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Leni Wambach

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Beschreibung

**Von Schatten verfolgt** Als gezeichnete Elfe ist Neia gezwungen, aus ihrer von Attentaten in Schrecken versetzten Heimat Kentan zu fliehen. Auf der Suche nach dem Ursprung der Bedrohung gelangt sie zum mysteriösen Drachenhof der Fluchelfen und findet sich plötzlich unter ihresgleichen wieder. Doch auch dort, wo sie sich endlich nicht mehr als Ausgestoßene fühlen muss, lauert mehr als eine Gefahr in den Schatten. Weit entfernt von ihrem Vertrauten Elys, mit dem sie einst tiefe Gefühle verbanden, ist Neia Intrigen auf der Spur, welche die Macht haben, ihre Welt in Schutt und Asche zu legen. Dabei kommt sie auch der faszinierenden Prinzessin des Drachenhofs gefährlich nah … Ein magisches Land voller Geheimnisse Eine Elfe, in der dunkle Kräfte schlummern. Eine Schmiedin, die niemals den Mut verliert. Ein Adeliger, der noch seinen Platz in der Welt sucht. Gemeinsam reisen sie durch ein Land, das mehr Magie verbirgt, als die Schatten zunächst preisgeben. //Dies ist der zweite Band der romantisch-fantastischen Reihe »Elfenmal«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress:  -- Elfenmal 1: Gezeichnete der Schatten    -- Elfenmal 2: Befreite der Dunkelheit    -- Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis -- Sammelband der romantisch-fantastischen »Elfenmal«-Reihe//  Diese Reihe ist abgeschlossen. 

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Leni Wambach

Elfenmal 2: Befreite der Dunkelheit

**Von Schatten verfolgt**Als gezeichnete Elfe ist Neia gezwungen, aus ihrer von Attentaten in Schrecken versetzten Heimat Kentan zu fliehen. Auf der Suche nach dem Ursprung der Bedrohung gelangt sie zum mysteriösen Drachenhof der Fluchelfen und findet sich plötzlich unter ihresgleichen wieder. Doch auch dort, wo sie sich endlich nicht mehr als Ausgestoßene fühlen muss, lauert mehr als eine Gefahr in den Schatten. Weit entfernt von ihrem Vertrauten Elys, mit dem sie einst tiefe Gefühle verbanden, ist Neia Intrigen auf der Spur, welche die Macht haben, ihre Welt in Schutt und Asche zu legen. Dabei kommt sie auch der faszinierenden Prinzessin des Drachenhofs gefährlich nah …

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© Jey Jones

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann, und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Das Blut

Sie formten das Leben aus Staub

und warfen die Samen auf fruchtbaren Boden.

Die erste Kapuze musterte das Spielfeld, während sich die anderen beiden stritten. Sie war sich nicht ganz sicher, wie viel Zeit die erste Runde in Anspruch genommen hatte. Wahrscheinlich mehrere Wochen eines Menschenlebens. So war das immer, wenn die drei Kapuzen ihr Spielfeld ausbreiteten. Die Welt um sie herum verblasste dann, bis sie nur noch auf dem Feld zu sehen war. Die Sterblichen nur noch Figuren.

Wenn die erste Kapuze wie jetzt nicht selbst am Spiel teilnahm, sondern nur die Einhaltung der Regeln überwachte, empfand sie dies als deutlich unterhaltsamer. Sie erhob sich für eine kurze Atempause und machte ein paar Schritte in die Dunkelheit. Die dritte Kapuze sagte verärgert etwas, die erste schenkte den Worten jedoch nur am Rande ihres Bewusstseins Beachtung.

»Die erste Runde hat nichts zu sagen«, kicherte die zweite Kapuze, was die dritte jedoch nur weiter verärgerte.

Das leise Geräusch von Schritten ertönte und die erste Kapuze drehte den Kopf. Die zweite stand neben ihr. Sogar im Vergleich zum Umhang der ersten Kapuze schien ihr Umhang zerschlissen und war an einigen Stellen vom Regen aufgeweicht, der etliche Meilen entfernt die Feuer gelöscht hatte.

»Was hast du getan, in den Sturmebenen? Als die Reiterin angerufen und ein Gewitter entfesselt worden ist?«, fragte die zweite Kapuze neugierig, ohne Anklage in der mannigfaltigen Stimme.

»Nichts.«

»Das ist gelogen.« Nun war die Anklage deutlich. Nicht wegen der Tat an sich, sondern weil die erste Kapuze es wagte, die Wahrheit zu verschweigen.

»Was interessiert dich das? Wer weiß, wie die erste Runde ausgegangen wäre, wenn ich nichts getan hätte.«

Einen Moment schwieg die zweite Kapuze. »Also hattest du deine Hand im Spiel. Das ist gegen die Regeln.«

»Nein. Ihr dürft das Spielfeld nicht berühren. Von mir war nie die Rede.«

Ein Schnauben war die Antwort und die erste Kapuze wusste genau, was die andere dachte.

»Du bist mein Blut. Natürlich verschaffe ich dir einen Vorteil«, sagte sie mit Entschlossenheit in der wabernden Stimme, ehe sie kälter fortfuhr: »Deine Niederlage steht in der Dunkelheit zwischen den Sternen. Erst werden die Wege verschüttet. Dann fallen die Gesichter wie Masken. Und am Ende vergehen auch die Kronen in Asche. Nichts, was ich tue, ändert etwas am Ergebnis. Nur die Straße dorthin liegt noch im Schatten.«

»Interessante Wortwahl. Ein Zufall?«

Nun schnaubte die erste Kapuze verärgert. »Oh, seit wann glauben wir denn an Zufälle? Es gibt keine Zufälle. Es gibt uns. Und die Ungewissheit zwischen unseren Fingerspitzen. Sie trudeln alle darauf zu, auf den Abgrund. Einige werden von ihm verschlungen werden. Andere werden über ihn hinwegfliegen. Manche werden sich über ihn erheben. Sieh hin. Es hat bereits begonnen.«

Aus dem Boden erwuchs Schönheit

und aus der Schönheit erwuchs Macht.

Kapitel I – Neia

Ein verbrannter Geruch stieg ihr in die Nase. Sie hörte ein Rauschen, das aus weiter Ferne zu kommen schien. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen öffnete sie die Augen. Alles war weiß. War sie blind?

Ihr Herz begann zu rasen und der Schweiß brach ihr aus. Nur langsam nahm ihr Verstand die Arbeit wieder auf. Sie lag auf einem harten, schwankenden Untergrund. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie raues Holz. Jeder Muskel ihres Körpers tat weh, aber Schmerz war gut. Schmerz bedeutete, sie war am Leben.

»Neia!«, drang ein Rufen in ihr Bewusstsein.

Sie erkannte die Stimme nicht auf Anhieb, auch wenn sie sich sicher war, sie erst vor Kurzem gehört zu haben.

»Kannst du mich hören?«, fragte die gleiche Person und schien jetzt direkt neben ihr zu knien.

»Ja … Aber ich sehe nichts«, brachte Neia heraus und zuckte zusammen, als sie dabei das Brennen ihrer Kehle bemerkte.

Kleidung raschelte und kühle Finger legten sich auf ihre Schläfe. Ihre Augen begannen zu brennen und sie holte zischend Luft. Im nächsten Moment wurde die Helligkeit erträglicher, verblasste … und sie konnte wieder Schemen erkennen. Ein Gesicht schwebte über ihrem, schwarze Haarsträhnen kitzelten ihre Wange. Dunkelblaue Augen starrten sie an.

»Arjana. Oder?«, fragte Neia langsam, während die Erinnerungen zurückkehrten.

Der Kampf auf dem Steg. Der heller werdende Himmel. Die Fluchelfen, die wie aus dem Nichts erschienen waren. Die Frau, die sich ihr als Arjana vorgestellt hatte. Elys. Neia schluckte und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sein Gesicht vor ihrem inneren Auge erschien. Sie hatten sich ein letztes Mal geküsst. Und dann … dann war sie mit Arjana auf das Schiff geeilt und sie hatten vom Hafen abgelegt. Der Himmel war explodiert und hatte die Welt im Nichts ertränkt.

»Genau«, sagte Arjana leise und lehnte sich etwas zurück.

