Emotionstraining in der Schule - Franz Petermann - E-Book

Emotionstraining in der Schule E-Book

Franz Petermann

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Beschreibung

Aktuelle Studien belegen, dass Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen einen wesentlichen Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten, wie z.B. Depression und Angststörungen, darstellen. Aus diesem Grund ist eine Stärkung der emotionalen Kompetenz und der Emotionsregulationsfertigkeiten im Rahmen einer schulbasierten Präventionsmaßnahme von großer Bedeutung. Das Emotionstraining zur Förderung der emotionalen Kompetenz wurde speziell für Schülerinnen und Schüler der fünften bis siebten Klassenstufe entwickelt und kann von Lehrkräften, Sozialpädagogen oder Schulpsychologen während der regulären Unterrichtszeit durchgeführt werden. Das Vorgehen dient der gezielten Förderung der Emotionserkennung und -differenzierung, der Förderung der Emotionsregulationsfähigkeiten, besonders in Bezug auf die soziale Interaktion, sowie dem Aufbau von Empathie durch ein verbessertes Emotionsverständnis. Das Trainingsprogramm besteht aus elf Modulen, in denen emotionale Kompetenz auf altersangemessene Weise durch Rollenspiele, Hörbeispiele, Kurzgeschichten und Gruppenarbeiten aufgebaut wird. Ein Transfer auf den Alltag der Jugendlichen wird durch Aufgaben, die zu Hause bearbeitet und im Klassenverband besprochen werden, begünstigt. Das Emotionstraining stellt das bislang einzige in Deutschland verfügbare Präventionsprogramm dar, das gezielt emotionale Kompetenzen im Jugendalter stärkt. Die beiliegende DVD enthält alle Arbeitsmaterialien zur Durchführung des Trainings.

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Franz Petermann

Ulrike Petermann

Dennis Nitkowski

Emotionstraining in der Schule

Ein Programm zur Förderung der emotionalen Kompetenz

Prof. Dr. Franz Petermann, geb. 1953. Seit 1991 Lehrstuhl für Klinische Psychologie und seit 1996 Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation an der Universität Bremen.

Prof. Dr. Ulrike Petermann, geb. 1954. Seit 2007 Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Kinderpsychologie im Studiengang Psychologie der Universität Bremen.

Dr. Dennis Nitkowski, geb. 1977. Seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Klinische Kinderpsychologie der Universität Bremen.

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Tel.: +49 551 999 50 0

Fax: +49 551 999 50 111

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Format: EPUB

Produktion der Audiotracks: Hendrik Schomaker und Rieke Petersen, Bremen

Erstellung der Fotos zum Training: Valeri Schmigel, Ideja Agentur, Bremen

Detektiv- und Smiley-Illustrationen: Julia-Katharina Rißling, Lara Petersen, Bremen

Umschlagabbildung: © Syda Productions – Fotolia.com

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

1. Auflage 2016

© 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2687-7; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2687-8)

ISBN 978-3-8017-2687-4

http://doi.org/10.1026/02687-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

|5|Vorwort

Unsere Bremer Arbeitsgruppe entwickelte und veröffentlichte vor ungefähr 20 Jahren unser erstes schulbasiertes Präventionsprogramm unter dem Titel „Sozialtraining in der Schule“. In den Folgejahren legten wir für alle Altersgruppen Präventionsansätze vor, die sich der Förderung der sozial-emotionalen Kompetenz widmeten. Das Programm für die Schulanfänger wendet sich der 1./2. Grundschulklasse und das Grundschultraining der 3./4. Klasse zu; das erst seit 2010 publizierte Job-Fit-Training ist ab der 8. Klasse bis zur Berufsfindung einsetzbar. Mit dem vorliegenden Programm „Emotionstraining in der Schule“ wollen wir die „Alterslücke“ schließen und für die 5. bis 7. Klasse ein Angebot vorlegen. Das Programm ist für alle Schultypen geeignet (incl. Inklusionsklassen); die inhaltliche Schwerpunktlegung dieses Manuals bezieht sich auf die Förderung der emotionalen Kompetenz.

Das Programm wurde seit Oktober 2013 am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen entwickelt. Die Erprobungen fanden 2014 und die umfassenden Wirksamkeitsstudien 2015 in Niedersachsen und Bremen statt. Die Ergebnisse werden zeitnah im Jahre 2016 veröffentlicht. In diesem Manual wird nur insoweit auf unsere Erfahrungen im Rahmen der praktischen Erprobung des Vorgehens eingegangen, wie sie dem Anwender helfen, unser Manual umzusetzen und schwierige Situationen bei der Umsetzung unseres Vorgehens besser zu meistern.

Das Vorgehen richtet sich in erster Linie an Lehrkräfte, die in 5. bis 7. Klassen unterrichten. Natürlich ist es auch für Schulpsychologinnen bzw. Schulpsychologen, Sozialpädagoginnen bzw. Sozialpädagogen, Klinische Kinderpsychologinnen bzw. Kinderpsychologen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen bzw. -therapeuten möglich, die abgedruckten Materialien (s. auch die beigefügte DVD) in der pädagogischen und therapeutischen Einzelarbeit einzusetzen. Rückmeldungen jeglicher Art zu unserem Vorgehen freuen uns sehr ([email protected]; [email protected]; [email protected]).

Kurz zum thematischen Fokus unseres Vorgehens: Emotionen sind allgegenwärtig. Auch wenn sie fester Bestandteil unseres Lebens sind, können sie uns Probleme bereiten. Emotionen erfordern eine Balance im Leben. Im Laufe des Erwachsenwerdens müssen wir lernen, mit ihnen angemessen umzugehen. Schaffen wir dies nicht gut, können sie uns übermäßig belasten. Daher benötigen wir ein Know-how, um Emotionen gut zu regulieren.

