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Elisabeth - zwischen Sehnsucht, Verlust und der Kraft der Liebe. Elisabeth wächst behütet bei ihrem Onkel Maximilian auf, doch das Leben führt sie auf eigene, oft steinige Wege. Zwischen den Alpen, dem Gardasee und den Straßen Kölns sucht sie nach Freiheit, Geborgenheit und dem Mut, ihrem Herzen zu folgen. Prägende Begegnungen, eine Liebe, die sie nie loslässt, und familiäre Erwartungen stellen Elisabeth immer wieder auf die Probe. Während sie heranwächst, erlebt sie Höhen und Tiefen, die sie an ihre Grenzen bringen - und ihr zugleich zeigen, wie stark sie wirklich ist. Ein bewegender Coming-of-Age-Roman über Selbstbestimmung, Familie und die Hoffnung, dass wahre Liebe jede Zeit überdauert. Wird Elisabeth den Mut finden, ihr eigenes Glück zu wählen?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher über 110 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Eine große Liebe beeinflusst das Leben von Elisabeth, die von ihrem Onkel Maximilian großgezogen und liebevoll betreut wird. Er hat große berufliche Pläne für seine Nichte, aber das Leben geht seine eigenen Wege. Große Höhen und Tiefen mit vielen Problemen, besonders auch in den Partnerschaften zeigen in Elisabeths Leben schicksalhafte Entwicklungen. Doch es gibt nicht nur schwere Stunden und Prüfungen, sondern auch ein ganz besonderes Glück, das Elisabeths Lebensweg erfüllende Momente bringt. Und die große Liebe?
