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Franz Petermann

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Beschreibung

Lernen ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Nicht nur das gezielte Lernen für die Schule oder den Beruf beeinflussen unser Leben, sondern auch beiläufige, alltägliche Lernvorgänge, wie Gespräche mit anderen Menschen. Das Buch liefert einen fundierten Überblick über die aktuellen neurowissenschaftlichen Grundlagen von Lernvorgängen und Gedächtnisleistungen. Auch motivationale und emotionale Grundlagen des Lernens werden behandelt. Neben weiteren Formen des Lernens werden klassisches und operantes Konditionieren genauso erläutert wie kognitives, sozial-kognitives und implizites Lernen. Dem sozial-kognitiven Lernen (z. B. den Ansätzen von Bandura, dem Beobachtungslernen und der Selbstwirksamkeit) kommt eine besondere Bedeutung zu, da es das pädagogische und therapeutische Handeln in den letzten Jahrzehnten stark beeinflusst hat. Die vielfältigen Anwendungsbeispiele aus dem Alltag reichen u.a. von frühesten Lernerfahrungen im Säuglingsalter bis hin zum lebenslangen Lernen.

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Franz Petermann

Ulrike Petermann

Lernen

Grundlagen und Anwendungen

2., überarbeitete Auflage

Prof. Dr. Franz Petermann, geb. 1953. 1972–1975 Studium der Mathematik und Psychologie in Heidelberg. Wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Heidelberg und Bonn. 1977 Promotion. 1980 Habilitation. 1983–1991 Leitung des Psychosozialen Dienstes der Universitäts-Kinderklinik Bonn, gleichzeitig Professor am Psychologischen Institut. Seit 1991 Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Universität Bremen und seit 1996 Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation.

Prof. Dr. Ulrike Petermann, geb. 1954. 1974–1980 Studium der Psychologie und Pädagogik in Mannheim und Bonn. 1982 Promotion. 1986 Habilitation. 1987–1991 Professorin für Psychologie in München, 1991–1994 Professorin in Bremen. 1995–2006 Inhaberin des Lehrstuhls für Rehabilitation und Pädagogik bei psychischen und Verhaltensstörungen an der Universität Dortmund. Seit 2007 Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Kinderpsychologie an der Universität Bremen.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com / kali9

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

2., überarbeitete Auflage 2018

© 2018 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2910-6; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2910-7)

ISBN 978-3-8017-2910-3

http://doi.org/10.1026/02910-000

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Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einführung

