Engelsschatten 2: Erwählte der Hölle - Leni Wambach - E-Book

Engelsschatten 2: Erwählte der Hölle E-Book

Leni Wambach

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Beschreibung

**Die Flucht der Engel muss enden...** Maggie ist als ausgestoßener Engel auf Erden ein Feind des Himmels. Doch auch unter den Menschen lauern viele Gefahren. Ihre unfreiwillige Reise an der Seite des teuflisch attraktiven Dämons Eresz führt sie an die entlegensten Orte der menschlichen Welt. Und dennoch ist die Organisation »Jagd der Engel« dem ungleichen Paar brenzlig dicht auf den Federn. Eigentlich sollte das gerade Maggies größtes Problem sein, wäre da nicht dieses Kribbeln, das sie verspürt, sobald Eresz auch nur in der Nähe ist… //Alle Bände der himmlischen »Engelsschatten«-Reihe: -- Engelsschatten 1: Gejagte des Himmels -- Engelsschatten 2: Erwählte der Hölle -- Alle Bände der magisch-romantischen »Engelsschatten«-Dilogie in einer E-Box!//

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Leni Wambach

Engelsschatten 2: Erwählte der Hölle

**Die Flucht der Engel muss enden …**Maggie ist als ausgestoßener Engel auf Erden ein Feind des Himmels. Doch auch unter den Menschen lauern viele Gefahren. Ihre unfreiwillige Reise an der Seite des teuflisch attraktiven Dämons Eresz führt sie an die entlegensten Orte der menschlichen Welt. Und dennoch ist die Organisation »Jagd der Engel« dem ungleichen Paar brenzlig dicht auf den Federn. Eigentlich sollte das gerade Maggies größtes Problem sein, wäre da nicht dieses Kribbeln, das sie verspürt, sobald Eresz auch nur in der Nähe ist …

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Vita

Danksagung

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© privat

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann, und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

1. Kapitel

Magdalena

Ich saß auf einem harten Holzstuhl und beobachtete, wie Eresz sich in seiner Bewusstlosigkeit immer wieder regte. Nicht viel, denn Der Schmied hatte ihn an die Pritsche gebunden, damit er sein verletztes Bein nicht aus Versehen belastete.

Der Schmied werkelte in einer ebenfalls behelfsmäßigen Küche herum und brachte mir einen Tee. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben mich. Das Möbelstück knarzte unter seinem Gewicht.

Dafür, dass Der Schmied schon uralt war, wirkte er sehr jung, mit seinen dichten dunkelblonden Haaren und seiner aufrechten Haltung. Nur in seinen grün-blau-braunen Augen konnte ich die Jahrhunderte sehen, die er schon auf dieser Erde verbracht hatte.

»Du heißt Magdalena?«, stellte er fragend fest. Seine Stimme war tief und dröhnend und füllte die Höhle ganz aus.

Ich nickte nur. Ich war zu erschöpft und verwirrt. Und besorgt um Eresz.

»Und du bist ein Engel und Dämon?«

Wieder nickte ich. »Ich wusste davon aber nichts, bis ich zur Erde gekommen bin.«

»Das wundert mich nicht. Sie haben vermutlich geglaubt, sie könnten deine Dämonengene vertreiben. Du weißt ja, es gibt nicht oft neue Engel und grundlos schlachten sie den Nachwuchs nicht ab.«

Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. »Grundlos?«

»Es gab immer mal wieder welche, die so waren wie wir, halb Dämon und halb Engel. Nicht jeder hatte das Glück, mit starken Eltern oder einem engelhaften Aussehen wie deinem gesegnet zu sein. Bei dir konnten sie so tun, als seist du mehr Engel als Dämon.«

Die so waren wie wir. Also stimmte es, er war ebenfalls Engel und Dämon zugleich. Sein Gesicht war freundlich, aber distanziert.

Bevor ich auf ihn eingehen konnte, stieß Eresz auf der Liege einen leisen, schmerzerfüllten Laut aus.

»Warum hast du uns erst so spät geholfen?«, fragte ich, fast anklagend und sah auf Eresz hinunter.

Ich wusste, ich sollte dankbar sein, dass er uns überhaupt geholfen hatte. Und das war ich auch, wirklich. Aber es machte mich fertig, Eresz so zu sehen. Er war immer der gewesen, der uns aus brenzligen Situationen herausgeholfen hatte. Dass er jetzt verletzt war, dass wir der Jagd nur so knapp entkommen waren, das zehrte an meinen Nerven.

Eresz war blass und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er hatte sich nicht nur den Fuß gebrochen, sondern sich auch die Wade an einem Stein aufgeschlitzt. Es war eine Menge Dreck in die Wunde hereingekommen. Außerdem war die Nähe zu so vielen Engeln in den Sekunden nach seiner Verletzung bestimmt nicht hilfreich gewesen.

Es waren mehr als sieben gewesen, ich hatte sie nicht gezählt. Gerade, als ich schon dachte, es wäre vorbei und in das triumphierende Gesicht eines der Jäger gesehen hatte, hatte sich eine warme Kuppel über uns gestülpt. Ich hatte noch gesehen, wie der Engel bleich geworden war. Nicht vor Wut, sondern vor Furcht. Und dann war eine Stimme in der Luft gewesen, überall, lauter als Regen und Schreie und Donner zusammen. Sie hatte mir fast mehr Angst gemacht als die gesamte Jagd zusammen, auch wenn die Wut in ihr nicht mir gegolten hatte.

