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In "Erfolgsfaktoren für Oberbürgermeisterwahlen" werden differenzierte Antworten gegeben auf die Frage, warum Oberbürgermeisterwahlen gewonnen werden. Die Erkenntnisse, unter welchen Bedingungen welche Faktoren mehr oder weniger wichtig sind, tragen zu einer fundierten Wahlkampfstrategie bei. Die hier für Oberbürgermeisterwahlen beschriebenen Faktoren wirken auch (abhängig von den Rahmenbedingungen) bei Bürgermeisterwahlen in kleineren Gemeinden. Viele Entscheidungen sind nur zu verstehen, wenn das Umfeld der Wahl bedacht wird.
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Seitenzahl: 451
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Erich Holzwarth berät bei Bürgermeister- sowie Oberbürgermeisterwahlen und referiert bei Seminaren zu diesem Thema. Er studierte Geschichte, Empirische Kulturwissenschaft und Politikwissenschaft. Nach Tätigkeiten in der außerschulischen politischen Bildung, bei einer Tageszeitung in Tübingen, im Kulturbereich und bei Oberbürgermeisterwahlkämpfen wurde er Regionalgeschäftsführer der SPD. Seit 2008 ist er Referent beim SPD-Landesverband Baden-Württemberg mit der Zuständigkeit für Kommunalpolitik und (Ober-)Bürgermeisterwahlen. Kontakt: [email protected]
Tabellenverzeichnis:
Abbildungsverzeichnis
Vorbemerkung
Zum Sprachgebrauch
Einleitung, Fragestellung und Methodik
1.1. Fragestellung
1.2. Forschungsgegenstand
1.3. Methodisches Vorgehen
Erkenntnisse der empirischen Wahlforschung zu Determinanten von Wahlentscheidungen
2.1. Theoretische Ansätze zur Erklärung des Wahlverhaltens
2.2. Langfristige Bindungen an Parteien in der Bundesrepublik Deutschland
2.3. Kurzfristige Einflussfaktoren: Orientierung an Kandidierenden, Themen und Kompetenzzuschreibungen sowie Wahl als Mittel zur Zielerreichung
2.4. Fazit im Hinblick auf die Analyse von (Ober-)Bürgermeisterwahlen
Welche Faktoren tragen zum Erfolg bei Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg bei?
3.1. Gibt es ein eigenständiges kommunales Wahlverhalten?
3.1.1. Konvergenz oder Divergenz des Wahlverhaltens auf verschiedenen politischen Ebenen
3.1.2. Wahlenthaltung auf kommunaler Ebene
3.1.3. Zwei-Säulen-Modell zur Erklärung der kommunalen Wahlentscheidung
3.2. Determinanten der Entscheidung bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg
3.2.1. Kandidatenmerkmale
3.2.1.1. Fachausbildung und Verwaltungserfahrung
3.2.1.2. Auswärtigkeit, regionale Herkunft und Machtkontrolle
3.2.1.3. Weitere Merkmale zur Person
3.2.1.4. Amtsbonus und Häufigkeit von sowie Gründe für Nichtwiederwahlen
3.2.2. Parteiorientierung der Wählerschaft und Parteibindung der Kandidierenden oder Distanz zu Parteien
3.2.3. Das „Baden-Profil“
3.2.4. Themen und Programm
3.2.5. Wahlkampf
3.3. Fazit und Forschungsfragen
3.3.1. Fazit
3.3.2. Forschungsfragen
Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg in den Jahren 2003 bis 2006 und allgemeine politische Stimmung
4.1. Chronologischer Überblick über die 44 Oberbürgermeisterwahlen
4.2. Parteibindung der Gewählten und allgemeine politische Stimmung
Darstellung der 44 Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg in den Jahren 2003 bis 2006
5.1. Die 22 Neuwahlen in den Jahren 2003 bis 2006
5.1.1. Politischer Gleichklang bei Neuwahlen: Übereinstimmung von stärkster Partei vor Ort und dem Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl
5.1.1.1. Neuwahl in Wertheim
5.1.1.2. Neuwahl in Calw
5.1.1.3. Neuwahl in Tuttlingen
5.1.1.4. Neuwahl in Donaueschingen
