Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis - Leni Wambach - E-Book

Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis E-Book

Leni Wambach

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Beschreibung

**Von Schatten bezwungen** Nach den dramatischen Ereignissen in ihrer Heimat sehnt sich die gezeichnete Fluchelfe Neia nach Ruhe und Frieden. Doch dieser Wunsch rückt schnell in weite Ferne, als dunkle Mächte ihre Welt ins Chaos stürzen und ein Krieg unvermeidlich scheint. Nur die Einladung zum sagenumwobenen Hohen Rat, der seit Ewigkeiten als verschollen gilt, schenkt Neia neue Hoffnung. Zusammen mit der Kronprinzessin des Drachenhofs und Elys macht sie sich auf den Weg ins Ungewisse. Und obwohl Neia fest entschlossen ist, ihre alten Gefühle für den Adligen mit den magischen Augen zu ignorieren, kommen sie sich auf der Reise wieder näher. Aber eigentlich schlägt ihr Herz bereits für jemand anderen …  Ein magisches Land voller Geheimnisse  Eine Elfe, in der dunkle Kräfte schlummern. Eine Schmiedin, die niemals den Mut verliert. Ein Adeliger, der noch seinen Platz in der Welt sucht. Gemeinsam reisen sie durch ein Land, das mehr Magie verbirgt, als die Schatten zunächst preisgeben. //Dies ist der dritte Band der romantisch-fantastischen Reihe »Elfenmal«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress:   -- Elfenmal 1: Gezeichnete der Schatten    -- Elfenmal 2: Befreite der Dunkelheit    -- Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis -- Sammelband der romantisch-fantastischen »Elfenmal«-Reihe//  Diese Reihe ist abgeschlossen. 

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Leni Wambach

Elfenmal 3: Erwählte der Finsternis

**Von Schatten bezwungen**Nach den dramatischen Ereignissen in ihrer Heimat sehnt sich die gezeichnete Fluchelfe Neia nach Ruhe und Frieden. Doch dieser Wunsch rückt schnell in weite Ferne, als dunkle Mächte ihre Welt ins Chaos stürzen und ein Krieg unvermeidlich scheint. Nur die Einladung zum sagenumwobenen Hohen Rat, der seit Ewigkeiten als verschollen gilt, schenkt Neia neue Hoffnung. Zusammen mit der Kronprinzessin des Drachenhofs und Elys macht sie sich auf den Weg ins Ungewisse. Und obwohl Neia fest entschlossen ist, ihre alten Gefühle für den Adligen mit den magischen Augen zu ignorieren, kommen sie sich auf der Reise wieder näher. Aber eigentlich schlägt ihr Herz bereits für jemand anderen …

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Vita

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Danksagung

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© Jey Jones

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann, und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Der Übergang

Sie spielten ein Spiel mit mehreren Runden

und am Ende stand für jeden ein Gewinn.

»Oh«, sagte die dritte Kapuze und lehnte sich zurück. »Damit habe ich nicht gerechnet.«

Die zweite Kapuze erhob sich. Wäre sie menschlich gewesen, hätte sie sich nach dem langen Sitzen gestreckt. So jedoch entfernte sie sich nur ein paar Schritte von dem Spielfeld und starrte über die regenverhangenen Wiesen und Hügel. Der Regen hörte niemals auf, solange sie spielten, berührte sie jedoch nie. Dieser Landstrich würde erst wieder in Sonnenschein und Wärme getaucht sein, wenn das von ihnen plattgetretene Gras aufrecht stand.

Die erste Kapuze war immer noch über das Spielfeld gebeugt und betrachtete die Entwicklungen. Vieles war so verlaufen wie vorausgesehen. Einiges war schiefgegangen. Und eines hatten sie nicht einmal in Erwägung gezogen. Welche Überraschung, so kurz vor dem Ende … Nein, das war unüblich. Diese Entwicklung gefiel der Kapuze nicht, aber sie hütete sich, etwas zu sagen. Sie hatte sich genug eingemischt. Von nun an würde sie nur noch einen Blick darauf haben, wie sich ihre Figuren schlugen.

Die dritte Kapuze erhob sich ebenfalls von ihrem Platz und ging zu der zweiten. Ihre Schultern berührten sich.

»Ich würde dich nicht besiegen, wenn ich könnte«, sagte die dritte Kapuze mit ihrer Stimme aus Metall und Steinen.

»O doch, das würdest du.« Die zweite Kapuze kicherte, ein geisterhafter Laut, in den sich das Lachen eines Kindes, das Trillern einer jungen Frau und das Knarzen eines Greises mischte. »Du liebst einen Sieg. Du liebst die Macht. Immerhin verkörperst du sie. Beides liebst du mehr als mich.«

Darauf erwiderte die dritte Kapuze nichts. Widerspruch wäre eine Lüge gewesen und sie belogen einander nicht. Außerdem hatte in der Stimme der zweiten Kapuze keine Anklage mitgeschwungen. Sie alle hatten etwas, das sie mehr liebten als einander.

»Du hast sie aber nicht darauf angesetzt, oder?«, fragte die zweite Kapuze nach einiger Zeit der vollkommenen Stille.

»Sie …? Ah. Nein. Hat sie wirklich das vor, was ich denke?«

Die zweite Kapuze neigte den Kopf. »Ich weiß nicht. Wir werden früh genug mehr wissen, oder? Spätestens beim letzten Spiel.«

»Wir brauchen niemand weiteren«, knurrte die dritte Kapuze widerwillig. »Deine Spieler sollten besser das Richtige tun. Sorge dafür.«

Die zweite Kapuze trat vor und schien der dritten in die verborgenen Augen zu sehen.

»Du verfügst über die Königinnen, alle von ihnen. Die alten, die neuen, die vielleicht-noch-kommenden. Sorge du besser dafür, dass sie meine Leute in die richtige Schlacht führen.«

Die richtige Schlacht … die große Schlacht. Nicht die letzte, sie würde noch kommen. Aber die, die ihnen bevorstand, war die Vorbereitung darauf. Die Übung. Fast so gewaltig, fast so zerstörerisch, fast so grauenvoll. Ihr Ausgang würde ganze Jahrhunderte formen.

Ihr Ausgang würde die Skizze für das, was einst enden würde, in die Fundamente der Welt schnitzen.

Der Gewinn war ein Zeitalter für Herrschaft,

und danach nur ein lichtloses Nichts.

Kapitel I – Neia

Die Schwärze explodierte aus ihren Händen und tauchte den gesamten Innenhof des Drachenhofs in tiefe Dunkelheit. Neias Muskeln brannten von der Anstrengung, aber sie zerrte mehr und mehr Magie aus ihrem Inneren hervor. Sie konnte jeden einzelnen Schatten in den umliegenden Gebäuden spüren, hörte ein beständig lauter werdendes Summen, das zu einem Dröhnen anschwoll. Irgendwo, weit über ihr, warfen Sirzan und Raznak ihre riesigen Schatten auf die Wolken. Aus einem der Flure des Palasts näherten sich zwei Personen. Arjana war die eine, das konnte Neia spüren. Und das bestätigte sich im nächsten Augenblick, als ein Licht in ihrer Dunkelheit aufflammte.

Davon ließ sich Neia jedoch nicht mehr ablenken. Mit Schattenranken tastete sie ihre Umgebung ab, streifte einige der Diener, die durch den Palast eilten und nichts von ihrer Anwesenheit bemerkten. Ein kribbelndes Gefühl der Macht durchlief sie, was Neia scharf einatmen ließ. Vor einigen Wochen war sie sich noch sicher gewesen, mit ihren Kräften niemals Kontrolle über andere erlangen zu können. Oder zu wollen. Mittlerweile sah das anders aus. Mittlerweile hatte sie die unendlich tiefen Abgründe in anderen Sterblichen gesehen. Vertrauen und Gnade waren ein Luxus, den sie sich nicht mehr leisten konnte.

»Neia«, sagte Arjana leise, die mittlerweile neben ihr aufgetaucht war, und legte ihr kurz eine Hand auf den Arm. »Ruf deine Magie zurück. Du bist völlig erschöpft.«

Neia hätte gerne protestiert, aber Arjana hatte recht. Und sie hatten an diesem Tag noch viel vor. Mit einer Handbewegung vertrieb sie den dunklen Nebel und schloss ihre Magie wieder in ihrem Inneren ein. Beinahe sofort wurde ihr das gesamte Ausmaß ihrer Erschöpfung bewusst und sie war froh, als Arjana ihr einen Arm um die Schultern legte, um sie zu stützen.