»Sie sind in meinem Schutzbereich und wenn ihr wisst, wer ich bin, dann haltet ihr euch fern, solange sie hier sind. Solange ich hier bin.« Es war die Stimme Des Schmieds gewesen.

»Die meiste Zeit bin ich nicht wach, Kind. Ich schlafe, denn ansonsten wäre es unerträglich mit meinen Gedanken allein zu sein. Und ich musste mich versichern, dass ihr der Hilfe wert seid«, sagte er nun ruhig.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber schloss ihn wieder. Ihn zu verärgern schien mir keine gute Idee zu sein. Zu meinem Erstaunen sah ich ihn schmunzeln.

»Verstelle dich nicht, Kind. Ich kenne den Ärger in deinem Herzen. Vergiss niemals: Wir, die wir zwischen zwei Welten hin- und hergerissen werden, fühlen oft dieselbe Hilflosigkeit. Dieselbe Wut, dasselbe Unverständnis. Wir können es nicht kontrollieren. Ich habe beobachtet, wie der Dämon gefallen ist. Er wollte, dass du gehst. Hättest du es getan, so hätte ich nicht geholfen.«

»Ich dachte, du hilfst jedem, der Hilfe benötigt?«, fragte ich, nachdem ich über seine Worte nachgedacht hatte.

Ich hatte wirklich das Gefühl, dass er verstand, wie die Gedanken in meinem Kopf wirbelten. Dass er verstand, wie es war, von seinen Gefühlen überwältigt zu werden und mit ihnen nach anderen zu schlagen. Sein Verständnis – ja, es beschämte mich.

»Ja und nein. Es kommen auch Menschen hierher, die Hilfe benötigen, doch die wenigsten erweisen sich als meiner Hilfe würdig. Ich habe mich von den Engeln und Dämonen abgewandt, weil ihr Krieg nicht meine Zustimmung findet. Ihr Egoismus ist mir zuwider. Du und dein Freund hier jedoch haben bewiesen, dass ihr nicht so seid und dass ihr bereit seid, gemeinsam zu kämpfen. Denn auch, wenn ihr die Hälfte eures Blutes teilt, so ist doch eine Hälfte deines Blutes sein Feind und genauso ist es auch bei ihm. Dennoch kämpft ihr zusammen und seid bereit, gemeinsam zu sterben.«

»Das …« Ich verstummte.

Es stimmte. Ich wäre bereit gewesen, mit Eresz zu sterben. Vielleicht sogar für ihn zu sterben.

»Danke«, murmelte ich, auch wenn es mir schwerfiel. Dann holte ich tief Luft. »Wirklich, danke. Und Entschuldigung, dass ich …«

»Danke mir noch nicht, Kind. Erzähle mir, wie du hier auf der Erde gelandet bist, solange dein Freund noch nicht erwacht ist.«

Also erzählte ich auch ihm die Geschichte. Wie ich auf dem Fest das Gespräch belauscht hatte und dass ich vor dem Gefängnis auf die Erde geflohen war. Wie ich Eresz getroffen hatte, wie die Jagd meine Spur aufgenommen hatte. Und wie wir uns entschlossen hatten, sie zu bekämpfen und den Weg bis zu ihm gefunden hatten. Er hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen oder Fragen zu stellen.

»Ah …«, machte er am Ende. »Ich verstehe. Ich vermeide das Töten, doch ich sehe ein, dass ihr keine andere Wahl als den Pfad des Krieges habt. Die Jagd ist unerbittlich, sie existiert nur, um zu vernichten. Sie lässt sich nicht abbringen. Sei gewarnt, Kind. Größere Mächte haben sich bereits eingemischt, um dich zu finden, denn sie wissen, was ihr vorhabt.«

»Wenn sie sich solche Sorgen deswegen machen, dann glauben sie mehr an das Gelingen unseres Plans als wir selbst«, brummte ich.

Der Schmied antwortete nicht, vielleicht wurde er aber auch von einer Antwort abgehalten, weil Eresz die Augen aufschlug. Er blinzelte mehrmals in das Halbdunkel der Höhle und sein Blick wanderte unstet von einem Punkt zum anderen. Er verharrte verwirrt auf der Gestalt Des Schmiedes und wanderte dann weiter zu mir. Langsam schien sich sein Bewusstsein zu klären. Und ich wurde von einer gewaltigen Welle der Erleichterung überspült.

Auch wenn Der Schmied mir versichert hatte, dass Eresz nicht schwer verletzt war … Erst jetzt, da ich mit eigenen Augen sah, dass er wach war, glaubte ich wirklich daran. Die Heftigkeit meiner Gefühle überraschte mich immer wieder, wenn es um Eresz ging.

Mit geschickten Fingerbewegungen löste Der Schmied die Knoten der Seile, sodass Eresz sich wieder frei bewegen konnte.

»Bewege dich nicht zu sehr, Kind. Dein Bein ist noch nicht ganz verheilt«, erklärte Der Schmied.

Immerhin nannte er Eresz auch Kind, ha! Na ja, aus seiner Sicht waren wir vermutlich noch Babys.

»Ich habe irgendwie das Gefühl, als wäre ich nicht tot«, murmelte Eresz mit rauer Stimme.

»Nope, bist du nicht. Wir hatten recht. Nur die, die Hilfe brauchen, können Den Schmied finden«, erklärte ich.