5.1.1.5. Neuwahl in Singen
5.1.1.6. Neuwahl in Waiblingen
5.1.1.7. Neuwahl in Baden-Baden
5.1.1.8. Neuwahl in Mosbach
5.1.2. Politisches Gegengewicht bei Neuwahlen: Nichtübereinstimmung von stärkster Partei vor Ort und dem Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl
5.1.2.1. Neuwahl in Ellwangen
5.1.2.2. Neuwahl in Nürtingen
5.1.2.3. Neuwahl in Kirchheim/Teck
5.1.2.4. Neuwahl in Sinsheim
5.1.2.5. Neuwahl in Bietigheim-Bissingen
5.1.2.6. Neuwahl in Hockenheim
5.1.2.7. Neuwahl in Ostfildern
5.1.2.8. Neuwahl in Aalen
5.1.2.9. Neuwahl in Vaihingen an der Enz
5.1.2.10. Neuwahl in Schorndorf
5.1.3. Neuwahlen in Orten ohne Dominanz einer Partei bei allen Rats- und Parlamentswahlen
5.1.3.1. Neuwahl in Emmendingen
5.1.3.2. Neuwahl in Heidelberg
5.1.4. Einigung der relevanten politischen Gruppierungen auf die Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten bei Neuwahlen
5.1.4.1. Neuwahl in Ludwigsburg
5.1.4.2. Neuwahl in Eppingen
5.2. Die 16 Wiederwahlen in den Jahren 2003 bis 2006
5.2.1. Wiederwahl in Ravensburg
5.2.2. Wiederwahl in Lörrach
5.2.3. Wiederwahl in Rottenburg
5.2.4. Wiederwahl in Öhringen
5.2.5. Wiederwahl in Rheinfelden
5.2.6. Wiederwahl in Konstanz
5.2.7. Wiederwahl in Stuttgart
5.2.8. Wiederwahl in Schwäbisch-Hall
5.2.9. Wiederwahl in Bühl in Baden
5.2.10. Wiederwahl in Lahr
5.2.11. Wiederwahl in Kehl
5.2.12. Wiederwahl in Geislingen an der Steige
5.2.13. Wiederwahl in Remseck am Neckar
5.2.14. Wiederwahl in Karlsruhe
5.2.15. Wiederwahl in Schramberg
5.2.16. Wiederwahl in Esslingen
5.3. Die sechs Nichtwiederwahlen in den Jahren 2003 bis 2006
5.3.1. Abwahl in Reutlingen
5.3.2. Abwahl in Bad Mergentheim
5.3.3. Abwahl in Ettlingen
5.3.4. Abwahl in Göppingen
5.3.5. Abwahl in Tübingen
5.3.6. Abwahl in Schwetzingen
Zusammenfassende Analyse der Kandidatenmerkmale der 44 Oberbürgermeisterwahlen
6.1. Wahlbeteiligung
6.2. Familie, Konfession, Alter und Geschlecht
6.3. Vergleich der Kandidatenmerkmale
6.3.1. Ab- und Wiederwahlen
6.3.1.1. Ungefährdete und gefährdete Wiederwahlen
6.3.1.2. Nichtwiederwahlen
6.3.2. Parteibindung und öffentlich postulierte Parteidistanz
6.3.2.1. Unterstützung durch politische Gruppen und Parteidistanz
6.3.2.2. Politische Bindung und Bedeutung der Parteistärke
6.3.2.2.1. Parteibindung
6.3.2.2.2. Parteibindung in Baden und Württemberg
6.3.2.2.3. Stärkste Partei und Siegchancen
6.3.2.2.4. Parteiwählerpotential und bei Oberbürgermeisterwahlen von Parteimitgliedern erzielte Ergebnisse
6.3.2.2.5. Wahlenthaltung und Mobilisierung parteiorientierter Wähler/innen
6.3.2.2.6. Parteibindung als Erfolgsfaktor: Zusammenfassung
6.3.3. Die objektiven Merkmale Verwaltungskompetenz und Auswärtigkeit
6.3.3.1. Verwaltungskompetenz
6.3.3.2. Auswärtigkeit
6.3.3.3. Vorteil bei Verwaltungskompetenz, Auswärtigkeit sowie Parteibindung bei Neu-, Ab- und Wiederwahlen im Überblick
6.4. Erfolgsmuster in unterschiedlichen Kontexten
6.4.1. Gemeindegröße als Kontext
6.4.2. Merkmalsausprägungen in unterschiedlichen politischen Kontexten
6.4.2.1. Kontext politische Kontinuität oder Wechsel
6.4.2.2. Sieg mit oder ohne Bindung an die stärkste Partei
6.4.2.3. Machtkontrolle als Wahlmotiv und Oberbürgermeisterwahltypen
Fazit und Folgerungen für den Wahlkampf
Anhänge
Anhang 1: Tabelle zu Direktwahlen in Gemeinden, Städten und Kreisen in den Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland
Anhang 2: Liste der Oberbürgermeister/innen in Baden-Württemberg
