Einführung in die körperorientierte systemische Therapie - András Wienands - E-Book

Einführung in die körperorientierte systemische Therapie E-Book

András Wienands

0,0

Beschreibung

Handlungs- und erlebnisorientierte Ansätze stehen in der Psychotherapie derzeit hoch im Kurs. Das ist auch den Anregungen aus den kognitiven Neurowissenschaften zu verdanken, die belegen, dass das Gehirn zum Lernen Erfahrungen benötigt. Körperliches Erleben kann Erkenntnisprozesse begünstigen und verstärken; was intellektuell vielleicht schon verstanden worden ist, wird konkret, wenn es auch erfahren wird. Viele Psychotherapeuten stellt das vor neue Fragen: Wie kommt man vom Sitzen und Reden zum Handeln und Erleben? Wie bringt man Bewegung, Energie und Lebendigkeit ins Gespräch? Wie geht man mit intensiven Gefühlen um, und wie kann man sie für den Therapieprozess nutzbar machen? András Wienands gibt in diesem Buch einen kompakten Einblick in die grundlegenden systemischen und körperpsychotherapeutischen Konzepte und entwickelt aus diesen eine schlüssige und sehr effektive Spielart systemischen Arbeitens. Alle Methoden werden anhand von Fallbeispielen konkret erläutert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 154

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für meine Frau Silke und meine beiden Söhne Leonard und Leander

András Wienands

Einführung in die körperorientierte systemische Therapie

Vierte Auflage, 2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlag: Heiner Eiermann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Vierte Auflage, 2023

ISBN 978-3-89670-604-1 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8444-7 (ePub)

© 2010, 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/.

Dort können Sie auch unseren Newsletter abonnieren.

Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Einleitung

1 Systemische Perspektiven

1.1 Zirkulär

1.2 Strukturell

1.3 Strategisch-lösungsorientiert

1.4 Mehrgenerational

1.5 Wachstumsorientiert

1.6 Narrativ

1.7 Phänomenologisch

1.8 Symbolisch-erfahrungsorientiert

2 Körperpsychotherapeutische Konzepte

2.1 Vegetotherapie

2.2 Bioenergetik und Core-Energetik

2.3 Tiefenpsychologisch fundierte Körperpsychotherapie

2.4 Hakomi

2.5 Psychoanalytische Körperpsychotherapie

2.6 Neurowissenschaftliche Implikationen

2.7 Handlungs- und erlebnisintensivierende Interventionen

3 Methoden der Körperpsychotherapie

3.1 Sanfte Körperarbeit

3.2 Verbundatmung

3.3 Schreien

3.4 Spannung verstärken

Warum Schmerz?

3.5 Begrenzen

3.6 Bonding

3.7 Selbstbewegungen

3.8 Modellszenen

3.9 Übergang vom Reden zum Erleben

Hinlegen

Lokalisieren

Interaktion

4 Integration des Körpers in die systemische Praxis

4.1 Einführung

4.1.1 Energetisches Niveau

4.1.2 Kontextbezug

4.1.3 Situation

4.1.4 Imagination

4.1.5 Lösungsorientierung versus Traumakonfrontation

4.1.6 Interaktion

4.2 Fallbeispiel

4.2.1 Imagination der Szene

4.2.2 Interaktive Gestaltung des Problemerlebens

4.2.3 Imaginatives Probehandeln

4.2.4 Realisation der Choreografie

4.2.5 Das Geschehen intensivieren

4.2.6 Entfaltung der Selbstgestaltungskompetenz

4.2.7 Emotionale Schleusen

4.2.8 Bezug zur Vergangenheit

4.2.9 Perspektivenwechsel

4.2.10 Seiten

4.2.11 Symbole

4.2.12 Dosierung

4.2.13 Gedanken zur Arbeit mit Paaren

4.2.14 Konfliktkultur

4.2.15 Paarchoreografie

4.2.16 Lösende Interaktion

4.2.17 Projektionsauflösung

5 Ausblick

5.1 Von der linearen zur zirkulären Kausalität

5.2 Politische Dimensionen

5.3 Von der Destruktion zur Aggression

5.4 Ethische Disziplin

Literatur

Über den Autor

Einleitung

„Als ich 14 Jahre alt war,war mein Vater für mich so dumm,dass ich ihn kaum ertragen konnte.Aber als ich 21 wurde,war ich doch erstaunt,wie viel der alte Mann in den siebenJahren dazugelernt hatte.“