Neias Blickfeld klärte sich mit jedem Herzschlag mehr und sie setzte sich vorsichtig auf, um sich umzuschauen. Ja, sie war auf einem Schiff. Die hohen Masten verschwanden über ihrem Kopf in der Dunkelheit der Nacht und die leinenfarbenen Segel waren im kräftigen Wind gebläht.

»Wie lange bin ich bewusstlos gewesen?«, fragte sie und rieb sich über die Augen, um die letzten weißen Schlieren zu vertreiben. Sie saß noch ungefähr an der gleichen Stelle, an der sie zusammengebrochen sein musste.

»Etwa eine Kerze. Das Artefakt hat die meisten von uns von den Füßen geworfen. Zum Glück weiß unsere Schuppe, was sie zu tun hat«, fügte Arjana hinzu und klopfte mit der flachen Hand auf die Planken des Schiffes.

Neia blinzelte, ließ diese Aussage erst einmal so stehen. Ihr schwirrte der Kopf von den tausend Gedanken und Fragen, die schneller kamen und gingen, als sie nach ihnen greifen konnte. Statt das überhaupt zu versuchen, konzentrierte sie sich erst einmal auf Arjana, die neben ihr saß und sich gegen die Reling gelehnt hatte. Ihren schwarzen Umhang hatte sie sich so um den Körper gebunden, dass nur ihre dunkelblauen Stiefel aus festem Leder zu sehen waren. Sie sah erschöpft aus, doch etwas anderes lenkte Neias Aufmerksamkeit auf sich. Nämlich die weißen Male in ihrem Gesicht, die fast wie ein Diadem aussahen. Blasse Ausläufer, die Neia auf dem Steg nicht gesehen hatte, reichten ihr bis zum Kinn. Von Nahem betrachtet wirkten sie auch gar nicht mehr wie eingefärbte Adern, wie Neia sie selbst hatte, sondern fast wie eine Tätowierung.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Neia hilflos und deutete erst auf Arjana, dann auf das gesamte Schiff. »Wir sind nach Mobrid gekommen, um … O bei den Göttern. Mirri! Was ist mit ihr? Sie ist doch verletzt gewesen? Wo ist sie?«

Wie hatte sie nicht sofort nach ihrer besten Freundin fragen können? Sie hatte gesehen, wie diese nach dem Angriff eines Soldaten zusammengebrochen war.

»Sie ist nicht bewusstlos geworden. Sie verfügt ja nicht über Magie«, erklärte Arjana mit einer Ruhe in der Stimme, die nicht auf Neia übergriff. »Die Ersten von denen, die zusammengebrochen sind, sind vor einer halben Kerze aufgewacht und kümmern sich gerade um sie. Ihr Bein ist vorher schon einmal verletzt gewesen, oder?«

»Ja. In den Bergen bei Kentan, den ulanir se ivelekaleve, wenn dir das mehr sagt. Sie hat sich das Bein an einem Felsen aufgeschlitzt, als wir getrennt worden sind«, antwortete Neia abgelenkt. Sie wollte aufstehen, stellte allerdings zu ihrem Unwillen fest, dass ihre Beine ihr noch nicht ganz gehorchen wollten.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, erhob sich Arjana und streckte ihr eine Hand hin. Zögerlich ergriff Neia sie und ließ sich auf die Beine helfen. Als sie stand, war sie froh über Arjana an ihrer Seite, die sie stützte.

»Das Artefakt, das die Stadtwache benutzt hat, ist für deinen Zustand verantwortlich«, erklärte Arjana. »Wir sind weit genug weg gewesen, um nicht ausgelöscht zu werden. Dafür hat das Objekt viel von unserer Magie aufgesaugt. Keine Sorge, sie regeneriert sich wieder.« Sie sprach mit einer Wut in der Stimme, die Neia durchaus nachvollziehen konnte.

»Ich habe dir noch gar nicht gedankt«, ergriff Neia das Wort, während sie langsam in Richtung Bug gingen. Dort führte eine Treppe in den Schiffsbauch und zu den Kajüten. So viel wusste sie über Schiffe.

»Wofür?«

»Ihr habt uns das Leben gerettet. Erst auf dem Steg und dann habt ihr uns mitgenommen.«

Neia musste sich zu sehr auf ihre Schritte konzentrieren und konnte Arjana deswegen nicht ansehen, aber als diese antwortete, konnte Neia das Lächeln in ihrer Stimme hören.

»Das ist doch selbstverständlich. Wir helfen allen Fluchelfen, wenn welche den Weg zu uns finden. Wegen des Banns um unser Schiff haben wir euch nicht früher bemerkt. Sonst hätten wir euch vor dem Angriff der Stadtwache aufs Schiff geholt.«

»Mirri und mich. Nicht Elys.«

Neia bemühte sich nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen. Immerhin hatten Arjana und die anderen Fluchelfen ihnen das Leben gerettet. Aber allein Elys’ Namen auszusprechen, sorgte dafür, dass sich die Angst um ihn wie ein Knäuel in ihrem Inneren zusammenballte. Die Stadtwache musste ihn bereits festgenommen haben. Was wenn sie sich verschätzt hatten? Wenn die Wachen Elys doch getötet hatten? Wenn er in diesem Moment tot im Hafen lag? Vielleicht sogar im Wasser, weil sie seine Leiche hatten loswerden wollen?

Neia begann zu zittern und Arjana hielt sie ein wenig fester.

»Es tut mir leid, ich habe gesehen, wie viel er dir bedeutet. Diese Gesetze kommen nicht von mir«, sagte Arjana entschieden. »Mein Bruder und meine Schwägerin haben das so entschieden, um unser Volk zu schützen. Der Drachenhof ist unsere Heimat, wir können sie nicht aufs Spiel setzen.«

»Ja, schon … Moment. Drachenhof?« Nun blieb Neia stehen und schaute Arjana an.

»Oh, ja. Das weißt du auch nicht … Der Drachenhof ist ein Land, einige Seemeilen entfernt. Die Heimat der meisten Fluchelfen und Elfen und der Ort des Herrschaftssitzes.«

Neia begann der Kopf zu schwirren. Die Fluchelfen … hatten eine Heimat? Gemessen daran, wie viele von ihnen erfolgreich hatten verschwinden können, vielleicht keine so große Überraschung. Trotzdem.

»Und … wer ist dann dein Bruder? Wer bist du?«

Arjana wich ihrem Blick aus und starrte stattdessen auf ihre Füße.

»Äh … Der König des Drachenhofs ist mein Bruder. Halbbruder. Wir haben einen anderen Vater. Ich werde sowieso nie den Thron besteigen. Mein älterer Halbbruder ist vor mir dran und er hat ein paar Kinder.«

»Du bist eine Prinzessin«, sagte Neia langsam und ignorierte den Rest der Erklärung.

Arjana blinzelte sie unter ihren langen Wimpern hinweg an. »Wenn man das so sagen will …«

Schnaubend setzte sich Neia wieder in Bewegung. »Ich gebe auf. Bevor ich eine Erklärung für das alles haben möchte, muss ich wissen, ob Mirri wohlauf ist.«

»Ich verspreche dir, du wirst eine Erklärung bekommen. Soweit ich sie dir geben kann«, fügte Arjana schnell hinzu, was Neia nicht vollkommen zufriedenstellte.

Für den Moment beließ sie es jedoch dabei, denn sie hatten die Stufen erreicht und sie musste sich voll und ganz darauf konzentrieren, sie hinunterzusteigen, ohne zu stürzen.

Mit zitternden Knien erreichte sie das erste Untergeschoss. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Szene im Fackellicht erfasste.

Auf dem Boden lagen mindestens ein Dutzend Fluchelfen, während fünf weitere um sie herumgingen. Mit einigen sprachen sie leise, bei anderen kontrollierten sie offensichtlich nur, ob sie schon wach waren.

»Sind sie wohlauf?«, fragte Neia und schluckte.

»Ja, wir gehen zumindest davon aus. Bis jetzt sind nur die wach, die über stärkere Magie verfügen. Die meisten werden wohl erst gegen Morgen wieder zu sich kommen.«

Neia schob das merkwürdige Gefühl beiseite, das sie prickelnd durchlief, als sie die Tragweite von Arjanas Worten begriff. Sie gehörte zu denen mit stärkerer Magie …

»Wo ist Mirri?«, fragte sie.