1.1 Zum Begriff des Lernens

1.1.1 Definition

1.1.2 Verschiedene Formen des Lernens

1.1.3 Lernen in unterschiedlichen Lebensphasen

1.2 Aktuelle Richtungen

1.2.1 Forschungsansätze

1.2.2 Perspektiven

2 Grundlagen des Lernens

2.1 Lernen und Gedächtnis

2.1.1 Gedächtnisprozesse

2.1.2 Zur Speicherdauer von Gedächtnisinhalten

2.1.3 Gedächtnisinhalte

2.2 Neurowissenschaftliche Grundlagen

2.2.1 Zum Aufbau und zur Funktionsweise von Nervenzellen

2.2.2 Prinzipien und Mechanismen der Plastizität als Basis für Lernen und Gedächtnis

2.2.3 Plastizität im Entwicklungsverlauf

2.2.4 Die Bedeutung sensibler Phasen

2.3 Motivationale und emotionale Grundlagen

2.3.1 Motivation und Lernen

2.3.2 Emotionen und Lernen

3 Nicht assoziatives Lernen

3.1 Habituation und Sensitivierung

3.1.1 Habituation

3.1.2 Sensitivierung

3.2 Erklärungen für Habituation und Sensitivierung

3.2.1 Kognitive Erklärungsansätze

3.2.2 Duale-Prozess-Theorie

3.3 Bedeutung der Habituation und Sensitivierung für die Praxis

3.3.1 Anwendungsbeispiele der Habituation

3.3.2 Anwendungsbeispiele der Sensitivierung

4 Assoziatives Lernen

4.1 Klassisches Konditionieren

4.1.1 Pawlows Experimente

4.1.2 Voraussetzungen der klassischen Konditionierung

4.1.3 Konditionierung emotionaler Reaktionen

4.1.4 Guthries One-Shot-Lerntheorie

4.2 Lernen am Erfolg

4.3 Operantes Konditionieren

4.3.1 Bedingungen des Verstärkungslernens

4.3.2 Lernen durch Verstärkung

4.3.3 Lernen durch Bestrafung

4.3.4 Löschung

4.3.5 Verstärkungspläne

4.3.6 Shaping und Chaining

4.4 Generalisierungs- und Diskriminationslernen

4.4.1 Generalisierung von Reizen und Lerntransfer

4.4.2 Reizdiskrimination

4.4.3 Reaktionsdiskrimination

4.4.4 Simultanes und sukzessives Diskriminationslernen

5 Kognitives Lernen

5.1 Kognitive Lerntheorien

5.2 Gestaltpsychologie

5.2.1 Köhlers Experimente

5.2.2 Lernen durch Einsicht

5.2.3 Das Gesetz der guten Gestalt

5.3 Praktische Bedeutung kognitiver Lerntheorien

6 Soziales Lernen

6.1 Die Theorie von Rotter

6.1.1 Erwartungs-Wert-Modell des Lernens

6.1.2 Kontrollüberzeugungen

6.2 Der Ansatz von Seligman

6.2.1 Kontrollierbarkeit und erlernte Hilflosigkeit

6.2.2 Die Bedeutung von Kausalattributionen

6.2.3 Einfluss der Kontrollierbarkeit und der Kausalattributionen auf das Lernen

6.2.4 Vorhersagbarkeit

6.3 Banduras Theorie des sozial-kognitiven Lernens

6.3.1 Grundannahmen und Grundbegriffe

6.3.2 Beobachtungslernen und stellvertretende Verstärkung

6.3.3 Voraussetzungen und Ablauf des Beobachtungslernens

6.3.4 Effekte des Beobachtungslernens

6.4 Theorie der Selbstwirksamkeit

6.4.1 Ergebnis- und Wirksamkeitserwartungen

6.4.2 Selbstwirksamkeit

7 Implizites Lernen

7.1 Was ist implizites Lernen?

7.1.1 Begriffsklärung

7.1.2 Besonderheiten des impliziten Lernens

7.2 Implizites Regellernen

7.3 Prozedurales Lernen

7.3.1 Erlernen motorischer Fertigkeiten

7.3.2 Erwerb kognitiver Fertigkeiten

7.3.3 Vom deklarativen zum prozeduralen Lernen

Literatur

Glossar

Sachregister

|9|Vorwort

Dieses Buch führt in die vielfältigen Bereiche und Theorien der Lernpsychologie ein. Es werden die klassischen Lerntheorien vom Behaviorismus bis zum Beobachtungslernen vorgestellt und neuere Entwicklungen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Forschung zu impliziten Lern- und Gedächtnisprozessen behandelt. Mit dem Ziel einer systematischen Gegenüberstellung werden fünf Lernformen unterschieden und vorgestellt: nicht assoziatives Lernen, assoziatives Lernen, kognitives Lernen, soziales Lernen und implizites Lernen. Anwendungsmöglichkeiten der lernpsychologischen Erkenntnisse in verschiedenen pädagogischen und therapeutischen Kontexten werden berichtet.

Das Buch richtet sich vorwiegend an Studierende der Psychologie und Pädagogik, die sich einen Überblick über die verschiedenen Bereiche der Lernpsychologie verschaffen wollen. Es wendet sich jedoch auch an Psychologen, Pädagogen, Erzieher, Lehrkräfte, Sozialpädagogen und alle anderen Personengruppen, die sich für die Grundlagen menschlichen Lernens und deren Anwendungsmöglichkeiten interessieren.

Die vielfältigen Erkenntnisse der Lernpsychologie konnten wir nur ausgewählt darstellen und gegenüber der ersten Auflage dieses Buches wurden umfangreiche Kürzungen und Aktualisierungen vorgenommen. Wichtig war uns auch in dieser Auflage, dass wir unserer Leserschaft Wissen kompakt in Tabellen, Schemata und Abbildungen vermitteln. Manche Kapitel wurden völlig neu geschrieben oder erstmals in dieser Auflage aufgenommen (z. B. neurowissenschaftliche Grundlagen, Erlernen motorischer Fertigkeiten).

Einige Bemerkungen zur Geschichte dieses Buches: Die erste Auflage wurde vor zwölf Jahren im Schöningh Verlag veröffentlicht. Diese Auflage wurde von unserer damaligen Mitarbeiterin Frau Dr. Sandra Achtergarde (geb. Winkel) bearbeitet und als Autorin mitverantwortet. Frau Achtergarde (heute in Münster) konnte aus beruflichen und familiären Gründen nicht mehr bei der neuen Auflage mitwirken. Freundlicherweise durften wir alle Vorarbeiten und Teile des damaligen Manuskriptes in aktualisierter Form übernehmen. Herzlichen Dank dafür.

|10|Die jetzige Auflage gestalteten Frau Dr. Franziska Ulrich und Frau Dr. Julia Jaščenoka (beide Mitarbeiterinnen des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen). Frau Dr. Ulrich widmete sich der Bearbeitung der Kapitel 1 bis 6 und Frau Dr. Jaščenoka dem Kapitel 7. Dem Hogrefe Verlag danken wir für die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm.

Bremen, im Juli 2018

Franz Petermann

Ulrike Petermann

|11|1 Einführung

Beispiel 1

Die 75-jährige Jutta hat sich vor wenigen Tagen ihr erstes Mobiltelefon gekauft. Um den Umgang mit dem Smartphone zu lernen, lässt sie sich von ihrem Enkel Tristan die verschiedenen Einstellungen und Anwendungen erklären.

Beispiel 2

Die 18-jährige Pauline kommt von ihrer ersten Fahrstunde nach Hause. Das Umsetzen der einzelnen Handlungsabläufe – Motor starten, in den Innenspiegel und dann in den Außenspiegel schauen, Anblinken, Gas geben und gleichzeitig die Kupplung lassen – haben sie völlig erschöpft. Mit jeder weiteren Fahrstunde wird sie jedoch zunehmend sicherer.

Beispiel 3

Der 4-jährige Jonathan singt seiner Mutter ein Lied vor, welches er im Kindergarten gelernt hat.

Beispiel 4

Da Sabine vorhat, für einige Tage mit ihrer Freundin nach Kopenhagen zu fahren, erklärt sie ihrem Mann Jochen, wie oft und in welcher Wassermenge die Balkonpflanzen gegossen werden müssen.

Lernen stellt ein allgegenwärtiges Phänomen dar: Nicht nur das gezielte Lernen für die Schule oder den Beruf, sondern auch beiläufige, alltägliche Lernvorgänge – im Gespräch mit anderen Menschen, auf einem Spaziergang in der Natur oder beim abendlichen Fernsehen – beeinflussen unser Leben wesentlich. In diesem Kapitel soll daher zunächst geklärt werden, was unter dem Begriff des Lernens zu verstehen ist. Anschließend sollen aktuelle Forschungsrichtungen aufgezeigt werden.

|12|1.1 Zum Begriff des Lernens

Lernen bedeutet mehr als die Beschäftigung mit Büchern und Texten. Es kann zahlreiche Formen annehmen und auf vielen unterschiedlichen Wegen geschehen. Der Facettenreichtum des Lernens, aber auch die gemeinsamen Grundlagen aller Lernprozesse sollen im Folgenden dargestellt werden.

1.1.1 Definition

Im Alltag versteht man unter dem Begriff „Lernen“ zumeist die gezielte Aneignung von Wissen an vorgegebenen Lernorten, zum Beispiel in der Schule und am Ausbildungsplatz oder beim Erlernen einer Fremdsprache in der Volkshochschule. Lernen umfasst jedoch mehr als diese Form des gezielten Erwerbs von Wissen und Kenntnissen. Lernen beinhaltet Veränderungen im Verhalten, in Einstellungen, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Gefühlen, die durch die Interaktion eines Organismus mit der Umwelt entstehen (Hillner, 1978). Nur ein Teil der Lernvorgänge und Lernergebnisse ist dem Lernenden bewusst. Auch Tiere – vom höheren Säugetier bis hin zu Meeresschnecke – und selbst künstliche Modelle von Nervensystemen (elektronische Netzwerke) können erstaunliche Lernleistungen vollbringen, ohne dass man dabei von bewusstem „Wissen“ sprechen würde. Durch ein relativ weitgefasstes Verständnis von Lernen als Verhaltensänderung ist es möglich, auch die Aneignung von sozialem, kulturellem und intellektuellem Wissen als Erwerb von Verhalten aufzufassen (Bodenmann, Perrez & Schär, 2016). Trotz der Breite der Aspekte, die das Konzept „Lernen“ charakterisieren, können seine zahlreichen Merkmale in einer allgemeinen Definition des Begriffs integriert werden.