1. Kapitel: Ankunft am Gardasee
2. Kapitel: Abend im Hotelgarten
3. Kapitel: Fahrt ins Mühlwalder Tal
4. Kapitel: Ein Tag in den Bergen
5. Kapitel: Begegnung im Gastraum
6. Kapitel: Heimliche Blicke
7. Kapitel: Ein Zettel und ein Handkuss
8. Kapitel: Liebestrunken
9. Kapitel: Die Sommernacht
10. Kapitel: Heimreise
11. Kapitel: Nördlingen und eine kleine Botschaft
12. Kapitel: Rückkehr und warme Heimkehr
13. Kapitel: Alltag und eine Postkarte
14. Kapitel: Briefe, Herzen und Sprache
15. Kapitel: Briefe, Geschenke und ein Stern
16. Kapitel: Der Winter ohne Briefe
17. Kapitel: Das Wunder nach Ostern
18. Kapitel: Reise ins Land der Hoffnung
19. Kapitel: Wiedersehen in Bruneck
20. Kapitel: Heimliche Stunden
21. Kapitel: Zweifel im Herzen
22. Kapitel Tanzende Schatten
23. Kapitel: Entscheidung im Schatten
24. Kapitel: Die stumme Postkarte
25. Kapitel: Der Zug ins Ungewisse
26. Kapitel: Neue Wege, alte Schatten
27. Kapitel: Suchende Herzen
28. Kapitel: Begegnung im Eiscafé
29. Kapitel: Zwischen Herz und Pflicht
30. Kapitel: Ein Schlag ins Herz
31. Kapitel Die Schatten im eigenen Haus
32. Kapitel Ein Ja im Sturm
33. Kapitel: Ein Glas auf die Zukunft
34. Kapitel: Ein Gespräch bei Tante Margrit
35. Kapitel: Tante Brigitte
36. Kapitel: Ein Abend bei Tante Brigitte
37. Kapitel: In Bernhards Armen
38. Kapitel: Ein schwarzer Riss
39. Kapitel: Trauerzeit
40. Kapitel: Zwischen Stillstand und Neubeginn
41. Kapitel Ein Abend bei Tante Brigitte
42. Kapitel Ein neues Leben beginnt
43. Kapitel Die Freude des neuen Lebens
44. Kapitel Die ersten Bewegungen
45. Kapitel Hochzeit und bittere Freude
46 Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel 1969 Nach der Geburt
49. Kapitel
50. Kapitel April 1969 in Köln und Bruneck.
51. Kapitel 1970
51. Kapitel
52. Kapitel
53. Kapitel
54. Kapitel
55. Kapitel
56. Kapitel
57. Kapitel
58. Kapitel
59. Kapitel
60. Kapitel
61. Kapitel
62. Kapitel
63. Kapitel
64. Kapitel
65. Kapitel
66. Kapitel
67. Kapitel
68. Kapitel
69. Kapitel
70. Kapitel
71. Kapitel
72. Kapitel
73. Kapitel
74. Kapitel
75. Kapitel
76. Kapitel
77. Kapitel
78. Kapitel
79. Kapitel
80. Kapitel
81. Kapitel
82. Kapitel
83. Kapitel
84. Kapitel
85. Kapitel
86. Kapitel
87. Kapitel
88. Kapitel
89. Kapitel
90. Kapitel
91. Kapitel
92. Kapitel
93. Kapitel
94. Kapitel
95. Kapitel
96. Kapitel
97. Kapitel
98. Kapitel
99. Kapitel
100. Kapitel
101. Kapitel
102. Kapitel
103. Kapitel
104. Kapitel 93
105. Kapitel
106. Kapitel
107. Kapitel
108. Kapitel
109. Kapitel
110. Kapitel
111. Kapitel
112. Kapitel
113. Kapitel
114. Kapitel
115. Kapitel
116. Kapitel
117. Kapitel
118. Kapitel
119. Kapitel
120. Kapitel
121. Kapitel
122. Kapitel
123. Kapitel
224. Kapitel
225. Kapitel
225. Kapitel
226. Kapitel
227. Kapitel
227. Kapitel
228. Kapitel
229. Kapitel
220. Kapitel
221. Kapitel
222. Kapitel
223. Kapitel
224. Kapitel
225. Kapitel
Nachsatz
Das Auto hatte sich in langen Kurven durch die Alpen gewunden, und als es endlich aus dem dunklen Tunnel trat, öffnete sich vor Elisabeths Augen eine neue Welt. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie den Gardasee. Das Wasser lag in hellem Blau und schimmerte im Sonnenlicht wie ein kostbarer Spiegel. Die Berge im Hintergrund wirkten fast unwirklich, so hoch, so klar, so anders als die vertrauten Hügel in der Heimat.
„Da schau, Kind“, sagte Onkel Maximilian, während er seine Schirmmütze zurechtrückte und den Arm auf die Lehne stützte. „Das ist der größte See Italiens. Schon Goethe hat sich über diese Landschaft geäußert. Man muss die Dinge nicht nur sehen, man muss sie verstehen.“
Elisabeth nickte gehorsam. Sie hatte gelernt, bei solchen Erklärungen ihres Onkels aufmerksam zu wirken, auch wenn sie die Worte manchmal kaum greifen konnte. Ihr Blick wanderte längst wieder nach draußen, wo ein kleiner Hund am Ufer entlanglief, die Ohren im Wind flatternd. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Maximilian bemerkte es. „Hunde sind Verantwortung, Elisabeth“, brummte er. „Und Verantwortung kann man erst tragen, wenn man erwachsen ist. Du wirst Ärztin, da bleibt keine Zeit für solche Ablenkungen.“
Die junge Frau schwieg. So war es immer: Seine Pläne für sie standen wie in Stein gemeißelt. Doch heute, hier in Italien, klang seine Stimme ein wenig weniger streng als sonst.
Am Nachmittag führte er sie in ein Café an der Uferpromenade von Desenzano. Der Kellner brachte zwei große Gläser mit Eis, garniert mit bunten Früchten. Elisabeth betrachtete die Komposition wie ein Kunstwerk. Zu Hause hätte es höchstens ein Stück Schokolade gegeben, wenn sie brav gewesen war. Nun aber saß sie hier mit einem Glas voller Vanille und Erdbeeren, und Onkel Maximilian schien sogar ein wenig stolz, so etwas bestellt zu haben.
„Merke dir, Elisabeth“, sagte er und deutete mit dem Löffel auf das Glas, „das ist eine Ausnahme. Reisen soll bilden, und dazu gehören auch Eindrücke des Geschmacks. Aber verschwenderisch darf man nie werden.“
Sie nickte wieder, doch diesmal lächelte sie offen. Der See glitzerte, Möwen kreischten, und irgendwo klang Musik.
Später am Abend gönnte sich Maximilian noch ein weiteres Wagnis: eine Bootsfahrt über den See. Er stand am Bug, aufrecht und würdevoll, und erklärte mit seiner sonoren Stimme die Orte, die sie passierten – die Festung von Sirmione, die Weinberge am Ufer, die Olivenhaine, die sich an die Hänge schmiegten.
Elisabeth lauschte, doch sie sog mehr die Bilder in sich auf als die Worte. Ein Schwan glitt an ihnen vorbei, und sie beugte sich weit über die Reling, um ihn besser zu sehen. Ihr Herz schlug schneller, nicht vor Angst, sondern vor Freude.
Maximilian legte ihr die Hand auf die Schulter. „Kind, pass auf. Das Wasser ist tückisch.“ Seine Stimme war mahnend, doch nicht scharf. Fast klang es fürsorglich.
In diesem Augenblick begriff Elisabeth, dass diese Reise etwas Besonderes war. Nicht nur wegen der Landschaft, nicht nur wegen des Eises oder der Bootsfahrt. Sondern weil Onkel Maximilian, so streng er auch war, hier am Gardasee für einen Augenblick weniger ernst erschien. Und weil sie zum ersten Mal spürte, dass die Welt größer war als die engen Räume daheim.
*
Die Sonne war schon hinter den Bergen versunken, doch der Himmel glühte noch in warmen Farben, ein weiches Rosa, das langsam ins Violett überging. Der Gardasee lag still, nur hin und wieder kräuselte ein leichter Wind die Oberfläche, als atmete das Wasser tief und ruhig ein und aus.