»Komm.«

Arjana hielt sie immer noch am Arm fest und führte sie durch die Reihen der Bewusstlosen oder gerade Erwachenden. Neia wollte sie nicht anstarren, aber sie konnte nicht anders. Sie sah nur eine Fluchelfe mit ebenfalls schwarz eingefärbten Adern. Ansonsten entdeckte sie meerblaue Adern, feuerrote, hellgelbe und grüne. Manche hatten die eingefärbten Adern im Gesicht, andere an den Händen. Bei einigen konnte sie sie nicht sehen. Und viele hatten Male, die eher wie Tätowierungen aussahen – wie Arjana.

Ganz am Ende der Reihe entdeckte Neia eine Fluchelfe, deren entblößte Arme den Blick auf ein Netz hellgelber Adern freigaben, die wirkten, als würden Blitze unter ihrer Haut zucken. Sie beugte sich über eine Gestalt mit unverkennbaren roten Locken.

Neia löste sich aus Arjanas stützendem Griff und eilte die letzten Schritte zu Mirri, ohne sich um ihre Erschöpfung zu kümmern. Ihre Freundin lag auf einer dünnen Stoffmatte, unter der Decke ragten nur ihr verletztes Bein und ihr Kopf heraus. Die Fluchelfe steckte gerade einen Verband fest und schaute dann auf.

»Sie ist eingeschlafen, wegen der Schmerzen und des Blutverlustes«, erklärte sie an Arjana gewandt, während sich Neia neben Mirri auf die Knie sinken ließ.

»Sie wird doch wieder, oder?«, fragte Neia mit dünner Stimme und strich Mirri eine verirrte Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht. Ihr Atem ging ruhig, was Neia einen kleinen Teil ihrer Sorge nahm.

»Sie wird auf jeden Fall nicht daran sterben.«

Etwas widerwillig sah Neia auf, um die Fluchelfe anzusehen. Diese erwiderte ihren Blick ruhig und mit der kühlen Art einer Person, die häufig mit Angehörigen kranker Personen sprach und deren Sorge nicht noch verstärken wollte.

»Das beantwortet meine Frage nicht gänzlich.«

Die Fluchelfe presste für einen Moment die Lippen zusammen. »Ihr Bein ist vorher schon verletzt gewesen, an beinahe exakt derselben Stelle. Ich kann nicht sagen, ob sie sich je wieder ganz von dieser Verletzung erholt. Vielleicht wird dieses Bein immer etwas schwächer bleiben.«

Einerseits war Neia ihr für die unumwundene Wahrheit dankbar, andererseits ließen die Worte sie zusammenzucken. Wusste Mirri das schon? Und wenn nicht, wie würde sie mit dieser Neuigkeit umgehen?

»Wenn wir den Drachenhof erreichen, wird sich Lauria ihr Bein noch einmal ansehen«, vernahm sie Arjanas Stimme neben sich.

Die Fluchelfe hatte sich ebenfalls gesetzt und als Neia sie ansah, schenkte ihr diese ein kleines Lächeln. »Lauria ist eine meiner ältesten Freundinnen. Sie hat ein Händchen für so etwas. Sie wird deiner Freundin schon helfen.«

»Danke«, sagte Neia leise und rieb sich das Gesicht. Ein großer Teil von ihr wollte sich einfach nur zusammenrollen und tagelang schlafen. Sie hätte dafür nicht einmal ein Bett gebraucht, die nackten Planken sahen verlockend genug aus.

Aber sie würde kein Auge zubekommen. Nicht solange ihr noch so viele Fragen im Kopf herumschwirrten. Nicht solange sie von Fluchelfen umgeben war, die ihr so fremd vorkamen.

»Was … was seid ihr?«, fragte sie und machte eine hilflose, den ganzen Raum umfassende Geste. »Ich habe noch nie Fluchelfen wie euch gesehen.«

Am Rande bekam sie mit, wie sich die Fluchelfe mit den gelben Adern erhob und sie verließ, sodass nur noch sie, Arjana und die schlafende Mirri zurückblieben.

Arjana schaute sie prüfend an, als wollte sie sichergehen, dass Neia die Antwort wirklich wissen wollte. Was auch immer sie in ihrem Gesicht fand, schien auszureichen, denn sie rutschte zurück, um sich mit dem Rücken an einen hölzernen Stützpfeiler zu lehnen und die Beine von sich strecken zu können.

»Na gut. Da ist einiges, das du wissen musst«, begann Arjana langsam und schien ihre Worte noch beim Sprechen zu ordnen. »Die Heimat der Elfen ist immer schon der Drachenhof gewesen. Sie haben ihn vor den Menschen geheim gehalten. Vermutlich haben sie geahnt, dass sie irgendwann einen Ort brauchen würden, an dem sie vor ihnen in Sicherheit sind. Na ja … Dort ist die Krankheit auch ausgebrochen. Von heute auf morgen sind fast alle Elfen an ihr erkrankt. In den Städten auf dem Festland sind nur Fluchelfen wie du entstanden, warum, wissen wir nicht. Fluchelfen mit schwarzen Malen und der Fähigkeit, über Schatten zu herrschen. Bei uns ist das eine sehr seltene Ausprägung der Krankheit. Genauso selten wie meine.«

Arjana hob die Hand und auf einmal wurde diese in ein sanftes Leuchten gehüllt, das immer weiterstrahlte. Das Licht war nicht grell und brannte Neia auch nicht in den Augen, stattdessen hatte das Leuchten die tröstliche Ausstrahlung eines friedlichen Sommertages. Langsam, fast gegen ihren Willen, hob Neia die Hand und schwarzer Nebel begann aus ihren Fingerspitzen zu sickern. Beinahe erwartete sie, die gegensätzlichen Kräften würden sich bekämpfen. Stattdessen vermischten sie sich, waberten ineinander und hinterließen ein sanftes Kribbeln auf Neias Haut.

Rasch ließ sie die Hand wieder sinken und die Schatten verschwinden. »Das ist … Nennt man das Lichtmagie?«

»Genau. Soira, die du gerade kennengelernt hast, beherrscht die Luftmagie.«

»Und die anderen beherrschen Wassermagie, Erdmagie und Feuermagie«, vermutete Neia und Arjana nickte bestätigend. Unglaublich. Sie musste träumen, war vielleicht noch gar nicht wach oder hatte sich bei ihrem Zusammenbruch stärker den Kopf gestoßen, als sie zu Beginn gemerkt hatte.

»Wir versuchen seit Jahren herauszufinden, warum auf dem Kontinent nur Schattenmagie existiert.« Arjana sah frustriert aus. »Eventuell hat die Magie eine Art Bewusstsein. Vielleicht hat sie geahnt, dass sich die Fluchelfen auf dem Kontinent werden verteidigen müssen.«

»Aber wenn damals auch andere Kräfte existiert hätten und nicht nur diese dunklen, beängstigenden, wäre vielleicht überhaupt kein Krieg ausgebrochen«, warf Neia ein. Sie sah immer noch Arjanas warmes Licht vor ihrem inneren Auge. Davor hätten nicht einmal die Menschen Angst gehabt!

Arjana lächelte matt. »Das ist ein Punkt, der gegen diese Theorie spricht. Aber wenn du mich fragst: Der Krieg wäre trotzdem gekommen. Frag mal meine Schwägerin danach.«

»Hm«, brummte Neia und überlegte, welche Frage sie als Nächstes stellen sollte, obwohl Arjanas Erklärung ihr immer noch den Kopf schwirren ließ. »Warum sehen deine Male wie Tätowierungen aus?«

»Zufall. Die Fluchelfen der ersten Generation haben alle solche eingefärbten Adern gehabt wie du und einige der anderen hier auf dem Schiff. Mittlerweile sind wir in der dritten Generation und eure Ausprägung ist eher selten geworden«, erklärte Arjana schulterzuckend.

Diese Antwort fand Neia etwas enttäuschend. Sie hätte mit etwas Spektakulärerem gerechnet.

»Wo ist der Hohe Rat?«

Weil sie Arjana so genau ansah, bemerkte sie, wie sich diese anspannte. Ihre Schultern zogen sich zusammen, ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ein wütender Zug spielte um ihre Mundwinkel.

