Die Jahresprinzessin 1: Blüte der Ewigkeit - Leni Wambach - E-Book
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Leni Wambach

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Beschreibung

**Entdecke ein magisches Land der Unsterblichkeit** In Avalun steht die Zeit für immer still. Doch nicht für Marlowe, die als eine der wenigen Menschen in dieser verzauberten Welt lebt. Im Gegensatz zu den Ewigen wird sie älter und fühlt sich zwischen all den perfekten Wesen oft fehl am Platz. Das ändert sich erst, als die Königin ausgerechnet sie zur Jahresprinzessin wählt. Als diese muss Marlowe dem Land ein Jahr ihres Lebens opfern, um den Fluss der Zeit zu verhindern, und wird im Gegenzug Teil der königlichen Familie. Was zunächst wie ein Segen erscheint, wird bald zu einer schweren Last. Erst die gefährlich attraktive Kriegerin Charis zeigt ihr einen Ausweg aus den dunklen Intrigen der Ewigen und bringt etwas in ihr zum Klingen, das sie so noch nie gefühlt hat … Tauch ab in eine magische Fantasywelt! Leni Wambach hat wieder einmal gezaubert: ein Land, in dem die Zeit keine Grenzen kennt. Eine Königin, die für die Unsterblichkeit jeden Preis bezahlt. Und ein Mädchen, das auf magische Weise mit der Ewigkeit verbunden ist. //Dies ist der erste Band der magisch-gefühlvollen Buchserie »Die Jahresprinzessin«. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte: -- Band 1: Die Jahresprinzessin. Blüte der Ewigkeit -- Band 2: Die Jahresprinzessin. Klinge der Zeit -- Sammelband zur märchenhaften Fantasy-Serie »Die Jahresprinzessin«//

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Die Jahresprinzessin 1: Blüte der Ewigkeit

**Entdecke ein magisches Land der Unsterblichkeit** In Avalun steht die Zeit für immer still. Doch nicht für Marlowe, die als eine der wenigen Menschen in dieser verzauberten Welt lebt. Im Gegensatz zu den Ewigen wird sie älter und fühlt sich zwischen all den perfekten Wesen oft fehl am Platz. Das ändert sich erst, als die Königin ausgerechnet sie zur Jahresprinzessin wählt. Als diese muss Marlowe dem Land ein Jahr ihres Lebens opfern, um den Fluss der Zeit zu verhindern, und wird im Gegenzug Teil der königlichen Familie. Was zunächst wie ein Segen erscheint, wird bald zu einer schweren Last. Erst die gefährlich attraktive Kriegerin Charis zeigt ihr einen Ausweg aus den dunklen Intrigen der Ewigen und bringt etwas in ihr zum Klingen, das sie so noch nie gefühlt hat …

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© Jey Jones

Leni Wambach wurde 1997 geboren und lebt noch in ihrem Geburtsort Essen. Derzeit studiert sie Anglistik und Linguistik und belegt Sprachkurse in Italienisch, um eines Tages in ihrer Herzensheimat Italien wohnen zu können. Sie schreibt, seit sie denken kann, und taucht am liebsten in fantastische Welten ein – sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Wenn sie keines von beidem tut, macht sie Musik oder ist auf einem Pferderücken zu finden.

Für Kathi,

die es als Erste wusste.

Für Konny,

der nicht mit der Wimper gezuckt hat.

1. Kapitel – Die Königin

Ich schaute mein Spiegelbild so angestrengt an, dass ich fest damit rechnete, es würde gleich wegsehen. Angestarrt zu werden konnte ich nämlich nicht ausstehen und ich hatte die Angewohnheit, in solchen Momenten überall hinzusehen – nur nicht in das Gesicht meines Gegenübers. Allerdings schien auf mein Abbild nicht sonderlich gut Verlass zu sein, denn es erwiderte meinen finsterer werdenden Blick so intensiv, dass schließlich ich mich abrupt umdrehte. Verdammt. In meiner Lieblingsgeschichte schaffte es die Heldin, ihr Spiegelbild durch bloße Willensstärke dazu zu bringen, ihr den Rücken zuzudrehen. Denn zwischen ihren Schulterblättern steckte ein Pfeil und sie musste sehen, was sie tat, damit sie ihn herausziehen konnte. Mir persönlich hätte ja auch schon ein Zwinkern meines Spiegelbilds gereicht. Was natürlich albern war, aber seitdem ich diese Geschichte das erste Mal gehört hatte, versuchte ich jeden Morgen meinem Spiegelbild meinen Willen aufzuzwingen.

»Marlowe, dein Frühstück!«, drang die Stimme meiner Ziehmutter Anrile in mein Zimmer und ich zuckte schuldbewusst unter ihrem ungeduldigen Ton zusammen.

Meistens ließ sie mich machen, was ich wollte, aber Unpünktlichkeit konnte sie nicht ausstehen.

»Ich komme«, rief ich zurück und verließ rasch mein Zimmer. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend flog ich die hölzerne Treppe hinunter. Anrile konnte es nicht leiden, wenn ich das tat, da die Treppe kunstvoll gewunden und das Holz sehr glatt war, sodass ich manchmal gerne auf den Stufen ausrutschte und einige hinunterschlitterte. Vor allem am Anfang war mir das häufiger passiert, als ich noch nicht daran gewöhnt gewesen war, dass unser Haus nicht gebaut worden war, sondern gewachsen. Es war in einer längst vergangenen Zeit errichtet worden, noch vor der Ewigkeit. Eins der älteren Völker Avaluns hatte die Gabe besessen, Bäume in alle möglichen Formen wachsen zu lassen. Deswegen bestanden Häuser aus dieser fernen Vergangenheit aus einem einzigen Stück Holz. Nirgendwo gab es Nägel, einzelne Holzlatten oder Verbindungsstücke. Was dafür sorgte, dass man keine Ecken vorfand und alles leicht abgerundet wirkte, aber auch von einem herrlich holzigen Geruch erfüllt war, der mich immer zum Lächeln brachte. Als ich vor neun Jahren ins Sommerland gekommen war, als ich diese Art von Haus das erste Mal gesehen hatte, war ich aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen.

Schwungvoll nahm ich die letzte Stufe und stolperte mehr oder weniger elegant in die Küche. »Entschuldige«, murmelte ich zerknirscht und Anrile, die in angespannter Haltung neben der Küchenzeile stand und an ihren goldblonden Haaren herumzupfte, warf mir einen ungnädigen Blick zu. Dann musterte sie mich und ihre Miene glättete sich. Der Ausdruck ihrer sommerhimmelblauen Augen wurde wieder ruhig. Typisch Ewige, es fiel ihnen häufig so viel leichter als mir, ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren.

»Du trägst das neue Kleid«, stellte sie wohlwollend fest und ich lächelte etwas gequält.

Ihr zuliebe drehte ich mich einmal um mich selbst, um ihr den Schwung des grünen Rockes zu zeigen.

»Es steht dir ausgezeichnet«, erklärte sie zufrieden. »Die Farbe betont das Grün in deinen Augen.«

Ich gab einen zustimmenden Laut von mir und setzte mich vorsichtig auf meinen angestammten Stuhl. Immerhin die vier Stühle mit den unerträglich geraden Lehnen und der Tisch waren aus ganz normalem Holz gefertigt.

Meine Ziehmutter stellte einen Teller mit Honigbrot und eine Tasse Tee vor mich auf den Tisch, machte aber keine Anstalten, ebenfalls zu frühstücken – oder sich zumindest zu setzen.

Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete ich, wie sie nervös von einer Seite der Küche zur anderen ging, geräuschvoll Schränke öffnete und schloss, in Schubladen hineinsah oder an ihrer Schürze nestelte.

»Was ist denn los?«, fragte ich und trank einen Schluck Tee, der mir fast die Zunge verbrannte.

Anrile warf mir einen empörten Blick zu, ehe sie ihr Spiegelbild kritisch in einem Kochtopf überprüfte.

»Die Königin kommt heute!«

Ja. Danke. Das wusste ich auch. War ja nicht so, als würde seit Tagen über irgendetwas anderes mehr gesprochen werden. Natürlich war ich auch neugierig, aber was würde schon groß passieren? Aufgereiht wie Soldaten würden wir am Straßenrand stehen und mit Blütenblättern werfen, die in den Händen der Ewigen zu glitzerndem Staub zerfielen. Mehr als einen Blick würden wir nicht auf die Königin erhaschen können, ehe sie im Rathaus zum Bankett verschwand. Für den normalen Teil der Bevölkerung würde es also ein Ereignis von wenigen Minuten sein.

Als ich meine halbleere Tasse wieder abstellte, sah Anrile mich an. Sie stand still wie eine Eiche mitten im Raum und betrachtete mich. Nicht abschätzend, nicht abwägend, nicht strafend, nicht zufrieden. Sondern so wie jemand, der versuchte sich jedes Detail zu merken.

Wie gesagt, das konnte ich nicht leiden und ich starrte schnell auf mein unberührtes Brot. Der Honig war tiefgelb und roch köstlich, aber irgendwie war mir der Appetit vergangen.

Kühle Finger legten sich unter mein Kinn und hoben es an.