Elisabeth und Onkel Maximilian saßen im Garten des kleinen Hotels, das sie für die ersten Tage gewählt hatten. Der Duft von Jasmin lag in der Luft, und irgendwo zirpte eine Grille. Auf den Tischen standen noch leere Gläser von den anderen Gästen, und eine einzelne Kerze flackerte im Abendwind.
„Es war ein schöner Tag, Onkel“, sagte Elisabeth leise, beinahe zaghaft. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, als müsse sie sich selbst daran hindern, die Freude allzu offen zu zeigen.
Maximilian nickte ernst. „Das war er, Kind. Reisen bildet – und ich freue mich, dass du aufmerksam warst. Du hast gesehen, wie die Menschen hier leben, wie sie ihre Felder bestellen, wie sehr sie auf die Natur achten. Daraus kannst du lernen.“
Sie nickte, und doch regte sich in ihr ein kleines, ungestümes Gefühl. Heute, am See, mit den bunten Booten und den fröhlichen Stimmen, hatte sie für einen Augenblick etwas anderes gespürt: den Wunsch nach Freiheit, nach einem Leben, das nicht in Vorschriften gefasst war.
„Onkel …?“ begann sie zögerlich.
„Ja, Elisabeth?“
Sie holte tief Luft. „Manchmal denke ich, ich würde so gern Schauspielerin werden.“
Er sah sie lange an, und in seinem Blick lag weder Spott noch Zorn, sondern etwas wie stille Sorge. Schließlich räusperte er sich. „Schauspielerin, Kind? Weißt du überhaupt, was das heißt? Das ist ein Beruf ohne Sicherheit, ohne Halt. Man lebt von Rollen, die einem gegeben oder wieder genommen werden. Und die Menschen – nun ja – in diesem Milieu kann man leicht unter die Räder geraten. Es gibt Versuchungen, es gibt Unsicherheiten. Eine junge Frau wie du … das wäre ein gefährlicher Weg.“
Elisabeth senkte den Kopf. Ihre Finger spielten mit dem Saum ihres Kleides. Sie hatte es gewusst, sie hatte diese Antwort erwartet, und doch tat es ein wenig weh, die eigenen Träume so nüchtern zurückgewiesen zu hören.
Maximilian legte ihr sanft die Hand auf den Arm. „Kind, versteh mich richtig. Ich meine es nicht böse. Ich möchte nur, dass du sicher bist, dass du einen festen Platz im Leben hast. Ein Beruf, der geachtet ist. Als Ärztin wirst du gebraucht, überall. Du wirst helfen können, heilen. Das ist doch ein schönes Ziel.“
Sie nickte. „Ja, Onkel.“
Er lächelte – ein kleines, seltenes Lächeln, das sein Gesicht weicher machte. „Gut. Dann wollen wir den Tag beschließen. Geh nun schlafen, morgen gibt es wieder viel zu sehen.“
Elisabeth erhob sich, verabschiedete sich leise und ging über die Kieswege des Gartens ins Haus. Oben im Zimmer setzte sie sich noch einmal ans Fenster. Die Nacht war mild, und der See glitzerte im Mondlicht. Sie dachte an den Schwan vom Nachmittag, an das Eis im Café, an die Bootsfahrt, an den Hund am Ufer – und schließlich auch an ihr Gespräch mit Onkel Maximilian.
Ja, ihr Traum war wohl nur ein Traum geblieben. Aber dieser Tag, so still er nun auch endete, war ein Tag, der in ihrem Herzen leuchten würde.
*
Es war das Jahr 1964, und die Straßen durch die Alpen waren noch nicht so stark befahren wie heute. Onkel Maximilian lenkte sein dunkelgrünes Opel Rekord Coupé mit ernster Miene, beide Hände fest am Lenkrad. Der Wagen brummte verlässlich, und manchmal, wenn die Straße frei war, drückte er das Gaspedal durch, als wollte er sich und Elisabeth beweisen, dass er noch längst nicht zum alten Eisen gehörte.
„Ein Mann muss wissen, wie man ein Auto beherrscht“, sagte er, während Elisabeth sich am Griff über der Tür festhielt. Sie nickte pflichtbewusst, auch wenn ihr Herz manchmal schneller schlug, wenn die Landschaft am Fenster vorbeiflog. Doch als sich die Straße zu schlängeln begann, wurde Maximilian langsamer. Vorsichtig führte er den Wagen die engen Kurven hinauf, wo Felswände und Abgründe wechselten, und die Luft mit jedem Kilometer kühler, klarer wurde.
Nach einigen Stunden Fahrt erreichten sie das Mühlwalder Tal bei Bruneck. Die Sonne stand golden über den Gipfeln, und der kleine Ort Mühlwald wirkte, als sei er einem Bild entsprungen. Auf einer Kuppe lag das Dorf, umgeben von grünen Wiesen, die im Licht fast leuchteten. Dichte Nadelwälder rahmten die Hänge, und aus der Mitte des Ortes ragte der schlanke Kirchturm mit seinem spitzen roten Dach, als wollte er den Himmel berühren.