Aus dem Gebäude links von ihr trat nun Mirri heraus und kam zu ihnen. Ihr Blick verriet Besorgnis und Neia schaute schnell woandershin.

»Sind sie schon so weit?«, fragte sie stattdessen an Arjana gerichtet.

»Gleich. Elys und Larna sind bereits ins Gespräch vertieft«, fügte sie hinzu und lächelte matt.

Nicht das erste Mal. Als zwei nicht-elfische Magiebegabte, Mensch und Drachne, hatten sie sich von Anfang an gut verstanden. Beide hofften gemeinsam eine Möglichkeit zu finden, die es Elys erlaubte, seine Fähigkeit auch bei Magiebegabten einzusetzen.

»Das wird merkwürdig sein«, murmelte Neia. »Die Besprechung, meine ich. Weil Königin Elandri und Elys dabei sind, dafür … Askger nicht.«

Die Ereignisse in Kentan hatten sie für einige Tage erfolgreich von dem abgelenkt, was in Mobrid passiert war. Das Wiedersehen mit Elys, ihre Gefangennahme, Tarlisas Verrat … All das hatte ihr keine Zeit zum Innehalten gelassen. Aber seit sie vor fünf Morgendämmerungen wieder am Drachenhof angekommen waren, konnten sie seine Abwesenheit nicht mehr ignorieren. Schwarze Banner hingen immer noch im Palast, die Stimmung war gedrückt, kein Gelächter klang mehr durch die Flure. Nicht nur Askgers Familie und Vertraute trauerten, auch wenn Neia Larnas Trauer durch den ganzen Drachenhof fließen spürte.

Larna hatte sie an Raznaks Landeplatz auf dem Hügel oberhalb des Sees begrüßt, zusammen mit Sirzan. Auch sie hatte Schwarz getragen – und tat es noch. Kaum war Raznak gelandet, war Ylen von seinem Rücken gesprungen und auf seine Schwester zugerannt. Er hatte sie eine ganze Weile im Arm gehalten, ehe sie sich aus seiner Umarmung gelöst und ihnen zugewandt hatte. Falls sie geweint hatte, hatte sie es gut verbergen können. Aber das Lächeln, das sonst immer in ihren Mundwinkeln gehangen hatte, war verschwunden gewesen. Sie hatte Arjana fest umarmt, und auch Neia, Mirri und Lauria. Elys hatte sie freundlich begrüßt und sich dann Königin Elandri zugewandt. Zwei mächtige Frauen, die einander, ohne mit der Wimper zu zucken, gegenübergestanden hatten. Sie hatten nicht viel miteinander geredet, sondern einander schließlich grimmig zugelächelt.

Wahrscheinlich hatten sie später noch eine Unterhaltung geführt, aber Neia hatte Königin Elandri seitdem nicht mehr gesehen. Diese hatte sich in die ihr zugewiesenen Gemächer zurückgezogen. Um sich zu erholen. Und um zu trauern.

Instinktiv zuckte Neia vor dieser Überlegung zurück. Das Letzte, was sie wollte, war an Lady Renna zu denken. Ihre Magie spürte ihr Unwohlsein, ihre auflodernden Gefühle, und sie musste sich auf Arjanas Körper neben ihrem konzentrieren, um sie nicht aus sich herausbrechen zu lassen.

»Ich weiß«, sagte Arjana und Neia wusste nicht, ob sie damit ihre Worte von vorhin meinte oder ob sie die Richtung ihrer Gedanken erraten hatte. »Lasst uns reingehen.«

Sie nahm den Arm von Neias Schulter und verschränkte ihre Hände miteinander. Gemeinsam mit Mirri machten sie sich auf den Weg.

Neia hoffte ihre Gefühle einigermaßen kontrollieren zu können, wenn sie gleich über alles sprachen. Natürlich hatten Larna und Ylen eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse bekommen, aber zu mehr hatte die Zeit nicht gereicht. Außerdem hatte Larna ihnen Zeit geben wollen, alles zu verarbeiten.

Ein Stich schlechten Gewissens durchzuckte Neia und sie schaute zu Mirri. Sie hatte sich nicht gut um ihre beste Freundin gekümmert. Nachdem sie aus dem Fenster gesprungen und auf Raznaks Rücken gelandet waren, waren die Worte wie Steine aus ihrem Mund gefallen.

»Lady Renna steckt dahinter. Sie ist … sie ist an allem schuld. Sie ist eine Verräterin.«

Mirris Gesicht hatte sich vor Unglauben, Schmerz und Entsetzen zu einer Grimasse verzogen. Hätte Arjana neben ihr sie nicht rasch gehalten, wäre sie zusammengesackt.

»Wie geht es dir?«, fragte Neia sie nun leise und drückte kurz ihren Arm.

Mirri schenkte ihr ein kurzes Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. »Ging mir schon mal besser. Ich rede mir die meiste Zeit ein, dass ich einen sehr detaillierten Albtraum habe und bald in meinem Zimmer in Kentan aufwache. Bevor das alles passiert ist.«

»Falls das passiert, komm bitte vorbei und weck mich auf«, gab Neia zurück.

Bevor sie die Unterhaltung fortsetzen konnten, hatten sie den Besprechungsraum im Palast erreicht. Mirri schlüpfte durch die halb angelehnte Tür, aber Neia blieb einen Moment stehen und drehte sich zu Arjana um.

Sie schlang die Arme um deren Mitte und zog sie an sich, lehnte ihre Stirn gegen Arjanas.

»Danke«, flüsterte sie. »Dass du für mich da bist.«

Arjana lächelte und gab ihr einen sanften, federleichten Kuss. »Immer.«

Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, betraten sie gemeinsam den Besprechungsraum. Er sah wie immer aus, die verglaste Front zum Wasserfall, die zahlreichen Sofas und Sessel, Kerzen und Fackeln, die warmes Licht spendeten.

Doch so vieles war anders. Beim letzten Mal hatte Askger hier über ihre Reise nach Mobrid entschieden. Und beschlossen sie zu begleiten, um sich um Aramis zu kümmern. Außerdem hatte die Königin von Manwen nicht am Fenster gestanden und auf den reißenden Wasserstrom hinausgeschaut. Und Elys hatte sich nicht gegen die Armstütze von Larnas Sessel gelehnt und mit ernster Miene ihren Worten gelauscht.

Trotz der drohenden Auseinandersetzung waren sie damals beinahe ausgelassen gewesen, wenn auch angespannt in Erwartung des Kommenden. Ylen hatte Scherze gemacht, sich freudig auf einen Kampf vorbereitet. Nun stand er mit finsterer Miene hinter seiner Schwester, eine Hand am Griff seines gewaltigen Schwertes. Sollte sich irgendjemand mit böser Absicht nähern, würde er diese Person in Stücke reißen, schrie sein Blick. Er schien beinahe darauf zu hoffen.

»Tut mir leid, ich wollte euch nicht warten lassen«, sagte Neia etwas zerknirscht.

Larna sah auf und schenkte ihr ein Lächeln. »Das hast du nicht. Du bist außerordentlich pünktlich.«

Als wäre dies das Stichwort, wandte sich Königin Elandri vom Fenster ab, ging zu einem Sessel, der schräg zu dem von Larna stand, und setzte sich. Mirri und Lauria hatten sich bereits auf einem der Sofas niedergelassen und rückten näher zusammen, damit Elys sich zu ihnen gesellen konnte. Neia und Arjana entschieden sich für ein Sofa, das direkt neben ihrem stand.

»Ich werde später noch einige unserer Befehlshaber bitten sich uns anzuschließen«, sagte Larna. »Zuerst sollten wir uns jedoch unterhalten. Ich möchte von allen von euch in diesem Raum absolute Ehrlichkeit. Wir werden das, was uns bevorsteht, nicht bewältigen können, wenn wir einander Wissen vorenthalten.«

Neias Blick huschte zu Königin Elandri. Ein harter Zug hatte sich um ihre Mundwinkel gebildet, aber Neia konnte unmöglich sagen, ob dies eine Reaktion auf Larnas Worte war.