Obwohl Emotionen seit jeher ein Kernthema der Psychologie darstellen, wurden die emotionalen Kompetenzen, insbesondere die Emotionsregulation, erst in den |6|letzten beiden Jahrzehnten intensiv erforscht. Erst allmählich zeichnet sich ab, wie sich emotionale Fähigkeiten entwickeln und welche Bedeutung sie haben. Mittlerweile wissen wir, dass eine gute Regulation von Emotionen für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden wichtig ist. In unserem „Emotionstraining in der Schule“ wollen wir die emotionalen Kompetenzen von Schülern und Schülerinnen stärken. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Verhaltensauffälligkeiten in Folge einer ungünstigen Emotionsregulation auftreten.

Das vorliegende Manual war von Anfang an eine Teamleistung! Als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen übernahmen Dipl.-Psych. Julia Fern, Mirjam Laakmann, M. Sc. Klin. Psych., Rieke Petersen, M. Sc. Klin. Psych. und Laura Marie Spikofsky, B. Sc. Psych. wichtige kreative und Koordinationsarbeiten. Das Projekt wurde von einer großen Anzahl studentischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der praktischen Umsetzung unterstützt. Im Einzelnen waren dies: Stina Bange, Katharina Busch, Jördis Detken, Verena Haskamp, Inken Janßen, Bonnie Lagos Galaz, Juliane Lüders, Amrei Marieke Maack, Charlotte Neuhäuser, Ira-Katharina Peter, Klaudia Pierzyna, Lisa Schramm, Constantin Schulz, Maren Schwarting, Gulmira Urokova und Mari Ines Waltke.

Die Arbeit an diesem Manual wurde in großzügiger Weise von einer deutschen Stiftung gefördert, ohne die eine Entwicklung und Erprobung unseres Programms in so kurzer Zeit nicht gelungen wäre. Die Fotos zum Emotionstraining wurden von der Ideja Agentur, Herrn Schmigel, erstellt, die Aufnahmen zur Kunstsprache Emola von Hendrik Schomaker, M. Sc. Klin. Psych. und Rieke Petersen, M. Sc. Klin. Psych. Für die Aufnahmen der Strategiegesten stellte sich Laura Marie Spikofsky, B. Sc. Psych. zur Verfügung. Wir danken Dr. rer. nat. Julia-Katharina Rißling und Lara Petersen, M. Sc. Biochemie für die Erstellung der Zeichnungen. Den Kindern und Jugendlichen, die uns bei der Erstellung und Erprobung unseres Vorgehens unterstützten, gilt unser besonderer Dank. Den Schulleitungen und Lehrkräften in Niedersachsen und Bremen danken wir für ihr Vertrauen und ihre aktive Beteiligung. Unsere Sekretärin Frau Anja Nöpel schrieb große Teile des Manualentwurfs und half uns als „Gefühlsexpertin“. Frau Dipl.-Psych. Susanne Weidinger war (wie immer) unsere Unterstützerin im Hogrefe Verlag. Allen gilt unser herzlicher Dank!

Bremen, im Juni 2015

Franz Petermann, Ulrike Petermann und

Dennis Nitkowski

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Emotionsregulation bei Schülern: Angst- und Depressionsprävention