Elisabeth drückte die Stirn ans Seitenfenster. „Oh, Onkel …“ flüsterte sie, doch weiter brachte sie es nicht.
Maximilian bremste langsam ab, lenkte den Wagen auf den Kiesplatz vor dem kleinen Gasthof, den er für zwei Nächte reserviert hatte, und stellte den Motor ab. Es wurde still. Nur das Ticken des abkühlenden Motors war zu hören und das ferne Läuten einer Glocke vom Kirchturm.
„So, Kind.“ Er öffnete die Tür und stieg aus. „Hier also werden wir für eine kurze Zeit bleiben. Frische Luft, gute Kost und gesunde Bewegung. Das wird dir guttun.“
Elisabeth folgte ihm und atmete tief ein. Der Duft der Bergwiesen, das Harzige der Tannen, die reine, kühle Luft – all das war so anders als zu Hause. Sie schloss die Augen, ließ die Sonne auf ihrem Gesicht tanzen und spürte zum ersten Mal auf dieser Reise etwas wie ein leichtes Schwindeln vor Glück.
„Es ist wunderschön“, sagte sie leise, fast andächtig.
Maximilian nickte, zufrieden mit ihrer Reaktion. „Ja. Die Berge lehren Demut, Elisabeth. Wer sie liebt, der weiß, wie klein der Mensch ist – und wie groß die Schöpfung.“
Sie blickte auf das Panorama vor sich: schneebedeckte Gipfel in der Ferne, grüne Almen, die sich hinaufzogen, als würden sie in den Himmel führen. Es war wie ein Bild, das lebendig geworden war. Und während ihr Onkel bereits das Gepäck aus dem Wagen hob, stand Elisabeth noch da, ließ die Landschaft in sich hineinströmen und dachte: So fühlt sich Freiheit an.
*
Am nächsten Morgen weckte sie das helle Läuten der Kirchenglocke und das ferne Rufen eines Hahns. Die Luft, die durchs geöffnete Fenster hereinströmte, war frisch und klar, erfüllt vom Duft nach feuchten Wiesen und harzigem Holz. Elisabeth fühlte sich leicht, beinahe wie neugeboren.
Nach dem Frühstück schnürten Onkel Maximilian und sie ihre festen Schuhe, und bald führte er sie auf einen schmalen Pfad, der sich durch die grünen Hänge hinaufzog. Die Sonne stand hoch am Himmel, goldene Strahlen fielen durch die Zweige der Fichten, und das Rauschen eines Bergbaches begleitete ihre Schritte.
Elisabeth blieb immer wieder stehen. Sie beugte sich zu einer Blume, strich mit den Fingern über ein Moospolster, lauschte dem Summen der Bienen. Alles war für sie wie ein großes Wunder. Sie sog den Duft, die Farben, die Geräusche in sich auf, als wollte sie sich dieses Erlebnis für immer bewahren.
„Siehst du, Kind“, begann Maximilian, als sie eine kleine Anhöhe erreichten, von der aus die Gipfel im Sonnenlicht glänzten, „diese Berge hier sind sehr alt. Die Alpen entstanden durch gewaltige Kräfte der Erde, durch das Aufeinandertreffen der Kontinentalplatten. Und dort drüben –“ er wies mit seinem Stock nach Osten, „– dort beginnen die Dolomiten. Sie bestehen aus einem besonderen Gestein, Dolomit, benannt nach einem französischen Geologen. Einst war hier ein Urmeer. Stell dir vor, Elisabeth: Wo wir jetzt gehen, schwammen vor Millionen Jahren Fische.“
Elisabeth nickte, und diesmal empfand sie seine Worte nicht als Last. In dieser Landschaft klangen sie nicht streng, sondern wie eine Erweiterung des Zaubers, der sie ohnehin umgab. Die Vorstellung, dass diese Felsen einst Meeresgrund gewesen waren, erfüllte sie mit Staunen.
Sie lächelte. „Es ist, als hätten die Berge selbst eine Geschichte, Onkel.“
Er sah sie prüfend an, und in seinen Augen blitzte für einen Augenblick etwas Warmes auf. „Ganz recht. Und wer Geschichte versteht, der versteht auch sich selbst besser.“
Weiter wanderten sie, vorbei an einer Almwiese, auf der Kühe mit schweren Glocken friedlich grasten. Das Läuten mischte sich mit dem Murmeln des Baches, und als Elisabeth eine Hand nach einem Kälbchen ausstreckte, ließ Maximilian sie gewähren, ohne sie zurechtzuweisen.
Stunden vergingen, und beide fühlten sich gestärkt von der frischen Luft. Maximilian sprach über Gesteine, über Gletscher, über Pflanzen, und Elisabeth lauschte, doch zugleich war sie mit ihrem ganzen Herzen bei den Farben, den Gerüchen, dem sanften Wind auf ihrer Haut.