Anhang 3: Ergebnisse der Landtags-, Bundestags- sowie Gemeinderatswahlen in den Städten mit Oberbürgermeister(inne)n in Baden-Württemberg und Ergebnisse der Sieger/innen bei den Oberbürgermeisterwahlen 2003 bis 2006
Literatur- und Quellenverzeichnis
9.1. Literatur
9.2. Zeitungen und andere Medien
9.3. Quellen für Namen und Zahlen
Tabelle 1: Oberbürgermeisterwahlen 2003 bis 2006 in Baden-Württemberg – chronologisch
Tabelle 2 Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Wertheim
Tabelle 3: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Calw
Tabelle 4: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Tuttlingen
Tabelle 5: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Donaueschingen
Tabelle 6: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Singen
Tabelle 7: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Waiblingen
Tabelle 8: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Baden-Baden
Tabelle 9: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Mosbach
Tabelle 10: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Ellwangen
Tabelle 11: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Nürtingen
Tabelle 12: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Kirchheim
Tabelle 13: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Sinsheim
Tabelle 14: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Bietigheim-Bissingen
Tabelle 15: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Hockenheim
Tabelle 16: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Ostfildern
Tabelle 17: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Aalen
Tabelle 18: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Vaihingen
Tabelle 19: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Schorndorf
Tabelle 20: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Emmendingen
Tabelle 21: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Heidelberg
Tabelle 22: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Ludwigsburg
Tabelle 23: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Eppingen
Tabelle 24: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Ravensburg
Tabelle 25: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Lörrach
Tabelle 26: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Rottenburg
Tabelle 27: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Öhringen
Tabelle 28: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Rheinfelden
Tabelle 29: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Konstanz
Tabelle 30: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Stuttgart
Tabelle 31: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Schwäbisch-Hall
Tabelle 32: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Bühl
Tabelle 33: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Lahr
Tabelle 34: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Kehl
Tabelle 35: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Geislingen
Tabelle 36: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Remseck
Tabelle 37: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Karlsruhe
Tabelle 38: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Schramberg
Tabelle 39: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Esslingen
Tabelle 40: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Reutlingen
Tabelle 41: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Bad Mergentheim
Tabelle 42: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Ettlingen
Tabelle 43: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Göppingen