Eresz’ Augen flogen zu dem für ihn fremden Mann zurück und Verständnis breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Aber … wie? Die Engel …«

Ich erklärte rasch, wie uns Der Schmied gerettet und ihn versorgt hatte, nachdem er bewusstlos geworden war. Und auch das, was Der Schmied mir vorhin gesagt hatte, wiederholte ich so gut es ging. Der Schmied war währenddessen aufgestanden und hatte auch für Eresz einen Tee geholt, den dieser argwöhnisch betrachtete.

»Da ist kein Gift drin«, sagte ich und hob demonstrativ meine leere Teetasse hoch. »Oder doch und es wirkt nur sehr langsam.« Ich wusste, dass da irgendwelche stärkenden Kräuter drin waren und es hatte wirklich gutgetan. Der Schmied schwieg immer noch, er beobachtete uns mit mildem Interesse.

»Wie weit seid ihr gekommen?«, wandte sich Eresz an mich, während er Dem Schmied immer wieder verstohlene Blicke aus dem Augenwinkel zuwarf. Er fand ihn anscheinend genauso seltsam wie ich.

»Ich habe ihm erzählt, wie wir hierhergekommen sind, und er hilft uns.«

»Soweit mir dies möglich ist. Wenn du bereit bist, aufzustehen, werde ich euch etwas zeigen. Doch bis dahin solltet ihr ruhen, eure Reise wird noch schnell genug weitergehen und es ist schon späte Nacht.«

Ich sah zum Höhleneingang. Draußen beschien der Mond die scharfe steinige Landschaft. Was seltsam war. Der Regen hatte vorhin nicht so ausgesehen, als würde er so mir nichts dir nichts die Stellung aufgeben. Ganz zu schweigen von dem dichten dunklen Wolkenhimmel, der nur selten einen Mondstrahl hindurchließ. Aber es war auch totenstill draußen. Kein Grollen und kein Donnern. Der Schmied bemerkte meinen Blick.

»Meine Wohnstätte ist nicht Teil dieser Welt. Sie liegt in der gleichen Ebene wie das Archiv, in dem ihr wart, und wie das Himmelreich. Es ist kein großes Stückchen Erde, dass ich mir genommen habe, aber geh nur. Mir scheint, als vermisstest du die Nachtluft.«

Ich warf Eresz einen Blick zu, der aufmunternd nickte. Zögernd ging ich näher auf den Höhlenausgang zu und linste misstrauisch in den Himmel. Er war atemberaubend. Keine menschliche Lichtquelle verdeckte die Sterne. Es waren Millionen über Millionen, die um die Wette strahlten. Der Mond hing voll und schwer zwischen ihnen. Fasziniert trat ich ins Freie. Meine Haut kribbelte, als sie dem Mondlicht ausgesetzt wurde und ich mich wandelte. Die Luft war kühl, aber nicht kalt. Ich legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Sternenhimmel. Man konnte sogar die Milchstraße sehen, ein feines, weißes Band, in dem die Sterne sich dicht an dicht reihten. Eine wunderschöne, ferne kalte Welt.

***

Es dauerte noch bis zum nächsten Abend, bis Eresz wieder soweit hergestellt war, dass er laufen konnte. Seine Verletzungen heilten zum Glück schneller als bei normalen Menschen, sonst wäre sein gebrochenes Bein zu einem echten Problem geworden.

Nach einem sparsamen Abendessen führte uns Der Schmied in einen Teil der Höhle, den man nur durch einen kleinen Zwischengang erreichte. Dass die Höhle größer war, als ich am Anfang gedacht hatte, war mir mittlerweile schon klar. Aber sie war sogar noch größer. Es war eine richtiggehende Halle, in die uns Der Schmied führte. In ihrer Mitte brannte ein Feuer. Es war groß und die Flammen brannten gleichmäßig und leise vor sich hin. Es erwärmte den ganzen Raum und legte sich wie ein wohltuender Schleier auf mein Gesicht.

»Dies ist das Alte Feuer. Es brennt, seit ich schmiede, und wurde mit einem Holz angefacht, das der heutigen Welt nicht mehr bekannt ist«, erzählte Der Schmied.

Er ging auf das Feuer zu – und griff in die Flammen! Ich zuckte zusammen und auch Eresz verzog das Gesicht, aber es passierte nichts. Der Schmied drehte sich zu uns um, etwas in den Armen haltend, und lächelte leicht. »Es ist mein Feuer, es verbrennt mich nicht. Ihr solltet dies jedoch unterlassen.«

Er kam auf uns zu und nun erkannte ich, dass das Objekt in seinen Armen ein schwarzer Dolch war. Eresz sog zischend die Luft ein.

»Das ist das Material eures Dolches«, erklärte Der Schmied bedächtig. »Es ist Alter Stahl, auch wenn diese Bezeichnung nicht ganz richtig ist. Er besteht aus einem der Meteoriten, die so häufig auf die junge Erde gefallen sind. Dies ist das letzte Stück, welches übriggeblieben ist und ich, der von der Existenz des Engeltöterdolchs weiß, habe schon vor Jahrhunderten einen Dolch daraus gefertigt. Dieser Teil ist fertig.«

»Und der Rest? Sie haben vermutlich nicht irgendwelche Steine herumliegen?«, fragte Eresz mit sehr wenig Hoffnung in der Stimme.