»Marlowe, tu mir den Gefallen«, sagte meine Ziehmutter leise und in ihren großen blauen Augen stand etwas Verletzliches, das sie einen Moment jünger wirken ließ, als sie eigentlich war. Deswegen hielt ich ihrem Blick stand, erlaubte, dass sie mein Gesicht mit dem Blick abtastete und tief in mich hineinsah. Für die Ewigen waren die Augen der Menschen nämlich wirklich die Türen zu deren Seele und für mich fühlte es sich immer so an, als würde alles, was mich ausmachte, nackt und bloß vor ihnen liegen.

»Was ist los, Mama?«, fragte ich erneut, dieses Mal ernster.

Sie wandte den Blick von meinen Augen ab und strich mir, bei der Nennung des Kosenamens, sanft über die Wange. Ich nannte sie selten so, dabei war sie meine Mutter, an meine Leibliche in der Menschenwelt hatte ich keine Erinnerung mehr. Nur ein dumpfes Gefühl von Unwohlsein.

»Du weißt, dass ich dich so sehr liebe, wie ich kann, nicht wahr?«

Von der Frage etwas überrumpelt senkte ich den Blick. Ich wusste, wie schwer ihr solche Zuneigungsbekundungen fielen. Sie war eigentlich nicht dafür gemacht, Mutter zu sein. Aber sie hatte sich wirklich gut angestellt und immer versucht die gewisse Distanz zwischen uns mit Aufmerksamkeit und Geschenken zu überbrücken.

»Ja«, antwortete ich schließlich, denn ich hatte mir meiner Worte erst sicher sein wollen. Ich nahm ihre Hand in meine und drückte sie kurz. »Du wirst mir nicht sagen, was los ist, oder?«

Als ich aufsah, stand sie schon wieder an einem der Schränke und hatte damit begonnen, das Geschirr neu zu ordnen. Sie warf mir über ihre Schulter einen freundlichen, aber unnachgiebigen Blick zu, dann lächelte sie und schüttelte den Kopf.

Seufzend wandte ich mich meinem Frühstück zu. Wenn das jetzt den ganzen Tag so weiterging, sollte ich mich besser stärken.

***

Um die Mittagszeit herum gingen wir langsam, mit dem Rest unseres Weilers, Richtung zentralem Dorfplatz, um den herum die kleinen Siedlungen angeordnet waren. Die Sonne schien von einem etwas milchigen Himmel und legte sich angenehm warm auf meine Haut. Der schwere Duft der Blumen auf den Wiesen am Wegesrand hing in der Luft.

Es hätte ein normaler Tag sein können. Wenn nicht die Ewigen so anders gewesen wären. Heute unterschieden sie sich kaum von den Menschen in meinen vagen Erinnerungen. Die Gesichter der Ewigen waren häufig starr, ihre Mienen veränderten sich selten und wirkten häufig so, als wären sie nicht ganz am selben Ort wie ich. Nur wenn sie sehr aufgewühlt waren, löste sich diese Starre auf. Dann gab es jedoch in der Regel kein Halten mehr, als wäre ein Damm gebrochen und die Gefühle, die sie sonst immer unterdrückten, überschwemmten mich in solchen Momenten gerne. Und wenn man sie länger betrachtete, fiel einem die beinahe unnatürliche Ruhe auf, mit der sie sich bewegen konnten – oder mit der sie sich eher nicht bewegten. Heute jedoch plapperten sie aufgeregt miteinander, niemand gab sich irgendwelche Mühe, kontrolliert und ruhig zu erscheinen, und ich sah sogar einige von ihnen rennen! Sie rannten! Normalerweise war das im Sommerland verpönt. Das lag vor allem daran, dass sie Zeit hatten. Unendlich viel Zeit. Wie soll man auch in einem Land, in dem die Zeit mehr oder weniger stehengeblieben ist, von deren Bewohnern erwarten, es nicht zu tun? Die Einzigen, sehr wenigen, die hier älter wurden, waren Menschen wie ich. Wechselbälger, aus der Welt der Menschen gerettet. Mit acht Jahren war ich damals schon recht alt gewesen, aber ich wusste, dass ich mich glücklich schätzen konnte, dass es überhaupt passiert war. Das Sommerland war ein Paradies und alles andere konnte, nein, musste unweigerlich eine Strafe sein.

Als wollten die Ewigen mich in dieser Annahme bestärken, riss mich das ausgelassene Kichern unserer Nachbarn aus meinen Gedanken. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Ein viel zu schöner Tag, um ihn mit Gedanken an die Welt der Menschen zu verschwenden. Viel lieber wollte ich das besondere heutige Ereignis genießen, gemeinsam mit den Ewigen, die ich schon fast mein ganzes Leben lang kannte. Bis auf eine Person. Sie ging schräg vor mir und hatte die Hände in zwei fast unsichtbaren Taschen ihres dunkelroten Kleides vergraben. Nachdem ich Anrile jahrelang bei Schneiderarbeiten geholfen hatte, erkannte ich sofort, dass ihr Kleid nicht in dieser Gegend gefertigt worden war. Ich konnte nicht anders, als sie um die satte Farbe des Stoffes zu bewundern, der ihre Figur umschmeichelte. Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte. Ich hatte sie noch nicht ganz erreicht, da bemerkte sie mich und drehte sich zu mir um, ohne langsamer zu werden.

Mir stockte der Atem, als sich ihr intensiver Blick in meinen bohrte und ich musste mich zwingen nicht zurückzufallen. Nun betrachtete ich auch eindringlich ihr restliches Erscheinungsbild, wie ich es sonst bei Ewigen nicht tat, aus Angst, sie könnten ebenso intensiv zurückschauen. Tiefe Ringe lagen unter ihren Augen und sie war ungesund bleich. Ihr Gesicht wirkte wild und fremd. Mehr wie das eines Menschen als die glatte Maske der Ewigen.

»Du bist nicht von hier, oder?«, rutschte es mir heraus und komischerweise fiel es mir schwer, ihr nicht immer wieder in die Augen zu sehen.

Sie stieß einen Laut aus, den ich nicht ganz einordnen konnte. »Nicht ganz. Aber ich wollte mir den Auftritt der Königin nicht entgehen lassen.«

Auch ihre Stimme war nicht so weich und ruhig wie die der Ewigen. Sie hatte eine raue Qualität, die mir einen Schauder über den Rücken jagte, und einen spöttischen Ton, der wie ein dunkler Fleck den Tag verdüsterte.

»Ja. Das geht wohl den meisten hier so.« Sogar in meinen Ohren klangen die Worte lahm und ich wünschte, mir würde irgendetwas Kluges oder Witziges einfallen. Aber mein Kopf war wie leergefegt.

»Dann wünsche ich dir viel Spaß«, sagte die Fremde.

Ich wollte sie fragen, was sie damit meinte. Aber keine Spur war mehr von ihr oder ihrem dunkelroten Kleid zu sehen. Verwirrt drehte ich mich einmal um mich selbst. Nichts. War es etwa so weit und ich litt unter Wahnvorstellungen?

Bevor ich mir darüber weiter den Kopf zerbrechen konnte, wurde ich von zwei der vielen Ewigen angerempelt, die die Straße entlangeilten. Sie plapperten aufgeregt miteinander und gestikulierten so wild, dass ich schmunzeln musste. Es passte einfach nicht zu den Ewigen. Schnell schloss ich wieder zu Anrile auf, die mich mittlerweile überholt hatte, und verbannte die Fremde aus meinen Gedanken. Egal wie faszinierend ich sie gefunden hatte … und wie intensiv ihr Blick immer noch auf mir zu liegen schien. Abwesend folgte ich Anrile bis zu den Türen des Rathauses. Einer unserer Nachbarn hatte uns hier zwei Plätze freigehalten und ich fand mich einen halben Schritt vor Anrile stehend wieder.

Das ferne Geräusch von Flötenspiel lenkte mich endgültig von der Fremden ab und ich reckte mich ein bisschen, um die Straße entlangzusehen. Durch unsere guten Plätze würden wir zwar vielleicht die Chance haben, ein paar Worte mit der Königin zu wechseln – andererseits würden wir aber auch am längsten warten müssen.

Nach etwa einer halben Stunde kamen die Wachen, wobei ich mich allerdings fragte, wozu sie nötig waren. Das Sommerland war nahezu perfekt, ich hatte noch nie mitbekommen, dass ein Verbrechen begangen worden war. Aber gut, vielleicht war das in der Hauptstadt anders.

Dann folgte ein Teil des Hofstaates, darunter auch einige Flöten spielende Ewige, die wir schon von Weitem gehört hatten. Anrile stieß leise den Atem aus. Wahrscheinlich bewunderte sie die feinen Kleider der fremden Ewigen, neben denen ich mir vorkam wie in Lumpen gekleidet. Die Gewänder der Frauen waren so pompös, sahen so schwer aus, dass ich mich fragte, wie sie überhaupt laufen konnten. Die Kleidung der Männer war reich mit Edelsteinen geschmückt, ihre Hosen aus feinstem Leder und die Hemden aus Spinnenseide.

Noch mehr Wachen kamen, mittlerweile war der Dorfplatz gut gefüllt und die Neuankömmlinge versperrten einigen Bewohnern den Blick, was diese murrend zur Kenntnis nahmen.