1.1 Was ist eine Emotion?

1.1.1 Gefühlsausdruck

1.1.2 Bunt und undurchdringlich? Was Emotionen wollen

1.1.3 Neurophysiologie der Gefühle

1.2 Emotionale Kompetenzen

1.2.1 Emotionsbewusstsein

1.2.2 Emotionsverständnis (Emotionswissen)

1.2.3 Empathie

1.2.4 Emotionsregulation

1.3 Emotionskompetenzdefizite und Verhaltensauffälligkeiten

1.3.1 Angst

1.3.2 Depression

1.4 Das Emotionstraining als Prävention

2 Trainingskonzept

2.1 Methoden

2.1.1 Tonübung

2.1.2 Gefühle neu entdecken: die Methode der „Skelettierung“

2.1.3 Gefühlsquiz

2.2 Aufbau des Emotionstrainings: Ziele, Themen und Vorgehen

2.2.1 Einführungsphase

2.2.2 Arbeitsphase

2.2.3 Reflexionsphase

3 Beschreibung der einzelnen Sitzungen

3.1 Rahmenbedingungen

3.2 Sitzung 1 – Gefühle: Woher sie kommen und was sie bewirken

3.2.1 Theoretischer Hintergrund

3.2.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.2.3 Materialien

3.3 Sitzung 2 – Im Gefühlschaos

3.3.1 Theoretischer Hintergrund

3.3.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.3.3 Materialien

3.4 Sitzung 3 – Versteckte Gefühle aufspüren

3.4.1 Theoretischer Hintergrund

3.4.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.4.3 Materialien

3.5 Sitzung 4 – Welche Gefühlsstrategien gibt es?

3.5.1 Theoretischer Hintergrund

3.5.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.5.3 Materialien

3.6 Sitzung 5 – Jede Gefühlsstrategie hat ihren Nutzen

3.6.1 Theoretischer Hintergrund

3.6.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.6.3 Materialien

3.7 Sitzung 6 – Unangenehme Gedanken und Gefühle

3.7.1 Theoretischer Hintergrund

3.7.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.7.3 Materialien

3.8 Sitzung 7 – Trauer und Enttäuschung annehmen lernen

3.8.1 Theoretischer Hintergrund

3.8.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.8.3 Materialien

3.9 Sitzung 8 – Mit Gefühl geht alles besser

3.9.1 Theoretischer Hintergrund

3.9.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.9.3 Materialien

3.10 Sitzung 9 – Einen Gute-Laune-Plan erstellen – aber wie?

3.10.1 Theoretischer Hintergrund

3.10.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.10.3 Materialien

3.11 Sitzung 10 – Mutig werden – aber wie?

3.11.1 Theoretischer Hintergrund

3.11.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

Reflexion

3.11.3 Materialien

3.12 Sitzung 11 – Gefühlsexperten

3.12.1 Theoretischer Hintergrund

3.12.2 Praktische Umsetzung

Arbeitsphase

3.12.3 Materialien

4 Hinweise zur praktischen Umsetzung des Trainings

4.1 Zur Rolle des Trainers

4.2 Umgang mit kritischen Situationen im Training

4.3 Abschließende Tipps für die praktische Durchführung des Trainings

Literatur

Anhang

Übersicht über die Materialien auf der DVD

Materialien auf DVD

|11|1 Emotionsregulation bei Schülern: Angst- und Depressionsprävention

1.1 Was ist eine Emotion?

Bevor sich mit der Frage beschäftigt werden soll, was unter Emotionsregulation zu verstehen ist, muss geklärt werden, was eine Emotion ausmacht. Eine sehr griffige Definition von Emotionen geben Gerrig und Zimbardo (2008, S. 454): „Eine Emotion ist ein komplexes Muster von körperlichen und mentalen Veränderungen, darunter physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Reaktionen im Verhalten, als Antwort auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wurde.“ Gleich mehrere Bestimmungsstücke werden in der Definition erwähnt, die einer genaueren Erläuterung bedürfen.

Obwohl Emotionen ein psychologisch-physiologisches Phänomen darstellen (Levenson, 1999), werden sie meistens wie ein Objekt behandelt (Frijda, 2008). Dieser Sichtweise folgend, wählen wir als Sinnbild ein Puzzle, um die Erscheinungsformen von Emotionen zu erläutern. Ein Puzzle setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die Ausschnitte eines Gesamtbildes darstellen. Jedem Element kommt eine bestimmte Bedeutung und Position zu. Werden alle Komponenten passend zusammengefügt, ergibt sich ein Gesamtbild: die Emotion.

Im Falle von Emotionen stellen der Körper, die Gedanken, das Verhalten und das subjektive (psychische) Erleben die Komponenten dar. Nehmen wir als Beispiel die Emotion „Angst“, um zu sehen, wie diese sich aus den einzelnen Komponenten zusammensetzt. Angst kann sich im Körper darin äußern, dass sich automatisch der Herzschlag beschleunigt und eine schnellere Atmung einsetzt. Zur Körperkomponente wird auch der Gesichtsausdruck gezählt, der meistens automatisch erfolgt. Im Gesicht kann sich die Angst unter anderem darin äußern, dass Augen und Mund geöffnet sind. Zugleich wird eine Emotion subjektiv als „Gefühl“ erlebt. Auch können bestimmte Gedanken durch den Kopf gehen, die inhaltlich den körperlichen Empfindungen und dem subjektiven Erleben entsprechen, aber häufig nur eingeschränkt bewusst sind. Angstbehaftete Gedanken wären beispielsweise „Ich werde die Klassenarbeit bestimmt verhauen“, oder „Der Hund wird mich beißen“. Beim letztgenannten Beispiel kann diese Vorstellung auf der Verhaltensebene dazu führen, dass bereits die Befürchtung, man könne einem Hund begegnen, panikartige Fluchtreaktionen auslöst.

Jede Emotion stellt ein anderes Bild oder Muster dar, sodass Emotionen voneinander unterschieden werden können. Traurigkeit besitzt ein anderes Muster als Freude. Anhand der einzelnen Ausdruckskomponenten können die Emotionen jedoch nicht erkannt werden, da einige von ihnen nicht spezifisch sind oder sich |12|sehr ähneln. So nimmt beispielsweise die Frequenz des Herzschlages bei Angst im gleichen Maß wie bei Wut zu (vgl. Larson et al., 2008), weshalb diese Reaktion keine klare Entscheidung darüber zulässt, um welche der beiden Emotionen es sich im konkreten Fall handelt (vgl. auch Kap. 1.2). Auch können einzelne Bestandteile zeitlich versetzt oder gar nicht auftreten, was es erschwert, zu erkennen, um welche Emotion es sich handelt. Zum Beispiel kann es sein, dass einem bei starker Angst erst der Atem stockt, bevor ein Zittern folgt. Erst bei der Gesamtbetrachtung dieser Reaktionsmuster erschließt sich die Emotion und deren Bedeutung.

Reaktion. Eine Emotion lässt sich als ein Reaktions- oder Antwortmuster beschreiben (Hamm, 2012), das unwillkürlich ausgelöst wird, wenn Ereignisse auftreten, die persönliche Interessen und Ziele betreffen. Emotionen sind dabei in unserem Lebenskontext eingebettet und übernehmen eine Funktion; so weist uns eine Angstreaktion auf Gefahren hin, wodurch deutlich wird, dass viele emotionale Reaktionen zweckmäßig sind. Werden persönliche Interessen bedroht, eigene Standards verletzt oder Bedürfnisse frustriert, wird ein solcher Zustand durch diese unangenehmen Emotionen signalisiert. Im Gegensatz dazu werden angenehme Gefühle verspürt, wenn persönliche Ziele erreicht werden oder sich diesen angenähert wird. Keine dieser Interessen muss uns immer klar sein, aber die Emotion erinnert uns automatisch daran, falls uns ein Ereignis betrifft. Sehen wir ein verliebtes Paar auf der Straße, wird uns durch dieses Ereignis vielleicht erst das Gefühl der Einsamkeit bewusst und unsere Sehnsucht wird aktiviert, sodass wir uns auch einen Partner oder eine Partnerin suchen möchten.