Der Schmied sah auf uns hinunter, er überragte auch Eresz deutlich. »Nein. Ihr müsst sie selbst besorgen, doch ich habe die eine oder andere Sache, um euch zu helfen.«

»Und wenn wir alle Steine haben, dann müssen wir wieder hierher zurück?«, fragte ich. Dieses ganze Reisen war nicht sehr sicher. Und je näher wir unserem Ziel kamen, desto verzweifelter würden die Engel werden.

»Nein. Kommt mit.«

Wir folgten Dem Schmied in einen anderen Teil der Höhle, der aussah wie ein Lagerraum. Waffen und Schmuckstücke hingen an den Wänden. Zielsicher griff Der Schmied nach einer unscheinbaren Schatulle und öffnete sie vor unseren Augen. Da drin lagen eine Kette und ein Ring. Der Ring war silbern, filigran und hatte einen Stein eingelassen, der in allen möglichen Farben glitzerte. An der Kette hing ein Holzanhänger mit winzig kleinen Steinen am Rand.

»Der Ring wird euch in die Zwischenwelten geleiten, in denen ihr die Steine findet. Ihr könnt euch mit seiner Hilfe auch in Sicherheit bringen, um der Jagd zu entgehen, allerdings geht das nicht allzu oft und es verbraucht viel Energie, seid also gewarnt.«

Er reichte ihn mir und unter seinem auffordernden Blick steckte ich ihn mir an den Finger. Er passte perfekt. Natürlich. Alles andere hätte mich jetzt irgendwie überrascht.

»Mit dieser Kette könnt ihr mich rufen, wenn es soweit ist. Es ist die letzte ihrer Art und nach dem Gebrauch zerfällt sie zu Staub. Benutzt sie also nicht vorher!« Er sah uns beide lange an, während er die Kette in den Händen hielt.

Eresz deutete mit dem Kopf auf mich. »Nimm du sie. Vielleicht bist am Ende nur noch du übrig.«

»Und wenn ich sterbe?«

Er erwiderte meinen Blick nicht, als er leise antwortete: »Dann werde ich die Suche nicht fortsetzen.«

Ich starrte ihn an. Was hatte er gerade gesagt? Und warum? Es klang beinahe so, als … als ob ich ihm wichtig wäre. Wir verstanden uns schon deutlich besser als noch in Paris, aber ich glaubte kaum, dass ich ihm wirklich etwas bedeutete. Nur weil ich hier war, waren wir überhaupt auf der Suche nach irgendwas. Wenn ich nicht in sein Leben gefallen wäre, im wahrsten Sinne des Wortes, dann würde er jetzt irgendwo in Freiburg wohnen. Er würde es schaffen, die Engel abzuschütteln und ein friedliches Leben haben können.

»Ohne dich würde ich zwar vermutlich jämmerlich scheitern und sterben, aber … na gut«, murmelte ich, nahm die Kette und hängte sie mir um den Hals. Langsam fühlte ich mich wie ein wandelnder Schmuckladen.

»Wie benutzt man das Ding eigentlich?«, fragte ich.

Eresz schmunzelte, aber es erreichte seine Augen nicht. »Du musst auf den Stein im Ring drücken und die Kette bittest du um Hilfe.«

Ich blinzelte. Ja. Die Kette um Hilfe bitten. Da hätte ich auch selbst draufkommen können.

***

Wir blieben noch einige Tage in der sicheren Höhle Des Schmieds, damit Eresz wieder vollständig genesen und wir Kräfte sammeln konnten. Es war, wie schon in den Archiven, eine richtige Wohltat, einfach schlafen zu können, ohne dass einen ein Gewitter die ganze Nacht wachhielt. Ich hatte dem Frieden in der ersten Nacht nicht getraut, aber am Ende unseres Aufenthalts waren Eresz und ich so entspannt, dass wir uns vor dem Schlafengehen noch vor die Höhle setzten und in die Nacht hinaussahen. Alles hinter dem kleinen Außenbereich war wie durch einen Schleier verschwommen. Nicht richtig da, nur ein Trugbild. Und doch, wenn wir den Schleier durchschritten, würden wir in der richtigen Welt landen und die Hölle würde ausbrechen. Da war ich mir sicher.

Am letzten Morgen teilten wir Dem Schmied mit, dass wir aufbrechen würden. Wir hatten ihn kaum gesehen, er war meistens irgendwo in der Höhle beschäftigt, aber Essen und Trinken hatten immer für uns bereitgestanden. Wenn Der Schmied dann mal da war, redete er kaum. Seine wenigen Worte ließen jedoch immer auf sein tatsächliches Alter schließen.

Irgendwann war mir klar geworden, dass er des Lebens müde war. Er hatte sich von der Welt vor so langer Zeit zurückgezogen, hatte so viele Kriege und so viel Unrecht gesehen, ohne je in der Lage gewesen zu sein, etwas zu ändern. Ich fragte mich, ob das Zusammensetzen des Dolches seine letzte Tat werden würde, aber laut stellte ich diese Frage nicht. Das kam mir dann doch etwas unhöflich vor.

Der Schmied tat uns noch den letzten Gefallen und ließ uns in der Nähe von Kapstadt heraus. Die Blase, wie ich die Höhle nannte, konnte sich in einem bestimmten Umkreis frei bewegen. Ich verstand nicht wirklich, wie es funktionierte, aber irgendwie war diese Zwischenwelt nicht an einen Ort gebunden.

»Ich wünsche euch viel Glück, das werdet ihr brauchen«, sagte Der Schmied zum Abschied.