Definition

Lernen bezieht sich auf relativ dauerhafte Veränderungen im Verhalten oder den Verhaltenspotenzialen eines Lebewesens in Bezug auf eine bestimmte Situation. Es beruht auf wiederholten Erfahrungen mit dieser Situation und kann nicht auf angeborene bzw. genetisch festgelegte Reaktionstendenzen, Reifung oder vorübergehende Zustände (z. B. Müdigkeit, Krankheit, Alterung, Triebzustände) zurückgeführt werden (Bower & Hilgard, 1983; Klein, 2014).

Diese Definition enthält zentrale Bestimmungsstücke des Begriffs „Lernen“: Veränderungen im Verhalten und den Verhaltenspotenzialen, Erfahrungen als Grundlage und relative Dauerhaftigkeit der Veränderungen. Diese Aspekte sollen im Folgenden näher erläutert werden.

|13|Veränderungen im Verhalten. Die verhaltensbezogene Definition von Lernen geht davon aus, dass sich Lernen in irgendeiner beobachtbaren Form äußern muss, denn Veränderungen, die nicht objektiv überprüft werden können, entziehen sich den Erkenntnismöglichkeiten der wissenschaftlichen Psychologie. Dagegen ist ein Lernzuwachs in Form einer Verhaltensänderung ebenso quantifizierbar und messbar wie Veränderungen in der physikalischen Umwelt. Da geistige Prozesse selbst nur eingeschränkt beobachtet werden können, werden Verhaltensänderungen gleichsam stellvertretend für Vorgänge im Nervensystem beobachtet. Der Begriff „Verhalten“ ist dabei in einem weiteren Sinn zu verstehen, denn neben motorischen Verhaltensäußerungen werden auch Veränderungen in den physiologischen (z. B. Herzrate, Hautleitfähigkeit), kognitiven (z. B. verbale Äußerungen) und emotionalen Reaktionen (z. B. Gesichtsausdruck) als Indizien für Lernvorgänge verwendet. Entscheidendes Kriterium ist die Messbarkeit der ausgewählten Prozesse.

Bei einigen einfacheren Lernformen (vgl. Kap. 3) konnten die neurophysiologischen Grundlagen bereits im Detail dargestellt werden. Auch auf diese Weise kann die erforderliche Objektivierung und Quantifizierung eines Lernvorgangs erfolgen.

Veränderungen in Verhaltenspotenzialen. Lernen liegt auch dann vor, wenn ein neu gelerntes Verhalten nicht unmittelbar gezeigt wird, der Lernende nach dem Lernvorgang jedoch über das Potenzial verfügt, in einer passenden Situation das neue Verhalten zu zeigen. Speziell im Rahmen des sozial-kognitiven Lernens (vgl. Kap. 6.3) wurde untersucht, unter welchen Bedingungen Menschen gelernte Verhaltensweisen tatsächlich in Handeln umsetzen. Lernvorgänge können auch in einer Einschränkung des Verhaltensrepertoires resultieren, etwa wenn man erfährt, dass auf ein Verhalten regelmäßig unangenehme Konsequenzen folgen (Bestrafung) oder wenn sich die Umwelt mit dem eigenen Verhalten nicht beeinflussen lässt (erlernte Hilflosigkeit, vgl. Kap. 6.2).

Veränderung durch Erfahrungen. Alle Lernprozesse beruhen entweder auf unmittelbaren oder sozial vermittelten Erfahrungen. Der Erwerb vielfältiger Fertigkeiten in der sensumotorischen, emotionalen, kognitiven und sprachlichen Entwicklung während der ersten Lebensjahre basiert überwiegend auf universellen Lernerfahrungen, das bedeutet diese entwicklungsbedingten Veränderungen werden von allen Kindern gleichermaßen durchlaufen. Universelle Lernerfahrungen finden zumeist während sensibler Phasen statt (vgl. Kap. 2). Werden einem Kind während der sensiblen Lebensphasen wichtige Erfahrungen vorenthalten (Deprivation; z. B. aufgrund von Vernachlässigung), kann dies unter Umständen zu lebenslangen Beeinträchtigungen führen.

|14|Häufig interagieren Reifungs- und Lernprozesse sehr stark miteinander und ihre Einflüsse lassen sich kaum voneinander trennen (Terry, 2018). Ein Beispiel bildet der Erwerb verschiedener motorischer Fertigkeiten, wie etwa Krabbeln, Greifen und Laufen, die auf der Reifung des Skeletts und des Nervensystems beruhen und durch Lernprozesse lediglich verfeinert werden. Von diesen universellen Lernerfahrungen sind individuelle Lernerfahrungen abzugrenzen. Individuelle Lernerfahrungen treten über die gesamte Lebensspanne auf und formen die Persönlichkeit.

Menschen verändern ihr Verhalten im Laufe ihres Lebens teilweise in dramatischer Weise. Wie das Beispiel zur motorischen Entwicklung gezeigt hat, lassen sich nicht alle diese Veränderungen durch Lernprozesse erklären. Viele Verhaltensweisen sind angeboren, und der biologische Reifestatus entscheidet über den Zeitpunkt, an dem sie erstmals gezeigt werden. Neben der biologischen Reifung kann eine Reihe weiterer Faktoren dazu führen, dass Verhaltensänderungen auftreten. Vorübergehende Zustände wie Müdigkeit, Einwirkungen von Medikamenten oder Alkohol, Krankheiten und Verletzungen können das Verhalten stark beeinflussen. Auch dauerhaftere Veränderungen des Organismus durch Wachstums- und Alterungsprozesse wirken sich auf das Verhalten aus. Diese alternativen Erklärungen müssen ausgeschlossen werden, wenn Verhaltensänderungen auf Lernprozesse zurückgeführt werden sollen.