Plötzlich ging ein Seufzen durch die versammelte Menge und ich hielt den Atem an, als die Königin auftauchte. Zwei Wachen liefen vor und zwei hinter ihr, in prächtigen, glänzenden Rüstungen. Zwei Dienerinnen trugen ihre lange Schleppe, die genauso goldfarben war wie das Kleid selbst. Außerdem war es über und über mit funkelnden Diamanten besetzt. Dazu trug die Königin noch eine Krone auf ihren dunklen Haaren. Allein wegen des Werts ihrer Aufmachung lohnten sich die Wachen vermutlich.

Bei diesem unpassenden Gedanken zuckte ich ein wenig zusammen und spürte plötzlich die Hand meiner Ziehmutter auf der Schulter. Ihre Finger gruben sich in meine Haut und ich richtete mich hastig auf.

Die Königin stand mittlerweile in der Mitte des Dorfplatzes, ein herzliches Lächeln auf den rot geschminkten Lippen. Sie breitete die Arme in einer willkommen heißenden Geste aus, obwohl ja eigentlich wir ihre Gastgeber waren.

»Es erfüllt mein Herz mit großer Freude, in die Gesichter so vieler Untertanen … nein, Freunde zu sehen. So möchte ich euch nennen: meine Freunde. Ihr dient dem Königreich stets voller Eifer und mit Stolz, den ich in euren Gesichtern sehe. Und dies wiederum macht mich stolz. Stolz darauf, eure Königin sein zu dürfen. Heute soll gefeiert werden, getrunken und gegessen. Musik soll überall ertönen, ihr sollt tanzen und ausgelassen sein. Seht dies als ein viel zu geringes Zeichen meiner Dankbarkeit«, fügte sie hinzu und neigte beinahe demütig den Kopf.

Wie alle anderen hing ich gebannt an ihren Lippen. Irgendetwas lag in ihrer Stimme, das sich tief in mein Herz brannte. Sie war voll und umfassend, aber dabei weich und zart. Sie war wirklich die geborene Königin und als sie langsam auf das Rathaus zuschritt, unter dem Jubel des Weilers, sank ich ganz von allein in den anmutigen Knicks, der mir sonst immer so schwerfiel.

»Meine Königin«, flüsterte ich zusammen mit den Umstehenden.

Sie war nun direkt vor mir, ich hätte den goldenen Stoff ihres Kleides berühren können. Gleich wäre sie an mir vorbeigegangen und im Rathaus verschwunden und vielleicht würde ich dann auch das Gefühl haben, der Tag wäre ein wenig dunkler. Wie es in den Geschichten immer ist, wenn man etwas wirklich Beeindruckendes gesehen hat.

Nichts passierte.

Wie gesagt, streng genommen blieb die Zeit im Sommerland nicht wirklich stehen. Mond und Sonne gingen auf, wie in der Welt der Menschen. Aber es veränderte sich nichts. Ein ewiger Sommer, ein ewiges Blühen und Leben.

In diesem Moment hatte ich jedoch das Gefühl, als würde die Zeit wahrhaftig stehenbleiben. Langsam, wie unter Zwang, hob ich den Kopf und sah der Königin geradewegs in die Augen. Sie waren überraschend hell, hatten fast die Farbe von Honig.

Sie lächelte.

»Du bist Marlowe, nicht wahr?«, fragte sie und ich schnappte leise nach Luft.

Aus der Nähe war ihre Stimme noch einnehmender – und dass sie nur mit mir sprach, machte sie noch beeindruckender.

»Ja, meine Königin«, brachte ich trotzdem hervor und wagte es nicht, mich nach Anrile umzusehen. Ich spürte ihren Blick, der sich in meinen Rücken bohrte, was dazu führte, dass ich endgültig nervös wurde. Hatte ich etwas angestellt? Hoffentlich sagte ich nichts Dummes!

»Hab keine Angst«, sagte die Königin und ihr Lächeln vertiefte sich, während ihr Blick forschend über mein Gesicht wanderte. Es kam nicht infrage, wegzusehen. »Ich bin nicht hier, um dich zu bestrafen. Im Gegenteil.«

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie ihre Hände hob, während ich weiterhin von ihrem Blick gebannt wurde. Ihre kühlen Finger umfassten mein rechtes Handgelenk und dort, wo ihre Haut meine berührte, breitete sich erst ein schmerzhaftes Ziehen, dann ein warmes Pochen aus, das meinen Arm entlangkroch.

So schnell, wie es geschehen war, verschwanden das Gefühl und ihre Hände wieder.

Erst jetzt bemerkte ich, dass sich tiefe Stille über den Dorfplatz gelegt hatte und in diesem Moment beendete die Königin den Blickkontakt, um sich noch einmal zu den versammelten Ewigen umzudrehen.

»Ich habe meine Wahl getroffen. Marlowe, Mensch des Sommerlandes seit neun Jahren und Ziehtochter einer Ewigen, ist die Jahresprinzessin.«

Stille.

Jubel, der so laut war, dass ich heftig zusammenzuckte und mir erschrocken die Hände auf die Ohren presste, brach los. Bei dieser Geste rutschten meine weiten Ärmel nach unten und langsam nahm ich die Hände von den Ohren, um mir den rechten Arm vor mein Gesicht zu halten. Mit offenem Mund starrte ich meine eigene Haut an. Sie war nicht mehr unversehrt, so wie sie es vor wenigen Minuten noch gewesen war. Stattdessen zogen sich Abbilder feiner Äste, die auf meinem Handrücken begannen, meinen Arm entlang. Geschlossene Knospen hingen zwischen sattgrünen Blättern an den Verästelungen.

»Ich bin sicher, dass deine Ziehmutter dir alles erklären wird«, riss mich die Königin aus meinem Starren und mein Blick schoss wieder zu ihr zurück.

Sie schenkte mir noch ein Lächeln, neigte den Kopf zum Abschied und stieg die Treppenstufen zum Rathaus hinauf.

Immer noch mit leicht geöffnetem Mund und dem Gefühl zu träumen starrte ich ihr hinterher. Der Jubel war mittlerweile etwas leiser geworden, dafür war er nun durchsetzt mit lautem Reden, Lachen und dem einen oder anderen Freudenschluchzer.

Sehr langsam drehte ich mich zu Anrile um, die hinter mir stand und eine Hand vor ihren Mund hielt. Ihre Augen waren geweitet und sie schüttelte sachte den Kopf, als würde sie aus einem Traum erwachen. Dann ließ sie die Hand sinken und zog mich in eine feste Umarmung.

»Oh, Marlowe, das ist so eine große Ehre«, flüsterte sie mir ins Ohr und an ihrem erstickten Tonfall bemerkte ich, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen.

Ewige und Emotionen waren immer eine schwierige Kombination. Sie konnten schneller von zu Tode betrübt zu himmelhochjauchzend wechseln, als man blinzeln konnte, wenn sie einmal ihre Starre überwanden. Obwohl sie so langlebig waren, waren sie in diesem Bereich sprunghaft.

Sanft befreite ich mich aus der Umklammerung und machte einen Schritt nach hinten. Ein kleiner Sicherheitsabstand, sonst würde ich mir die Tränen nachher aus den Haaren wringen können. Schon lösten sich die ersten Tropfen aus ihren Augen.

»Was passiert hier gerade? Was geschieht hier?«, fragte ich und bemerkte, wie verzweifelt meine Stimme klang.

Inmitten dieser ausgelassenen Menge, die bestens Bescheid zu wissen schien, fühlte ich mich sehr einsam und winzig klein. Wie damals, als ich hier angekommen war. Als mir alles fremd vorgekommen war.

Bevor sie mir antworten konnte, bestürmten mich andere Ewige. Sie schüttelten mir die Hände, strichen über die Zeichnungen auf meinem Arm, umarmten mich.

»Was für eine Ehre!«, riefen sie mir ins Ohr.

»Du, nur du!«, schrien die einen.

»Ich wusste es ja immer schon«, jubelten die anderen.

»Marlowe, du bist etwas Besonderes«, lachten sie.

Sie zogen und zerrten vor Übereifer an mir, jeder schien mir persönlich die Hand schütteln zu wollen und ich wäre fast gestürzt. Hektisch schnappte ich nach Luft, überall waren Körper. Die Hitze ließ mir das Kleid am Leib kleben und obwohl es locker fiel, hatte ich das Gefühl, erdrückt zu werden.

Eine Hand schlang sich um mein Handgelenk und zog mich mit einem Ruck aus der Menge heraus. Das fiel gar nicht weiter auf, da sich die Ewigen nun gegenseitig umarmten.

Immer noch nach Luft ringend und am ganzen Körper zitternd sah ich mich nach meinem Retter um.

Tariels blaue Augen schauten auf mich hinunter und ich atmete auf. Kein weiterer Bewunderer, sondern ein Freund meiner Ziehmutter, der mich quasi mit großgezogen hatte.

»Ich dachte mir schon, dass du Hilfe benötigen könntest«, erklärte er mit seiner tiefen Stimme.