»Danke. Und danke für Ihre Hilfe«, erwiderte Eresz, der immer dieses ganze Verabschiedungszeugs übernahm.

Der Schmied neigte nur den Kopf und wir gingen durch den Schleier zurück in die wirkliche Welt. Wir waren in einer Seitenstraße in einem Vorort von Kapstadt rausgekommen und nahmen uns das nächste Taxi zu unserem Hotel zurück.

Wir gingen rasch auf unser Zimmer, wo ich als erstes unter die Dusche sprang. Eine richtige, heiße Dusche hatte ich in der Höhle nämlich schmerzlich vermisst. Dort blieb ich so lange, bis Eresz an die Tür klopfte und mich fragte, ob ich ausgerutscht und mir den Schädel eingeschlagen hätte oder vorhatte, den ganzen warmen Wasservorrat des Hotels aufzubrauchen. Da ich mich wirklich aufgeweicht genug fühlte, verließ ich die Dusche und kurz darauf das Bad.

»Das hat gutgetan«, seufzte ich.

»Ja, die sanitären Anlagen haben echt zu wünschen übriggelassen.« Er grinste mich an.

Ich setzte mich im Schneidersitz auf das Bett und kämmte mir die noch nassen Haare. »Also, jetzt mal Hand aufs Herz. Was hältst du von ihm?«

Wir hatten eher über unverfängliche Dinge gesprochen, um unserem Gastgeber nicht auf die Füße zu treten. Allerdings hatte ich so das Gefühl gehabt, als wäre es ihm völlig egal gewesen.

Eresz setzte sich neben mich und nahm mir wortlos die Bürste aus der Hand, als ich gerade dabei war, mir verzweifelt den Knoten einfach rauszureißen. Misstrauisch wartete ich ab, aber er bürstete meine Haare erstaunlich vorsichtig. Es war ein merkwürdiges Gefühl. So … fürsorglich. Ohne mein Zutun entspannte ich mich.

»Hab ich bei meiner Schwester oft gemacht, die hatte dasselbe Problem wie du«, erklärte er. »Tja. Der Schmied … Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass man über den überhaupt eine Meinung haben kann. Er war so …«

»Weit weg?«, schlug ich vor.

»Ja. Genau, das trifft es wohl ganz gut.«

»Er ist eben sehr alt. Er ist doch das Kind von einem Engel und einem Dämon der ersten Generation. Er hat mit Sicherheit viele schreckliche Dinge gesehen.«

»Davon kannst du ausgehen«, stimmte Eresz mir zu. »Wenn man mich jetzt fragen würde – ich könnte nicht mal sagen, ob er nett oder gemein ist. Gut oder böse.«

Ich nickte langsam, was ein schmerzhaftes, aber sehr selbstverschuldetes Ziepen zur Folge hatte. Eresz schnalzte missbilligend mit der Zunge.

»Ich glaube, er ist auch weder das eine noch das andere«, antwortete ich. »Ich meine, er hat so viel gesehen. Da verlieren Gut und Böse irgendwann ihre Bedeutung.«

Wir redeten nicht mehr viel darüber. Vielleicht, weil wir unsere Erfahrungen nicht so wirklich in Worte fassen konnten und sie fast wie ein Traum erschienen. Ich konnte mich kaum mehr an die Höhle erinnern und nach einigen Tagen war auch das Gesicht Des Schmieds aus meinem Gedächtnis verschwunden. Um ihn lag ein mächtigerer Zauber, als ich ihn je gesehen hatte und je sehen würde.

Wir hatten uns dafür entschieden, zuerst nach Brasilien zu fliegen und den schwarzen Turmalin zu besorgen. Dafür würden wir von Kapstadt nach Sao Paulo fliegen und von da aus ging es nach Santa Rosa in eine Mine. Dort würden wir dann vermutlich den Ring aktivieren und hoffen, dass wir an der richtigen Stelle waren. Allerdings waren die Beschreibungen, um die Steine zu finden, recht detailliert gewesen und die Santa Rosa-Mine war für ihre Turmaline bekannt.

Ein Vorteil gegenüber Kapstadt: In Brasilien war es sehr warm. Ja, die Sonne störte dabei natürlich etwas, aber aus diesem nasskalten Wetter rauszukommen, war auch nicht so schlimm. Eresz hatte sich vorsorglich mit einer Ration Sonnenbrillen eingedeckt.

Der Flug ging nachmittags und war genauso unspektakulär wie alle anderen Flüge auch. Wir konnten relativ schnell einen Platz in einem Flieger ergattern. Wenn man bereit war, einen gewissen Preis zu zahlen, war fast alles möglich.

Wir landeten um die Mittagszeit in Sao Paulo und mieteten uns am Flughafen direkt ein Auto. Wir würden die Fahrt nach Santa Rosa wohl noch schaffen – wenn auch knapp, aber die Sonne ging spät unter und Eresz war ein rücksichtsloser Fahrer.

Sobald wir das kühle Flughafengebäude verließen, schwappte die Hitze über uns wie eine Welle. Ich pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es war wirklich tierisch warm. Mittagszeit, fast 30 Grad, und wir kamen aus einem kühlen Gebäude. Wir sprangen also sofort ins Auto und stellten die Klimaanlage auf höchste Stufe.

»Willkommen in Brasilien«, murmelte Eresz.

Dann fuhren wir los.

Brasilien war bergiger als ich gedacht hatte – und vor allem grüner. Nachdem wir einmal aus dem Stadtgewusel aus Hochhäusern herausgekommen waren, veränderte sich die Landschaft bei jedem zurückgelegten Kilometer.