Als sie schließlich auf einer Bank am Waldrand rasteten, legte Elisabeth den Kopf zurück und schloss die Augen. „Onkel, ich glaube, so glücklich habe ich mich noch nie gefühlt.“
Er schwieg einen Moment, dann legte er seine Hand auf den Knauf des Stocks und nickte. „Es ist gut, dass du Freude daran hast, Kind. Freude ist ein seltener Schatz.“
Und so saßen sie da, nebeneinander, jeder auf seine Weise von den Bergen berührt – er durch Wissen und Ernst, sie durch Staunen und Empfindung – und doch verbunden im gleichen stillen Glück.
*
Der Tag war lang gewesen, und während Onkel Maximilian sich nach dem Abendessen in sein Zimmer zurückzog, um die müden Glieder auszuruhen, spürte Elisabeth eine unruhige Sehnsucht in sich. Sie nahm ihren kleinen Zeichenblock, den sie seit Beginn der Reise bei sich trug, und setzte sich an einen Tisch im Gastraum des Gasthofs.
Draußen dämmerte es schon, und durch die offenen Fenster drang das Läuten der Kuhglocken und der ferne Klang eines Baches herein. Die Luft roch nach Holz, nach Suppe und nach dem Rauch, der aus dem Kamin aufstieg. Es war still, nur ein paar vereinzelte Stimmen klangen aus der Küche.
Elisabeth schlug den Block auf und begann zu zeichnen. Zuerst vorsichtig, dann mit wachsender Sicherheit skizzierte sie die Berge, wie sie sie am Tage gesehen hatte – die klaren Linien der Gipfel, das sanfte Fallen der Almen, den Kirchturm des Dorfes. Ihre Finger bewegten sich fast von allein, als wollte die Erinnerung den Stift führen.
Plötzlich jedoch durchfuhr sie ein seltsames Gefühl. Sie spürte, dass sie beobachtet wurde. Langsam hob sie den Kopf – und da stand er.
In der Tür zum Gastraum lehnte ein junger Mann. Er trug die schwarze Uniform der Carabinieri, das dunkle Tuch eng anliegend, die Mütze im rechten Winkel. Sein Gesicht war klar geschnitten, ernst, beinahe streng – und doch so schön, dass Elisabeth der Atem stockte. Dunkle Augen blickten unverwandt in ihre Richtung, und es war, als hielten sie sie fest, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung.
Sie erschrak über die eigene Regung. Hastig senkte sie den Blick, tat so, als sei sie ganz in ihre Zeichnung vertieft. Wenn ich nur lange genug auf mein Papier schaue, dachte sie, dann ist er bestimmt verschwunden. Doch sie spürte, dass er immer noch da war, spürte den brennenden Blick auf ihrer Haut.
Vorsichtig, fast wider ihren Willen, hob sie die Augen ein zweites Mal. Er war nicht verschwunden. Er stand noch immer dort, unbewegt, die Arme an den Seiten, und sah sie an – so ernst, so tief, als ginge es um sein Leben.
Etwas geschah in ihr, etwas, das sie nie zuvor empfunden hatte. Für einen Augenblick war es, als schaute sie nicht in fremde Augen, sondern in einen Spiegel ihrer Seele. Ein Erkennen, ein Wiederfinden, ohne dass sie hätte sagen können, woher.
Elisabeths Herz schlug schneller. Sie fühlte sich erschüttert, ja überwältigt – und zugleich von einem neuen, seltsamen Glück erfüllt. Doch im selben Moment erinnerte sie sich an Onkel Maximilian, an seine ernsten Worte, an seine Strenge. Rasch senkte sie den Blick, zwang ihre Augen, auf den Zeichenblock gerichtet zu bleiben. Der Stift zitterte in ihrer Hand.
So verharrte sie, bis Schritte hinter ihr erklangen. Maximilian trat ein, gerade und aufrecht, mit dem Stock in der Hand. Er nickte ihr knapp zu und wählte einen Tisch, als sei alles wie immer. Elisabeth erhob sich sofort, legte den Zeichenblock zur Seite und setzte sich zu ihm.
Der Carabiniere war noch immer da. Doch Elisabeth wagte es nicht, den Kopf zu heben. Sie spürte seinen Blick, so lange, bis sie die Gabel in die Hand nahm und Maximilians ruhige Stimme den Gastraum erfüllte. Erst dann wurde sie sich bewusst, dass der junge Mann verschwunden war – oder vielleicht auch nicht.
In ihrem Herzen aber war er geblieben. *
Der Nachmittag verlief stiller als der Tag zuvor. Maximilian war müde, das Gehen in der Höhenluft hatte ihn angestrengt. So schlenderten sie beide nur ein wenig um das Hotel herum, setzten sich schließlich auf eine Bank, von der aus man die dunklen Wälder und den silbernen Bach im Tal sehen konnte.