Mark Twain

Handlungs- und erlebnisorientierte Ansätze stehen im systemischen Feld derzeit hoch im Kurs. Wollte man für diese Entwicklung einen Namen finden, ließe sich von einer emotionalen Wende in der systemischen Praxis sprechen. Dies ist sicherlich auch den Anregungen zu verdanken, die aus den kognitiven Neurowissenschaften für die Psychotherapie im Allgemeinen und die systemische Therapie im Besonderen entstanden sind (Hüther 2006, 2008). Die Neurowissenschaften belegen, dass das Gehirn zum Lernen Erfahrungen benötigt. Für die Psychotherapie bedeutet dies, dass sich problematische Einstellungen durch kognitiven Erkenntnisgewinn nicht verändern lassen. Um Einstellungen, die auf Erfahrungen basieren, zu verändern, benötigt das Gehirn korrigierende Erfahrungen. Der Körper – die Verkörperung und Umsetzung in Handlung und Interaktion – bietet hierzu eine Vielzahl kreativer Möglichkeiten, die erfahrbar werden lassen, was intellektuell bereits verstanden worden ist.

Es haben bereits einige Autoren (El Hachimi u. Stephan 2008; R. Weber 2006; Lauterbach 2007) Möglichkeiten aufgezeigt, Bewegung, Spiel und Interaktion in der systemischen Praxis aufzugreifen. Eine Integration körperpsychotherapeutischer Konzepte, die sich von dem Energiebegriff Wilhelm Reichs ableiten, wurde bisher nicht vorgelegt. Dies mag unter anderem daran liegen, dass sich die Körperpsychotherapie noch immer in pathologieorientierten Konzepten verortet, wie sie der Systemik fremd sind. Nicht, weil diese Konzepte als falsch oder theoretisch mangelhaft kritisiert würden. Eine derartige Bewertung läge dem systemischen Feld fern. Eher, weil sie der systemischen Praxis als wenig nützlich erscheinen. Die Beschreibung eines Klienten als schizoider, psychopathischer oder rigider Charakter erinnert an Zuschreibungen, gegen die sich die familientherapeutische Bewegung in ihren Anfängen bewusst gestellt hat. An die Stelle von Zuschreibungen, Pathologisierungen und Klassifikationen trat ein Denken in Beziehungen. Symptome wurden nicht länger als Eigenschaften einer Person, d. h. als ihre Charaktereigenschaften, sondern als Ausdruck von Beziehungen beschrieben. Die Fokussierung und Wertschätzung der als positiv erlebten Beziehungsaspekte standen dabei im Vordergrund und wurden im Vergleich zur Analyse der Problemmuster als hilfreicher erlebt. Die Erkenntnis, dass der Mensch an seinen Erfolgen lernt, wurde hier konsequent umgesetzt.

Inzwischen wurde aber auch diese eher als einseitig zu beschreibende Lösungs- und Ressourcenorientierung zugunsten einer Balance von Problem- und Lösungsorientierung aufgegeben. Die Fokussierung auf schmerzliche Gefühle und der wertschätzende Umgang mit ihnen, wie sie der humanistischen Bewegung und insbesondere der Körperpsychotherapie zu eigen war, haben dabei ebenso einen Platz erhalten wie die Fokussierung auf Ressourcen und Lösungsmuster. Im Zuge dessen ist es möglich geworden, körperpsychotherapeutische Konzepte, deren Ziel im Wesentlichen in der Verlebendigung von Gefühlen besteht, in die systemische Praxis zu integrieren.

Im vorliegenden Buch möchte ich einen systemischen Weg aufzeigen, auf dem die wesentlichen Elemente der Körperpsychotherapie, wie sie von Wilhelm Reich begründet und durch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen weiterentwickelt worden sind, in die systemische Praxis integriert werden können. Um dies zu erreichen, möchte ich eine kurze Einführung in die verschiedenen systemischen Perspektiven geben und sie durch die Darstellung der unterschiedlichen körperpsychotherapeutischen Modelle ergänzen. Auf diesen Darstellungen aufbauend, möchte ich anhand eines Beispiels eine Integration beider theoretischer Gruppen zu einem Modell der körperorientierten systemischen Praxis beschreiben.