Tabelle 44: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Tübingen
Tabelle 45: Zusammenfassung der Wahlkampfmerkmale Schwetzingen
Tabelle 46: Wahlbeteiligung bei Oberbürgermeisterwahlen in den Jahren 2003 bis 2006
Tabelle 47: Wahlbeteiligung im Jahr 2006 in Städten mit und bei Oberbürgermeisterwahlen sowie bei der Landtagswahl
Tabelle 48: Merkmalsvergleich Erst- und Zweitplatzierter bei Ab- und Wiederwahlen
Tabelle 49: Merkmalsvergleich Erst- und Zweitplatzierter bei Neuwahlen
Tabelle 50: Politische Bindung der Sieger/innen der Oberbürgermeisterwahlen
Tabelle 51: Politische Bindung der Oberbürgermeister/innen in Baden und Württemberg
Tabelle 52: Politische Bindung Erst- und Zweitplatzierter bei Neuwahlen
Tabelle 53: Parteibindung der Sieger/innen und Vorgänger/innen sowie CDU-Stärke
Tabelle 54: Vergleich der Stimmen bei Oberbürgermeisterwahlen und Parteiwählerpotential
Tabelle 55: Vorhandensein objektiver Merkmale bei Abwahlen
Tabelle 56: Objektive Merkmale Erst- und Zweitplatzierter im Vergleich bei Neuwahlen
Tabelle 57: Sieger/innen im Vorteil, Nachteil oder gleichwertig bei objektiven Merkmalen
Tabelle 58: Vorteil, Nachteil, Gleichheit Erst- und Zweitplatzierter bei objektiven Merkmalen bei Neuwahlen
Tabelle 59: Geografische Herkunft der neu gewählten Oberbürgermeister/innen
Tabelle 60: Oberbürgermeisterwahlen 2003 - 2006 – sortiert nach Einwohnerzahl der Städte
Tabelle 61: Neuwahlen mit und ohne Änderung der politischen Bindung
Tabelle 62: Erfolgsfaktoren für den Sieg bei Oberbürgermeisterwahlen in Abhängigkeit verschiedener Kontextfaktoren
Abbildung 1: Politische Bindung der gewählten Oberbürgermeister/innen, Gewinn- und Verlustbilanz bezogen auf Parteibindung sowie allgemeine politische Stimmung
Abbildung 2: Vorteil bei Parteibindung, Verwaltungskompetenz und Auswärtigkeit bei Wiederwahlen
Abbildung 3: Vorteil bei Parteibindung, Verwaltungskompetenz und Auswärtigkeit bei Abwahlen
Abbildung 4: Vorteil bei Parteibindung, Verwaltungskompetenz und Auswärtigkeit bei Neuwahlen
Abbildung 5: Parteibindung der Sieger/innen in Großstädten
Abbildung 6: Parteibindung der Sieger/innen in Mittelstädten
Abbildung 7: Parteibindung der Sieger/innen in Kleinstädten
Abbildung 8: Vorteile der Neuwahlsieger/innen mit und ohne politischen Wechsel
Abbildung 9: Nachteile der Neuwahlsieger/innen mit und ohne politischen Wechsel
Abbildung 10: Vorteile der Neuwahlsieger/innen mit und ohne Bindung an stärkste Partei
Abbildung 11: Nachteile der Neuwahlsieger/innen mit und ohne Bindung an stärkste Partei.
Abbildung 12: Vorteile der Sieger/innen machtkontrollorientierter Wahlen
Radio-O-Ton über einen „Bürgermeistermacher“: „Er redet (…) von Respekt vor dem Wähler, der ein Gespür hat, was echt ist. Das hindert ihn natürlich nicht, die Wirklichkeit hier und da ein wenig zu manipulieren.“1
Meine berufliche Tätigkeit war Auslöser und ist Ansporn, mich neben praktischer Arbeit wissenschaftlich mit (Ober-)Bürgermeisterwahlen zu befassen. Wer - wie ich – als Berater zu einer Wahlkampfstrategie bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen beitragen möchte, die Realität wahrnimmt und Folgerungen daraus zieht - ohne „Wirklichkeit manipulieren“ zu wollen -, sollte Erklärungen für Erfolg kennen und kritisch prüfen. Wer diese Arbeit in Erwartung eines Drehbuchs für (Ober-)Bürgermeisterwahlen mit einfachen Erfolgsrezepten liest, wird vermutlich enttäuscht werden. Die Studie liefert Grundlagen zum Verständnis von Volkswahlen ins kommunale Spitzenamt und für die Wahlkampfberatung.