»Danke«, murmelte ich, immer noch etwas benommen, aber langsam wieder etwas ruhiger. »Was ist da gerade passiert?!«

Ein Ausdruck des Zögerns legte sich auf seine Züge, was mich sehr misstrauisch machte. Es musste schlimm sein. So richtig schlimm. Er war einer der wenigen Ewigen, der nie um eine Antwort verlegen war. Wenn sogar er über seine Worte nachdenken musste …

»Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, davon kriegt man Falten«, sagte er.

»Als ob du was von Falten verstehen würdest«, brummte ich. »Und lenk nicht ab!«

»Das tue ich nicht.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich bin nur nicht derjenige, der dir das erzählen sollte. Da kommt Anrile«, fügte er hinzu und ich fuhr herum.

Anrile hatte sich auch gerade aus der Menge befreit und warf den Ewigen einen strafenden Blick zu. Nicht, dass das einen der Feierwütigen interessierte. Als sie mich sah, breitete sich Erleichterung auf ihren Zügen aus und sie kam zu uns. Immerhin weinte sie nicht mehr.

»Was ist hier los?«, fragte ich sofort, ehe mich wieder jemand ablenken konnte. »Ich weiß ja nicht, ob das jemandem aufgefallen ist, aber da sind Tätowierungen auf meinem Arm. Und alle haben mich umarmt.«

Bei meinem entsetzten Tonfall musste Tariel leise lachen, was ihm einen finsteren Blick meinerseits einbrachte. Langsam verlor ich die Geduld.

Anrile seufzte und tastete abwesend nach einer nicht vorhandenen Strähne, die sie sich hinters Ohr schieben konnte. Sie hatte ihre langen Haare zu einem strengen Zopf gebunden, der absolut perfekt saß.

»Wir sollten nicht hier darüber reden«, sagte sie. »Deine Bewunderer werden bald merken, dass du ihnen entwischt bist. Lass uns … lass uns nach Hause gehen.«

Diesem Vorschlag folgte ich nur zu gerne. Die Lust am Feiern war mir gründlich vergangen, dabei wusste ich nicht einmal warum. Es war schließlich etwas Gutes geschehen, nicht wahr? Die Reaktion der Ewigen war eindeutig, ich hatte jeden Grund, mich zu freuen. Aber solange ich nicht wusste, worum es ging, würde ich lieber weiter einen immer noch schmunzelnden Tariel finster anstarren.

***

Anrile drückte mir eine Tasse Tee in die Hand, die verführerisch nach Rosenblättern und Vanille duftete, ehe sie sich zu Tariel und mir an den Küchentisch setzte.

»Wie lange bist du noch mal hier?«, fragte Tariel und eröffnete damit das Gespräch. Gut. Ich hätte sonst ernsthaft einen Doppelmord in Erwägung gezogen, wenn sie nicht langsam begonnen hätten, mir etwas zu erklären.

»Neun Jahre«, antwortete ich und er nickte.

»Dann kannst du es natürlich nicht wissen.« Nun sah er Anrile erwartungsvoll an und ich trank einen Schluck Tee, der mir die Zunge verbrannte. Wortlos nahm Tariel mir die Tasse weg und bewegte einmal seine Hand über sie. Als er sie mir wiedergab, war der Tee schon ein wenig abgekühlt. Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das seine Augen funkeln ließ. Es war kein Wunder, dass viele der Frauen und Männer sich, wenn auch vergeblich, um ihn bemühten, mit diesen blauen Augen und den weißblonden, schulterlangen Haaren.

»Du weißt, dass wir dieses Land auch das Land des Ewigen Sommers nennen«, begann Anrile und hielt kurz inne, bis ich die Augen verdrehte und nickte. Natürlich wusste ich das. Für Wechselbälger gab es in jedem Weiler Schulen, damit wir lernten, wie das Leben hier ablief. »Weißt du auch warum?«

Langsam stellte ich die Teetasse ab und runzelte die Stirn. »Das hat verschiedene Gründe. Die Macht der Königin zum Beispiel. Und der Ewige Sommer wurde erst durch die Vertreibung der Eddelin möglich.«

Meine Ziehmutter zischte leise und aus den Augenwinkeln sah ich auch, wie Tariel sich versteifte. Niemand sprach den Namen der früheren Herrscher Avaluns gerne laut aus. Angeblich konnten sie es hören und wieder erstarken, wenn man ihren Namen zu oft in den Mund nahm. Als ich das Wort in meinem Kopf noch einmal wiederholte, schauderte ich ebenfalls. Auch wenn ich nicht daran glaubte, dass sie bemerkten, wenn man über sie sprach, hatte ich genug von ihren Taten gehört, um sie zu fürchten. Es waren grausame Wesen, die Avalun lieber zerstört hätten, als zuzulassen, dass man ihnen ihre Macht nahm. Keiner hatte es gewagt, sich ihnen zu stellen, nicht einmal die Fae. Obwohl sie das älteste Volk Avaluns waren und die Macht gehabt hätten. Die Königin hatte allein gegen die Eddelin kämpfen müssen.

»Ja«, sagte Anrile, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. »Aber es bedarf noch eines weiteren Elements, um die Ewigkeit aufrechtzuerhalten.«

Das allerdings war mir neu und ich sah sie interessiert an. Ihr Blick war auf die Tasse zwischen ihren Händen gerichtet.

»Alle zehn Jahre wird für ein Jahr eine Jahresprinzessin gekrönt. Ein Menschenmädchen. Sie opfert uns für dieses Jahr ihre Zeit und erhält damit den Frieden und die Schönheit des Sommerlandes aufrecht.«

Mir dämmerte etwas. Aber ich schob den Gedanken so hastig von mir, dass er stolperte, der Länge nach hinfiel und sich dadurch nur umso fester in meinem Bewusstsein verankerte.

»Du … Du meinst …«, stotterte ich und sah von ihr zu Tariel, der über meinen Kopf hinweg an die Wand starrte und nun nickte.

»Ja, das meint sie. Die Königin wählt ihre Jahresprinzessin, wenn sie die Weiler bereist.«

Erst langsam, dann immer heftiger begann ich den Kopf zu schütteln. Ich umklammerte die Tasse so fest, dass ich fast fürchtete, sie würde in meinem Griff zerbrechen.

»Das kann nicht euer Ernst sein!«

Anrile sah auf und lächelte etwas unsicher. »Doch. Die Tätowierungen auf deinem Arm … Und die Königin hat es selbst gesagt.«

»Und warum wusste ich davon nichts? Warum hat mir niemand etwas erzählt? Ich meine …« Ich verstummte, denn ich war so sprachlos, dass mir partout nichts einfiel, um meinem Ärger Luft zu machen. Ich fiel in meinem Stuhl zurück, immer noch den Kopf schüttelnd.

Stuhlbeine schabten leise, als Anrile ihren Stuhl näher zu meinem zog und meine Hände in ihre nahm.

»Marlowe, die Wahrscheinlichkeit war so gering … Die Königin hat in den letzten Tagen viele Städte und Dörfer bereist. Unser Weiler war nur einer von vielen. Und du nur ein Menschenmädchen von vielen«, erklärte sie mir mit sanfter Stimme. »Ich hätte es dir wahrscheinlich in den nächsten Tagen erzählt, wenn die Botschafter gekommen wären, um die Erwählung der nächsten Jahresprinzessin zu verkünden.«

Ich hätte sie fragen können, warum sie mir nicht in den letzten neun Jahren davon erzählt hatte. Oder warum nicht gestern, als abzusehen war, dass eine geringe Chance bestand, dass ich erwählt werden könnte. Aber ich versuchte es gar nicht erst, kannte die Antwort schon: ein hilfloses Schulterzucken. Die Ewigen dachten anders als Menschen. Über viele Dinge dachten sie erst nach, wenn sie geschahen, sie waren Meister darin, zu verdrängen und Erinnerungen erst im richtigen Moment hervorzukramen. Das war nur verständlich. Wenn man eine Ewigkeit lebte, kam eine ungehörige Summe an Erinnerungen zustande.

Ich schloss für einen Moment die Augen. Immer noch konnte ich es nicht fassen. Heute Morgen war ich ganz normal aufgestanden, hatte mich gewaschen, angezogen und mein Spiegelbild zur Rebellion angeregt.

Ich öffnete die Augen wieder und entzog Anrile meine Hände, um den Ärmel meines Kleides wieder nach oben zu schieben. Zu zweit betrachteten wir die Verästelungen.

»Was bedeuten sie?«, fragte ich mit leiser, dünner Stimme.

»Zwölf Blüten. Für jeden Monat eine. Sie werden sich langsam, eine nach der anderen, öffnen«, erklärte Tariel, der sich über meine Schulter beugte. »Das ist ein Zweig eines Apfelbaums, der hier nicht mehr wächst.«

Was erklärte, warum ich den Baum noch nie zuvor gesehen und auch keinen Apfel mehr gegessen hatte, seit ich im Sommerland war.

Ich schluckte und zog mir hastig den Ärmel wieder so weit hinunter, dass von den Tätowierungen nichts mehr zu sehen war.

»Was … was passiert jetzt?«

»Nun, ich schlage vor, dass wir gleich wieder zum Dorfplatz zurückkehren. Es wird dort schließlich ein Festessen geben«, sagte Tariel betont munter und nun warf sogar Anrile ihm einen ungeduldigen Blick zu.