Eine Emotion muss nicht durch ein konkretes Ereignis aus der Umwelt ausgelöst werden, wie eine gute Note ein Anlass zur Freude sein kann. Allein die Wahrnehmung innerer körperlicher Veränderungen, wie ein beschleunigter Herzschlag, oder die gedankliche Vorstellung sind ausreichend, um eine Emotion hervorzurufen (vgl. Lewis, 2008). Eine Erinnerung an die Hochzeit der besten Freundin reicht aus, um uns zu Tränen zu rühren, wie die Vorstellung an ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch uns innerlich erschaudern lassen kann.

Motivation. Die Emotion motiviert weiterhin, das auslösende Ereignis oder die Ausgangssituation möglichst schnell in unserem Sinne zu verändern. Im Falle einer belastenden Situation soll die Empfindung helfen, die Schwierigkeiten, die den eigenen Zielen im Weg stehen, zu überwinden (Fischer & Manstead, 2008). Ein mitfühlender Schüler kann beispielsweise wütend werden, wenn er sieht, wie ein Klassenkamerad von einem älteren Jugendlichen bedrängt wird. Auf der Verhaltensebene motiviert ihn die Emotion, dazwischen zu gehen, weil ihm die Konfrontation unfair erscheint. Kann der Konflikt friedlich gelöst werden, baut sich die Wut ab. Doch oft ist eine Schwierigkeit nicht durch eine Handlung zu lösen. Ein Schüler, der tief traurig reagiert, weil seine Eltern sich getrennt haben, kann wenig tun, um diesen Sachverhalt zu ändern, der seinen |13|Wunsch nach einer intakten Familie durchkreuzt hat. Hier wird die Trauer keine Lösung im erwünschten Sinne bieten. Die Trauer kann nur als Signal und als Startpunkt dienen, Wege zu erarbeiten, um mit der veränderten Situation fertig zu werden. Dies setzt jedoch voraus, dass der Betroffene in der Lage ist, die trauerbedingte Passivität zu überwinden.

Da es sich bei einer Emotion um ein komplexes Phänomen handelt, ist es sinnvoll, noch auf drei Facetten kurz näher einzugehen. Besondere Aufmerksamkeit soll der gedanklichen (kognitiven) Bewertung, der Qualität der Empfindung und der emotionalen Bandbreite zu kommen.

Kognitive Bewertung. Gelegentlich ist das Auftreten von Emotionen auch nur dann nachvollziehbar, wenn die Bedeutung von Ereignissen und weitere Informationen bekannt sind. Warum ein Schüler sich absichtlich beim Spicken erwischen lässt, und dann mit einem freudigen Lächeln reagiert, scheint zunächst unverständlich und erschließt sich nicht ohne weiteres. Die Freude des Schülers wird nachvollziehbar, wenn es sich herausstellt, dass es sich um eine Mutprobe handelte und das „Erwischtwerden“ als Akt besonderer Tapferkeit erlebt wurde. Hier spielen die persönlichen Ziele wieder eine entscheidende Rolle. In Anbetracht des Ziels, sich von der Lehrkraft ertappen zu lassen, wird das tatsächliche „Erwischtwerden“ als Erfolg gewertet.

Ähnlich verhält es sich mit dem Beispiel zweier Schülerinnen, die eine Schularbeit im Fach Mathematik zurückbekommen und beide die Note „2“ (gut) erhalten. Die eine reagiert traurig und die andere freut sich. Wie ist dies einzuordnen? Die beiden Schülerinnen bewerten das Ereignis, die Note „2“ in der Schularbeit, jeweils völlig unterschiedlich. Schülerin 1 hat sich das Ziel gesetzt, mit der Arbeit eine „4“ abzuliefern, weil sie aufgrund ihrer Vorerfahrungen in Mathematik keine bessere Note erwartet. Für sie ist das Ergebnis nun eine positive Überraschung, weshalb sie sich freut. Schülerin 2 hingegen hat einen weit höheren und ehrgeizigeren Anspruch an sich und ging von einer „1“ aus. Mit der erhaltenen Zensur hat sie ihr Ziel verfehlt und ist deshalb verständlicherweise betrübt. Sie bewertet die Note als Niederlage. Bei beiden Schülerinnen ist die Ausgangssituation dieselbe, jedoch die emotionale Reaktion völlig unterschiedlich. Ein Ereignis, z. B. der Verlust des Arbeitsplatzes, muss also nicht zwingend bei allen Menschen und unter allen Bedingungen, die gleiche emotionale Reaktion hervorrufen, z. B. Traurigkeit und Verzweiflung. Bei Menschen, die Symptome von Burnout aufweisen oder sich in privaten Lebenskrisen befinden, kann der Arbeitsplatzverlust das letzte, befreiende Signal darstellen, um an einem anderen Ort und in einem neuen Sozialgefüge einen „Neustart“ zu wagen.

Obwohl Emotionen eine genetische Grundlage aufweisen, also in bestimmten Situationen über alle Menschen hinweg eine Tendenz besteht, dieselben Emotionen zu empfinden (z. B. Todesangst, wenn ein Auto auf einen zurast), bestehen |14|jedoch in der Regel beachtliche Unterschiede darin, mit welchen Gefühlen reagiert wird. Hierfür sind unter anderem die persönlichen Erfahrungen, die bislang gemacht wurden, entscheidend. Es ist denkbar, dass die Erwartung der Eltern beim obigen Noten-Beispiel eine Bedeutung besitzt. Schülerin 2 wächst womöglich mit strengen Eltern auf, die bisher viel Wert auf gute Leistungen ihrer Tochter gelegt haben. Diesen Anspruch mag sie selbst als persönliches Ziel verinnerlicht haben, weil ihr die Wichtigkeit guter Zensuren vermittelt wurde.