Bei den Engeln sah alles gleich aus, egal, wo man hinkam. Und vielleicht spürte ich einen Anflug von Scham, dass ich die Welt und die Menschen immer so verachtet hatte. Das meiste, was sie taten, fand ich immer noch dämlich und konnte ich nicht verstehen, aber was sie hier vollbracht hatten, ohne Hilfe einer Quelle oder so was, war beeindruckend. Sie hatten aus einer unwirtlichen Welt, die sie vermutlich gar nicht haben wollten, einen bewohnbaren Planeten gemacht. London, Paris, Kapstadt, Sao Paulo … alles riesige Städte und jede versprühte einen anderen Charme. Und die kleinen Städte, Portree, Aberdeen, sogar Lochmaddy, sie fühlten sich alle besonders an.

»Wo hast du eigentlich am liebsten gewohnt?«, fragte ich Eresz, aus diesem Gedanken heraus.

»Hm …«, machte er, während wir auf eine Autobahn bogen. »Schwierig. Aber ich bin in Deutschland aufgewachsen und kein Ort, an dem ich je wohnen werde, kann mit meinem Zuhause mithalten.« Er klang so überzeugt. Und so warm.

»Wo habt ihr denn gelebt?«

»In der Nähe von Koblenz, in einem mittelgroßen Dorf.« Er lachte. »Es lag direkt an einem Wald und wir hatten so ein altes Fachwerkhaus und meine Schwester und ich sind bei unserem Nachbarn immer reiten gegangen.«

»Du kannst reiten?« Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, was er nicht sehen konnte, aber er schnaubte über meinen überraschen Tonfall.

»Ja. Aber ich hab’s ewig nicht mehr gemacht. Meine Schwester geht, glaube ich, noch reiten.«

»Erzähl mir mehr. Über Heimat.«

Er warf mir nun doch einen flüchtigen Blick zu.

»Na ja, das Haus hatte zwei Stockwerke und unten war eine Küche mit einer Eckbank. Das Wohnzimmer war echt groß, mit Esstisch, aber wir haben halt meistens in der Küche gegessen. Oben waren unsere Schlafzimmer. Meine Schwester hatte eine Weile eine Rosaphase und sie hatte an den Wänden so eine komische Tapete und alles war flauschig und rosa.« Es schauderte ihn sichtlich und ich musste lachen. »Und überall standen Bücherregale. Meine Mutter liebt das Lesen, also blieb uns nichts anderes übrig, als das auch zu tun. Und wir hatten einen Garten, mit Schaukeln und so.«

»Klingt fast paradiesisch«, stellte ich lächelnd fest.

Es klang wirklich so und auf einmal wünschte ich mir, ich hätte auch so einen Ort, an den ich mit so viel Wärme zurückdenken konnte. Und zu dem ich hoffte zurückkehren zu können, denn dass Eresz das tat, war offensichtlich.

»Das war es. Wenn das alles vorbei ist, zeige ich es dir. Und wie war es bei dir?«

Die Frage hatte ich schon erwartet. So machten wir es immer: Ich stellte ihm eine neugierige Frage über sein Leben und er stellte die gleiche zurück. Aber so machte man das vermutlich, wenn man jemanden kennenlernte.

»Alle jungen Engel wachsen in einer Art Heim auf, wo Engel sind, die sich nur ganz speziell um die Kinder kümmern«, begann ich zögernd. »Das war ganz okay. Aber es ist nicht so, als hätte man da ein Zuhause. Man weiß ja, dass man es nach ein paar Jahren verlassen muss. Und man hat auch kein eigenes Zimmer. Es gibt einen Speisesaal und es ist alles weiß und aus Wolken. Es ist übrigens weniger gemütlich als es klingt.«

Ich hielt inne. Ein Teil von mir wollte ihm erzählen, was danach geschehen war. Ein anderer Teil von mir hätte die Ereignisse am liebsten für immer in der Vergangenheit begraben. Eresz ließ mir Zeit, meine Gedanken zu sortieren. Es war kein einfaches Thema für mich. Ich hasste es eigentlich, darüber nachzudenken, denn die Zeit hatte nicht sonderlich toll geendet.

»Am zehnten Geburtstag wird man eingeteilt und dann in die verschiedenen Siedlungen gepackt. Eigentlich wird man von einem Rat beurteilt und so weiter, aber du weißt ja, dass ich direkt in dieses dämliche Dorf geschickt wurde. Als wir dann alle wieder zurück in das Heim gegangen sind, für die letzte Nacht dort, bin ich aufgewacht, weil alle geschrien haben.« Das hatte ich Eresz noch nicht erzählt. Eigentlich hatte ich mit niemandem darüber geredet.

»Eigentlich stehen diese Heime sehr sicher, damit auch ja nichts passiert, weil also … Manchmal verschieben sich die Wolken. Das kommt nicht häufig vor, aber besonders am Rand tun sich manchmal Löcher auf. Das halbe Heim war eingestürzt, zwei der Kinder sind runtergefallen und ein paar der Erzieher. Also, auf die Erde.« Ich hielt inne und schloss einen Moment die Augen.

Ich sah es genau vor mir. Alles war in das weiche Zwielicht der Nacht gehüllt gewesen. Ich hatte sowieso unruhig geschlafen und war von dem Schreien wach geworden. Mit einem Satz war ich aus dem Bett gesprungen und aus dem Zimmer gestürmt. Vor mir hatte sich das Loch aufgetan. Dort hineinzusehen hatte mich schwindeln lassen, denn es war so tief. Und an der Kante hing eines der anderen Kinder.