Relative Stabilität der Veränderungen. Um von einem Lernvorgang zu sprechen, muss eine Änderung im Verhalten oder im Verhaltensrepertoire über eine bestimmte Zeit hinweg stabil bleiben. Aufgrund dieses Kriteriums kann man Veränderungen im Verhalten abgrenzen, die durch andere Faktoren als Lernerfahrungen verursacht werden (z. B. Krankheit, Müdigkeit, hormoneller Status). Derartige Veränderungen sind zumeist nur vorübergehend. Die Einschränkung der „relativen“ Dauerhaftigkeit wird gemacht, da Gelerntes nach längeren Zeiträumen vergessen oder durch neue Erfahrungen modifiziert werden kann.

Merke

Beim Lernbegriff handelt es sich um ein sehr komplexes und facettenreiches Konzept. Dennoch existieren einige charakteristische Merkmale, anhand derer sich Lernvorgänge grundsätzlich von anderen Veränderungen wie Krankheit, Wachstum oder Alterung unterscheiden lassen. Erst die Einigung über diese Kriterien ermöglicht es, Lernprozesse systematisch zu beschreiben und zu erforschen.

|15|1.1.2 Verschiedene Formen des Lernens

Lerntheoretiker versuchen, mit den von ihnen entwickelten Modellen und den von ihnen entdeckten Gesetzmäßigkeiten unterschiedliche Arten von Lernvorgängen zu erklären. Lernen ist jedoch nicht gleich Lernen. Umwelteinflüsse auf der einen Seite und die spezifischen Fähigkeiten und Beschränkungen des Lernenden auf der anderen Seite bestimmen, was und auf welche Weise gelernt werden kann. In den folgenden Abschnitten werden ausgewählte Formen des Lernens mit ihren Besonderheiten kurz vorgestellt, auf die in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich eingegangen wird.

Nicht assoziatives Lernen. Der Begriff „nicht assoziatives Lernens“ bedeutet, dass bei diesen Lernvorgängen keine Verknüpfungen zwischen verschiedenen Reizen oder Reizen und Verhaltensweisen gebildet werden, sondern Lernen überwiegend auf sensorischer Ebene stattfindet. Es handelt sich um einfache und ursprüngliche Formen des Lernens, die kein komplex aufgebautes Nervensystem voraussetzen. Dennoch beeinflusst nicht assoziatives Lernen menschliches Verhalten nachhaltig. Zum nicht assoziativen Lernen gehören unter anderem Habituation und Sensitivierung (vgl. Kap. 3).

Assoziatives Lernen. Unter „assoziativem Lernen“ versteht man alle Formen des Lernens, bei denen Zusammenhänge (Assoziationen) erworben werden. Dabei kann es sich um Zusammenhänge zwischen verschiedenen Reizen handeln (klassisches Konditionieren) oder um Verbindungen zwischen Verhaltensweisen und Konsequenzen (operantes Konditionieren). Die Konzepte des klassischen und operanten Konditionierens sind in der Lernpsychologie sehr einflussreich und besitzen für eine Vielzahl von Anwendungsfeldern große Bedeutung (vgl. Kap. 4).

Kognitives Lernen. Kognitives Lernen bezieht sich weniger auf den Erwerb von neuen Verhaltensweisen, sondern auf die Aneignung von Begriffen und verbalem Wissen. Informationsverarbeitende Prozesse, Denken und Problemlösen spielen eine wesentliche Rolle (vgl. Kap. 5). Im Gegensatz zu behavioristischen Ansätzen beziehen Theorien zum kognitiven Lernen Variablen wie Motivation oder Erwartungen mit ein, die zwischen Reizen und Verhalten vermitteln.

Soziales Lernen. Soziales Lernen bezieht sich auf Lernvorgänge unterschiedlicher Art, die im Kontext der sozialen Umwelt stattfinden. Dabei spielen kognitive Variablen wie Wahrnehmung und Erwartungen eine zentrale Rolle. Auch behaviorale Konzepte wie die Konditionierung werden als wichtige Lernmechanismen integriert (vgl. Kap. 6).

|16|Implizites Lernen. Der Begriff des impliziten Lernens umfasst einfache und komplexere Prozesse des Lernens, die auf einer unbewussten Ebene ablaufen (vgl. Kap. 7). Beim prozeduralen Lernen, einer wichtigen Form des impliziten Lernens, geht es um den Erwerb motorischer und kognitiver Fertigkeiten, wobei bewusste und unbewusste Prozesse in komplexer Weise interagieren. Implizites Wissen wird auf andere Weise erworben als verbales (explizites) Wissen, und es sind andere Gehirnareale beteiligt. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass auch Menschen, die nach einem Unfall oder einer Erkrankung unter verbalen Merkfähigkeitsstörungen leiden, dennoch neue motorische Fertigkeiten erlernen können (z. B. Schreiben mit dem PC).

1.1.3 Lernen in unterschiedlichen Lebensphasen

Da Menschen von der Geburt bis zum Lebensende ständig neue Erfahrungen machen, finden in jedem Alter und zu jeder Zeit Lernprozesse statt. Lernen im pädagogischen Kontext (z. B. Kindergarten, Schule, Berufs- und Hochschule) und im Rahmen der Psychotherapie stellen dabei nur zwei Beispiele von vielfältigen Bereichen dar, in denen sich Lernprozesse vollziehen (vgl. Tab. 1). Über die Lebensspanne hinweg ändern sich dabei die Lerninhalte, die vorherrschenden Lernkontexte und Lernformen sowie die Steuerung des Lernens. Während in der frühen Kindheit sogenannte inzidentelle Lernprozesse in der häuslichen Umgebung überwiegen, dominieren in der späteren Kindheit und Jugend intentionale Lernprozesse im Rahmen von Schule und Ausbildung.

Definition

Lernvorgänge können danach unterschieden werden, ob sie mit einer entsprechenden Absicht des Lernenden verfolgt werden oder nicht. Unter dem Begriff des inzidentellenLernens werden beiläufige Lernvorgänge verstanden, während intentionales Lernen sich auf geplante bzw. gezielte Lernvorgänge bezieht (vgl. Kap. 7).