1 Systemische Perspektiven

Im Wesentlichen lassen sich in der systemischen Praxis folgende theoretische Perspektiven unterscheiden:

zirkulär

strukturell

strategisch-lösungsorientiert

mehrgenerational

wachstumsorientiert

narrativ

phänomenologisch

symbolisch-erfahrungsorientiert.

Ich möchte diese unterschiedlichen Perspektiven in ihren zentralen Gedanken und Methoden darstellen und sie jeweils anhand eines kurzen Beispiels veranschaulichen. Dazu ist zu sagen, dass die Unterscheidung verschiedener Perspektiven wie lösungsorientiert, mehrgenerational, strukturell etc. nicht einer gewissen Willkür entbehrt. Diese Unterscheidung stellt jedoch einen nützlichen Weg dar, will man das systemische Feld in seinen unterschiedlichsten Haltungen und Interventionen strukturieren. Eine ausführlichere Darstellung inklusive Interviewleitfäden zu den einzelnen Perspektiven findet sich in den Choreographien der Seele (Wienands 2005).

1.1 Zirkulär

Die zirkuläre Perspektive bzw. die Betonung von Zirkularität in der systemischen Praxis wurde von der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli (vgl. Selvini Palazzoli et al. 1981) sehr gefördert. Was sich aus den frühen Arbeiten der Mailänder Gruppe bis heute erhalten hat, ist das Denken in Wechselwirkungen, d. h. das Wissen darüber, dass jede Aussage über einen Beziehungspartner immer auch eine Selbstbeschreibung ist. Das Denken, Beschreiben und Fragen in linearen Kausalitäten wird dabei durch das Denken in zirkulären Kausalitäten ersetzt. Die Beschreibung eines Beziehungspartners, der mir etwas zufügt, wird durch ein Modell, in dem ich meinen Beziehungspartner dazu einlade, sich so zu verhalten, wie ich es entschieden ablehne bzw. es beim Therapeuten beklage, abgelöst. Eine Beschreibung von Beziehungsverhalten als Folge von bewussten oder unbewussten Einladungen macht es für den klagenden Klienten möglich, aus einer passiven in eine aktive Rolle zu wechseln. Das ohnmächtige Erdulden des Verhaltens der Bezugspersonen kann dadurch in ein aktives Gestalten der Einladungen und Angebote übergehen, womit dem Klienten das Wissen über seine Selbstgestaltungskompetenzen vermittelt wird.

Methoden

Die bekannteste Methode zur Vermittlung dieser Perspektive ist das zirkuläre Fragen. Im zirkulären Fragen (Simon u. Rech-Simon 2007) wird versucht, Wechselwirkungen aufzuzeigen, indem eine Person nach ihrer Wahrnehmung der Beziehung zweier anderer Personen befragt wird. So wird zum Beispiel die Ehefrau gefragt, wie ihr Mann ihre Beziehung zu ihrer Mutter wahrnimmt. Es kann aber auch einfach nur eine Außenperspektive eingeholt werden. So kann der Klient gefragt werden, wie seine Frau ein bestimmtes Geschehen wohl beschreiben würde. Kurz, es wird versucht, die egozentrierte Perspektive durch einen multizentrischen Blick auf das Geschehen abzulösen.