Emotionen offenbaren immer etwas Persönliches, sie geben etwas von uns und unserem Denken preis. Die Idee, dass emotional unterschiedlich auf dieselben Situationen reagiert werden kann, soll später nochmal aufgegriffen werden, wenn es um Strategien der Emotionsregulation geht.

Qualität der Empfindung. Einzelne Emotionen lassen sich danach unterscheiden, ob sie als unangenehm oder angenehm empfunden werden. Freude, Begeisterung oder Stolz fühlen sich angenehm an; Enttäuschung, Ärger und Angst werden als eher unangenehm empfunden. Auch wenn der Mensch danach strebt, Schmerz zu vermeiden und Vergnügen herzustellen (Gross, 2008), kann aus diesem Tatbestand nicht der Schluss gezogen werden, eine Emotion sei von ihrer Bedeutung wichtiger als eine andere. Alle Gefühle haben ihre Bedeutung, auch wenn die Erlebensqualität oder die soziale Beurteilung etwas anderes nahelegen. Mit starker Wut in einer Auseinandersetzung zu reagieren, kann eine zwischenmenschliche Beziehung kurzfristig belasten. Dennoch konnte nachgewiesen werden, dass ein Wutgebaren in zwischenmenschlichen Beziehungen mit einer nachträglichen Versöhnung einhergeht und auf diese Weise ein sozialer Ausschluss verhindert werden kann (Fischer & Roseman, 2007). Die Emotion „Scham“, die mit unterwürfigem Verhalten einhergeht (Gilbert, 2000), zielt darauf ab, Bestrafung und eine negative soziale Bewertung zu vermeiden (Martens, Tracy & Shariff, 2012), und ruft in der Tat bei einem Verstoß positivere Einschätzungen hervor als wenn sie nicht gezeigt wird (Stearns & Parrott, 2012). Da die langfristigen Folgen bei beiden Emotionen nicht so negativ ausfallen, wie die Qualität des Empfindens nahelegt, bietet es sich an, eher auf Bewertungen (gut/schlecht; positiv/negativ) zu verzichten, wenn man über Emotionen spricht.

Emotionale Bandbreite. Ereignisse, die einen enttäuschen, ängstigen oder traurig machen, wechseln sich mit Erlebnissen ab, die einen freudig oder zufrieden stimmen. Gefühle leben vom Kontrast. Ein angenehmes Gefühl kann erst im vollen Ausmaß empfunden und wertgeschätzt werden, wenn auch unangenehme Gefühle erlebt werden. So kann auch nur ein Regenbogen entstehen, wenn es neben Regen auch Sonne gibt.

Da es Zeiten gibt, die sehr anstrengend und herausfordernd sein können, wie beispielsweise der Übergang von der Schule in die Ausbildung, der mit vielen Unsicherheiten verbunden ist, kann es sein, dass vorübergehend unangenehme Emoti|15|onen häufiger empfunden werden. Der Verlust eines geliebten Menschen kann dazu führen, dass Trauer lange das Gefühlsleben beherrscht. Ebenso sind Hochphasen im Empfinden möglich, nämlich immer dann, wenn alles „klappt“ oder „richtig gut läuft“. Schwierig wird es nur, wenn bestimmte Emotionen zu häufig und zu intensiv auftreten, was ein Problem der Emotionsregulation darstellt (siehe unten).

1.1.1 Gefühlsausdruck

Gefühle können sich auf vielfältige Weise am und durch den Körper ausdrücken. Der spontane Ausdruck erfolgt meistens unwillkürlich. Über die gesprochene Sprache hinaus, zeigen sich Emotionen in Gesichtszügen, an der Stimmlage, sichtbaren körperlichen Vorgängen (z. B. Erröten) oder Bewegungen (z. B. den Kopf senken). Einige Merkmale treten wahrscheinlicher im Kontext bestimmter Gefühle auf. Zum Beispiel zeigt sich ein Lächeln häufig, wenn wir fröhlich sind oder uns stolz fühlen. Wut kann sich dadurch äußern, dass die Stirn in Falten gelegt wird, die Lippen gestrafft und die Zähne gezeigt werden. Sogar an einigen Merkmalen der Körperhaltung lassen sich unterschiedliche Gefühle festmachen (Wallbott, 1998).

Am besten lassen sich Emotionen optisch am Gesicht ablesen. Für eine begrenzte Anzahl an Emotionen konnte nachgewiesen werden, dass sie eng mit einem bestimmten Gesichtsausdruck zusammenhängen, besonders wenn das emotionale Erleben sehr intensiv ausgeprägt ist (Matsumoto et al., 2008). Für den Ausdruck von Trauer, Ekel, Wut, Freude, Angst und Überraschung wird angenommen, dass der Ausdruck angeboren ist und sich diese jeweils in einem besonderen und voneinander unterscheidbaren Muster äußern (Petermann & Wiedebusch, 2016). Hier wird von sogenannten Basisemotionen gesprochen. Einzelne Ausdrucksmerkmale sind dabei nicht hinreichend, um die dahinterliegende Emotion zu erkennen. Dies kann am Weinen veranschaulicht werden. Werden Tränen vergossen, ist nicht klar erkennbar, ob jemand weint, weil er traurig ist, oder ob nicht Tränen der Freude oder aus Wut vergossen werden.