Im Erwachsenenalter herrschen zudem selbstgesteuerte Lernprozesse vor (eine entsprechende Definition hierzu findet sich in Kap. 2.3), die sich überwiegend auf den beruflichen Kontext beziehen. Im höheren Alter verlagert sich das Lernen wieder mehr in den privaten bzw. häuslichen Bereich (vgl. Tab. 1).

|17|Tabelle 1: Lernen in verschiedenen Lebensphasen und Kontexten

Frühe Kindheit

Kindheit und Jugend

Erwachsenenalter

Höheres Lebensalter

Lerninhalte

Grundlegende Kompetenzen

(z. B. Sprechen, soziale Fertigkeiten); lebenspraktische Fertigkeiten (z. B. Essen, Körperpflege)

Kulturelle Grundfertigkeiten (z. B. Schreiben, Lesen);

Wissen;

Lernstrategien;

Metakognition

Berufsbezogenes Wissen und Fertigkeiten; Inhalte bezogen auf persönliche Interessen

Inhalte bezogen auf persönliche Interessen;

Entwicklung umfassender Lebenseinsicht („Weisheit“)

Lernkontexte

Familie; Kindergarten

Schule;

Familie;

Freizeit

Arbeitsplatz;

Bildungseinrichtungen

Freizeit;

Bildungs-einrichtungen

Lernformen

Überwiegend inzidentelles Lernen

Intentionales und inzidentelles Lernen

Intentionales und inzidentelles Lernen

Inzidentelles und intentionales Lernen

Steuerung des Lernens

Biologische Reifungsvorgänge;

Steuerung von außen (Eltern)

Überwiegend Steuerung von außen (Lehrkräfte, Eltern)

Überwiegend Selbststeuerung

Überwiegend Selbststeuerung

Frühe Kindheit. Bereits Säuglinge sind von Geburt an mit Fähigkeiten ausgestattet, die verschiedene Formen des Lernens erlauben. Diese frühen Lernprozesse können mit verhaltensbezogenen Verfahren erfasst werden, zum Beispiel durch Habituations-Dishabituations- und Präferenzmethoden (z. B. zur Messung der Unterscheidung zwischen bekannten und neuartigen Reizen), durch Konditionierungsverfahren (z. B. Methode des gezielten Strampelns zur Erfassung des Lernens von Zusammenhängen) oder durch Verhaltensbeobachtung (z. B. zur Messung der Nachahmungsfähigkeit).

In den ersten Lebensjahren ist die Plastizität des kindlichen Gehirns am größten, und ein Kind strebt aktiv und hochmotiviert nach neuen Erfah|18|rungen. Um diese Phase hoher Lernfähigkeit und -bereitschaft optimal für die Entwicklung nutzen zu können, benötigen Kinder eine Umwelt, die ihnen genügend Lernmöglichkeiten bietet. Entsprechend haben sich in den letzten Jahren die Bedeutung außerfamiliärer Betreuungsangebote (z. B. Kindertageseinrichtungen) und die Auffassung von den Aufgaben frühpädagogischer Fachkräfte in Deutschland gewandelt: So wurde das Augenmerk zunehmend auf die Möglichkeiten vorschulischer Bildungs- und Lernprozesse gelenkt, mit dem Ziel, über früh einsetzende Fördermaßnahmen (Frühförderung) Kindern unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft eine gute Ausgangslage für den späteren Schulbesuch zu verschaffen (Ennemoser & Krajewski, 2015). In Kindertageseinrichtungen (Krippe oder Kindergarten) sollen nach diesem Verständnis vielfältige Lerngelegenheiten geschaffen werden, um Kindern neue Erfahrungen und den Erwerb neuer Fertigkeiten zu ermöglichen. So wurden im Rahmen der Bildungspläne der Länder, die ab 2004 eingeführt wurden, Handlungsempfehlungen formuliert, die als Orientierung für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen dienen sollen.

Um Lerngelegenheiten gezielt und altersgemäß einzurichten, muss bekannt sein, was Kinder im Kindergartenalter lernen können und sollen. Partecke (2004) hat in diesem Zusammenhang für die Kindergartenzeit eine Reihe von Lernzielen zusammengestellt, die auf menschlichen Grundbedürfnissen beruhen (vgl. Tab. 2). Nach Partecke (2004) können menschliche Grundbedürfnisse (z. B. Zugehörigkeit) durch die Aneignung bestimmter Fertigkeiten und Wissensbereiche erfüllt werden. Fertigkeiten und Wissen, die auf ein Grundbedürfnis bezogen sind (z. B. Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen; Wissen über die eigene Kultur), lassen sich zu einem gemeinsamen, übergeordneten Lernziel oder Bildungsgut zusammenfassen (z. B. Integration). Um diese Lernziele auf spielerische Weise im Kindergarten erreichen zu können, stellt die Autorin ein spielpädagogisches Konzept vor. Zentral sind dabei drei Prinzipien, die direkt auf den Erkenntnissen der Lernforschung beruhen (vgl. Kap. 2):

Kinder lernen im Spiel und durch Freude am eigenen Tun (motivationaler bzw. emotionaler Aspekt),

Kinder benötigen zum Lernen vielfältige, immer neue Anregungen (Umweltaspekt) und

Kinder brauchen Möglichkeiten zur selbstständigen Wiederholung von Erfahrungen oder Tätigkeiten, um Gelerntes einzuüben (Aspekt des Gedächtnisses).

|19|Tabelle 2: Lernziele für das Kindergartenalter (verändert nach Partecke, 2004, S. 34)

Grundbedürfnis

Lernziele:

Fertigkeiten

Lernziele:

Wissensbereiche

Bildungsgut

Zugehörig-keit

gemeinsam mit anderen Kindern arbeiten/spielen

sich in andere hineinversetzen

unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen

Bücher und Geschichten

eigene Familie

Integration

Freiheit

reflektieren und planen

Verantwortung übernehmen

Probleme lösen

eigene Wünsche

Wahlmöglichkeiten

alternative Lösungsmöglichkeiten

Selbstverantwortung

Freude

Material fantasievoll gestalten

experimentieren

erfinderisch sein

bildende und darstellende Kunst, Museum, Theater

Forschung

Werte und Regeln

Fantasie

Erfolg

Gelenkigkeit, Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer

aufmerksam und ausdauernd spielen und arbeiten

Funktionen des Körpers

Gesundheit

Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Berufe

Leistungsfähigkeit

Kommuni-kation

in der Muttersprache differenziert und flüssig sprechen und erzählen

Fremdsprachen unterscheiden

Funktionen der Sprache im Alltag

Existenz verschiedener Sprachen und der Schriftsprache

Sprache

Gesellschaftliche Teilhabe

Symbole deuten und unterscheiden

Bilder und Karten lesen

Mengen bis 10 vergleichen

Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, PC-Anwendungen

Bedeutung von Kulturtechniken im Alltag

Kulturtechniken

Neugier

Pflanzen und Tiere beobachten

Antworten suchen, sich informieren

unterschiedliche geografische Orte

Jahreszeiten und Umwelt

Wissensgebiete

Interesse

Unter Berücksichtigung der genannten Lernziele und der drei spielpädagogischen Prinzipien kann die Umwelt der Kinder in Form von „Spielprojekten“ so gestaltet werden, dass sie ihnen optimale Lernmöglichkeiten bietet. Allerdings hat sich gezeigt, dass solche Projekte nur dann zu Lern|20|erfolgen führen, wenn während der Aktivitäten eine gezielte sprachliche Vermittlung und Erklärung des Geschehens stattfindet (Hajszan, Hartel, Hartmann & Stoll, 2013).

Kindheit und Jugend. Lernen in der Schule stellt während der Kindheit und Jugend neben der Familie den wichtigsten Lernkontext dar. Junge Menschen erwerben in der Schule ein breites Repertoire an Wissen und Fertigkeiten, die benötigt werden, um sich in einer modernen, komplexen Gesellschaft orientieren und erfolgreich existieren zu können. Diese umfassende Wissensgrundlage kann nicht allein durch inzidentelle Lernprozesse erworben werden, wie sie in der frühen Kindheit vorherrschen. Vielmehr ist das Lernen in diesem Entwicklungsabschnitt überwiegend intentionaler Natur: In der Schule (darunter sind auch jegliche Bildungseinrichtungen wie Berufs-, Hoch- und Volkshochschulen zu zählen) werden ausgewählte Lerninhalte gezielt vermittelt. Dabei erfolgt die Steuerung des Lernens nicht durch die Lernenden selbst, sondern überwiegend von außen – in direkter Form durch die Lehrkräfte und auf indirekte Weise durch die Lehrpläne, die wiederum auf einem gesellschaftlichen Konsens darüber beruhen, was in der Schule gelernt werden soll. Die Vermittlung der Lerninhalte erfolgt im Unterricht, der durch unterschiedliche methodische Ansätze geprägt wird.

Erwachsenenalter. Menschen lernen jedoch nicht nur in ihrer Kindheit dazu, sondern in jeder Phase des Lebens bis ins hohe Alter, sodass man von lebenslangem Lernen spricht. Die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten dient im Erwachsenenalter zumeist der Aufrechterhaltung oder Erweiterung berufsrelevanter Kompetenzen. Im Erwachsenenalter herrschen selbstgesteuerte Lernprozesse vor, die sich überwiegend auf den beruflichen Kontext (z. B. Fortbildungen, betriebliche Trainingsmaßnahmen) beziehen. Es handelt sich dabei überwiegend um intentionales Lernen.

Höheres Lebensalter. Selbst im hohen Lebensalter können Menschen sich erfolgreich Wissen und neue Fertigkeiten aneignen. Jedoch steht in diesem Lebensabschnitt insbesondere der Erhalt bereits vorhandener Fähigkeiten im Vordergrund (Mienert & Pitscher, 2011). Bestimmte alterstypische Einschränkungen, etwa bei der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, können ältere Menschen durch ihr Erfahrungswissen und durch die effektive Nutzung von Strategien weitgehend kompensieren (Kessler, Lindenberger & Staudinger, 2009).

Es gibt folglich keine Phase des Lebens, die nicht von Lernvorgängen begleitet wird. Der Begriff des lebenslangen Lernens bezieht sich überwiegend auf Lern- bzw. berufliche Qualifikationsprozesse bei Erwachsenen, die bereits die schulische und berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. |21|Die noch zu lernenden Inhalte oder Fertigkeiten dienen nicht mehr der Vorbereitung auf das berufliche Leben (wie das Lernen in Schule und Ausbildung), sondern finden gleichzeitig mit beruflichen und sonstigen Aktivitäten statt und unterstützen diese. Die grundlegenden Kompetenzen zum lebenslangen Lernen werden jedoch bereits in der Kindheit und Jugend erworben, sodass auch diese Altersstufen berücksichtigt werden müssen (Baumert, 2000). Auch Lernvorgänge im höheren Lebensalter – nach der Phase beruflicher Aktivität – zählen zum Bereich des lebenslangen Lernens und beziehen sich u. a. auf Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung und des ehrenamtlichen Engagements (Lang & Rohr, 2012). Lernvorgänge im höheren Erwachsenenalter werden mit der steigenden Lebenserwartung immer wichtiger, was sich an der zunehmenden Technisierung, aber auch am wachsenden Interesse älterer Menschen an Bildungsangeboten deutlich zeigt (z. B. Studium im Alter). Aufgrund der Schwerpunktsetzung bei beruflichen Kontexten ist mit lebenslangem Lernen dennoch vor allem der Erwerb von berufsrelevantem Wissen und berufsbezogenen Fertigkeiten gemeint. Diese Art des Lernens ist durch einige Besonderheiten charakterisiert, durch die es sich von Lernvorgängen in anderen Lebensphasen unterscheidet (vgl. Tab. 1).

1.2 Aktuelle Richtungen

Die moderne Lernpsychologie beruht in vieler Hinsicht immer noch auf den Hauptrichtungen des behavioristischen und kognitiven Ansatzes. Im Laufe der Zeit haben sich die Ansätze der Lernpsychologie verändert, und durch den zunehmenden Einfluss der Neuropsychologie und der Biologie auf die Lernpsychologie sind als dritter wesentlicher Ansatz die Neurowissenschaften hinzugekommen. Die Besonderheiten der aktuellen Ansätze und die Perspektiven, unter denen Lernforschung heute stattfindet, sollen in diesem Abschnitt vorgestellt werden.