»Wir sind eine der letzten Siedlungen, die die Königin besucht«, erklärte sie mir dann. »Sie wird dich wohl direkt mitnehmen und den Rückweg antreten.« Bei dem letzten Wort versagte ihr beinahe die Stimme und auch ich spürte, wie sich mir die Kehle zuschnürte.

»Mitnehmen?«, wiederholte ich und starrte sie mit großen Augen an, ignorierte das unangenehme Gefühl, als sie meinen Blick erwiderte.

Sie strich mir mit einer Hand kurz über die Wange.

»Ja, Liebes«, flüsterte sie erstickt und lächelte dann traurig. »Du wirst mit ihnen in die Hauptstadt reisen. Es ist eine einmalige Chance, du wirst so viel erleben, so viel sehen, so viel lernen.«

»Aber du kommst doch mit!«, stieß ich heftiger hervor als beabsichtigt.

»Ich kann nicht«, erwiderte sie sanft.

Seit meiner Ankunft im Sommerland war sie mein Halt gewesen, wenn mich diese Welt zu überfordern drohte oder wenn ich etwas nicht verstand. Obwohl sie vor allem am Anfang Schwierigkeiten gehabt hatte, meine Gefühle und Gedanken nachzuvollziehen, und auch manchmal ungeduldig geworden war, hatte sie sich doch immer Mühe gegeben, mich zu trösten. Für mich da zu sein. Seit neun Jahren waren wir nie länger als ein paar Stunden getrennt gewesen und die Vorstellung, bald ein Jahr ohne sie zu verbringen … Und dann auch noch weit weg von meinem Zuhause, von allem, was ich kannte. Ich kam mir wieder vor wie acht. Oder wie vorhin beim Rathaus.

Ich merkte erst, dass ich angefangen hatte zu weinen, als meine Schultern unter Schluchzern bebten.

»Nicht, Marlowe«, sagte Anrile und tätschelte mir hilflos den Arm. »Du wirst sehen, du wirst froh sein, mich nicht dabei zu haben.«

»Ja, sieh es mal so«, mischte sich Tariel ein. »Wenn Anrile mitkommt, wirst du dich zehnmal am Tag umziehen müssen. So kommst du vielleicht mit fünfmal am Tag davon.«

Trotz der Tränen musste ich lachen – auch über das empörte Schnauben Anriles.

»Entschuldige bitte, manche von uns haben eben einen Sinn für Anstand und Schönheit«, sagte sie bissig und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Manche würden es Oberflächlichkeit nennen«, erwiderte Tariel trocken.

Ich zwang mich dazu, ruhig ein- und auszuatmen, die Schluchzer zurück in meine Kehle zu verbannen, und wischte mir die Tränen von der Wange. Die beiden vertieften sich weiter in ihr Streitgespräch und schienen für den Moment vergessen zu haben, dass es mich gab. Das war in Ordnung so. Wenn man mich in den Arm nahm und versuchte mich zu trösten, musste ich meistens nur noch stärker weinen, also war es schon ganz gut, dass ich nun Zeit hatte, mich allein zu beruhigen.

»Nach dem einen Jahr komme ich dann ja auch wieder zurück«, unterbrach ich ihre Plänkelei schließlich, als ich meine Stimme wieder unter Kontrolle hatte.

Die beiden verstummten und Anrile lächelte vage.

»Ja, vielleicht«, sagte sie. »Aber dir werden danach viele Türen offenstehen. Vielleicht findest du eine Aufgabe, der du gerne nachgehen möchtest.«

Das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, dafür lebte ich viel zu gerne in unserem Weiler, umgeben von Wäldern, Wiesen und Hügeln, aber ich lächelte unverbindlich. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tariel die Augenbrauen zusammenzog und Anrile finster anstarrte.

Ich drehte mich zu ihm um und legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Keine Sorge, ich komme zurück«, versprach ich ihm.

Er lächelte nicht, als er mich ansah, und in seinen Augen lag ein sanfter, trauriger Ausdruck. Ihn würde ich auch schrecklich vermissen. Er hatte mir als Kind viele Geschichten erzählt und dafür gesorgt, dass ich mir nicht mehr wie eine komplette Außenseiterin vorgekommen war.

»Na, vielleicht hat Anrile ja recht«, sagte er und räusperte sich. »Du solltest die Dinge auf dich zukommen lassen.«

Mit einem Ruck schob er den Stuhl zurück und erhob sich.

»Wir sollten wieder zum Dorfplatz gehen. Die anderen werden dich sehen wollen«, fügte er hinzu und ich stöhnte entsetzt.

»Muss das sein? Ich hab auch gar keinen Hunger, ich will nichts essen.«

Nun erhob sich jedoch auch Anrile und zog mich energisch am Arm in die Höhe und drehte mich zu sich herum.

»Nein, nein, Tariel hat ganz recht. Das ist ein guter Zeitpunkt, um deinen neuen Platz in der Geschichte unseres Landes einzunehmen. Hier, in deinem Zuhause.«

Sie musterte mich kritisch von oben bis unten und zupfte dann ein wenig an meinen Haaren und meiner Kleidung herum, bis sie zufrieden nickte.

»Am besten wäre es, wenn du dir noch ein anderes Kleid anziehen würdest. Eines ohne Ärmel. Aber …«

»Dazu fehlt uns jetzt wirklich die Zeit«, warf Tariel rasch ein und verdrehte die Augen. Er stand schon an der Tür.

»Und die Geduld«, fügte ich leise hinzu und folgte ihm rasch nach draußen, um dem finsteren Blick Anriles zu entgehen.

Vor der Tür blieb ich stehen und ließ meinen Blick über mein Zuhause schweifen. Das Haus stand auf dem Hang eines sanft ansteigenden Hügels. Schräg unter uns, an seinem Fuß, stand ein weiteres und über uns auch. Ansonsten waren nur Wald und Wiese zu sehen. Der sanfte Duft von Blumen und Gräsern stieg mir in die Nase und ich schluckte. Das würde ich vermissen.

Links in der Ferne stiegen feine Dunstwolken auf. Da lag der Dorfplatz. Der Wind trug Lachen und Musik zu mir herüber.

»Bereit?«, fragte Tariel und berührte mich an der Schulter.

Ich lächelte ihn an, war froh zu sehen, dass der traurige Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden war.

»Ja«, sagte ich nickend. »Lass uns gehen.«

2. Kapitel – Spiegelbild

Der restliche Tag war wie im Rausch an mir vorbeigezogen. Das Essen, die Musik, die ausgelassenen Ewigen – alles nur verschwommene Erinnerungen, hinter einem Schleier aus Angst, Neugierde und Zweifel. Auch als ich endlich im Bett gelegen hatte, als ein halbvoller Mond sein milchiges Licht auf den Holzboden geworfen hatte, waren meine Gedanken nicht zur Ruhe gekommen. Sie waren umhergewirbelt wie in einem Malstrom gefangen.

Die Wörter »Jahresprinzessin«, »Ewigkeit«, »ein Jahr« und »Hauptstadt« waren dabei immer wieder aus dem Wirrwarr aufgetaucht. Mitten in der Nacht hatte ich mich aufgesetzt und meinen nackten Arm angestarrt. Unfähig zu begreifen, was so plötzlich geschehen war. Warum hatte ich vorher nie etwas von diesem Brauch gehört? Die Ewigen erzählten doch sonst so gerne Geschichten. Das hatte mich schon ein wenig stutzig werden lassen … Allerdings lebten wir weit von der Hauptstadt entfernt. Für uns, hier im Weiler, war die Königin nicht mehr als eine Art Märchengestalt gewesen. Eine Geschichte. Vielleicht hatte deswegen niemand die Jahresprinzessin erwähnt, weil sich niemand hatte vorstellen können, dass es jemals für uns wichtig werden könnte. Diese Erklärung war für mich zwar einigermaßen plausibel gewesen, aber nicht sonderlich befriedigend. Und hilfreich schon gar nicht.

In den frühen Morgenstunden hatte ich schließlich den Versuch aufgegeben zu schlafen, war aufgestanden und hatte mir meine Reisekleidung angezogen. Eine ganze Weile stand ich nun schon in der Mitte meines Zimmers und versuchte alles in mich aufzunehmen. Jedes Detail, angefangen von der Holzmaserung des Bodens und der bunten Decke auf meinem Bett. Das war mein Zuhause und ich wollte es nicht verlassen. Allein der Gedanke war mir unerträglich und ließ ein Brennen in meiner Kehle aufsteigen. Wie sollte ich mich nur in der kurzen Zeit von allem verabschieden, was mir wichtig war? Von allen Ewigen, von allen meinen Lieblingsplätzen?

Ich atmete zittrig ein und aus und biss mir auf die Unterlippe. Ich musste irgendetwas tun, um dem dunklen Sog meiner Gedanken zu entkommen. Ich wollte meine Hände beschäftigen, mich auf etwas konzentrieren, das greifbar war. Also würde ich … packen.