Beispiel

Ein Klient kommt zu mir in Therapie, da seine Frau vor Kurzem fremdgegangen ist. Im zirkulären Denken gehe ich davon aus, dass dieses Geschehen wechselseitig bedingt, d. h. von beiden Partnern gemeinsam erzeugt wurde. Ich werde den Fokus im zirkulären Ansatz daher auf die Frage richten, warum der Klient seine Frau weggeschickt bzw. zu einem anderen Mann geschickt hat und wie er das geschafft hat. Mit dem Warum können wir der Frage der unbewussten beziehungsgestaltenden Fähigkeit nachgehen, d. h. der Frage, in welcher Form durch dieses Geschehen Auseinandersetzung, Entwicklung und Veränderung für beide Partner eingefordert und möglich werden. Mit dem Wie können wir uns fragen, auf welche Weise es ihm gelungen ist, seine Frau erfolgreich zu einem anderen Mann zu schicken, und damit den Fokus auf seinen zukünftigen Handlungsspielraum richten. So wird der Klient vom ohnmächtigen Partner zum machtvollen Gestalter, der das Geschehen als Appell zu verstehen lernt, sich zu bewegen bzw. seine bewusste oder/und unbewusste Einladung gegenüber seiner Frau zu modifizieren und so Wachstum, Entwicklung und Veränderung möglich zu machen.

1.2 Strukturell

Mit dem Denken in und Beschreiben von Strukturen, d. h. der Beziehungsgrenzen, hat sich Salvador Minuchin (1997) ausführlich beschäftigt. Seine grundlegende Annahme ist, dass Systeme in Subsysteme unterschieden werden können. So kann eine Familie z. B. in folgende Subsysteme differenziert werden: aktuelles Familiensystem im Unterschied zu den Herkunftssystemen beider Partner, Paarsystem, Elternsystem, Kindersystem, Geschwistersystem (z. B. bei Patchworkfamilien), die Männer im System und die Frauen im System. Ein zentraler Gedanke besteht darin, dass Konflikte immer nur im jeweiligen Subsystem gelöst werden können. Versucht etwa das Paarsystem stellvertretend Konflikte aus den jeweiligen Herkunftsystemen zu lösen, ist es wahrscheinlich, dass dieser Versuch, sofern kein Bewusstsein für das Geschehen entsteht, scheitert. Es ist durchaus möglich, dass Konflikte in andere Subsysteme verschoben und dort erfolgreich gelöst werden können. So kann der Vater an den Sohn die Aufgabe delegieren, sich von seiner allmächtigen Mutter bzw. Großmutter abzugrenzen und auf diese Weise ihre Vormachtstellung im Familienunternehmen zu beschränken. Häufiger scheitern diese Versuche jedoch, d. h., den Kindern wird es z. B. nicht gelingen, im stellvertretenden Geschwisterkrieg den Konflikt ihrer Eltern aufzulösen.

Methoden

Die bekannteste Methode besteht in der Differenzierung der Subsysteme (Joraschky 1996). Indem der Therapeut gemeinsam mit den Klienten ein Bewusstsein für die diffusen, starren oder flexiblen Grenzen der unterschiedlichen Subsysteme gewinnt, können die unterschiedlichsten (Entwicklungs-)Aufgaben sowohl in Abgrenzung wie auch in einer für alle Seiten stimmigen Bezogenheit gelöst werden. Hierzu wird der Therapeut die Qualität der Subsystemgrenzen erfragen, um im Folgenden mit dem Klienten bzw. dem Klientensystem ein erweitertes oder neues Bewusstsein für den Umgang mit ihnen zu entwickeln. Die sogenannte Restrukturierung familiärer Systeme ist das Ziel dieser Vorgehensweise.

Beispiel

Drei Geschwister im Alter von 54, 57 und 61 Jahren kommen zu mir in Beratung, da mit dem Tod des Vaters ein heftiger Streit um das Erbe entflammt ist. Im strukturellen Denken gehe ich davon aus, dass Konflikte immer nur innerhalb ihrer Subsysteme gelöst werden können bzw. sich als unlösbar erweisen, wenn es sich um verschobene Konflikte handelt. Ich werde mit den Geschwistern daher zu klären versuchen, inwiefern sich in den Auseinandersetzungen jene alten und eventuell bekannten Konflikte der Eltern untereinander bzw. der Eltern mit den Kindern wiederholen. Gelingt es uns, Hypothesen zu entwickeln, die z. B. die Vermutung nahelegen, dass sich der Bruder mit der Schwester in einer Weise streitet, wie dies die Mutter mit dem Vater nie konnte, können wir die jeweiligen Positionen aufweichen. Ebenso wäre es möglich, dass sich die Brüder in einer Weise streiten, wie dies der Vater mit seinem Bruder immer getan hat. So wird deutlich, dass es den Kindern nicht gelingen kann, die ungelösten Konflikte der Eltern untereinander und innerhalb ihrer Herkunftssysteme zu lösen, und ein Aufeinanderzugehen nur möglich wird, wenn diese unbewusste Parteinahme aufgegeben wird. In der Folge lässt sich dann auch eine für alle Seiten stimmige Lösung für den Umgang mit dem Erbe finden.