Unser Bedürfnis nach Schutz und sozialer Orientierung trägt dazu bei, dass wir bereits kurz nach der Geburt Kompetenzen entwickeln, die zur Folge haben, dass wir in dem Gesicht des Gegenübers Gefühle erkennen können. Etwas anspruchsvoller ist es jedoch, die Emotionen an der menschlichen Stimme zu erkennen. Auch hier finden sich Merkmale der Lautgestaltung, die Unterschiede zwischen verschiedenen Gefühlen erkennen lassen (Juslin & Laukka, 2003): Sehr schnelles und lautes Sprechen steht häufig im Zusammenhang mit dem Empfinden von Wut, Angst und Freude. Dabei kann sich Angst auch in einer sehr leisen Stimme äußern.

Auch wenn sich Merkmale des Gesichtsausdrucks kulturübergreifend zeigen, also angeboren zu sein scheinen, bestehen dennoch Unterschiede im Ausdruck |16|von Emotionen, etwa in Abhängigkeit von persönlichen Neigungen und den kulturellen Gegebenheiten (Keltner & Ekman, 2003). Letzteres bedeutet, dass der Gefühlsausdruck stets sozial vermittelten Ausdrucksregeln unterliegt. Diese Regeln stellen ungeschriebene soziale Gepflogenheiten dar, die vermitteln, wie und wann bestimmte Emotionen gezeigt werden (Southam-Gerow, 2013). Neben dem Einfluss dieser erlernten Bedingungen, sollte nicht vergessen werden, dass auch Emotionen nach außen willentlich vorgetäuscht oder maskiert (getarnt) werden können – eine Fähigkeit, die sich ab dem vierten Lebensjahr entwickelt (vgl. Kromm, Färber & Holodynski, 2015; Petermann & Wiedebusch, 2016).

1.1.2 Bunt und undurchdringlich? Was Emotionen wollen

Emotionen sollen uns an unsere Ziele erinnern und uns helfen, uns schnell auf die Erfordernisse einer veränderten Situation einzustellen. Steht uns plötzlich ein großer, knurrender und mit den Zähnen fletschender Hund gegenüber, stellt uns die Emotion „Angst“ Energie im Körper bereit, um entweder den Kampf aufzunehmen oder wegzurennen. Aus evolutionspsychologischer Perspektive dienen Emotionen dazu, das Überleben, also letztlich den Fortbestand unserer Rasse zu sichern (Tooby & Cosmides, 2008). Um dies zu gewährleisten, müssen Emotionen Aufgaben im intrapersonalen (psychisch und körperlich) und im sozialen Bereich erfüllen. Beide Funktionsbereiche sind eng miteinander verbunden und gehen in einander über.

Levenson (1999) hat sowohl psychische als auch körperliche Aufgaben von Emotionen formuliert. Emotionen sollen im psychischen Bereich

die Aufmerksamkeit lenken,

bestimmte Verhaltensweisen vorbereiten und

hilfreiche Erinnerungen aktivieren.

Alle diese Punkte laufen weitgehend automatisch ab und werden durch Emotionen koordiniert. Im Falle des knurrenden Hundes richtet die Angst die Aufmerksamkeit vollständig auf den Hund. Er wird genau beobachtet, seine Gestik und Haltung eingeschätzt, um möglichst vorherzusagen, ob und wann dieser einen Angriff erwägt. Zuvor ausgeführte Tätigkeiten, wie etwa eine Nachricht mit dem Handy schreiben, werden sofort eingestellt. Der Körper wird darauf vorbereitet, wegzulaufen, indem unter anderem der Muskeltonus erhöht wird. Gleichzeitig und blitzschnell können bereits erlebte Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Hunden und Wissen über hilfreiche Reaktionen abgerufen werden.

Im körperlichen Bereich sollen Emotionen unterschiedliche körperliche Reaktionen auslösen und koordinieren (Levenson, 1999). Emotionen beeinflussen unter anderem das endokrine System, den Muskeltonus, die Aktivität des autonomen |17|Nervensystems und die Gesichtsmuskulatur, um auf diese Weise einen entsprechenden Gefühlsausdruck zu modulieren. Der Körper reagiert, indem beispielsweise bei intensiver Trauer oder Freude, Tränen aus den Tränendrüsen des Auges sekretiert werden, oder er wird in die Lage versetzt, bestimmte Handlungen auszuführen, wie beispielsweise das Wegrennen beim Empfinden von Angst.

Ferner besitzen Emotionen eine soziale Bedeutung. Allgemein zielen sie erstens darauf ab, uns zu motivieren, soziale Beziehungen aufzunehmen und zu erhalten als auch zweitens eine gewisse soziale Position zu erreichen und beizubehalten (Fischer & Manstead, 2008). Der für andere sichtbare Emotionsausdruck spielt für das Erreichen der beiden Ziele die zentrale Rolle.

Soziale Beziehungen leben davon, dass Emotionen ausgedrückt und ausgetauscht werden. Emotionen vermitteln als „soziale Signale“ etwas über den inneren Zustand des Gegenübers und die aktuelle Situation, in der wir uns befinden (Hareli & Hess, 2012; Keltner, 2003). Emotionen teilen uns mit, dass und unter Umständen auch warum, sich jemand traurig oder ärgerlich fühlt. Wir lernen damit etwas über das Gegenüber und im sozialen Austausch über uns selbst. Diese Botschaft kann sehr hilfreich sein, um sich angemessen auf das Gegenüber oder die Gegebenheiten einzustellen. Ruft eine Person laut um Hilfe, erschreckt dies auch uns, vor allem wenn wir nicht wissen, was sich genau ereignet hat. Hier steckt uns die Angst des anderen an und alarmiert uns, weil eine Bedrohung auch für uns bestehen könnte. Der Emotionsausdruck kann also ebenso stellvertretend Reaktionen beim Beobachter hervorrufen. Dabei legt der Ausdruck unterschiedlicher Emotionen unterschiedliche Reaktionsweisen nahe. Bei Bildern von weinenden Menschen geben Personen beispielsweise an, eher geneigt zu sein, ihnen emotionale Unterstützung, wie Trost anzubieten, als wenn Angst oder gar keine Emotion dargestellt wird (Hendriks & Vingerhoets, 2006).