Mein Blick wanderte zu dem Reisebeutel, den ich mir wie einen Rucksack aus der Menschenwelt aufsetzen konnte. Es war manchmal seltsam, an Dinge aus dieser anderen Welt zu denken … Beinahe unwirklich. Das Sommerland war mein Zuhause. Die Welt der Menschen mehr eine Geschichte. Ich wusste, dass die Ewigen manchmal darüber scherzten, dass man in die Welt der Menschen geschickt wurde, wenn man etwas Böses getan hatte. Ich wusste aber auch, dass sie insgeheim Angst davor hatten. Das konnte ich ihnen nicht verübeln. Auch mir jagte die Vorstellung zurückkehren zu müssen einen Schauder über den Rücken. Kriege, Hunger, Mord und Zerstörung. Und überall der Tod. Jedes Kind aus der Welt der Menschen konnte sich glücklich schätzen zu den Ewigen gebracht zu werden. Soweit ich wusste, war das auch der Grund, warum sie Kinder wie mich holten …

Energisch schüttelte ich den Kopf. Ich war so schon durcheinander genug, da musste ich nicht auch noch am frühen Morgen daran denken!

Langsam trat ich vor den Spiegel, mein tägliches Ritual.

Mein Spiegelbild starrte mich aus müden Augen an, die hellbraunen Haare ein Vogelnest und die Haut beinahe wächsern.

»Eine tolle Prinzessin gebe ich ab«, murmelte ich und zog finster die Augenbrauen zusammen, in der Hoffnung, mein Spiegelbild dadurch einschüchtern zu können. Keine Chance. Es zuckte nicht mit der Wimper.

Ich hob die rechte Hand und legte sie auf die kühle Oberfläche, beobachtete selbst, wie mein Blick traurig wurde.

»Eine Prinzessin, dass ich nicht lache«, flüsterte ich. »Das ist doch alles verrückt. Schwachsinn. Warum ich?«

Ich schluckte. Wer war ich schon, dass man mir so eine Rolle zugedachte? So eine wichtige Aufgabe anvertraute? Der Erhalt der Ewigkeit, der Unsterblichkeit dieser Welt. Das musste ein Scherz sein. Niemals wäre ich würdig oder fähig genug. Ich konnte passabel nähen und hatte ein gutes Auge für Stoffe und Farben. Wenn ich mir viel Mühe gab, konnte ich mich und andere ansehnlich herrichten. Aber das war es. In der Summe meiner Teile war ich eine Schneiderin. Keine Prinzessin.

Ruckartig drehte ich mich um, um mir nicht mehr selbst ins Gesicht sehen zu müssen. Was hatte es für einen Sinn, hier zu stehen und zu jammern. Die Königin würde ihre Entscheidung kaum zurücknehmen, ich hatte gar keine andere Wahl, als heute abzureisen. Heute, nicht in ein paar Tagen, das hatte ich gestern auch noch herausgefunden. Zu allem Überfluss würde ich also nicht einmal Zeit haben, mich gebührend zu verabschieden.

Ich atmete tief den vertrauten Geruch meines Zimmers ein; den Duft von Holz und den Blumen, mit dem wir unsere Kleidung färbten.

Systematisch begann ich meinen Reisebeutel zu packen. Als er voll war, enthielt er nur etwa ein Viertel von dem, was ich gerne mitnehmen wollte. Also leerte ich ihn wieder, sortierte aus, packte neu – und hatte am Ende noch mehr übrig.

»Du solltest nur die Sachen mitnehmen, die du dir dort nicht kaufen kannst«, ertönte Anriles Stimme von der Tür und ich drehte mich zu ihr um, eine weiche Stoffhose noch in der Hand.

»Du bist schon wach?«

»Ich habe dich herumlaufen gehört. Und konnte selbst auch nicht mehr schlafen«, fügte sie hinzu und lächelte schwach. »Komm, ich helfe dir.«

Unter meinem erstaunten Blick schaffte sie es, einen Großteil der Dinge einzupacken, die ich mitnehmen wollte. Darunter mein Lieblingsbuch, ein paar Duftsäckchen mit meinen Lieblingsblumen und eine etwas abgetragene Kette aus Holz und Pflanzenfasern, die ich mir vor Jahren selbst gebastelt hatte. Die meisten Kleidungsstücke mussten zurückbleiben, aber sie hatte recht. Die würde ich in der Hauptstadt ersetzen können. Wichtig war erst einmal, angemessene Reisekleidung zu haben. Die ich nur hatte, weil meine Ziehmutter der Meinung war, eine vollständige Garderobe musste Kleidung für jede Gelegenheit bieten.

Wir waren gerade fertig, als wir hörten, wie unten die Tür aufging. In der Regel schloss hier niemand sein Haus ab, enge Freunde durften kommen und gehen, wie sie wollten.

»Anrile, Marlowe?«, rief Tariel. »Ich wollte euch abholen.«

Mein Herz setzte einen Schlag aus, um dann in doppelter Geschwindigkeit loszurasen, als wollte es ein Wettrennen gewinnen.

»Dann wollen wir mal«, sagte Anrile leise und das Lächeln, das sie mir schenkte, wirkte etwas erzwungen. Aber ich war mir sicher, sobald wir den Dorfplatz erreicht hatten, würde sie wieder so strahlend aussehen wie der Sonnenschein persönlich.

Ich nickte, zupfte nervös an dem Zopf, den ich mir zwischendurch schnell geflochten hatte und warf mir dann meinen Reisebeutel über die Schulter. Er war schwer, aber ich würde mich wohl dran gewöhnen. Außerdem, würde ich überhaupt laufen müssen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Königin die ganze Strecke von der Hauptstadt aus gelaufen war. Mit solchen Überlegungen beschäftigte ich mich, während ich abwesend Tariel begrüßte und wir das Haus verließen und den Hügel hinabgingen.

Als mir einfiel, dass ich mich nicht von meinem Zimmer, nicht von unserer Küche und unserem Garten verabschiedet hatte, durchfuhr mich ein Stich. Ich blieb stehen und drehte mich um: Das Haus war nur noch als ein dunkler Schemen gegen den blauen Himmel zu erkennen. Ein scharfer Schmerz in meinem Herzen ließ mich die Lippen zusammenpressen und ich schloss einen Moment die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Ich wollte nicht wieder weinen. Ich war kein Kind mehr und es war ja auch nicht so, als würde ich nie zurückkehren.

»Marlowe?«, fragte Tariel und seine ruhige Stimme linderte den Abschiedsschmerz ein wenig. Gleichzeitig wurde mir klar, wie sehr ich ihn vermissen würde.

Ich drehte mich wieder um, warf ihm ein kurzes, beruhigendes Lächeln zu und wir setzten unseren Weg fort.

***

Als wir uns dem Dorfplatz näherten, stolperte ich beinahe vor Schreck über den Anblick der wartenden Menge. Die Königin, ihr gesamtes Gefolge und eine unüberschaubare Anzahl von Ewigen schienen uns schon zu erwarten. Gestern Abend hatte ich das Gefühl gehabt, in einer Blase zu treiben, zwar mitten unter den Ewigen, aber durch eine dünne, unsichtbare Wand von ihnen entfernt, die zwar Sinneseindrücke hindurchließ, aber nicht die dazu passenden Gefühle. Jetzt war die Blase fort und ich spürte nur zu gut, wie mich alle anstarrten. Wie sich alle Aufmerksamkeit nur auf mich konzentrierte. Am liebsten wäre ich fortgerannt und hätte mich in einem meiner Verstecke im Wald verkrochen. Aber das ging nicht. Ich musste da durch.

Anrile gab mir einen sanften Schubs und ich erinnerte mich wieder daran, dass man zum Laufen einen Fuß vor den anderen setzen musste.

Wie von selbst suchte mein Blick die Königin, die in diesem Moment von einem Gespräch mit einer Dienerin aufsah und mich bemerkte. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Es war nicht so übertrieben strahlend wie das von einigen anderen Ewigen, aber dafür umso tröstlicher, verständnisvoller. Als wüsste sie ganz genau, wie unwohl ich mich fühlte. Ich entspannte mich ein wenig.

»Marlowe, guten Morgen. Ich hoffe, du bist nicht allzu müde von der Feier?«, begrüßte sie mich, als wir auf Hörweite herangekommen waren.

Ich knickste, Anrile und Tariel verbeugten sich.

»Danke der Nachfrage, Eure Hoheit«, erwiderte ich höflich. »Mir geht es gut. Ich bin nur etwas … nervös.«

Sie nickte verständnisvoll. »Bist du schon einmal gereist?«

»Nein, Eure Hoheit. Ich war noch nie von Zuhause weg.«

Zumindest nicht so, wie sie es meinte. Ich war natürlich von der Welt der Menschen ins Sommerland gereist. Aber darüber wollte ich nicht nachdenken und dass ich es an diesem Tag nun schon das zweite Mal tat, schob ich auf die Aufregung.

»Es wird dir gefallen«, sagte sie und lächelte. »Wenn du dich verabschiedet hast, können wir aufbrechen.«

Was implizierte, dass ich das jetzt tun sollte. Der plötzliche Zeitdruck ließ Panik in mir aufsteigen, meine Brust schien zu eng zum Atmen zu werden und ich drehte mich zu Anrile und Tariel um.

»Pass auf dich auf, Marlowe«, flüsterte meine Ziehmutter und zog mich in eine kurze, aber feste Umarmung. »Ich habe dich sehr lieb.«

Ich schluckte, konnte nun nicht mehr verhindern, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.