1.3 Strategisch-lösungsorientiert

Unter dem Begriff der Lösungsorientierung werden mindestens fünf unterschiedliche theoretische Ansätze subsumiert: die Ressourcenorientierung von Milton Erickson (O’Hanlon u. Hexum 1994), die Fokussierung auf Ausnahmen vom Problemerleben nach Steve de Shazer (1998) und Insoo Kim Berg, die „Therapy as if“ von Paul Watzlawick et al. (2004), die „Fokused Problem Resolution Therapy“ der Palo-Alto-Gruppe um Richard Fisch, John Weakland und Lynn Segal (1987), Don D. Jackson und Gregory Bateson und der auf strategische Interventionen (Hausaufgaben) fokussierte Ansatz von Jay Haley (T. Weiss u. Haertel-Weiss 2005). In aller Kürze lassen sich diese Ansätze wie folgt zusammenfassen: Der grundlegende Versuch der Lösungsorientierung besteht darin, den Fokus vom Problem zur Lösung zu verschieben. Statt die Ursachen für das Scheitern zu suchen, wird der Weg zur Lösung fokussiert. Angenommen, ein Klient möchte nach Italien fahren und kommt in die Beratung/Therapie, weil er bisher in Holland, Spanien und Rumänien gelandet ist, nicht jedoch in Italien. Ein lösungsorientierter Therapeut wird sich nicht darum bemühen, mit dem Klienten zu verstehen, wie das kommen konnte, dass er immer wieder am falschen Ziel angelangt ist. Er wird eine Landkarte ausbreiten und zusammen mit dem Klienten die Route nach Italien suchen. Übertragen, bedeutet dies für die Therapie, dass der Aufmerksamkeitsfokus auf die Entwicklung, Stärkung und Förderung der Lösungsmuster gerichtet wird.

Methoden und Beispiel

Eine bekannte Methode besteht in der Frage nach Ressourcen und ihrer Verwendung zur Fokussierung des gewünschten Erlebens (O’Hanlon u. Hexum 1994). So kann eine depressive Klientin nach ihren ehemaligen Hobbys gefragt werden. Der Klientin fällt ein, wie gerne sie Geranien gezüchtet hat. Im weiteren Verlauf der Therapie wird es immer wieder darum gehen, die Klientin bei der Geranienzucht zu unterstützen, damit sie auf diese Weise einen Weg aus der Selbstbeschreibung „depressiv“ findet.

Die Frage nach Ausnahmen (de Shazer 1998) sucht nach Zeiträumen, auch sehr kurzen Intervallen, innerhalb deren das erwünschte Erleben bereits erfahren wurde. Diese Zeiten können durchaus weit zurückliegen, z. B. in der Kindheit. Entscheidend bleibt, dass durch die Fokussierung das Lösungserleben in all seinen Facetten in das Bewusstsein dringt. So wird man hier z. B. nach Zeiten fragen, in denen das erwünschte Erleben in Ansätzen bereits vorhanden bzw. das Problemerleben weniger dominant war oder gar nicht existierte.

Mit der dem Konstruktivismus entlehnten Intervention des „Nur mal angenommen …“ von Paul Watzlawick et al. (2004) gelingt es immer wieder, starre Realitätskonstruktionen zu verflüssigen. So kann ein Klient, der behauptet, sich nicht daran erinnern zu können, dem erwünschten Erleben je nahe gewesen zu sein, gefragt werden: Nur mal angenommen, Sie könnten sich daran erinnern, wie Sie sich in jenen depressionsfreien Zeiten gefühlt haben, was glauben Sie, wie sähe das aus?