»Wissen wir nicht. Irgendwo westlich des Drachenhofs.« Sie schien die Worte mehr zu knirschen, als zu sagen. »Glaub mir, wir versuchen ihn seit Ausbruch der Krankheit zu finden. Meine Großmutter hat mir immer erzählt, die Mitglieder seien eines Morgens einfach verschwunden gewesen. Als wären sie nie da gewesen.«

Eine Welle der Enttäuschung schlug über Neia zusammen. Jeder Rest von Kraft schien ihren Körper auf einmal verlassen zu haben. All die Mühe. All das vergossene Blut, alle Kämpfe, alle Wunden … umsonst. Sie hatten den Hohen Rat finden wollen, um Hilfe zu erbitten. Und nun … Ihr Blick schweifte zu Mirri, doch ihre Gedanken waren bei Elys. Sie hatte zwei Leben ruiniert. Für nichts weiter als eine verlorene Hoffnung.

Kapitel II – Elys

Die markerschütternden Schreie aus der Stadt hinter dem Hafen klangen Elys immer noch in den Ohren nach, als das Licht des Artefakts bereits zu verblassen begann. Als die, die geschrien hatten, schon längst verstummt waren.

Bunte Flecken tanzten von der Explosion vor seinen Augen und er blinzelte hektisch, um sie zu vertreiben. Vom Steg aus suchte er das dunkle Meer ab, dort, wo er die Schillernde Schuppe zuletzt gesehen hatte, bevor die Nacht explodiert war. Aber er konnte sie nicht mehr entdecken. Hilflos ballte Elys die Hände zu Fäusten, sein Herz schlug rasend schnell vor Sorge und Wut. Sie mussten es rechtzeitig geschafft haben. Sie mussten einfach. Die Vorstellung, wie das Schiff auf den Wellen trieb, während alle auf ihm tot waren … während Neia …

Mit einem Ruck wandte er sich vom Wasser ab. Mehrere Soldaten standen um ihn herum und beobachteten ihn wachsam. Sie hatten ihm bereits seine Waffen abgenommen, was ihnen wohl reichte, zumindest trug er noch keine Ketten.

Eine Soldatin, deren Abzeichen auf der Brust sie als oberste Befehlshaberin einer ganzen Einheit auszeichnete, trat auf ihn zu. Sie hatte ihren Helm abgenommen und gab somit den Blick auf ihre schwarzen, graumelierten Haare frei, die sie zu einem strammen Zopf geflochten hatte. Sie beachtete ihn zuerst überhaupt nicht, sondern wandte sich an einen anderen Soldaten.

»Was meinst du, haben wir sie erwischt?«, fragte sie mit kalter Stimme. Als würde sie nach dem Wetter fragen.

Der Soldat zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Die Fluchelfen in der Stadt hat das Artefakt auf jeden Fall erwischt.«

Falls die Befehlshaberin von dieser unklaren Aussage enttäuscht war, ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen betrachtete sie nun Elys aus abschätzenden grauen Augen.

»Lasst mich raten, mein Lord«, sagte sie und er kam nicht umhin den leisen Spott herauszuhören. »Ihr seid von ihnen einfach aus der Stadt entführt und mitgenommen worden. Ihr habt gar nichts mit der ganzen Sache zu tun, seid zutiefst empört und wollt sofort nach Kentan gebracht werden, um Euch dort unter den Schutz Eures Vaters zu begeben.«

Irgendetwas an ihr kam Elys vertraut vor. Eine flüchtige Erinnerung, die zwischen seinen Fingern hindurchfloss wie Wasser.

Er erwiderte ihren Blick ruhig und stumm, denn er war sich nicht sicher, ob sie sich einfach nur über ihn lustig machte oder …

»Zumindest bin ich mir sehr sicher so etwas gerade aus Eurem Mund gehört zu haben, Lord Anoux. Da sind wir uns doch alle einig, nicht wahr?«

Die Befehlshaberin warf einen scharfen Blick in die Runde und von allen Soldaten kam ein etwas zögerliches, aber zustimmendes Brummen.

Sie bot ihm einen Ausweg. Und Elys hatte keine Ahnung warum. Misstrauisch beobachtete er, wie sie einige Befehle gab und sich die Soldaten langsam und geordnet vom Steg zurückzogen, bis nur noch zwei von Elys’ Bewachern und die Befehlshaberin, die sich neben ihn gestellt hatte, übrig waren.

»Mein Name ist Kamris«, sagte sie und betrachtete die Stadt. Von einigen Häusern stieg Rauch auf und Rufe und Brüllen waren zu hören.

Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Elys’ Zunge aus. Das mussten die Häuser der toten Fluchelfen sein. Das Feuer stammte vielleicht von umgestoßenen Kerzen, deren Flammen nun auch die Heimat der Getöteten verzehrten.

»Das ist … das ist abscheulich«, sagte er leise. »Wie konntet Ihr das tun?«

»Ein paar haben entkommen können. Die Wache von Mobrid hat einen Hinweis bekommen, nur leider etwas zu spät

Elys drehte sich zu Kamris um. »Wie bitte?«

»Sie haben einen Hinweis bekommen. Von einem meiner Leute«, erklärte sie mit einer Stimme, die Erwachsene nutzten, wenn sie mit einem Kind redeten.

»Warum solltet Ihr das tun?«

»Weil diese Tat abscheulich gewesen ist.« Sie lächelte schmal. »Ich muss Euch jetzt Ketten anlegen lassen. Den meisten hier traue ich nicht, also spielt mit, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Einige wollen Euch lieber früher als später tot sehen und wenn wir erst Kentan erreicht haben, werden sie keine Gelegenheit mehr haben, sich persönlich darum zu kümmern.«

Elys wusste immer noch nicht, was hier gespielt wurde, aber er nickte langsam und ließ sich die Hände von einem Soldaten aneinanderketten. Das Ende der schmiedeeisernen Kette nahm der Soldat in die Hand.

Sie setzten sich in Bewegung. Kamris ging vor und während sie den Steg entlangschritten, starrte er die ganze Zeit ihren Rücken an. Sie hatte die aufrechte Haltung einer Soldatin, die schon seit ihrer Jugend aufs Soldatinsein gedrillt worden war. Ihre Rüstung war gepflegt, allerdings nicht mehr neu. Das Schwert an ihrer Seite sah schmaler aus als das von anderen Soldaten der Stadtwache. Vermutlich stammte die Waffe aus Gesiglio.

»Spart Euch Eure Fragen«, vernahm er ihre leise Stimme. »Für den Moment müsst Ihr nur wissen, dass wir zumindest nicht auf gegensätzlichen Seiten stehen.«

»Aber auch nicht auf derselben«, brummte er, woraufhin sie nicht mehr antwortete. Damit musste er sich wohl zufriedengeben.

Sie erreichten den Hafen und damit die anderen Soldaten. Kamris gab den Befehl, dass ihm nichts geschehen dürfe und sie sich vor der Stadt wiedertreffen würden. Dann ging sie, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und ließ ihn in einer Traube von Soldaten zurück.

Bis auf die beiden, die von Anfang an neben ihm gewesen waren, schauten ihn alle anderen mit einer Mischung aus Feindseligkeit und Misstrauen an. Bei einigen schien die Stimmung jedoch geradezu gelöst zu sein und als er sie über die Vernichtung der Fluchelfen scherzen und lachen hörte, musste er an sich halten nicht etwas dazu zu sagen.

»Wenn Ihr glaubt, Ihr kommt einfach so davon, nur weil Ihr der Sohn eines Adligen seid …«, zischte plötzlich ein Soldat und trat dicht an ihn heran, bis Elys seinen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.

Er sagte nichts, erwiderte nur den hasserfüllten Blick, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er hatte auf seiner Reise Schlimmeres überstanden als pöbelnde, schlecht gelaunte Soldaten. Er war müde, er machte sich Sorgen um Neia und Mirri und sah einer ungewissen Zukunft entgegen. Da würde er sich nicht von ein paar Kommentaren provozieren oder einschüchtern lassen.

Der Soldat schien das zu spüren, denn sein Gesicht verzerrte sich zornig. Schneller als Elys gucken konnte, hatte der Mann eine Klinge gezogen und hielt sie ihm unter die Nase.

»Eine falsche Bewegung, Adelssöhnchen, und mir rutscht der Dolch aus. Das verspreche ich Euch.«

»Du hast Kamris gehört. Ihm darf nichts geschehen. Sonst hältst du den Kopf dafür hin«, sagte einer der Soldaten an Elys’ Seite mit tiefer, befehlsgewohnter Stimme.

»Unfälle passieren. Der Weg nach Kentan ist lang.«

Elys spürte, wie sich die Atmosphäre augenblicklich anspannte. Seinen Blick behielt er auf den Dolch gerichtet, der nur wenige Fingerbreit von ihm entfernt schwebte. Wenn es sein musste, würde er sich blitzschnell unter ihm hinwegducken und dem Soldaten seinen Kopf gegen die Brust rammen. Und sich dabei vermutlich den Schädel an der Rüstung brechen.