»Ich habe dich auch lieb, Mama«, antwortete ich und war froh, als sie mich wieder losließ. Sonst wäre ich endgültig in Tränen ausgebrochen und bei all den Augenpaaren, die auf mir ruhten, wäre mir das sehr peinlich gewesen. Obwohl die Ewigen das vermutlich sogar verstanden hätten, aber da auch Anrile sich zusammenriss, tat ich es ihr gleich.

Auch Tariel umarmte mich und strich mir kurz über die Haare.

»Schreib zwischendurch. Und wenn du Probleme hast, dann schreib erst recht«, fügte er hinzu und ich lächelte, obwohl mir nicht wirklich danach zumute war. Ein warmes Gefühl durchströmte mich bei seinen beschützenden Worten. Es war gut, dass Anrile wenigstens noch ihn hatte.

»Pass auf sie auf«, sagte ich leise, damit nur er es hörte. »Ich will nicht, dass sie über ihrer Arbeit alles andere vergisst.«

Er schob mich von sich und zwinkerte mir zu. Aber auch er wirkte unglücklich und sah älter aus als sonst.

Ich atmete tief durch, dann wandte ich mich wieder an die Königin.

»Ich bin bereit. Wir können aufbrechen.«

Vielleicht würde es mir sogar besser gehen, wenn wir erst einmal unterwegs waren. Denn dann würde es wirklich kein Zurück mehr geben. Außerdem meldete sich unter meiner Trauer und Verwirrung die Neugierde. Ich wollte unbedingt wissen, was vor mir lag. Und wenn mir einer diese Fragen beantworten konnte, dann die Königin.

***

Wie ich schon vermutet hatte, lief die Königin nicht. Soweit ich wusste, dauerte die Reise zur Hauptstadt fast drei Wochen.

Statt sich also die Füße wund zu laufen, ließ sie sich in einer Sänfte tragen. Und ich durfte neben ihr sitzen. Als sie mir das verkündet hatte, war mir vor Aufregung fast schwindelig geworden und noch immer erinnerte ich mich genau an die ehrfurchtsvollen und neidischen Blicke der Ewigen, als mir einer ihrer Wachen die Hand gereicht und in die Sänfte geholfen hatte.

Zunächst, als wir uns etwas schwankend in Bewegung gesetzt hatten, hatte ich mich noch ängstlich festgeklammert, nach einigen Stunden jedoch hatte ich mich an das Schaukeln gewöhnt und fand es sogar beruhigend. Jetzt konnte ich mich auch endlich auf die Landschaft konzentrieren, die langsam an mir vorbeizog. Ein wenig frustriert stellte ich fest, dass sich kaum etwas veränderte. Nur die Straße wurde breiter.

»Enttäuscht?«, fragte die Königin und richtete damit das erste Mal seit Reisebeginn das Wort an mich. Bisher hatte sie immer wieder mit einer Dienerin oder einem Höfling gesprochen.

Ich zuckte zusammen und warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe ich auf meine Hände sah.

»Nein, nicht … nicht enttäuscht, nur … Sieht es überall in Avalun so aus wie hier?«

Sie lachte nicht, aber als ich noch einmal kurz aufsah, sah ich die Belustigung in ihrem Blick. Na toll. Anscheinend hatte ich eine dumme Frage gestellt.

»Weißt du, wie groß Avalun ist? Oder allein das Sommerland?«

Ich schüttelte langsam den Kopf. Natürlich hatte ich Anrile, Tariel und meiner Lehrerin viele Fragen gestellt, als ich ins Sommerland gekommen war, aber die Antworten waren unbefriedigend geblieben. Nein, ich würde keines der anderen Länder kennenlernen. Nein, keiner der Ewigen war seit der Ewigkeit dort gewesen. Nein, es war dort nicht sicher genug.

»Groß. So groß wie deine Welt, aber unbewohnter.«

»Das hier ist meine Welt«, protestierte ich sofort und meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Ich hatte vergessen, mit wem ich redete!

Die Hand der Königin tauchte in meinem Blickfeld auf und legte sich kurz auf meine.

»Entschuldige bitte, Marlowe. Natürlich ist dies hier deine Welt. Sonst hätte ich dich nicht zu meiner Prinzessin gemacht.«

Bei dem sanften und versöhnlichen Tonfall musste ich sie unweigerlich ansehen und wurde wieder von ihren hellbraunen Augen in den Bann gezogen. Ihr Blick drang bis in mein Innerstes und ich meinte zu spüren, wie er jede Schicht meiner Gedanken und Gefühle durchdrang, bis er den Kern meines Seins erreichte. Einen erstickten, erschrockenen Laut von mir gebend wandte ich unter größter Anstrengung den Blick ab.

»Du armes Kind, du weißt ja gar nicht, was auf dich zukommt. Niemand hat es dir erklärt!«, rief die Königin aus, ehrliches Entsetzen und Sorge in der Stimme. »Nein, das geht auf keinen Fall. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dafür gesorgt, dass es dir jemand vor dem Aufbruch erklärt.«

Ich nickte etwas unschlüssig. »Ich … weiß wirklich nicht sonderlich viel über das, was ich tun muss. Oder was das alles bedeutet.«

Ich hörte die Königin leise seufzen.

»Das ist wohl nicht mehr zu ändern. Aber zum Glück hast du mir das so früh gesagt, da haben wir ja jetzt noch genug Zeit.«

Als ich sie wieder ansah, musste ich ihr Lächeln automatisch erwidern.

»Ich hoffe, ich werde dadurch nicht zu einer allzu großen Belastung für Euch, Eure Majestät.«

Die Königin machte eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte energisch den Kopf.

»Natürlich nicht! Ganz unter uns, mir bereitet so etwas eigentlich viel Vergnügen«, erklärte sie mir in einem verschwörerischen Tonfall und ich spürte, wie sich meine Mundwinkel noch weiter hoben. »Der Gesichtsausdruck gefällt mir schon besser. Dein Lächeln ist schon das einer wahren Jahresprinzessin.«

Ich zog etwas verlegen den Kopf ein und zupfte am Saum meiner hellgrünen Tunika, die ich zu der schwarzen Stoffhose trug. Wie mir aufgefallen war, trug die Königin auch in der Sänfte ein Kleid und ich fragte mich beklommen, ob ich nicht viel zu locker gekleidet war. Anrile würde durchdrehen, sollte sie erfahren, dass ich in Anwesenheit der Königin unpassend ausgesehen hatte!

»Deine Aufgabe ist eigentlich nicht schwer«, riss mich die Stimme der Königin aus meinen hektischen Gedanken und ich blinzelte, um mich wieder zu konzentrieren. »Du wirst mit mir herumreisen oder vielleicht auch einmal allein. Du kannst die Hauptstadt kennenlernen, die Ewigen dort und mit ihnen plaudern. Es wird viele Feste geben, Ausflüge und ein paar öffentliche Auftritte.«

»Werde ich eine Rede oder so etwas halten müssen?«, fragte ich entsetzt.

Die Königin schmunzelte.

»Vielleicht, aber du wirst sie nicht selbst schreiben müssen. Siehst du, es geht nur darum, dass jemand, dessen Zeit vergeht, eben diese Zeit für uns opfert. Indem du sie mit uns teilst und die Aufgaben einer Prinzessin übernimmst, erfüllst du bereits deine Pflicht als Jahresprinzessin.«

Auch wenn ich die Vorstellung, den Rest des Jahres weiterhin so angestarrt zu werden wie in meinem Weiler, etwas beunruhigend fand, war ich doch etwas beruhigter. Das klang nicht furchtbar schwierig. Oder als könnte ich da viel vermasseln. Wenn man ständig von Ewigen umgeben war, die sehr viel Zeit gehabt hatten, ihre Fähigkeiten zu perfektionieren, war es leicht, Komplexe zu bekommen. Ich würde nie in etwas so gut sein wie ein Ewiger oder eine Ewige.

»Mein Sohn wird dir dabei gerne behilflich sein«, erklärte die Königin in diesem Moment weiter und ich stutzte.

Ich hatte natürlich von Prinz Martuel gehört. Die jungen Frauen im Weiler schwärmten häufig von ihm, dabei war ich mir sicher, dass sie ihn noch nie gesehen hatten. Manchmal hatte ich mich gefragt, ob er wohl frustriert war. Ein ewiger Prinz. In den Geschichten wurden Prinzen und Prinzessinnen am Ende immer mit der Krone belohnt. Er würde sie wohl nie bekommen. Allein bei dem Gedanken, der Königin könnte etwas zustoßen, lief mir ein Schauder über den Rücken. Nicht nur, weil mir die Verehrung ihrer Person über die Jahre beigebracht worden war – nein, jetzt hatte ich sie auch kennengelernt und konnte ihre Wärme und Freundlichkeit spüren. Es war unmöglich, sie nicht zu mögen.