Ich war starr vor Schreck gewesen, alles hatte sich gedreht. Ich wusste immer noch, wie Schockwellen durch meinen Körper geschossen waren. Wir hatten uns angestarrt, und als ich endlich die Starre abschütteln konnte, hatte sich das andere Kind nicht mehr halten können und war runtergefallen. Ich hatte ihm nicht geholfen.

»Ich frage mich, ob sie auch von der Jagd getötet wurden. Und mittlerweile frage ich mich, ob das nicht meine Schuld war. Ob ich die Wolkendecke zerstört habe. Ich war so wütend, wegen der Einteilung und weil alle darüber gelogen hatten, und habe mir gewünscht, dass alle es mitkriegen. Und wenn ich das gewesen bin, durch … irgendwelche komischen Kräfte oder keine Ahnung, ich weiß nicht wie, aber es kann ja sein«, ich fand kaum die richtigen Worte, »dann hätte ich dafür gesorgt, dass alle diese Engel sterben. Auch die Kinder.«

Mein Herz schlug schnell in meiner Brust, das Blut rauschte durch meinen ganzen Körper. Ich fühlte die gleiche hilflose Angst wie damals. Und den Abscheu auf mich selbst, den ich immer versuchte in mir zu vergraben. Wahrscheinlich geschah es mir ganz recht, jetzt von der Jagd verfolgt zu werden. Es war alles meine Schuld gewesen.

»Maggie, durchatmen. Vielleicht hattest du was damit zu tun. Vielleicht aber auch nicht. Du wirst es vielleicht nie erfahren und selbst wenn. Es ist nicht deine Schuld, wenn du als Kind im Schlaf die Kontrolle über deine Kräfte verlierst. Du hättest es nicht besser gewusst. Die Engel haben dir nie gesagt, was für Kräfte in dir schlummern, also tragen sie die Verantwortung dafür, dir den Umgang nie beigebracht zu haben.« Er umschloss meine Hand und drückte sie. »Hast du seitdem noch mal etwas getan oder geglaubt getan zu haben, was du dir nicht erklären kannst?«, fragte er unvermittelt.

Ich war ganz froh, dass er mich nicht weiter über diesen Vorfall ausfragte.

»Nicht, dass ich wüsste. Was doch seltsam ist, oder?

Eresz zuckte mit den Schultern. »Diese Kräfte funktionieren nicht nach irgendwelchen logischen Prinzipen. Es kann durchaus Jahre dauern, bis sich die Gene zeigen. Und wahrscheinlich hat die Nähe zur Quelle deine Dämonenkräfte überdeckt.«

»Vielleicht habe ich ja auch keine besonderen Fähigkeiten«, murmelte ich.

»Na ja. Du hast auf jeden Fall einem Engel einen Dolch ins Gehirn gerammt.«

»Wie meinst du das? Es war nicht schwer.«

Bei der Erinnerung verzog ich das Gesicht. Nicht, weil sie mich noch erschreckte, sondern weil … sie war so fern. Und es klang so brutal, aber mittlerweile war mir klar, dass es etwas gewesen war, was ich hatte tun müssen. Der Engel hätte mich ebenfalls getötet und es wäre vermutlich schmerzvoller gewesen.

»Für uns nicht. Aber ein Mensch könnte das nicht. Die Haut und die Knochen … an Dämonen und Engeln ist alles härter und widerstandsfähiger«, erklärte Eresz geduldig.

»Ich habe viel zu wenig Ahnung von dem ganzen Kram.«

Eresz grinste. Was ich sehr genau mitbekam, weil ich ihn fast die ganze Zeit beobachtete.

»Dafür bin ich ja da. Du wirst das schon hinkriegen. Scheinst ja auch ein Naturtalent im Messerwerfen zu sein.«

»Das war ein Versehen und pures Glück!«, stellte ich mit Nachdruck klar, aber er lachte mich nur aus.

»Davon könnten wir noch eine ganze Menge mehr brauchen, Süße.«

»Wie hast du mich gerade genannt?«

2. Kapitel

Eresz

Der Rest der Fahrt verlief ähnlich. Entweder unterhielten wir uns über irgendwelche Dinge aus unserem Leben oder über Bücher, wir ärgerten uns oder aßen. Wir waren recht gut durchgekommen, trotzdem war es mir zu gefährlich, noch an diesem Tag zur Mine rauszufahren und den Ring zu benutzen.

Wir mieteten uns in einem Hostel ein, etwas weniger elegant und teuer. Hier war schließlich Hochsaison und wir konnten froh sein, überhaupt etwas zu finden. Das Zimmer war okay und es gab die Möglichkeit, im gleichen Gebäude zu Abend zu essen, sodass wir nicht mehr rausmussten. Was gut war, denn auch, wenn es sein konnte, dass wir die Jagd abgeschüttelt hatten … Nein. Eigentlich glaubte ich das nicht. Ich glaubte viel eher, dass sie mittlerweile alle Ressourcen einsetzten, die sie hatten, um uns zu finden. Keine sonderlich ermutigende Vorstellung, aber die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass überall Spione nach uns Ausschau hielten und genau berichteten, wo wir wann hinflogen.