1 Tina Hüttl, die Autorin der Sendung „Der Bürgermeistermacher“ in Deutschlandradio Kultur am 14.11.2010, laut Skript dieser Sendung.
„Die Verwendung der Sprache geschieht immer aus einer weltanschaulichen Perspektive.“2
Vorweg eine Episode: An der Schule und in der Klasse, in der die beschriebene Veranstaltung stattfand, werden bei allen Gelegenheiten die Unterrichtenden als „Lehrer“ und die Unterrichteten als „Schüler“ bezeichnet. Bei der Verabschiedung des Klassenlehrers baten drei Schüler „alle anwesenden Fachlehrer“ auf die Bühne. Angesprochen waren damit Lehrerinnen und Lehrer, die auch alle der Aufforderung folgten. Konfrontiert wurden sie mit Quizfragen. Eine davon lautete: „Wer ist der älteste Schüler in der Klasse?“ Von den Lehrer(inne)n wurde eine ganze Reihe von Schülern genannt, aber die Antworten waren durchweg falsch. Am Ende sorgten die fragenden Schüler/innen selbst für die Auflösung und nannten den Namen eines Mädchens. Die Reaktion der durch ihren Misserfolg sichtlich enttäuschten Lehrer/innen kam prompt: „Aber das ist doch eine Schülerin!“
„Zeitungstexte, Lehrbücher, Predigten, Formulare, Reden im Bundestag und weitere Textsorten können heute nicht mehr erstellt werden, ohne dass die Frage der angemessenen sprachlichen Berücksichtigung von Frauen gestellt wird.“3 So lautet die Empfehlung der Dudenredaktion. Um der Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache nachzukommen und einen Beitrag zur leichteren Lesbarkeit zu leisten, steht häufig vor langen Texten die Generalklausel, dass mit männlichen Formen auch die Frauen gemeint seien. Doch dies wird nicht nur von Wissenschaftler(inne)n als unzureichend kritisiert und als Rückschritt gegenüber bisherigen Erfolgen bei der sprachlichen Umstellung gesehen4. Auch in einer vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg herausgegebenen Broschüre wird darauf hingewiesen, dass eine derartige Generalklausel nicht ausreicht5. Es wird vielmehr darauf gedrungen, dass sich durch entsprechende Formulierungen Frauen und Männer gleichzeitig angesprochen fühlen. Denn „die Sprachform beeinflusst die Vorstellungen über die beschriebene Person“6. Nicht nur in der Sphäre der technischen Berufe, sondern generell sind Tätigkeiten, die mit „Status und Ansehen verbunden sind“, „Männerdomänen“7, die durch eine männlich geprägte Sprache weiter verfestigt werden. Das (Ober-)Bürgermeisteramt ist ein Beispiel für einen gesellschaftlichen Bereich, der von Männern dominiert und in der öffentlichen Wahrnehmung - wie Huzel ausführt - mit männlichen Amtspersonen verbunden wird: „Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ist der Bürgermeister naturgemäß männlich.“8. Forscher/innen konstatieren eine Stagnation des niedrigen Anteils von Frauen in kommunalen Führungspositionen (2010 sind in der Bundesrepublik Deutschland nur knapp 13 Prozent der Oberbürgermeister/innen weiblich), bei herausgehobenen Positionen in Großstädten gar eine Verringerung.9 Sprache kann zu einer Veränderung beitragen, „gesellschaftlichen Wandel unterstützen, indem sie mit neuen Formulierungen hilft, das Bewusstsein für das angestrebte Ziel zu stärken.“10 In dieser Arbeit bemühe ich mich um eine geschlechtergerechte Sprache, die Frauen und Männer ansprechen sowie gleichzeitig dem Anspruch der Lesbarkeit genügen soll.