»Ich werde wissen, wenn irgendjemand wissentlich lügt«, fügte Larna mit ungewohnter Schärfe in der Stimme hinzu. Hinter ihr machte Ylen eine unruhige Bewegung, die sie mit einem Heben ihrer Hand unterband. »Um meine Worte selbst nicht zu verraten: Außerhalb unseres Landes kann ich meine Magie nur unter großen Schwierigkeiten einsetzen. Das bereitet meinem Bruder Sorge. Er fürchtet, ich könnte mich überanstrengen.«

Larna neigte den Kopf. »Ich denke … Neia, du kannst mal wieder deine Geschichte erzählen.«

»Du solltest sie demnächst aufschreiben«, murmelte Mirri und lehnte sich in den Polstern zurück. Wenn sie von der Anwesenheit ihrer Königin eingeschüchtert war, ließ sie sich das nicht anmerken. Neia meinte zu sehen, wie Elys ihr mit dem Ellenbogen in die Seite stieß.

Seufzend tauschte Neia einen Blick mit Arjana, die ihr aufmunternd zunickte.

»Gut. Alles hat damit angefangen, dass mich … Lady Renna in ihre Dienste genommen hat«, begann Neia.

Sie holte ein wenig aus, um ihre erste Begegnung mit Lady Renna zu beschreiben, und ging dann zügig zur Erzählung der Ereignisse über, die seit dem Mord an Lord Leemor geschehen waren. Bewusst schaute sie Königin Elandri nur wenige Male an, denn sie wollte sich nicht von ihren Reaktionen ablenken lassen. Mit einigen Ergänzungen von Elys und Mirri fasste sie ihre Reise zum Drachenhof zusammen, dann wurde sie von Mirri und Arjana dabei unterstützt, von Aramis’ Verrat und seinen Angriffen auf den Drachenhof, der Reise nach Mobrid und der Schlacht um den Hafen zu berichten. Neia schaute zu Elys, als sie von ihrer Entscheidung, nach Kentan zurückzukehren, berichtete.

»Du solltest als Nächstes deinen Teil erzählen«, sagte sie. Mittlerweile war er wieder ein fester Teil ihrer Gruppe. Was zum Teil damit zusammenhing, dass er sich recht gut mit Arjana und Lauria verstand. Letzteres hatte Neia immer schon vermutet.

Elys lächelte matt. »Gute Idee.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte Neia, wie sich Larna und Ylen ein wenig aufrichteten. Elys’ Rolle in der Geschichte kannten sie auch noch nicht, sie wussten nur von der Existenz seiner Fähigkeiten.

Da sie nicht mit Erzählen dran war, konzentrierte sich Neia etwas mehr auf Königin Elandri. Während Elys von den Unruhen in der Stadt berichtete, zogen sich ihre schwarzen Augenbrauen zusammen. Eine Mischung aus Sorge und Wut legte sich über ihre Züge. Und ehrliche Überraschung, was Neia schlucken ließ. Erst langsam begann sie zu ahnen, begannen sie alle zu ahnen, wie eng Lady Renna ihr Netz gewoben hatte.

Obwohl ein Teil von Neia immer noch wütend auf die Königin war, weil sie sie hatte einsperren lassen, spürte sie Mitleid in sich aufsteigen. Lady Rennas Verrat hatte eine brennende, nicht heilen wollende Wunde in Neias Seele hinterlassen. Wie musste sich da erst die Königin fühlen?

Als Elys von seinen Fähigkeiten berichtete, wanderten ihre Augenbrauen in die Höhe. Sie schien kurz davor zu sein, eine Frage zu stellen, entschied sich dann aber dagegen.

Er beendete seine Erzählung mit dem Gespräch zwischen ihm und Meister Ruwan im Heilungszentrum und seiner Botschaft nach Mobrid.

Ab dort berichteten sie zu viert, immer im Wechsel, was in Kentan geschehen war. Wie sie Lady Leemors Geheimnis gelüftet hatten, wie der Schmied sie versteckt hatte und wie Neia zur Königin gegangen war.

»Es tut mir leid«, unterbrach diese an dieser Stelle ihre Erzählung und schaute Neia offen ins Gesicht. »Dass ich dir nicht geglaubt habe.«

Ihre Stimme klang ehrlich, was Neias Wut weiter schmelzen ließ. Außerdem hatte sie selbst jahrelang jedes Wort geglaubt, das Lady Renna gesprochen hatte. Sie konnte der Königin kaum einen Vorwurf daraus machen.

»Danke für Eure Worte«, sagte Neia und lächelte ein wenig.

Die Königin neigte den Kopf und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung fortzufahren.

»Während Elys sich darauf vorbereitet hat, Neia aus den Kerkern zu befreien, habe ich mich mit Ylen und Raznak in Verbindung gesetzt«, erzählte Arjana und schaute ihren Schwager kurz an. »Ich besitze für den Notfall ein Artefakt, um Raznak zu mir zu rufen – was ich getan habe.«

»Nachdem mir klar geworden ist, woher der Ruf gekommen ist, habe ich das Risiko als gering genug eingeschätzt, um zu euch zu kommen. Immerhin verfügen die Städte der Menschen nicht mehr über die Möglichkeit, unseren Drachen gefährlich zu werden.«

Neia war überrascht von Ylens Einwurf. Seine Worte klangen, als würde er sie zwischen zusammengebissenen Zähnen herauspressen.

»Ich habe nicht gedacht, dass Drachen so groß werden können«, sagte Königin Elandri leise und ihr Blick zuckte zu den Fenstern.

Von einigen Stellen des Palasts aus konnte man Raznak sehen, wie er auf den See hinausschaute. Soweit Neia wusste, hatte er sich in den letzten Tagen nur selten von seinem Platz fortbewegt. Larnas Drache, Sirzan, flog mehrmals am Tag die Strecke zwischen Meer und Palast, ansonsten lag auch sie auf der anderen Seite des Sees und beobachtete die Stadt. Sie würden sich nicht mehr weit von den Zwillingen entfernen.

Generell waren viel mehr Drachen sichtbar als früher. Fünf kleinere Drachen lagen auf den Dächern des Palasts, drei umkreisten ihn beständig und der Rest verteilte sich auf die Ufer und den Hafen.

»Sie gehören zu den Ersten Drachen«, erklärte Larna. »Ein besonderes Volk unter den Drachen, die direkt auf die Geschöpfe zurückgehen, die von den Gottheiten erschaffen wurden. Sie sind die einzigen Drachen, die sich auf eine uns bekannte Art und Weise fortpflanzen. Dies und ihre Verbindung zu den Göttern sind vermutlich die Gründe, warum sie so groß werden.«

»Ist Raznak eigentlich der größte lebende Drache?«, fragte Neia, auch wenn das wenig mit der Sache zu tun hatte. Doch es war schwer, nicht von diesem gewaltigen, furchteinflößenden, wunderschönen Wesen fasziniert zu sein. Auf ihm zu fliegen war eine einmalige Erfahrung gewesen, noch einmal ganz anders als der Flug auf Sirzan, denn man bemerkte kaum, dass man sich in der Luft befand. Sie hatte mehr das Gefühl gehabt, auf einem riesigen Schiff über ein ruhiges Meer zu gleiten. Seine Geschwindigkeit hatte sie innerhalb weniger Tage den Drachenhof erreichen lassen, denn niemand hatte weitere Zeit in Manwen verschwenden wollen.

Ylen lächelte humorlos. »Nein. Der größte Drache, den ich je gesehen habe, bewacht den Hort der Ersten Drachen. Sein Körper ist größer als der See.«

Entsetztes Schweigen folgte auf seine Worte. Neia versuchte sich diesen Drachen auszumalen – und scheiterte. Kein lebendes Wesen konnte so groß sein.

»Er verlässt den Hort niemals«, fügte Larna rasch hinzu. »Angeblich wird er das erst tun, wenn die Welt kurz vor dem Untergang steht. Das Schlagen seiner Flügel wird das Ende der Welt ankündigen und sein letzter Feuerstoß wird uns vernichten.«

»Wenn uns das beruhigen sollte, würde ich vorschlagen, versuchst du’s noch mal«, murmelte Mirri, die sich als Erste von dem Schock erholt hatte.

Larna schenkte ihr ein mattes Lächeln. »Erzählt bitte noch den Rest eurer Geschichte.«

Sie nahmen den Faden schnell wieder auf. Neia und Elys fassten zusammen, wie sie sich durch das Schloss bis in die Gemächer der Königin gekämpft hatten. Und wie sie dort mit Lady Renna konfrontiert worden waren. Hier stockte Neias Stimme mehrmals und sie konnte ihre Geschichte nur mühsam beenden. Arjana verschränkte Neias und ihre Hände miteinander.