Die Sonne schien warm, doch die Luft war klar und frisch, und hoch über ihnen zogen Vögel ihre Kreise. Maximilian hob den Stock und zeigte hinauf. „Siehst du dort, Elisabeth? Ein Wanderfalke. Der schnellste aller Vögel. Er stürzt sich mit einer Geschwindigkeit hinab, die kaum zu glauben ist. Fast zweihundert Stundenkilometer, so hat man gemessen. Ein wahrer Meister der Lüfte.“
Elisabeth folgte seinem Blick. Das Tier glitt in weiten Bögen durch den Himmel, majestätisch und frei. Ihr Herz zog sich zusammen vor Sehnsucht, als könnte sie mitfliegen, hinaus aus aller Enge, hinein in die Weite.
„Die Natur lehrt uns vieles, Kind“, fuhr Maximilian fort, „und vor allem, dass Stärke nicht nur im Körper liegt, sondern auch in der Haltung. Man darf sich nicht treiben lassen.“
Sie nickte, auch wenn ihre Gedanken schon wieder abglitten – nicht zum Falken, sondern zu dem Gesicht, das sie im Gastraum gesehen hatte. Diese dunklen Augen, die sie durchdrungen hatten, ließen sie nicht mehr los.
Am Abend bestand Maximilian nur auf einer Suppe und einem kleinen Imbiss. „Man muss dem Körper Zeit geben, sich an das Klima zu gewöhnen“, erklärte er, und Elisabeth nickte gehorsam. Doch während sie am Tisch saß, klopfte ihr Herz unruhig. Sie dachte an den Carabiniere, fragte sich, ob er wiederkommen würde, ob er noch einmal an der Tür stehen würde wie gestern.
Die Mahlzeit war fast beendet, als sie plötzlich dieses unsichtbare Ziehen spürte – eine Gewissheit, dass jemand sie beobachtete. Sie wagte nicht aufzuschauen, nicht, solange Maximilian so ruhig mit dem Löffel in seiner Suppe rührte. Doch das Herz schlug so heftig, dass es ihr schwerfiel, gerade zu sitzen.
Endlich hob sie, zögernd, den Blick. Da stand er. In der Tür, unbeweglich, dieselbe schwarze Uniform, dieselben ernsten Augen. Sie fingen sie ein, so unvermittelt, so unwiderstehlich, dass es Elisabeth den Atem nahm.
Es war, als öffnete sich ein Tor in eine andere Welt. Sie sah hinein – und verlor sich.
Eilig senkte sie die Augen wieder, als habe sie sich verbrannt. Der Teller vor ihr verschwamm. Sie wagte nicht, noch einmal hinzusehen. Ihre Hände lagen still auf dem Schoß, während Maximilian sein Brot brach und aß, ohne etwas zu bemerken.
So endete das Mahl. Erst als Maximilian den Löffel niederlegte und leise sagte: „Genug für heute“, wagte Elisabeth zu atmen, als sei sie erlöst – und zugleich beraubt, weil sie diesen Blick abgebrochen hatte.
Doch tief in ihrem Inneren glomm der Gedanke daran weiter, wie ein heimliches Feuer.
*
Nachdem sie Onkel Maximilian in sein Zimmer begleitet hatte, wünschte Elisabeth ihm eine gute Nacht. Er lächelte müde, klopfte ihr fast väterlich auf die Schulter und bat: „Kind, bring mir bitte noch eine Flasche Wasser aus dem Gastraum.“
Elisabeths Herz machte einen Sprung. Sie nickte brav, doch in ihr jubelte es. Das ist die Gelegenheit.
Leichtfüßig, fast schwebend, stieg sie die Treppe hinunter. Und da – im Halbdunkel des Flures, vor der Tür zum Gastraum – stand er. Aufrecht, ernst, als habe er auf sie gewartet.
Ihre Knie wurden weich.
„Signorina …“ Seine Stimme war leise, dunkel, fast feierlich. Der Blick aus seinen Augen brannte sich in sie hinein. Es war nicht die Leichtigkeit eines zufälligen Flirts, nein – es war, als hinge sein Leben von diesem Augenblick ab. Und in diesem Ernst entdeckte sie zugleich das Feuer seines Herzens, so tief, so intensiv, dass sie glaubte, daran zu verglühen.
„Wie heißen Sie?“ fragte er stockend, mit hörbar fremden Worten, die er mühsam auf Deutsch formte.
„Elisabeth“, antwortete sie, und ihr Herz hämmerte in den Schläfen.
„Adresse? Telefon?“ Seine Stirn war ernst, sein Blick unverwandt. Ein seltsamer erster Wunsch, und doch spürte Elisabeth, dass es genau das war, was auch sie wollte: festhalten, bewahren, verhindern, dass dieses Wunder gleich wieder entglitt.
Sie schrieb hastig ihren Namen und die Daten auf einen kleinen Zettel aus ihrem Block. Er tat es ebenso, gab ihr seinen Namen – Roberto – und seine Adresse. Nun hielten beide das Versprechen in der Hand, das sie verband, zart und mächtig zugleich.
Dann nahm er ihre Hand. Zögerlich, ehrfürchtig, führte er sie zu seinen Lippen. Ein Kuss, so sanft, dass er kaum spürbar war – und doch durchzuckte Elisabeths ganzer Körper. Er berührte mit einem Hauch die Oberfläche ihrer Hand, und es war, als habe jemand ein unsichtbares Siegel gesetzt, ein magisches Signal.