Wenn ausschließlich männliche Sprachformen verwandt werden, geschieht dies bei zusammengesetzten Worten, Zitaten sowie an Stellen, an denen es nur um Männer geht – und vielleicht manchmal aus Gedankenlosigkeit.
2 Sprachforscherin Constanze Spieß laut Stuttgarter Zeitung vom 14.11.2015 zum Sprachgebrauch in der Debatte über Flüchtlinge.
3 Birgit Eickhoff: „Gleichstellung von Frauen und Männern in der Sprache – Empfehlungen der Redaktion des Duden“, o.O., 1999, S. 1.
4 Siehe etwa Marion Sonnenmoser: „Männliche Sprachform führt zu geringem gedanklichen Einbezug von Frauen – Neue Studien belegen die Notwendigkeit des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs“, o.O., 2002, S. 1.
5 Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Soziales Baden-Württemberg und der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit: „So kriegen Sie alle! – Anregungen zur geschlechtsneutralen Kommunikation für Personalverantwortliche und Unternehmen“, Stuttgart, 2009.
6 Sonnenmoser, s.o., S. 1.
7 Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, s.o., S. 7.
8 Vinzenz Huzel: „Wer will Bürgermeister werden? Wertetypen bei angehenden Beamten im ‚gehobenen, nichttechnischen Dienst‘ in Baden-Württemberg und deren Bereitschaft zu einer Kandidatur als Bürgermeister“, Bachelorarbeit, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, September 2010, S. 56.
9 Dazu: Lars Holtkamp, Elke Wiechmann, Sonja Schnittke (Hrsg. von der Heinrich Böll Stiftung): „Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik“, Berlin, 2009; Lars Holtkamp, Elke Wiechmann; Jan Pfetzing: „Zweites Genderranking deutscher Großstädte“, Heinrich Böll Stiftung und Fernuniversität Hagen, 2010.
10 Lisa Irmen, Claudia Sander: „Richtlinien und Beispiele für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch“, Psychologisches Institut (Uni) Heidelberg, Stand: 19.03.02, S. 1.
Wer in Baden-Württemberg (Ober-)Bürgermeister/in werden möchte, findet Rat bei Beratungsunternehmen oder Werbeagenturen, deren „Frontleute“ sich gerne als „Bürgermeistermacher“11 bezeichnen oder bezeichnen lassen. In einer Radiosendung wird geschildert, dass bei einer Wahlkampfberatung nicht nur Werbekonzepte, sondern auch auf die persönliche Lebenssituation bezogene Ratschläge für Wahlsiege weitergegeben werden: Die Autorin der Sendung mit dem Titel „Der Bürgermeistermacher“ sagt über ihren Titelhelden: „Weil seine Erfahrung gezeigt hat, dass keine Frau haben etwa 15 Prozent weniger Stimmen bringt, besorgt er einem Bewerber auch schon mal eine für den Wahlkampf.“12 Danach folgt der O-Ton des Wahlkampfberaters zu dieser Begebenheit und der Nachklapp der Autorin: „‘Das war halt so, dass wir gesagt haben: Sag mal, du bist Anfang 40, du bist nicht verheiratet, wir müssen aufpassen, die Leute sagen: Du bist schwul. Da hat er gesagt: Ne, das bin ich nicht. Da habe ich gesagt: Das weiß ich. Sag ich zu dem: Wenn du keine Partnerin hast, dann sagen die Leute, pass auf, das ist ein Dauerbesucher im Bordell‘. Autorin: ‚Lange musste der den Mann nicht bearbeiten, am Ende wurde er Bürgermeister‘.“13