1.2.1 Forschungsansätze

Auch heute noch lässt sich die Lernforschung in zwei Hauptströmungen untergliedern: den behavioralen oder auch behavioristischen Ansatz mit dem Schwerpunkt auf der Beobachtung von Verhalten und den kognitiven Ansatz mit der Berücksichtigung internaler Prozesse. Parallel dazu ist der neurowissenschaftliche Ansatz entstanden, der sich mit den dem Lernen zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozessen befasst.

|22|Behavioraler Ansatz. Der behaviorale Ansatz der heutigen Lernpsychologie befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen drei zentralen Variablen: beobachtbarem Verhalten, vorausgehenden Reizen und nachfolgenden Konsequenzen. Dieser Ansatz fragt danach, welche Eigenschaften oder Veränderungen der Umwelt Verhalten auslösen und auf welche Weise unterschiedliche Konsequenzen das Verhalten beeinflussen. Er zielt dabei auf die Vorhersage und Kontrolle von Verhalten ab. Der behaviorale Ansatz fokussiert sowohl tierisches als auch menschliches Verhalten. Durch die Konzentration auf Möglichkeiten der Verhaltenskontrolle und -modifikation findet der behaviorale Ansatz in verschiedensten Bereichen Anwendung (z. B. im Unterricht, in der Psychotherapie, im Straßenverkehr oder im Umweltschutz).

Im Gegensatz zum früheren radikalen Behaviorismus beschränken sich moderne Lernforscher jedoch nicht ausschließlich auf die Untersuchung messbarer Reize und beobachtbarer Verhaltensweisen. Vermittelnde Prozesse werden nicht länger von der Betrachtung ausgeschlossen und der Einbezug solcher hypothetischen Konstrukte nicht mehr als unwissenschaftlich verworfen. Stattdessen wird Verhalten als Indikator für die Art und Ausprägung innerer Zustände und Prozesse angesehen (z. B. Herumlaufen und Suchen nach Nahrung als Indikator für den Zustand „Hunger“; Drücken auf eine Taste als Ausdruck der Erwartung, eine Belohnung zu erhalten). Diese gemäßigte Form wird als „methodologischer Behaviorismus“ bezeichnet (Terry, 2018). In dieser veränderten Auffassung kommt der zunehmende Einfluss der kognitiven Psychologie zum Ausdruck, deren weitreichende Erkenntnisse auch von eher behavioristisch orientierten Forschern nicht länger ignoriert werden.

Kognitiver Ansatz. Die heutige kognitive Lernpsychologie befasst sich überwiegend mit Prozessen der Informationsverarbeitung und wurde stark von den Fortschritten der Computertechnologie beeinflusst. Statt mit dem Erlernen von Verhaltensweisen befasst sich der kognitive Ansatz mit dem Erwerb von Wissen, seiner Enkodierung, Umwandlung, Speicherung und seinem Abruf. Die Grundannahme dieses Ansatzes besteht darin, dass Organismen kognitive Repräsentationen ausbilden, die letztlich auch das Verhalten steuern. Da solche Repräsentationen und kognitive Prozesse nicht direkt beobachtbar sind, müssen sie aus Verhaltensweisen (z. B. verbalen Äußerungen, Bewegungen) erschlossen werden. In diesem Aspekt überschneiden sich der behaviorale und der kognitive Ansatz. Die Orientierung am Verhalten erlaubt kognitive Lernforschung sowohl beim Menschen als auch bei Tieren.

Die Entwicklung von computergestützten Modellen neuronaler Netzwerke führte zu entscheidenden Fortschritten auf dem Gebiet der kognitiven |23|Psychologie. Mithilfe dieser künstlichen Netzwerke können Lernvorgänge simuliert und Rückschlüsse über Vorgänge im neuronalen System von Lebewesen gezogen werden. Dass diese Simulationen den Vorgängen im lebenden Organismus tatsächlich gut entsprechen, bewiesen Studien aus dem Bereich der Neuropsychologie.

Neurowissenschaftlicher Ansatz. In den Neurowissenschaften wird untersucht, welche neurophysiologischen und neuropsychologischen Vorgänge dem Lernen zugrunde liegen. Erste Versuche in dieser Richtung wurden schon in den 20er Jahren durchgeführt (Terry, 2018). Forscher untersuchten beispielsweise die Auswirkungen von Läsionen (Verletzungen) des Gehirns auf das Lernen, die Effekte elektrischer Stimulation in bestimmten Gehirnregionen und biochemische Veränderungen im Gehirn als Resultat von Lernprozessen. Diese Techniken werden prinzipiell, wenn auch in verfeinerter Form, auch heute noch in der neuropsychologischen Forschung angewendet.

Statt Läsionen des Gehirns bei Versuchstieren herzustellen oder auf Versuchspersonen mit Schädelverletzungen zu warten, werden die Funktionen von Gehirnbereichen heute mithilfe bildgebender Verfahren (z. B. Positronen-Emissions-Tomografie, PET) untersucht. Diese geben Aufschluss über die Aktivität einzelner Hirnbereiche, zum Beispiel während der Durchführung unterschiedlicher Lernaufgaben. Andere biologische Prozeduren ermöglichen es, die Mechanismen des Lernens auf zellulärer Ebene zu untersuchen. So konnten beispielsweise die molekularen Änderungen an den Synapsen von Nervenzellen, die bei der Meeresschnecke Aplysia durch Habituation (vgl. Kap. 3.1) entstehen, detailliert aufgezeigt werden.

1.2.2 Perspektiven

Innerhalb jeder der drei Hauptrichtungen der Forschung – behavioraler, kognitiver und neurowissenschaftlicher Ansatz – können unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden. Diese unterscheiden sich darin,

ob mehr nach universellen Prinzipien oder mehr nach individuellen Unterschieden gesucht wird,

ob mehr die Grundlagenforschung oder die Anwendungsorientierung im Zentrum steht und

in welchem Ausmaß die jeweils anderen Ansätze berücksichtigt werden.