Elisabeth zog die Hand erschrocken, glückstrunken zurück, murmelte etwas Unverständliches und eilte die Treppe hinauf. Oben auf dem Absatz blieb sie stehen, das Herz im Sturm, die Wangen brennend. Das Wasser!
Hastig kehrte sie zurück. Doch der Flur war leer. Roberto war verschwunden, fort in die Nacht, zu seinem Dienst.
So holte sie die Flasche Wasser, trug sie empor, überreichte sie dem Onkel, der nichts ahnte, und wünschte ihm eine gute Nacht. Dann glitt sie wie eine Schlafwandlerin in ihr eigenes Zimmer.
Dort aber fand sie keinen Schlaf. Sie ging auf und ab, hielt immer wieder ihre Hand an die Nase, sog den zarten Duft ein, den er hinterlassen hatte. Es war, als sei er noch hier, ganz nah.
Und Elisabeth wusste, ohne dass ein Zweifel in ihr blieb: Dieser Mann, dieser Roberto, war die Liebe ihres Lebens.
*
In ihrem Zimmer hatte Elisabeth das Gefühl, im wahrsten Sinne den Kopf verloren zu haben. Kein klarer Gedanke war ihr mehr möglich, sie fühlte sich nur noch von einem einzigen, überwältigenden Glück erfüllt. Ja, sie war schon einmal verliebt gewesen – in den stillen Klassenkameraden, der sie beim Schulfest zum Tanzen gebeten hatte, oder in den blonden Jungen aus der Jugendgruppe, der ihr ein Gedicht vorgelesen hatte. Es hatte sogar einen ersten Kuss gegeben, zart, flüchtig, auf die Lippen. Doch all das war nun wie ferne Schatten.
Was sie jetzt empfand, war wie ein Sturzbach, ein Wasserfall, der Herz, Seele und Körper zugleich ergriff. Es gab kaum ein Wort dafür – vielleicht dieses alte, halb vergessene: liebestrunken.
Lange noch blieb sie wach, lauschte dem wilden Pochen ihres Herzens, legte immer wieder die Hand an ihre Brust, als könne sie es damit beruhigen. Doch es war kein unruhiger Schmerz, es war Glück, reines, betäubendes Glück.
Erst gegen Mitternacht sank sie ins Bett – und obwohl sie traumlos schlief, erwachte sie früh, als draußen die Hähne krähend die Nacht verjagten. Kein Anflug von Müdigkeit lag in ihr. Im Gegenteil: Sie sprang aus den Kissen wie elektrisiert, als sei die Welt neu geworden.
Die Welt war neu geworden. Seit gestern Abend. Seit Roberto.
Beim Frühstück mit Onkel Maximilian lächelte sie still vor sich hin, während sie Brot und Marmelade aß. Der Onkel jedoch wirkte blass und müde. Er legte den Löffel zur Seite und seufzte tief. „Kind, ich fürchte, ich muss vernünftig sein. Ich ruhe mich heute noch aus, und morgen fahren wir heim. Meine Behandlungen, die Arzttermine … ich darf das nicht aufschieben.“
Elisabeths Herz stockte. Morgen schon? So schnell sollte alles vorbei sein? Ihr war, als hätte jemand die Luft aus dem Raum gezogen.
Doch etwas später kam ihr der rettende Gedanke: Heute gab es ja noch den Abend. Roberto hatte gesagt, er wolle sie sehen. Und dieser Abend blieb ihr, wie ein letzter, kostbarer Schatz.
Den ganzen Tag begleitete sie der Gedanke, wie sie es anstellen könnte, dem Onkel für einen Moment zu entkommen. Immer wieder sah sie Maximilian an, der im Sessel döste, ein Buch in den Händen, die Augen schwer. Vielleicht würde sie ihm sagen, sie wolle noch ein wenig frische Luft schnappen. Vielleicht konnte sie den Abendspaziergang als Vorwand nehmen.
Während sie über die Wiesen schauten, Vögel über die Dächer zogen und die Sonne sich neigte, spann Elisabeth ihre Gedanken hin und her. Ihr Herz klopfte, sobald sie daran dachte, dass irgendwo in der Nähe Roberto sein konnte, vielleicht schon wartete.
Ja – sie musste es schaffen. Dieser Abend durfte nicht verloren gehen.
*
Den ganzen Tag über, auch beim Abendessen, hatte Elisabeth Roberto nicht gesehen. Immer wieder fragte sie sich, ob er einen anderen Dienst angetreten hatte, ob er verhindert war, oder ob er einfach nicht kommen würde. Ihr Herz klopfte ängstlich, jeder Gedanke brachte eine neue Sorge, ein neues Hoffen.
Nach dem Abendessen schlug Onkel Maximilian noch einen kleinen Spaziergang durch das Dorf vor. Elisabeth folgte ihm schweigend, suchte in den Gassen und auf den Plätzen nach dem vertrauten Gesicht – doch Roberto blieb unsichtbar.