Werden Gefühle offenbart, können diese dazu beitragen, Nähe und Intimität aufzubauen. Ein Lächeln aufgrund von Freude kann andere Personen einladen mitzulächeln. Trost und Beruhigung festigten die Beziehung. Geteilte Gefühle verbinden. Emotionen können auf der anderen Seite auch dazu dienen, sich vom Gegenüber zu distanzieren (Fischer & Manstead, 2008). So ist Verachtung eng mit Ablehnung durch andere und sozialem Ausschluss verbunden (Fischer & Roseman, 2007).

Obwohl uns Emotionen dabei unterstützen, mit der Umwelt besser zurechtzukommen, ist keineswegs sicher, dass sie uns aus jeder Situation retten oder dass sie immer etwas Positives zur Folge haben. Insbesondere in Situationen, in denen wir nicht klar wissen, was wir tun sollen, weil wir bisher keine Erfahrungen sammeln konnten, ist die Emotion nicht mehr als ein vager Hinweis. Die emotionale Reaktion, so wie sie bei uns auftritt, hat sich über den Verlauf der menschlichen Entwicklung herausgebildet, weil sie uns so über die Jahrtausende geholfen hat, |18|zu überleben. Das Emotionssystem ist entwicklungsgeschichtlich sehr alt und noch auf die Bedürfnisse unserer Vorfahren angepasst, was bedeutet, dass es nicht uneingeschränkt funktional für die moderne Welt ist (vgl. Tooby & Cosmides, 2008). Ein Beispiel hilft, den Sachverhalt etwas besser zu verdeutlichen: Wenn der Vorgesetzte bei der Arbeit in seiner Kritik beleidigend wird, legt die aufbrausende Wut-Emotion im schlimmsten Fall einen tätlichen Angriff nahe. Nun ist es in der heutigen westlichen Gesellschaft weniger üblich, mit dem Vorgesetzten empfundene Grenzüberschreitungen mit den Fäusten auszutragen. Auf die Wutgefühle muss anders reagiert werden und gerade dies kann Probleme bereiten, wenn nicht klar ist, wie dies angemessen erfolgen soll. Dazu braucht es differenzierte emotionale Kompetenzen.

1.1.3 Neurophysiologie der Gefühle

Emotionen bestimmen ständig unser Leben, ohne dass wir auf den ersten Blick etwas tun müssen. Doch unser Gehirn ist entscheidend an der Entstehung von Emotionen beteiligt. Das Gehirn ist in eine linke und eine rechte Hälfte (Hemisphäre) aufgeteilt, die durch den Hirnbalken (Corpus callosum) miteinander verbunden sind. Die meisten Hirnstrukturen sind in jeder der beiden Hälften vorhanden. Das Gehirn ist in mehrere Bereiche untergliedert, wie zum Beispiel in Bereiche für das Sehen oder das Hören. Auch die Schaltzentrale für das Empfinden und Steuern von Gefühlen sitzt im Gehirn. Neurophysiologisch betrachtet werden von hier aus Emotionen kontrolliert und gesteuert.

Es werden nun die Bereiche des Gehirns näher betrachtet, die für die Entstehung von Gefühlen zuständig sind. In diesem Kontext ist die sogenannte Amygdala (deutsch: „Mandelkern“) zentral. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass ein wahrgenommenes Ereignis eine emotionale Bedeutung erhält (LeDoux & Phelps, 2008). So zum Beispiel, ob ein vorbeigehender Hund als Gefahr gewertet wird oder nicht. Die Amygdala liegt tief im Gehirn, wie Abbildung 1 zu entnehmen ist.

Der Mandelkern ist Teil eines Verbundes verschiedener Hirnstrukturen, die zusammen ein Netzwerk bilden. Diesen Verbund bezeichnet man als limbisches System. Eine Struktur, die neben dem Mandelkern eine große Rolle im limbischen System spielt, bildet der Hippocampus.

Der Hippocampus übernimmt eine sehr wichtige Rolle für das Lernen und das Gedächtnis. Die Nähe zwischen Hippocampus und Amygdala zeigt sich nicht nur räumlich, sondern auch darin, dass man sich Erlebnisse besser merken kann, die mit starken Gefühlen verbunden sind. So kann man sich zum Beispiel an Ereignisse, die von starken Gefühlen begleitet wurden, besser erinnern als an Ereignisse ohne solche starken Gefühle. Diese Tatsache unterstreicht, dass Emotionen auch das Gedächtnis und das Lernen beeinflussen. So ist nachgewiesen, |19|dass man viel besser lernen oder sich Dinge merken kann, wenn man beim Lernen in guter Stimmung ist und dabei schöne Gefühle erlebt.

Abbildung 1: Hirnanatomische Strukturen

Emotionen beeinflussen nicht nur das Lernen, sondern auch den Körper insgesamt. Dies kann anhand des Phänomens „Angst“ verdeutlicht werden. Bei starker Angst vergisst man leicht alles um sich herum und das strukturierte Denken fällt schwer. Es kann zu typischen Angstreaktionen wie zitternde Hände, Bauchschmerzen oder Schweißausbrüche kommen. Dieser Einfluss eines Gefühls auf körperliche Prozesse ist unter anderem dadurch begründet, dass der Mandelkern mit vielen Hirngebieten verbunden ist, die diese Körperfunktionen steuern. Allerdings unterliegt auch der Mandelkern der Kontrolle anderer Hirnstrukturen. So befinden sich im vorderen Bereich des Gehirns, dem sogenannten Frontallappen, Zentren (z. B. der orbitofrontale Kortex), die dafür zuständig sind, andere Hirnbereiche zu kontrollieren (vgl. Adolphs & Ackermann, 2012). Der Frontallappen ist in der Lage, Emotionen zu hemmen. Dies führt dazu, dass man besser mit unangenehmen Gefühlen umgehen kann. Diese Fähigkeit des Gehirns und somit die Beeinflussung von Gefühlen kann trainiert werden.