»Ich weiß nicht, was sie vorgehabt hat, aber Elys und ich sind im letzten Moment aus dem Fenster gesprungen. Du hast gewusst, dass Raznak kommen würde, oder?«, fragte sie an Elys gewandt.

»Ja.« Er hatte sich auf dem Sofa nach vorne gelehnt, die Unterarme auf seine Oberschenkel gestützt. Ein düsterer, verzweifelter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Sie hat sich nicht mehr mit mir treffen wollen. Das hätte mich stutzig machen sollen.«

»Hm?«

Er schaute auf und in die Runde. »Tarlisa. Bei unserer ersten Begegnung hat sie mir gesagt, wir würden uns bald wiedersehen. Kurz darauf habe ich aber meine Fähigkeiten erhalten. Hätte ich sie danach gesehen, hätte ich sofort von allem gewusst.«

»Wie kann sie nur die Stadt so sehr im Griff haben?«, stieß Mirri hervor und ballte die Hände zu Fäusten. »Sie weiß über alles Bescheid. Ist auf alles vorbereitet.«

»Ihr Netzwerk«, sagten Neia und die Königin fast gleichzeitig.

»Vielleicht kann ich hier ein wenig Licht ins Dunkel bringen«, fuhr die Königin fort. Alle wandten sich ihr zu. »Tarlisa und ich kennen uns seit sehr, sehr vielen Jahren. Länger, als den meisten bewusst und dem Gildenrat lieb ist. Sie wird meine Nähe nur gesucht haben, um an Macht zu gelangen. Wir haben uns im Tempel der Göttin getroffen, als ich für einen sicheren Übergang meiner todkranken Mutter, der damaligen Königin, gebetet habe.«

Neia rechnete zurück. Königin Elandri war seit über zwanzig Jahren auf dem Thron. Das war wirklich eine lange Bekanntschaft. Die meisten waren davon ausgegangen, dass ihre Beziehung mit Lady Renna erst vor einigen Jahren begonnen hatte.

»Tarlisa ist immer schon äußerst begabt darin gewesen, andere dazu zu bringen, sie zu mögen. Die von euch, die sie kennengelernt haben, wissen, was ich meine. Sie erscheint freundlich, fürsorglich, loyal und gerecht. In den richtigen Momenten kann sie emotional werden. Ihre Demonstration, genauso viele Schwächen zu haben wie alle anderen.« Die Mundwinkel der Königin zuckten in einem Lächeln. »Das alles ist mir schnell klar geworden. Ich wusste immer, dass sie im Herzen Politikerin ist und über ein gewisses Kalkül verfügt. Ich habe mich jedoch davon blenden lassen, und glaubte, sie durchschaut zu haben. Sie hat mir das, ohne zu zögern, bestätigt, als ich sie darauf angesprochen habe.«

»Sehr intelligent«, bemerkte Larna und ihre Augenbrauen wanderten in die Höhe. Sie und die Königin tauschten einen Blick, der so etwas wie zögernde Bewunderung gegenüber Tarlisa ausdrückte. Natürlich. Die beiden waren Königinnen. Sie konnten Tarlisas Talenten durchaus etwas abgewinnen, auch wenn sie ihnen selbst zum Opfer gefallen waren.

»Über die Jahre hinweg hat sie sich immer mehr Macht gesichert, hat sich einen Weg in die obersten Ränge des Gildenrats gesucht … und an meine Seite. Kentan, wenn nicht sogar ganz Manwen, ist durchzogen von ihrem Informationsnetzwerk. Sie hat ihre Spione überall verteilt, hat Kontakte geknüpft und Hilfe geleistet, um im Gegenzug überall Gefälligkeiten einfordern zu können. Nichts in Kentan entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Soweit ich weiß, steht sogar der Kalte Orden in ihrem Dienst.«

Neia zischte leise und runzelte die Stirn. »Warum hat er ihr dann damals über mich eine Botschaft ausrichten lassen?«

Die Königin warf ihr einen beinahe mitleidigen Blick zu. »Weil die Botschaft nicht für Tarlisa bestimmt gewesen ist. Sondern für dich. Ganz offensichtlich kenne ich nicht all ihre Pläne, nicht einmal einen Bruchteil davon, doch eines scheint mir gewiss: Alle hier Anwesenden, und du ganz besonders, stehen in ihrem Zentrum. Was auch immer ihr bis zu der Konfrontation in meinen Gemächern getan habt, ist von ihr geplant gewesen. Und sogar unser Entkommen wird sie vorausgesehen haben.«

Neia starrte sie an und schüttelte langsam den Kopf, während sich die Bestätigung ihrer düstersten Vermutungen in ihnen allen festsetzte.

»Wie sollen wir dann etwas gegen sie unternehmen? Egal, was wir tun, es wird ihr in die Hände spielen«, flüsterte sie.

Niemand antwortete ihr. Niemand konnte ihr antworten.

Kapitel II – Elys

Elys lehnte gegen eine der Brüstungen der umlaufenden Balkone, die den großen Innenhof überblickten. Das Klirren von Schwertern, Zischen von Magie und gebrüllte Befehle erfüllten die Luft. Von seinem Platz aus konnte er Neia und Arjana beobachten, die gemeinsam ein Duell gegen zwei andere Fluchelfen ausfochten. Auf der anderen Seite des Innenhofs ging Ylen an einigen der trainierenden Soldaten vorbei und korrigierte ihre Haltung.

»Willst du nicht mitmachen?«, wurde er von der Seite angesprochen. Er warf Mirri einen kurzen Blick zu. Ihre Haare waren noch feucht von dem Bad, das sie wohl nach ihrer eigenen Trainingseinheit am Vormittag genommen hatte.

»Habe ich schon. Vor dir. Ylen hat mir ein paar Tricks gezeigt, um meine nicht vorhandenen Fähigkeiten im Schwertkampf auszugleichen«, fügte Elys hinzu und konzentrierte sich wieder auf die Kämpfe, die unter ihm ausgefochten wurden.

Mirri lachte leise. »Er ist großartig. Und gnadenlos.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie schwer sie sich auf die Balustrade stützte, und furchte die Stirn, ehe er sie etwas eindringlicher musterte. Sie schien keine großen Schmerzen zu verbergen, sondern wirkte nur erschöpft.

»Lass das«, sagte sie halbherzig.

»Kann ich nicht. Darfst du überhaupt kämpfen?«

»Das habe ich in Mobrid und Kentan auch getan«, erwiderte sie und verdrehte die Augen. »Solange ich aufhöre, wenn mein Bein zu sehr wehtut, ist das in Ordnung. Hat Lauria gesagt.«

»Wenn ihr dabei nicht vollständig bekleidet gewesen seid, zählt das nicht.«

Etwas blitzte in den Farben über ihrem Kopf auf und Elys’ Augenbrauen wanderten in die Höhe. Er konnte das Grinsen nicht verhindern.

»Warte, ihr habt noch nicht …«

»Wir haben uns noch nicht einmal geküsst«, stellte Mirri klar und mied den Blick in seine Richtung.

Er gab einen amüsiert-überraschten Laut von sich. Für ihn waren Mirris Gefühle für die Fluchelfe mehr als deutlich, und er war sich sicher in Laurias Blick Ähnliches gesehen zu haben.

»Vielleicht hätte ich dich doch von Raznaks Rücken schubsen sollen.«

»Sag so was nicht. Du brichst mir noch das Herz«, erwiderte Elys und lächelte, während er einen gemeinsamen Angriff von Neia und Arjana beobachtete.

Ihre Kräfte harmonierten perfekt miteinander. Obwohl sie gegen die Feuermagie ihrer Gegnerinnen im Nachteil waren, erarbeiteten sie sich gemeinsam einen Vorteil. Neia benutzte geschickt die Schatten ihrer Umgebung, Arjana fing die meisten der gegnerischen Attacken auf.

Nach ihrer langen Beratung vor einer Woche hatte Ylen intensive Trainingseinheiten für alle angeordnet. Sie wollten auf das vorbereitet sein, was auf sie zugerollt kam. Auch wenn sich vor allem die Mitglieder ihrer kleinen Gruppe fragten, was ihnen das nutzen sollte.

Elys konnte diese Zweifel bei seinen Gefährtinnen spüren, fand sie in sich selbst.

»Da wir gerade davon sprechen …«, lenkte Mirri seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Er schnitt eine Grimasse, als ihm rasch klar wurde, wovon sie redete.

»Nicht jetzt, Mirri«, murmelte er und hielt absichtlich den Blick weiterhin auf die Kämpfenden gerichtet.