»Steck den Dolch weg«, sagte einer seiner Bewacher grollend.

Der Soldat bleckte nur die Zähne und schob die Klinge noch ein bisschen näher an Elys heran. »Und wenn nicht? Seine Fluchelfen-Freundin hat unsere Leute getötet. Meinen Offizier!«

»Über seine Strafe hast du nicht zu entscheiden. Tritt beiseite.«

Entweder die Worte oder der schroffe Tonfall stießen den Soldaten über den Rand seiner Vernunft. Es war in seinen Augen zu sehen. Sofort ließ sich Elys auf die Knie fallen und die Klinge zuckte über seinen Kopf hinweg. Er hörte das Schaben von gezogenen Schwertern, Rufe und gebrüllte Befehle, aber er konzentrierte sich nur auf den Soldaten vor sich. Der holte erneut wutentbrannt mit seinem Dolch aus und zielte auf seinen Hals.

Elys sprang wieder auf die Füße, machte eine halbe Drehung und trat ihm gegen die Kniescheibe. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sein Bein, als sein Fuß auf die Rüstung des Mannes traf. Er riss die Arme in die Höhe und schlang die Kette, die seine Hände miteinander verband, um das Handgelenk des Soldaten. Schnell überkreuzte er seine Hände und drückte mit der Kette gegen die Sehne des Soldaten. Mit einem schmerzerfüllten Keuchen ließ sein Gegner den Dolch fallen und Elys schob ihn mit einem Fuß außer Reichweite.

Aus den Augenwinkeln sah er eine Faust auf seine Schläfe zukommen und duckte sich. Nicht schnell genug, denn sie streifte seinen Schädel und er stolperte. Er konnte spüren, wie sich der Soldat von der Kette befreite. Eine zweite Faust rammte sich in seinen Magen und Elys sackte mit einem erstickten Keuchen zusammen.

Im nächsten Moment verschwand der Mann aus seinem Blickfeld und er wurde in die Höhe gezogen. Die Soldatin, die ihm geholfen hatte, warf ihm einen prüfenden Blick zu.

»Geht schon«, murmelte er und zwang sich dazu, mehrmals tief ein- und auszuatmen, um seinen Puls zu beruhigen.

Er schaute sich um. Ein paar Soldaten waren von den anderen zu Boden gerungen worden und seinem Angreifer legte man gerade ebenfalls Ketten an. Zwei weitere führten ihn weg und die von Kamris abgeordneten Wachen traten wieder an seine Seite. Einer wischte sich Blut von der Wange und der andere rollte die Schultern mit einem vernehmlichen Knacken.

»Wir werden Euch wohl mehr Wachen besorgen müssen«, sagte der mit der blutenden Wange und spuckte auf den Boden. »Kommt.«

Rasch verließen sie den Ort des Geschehens. Als sie eines der Tore durchschritten, vorbei an den stummen, zu Boden schauenden Wachen von Mobrid, warf Elys noch einen letzten Blick über die Schulter.

Ich flehe Euch an, mein Herr und Gott der vielen Gesichter. Beschützt sie, solange ich dies nicht kann, oder bittet die anderen in meinem Namen darum.

Er wandte sich ab und hatte das Gefühl, als würde er Neia damit endgültig verlieren. Aber egal, was noch passierte: Er würde sie immer in seinem Herzen bewahren.

Kapitel III – Neia

Nach drei Wochen an Deck hatte sich Neia an das ständige Schwanken des Bodens unter ihren Füßen gewöhnt. Am Anfang hatte sie kaum von einem Ort zum anderen gehen können, ohne mehrmals zu stolpern.

Nun stand sie schon seit dem Morgen am Bug des Schiffes und beobachtete die näher kommende Landmasse. Der Drachenhof. Während der ersten Tage, als sie von Hoffnungslosigkeit und Sorge um Mirri und Elys wie gelähmt gewesen war, hatte sie sich kaum auf die Ankunft freuen können. Endlich regte sich jedoch ein Anflug von Aufregung und Neugierde in ihr. Auch wenn der Hohe Rat immer noch in weiter Ferne lag, würde ihnen der Drachenhof vielleicht trotzdem helfen können. Auf jeden Fall wäre sie dort erst einmal in Sicherheit. Und sie würde dort lernen mit ihren Kräften umzugehen, das hatte Arjana ihr versprochen.

»Du hast schon wieder dein Denkgesicht aufgesetzt. Was geht in deinem Kopf vor sich?«, hörte sie wie aufs Stichwort Arjana hinter sich fragen.

Im nächsten Moment stand die andere Fluchelfe neben ihr und stützte die Arme auf der Reling ab.

»Ich frage mich, was uns am Drachenhof erwartet«, antwortete Neia wahrheitsgemäß.

Sie hatte viel Zeit mit Arjana verbracht und sie in den letzten Wochen mit allen möglichen Fragen gelöchert. Über das Leben der Fluchelfen an diesem Ort, über die verschiedenen Kräfte … und auch über Arjana selbst, die von ihrem Bruder nach Mobrid geschickt worden war. Mit ihrer Lichtmagie war sie unter den Fluchelfen etwas Besonderes und Neia fühlte sich von ihr auf eine Art und Weise verstanden, die ihr fast ein wenig Angst einjagte. Sie hatten intensive Gespräche geführt und Neia spürte ihre Magie kribbeln, sobald Arjana in ihrer Nähe war. Neia versuchte nicht allzu genau über dieses Gefühl nachzudenken, da ihr dann sofort Elys in den Sinn kam und sie von einem schlechten Gewissen und Scham überrollt wurde. Bei dem Gedanken an ihn schmerzte ihre Brust immer noch und ihr Herz zog sich zusammen, als hätte sie tatsächlich eine Wunde davongetragen. Sich auf Arjana zu konzentrieren, von der Neia noch so viel erfahren wollte, war einfacher.

»Antworten, hoffe ich«, sagte Arjana nun auf ihre Worte hin. »Larna, Askger und Aramis haben den letzten Krieg zwischen Menschen und Fluchelfen miterlebt, nicht hier, sondern den in Leslen. Sie haben vielleicht auch eine Idee, wie dieser aufzuhalten ist.«

Neia hatte diese Namen in den letzten drei Wochen so oft gehört, die Personen dahinter kamen ihr fast wie alte Bekannte vor. Larna, die Königin aus einem noch ferneren Land, vom anderen Ende des Kontinents. Askger, der König der Fluchelfen, der vor fast zwanzig Jahren aus Leslen gekommen war. Und Aramis, sein jüngerer Bruder, der ebenfalls im Krieg gekämpft hatte … So ganz genau wusste Neia immer noch nicht, was in Leslen vorgefallen war, weil Arjana ihr nichts erzählen wollte. Es sei nicht ihre Geschichte, sagte sie immer.

»Wie heißt noch mal Larnas Bruder?«

»Ylen.« Arjana verdrehte die Augen, klang aber belustigt. »Er ist ein ausgezeichneter Krieger. Ziemlich eingebildet.«

»Und Larna und Ylen sind …«

»Drachnen. Ein Volk aus einem Land nördlich von Leslen. Was es genau damit auf sich hat, wirst du noch früh genug erfahren.« Arjana grinste nun, was wiederum Neia die Augen verdrehen ließ.

Die Fluchelfe behauptete stets ihr nicht alle Geheimnisse des Drachenhofs verraten zu dürfen und dass man einige besser selbst entdecken sollte – allerdings vermutete Neia, sie hatte einfach nur Spaß daran, sie ein bisschen zu ärgern.

»Lass mir die Freude«, sagte Arjana, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. Eine Mischung aus Unschuld und Flehen lag in ihrer Stimme, sodass Neia ihr unmöglich wirklich böse sein konnte.

»Schon gut. Ich lasse mich überraschen.«

Neia schaute wieder auf die Landmasse, die immer näher kam und von der sie langsam mehr Details erkennen konnte. Der Drachenhof präsentierte sich von dieser Seite aus als eine hügelige, grasbewachsene Landschaft. Arjana hatte ihr erzählt, wie stark die Elfen mit Magie nachgeholfen hatten, um dem Drachenhof sein Aussehen zu verleihen. Vom Hafen aus führte eine von Elfenhand angelegte Wasserstraße bis zu einem See. Der wiederum ergoss sich in Kaskaden weiter Richtung Landesinnere und auf den einzelnen Ebenen befanden sich die Viertel des Drachenhofes. Manche Gebäude standen am Ufer, andere mitten im tosenden Wasser, alle durch Brücken miteinander verbunden. Und an der Kante des ersten Wasserfalls, hoch über allem anderen, ruhte der Palast.

