jenny etwas seltsam vor. Denn sie wusste aus ihrer Kinderzeit, dass solche Explosivpakete, nicht kleinzukriegen waren und abends nie ins Bett wollten.

Nach ungefähr einer Stunde war das Essen zubereitet. Ihre Schwester saß die ganze Zeit daneben und erzählte aus der gemeinsamen Kinder- und Jugendzeit von Jenny und sich. Diese hörte nur mit einem halben Ohr zu und dachte: „Du könntest mir lieber zur Hand gehen, als dich über unsere gemeinsame Kinderzeit auszulassen, die ich genauso weiß wie du." Als Jennifer begann, den Tisch zu decken, bequemte sich Catherine mit anzufassen. Das Essen stand auf dem Tisch. Die Kartoffeln und Nudeln dampften vor sich hin. Die Soße verströmte einen würzigen Duft, der die Geschmacksnerven sehr anregte, und der Salat sah knakkig und lecker aus.

„Du kannst die Kinder zum Essen rufen", rief sie ihrer Schwester zu und stellte den Herd aus, auf dem das Essen noch auf kleiner Flamme vor sich hinköchelte. „Ruf du sie", antwortete Catherine. „Ich muss noch schnell mal wohin." Damit war sie schon verschwunden. Jenny stieg die Treppe hoch. Die Ruhe von oben war ihr verdächtig, und sie hatte plötzlich so eine seltsame Ahnung.

Oben angekommen, öffnete sie die Tür und stieß einen spitzen Schrei aus. Carolyne saß vor dem Frisierspiegel und war wie ein Clown bemalt. Die ganze Konsole war übersät mit Schminksachen. Dazwischen leuchteten Flecken von roter, schwarzer und hellrosa Farbe auf der Fläche des Frisiertisches. Geoffry stand am Kleiderschrank und malte gerade mit Lippenstift das Wort „Scheiße" an die Türen und auf die Spiegeltür in der Mitte. Jennifer bekam einen Anfall. Sie schrie die Kinder an: „Seid ihr verrückt geworden, ihr kleinen Bestien? Was fällt euch ein, hier alles zu verschmieren?" Dann stürzte sie sich auf die Kinder und riss ihnen die Schminkutensilien aus der Hand. Sofort fingen die Kinder wieder an, zu schreien und zu lamentieren. Von unten hörte man Catherine zaghaft rufen: „Was ist denn los? Ich denke, die Kinder schlafen."

„Wenn du nicht auf der Stelle hier bist und dafür sorgst, dass deine Ungetüme keinen Schaden mehr anrichten, dann kannst du auf der Stelle mit ihnen gehen und brauchst auch nicht wiederzukommen", war Jennys Kommentar. Sie war einem Ohnmachtsanfall nahe. Dann verließ sie das Zimmer und verzog sich ins Schlafzimmer zu ihrer Katze, die maunzend und verspielt auf ihrem Bett lag.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis sich Jennifer beruhigt hatte. Sie wusste nicht, ob ihre Schwester mit den Kindern noch im Haus war. Der Ärger war verflogen, und es tat ihr schon wieder leid, ihre Schwester so angeschrien zu haben. Leise stand sie auf und öffnete die Tür. Es war kein Geräusch zu hören. Auch in der Küche und im Wohnzimmer war niemand zu sehen. Erst als Jennifer auf die Veranda trat, sah sie ihre Schwester auf einem Stuhl sitzen. Sie hatte ihr den Rücken zugewandt. In ihrer rechten Hand hielt sie ein Taschentuch. Ein leises Zucken ihres Oberkörpers ließ Jenny erkennen, dass ihre Schwester geweint hatte. Dann trat sie von hinten auf sie zu, fasste ihre Schultern und murmelte: „Es tut mir leid, Catherine. Ich hätte nicht so mit dir schimpfen sollen. Aber ich war so zornig über den Unfug, den die Kinder gemacht hatten." Catherine drehte sich zu Jenny um. Ihre Augen waren rot gerändert. „Ist schon okay", flüsterte sie leise. „Manchmal weiß ich mir keinen Rat mehr mit den Kindern. Dustin wollte mich schon verlassen, weil er es nicht mehr zu Hause aushält, wenn die beiden so herumtoben. Aber sie sind doch noch so klein." Jenny streichelte ihre Schwester am Arm. „Wo sind sie überhaupt?" „Als sie mich weinen sahen, haben sie sich auf das Zimmer verzogen und waren mucksmäuschenstill. Und als ich später nach ihnen sah, waren sie auf dem Bett eingeschlafen."

Für den Rest dieses Tages waren die beiden Rangen verhältnismäßig ruhig, und Jennifer war heilfroh, dass ihre Schwester noch geblieben war.

Am nächsten Morgen, es war der Sonnabend, und die Sonne lachte vom Himmel, um die Menschen zu erfreuen, als Loulou mit ihrer kleinen Tatze Jennifers Nase streichelte. Jennifer musste niesen und erschreckte das kleine Kätzchen. Dann verwöhnte sie ihr kleines Schätzchen und kraulte ihren kleinen Bauch. Wohlig schnurrte Loulou, als wenn ein kleiner Motor angesprungen wäre. Doch dann war es Zeit, aufzustehen. „Hoffentlich hat Catherine die beiden Kinder unter Kontrolle", war ihr Gedanke, als sie sich ins Bad begab.

Nachdem sie geduscht und sich angekleidet hatte, traf sie ihre Schwester in der Küche, wo diese gerade das Frühstück zubereitete. Es duftete herrlich nach Kaffee, und Jenny spürte ihren Magen, der sich meldete. „Guten Morgen, Cathy", begrüßte sie ihre Schwester. „Wo sind die Rangen?" „Die haben schon gefrühstückt, und ich habe sie nach draußen geschickt. Damit sie hier alles in Ruhe lassen", antwortete Catherine lächelnd.

„Na, hoffentlich hast du ihnen auch gesagt, dass sie das Grundstück nicht verlassen dürfen?" „Klar! Ich weiß ja, wie dein Nachbar, Mr. Miller, auf kleine, neugierige Zwerge reagiert. Ich kann mich noch an letztes Jahr erinnern, als sie ihm die ganzen Rosen abgeschnitten hatten. Der war außer sich vor Zorn und hätte sie am liebsten in Arrest gesteckt." „Ja, wie gut, dass du versichert bist und den Schaden bezahlen konntest."

Nun machten es sich die beiden Frauen gemütlich. Sie sprachen über alte Zeiten, die vor ihnen in Gedanken wieder lebendig wurden, lachten wieder über alte Kinder- und Jugenderlebnisse und genossen das leckere Frühstück.