»Wann dann?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. »Ich will nur sagen … Wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da.«

Die vier hatten ihren Kampf beendet und standen nun beieinander, um sich über die einzelnen Angriffe zu unterhalten. Arjana hatte einen Arm um Neias Mitte geschlungen. Der Knoten, der sich in Elys’ Brust gebildet hatte, erinnerte ihn mit einem schmerzhaften Ziehen an seine Existenz.

»Ich habe ihr dazu geraten, sich auf Arjana einzulassen, wenn sie das wirklich will«, sagte Mirri leise und berührte ihn sanft am Arm.

Er schenkte ihr ein mattes Lächeln, das sie beinahe ermutigend erwiderte. »Ich bin weder ihr noch dir oder Arjana böse. Warum auch? Keine von euch hat etwas Falsches getan. Die Umstände sind einfach … ungünstig. Und sie macht Neia glücklich.«

»Ja. Sie hat ihr angeboten, wenn alles vorbei ist, am Drachenhof zu bleiben. Hier ihr Leben weiterzuführen.«

»Unter Freunden und Vertrauten.« Elys nickte. »Egal, wie die Sache auf dem Kontinent ausgeht … Selbst wenn wir gewinnen sollten, ist Saschwan weit davon entfernt, Neia eine so sichere Heimat zu bieten, wie es der Drachenhof vermag.«

Mirri brummte etwas Zustimmendes und sie schwiegen einen Moment, ehe sich Elys zu ihr umdrehte. »Was ist mit dir? Wohin wirst du gehen?«

Ihr Mund öffnete und schloss sich ein paarmal. Zweifel und Unsicherheit standen in ihrem Blick.

»Ich denke, ich werde nach Manwen zurückkehren. Das Land ist meine Heimat. Mein Platz in der Schmiede wartet immer noch auf mich.«

»Gemessen daran, wie oft du uns in Lebensgefahr gebracht hast, bist du vermutlich wirklich eine bessere Schmiedin als eine Abenteurerin«, antwortete er scherzhaft.

Mirri gab einen entrüsteten Laut von sich. »Entschuldige bitte?! Das macht doch wohl eine Abenteurerin aus! Außerdem weigere ich mich die Schuld für alles auf mich zu nehmen. Lord-ich-kann-nicht-kämpfen-aber-ich-gehe-diese-Karawanenwächter-provozieren, ist da nicht so was gewesen?«

»Das ist ihre Idee gewesen. Na ja. Quasi.« Er deutete in Neias Richtung.

»Oh, natürlich.« Mirri verdrehte die Augen und grinste. »Genauso wie du gar nichts damit zu tun gehabt hast, dass du dich in das Schloss der Königin geschlichen hast.«

»So ungefähr.«

Er war froh das Thema »Neia« erst einmal fallen zu lassen. Elys wusste selbst nicht, was er darüber denken und fühlen sollte. Seit sich die Ereignisse in Kentan mit Torons Hinrichtung überschlagen hatten, versuchte er nur zu überleben. Erst langsam kam er zur Ruhe, konnte damit anfangen, das Erlebte zu verarbeiten.

Ironischerweise war in Bezug auf Neia genau das eingetreten, was er sich für sie erhofft hatte: Sie war glücklich geworden, soweit das in der aktuellen Situation ging. Sie wurde akzeptiert und geschätzt. Und Arjana war großartig. Sie schien bei allen beliebt zu sein, sorgte sich um Neia, war entschlossen und liebenswürdig. Sie passten gut zusammen und er freute sich für die beiden. Wirklich.

Aber er konnte nicht aufhören sich sich selbst an Neias Seite vorzustellen. Als sie getrennt gewesen waren, hatte er seine Gefühle für sie beiseiteschieben können, doch sie waren nie wirklich weg gewesen. Dabei wäre das für sie beide am besten.

»Elys?«

Er blinzelte, weil er so plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde, und schaute Mirri fragend an.

»Als wir bei deinem Vater gewesen sind, hast du in einer fremden Sprache gesprochen, oder?«

»Oh«, machte er. »Ja, stimmt. Soweit ich weiß, ist das die Sprache der Götter. Einige Sätze und Wörter kenne ich, seit ich sehen kann. Aber irgendwie unterbewusst. Was wenig Sinn ergibt, ich weiß.«

Mirri nickte langsam. »Wie alles andere an deinen Kräften. Ich habe mich nur gefragt … Das, was Karsa damals in den Sturmebenen gesagt hat, bevor sie auf die Sturmgeier zugerannt ist, klang ähnlich. Oder?«

Seine Augen weiteten sich ein wenig. »Ja, ich … Komm mit. Ich muss dir etwas zeigen.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und ging mit großen Schritten durch eine der Türen in den Palast. Rasch schloss sich Mirri ihm an. Gemeinsam liefen sie durch die Flure des Gebäudes, bis sie den Gästeflügel erreichten. Elys’ Zimmer war ein paar Türen von Mirris und Neias entfernt, aber genauso eingerichtet wie die der beiden. Obwohl in seinen Räumen vermutlich etwas mehr Chaos herrschte, denn nachdem Larna ihm den Zugang zur Bibliothek erlaubt hatte, hatte er ein Buch nach dem anderen mitgenommen. Sie türmten sich auf seinem Schreibtisch, zusammen mit einigen Rollen Pergament.

Mirri hob die Augenbrauen in die Höhe. »Was hast du hier gemacht?«

»Nachforschungen angestellt. Meine Gedanken sortiert. Versucht ein paar offene Fragen in Bezug auf Magie zu beantworten«, gab er abwesend zurück und zog eine Rolle Pergament von seinem Schreibtisch.

Er überflog die kurze Liste mit fremdartig klingenden Sätzen.

»Ich bin nicht ganz sicher. Hat Karsa das gesagt?« Er drehte die Pergamentrolle, damit Mirri mitlesen konnte, und tippte auf einige der Sätze.

Liwa lunalin ri ivenata! Sem sikonan! Sem avanan ne sem ratakusun.

»Vielleicht. Die Sprache ist zu fremd«, sagte Mirri leise und konzentrierte sich auf die Übersetzung. »Ich gehöre der Reiterin. Hütet euch. Gehorcht oder sterbt?«

»Soweit ich weiß, ist das die richtige Übersetzung. Nachdem der Gott mich erwählt hat, habe ich hin und wieder von einigen Sätzen in dieser Sprache geträumt und mir endlich die Mühe gemacht, sie aufzuschreiben. Hast du gewusst, dass das Gebirge nördlich von Kentan übersetzt ›Der Berg des Riesen‹ heißt?«

»Äh … nein. Woher auch?«, gab Mirri zurück. »Was bedeutet das? Ihre Worte, meine ich?«

Elys schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich bin nicht sicher. Ungefähr das Gleiche habe ich den Karawanenwächtern zugerufen, als Neia und ich den Fluchelfen befreit haben. Im Nachhinein frage ich mich ja, ob das Gewitter wirklich so ein Zufall gewesen ist.«

Ihn traf ein fragender Blick.

»Nun, ganz offensichtlich können die Götter in unsere Welt eingreifen. Und keine Ahnung, was ich getan habe, aber ich habe anscheinend ihr Interesse geweckt.« Er deutete auf seine Augen. »Die Reiterin ist ein Aspekt der Göttin des Weges. Sie ist die Schwester des Gottes der vielen Gesichter. Er hat mich, laut Tarlisa, schon länger dazu auserkoren, seine Gabe zu erhalten.«

»Du meinst, sie hat dich für ihren Bruder beschützt«, schlussfolgerte Mirri. Sie klang mehr nachdenklich als skeptisch.

Elys nickte, auch wenn er selbst Schwierigkeiten hatte, seinen Worten zu glauben. Er hielt sich für zu unbedeutend, um so eine Reaktion seitens einer Göttin zu provozieren.