Arjanas Zuhause klang nach einem unmöglichen, von Magie durchtränkten Ort und Neia konnte kaum erwarten ihn zu sehen. Allein schon, um herauszufinden, ob er wirklich so wunderschön war oder ob Arjana übertrieben hatte.

»Wie geht es Mirri? Du bist vorhin noch bei ihr gewesen, oder?«, fragte Arjana plötzlich und riss Neia aus ihren Überlegungen.

Sie seufzte und stützte ihr Kinn auf ihren Händen ab, die Ellenbogen auf der Reling ruhend. »Ja. Ich weiß nicht. Sie tut so, als wäre alles in bester Ordnung.«

»Du glaubst, sie lügt?«

»Ich glaube, sie macht sich selbst etwas vor. Nein, das klingt zu hart.« Neia kaute auf ihrer Unterlippe herum, während sie versuchte ihre Gedanken in Worte zu fassen. »Mirri ist einer der optimistischsten Menschen, die ich kenne. Sie reißt Witze, egal wie schlimm die Situation ist. Manchmal ist das anstrengend, weil sie Dinge nicht so ernst nimmt. Und ich glaube, sie hat sich so lange eingeredet, alles wäre in Ordnung, dass sie die Realität verdrängt – bis sie irgendwann schmerzhaft an sie erinnert wird. Wie heute Morgen, als sie hingefallen ist.«

»Oh. Aber ist das nicht besser, als wenn sie den ganzen Tag niedergeschlagen wäre?«

»Schon. Aber ich habe Angst vor dem Moment, in dem sie wirklich begreift, dass ihr Leben vielleicht nie mehr so sein wird wie vor ihrer Verletzung.« Neia drehte den Kopf, sodass sie an Arjana hinaufsehen konnte. »Glaubst du, deine Freundin Lauria wird ihr tatsächlich helfen können?«

»Sie hat einmal einer Freundin geholfen, die ihr Bein komplett verloren hat. In der Mitte des Oberschenkels musste es abgenommen werden. Jetzt kann diese Person wieder laufen und kämpfen und ihr Leben ganz genauso weiterführen wie vorher.«

Langsam richtete sich Neia auf und starrte Arjana mit großen Augen an. Sie hatte in Kentan einige Leute gesehen, denen Gliedmaßen fehlten. Oft in den ärmeren Vierteln, wo die Menschen nicht über die Mittel verfügten, um effektiv gegen Infektionen und Krankheiten zu kämpfen. Einmal hatte sie auch einen Adligen bemerkt, dem ein Bein gefehlt hatte. Trotz der Stütze war deutlich geworden, was für Probleme er beim Laufen gehabt hatte.

»Ist das dein Ernst?«, fragte sie aufgeregt und Hoffnung regte sich in ihr. Die Schmerzen, die Mirri hatte, waren das eine. Doch ihre beste Freundin wäre nie verletzt worden, wenn sie Neia nicht begleitet hätte, und deswegen wünschte sich Neia so sehr ihre Genesung.

»Ja. Ich will dir nichts versprechen, doch wenn jemand helfen kann, dann Lauria.«

Etwas nüchterner geworden, nickte Neia. Damit würde sie sich erst einmal zufriedengeben müssen.

»Ah, da seid ihr. Ich will unseren triumphalen Einzug in den Hafen ja nicht verpassen«, ertönte Mirris Stimme wie aufs Kommando und Neia fragte sich, ob das ein Talent war, das Mirri und Arjana teilten.

Sie drehte sich um, verbannte alle finsteren Gedanken und grinste. »Aber nein, das machen wir doch nicht ohne dich.«

»Richtig. Der triumphale Einzug gilt allein dir«, mischte sich Arjana ein.

Mirri verdrehte die Augen und stellte sich auf Neias andere Seite. Dabei stützte sie sich schwer auf der Reling ab, ihr verletztes Bein belastete sie kaum. Um ihre Wunde zu schützen, trug sie einen Verband, der unter dem weit fallenden Stoff ihrer geliehenen schwarzen Hose kaum auffiel.

Auch Neia hatte sich Kleidung von den Fluchelfen geliehen und steckte an diesem Tag in einer bestickten dunkelroten Tunika und einer ebenfalls schwarzen Stoffhose, die eigentlich beide Soira gehörten. Aber für besagten triumphalen Einzug hatte Neia nicht ihre alte, an mehreren Stellen zerrissene Reisekleidung tragen wollen und wenn sie ehrlich war, genoss sie den feineren Stoff auf der Haut.

»Werden wir eigentlich heute noch den Palast erreichen?«, fragte sie an Arjana gewandt.

Diese legte den Kopf schief. »Das müssten wir eigentlich, ja. Sobald wir angelegt haben, schicke ich einen Boten los. Vielleicht könnt ihr heute schon Larna und Askger kennenlernen.«

Neia nickte schluckend. Bei dem Gedanken, noch heute einem König und einer Königin gegenüberzustehen, wurde ihr flau im Magen. Dabei hatte Arjana ihr mehrmals versichert, dass Askger und Larna nicht diese Art von Herrscher waren – sie verlangten weder Verbeugungen noch irgendwelches Hofprotokoll. Außerdem würde man sie, Neia, als Schattenelfe mit großer Hochachtung empfangen. Noch etwas, das Neia sich nur schwer vorstellen konnte.

Trotzdem zwang sie sich dazu, tief durchzuatmen. Sie würde diesen Tag nehmen, wie er kommen würde.

»Leben viele Menschen am Drachenhof?«, fragte Mirri unvermittelt und Neia stutzte. Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht.

»Viele nicht, nur ein paar«, antwortete Arjana etwas zurückhaltend. »Aber keine Sorge. Der Drachenhof behandelt Menschen besser als die Menschen die Fluchelfen in ihren Städten. Unsere Herrscher geben keine Befehle, die darauf abzielen, die Magiebegabten einer ganzen Stadt auszulöschen.«

Der bissige Ton in Arjanas Stimme versetzte Neia einen Stich und brachte Mirri zum Schweigen und ließ sie wieder Richtung Drachenhof blicken.

Bei Neia kam unweigerlich die Erinnerung an die Ereignisse in Mobrid zurück an die Oberfläche und ließ sie erneut an die offenen Fragen denken, die sie sich seitdem stellte. Sie hatte tagelang darüber gegrübelt, woher die Stadtwache gewusst hatte, dass die Schillernde Schuppe am Hafen angelegt hatte. Denn nur ihretwegen hätten sie sich wohl kaum die Mühe gemacht, so eine große Aktion zu planen.

Erst Arjana hatte ihr von den vielen Fluchelfen erzählt, die in Mobrid lebten. Zum Teil waren sie mit den Schiffen vom Drachenhof gekommen, die dort, unbemerkt von der Hauptstadt, anlegten und Handel trieben. Die anderen waren die Fluchelfen, die nirgendwo sonst ein Zuhause gefunden hatten und in Mobrid nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert wurden. Sie alle waren nun tot.

Arjana glaubte, alles wäre auf Befehl der Königin von Manwen geschehen. Sie hätte nur nach einem Grund gesucht, sich der Fluchelfen in Mobrid zu entledigen. Neia hingegen war sich nicht sicher. Lady Renna war die Geliebte der Königin. Sie hätte das nicht zugelassen. Und sie würde keine Person lieben, die solche Befehle gab. Oder?

»Oh, Neia, schau mal!« Mirris Stimme riss sie aus ihren Überlegungen und Neia drehte sich wieder in Richtung Meer.

Ihre Augen weiteten sich ein wenig, als sie den Hafenzugang erkennen konnte. Der Hafen lag in einer kleinen Bucht und Wälle aus Landmasse öffneten sich zu einer kleinen Zufahrt. Groß genug für zwei nebeneinanderfahrende Schiffe, allerdings klein genug, um sie leicht zu verteidigen. Links und rechts der Zufahrt standen riesige Feuerstellen. Sie waren nicht entzündet, aber laut Arjana loderten sie nachts hell auf, um Schiffen den Weg zu weisen – und den ganzen Hafen zu erleuchten.