Differentielle Perspektive. Ein wichtiger Aspekt der aktuellen Lernforschung besteht darin, dass die Rolle des Lernenden nicht mehr als die eines passiven Rezipienten aufgefasst wird (wie in den Lernexperimenten des klas|24|sischen und operanten Konditionierens). Der Lernende wird vielmehr als aktiver Gestalter des Lernprozesses gesehen, der die Lerninhalte selbst strukturiert und rekonstruiert. Statt nach allgemein gültigen Lerngesetzen wird nach spezifischen Faktoren gesucht, die den Lernerfolg im Einzelfall erleichtern und fördern. Die Bedeutung sozialer, motivationaler und emotionaler Variablen wird ebenfalls stärker berücksichtigt. Lernen wird folglich nicht mehr nur aus universeller, sondern auch aus differentieller Perspektive betrachtet.

Anwendungsorientierung. Die heutige Lernpsychologie ist in hohem Maße anwendungsorientiert. Es wird versucht, lernpsychologische Erkenntnisse in pädagogischen und therapeutischen Anwendungsfeldern umzusetzen und Lernumwelten zu erschaffen, die allgemeinen und spezifischen Lernvoraussetzungen in optimalerweise entsprechen.

Integrative Perspektive. Die aktuelle Lernforschung berücksichtigt die Komplexität und Vielgestaltigkeit menschlichen Lernens und bemüht sich daher um eine Integration der verschiedenen Richtungen. Insbesondere der behaviorale und der kognitive Ansatz stellen nicht länger unvereinbare Positionen dar, sondern ergänzen einander sinnvoll. Die Neurowissenschaften haben zur Vereinbarkeit des behaviorialen und kognitiven Ansatzes beigetragen, indem gezeigt wurde, dass im Gehirn Systeme für das Erlernen von Verhaltensgewohnheiten (behavioral) und von internen Repräsentationen (kognitiv) nebeneinander existieren. Es hängt von den jeweiligen Umständen ab, ob Lernen eher behavioristischen Regeln folgt oder sich durch kognitive Begriffe besser beschreiben lässt (Terry, 2018).

Lernen wird heute als Vorgang angesehen, bei dem zahlreiche Prozesse des klassischen und operanten Konditionierens ebenso wie sozial-kognitive Einflüsse in komplexer Form interagieren. Das Vorhandensein angeborener Lernbereitschaften und individueller Unterschiede beim Lernen wird allgemein anerkannt. Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Lernens, die sich aus der neurophysiologischen und neuropsychologischen Forschung ergeben, werden berücksichtigt und liefern wichtige Impulse für die Anwendung in pädagogischen und therapeutischen Kontexten. Insofern sind heutige Lernmodelle vielschichtiger als ihre Vorgänger, sie schließen mehr Variablen mit ein und berücksichtigen die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Komponenten stärker. Dadurch nähern sich die Modelle der Realität in größerem Maße an, aber es wird zugleich schwieriger, aus ihnen Vorhersagen abzuleiten.

|25|Zusammenfassung

Lernprozesse stellen während der gesamten Lebensdauer und in nahezu allen Lebensbereichen eine Grundvoraussetzung für angepasstes und erfolgreiches Handeln dar. Lernen ist grundsätzlich bei Menschen und Tieren zu beobachten, wobei Menschen zu komplexeren und abstrakteren Lernleistungen in der Lage sind. Unter Lernen versteht man relativ dauerhafte Veränderungen im Verhalten oder in den Verhaltenspotenzialen eines Lebewesens, die auf Erfahrungen beruhen und nicht durch angeborene bzw. genetisch festgelegte Dispositionen, Reifung oder vorübergehende Zustände erklärt werden können. Die mit Lernen verbundenen Veränderungen müssen beobachtbar oder anderweitig nachweisbar sein, wobei sich Verhaltensweisen und Bewegungen, aber auch Veränderungen in den physiologischen, kognitiven und emotionalen Reaktionen als Hinweise auf Lernvorgänge eignen. Umwelteinflüsse und die individuellen Voraussetzungen des Lernenden bestimmen, was und auf welche Weise gelernt werden kann.

Lernen kann dabei viele unterschiedliche Formen annehmen. Im vorliegenden Buch werden das nicht assoziative Lernen, das assoziative Lernen, das kognitive Lernen, das soziale Lernen und das implizite Lernen vorgestellt.

In der heutigen Lernpsychologie dominieren im Wesentlichen drei Ansätze: ein gemäßigt-behavioristischer Ansatz mit dem Schwerpunkt der Verhaltenskontrolle und -modifikation, ein kognitiver Ansatz, der sich überwiegend mit Fragen der Informationsverarbeitung beschäftigt und ein neurowissenschaftlicher Ansatz, der die biologischen und physiologischen Korrelate von Lernprozessen untersucht. Im Gegensatz zu früher ist die Lernpsychologie heute stärker an differentiellen Effekten interessiert und versucht, verschiedene theoretische Positionen zu verbinden, und bemüht sich um einen starken Anwendungsbezug.

|26|2 Grundlagen des Lernens

Beispiel

Der 3-jährige Max sitzt im Kinderzimmer und reiht seine Spielzeugautos aneinander. Seine Mutter setzt sich dazu und fängt spontan an, die Autos zu zählen. Max hört interessiert zu. Nachdem die Mutter alle Autos gezählt hat, bittet Max sie, die Autos erneut zu zählen. Auch er steigt nun in dieses Abzählspiel ein. Von da an nutzt er im Alltag – ob beim Einkaufen, Warten auf den Bus oder Besuch im Zoo – jede Gelegenheit, um Dinge zu zählen. Recht schnell gelingt es ihm, die Zahlen in der korrekten Reihenfolge zu benennen.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass wir nur dann etwas Neues lernen, wenn wir uns das Gelernte durch Wiederholung einprägen. Nur dann gelingt es, zu einem späteren Zeitpunkt das Gelernte auch wieder erinnern zu können. Beim Lernen kommt es also auf das Gedächtnis an. Wie funktioniert jedoch unser Gedächtnis und wie ist es organisiert? Und was passiert in unseren Köpfen, wenn wir etwas Neues lernen oder Gelerntes erinnern? Welche Bedingungen fördern oder hemmen Lern- und Gedächtnisvorgänge? Mit der Klärung dieser Fragen beschäftigen sich die nachfolgenden Abschnitte.