»Nehmen wir an, das stimmt. Was hat das mit Karsa zu tun?«

»Wenn das stimmt, dann existiert die Reiterin. Dann hat die Göttin wirklich einen Aspekt, der von den Sturmgeiern angebetet wird. Vielleicht haben sie diesen mit ihrem Glauben sogar erst erschaffen«, fügte Elys hinzu. »Karsa hat in der Sprache der Götter gesprochen. Sie hat sich unter den Schutz der Göttin begeben. Ich kann die Sprache der Götter manchmal sprechen und ich stehe unter ihrem Schutz. Was glaubst du, was das zu bedeuten hat?«

Mirri starrte ihn einen langen Moment an, die Lippen einen Spaltbreit geöffnet. »Sie ist ebenfalls von den Göttern auserwählt worden. Von der Reiterin selbst.«

»Ganz genau«, sagte Elys und war sich immer sicherer, dass genau das in der Sturmebene geschehen war. So wie er im Moment der Bedrohung durch seinen Vater die Sprache der Götter verwendet hatte, hatte Karsa das ebenfalls getan. Die Geschwister hatten in beiden Fällen durch sie gesprochen, um ihre Auserwählten zu beschützen, zu verteidigen. Oder in Karsas Fall: Um den Sturmgeiern zu zeigen, dass sie von der Reiterin persönlich für etwas bestimmt worden war.

Etwas huschte durch Mirris Blick. Zweifel, Unsicherheit, Trauer. »Sie lebt noch. Oder?«

»Wenn wir recht haben … ja. Und ich würde schwören, sie hält sich bei den Sturmgeiern auf. Sie ist die Auserwählte der Reiterin, nicht der Göttin des Weges.« Er musterte sie eindringlich.

Mirri schluckte und atmete mehrmals tief ein und aus. Ein leichtes Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln.

»Verdammte Götter. Ist nicht persönlich gemeint«, fügte sie hinzu und grinste.

Sie nahm die Neuigkeit besser auf, als Elys gedacht hatte. Eine merkwürdige grimmige Zufriedenheit zeichnete ihre Züge.

»Ich hoffe wirklich, dass wir recht haben«, sagte sie ernster werdend auf seinen fragenden Blick hin. »Ich habe sie gerngehabt. Und sie verdient es, nach allem, was sie durchgemacht hat, am Leben und beschützt zu sein. Aber die Welt wäre wirklich etwas einfacher, wenn nicht ständig irgendwelche Götter oder machtgierigen Leute herumrennen und alles kontrollieren würden.«

Obwohl Elys versuchte die Farben über ihrem Kopf zu ignorieren, konnte er einen Blick auf sie nicht verhindern. Ein Teil von ihr hatte die ganze Zeit gehofft, Karsa wäre noch am Leben. Mirri hatte sich schrecklich gefühlt, weil sie die Soldatin im Stich gelassen hatte.

»Hast du Lauria eigentlich schon von dieser Sprache erzählt?«, unterbrach sie seine Betrachtungen.

»Nein, noch nicht. Das habe ich aber vor. Sie weiß ziemlich viel über die Götter und die Vergangenheit dieser Welt«, sagte er und versuchte gar nicht erst die Bewunderung in seiner Stimme zu verbergen. Er hatte einige Kerzen mit ihr in der Bibliothek verbracht und er hatte ihr auch von der Bibliothek in Graille erzählt. Das interessierte Glitzern ihrer Augen war eindeutig gewesen.

»Hm«, machte Mirri. »Ich wollte sowieso zu ihr gehen. Kann ich ihr davon erzählen?«

»Natürlich.«

Sie lächelte. »Gut.«

Offensichtlich war das mit einer sofortigen Absicht verbunden, denn sie drehte sich um und ging zur Tür. Dort blieb sie einen Moment stehen und schaute ihn ein letztes Mal eindringlich an.

»Deine Gutmütigkeit in allen Ehren, aber wenn du Neia immer noch magst, solltest du ihr das sagen. Wenn auch nur aus dem Grund, damit du damit abschließen kannst.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie und ließ ihn mit seinen zweifelnden Gedanken zurück.

Kapitel III – Mirri

Mit leichten Schritten ging sie auf direktem Weg zu Lauria. Sie lebte immer noch im Palast und war um die Tageszeit normalerweise auf der Krankenstation zu finden. Dort hatte man ihr ein Zimmer eingerichtet, wo sie weiterhin Prothesen herstellen und sich um Verletzte kümmern konnte.

Zum ersten Mal seit den Ereignissen in Kentan spürte Mirri so etwas wie … Frieden. Glück. Wärme. Karsas Opfer in den Sturmebenen hatte die ganze Zeit am Rande ihres Bewusstseins gelauert. Durch Tarlisas Verrat, durch das Wissen, dass sie vermutlich auch dort ihre Hände im Spiel gehabt hatte, waren Mirris Schuldgefühle wieder an die Oberfläche gekommen. Doch das Gespräch mit Elys hatte ihr einen Teil des Gewichts von den Schultern genommen. Karsa könnte noch am Leben sein.

Ihre Freude darüber hatte wenig mit dem Anflug von zarten Gefühlen zu tun, die sie für Karsa während ihrer gemeinsamen Zeit entwickelt hatte. Mit ihr herumzualbern und sie ein wenig aus der Fassung zu bringen waren damals die Lichtblicke ihrer düsteren Tage gewesen. Sie hatte der Soldatin vertraut und sie geschätzt, unter anderen Umständen wären sie sicher gute Freundinnen geworden.

Mirri klopfte gegen die halb geöffnete Tür von Laurias Arbeitszimmer, wartete ihr »Herein« nicht ab, sondern trat in den großen Raum. Bis auf einen Tisch für Laurias Arbeiten und eine Liege für ihre Patienten war er leer.

Die Fluchelfe war gerade über eine Armprothese gebeugt und runzelte die Stirn, lächelte aber, als sie Mirri bemerkte.

»Schwieriges Stück?«, fragte Mirri.

»Schwieriges Holz«, antwortete Lauria und schnitt eine Grimasse. »Es stammt vom Meeresboden und wird an der Luft sehr trocken. Das macht das Bearbeiten schwierig.«

Mirri trat näher an den Tisch heran, beugte sich etwas tiefer über die Prothese und stieß einen verblüfften Laut aus, als sie das perlmuttartige Schimmern im dunklen Holz bemerkte. »Sind das …?«

»Muschelreste und Perlen, die im Baum eingewachsen waren, ja. Wunderschön, keine Frage.«

Über Laurias frustrierten Tonfall musste Mirri schmunzeln und richtete sich wieder auf. Jede Schwierigkeit mit ihren Prothesen sah sie als ihr persönliches Problem an. Was natürlich zu der Außergewöhnlichkeit ihrer Arbeiten beitrug.

»Hast du trotzdem kurz Zeit? Ich habe gerade mit Elys über etwas gesprochen, was dich, glaube ich, auch interessieren wird.«

Lauria schaute nun ganz von der Prothese auf, ein Lächeln auf den Lippen. »Für dich habe ich immer Zeit.«

Statt zu antworten, womit sie sich sowieso nur in Verlegenheit gebracht hätte, erwiderte sie Laurias Lächeln und ließ sich auf den Stuhl vor dem Arbeitstisch sinken.

Knapp fasste sie zusammen, was sie mit Elys herausgefunden hatte – oder was sie glaubten herausgefunden zu haben.

Während ihrer Erzählung wurde Laurias Gesichtsausdruck immer nachdenklicher, ihre Augen bekamen diesen faszinierten Glanz, der ihr so zu eigen war.

»Elys beruft sich auf die Göttin und scheint von ihr unterstützt zu werden. Als er einige Zeit später auf Karsa trifft, ruft sie ebenfalls die Göttin an, aber in der Sprache der Götter. Und noch ein paar Wochen später wird Elys vom Bruder der Göttin auserwählt«, murmelte sie schließlich, nachdem Mirri fertig war. »Was ist das nur mit eurer Gruppe und diesen seltsamen Zusammenhängen?«

»Ich bin mittlerweile die einzige Normale in dieser Gruppe. Ganz ohne Magie und irgendwelche Götter, die durch mich sprechen«, gab Mirri zurück und grinste.

»Wenn man die einzige Magielose in einer Gruppe von Leuten ist, die über Magie verfügen, ist man dann nicht selbst die besondere Ausnahme?« Mirri schaute sie ein wenig verwirrt an, was Lauria lachen ließ. »Mirri, so wie ich das sehe, bist du der Verschluss einer Kette mit vielen Gliedern. Du bist das, was diese Gruppe zusammenhält.«

Mirri wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Stattdessen zuckte sie nur mit den Schultern und wandte den Blick ab, damit Lauria nicht sah, wie verlegen sie ihre Worte machten.

»Also glaubst du ebenfalls an einen Zusammenhang?«, lenkte sie das Gespräch zurück auf das eigentliche Thema.