Mit dem Fokus auf die bisherigen Lösungsversuche der Palo-Alto-Gruppe (Fisch et al. 1987) kann mit dem Klienten erarbeitet werden, wie das Problem bisher stabilisiert worden ist, sofern alle bisherigen Lösungsversuche nicht zu einer Lösung beigetragen haben. Ziel ist es hier, einen Lösungsversuch zu entwickeln, der die bisherigen Lösungsversuche nicht aufgreift. Man sagt hier auch gerne: Wenn die (bisherige) Lösung das Problem ist, ist das Problem die Lösung. So kann ein Klient, der den Konflikt mit seiner Freundin stets durch beschwichtigende Reaktionen zu schlichten versucht hat, dazu angeregt werden, ebenso wütend wie seine Freundin zu reagieren. Eventuell beinhaltet diese bisher als problematisch eingestufte Reaktion (wütend werden) die Lösung des Konfliktes (z. B. den Wunsch der Freundin nach einer emotionalen Reaktion seitens ihres Freundes). Die bisherige Lösung (beschwichtigen) stellt hingegen das eigentliche Problem dar.

Der Fokus auf Verschreibungen und Hausaufgaben (Weiss u. Haertel-Weiss 2005) verschiebt den Ort der Therapie in den Alltag des Klienten. Schon durch geringfügige Veränderung von Raum, Zeit, Ort, Art und Dauer des Problemerlebens kann dem Klienten ein Gefühl der Steuerung bzw. der Möglichkeit, sein Problemerleben zu beeinflussen, vermittelt werden. Ein Erleben von „Es passiert mit mir“ wird so durch ein Gefühl von „Ich mache“ ersetzt. Ein Paar kann z. B. gefragt werden, ob es möglich ist, den Streit, der bisher stets im Wohnzimmer ausgetragen worden ist, ins Badezimmer zu verlagern. Ein sich als depressiv beschreibender Klient kann gebeten werden, den Vormittag, vom Erwachen bis zur Mittagsstunde, für seine depressiven Gedanken und Gefühle zu reservieren, d. h., jegliche andere Beschäftigung auszuschließen, um im Gegenzug jedoch den Nachmittag bis zum Abend vollständig depressionsfrei zu halten. Alle „depressiven“ Gedanken und Gefühle müssen in diesem Zeitraum in ein Notizbuch geschrieben werden, das dann wiederum am kommenden Vormittag abgearbeitet werden kann.

1.4 Mehrgenerational

Die mehrgenerationale Perspektive, wie sie von Ivan Boszormenyi-Nagy (2006) beschrieben worden ist, legt ein besonderes Augenmerk auf die unsichtbaren Bindungen der Familienmitglieder, die in Form von Loyalitäten aufrechterhalten werden. Loyalität meint hier, einem Familienmitglied bzw. der Familie als Ganzem verpflichtet zu sein. Die Formen der Verpflichtung, die aus den verschiedenen Loyalitäten erwachsen, können sehr unterschiedlich sein. Indem sich die Familienmitglieder ihrer Loyalitäten bewusst werden und dafür einen konstruktiven und bewussten Ausgleich suchen, wird es möglich, destruktive Ausgleichsbemühungen zu ersetzen. Auch wenn – oder insbesondere wenn – ein Individuum auf der bewussten Ebene jede Form von Bezogenheit auf sein Familiensystem verweigert, kann dies durch eine umso intensivere unbewusste Form von Loyalität ausgeglichen werden. Die Person lässt sich dann z. B. beruflich ebenso scheitern, wie der Vater gescheitert ist, oder wird ebenso alkoholabhängig wie ein Familienmitglied, um der Familie auf diese Weise nahe zu sein und unbewusst auszudrücken: Ich gehe denselben Weg wie du, bzw. ich bin wie du. Auf einer bewussten Ebene ist Loyalität eine Bindungskraft, die dem Individuum eine Antwort auf die Frage nach der eigenen Identität geben kann, dies sowohl in Abgrenzung zur eigenen Familie als auch in bewusster Identifikation mit ihr. Loyalität ist demnach eine stark identitätsbildende und lebensgestaltende Kraft, unabhängig davon, ob sie verweigert oder als Ressource genutzt wird.

Methoden