Neia stutzte. Am Horizont tauchte ein Vogel auf. Er musste sehr groß sein, wenn sie ihn auf diese Entfernung erkennen konnte. Und er flog ziemlich schnell und kam rasch näher. Irgendetwas an seinen Flügeln war merkwürdig und auch sein Körper sah länglicher aus, als für einen Vogel üblich war …

Das Tier stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, das Neia die Ohren klingeln ließ, und ihr klappte die Kinnlade herunter, als sie begriff, was sie dort sah.

***

Die Fluchelfen steuerten das Schiff routiniert und ohne größere Probleme in den Hafen. Neia hatte jedoch nur einen kurzen Blick für die anderen Boote übrig. Auch ein riesiges, prachtvolles Schiff mit goldenen Segeln am anderen Ende des Hafens konnte nur für einen Moment ihre Aufmerksamkeit erregen. Denn das, was sich am Himmel abspielte, übertraf alles, was Neia bisher gesehen hatte. Über ihnen kreiste ein Drache, der hin und wieder ein weiteres Brüllen ausstieß.

»Drachenhof. Das ist wortwörtlich gemeint«, flüsterte sie und tastete nach Mirris Hand an ihrer Seite.

»Das ist …«

Unwillkürlich hielt Neia die Luft an, als der Drache die Flügel eng an den Körper legte und nach unten schoss. Sie drehten sich beide um, um seine Flugbahn weiter zu verfolgen. Immer mehr näherte er sich der Wasseroberfläche, bis seine Krallen über das Blau strichen und Wellen verursachten.

Er war ihnen jetzt so nah, dass Neia die erdgrünen Schuppen sehen konnte, die seinen ganzen langen Leib bedeckten. Sein hin- und herpeitschender Schwanz war mit kleinen Stacheln versehen, die auch seine Augenpartie überragten, wie eine Art Helm.

»Er will angeben«, vernahm sie Arjanas belustigte Stimme. »Einige der Drachen helfen bei der Bewachung des Hafens und dieser hier ist ein kleiner Aufschneider.«

»Klein«, wiederholte Mirri tonlos.

»Die Drachen von Königin Larna und ihrem Zwillingsbruder Ylen lassen diesen hier aussehen wie ein Spielzeug«, kommentierte Soira, als sie an ihnen vorbeimarschierte und das Anlegen beobachtete.

»Ihre Drachen sind etwas Besonderes«, fügte Arjana schnell hinzu. »Aber der hier ist wirklich sehr klein.«

»Haben sie Namen?«, fragte Mirri.

Neia lagen ebenfalls tausend Fragen auf der Zunge, aber sie war zu fasziniert vom Anblick des Drachen, um auch nur eine davon zu stellen. Er schraubte sich wieder in die Höhe. Kleine Wassertropfen lösten sich von seinem Körper. Als würde er ihren Blick spüren, drehte er den schlanken Kopf in ihre Richtung und sie meinte beinahe seine Augen übermütig funkeln zu sehen.

»… Also, nein. Dieser hier nicht, weil er noch niemanden erwählt hat«, sagte Arjana in diesem Moment.

»Erwählt?«

»Einige der Drachen am Hof haben sich eine Elfe oder einen Elfen als Gefährten ausgesucht«, erklärte Arjana ungeduldig, weil sie sich wiederholen musste. »Wir geben ihnen Namen. Drachen tun so etwas untereinander nicht.«

Mittlerweile flog der Drache wieder hoch über ihren Köpfen und mühsam riss sich Neia von seinem Anblick los, um dem Gespräch etwas aufmerksamer folgen zu können.

»Drachen existieren immer noch«, sagte sie und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der Anblick des majestätischen Tieres berührte etwas in ihr. Sie spürte, wie ihre Magie dicht unter der Oberfläche tanzte, als wäre sie von seinem Brüllen gerufen worden. Gleichzeitig fühlte sie eine eigenartige Mischung aus Hoffnung, Trauer, Sehnsucht und Glück.

Arjana lächelte sanft und nickte sachte, als wüsste sie ganz genau, was Neia in diesem Moment empfand.

»Ich bin von einem Drachen ausgewählt worden«, sagte sie und ihre Stimme bebte vor Stolz. »Er heißt Silberflug. Ihr werdet ihn vielleicht heute noch kennenlernen – falls er sich dazu bequemt, zwischen den Wasserfällen hervorzukommen. Die meisten unserer Drachen haben dort ihre Nester und Höhlen. Die müsst ihr euch unbedingt ansehen!«

Dem stimmte Neia vollkommen zu, nicht nur, weil Arjanas Begeisterung ansteckend war.

»Wir sind bereit das Schiff zu verlassen«, informierte Soira sie in diesem Moment. »Und offensichtlich werden wir schon erwartet.«

Neia folgte dem ausgestreckten Arm mit ihrem Blick. Tatsächlich hatten die Fluchelfen das Schiff mittlerweile vertäut und mit dem Hafen durch einen Holzsteg verbunden.

Am Fuße des Steges stand ein Mann, er konnte nicht viel älter als dreißig sein. Seine langen, blonden Haare hatte er zu einem Zopf gebunden, er trug schlichte Lederkleidung und ein großes Schwert am Gürtel.

Auf Neias Körper breitete sich eine Gänsehaut aus, obwohl sie gar nicht genau sagen konnte warum. Nach allen Maßstäben, die sie kannte, sah er gut aus. Nein, nicht nur gut … Als hätte sich jemand das schönste Geschöpf der Welt vorgestellt und versucht dieses in die Wirklichkeit zu bringen – und dabei etwas erschaffen, das nicht existieren konnte. Seine blauen Augen waren eine Winzigkeit zu groß, seine Wangenknochen einen Hauch zu spitz, seine Haare zu golden. Und als er lächelte, war sein Lächeln eine Spur zu breit und seine Zähne zu weiß.

Er war so schön, dass es furchteinflößend war. Neia fühlte sich wie eine Maus, die vor einem Löwen stand.

»Das ist Ylen«, erklärte Arjana leise. »Wie gesagt, seine Schwester und er sind Drachnen.«

Neia tauschte einen Blick mit Mirri, die krampfhaft schluckte. Das tröstete Neia ein wenig. Offensichtlich hatte Ylen nicht nur auf sie so eine Wirkung.

»Meine Lieblingsschwägerin!«, sagte er in diesem Moment und breitete die Arme aus.

»Ich bin deine einzige Schwägerin«, erwiderte Arjana und lachte, ehe sie sich in Bewegung setzte und den Steg hinunterging. Auf dem Boden angekommen, umarmte sie ihn kurz, aber herzlich, ehe sie Neia und Mirri heranwinkte. Zögerlich folgten sie ihrer Aufforderung.

»Ylen, das ist Neia, eine Fluchelfe aus Kentan. Sie beherrscht Schattenmagie und hat aus der Stadt fliehen müssen. Die mit den roten Haaren ist Mirri, ihre beste Freundin.«

Er deutete eine Verbeugung an und lächelte immer noch, allerdings nicht mehr ganz so breit. Vielleicht hatte er das vorhin sogar absichtlich gemacht. Das Funkeln seiner Augen verriet Neia, dass er ganz genau wusste, wie er auf andere wirkte. Ob sie das nun beruhigend oder eher noch merkwürdiger fand, konnte sie nicht genau sagen.

»Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen«, sagte er höflich. »Und mein Beileid, weil ihr eure Heimat hinter euch lassen musstet.«

»Danke. Freut mich auch, dich kennenzulernen«, erwiderte Neia und log dabei nur halb. Nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte, wirkte er eigentlich recht freundlich.

»Kommt, das Boot wartet auf uns. Larna und Askger wollen euch sehen. Oh, und Aramis ist auch wieder im Palast.«

Einen Moment fragte sich Neia, woher er gewusst hatte, dass sie an Bord gewesen waren und wann sie anlegen würden. Sein warnender Tonfall am Ende hielt sie jedoch davon ab, Fragen zu stellen.

Arjana furchte die Stirn und warf Ylen einen Blick zu, den dieser mit einem Schulterzucken erwiderte. Neia hätte gerne nachgefragt, allerdings ging sie das wohl kaum etwas an.