»Ich denke, ja. Eure Schlussfolgerung erscheint mir logisch.«

»Mhm«, machte Mirri und schaute Lauria wieder an. »Deswegen glaube ich übrigens auch, dass Karsa noch lebt. Die Göttin hätte nicht durch sie gesprochen, nur um ihr dann beim Sterben zuzusehen. Hoffe ich.«

Lauria legte den Kopf schief und sagte nichts, wartete ab.

»Ohne ihre Hilfe hätte ich nicht überlebt. Sollten wir sie jemals wiedertreffen, kannst du dich bei ihr beschweren, dass ich dich ständig von deiner Arbeit abhalte«, fügte Mirri hinzu und lächelte breit.

Laurias Gesichtszüge wurden etwas weicher, als sie schmunzelte. »Ich würde mich eher bei ihr bedanken.«

»Ja, das stimmt. Meine Anwesenheit ist eine unglaubliche Ehre.«

Mirri schalt sich für ihr Drumherumgerede, anstatt auszusprechen, was sie Lauria wirklich sagen wollte: dass sie glücklich darüber war, hier zu sein. Sie kennengelernt zu haben.

Doch die Fluchelfe schien das verstanden zu haben, denn ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. »Was hast du heute Abend vor?«

»Äh … nichts«, antwortete Mirri etwas überrumpelt. Sie hatte die letzten Tage nur dazu genutzt, sich auszuruhen und den relativen Frieden am Drachenhof zu genießen, deswegen hatte sie keinerlei Pläne gemacht – was Lauria eigentlich wusste.

»Gut. Ich will dir etwas zeigen. Meinen Lieblingsort.«

Ein warmes Kribbeln durchlief Mirri. »In Ordnung.«

Lauria setzte an noch etwas zu sagen, als ein ohrenbetäubendes Fauchen von draußen ertönte. Das Geräusch ließ die Fensterscheiben klirren.

Mirris Stuhl fiel mit einem Poltern um, als sie aufsprang, aber das Geräusch ging in dem zornigen Brüllen unter.

Lauria eilte zum Fenster und schnappte nach Luft. »Raznak kommt vom Hügel hinunter.«

»O verdammt. Irgendetwas muss mit Ylen sein!«, stieß Mirri entsetzt hervor.

Jeder Anflug von Wärme und Glück verpuffte in ihr. Was war passiert? War Ylen verletzt worden? Und was würde Raznak tun, wenn das der Fall wäre?

Ohne weiter zu zögern, eilten sie aus dem Raum und die Flure entlang in Richtung Innenhof, wo Ylen sich die meiste Zeit aufhielt. Zu Mirris Erleichterung bereitete ihr ihr verletztes Bein heute keine Probleme und sie erreichten binnen kürzester Zeit einen der Ausgänge zum Innenhof.

Mirri stürmte nach draußen – und wurde von einer Hand am Arm abrupt zurückgehalten.

»Nicht!«, sagte Arjana mit warnender Stimme. Sie und Neia standen, wie alle anderen auch, dicht an die Mauer des Palasts gepresst.

Mirri und Lauria stellten sich zu ihnen. Erst jetzt konnte Mirri wirklich sehen, was passiert war.

Die gute Nachricht war: Ylen schien wohlauf. Er stand in der Mitte des Innenhofs. Hinter ihm lag ein Fluchelf, tot, mit einem Loch in der Brust. Und vor Ylen kniete eine Fluchelfe.

»Ich habe dich persönlich ausgebildet«, zischte Ylen. Die Stille war jedoch umfassend genug, um ihn trotzdem verstehen zu können.

Raznak war verstummt, vielleicht hatte auch er festgestellt, dass Ylen unverletzt war.

»Was …?«, fragte Mirri leise an Neia gewandt.

Deren Gesicht war eine kalte, zornige Maske. »Sie hat gegen den, der am Boden liegt, gekämpft. Sie gehören beide zu Ylens Befehlshaberstab. Plötzlich hat sie ihren eigenen Kameraden mit ihrer Magie angegriffen und umgebracht.«

Die Soldatin erwiderte Ylens Blick trotzig.

»Arbeitest du für Aramis?«, wollte Ylen wissen.

Ein höhnisches, beinahe bitteres Lächeln breitete sich auf den Lippen der Frau aus. »So wie andere auch. Wir sind mitten unter euch. Jeder hier könnte für den Prinzen arbeiten.«

Ihre Worte breiteten sich unter den Zuschauern aus. Mirri schluckte. Die Fluchelfe war clever. Es gab keine bessere Möglichkeit, einen Feind zu schwächen, als ihn zu verunsichern. Als dessen Reihen mit gegenseitigem Misstrauen zu erfüllen.

»Gut«, knurrte Ylen. »Ich freue mich darauf, jede verräterische Seele zu Aramis zurückzuschicken.«

Er schaute über den Kopf der Fluchelfe hinweg und als Mirri seinem Blick mit den Augen folgte, sah sie Larna im Innenhof stehen. Sie war durch einen der anderen Ausgänge gekommen und nickte nun.

Ylens Schwert blitzte in der Sonne auf, als er die Waffe in die Höhe hob. Die Wut war aus seinem Gesicht verschwunden und hatte entschlossener Kälte Platz gemacht. Seine Klinge zuckte durch die Luft und trennte der Verräterin sauber den Kopf von den Schultern.

»Wer glaubt, uns ungestraft verraten zu können, wird das bitter bereuen«, sagte er, laut genug, damit alle ihn hören konnten. »Und wenn sie glauben, uns mit ihren giftigen Worten schwächen zu können, werden sie noch sehen, zu was wir fähig sind.«

So gerne Mirri ihm auch glauben wollte, bemerkte sie doch die vielen unsicheren, argwöhnischen Blicke. Unwillkürlich fragte sie sich, wie viele der Soldaten in Zukunft mit ihren Kameraden trainieren würden, ohne zu befürchten, im nächsten Moment von ihnen niedergestreckt zu werden; und wie viele wirklich noch getötet werden würden.

Kapitel IV – Arjana

Obwohl Arjana sich dafür verabscheute, warf sie Larnas Wachen einen kurzen, prüfenden Blick zu. Respektvoll nickten sie ihr zu.

Sie musste dringend aufhören überall Gespenster zu sehen. Larnas Wachen waren absolut handverlesen, sie waren die treuesten und besten Kämpfer des Drachenhofs. Eher würden sie sich in ihre eigenen Klingen stürzen, als die Königin zu verraten. Das war zumindest zu hoffen. Arjana wusste nicht, ob sie aktuell in der Lage wäre, Larna gegen Angriffe aus dem Hinterhalt zu verteidigen. Sie war gleichzeitig erschöpft von all den Ereignissen und angetrieben von ruheloser Energie. Dem verzweifelten Drängen, irgendetwas tun zu wollen.

Larna erwartete sie bereits, mit überschlagenen Beinen auf dem Sessel vor dem leeren Kamin sitzend. In der Hand hatte sie eine dampfende Tasse und auf dem kleinen Tischchen zwischen den zwei Sesseln stand eine weitere für Arjana.

Stumm setzte sich Arjana zu ihr und ergriff die Tasse. Der Geruch von Kräutertee stieg ihr in die Nase, aber mehr noch genoss sie die Wärme. Bald würde der Frühling über die Hügel kommen, an diesem Tag zeigte sich jedoch der Winter von seiner kältesten Seite.

»Ylen hat in der letzten Nacht zehn weitere Verschwörer gefunden und ausgeschaltet«, informierte Larna sie.

Arjana fluchte leise. Der Mord im Innenhof war vier Tage her und seitdem jagte Ylen jedem Gerücht über Verräter hinterher, das an seine Ohren drang.

»Ich habe heute Morgen mit Lauria gesprochen, bevor sie, Mirri und Neia zu der Ruinenstadt aufgebrochen sind, um die Talismane zu holen«, sagte Arjana. »Sie haben mehrere Leute im Krankenflügel, die sich geprügelt haben, weil sie sich gegenseitig verdächtigt haben.«

Larna schnalzte verärgert mit der Zunge. »Nicht unerwartet. Trotzdem äußerst ärgerlich. Wir brauchen dringend eine Ablenkung.«

»Was ist denn der Plan für die nächsten Wochen?«, fragte Arjana und trank einen Schluck des immer noch heißen Tees. »Ich meine, wir trainieren. Schön und gut. Aber wofür? Werden wir Aramis jagen? Nach Manwen zurückkehren?«

»Königin Elandri will auf jeden Fall Letzteres tun. Wir haben einen Bericht aus Mobrid bekommen, dass Tarlisa die Kontrolle über die Stadt an sich gerissen hat und das Gerücht verbreitet, Fluchelfen hätten die Königin entführt. Deswegen werden wir vermutlich nicht darum herumkommen, uns mit dem Festland zu beschäftigen.«

»Außerdem besteht die Wahrscheinlichkeit, dass Aramis ebenfalls dort ist«, vermutete Arjana halb fragend.