„Morgen geht es heim“, sagte Maximilian, als sie zurückkehrten. „Ich nehme mir eine Flasche Wasser mit aufs Zimmer. Gute Nacht, mein Kind.“
Elisabeth begleitete ihn nach oben, wünschte ihm gute Ruhe. Doch Maximilian fragte noch: „Und du, was tust du jetzt? Willst du noch zeichnen?“
Sie wollte ihn nicht anlügen, nicht ganz. „Ich möchte noch einmal von den Bergen Abschied nehmen, Onkel. Morgen fahren wir ja …“
„Es ist schon dunkel, mein liebes Kind“, entgegnete er streng, doch nicht unfreundlich. „Nur zehn Minuten. Und dann klopfe an meine Tür, damit ich weiß, dass du wieder gut hier bist.“
Elisabeth seufzte innerlich, doch in ihrem Herzen betete sie nur, dass ihr diese zehn Minuten geschenkt würden.
Sie eilte die Treppe hinunter – und da stand er schon. Roberto. Sein sehnsüchtiger Blick sagte ihr mehr als Worte: Er hatte auf sie gewartet, so wie sie auf ihn.
Er nahm ihre Hand, und ihre Finger fügten sich ineinander, als seien sie schon immer dafür bestimmt gewesen. Kein Zweifel, kein Zögern – sie spürte es nun ganz deutlich: Untrennbar. Für immer.
Er führte sie hinaus aus dem Hotel, ein paar Schritte die Straße entlang, bis zu einer kleinen Baumgruppe hinter einer Scheune. Drei dunkle Fichten reckten sich dort in den Nachthimmel.
Es war eine Augustnacht, warm und voller Düfte: frisch gemähtes Gras, Heu, die kühle Luft der Berge, das Harz der Fichten. Der Vollmond stand rund am Himmel, die Sterne blinkten, und obgleich die Nächte der Sternschnuppen vorüber waren, hatte Elisabeth das Gefühl, als sei der ganze Himmel noch voller leuchtender Spuren.
Dann nahm Roberto sie in die Arme, fest und doch behutsam, und küsste sie. Es war der Kuss, der alles veränderte – der erste, wahre, große Kuss. Es fühlte sich an wie eine Offenbarung, wie die Besiegelung einer Liebe, die größer war als beide selbst.
Roberto trug noch immer die dunkle Uniform der Carabinieri, und Elisabeth wusste, dass er diese Minuten gestohlen hatte – so wie sie, die ihrem Onkel gesagt hatte, sie wolle nur Abschied nehmen. Doch die Zeit stand still.
Die Nacht mit ihren Düften, der Mond und die Fichten ringsum, all das war nur noch der Rahmen für dieses Glück. Der Kuss war wie das Tor zu einem Paradies, das nur ihnen beiden gehörte.
Schließlich lösten sie sich, atemlos, doch gewiss: Diese Liebe würde niemals enden.
Hand in Hand gingen sie zurück zum Hotel. An der Treppe blieben sie stehen. In Robertos Blick lag all die Sehnsucht, all das unausgesprochene Versprechen. Ein letzter Händedruck, ein Blick, der alles sagte – dann eilte Elisabeth zu Onkel Maximilians Zimmer, und Roberto verschwand zurück in seinen Dienst.
*
Nachdem Elisabeth mit dem festen Glauben an diese Liebe eingeschlafen war – getragen von Hoffnung, von einem stillen inneren Leuchten –, erwachte sie früh am Morgen. Die Koffer waren schnell gepackt, und als sie Seite an Seite mit Onkel Maximilian das Hotel verließ, das Auto beluden und die kühle Morgenluft sie umhüllte, wurde ihr plötzlich das Herz schwer.
Jetzt erst begriff sie ganz: Sie fuhr fort. Fort von Roberto. Fort von jenem Augenblick, der wie Ewigkeit gewesen war. Fort von der Nacht, die ihr Herz verwandelt hatte.
In diesem Augenblick war es ihr, als reiße eine unsichtbare Macht sie mit Gewalt los von ihm, und sie konnte nicht anders – Tränen stiegen ihr in die Augen, liefen heiß über ihre Wangen. Heimlich wischte sie sie fort, wollte stark sein, wollte nicht, dass Maximilian es bemerkte.
Im Auto, während der Onkel den Wagen startete und vorsichtig den ersten Gang einlegte, zog sie ein Taschentuch hervor, rieb sich die Augen trocken, putzte sich die Nase. Was sollte sie sagen, wenn er fragte? Dass sie sich erkältet habe? Dass ihr etwas ins Auge geraten sei?
Doch die Wahrheit war so klar wie bitter: Sie wurde von dem Menschen fortgerissen, zu dem sie gehörte.
Die Straße wand sich bergab, und die Sonne brach golden durch die Gipfel. Elisabeth weinte stumm, die Tränen kamen wieder, ganz von selbst.