Sie verabschiedeten sich rasch von der restlichen Besatzung und folgten dann Ylen. Endlich konnte sich Neia ein wenig am Hafen umsehen. Sie war überwältigt von der Anzahl der intakten Schiffe, an einigen wurde sogar gebaut. Zwischen den hohen Masten konnte Neia immer wieder die goldenen Segel des riesigen Schiffs aufblitzen sehen.

»Das ist das königliche Schiff«, erklärte Ylen, der ihren Blick offensichtlich bemerkt hatte. »Nicht gerade unauffällig, wenn ihr mich fragt. Aber mich fragt ja niemand.«

»Weil sie wissen, du würdest dann nie wieder den Mund halten«, gab Arjana zurück und wich einem halbherzigen Schlag aus.

Während sie sich immer weiter durch das Gewühl des Auf- und Abladens schoben, konnte Neia sehen, dass der Hafen vor ihnen tatsächlich in zwei Teile geteilt war, die durch eine Brücke miteinander verbunden waren. Eine breite Kluft war in den Stein geschlagen worden und ließ dem Meer Raum, sich wie ein Fluss weiter ins Landesinnere zu graben. Ein schnurgerades Band, das zwischen den Hügeln und Wiesen hindurchlief, die sich hinter dem Hafen ausbreiteten. Wassergefährte schienen die beste Möglichkeit zu sein, den Hafen zügig zu verlassen.

Ein paar von diesen waren an Stegen festgemacht worden und vor einem standen zwei Wachen. Die beiden Frauen wirkten etwas gelangweilt, aber ihre Blicke waren aufmerksam. Ihre Rüstungen waren Schuppen nachgeahmt und auf dem Rücken hatten sie je zwei gekreuzte Schwerter.

»Unsere Eskorte. Sozusagen«, erklärte Ylen.

Erst jetzt fiel Neia die Krone auf dem kleinen Segel des Bootes auf.

Mirri war dicht hinter ihr und ließ sich sofort schwer auf eine der Sitzbänke sinken. Ihr verletztes Bein streckte sie mit verzerrter Miene von sich. Neia setzte sich neben sie.

»Geht es?«, fragte sie besorgt.

»Ja. Das Laufen tut nur etwas weh«, wiegelte Mirri rasch ab und lächelte matt.

Neia schaute zu Arjana, die sich auf die gegenüberliegende Bank gesetzt hatte, während zwei weitere Fluchelfen das Boot vom Steg stießen. Eine von ihnen stellte sich an den Rand und hob die Arme. Sofort blähte sich das Segel und das Boot nahm rasch an Fahrt auf. Das erinnerte Neia an ihre Überquerung des Goldflusses und wie anstrengend es gewesen war, das Boot mithilfe seines Schattens zu beschleunigen.

»Arjana?«, fragte sie langsam.

»Hm?«

»Haben unsere Fähigkeiten Grenzen? Ich meine, können wir einige Dinge nicht mit ihnen tun?«

Arjana zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wie meinst du das?«

Nachdenklich erzählte Neia ihr erst von der Sache mit dem Sturm, den sie in den Sturmebenen verstärkt hatte, und dann von der Anstrengung, das Boot auf dem Fluss zu kontrollieren. Während sie redete, wurden Arjanas Augen immer größer und als sie fertig war, stieß Ylen, der sich mittlerweile neben Arjana gesetzt hatte, einen beeindruckten Laut aus.

»Ich glaube, wir sollten jetzt schon einmal über die Magie sprechen«, sagte Arjana und schüttelte ungläubig den Kopf. »Manchmal vergesse ich, wie viel Wissen dem Kontinent verloren gegangen ist.«

»Du bist ungerecht. Das meiste haben die Elfen erst in den letzten Jahrzehnten herausgefunden«, wandte Ylen ein, was Arjana mit einem Brummen kommentierte.

»Was weißt du über die Magie unserer Welt?«

»Äh … so gut wie nichts«, musste Neia zugeben. »Sie ist überall um uns herum und die Elfen sind in der Lage, sie durch Artefakte nutzbar zu machen.«

»Was euch Fluchelfen von ihnen unterscheidet. Weil ihr direkt auf sie zugreifen könnt«, fügte Mirri hinzu, die offensichtlich doch aufmerksamer zugehört hatte, als Neia gedacht hatte.

»Ja, das stimmt alles. Elfen sind in der Lage, Magie nutzbar zu machen, weil sie über irgendeine Fähigkeit verfügen, mit der sie die Magie sehen und verarbeiten können. Die Fluchelfen der ersten Generation haben diese Fähigkeit verloren, dafür brauchen sie eben keine Artefakte mehr und haben einen fast grenzenlosen Zugang zu der Magie«, erklärte Arjana mit der Stimme einer Person, die das nicht zum ersten Mal tat. »Es gibt verschiedene Arten der Magie. Vermutlich sogar noch mehr, als wir bis jetzt gefunden haben. Aber die Arten, die sich in uns manifestieren, kennt ihr mittlerweile.«

Neia nickte und versuchte sich alles zu merken, was Arjana ihr da erzählte. Mehr Arten von Magie? Das klang interessant.

»Die Magie ist jedoch Teil der Natur und als solche unterliegt sie gewissen Gesetzen. So wie Nacht und Tag immer aufeinander folgen, wie sich die Jahreszeiten abwechseln, wie Flut und Ebbe die Strände überspülen«, fuhr Arjana fort und langsam ahnte Neia, was dieser Vortrag mit ihrer Frage zu tun hatte. »Manches ist einfach nicht möglich. Das sind keine Gesetze, an die wir uns halten können oder nicht. Wir werden dazu gezwungen, sie zu befolgen. Wenn wir dies nicht tun, funktioniert im besten Fall das, was wir versuchen, einfach nicht.«

»Im schlimmsten Fall entfesselt man einen gewaltigen bösartigen Sturm«, ergänzte Neia und schluckte. Auch wenn sie immer noch nicht genau wusste, was geschehen war, wurde ihr endgültig bewusst, was für eine Dummheit sie in den Sturmebenen begangen hatte. Eine Dummheit, die sie beinahe alle das Leben gekostet hätte.

Mirri legte ihr einen Arm um die Schulter, hatte ihr vermutlich die Schuld vom Gesicht abgelesen. »Das hast du nicht wissen können.«

»Eben. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, sagte Arjana energisch und schenkte ihr ein Lächeln. »Licht und Schatten können nur sehr, sehr schwer in die anderen Elemente eingreifen. In der Regel verstärken wir sie nur.«

»Und die anderen Elemente untereinander?«, fragte Mirri an Neias Stelle neugierig.

»Kommt auf die Kraft ihrer Anwender an. Manche Elemente sind anderen natürlicherweise unterlegen. Wasser löscht Feuer, ein Berg kann einen Luftstrom verändern … So was eben. Aber mit genug Kraft und Übung können Fluchelfen auch so einen Nachteil überwinden.«

»Meine Schwester hat einmal gegen jemanden gekämpft, der Wasser und Erde beherrscht, während ihre Elemente Feuer und Luft sind. Sie hat ihn mit einem Trick hereingelegt und den Kampf gewonnen«, erzählte Ylen plötzlich und ein wehmütiges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, das ihn … nahbarer erscheinen ließ.

Neia schob den Gedanken an den Sturm entschieden beiseite. Was geschehen war, war geschehen. Sie konnte nur versuchen ab jetzt besser zu sein.

»Sie beherrscht zwei Elemente?«

»Ja. Aber wie du weißt, sind wir nicht wie ihr«, antwortete Ylen. Das Lächeln verschwand.

»Die Welt ist mir, glaube ich, zu groß«, brummte sie und massierte sich die Schläfen. Kopfschmerzen bahnten sich an, aber das konnte auch Einbildung sein.

Statt weitere Fragen zu stellen, schaute sie sich um. Sie waren mittlerweile in den Schatten der Hügel eingetaucht. Wege führten links und rechts oberhalb des Flusses entlang. Immer wieder fuhren sie an Fluchelfen vorbei, die zu Fuß, auf Pferden oder in Karren die Wege nutzten, um ins Inland zu kommen. Manchmal zweigten weitere Straßen ab und Neia vermutete, dass sie zu kleinen Dörfern und Siedlungen oder Feldern führten, auf denen Nahrungsmittel angebaut wurden. Das Land schien zu fruchtbar, um es nicht zu nutzen.

Neia erlaubte sich ein wenig zu entspannen und die Sonne zu genießen, die sich zögernd zwischen den Wolken hervorschob.