Der kurze Weg vom Auto zum Hotel bereitete uns schon einen halben Hitzschlag. Im Zimmer war es aber einigermaßen kühl, was der laut brummenden Klimaanlage zu verdanken war, der Maggie einen finsteren Blick zuwarf.

»Die ist ja vielleicht so laut, dass sie das Gewitter übertönt«, schlug ich vor.

»Das bezweifle ich.« Sie seufzte und ging ins Bad.

Als das Wasser rauschte, setzte ich mich aufs Bett. Das Zimmer war relativ klein, kein Vergleich zu der Luxus-Suite in Afrika oder London, aber wir würden auch nur für ein oder zwei Nächte bleiben, wenn alles gut ging. Je kürzer wir an einem Ort blieben, desto besser.

Ich zog das kleine Notebook aus meinem Rucksack und sah mir schon einmal die Flugverbindungen von Rio an, wo wir morgen mit der Fähre hinfahren würden. Die Reiseroute stand mittlerweile mehr oder weniger fest. Wir würden von Brasilien nach Australien weiterfliegen. Die Verbindung war bescheiden und der Flug dauerte ewig lange.

Langsam kriegte ich einen Flugkoller und dass mittlerweile auch ständig Zeitverschiebungen hinzukamen, machte die Sache nicht besser. In dem Moment kam Maggie aus der Dusche. Nur im Handtuch und mit einem frustrierten Gesichtsausdruck.

»Ich habe meine Sachen nicht mitgenommen«, erklärte sie und deutete auf ihren Koffer.

Ich konnte sie nur ansehen. Ein paar Strähnen blonden Haares waren aus dem Handtuch gefallen, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, und ließen Wassertropfen an ihrer bleichen Haut hinabsickern. Ein zweites Handtuch hatte sie sich um den Körper gewickelt, aber es entblößte ihre Schultern und den größten Teil ihrer Beine. Auf dem Weg zu ihrem Koffer hatte sie mein Starren bemerkt, denn nun erwiderte sie meinen Blick. Ich räusperte mich und wandte rasch den Blick ab, auch wenn es mich einiges an Überwindung kostete.

»Ich geh dann eben ins Bad, dann kannst du dich … fertig machen«, murmelte ich – meine Sachen vergaß ich dieses Mal nicht.

»Danke«, antwortete sie.

Auch als ich unter der Dusche stand, ließ mich ihr Anblick nicht los. Natürlich war mir nicht gerade erst aufgefallen, wie hübsch sie war, aber mit jedem Tag, den wir miteinander verbrachten, mochte ich sie mehr. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, war es aber eben eine Tatsache. Da konnte ich mich beschweren, wie ich wollte. Stöhnend legte ich meine Stirn gegen die Fliesen der Dusche, während lauwarmes Wasser meinen Rücken hinunterlief.

Es war nicht schwer, Maggie gern zu haben. Sie war zwar manchmal zickig und hatte meistens einen bösen Spruch auf den Lippen, aber es war doch genau das. Sie verstellte sich nicht, sie war nicht ständig kontrolliert.

Immer wenn ich an sie dachte, sah ich normalerweise Johannas Gesicht vor mir und ein Stich von Schuld durchzuckte mich. An diesem Abend sah ich auch ihr Gesicht. Aber sie lächelte und die Schuld war zwar nicht weg, aber kleiner.

***

Am nächsten Morgen waren wir fast die ersten im Speisesaal, was jeder mir bekannten Philosophie widersprach, und ich achtete sorgfältig darauf, den Blicken der anderen Gäste zu entgehen. Wir hielten das Frühstück kurz und packten uns noch Proviant in Form von Pão de quejio, brasilianische Käsebällchen, ein. Das ging hier ziemlich einfach, weil das Hotel hauptsächlich von Leuten benutzt wurde, die sich das Land ansehen wollten und dementsprechend die meiste Zeit des Tages weg waren und sich nicht immer was kaufen wollten.

Draußen war es noch angenehm warm. Nur weil ich Sonne nicht mochte, hieß das nicht, dass ich einen Erfrierungstod toll fand. Maggie schob sich gerade die Sonnenbrille auf die Nase, was ich schon in der Lobby getan hatte, und warf sich die Haare über die Schulter. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und seufzte wohlig.

»Jetzt, da die Sonne nicht mehr so kribbelt, weiß ich die Wärme wirklich zu schätzen«, erklärte sie.

»Schön für dich.«

Ich verzog das Gesicht und blinzelte. Trotz meiner extrem dunklen Sonnenbrille brannten meine Augen. Normalerweise gab sich das nach einer Stunde, aber es gab einen Grund, warum ich mich in Ländern mit gemäßigtem Klima und viel Niederschlag niederließ. Die waren einfach angenehmer. Und ab und zu hatte man Sonne, um nicht zu depressiv zu werden. Allerdings war Maggies gelöste Laune ansteckend. So war sie ja in den letzten Tagen selten gewesen.

Die Fahrt raus zur Mine dauerte nicht lange und wir wollten ja auch nicht bis direkt dahinfahren. In die Nähe würde aber wohl nicht schaden.

Der Schmied hatte uns noch einige wertvolle Hinweise geliefert, bis zu welchem Radius wir ungefähr fahren mussten, um in der richtigen Zwischenwelt zu landen. Er hatte erklärt, dass die ganze Welt von Zwischenwelten bedeckt war. Sie waren wie ein Schleier, der sich um »unsere« Welt legte, ein verlassenes Land, aufgeteilt, zersplittert. Beinahe gruselig.