Larna nickte. »Das glaubt Ylen zumindest.«

Keine von ihnen würde Ylens Vermutungen einfach abtun, was solche Dinge anging. Er hatte einen besonderen Instinkt für so etwas. Alles, was mit Kriegsführung und Planung zusammenhing, flog ihm zu.

»Was ist dann das Problem? Worauf warten wir noch?«

»Das Problem ist, wir könnten nichts Naheliegenderes tun: mit Drachen und Schiffen nach Manwen reisen und Tarlisa aus ihrer Stadt herauszerren«, gab Larna zurück. »Sie wird von so etwas ausgehen.«

Arjana begriff, worauf Larna hinauswollte. So oder so würden sie Tarlisa nur schwerlich überraschen. Egal, was sie planten, die Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie damit rechnete. Und ein direkter Angriff würde in einer Katastrophe enden, zumindest gingen Ylen und Larna davon aus.

»Wir brauchen Unterstützung, die Tarlisa nicht vermutet. Mobrid wird auf unserer Seite sein, oder?«

Larna nickte und warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Tarlisa hat zu Neia und Elys gesagt, die Götter würden sich auf den Übergang der Zeitalter vorbereiten. Sie würden ein Spiel oder so etwas spielen. Und sie hätte vor sich in deren Angelegenheiten einzumischen. Das heißt, die Götter können nicht sonderlich erfreut über ihre Handlungen sein«, überlegte Arjana laut. »Ich meine, einer von ihnen hat Elys seine Gabe geschenkt. Er steht offensichtlich gegen Tarlisa.«

»Und das heißt …?«

»Elys und Mirri wiederum haben herausgefunden, dass eine Frau, mit der Mirri auf der Flucht von Kentan nach Mobrid Kontakt hatte, vermutlich ebenfalls von den Göttern auserwählt worden ist. Ich würde sagen, es kann nicht schaden, sie zu finden. Das letzte Mal hat man sie bei den Sturmgeiern gesehen«, fuhr Arjana fort.

Larna lehnte sich zurück, einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. Ihr Blick, der immer noch auf Arjana ruhte, war beinahe kalkulierend. Schließlich nickte sie. »Einen kleinen Trupp in die Sturmebenen zu schicken, könnte nicht schaden.«

Sie schwiegen eine Weile, während Arjana abwesend an ihrem Tee nippte. Seit Mirri und Elys von ihrem Verdacht erzählt hatten, hatte sie überlegt, ob sie diese Informationen für irgendetwas nutzen konnten. Larnas Worte hatten sie zu dieser Idee inspiriert. Tarlisa hatte Mirris und Karsas Aufeinandertreffen vielleicht geplant, damit die Schmiedeschülerin die Reise durch die Sturmebenen überlebte, aber hatte sie auch von Karsas Rettung gewusst? Oder war das eine spontane Entscheidung der Göttin gewesen?

»Du weißt, was Askgers Tod und Aramis’ Verrat bedeuten, oder?«, riss Larna sie aus ihren Gedanken.

Arjana erstarrte. Ihre Hände verkrampften sich um die Tasse und sie wagte nicht Larna ins Gesicht zu sehen. Ihr war bewusst, was Larna andeutete. Sie dachte nur nicht gerne darüber nach. Vor allem nicht im Moment, da alles so anders geworden war. Noch mehr Veränderung … Nein.

»Wenn wir den Krieg überstanden haben, wenn wieder Frieden herrscht, werden Ylen und ich zurückkehren. Irgendwann wird uns unser Volk rufen und Askger hat gewusst, dass wir dann gehen würden.«

»Larna …«

»Fern vom Drachenhof hat Aramis einige Kinder. Das wissen wir. Aber kein Fluchelf und keine Fluchelfe mit seinem Blut wird jemals den Thron des Drachenhofs besteigen«, fuhr Larna mit so kalter Stimme fort, dass Arjana unwillkürlich zu ihr sah. »Du hingegen wirst Königin werden.«

Arjana lagen tausend Erwiderungen auf der Zunge, aber sie wagte nicht eine von ihnen auszusprechen. Ihrer Schwägerin zu widersprechen war immer schon schwer gewesen und im Moment noch mehr. Seit Tagen war ihr kaum ein Lächeln zu entlocken. Sonst gab sie sich mehr als Ylen Mühe, ihre Drachnen-Natur nicht offen zu zeigen. Sie ängstigte die meisten Menschen und Elfen. Seit Askgers Tod, beziehungsweise seit ihrer Rückkehr aus Manwen, schien sich Larna jedoch weniger darum zu kümmern. Als hätte sie den Versuch aufgegeben, sich ihnen anzupassen. Wenn Ylen und sie wirklich darüber nachdachten, bald zu verschwinden, war das nicht überraschend.

Ein Klopfen an der Tür bewahrte Arjana vor einer Antwort – zumindest vorerst.

»Herein«, sagte Larna und schaute zum Eingang des Zimmers.

Eine Dienerin erschien. »Hier ist jemand, der mit Euch sprechen will, Eure Majestät, Eure Hoheit. Ein Fluchelf namens Jun, aus dem Inland.«

Larna runzelte die Stirn.

»Ich … ich glaube, es ist sehr wichtig, meine Königin. Deswegen haben die Wachen ihn vorbeigelassen«, fügte die Dienerin hinzu. »Er behauptet Nachrichten vom Hohen Rat zu haben.«

Vor Schreck hätte Arjana beinahe ihre Tasse fallen lassen und sie stellte sie rasch auf dem kleinen Tischchen ab. Sie tauschte einen Blick mit Larna, deren Augen sich vor Überraschung geweitet hatten. Jahrzehntelang hatten sie nichts vom Hohen Rat gehört. Niemand hatte das, obwohl sie seine Hilfe bitter benötigt hätten. Und nun … stand jemand mit einer Nachricht des Rates vor der Tür?

»Gut. Lass ihn eintreten«, sagte Larna.

Sofort erhob sich Arjana und stellte sich neben den Sessel ihrer Schwägerin. Ihre Male kribbelten, als sie ihre Magie an die Oberfläche rief. Vorsicht war im Moment ihr oberstes Gebot und sie würde sich nie verzeihen, wenn Larna etwas geschah, nur weil sie zu gutgläubig waren.

Ähnliche Gedanken hatten die Wachen offensichtlich auch, denn sie traten zusammen mit dem Fluchelfen ein.

Er hatte schwarze Male am Kinn, die im Kragen seines beigefarbenen Hemdes ausliefen, und trug die schlichte Kleidung der Bevölkerung des Inlands. In respektvollem Abstand blieb er stehen und sank auf ein Knie.

»Eure Majestät, Eure Hoheit«, sagte er mit tiefer, ruhiger Stimme.

»Erhebt Euch«, erwiderte Larna.

Elegant tat er wie geheißen, seine Arme hingen locker an seinen Seiten hinab. Mit seiner Haltung schien er Wehrlosigkeit und Gefahrlosigkeit auszudrücken.

»Vielen Dank, dass Ihr mich so unangemeldet empfangt«, begann er ernst.

»Euer Anliegen scheint äußerst wichtig zu sein.«

Seine zu einem Zopf gebundenen weißen Haare wippten, als er energisch nickte. »Ja, sehr wichtig. Ich nehme an, Eure Dienerin hat Euch bereits mitgeteilt, dass ich Nachrichten vom Hohen Rat habe.«

Arjana konnte das scharfe Einatmen nicht verhindern. Ja, die Dienerin hatte das gesagt, aber die Worte nun aus seinem Mund zu hören … Eine Mischung aus Neugierde, Aufregung und Wut durchfuhr sie. Sie wünschte sich, Neia wäre hier, doch sie und die anderen würden erst am Abend zurückkehren.

»Ich gestehe, ich habe jetzt schon einige Fragen«, erwiderte Larna. Ein Anflug von Schärfe hatte sich in ihre Stimme geschlichen.

Der Fluchelf neigte den Kopf. »Das verstehe ich. Und ich muss Euch zuerst um Verzeihung bitten. Die Geschichte ist sehr lang.«

Larna erhob sich. »Dann sollten wir uns setzen.«