Zusammenfassung: Die fünf wichtigsten Punkte zu Emotionen

Emotionen sind komplexe, meist situativ erlebte Phänomene, die sich im Körper, in den Gedanken, im Empfinden und im Verhalten äußern können.

Emotionen treten als Reaktion auf Situationen auf, die eine persönliche Bedeutung besitzen, und motivieren dazu, Probleme zu bewältigen.

|20|Anhand des Emotionsausdrucks im Gesicht lassen sich am besten die grundlegenden Emotionen „Angst“, „Freude“, „Wut“, „Trauer“, „Überraschung“ und „Ekel“ voneinander unterscheiden (= Basisemotionen).

Emotionen dienen dazu, soziale Beziehungen zu gestalten und sie besitzen eine kommunikative Funktion, das heißt, man lernt etwas über das Gegenüber und im sozialen Austausch auch etwas über die eigene Person.

Emotionen entstehen im Gehirn des Menschen; wichtige Bedeutung kommt dabei der Amygdala im limbischen System zu.

1.2 Emotionale Kompetenzen

Emotionen können überschäumend sein; die Betroffenen erscheinen außer Rand und Band. Glücklich vor Freude jubelnd und springend oder zu Tode betrübt (stumm in sich zurückgezogen). Wie sich Gefühle äußern, hängt nicht nur damit zusammen, wie freudig oder traurig uns ein Ereignis stimmt und ob wir eher der laute oder der stille Typ sind, sondern auch von der Art der Emotionsregulation. Da wir unseren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert sind, bestehen Möglichkeiten, auf emotionale Reaktionen Einfluss zu nehmen. Emotionen lassen sich regulieren wie ein Ventil, wenn man gut geübt ist. Das „Emotionsventil“ kann auf- oder zugedreht werden, sodass die Emotionen herausfluten oder nur heraustropfen, und es kann sogar die Emotion umleiten, indem es ihre Qualität verändert. Wie dies genau funktioniert, wird im Folgenden noch genauer erläutert.

Die Emotionsregulation stellt die bekannteste Fähigkeit unter den emotionalen Kompetenzen da. Zu dieser Thematik wurde bislang am meisten geforscht. Ohne weitere Schlüsselkompetenzen ist die Emotionsregulation jedoch nicht gut funktionsfähig. Mehrere Autoren sehen eine unterschiedliche Anzahl an Kompetenzen als zentral an. Southam-Gerow (2013) benennt vier globale emotionale Kompetenzen, die eine Person aufweisen sollte:

Emotionsbewusstsein,

Emotionsverständnis,

Empathie und

Emotionsregulation.

Unter diesen vier Begrifflichkeiten lassen sich gut die Vorschläge anderer Autoren, wie die von Saarni (1999) und Berking und Znoj (2008), anordnen. Durch diese Erweiterung wird konkreter, was sich hinter den vier Begriffen verbirgt (vgl. Tabelle 1). Genaue Grenzen zu ziehen, welche Basisfähigkeiten in welchen Kompetenzbereich fallen, ist mitunter recht schwer. Dies unterstreicht nochmals die enge Verknüpfung der Kompetenzen. Alle Fähigkeiten entwickeln sich im Laufe der Kindheit bis in das Jugendalter hinein.

|21|Tabelle 1: Emotionale Kompetenzen nach Southam-Gerow (2013), Saarni (1999) sowie nach Berking und Znoj (2008) in einer Gegenüberstellung

Southam-Gerow (2013)

Saarni (1999)

Berking und Znoj (2008)

Emotionsbewusstsein

Fähigkeit, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu sein

Fähigkeit, sich der emotionalen Kommunikation in sozialen Beziehungen bewusst zu sein

Gefühle bewusst wahrnehmen

Gefühle mit körperlichen Veränderungen in Bezug setzen

Emotionsverständnis (Emotionswissen)

Fähigkeit, die Emotionen anderer zu erkennen und zu verstehen

Fähigkeit über Emotionen zu kommunizieren

Fähigkeit zur Trennung von emotionalem Erleben und emotionalem Ausdruck

Gefühle klar benennen

Emotionale Auslöser kennen

Empathie

Fähigkeit, sich einfühlend zu verhalten

Emotionsregulation

Fähigkeit, mit negativen Emotionen und Stress umzugehen

Negative Gefühle akzeptieren

Negative Gefühle aushalten

Negative Gefühle aktiv verändern, indem man sich …

belastenden Situationen aussetzt und

selbst bei der Bewältigung negativer Emotionen mitfühlend unterstützt

|22|1.2.1 Emotionsbewusstsein

Unter dem Begriff „Emotionales Bewusstsein“ lässt sich die Fähigkeit verstehen, emotionale Regungen bei sich und anderen bewusst wahrzunehmen. Diese Fähigkeit erfordert Aufmerksamkeit, um abrupte Reaktionen im eigenen Körper oder im Gesicht des Gesprächspartners zu bemerken. An diesem Punkt ist noch nicht klar, um welches Gefühl es sich handelt. Die entdeckten, noch unklaren emotionalen Regungen werden wahrgenommen und einer ersten Interpretation und Bewertung unterzogen (Rieffe, Oosterveld, Miers, Terwogt & Ly, 2008).