»Er ist manchmal ein wenig ruppig, aber ihr werdet sicher gut miteinander auskommen.«

»Da habt Ihr bestimmt recht, Eure Hoheit«, stimmte ich ihr pflichtschuldig zu, auch wenn ich das irgendwie bezweifelte. Wenn ein Ewiger »ein wenig ruppig« war, bedeutete das meistens, dass man seine Gefühlsschwankungen mit einem Gewittersturm vergleichen konnte – der nicht vorbeiging. Manchmal waren Ewige wirklich einschüchternd, auch wenn ich mich daran gewöhnt hatte und wusste, worauf ich achten musste, um Problemen aus dem Weg zu gehen.

Bis zum Abend machte mich die Königin immer wieder auf Hügel und Straßenabzweigungen aufmerksam, hinter denen weitere Dörfer lagen oder ein besonders berühmter Ort.

»… und hier haben wir damals gegen die Eddelin gekämpft.«

Bei diesen Worten ruckte mein Kopf in die Höhe und jeder Anflug von Schläfrigkeit verschwand. Mit geweiteten Augen starrte ich die Königin an, die mit geschürzten Lippen die weite grasbewachsene Ebene zu unserer rechten betrachtete. Ich folgte ihrem Blick, aber mir fiel nichts auf.

»Gegen die Eddelin?«, versicherte ich mich und meine Stimme zitterte, als ich ihren Namen aussprach.

»Wir haben sie besiegt, es war einer der letzten Kämpfe. Hunderte von uns haben mit dem Leben bezahlt und viele wurden von ihnen verschleppt. In ihre Lager, wo man sie folterte, um an Informationen zu gelangen. Ihre Familien bekamen nicht einmal ihre Leichen zu sehen, so wenig ließen sie übrig.« Ihre Stimme klang düster. Im Zorn musste sie furchteinflößend sein.

Ein bitterer Geschmack hatte sich auf meine Zunge gelegt und ich schluckte. Er blieb, ich schluckte wieder und die Bitternis breitete sich auch in meiner Kehle aus. Diese Vorstellung … Krieg in Avalun, Krieg und Tod und Grausamkeit. Es kam mir vor wie ein Frevel, überhaupt darüber nachzudenken. Dennoch … die Königin war die Erste, die überhaupt bereit schien, meine Fragen zu beantworten. Meine sich über alle Grenzen hinwegsetzende Neugierde hatte Anrile häufiger an den Rand eines Tobsuchtsanfalls getrieben.

»Oh, Marlowe, entschuldige«, sagte die Königin plötzlich und als ich sie wieder ansah, war ihre Miene glatt und freundlich, nichts deutete auf den Zorn hin, den ich eben noch bei ihr gehört hatte. »Ich wollte dich nicht verängstigen.«

Die Ebene wurde zu Wald und das bittere Gefühl verschwand.

»Nein, ist schon gut. Ich weiß auch darüber nicht viel. Und irgendwie bekämpfe ich sie ja jetzt auch«, plapperte ich gedankenlos und hätte mir im nächsten Moment am liebsten mit der Hand vor den Kopf geschlagen.

Aber auf dem Gesicht der Königin breitete sich ein Strahlen aus.

»Es freut mich wirklich, dass du das so siehst!«, erklärte sie mir. »Der Bürgermeister wurde gestern Abend nicht müde zu betonen, was für ein cleveres Mädchen du bist, was für eine Bereicherung des Dorfes. Am Ende hätte ich mich fast entschuldigt, dich ihnen zu entreißen. Aber nur fast. Ich kann sehr selbstsüchtig sein.«

Sie klang fast verschwörerisch, während sie das sagte und ich musste lachen. Dann wurde ich jedoch wieder ernst, als mir einfiel, wie wir auf dieses Thema gekommen waren.

»Ihr habt wirklich gegen die Eddelin gekämpft?«, fragte ich ehrfürchtig.

Die Königin nickte langsam und nachdenklich. »Es ist schon sehr lange her. Aber ja, ich habe sie damals bekämpft.«

»Einige leben noch, oder? In meinem Dorf haben sie mir immer erzählt, wenn man ihren Namen zu oft ausspricht, kommen sie einen holen.«

Die Königin stieß ein kurzes Lachen aus, aber es klang bitter und verklang rasch.

»So viel Macht haben sie dann auch wieder nicht«, antwortete sie. »Sie leben noch, aber an einem Ort, an dem wir sie nicht erreichen können.«

»So weit entfernt, dass sie auch uns nicht erreichen können?«, fragte ich weiter, von einer morbiden Faszination erfüllt.

Sie warf mir einen langen abschätzenden Blick zu und ich hatte ein wenig das Gefühl, als würde sie eine andere Seite an mir entdecken. Mich ernster nehmen, auch wenn ich nicht sagen konnte, woher dieses Gefühl kam.

»Sie betreten manchmal das Sommerland. Sehr selten, aber es gibt Angriffe auf kleinere Dörfer oder reisende Händler.«

Ich sog scharf die Luft ein, eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Hatte ich nicht noch am Morgen darüber nachgedacht, wie schön es war, in einem Land ohne Kämpfe zu leben?

»Sie stehlen nur«, sagte die Königin rasch, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Sie sind klug genug zu wissen, dass es schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn sie jemanden meines Volkes angreifen. Ich würde nicht eher ruhen, bis ich sie endgültig ausgelöscht hätte.«

Da war wieder der grausame Zug um ihren Mund, der weiche Ausdruck ihres Blickes wurde hart und starr. Es war das Gesicht einer Königin, die ihr Volk mit ihrem eigenen Blut verteidigt – und gesiegt hatte. Kein Wunder, dass niemand über die düsteren Tage vor der Ewigkeit sprechen wollte, wenn sie sogar die Königin in solchen Zorn versetzten.

»Entschuldigt«, sagte ich leise. »Ich wollte nicht an diesen Dingen rühren, meine Neugierde wurde mir schon häufiger zum Verhängnis.«

»Ach, nein, entschuldige dich nicht«, erwiderte die Königin nach einigen Sekunden angespannten Schweigens. »Aber nun reden wir über etwas anderes, etwas Schöneres. Deine Kleidung – hast du sie etwa selbst geschneidert? Du musst mir auch ein Kleid machen!«

Ich ließ mich bereitwillig auf ihren Themenwechsel ein. Andererseits, eine Wahl hätte ich auch kaum gehabt.

***

Am Abend erreichten wir eine kleine Stadt, in der wir die Nacht verbringen würden. Zu sagen, dass ich aufgeregt war, wäre noch untertrieben gewesen. Bevor wir nämlich die Stadt betraten, wies die Königin ihre Dienerinnen an, mich »standesgemäß einzukleiden« – was bedeutete, dass ich heute schon als Jahresprinzessin auftreten würde. Ich hatte ja gehofft, noch ein paar Tage verschont zu bleiben. Was würde man von mir erwarten? Musste ich nur hinter der Königin herlaufen?

Das »nur« blieb mir bereits im Hals stecken, als die Dienerinnen mir das Monstrum von einem Kleid anzogen. Ja, Plural. Es brauchte drei Ewige, um es überall festzubinden und danach zog es mich mit seinem Gewicht fast zu Boden.

»Ihr werdet Euch daran gewöhnen, Jahresprinzessin«, sagte eine der Dienerinnen und lächelte beruhigend, während sie ein letztes Mal mit der Hand über mein Haar strich und es ganz ohne Bürste glättete, bis es glänzte.

»Werde ich das?«, ächzte ich und konnte kaum gerade stehen. Die Schleppe dieses … Dings zerrte mich unangenehm nach hinten und der grüne Rock war so ausladend, dass ich den Boden nicht mehr sehen konnte. Dafür war das goldene Oberteil so steif und enganliegend, dass mir wahrscheinlich schnell die Luft ausgehen würde. Alles in allem hätte ich mich nicht unwohler fühlen können und ich schluckte mühsam, um die Fassung zu bewahren. Ich würde ganz sicher nicht wegen eines Kleides anfangen zu weinen! In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als zurück in meinem Zimmer zu sein oder mit Tariel und Anrile einen Tee zu trinken.

Schnell schob ich diese Gedanken weg. In die hinterste Ecke meines Bewusstseins, verbot ihnen sich festzusetzen wie Unkraut. Anrile würde mir nie verzeihen, wenn ich die Fassung verlöre. Und ich mir auch nicht.

»Ich bin so weit«, sagte ich etwas gepresst und die Dienerinnen halfen mir dabei, die ersten Schritte zu tun, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Auch wenn ich mich dann doch schnell an das Gewicht und den Umfang des Kleides gewöhnte, war der Abend bestenfalls als unangenehm und schlimmstenfalls als kaum erträglich zu bezeichnen. Ich wusste nicht einmal, woran es lag. Aber die vielen Augenpaare, die auf mich gerichtet waren, trugen wohl den größten Teil dazu bei. All die fremden Blicke, die jede meiner Bewegungen zu registrieren schienen, die jeden Zentimeter meines Körpers abtasteten und mich dazu zwingen wollten, sie zu erwidern, fühlten sich an wie tausend Nadelstiche. Ich wollte es den Ewigen wirklich nicht übelnehmen. Natürlich waren sie an diesem fremden Menschenmädchen interessiert und anders als in meinem Dorf kannte mich hier niemand. Aber an diesem Abend hasste ich jeden einzelnen von ihnen dafür und fürchtete gleichzeitig, sie alle zu enttäuschen.

Der erste Abschnitt in diesem neuen Leben war alles andere als schön.