Wer das (Ober-)Bürgermeisteramt anstrebt, kann auch auf Ratgeber-Literatur zum Thema zurückgreifen. Sie/er stößt z.B. auf das Buch „Karrierechance Bürgermeister – Leitfaden für die erfolgreiche Kandidatur“, bei dem renommierte Wissenschaftler mitwirken.14 Einer von ihnen, Löffler, relativiert in seinem Beitrag die Bedeutung von Werbeagenturen, denen er nicht die Kompetenz für strategische Planung, sondern für werbliche Gestaltungsaufgaben zuspricht: „die strategische Planung von Bürgermeisterwahlkämpfen ist keine Sache für Werbeagenturen, die Gestaltung der unverzichtbaren Werbemittel dagegen schon.“15 Aus seiner Sicht ist die Wirkung isoliert betrachteter subjektiver Kandidatenmerkmale wie der am Anfang angesprochene Beziehungsstatus „völlig falsch eingeschätzt“.16 Er fährt fort: „Sie haben als Einzelmerkmale praktisch keinen Einfluss mehr auf die Wahlentscheidung. Oder noch nie gehabt. Ob ein Kandidat ledig, verheiratet oder geschieden ist, wird von den Wählern überwiegend einfach als Tatsache hingenommen“.17
Warum werden dann (Ober-)Bürgermeisterwahlen gewonnen? In dem genannten „Leitfaden“ beschreibt der bei diesem Thema meistzitierte Wissenschaftler Wehling18, wer in Baden-Württemberg die „größten Chancen hat, zum Bürgermeister gewählt zu werden.“19: „An überprüfbaren – ‚objektiven‘ – äußeren Merkmalen wird erwartet: Es sollte ein gelernter Verwaltungsfachmann sein, der Distanz zur eigenen Partei oder gar Parteilosigkeit aufweist und von außerhalb der Gemeinde kommt. Ob Mann oder Frau ist inzwischen gleich."20 Ein Vorteil bei diesen Kandidatenmerkmalen gegenüber der Konkurrenz ist demnach das Erfolgsmuster bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen. Ihm zufolge kommen neben den „objektiven Merkmalen“ „persönliche (…) Eigenschaften (…) hinzu (...): Bürgernähe, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, konzeptionelle Vorstellungen von der Zukunft der Gemeinde (‚Visionen‘), Entschlusskraft verbunden mit der Eigenschaft, Chancen zu erkennen und im rechten Moment zuzugreifen.“21 Diese „persönlichen Eigenschaften“ sind wichtig, wenn mit „objektiven Merkmalen“ gleich ausgestattete Kandidierende konkurrieren. Wenn Kandidierende einen Vorteil bei den „objektiven“ Merkmalen Verwaltungskompetenz und Auswärtigkeit aufweisen, werden sie insgesamt im Vorteil gesehen – auch und gerade im Wettbewerb mit hinsichtlich der Bindung an die bei anderen Wahlen präferierte Partei im Vorteil befindlicher Konkurrenz. Einen Nutzen von Parteibindung nennt Wehling an dieser Stelle nicht. Löffler schließt ihn im „Leitfaden“ explizit aus: „In den Augen der Wähler ist die Parteizugehörigkeit eines Bürgermeisterkandidaten kein Vorzug.“22
Wenn Parteibindung und politischer Kontext der Wahl keine Rolle spielen, wenn nur Kandidatenmerkmale wahlentscheidend sind, hat bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen dann ein zu Beginn dieses Jahrtausends festgestellter „Trend in Richtung einer stärkeren Personalisierung des Wahlverhaltens“23 den Endpunkt der „Entkoppelung von Parteien und Wählern“24 erreicht? Erst an diesem Endpunkt ist laut Ohr von „personalisiertem Wählerverhalten“ zu reden, da „der Einfluß der Kandidatenmerkmale auf die Wahlentscheidung stärker ist als derjenige der Parteibindung“25?
Dem Ansatz von Wehling und Löffler widerspricht Hoecker26 aufgrund seiner Untersuchung einer Oberbürgermeisterwahl in einer Großstadt. Er sieht die von Wehling genannten Kriterien für den Erfolg bei Oberbürgermeister- und Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg durch die Wahlergebnisse in kleineren Gemeinden geprägt. Nur in allgemein gehaltener Form und nicht in allen Veröffentlichungen – auch nicht im oben zitierten Beitrag - konzediert Wehling, dass mit wachsender Einwohnerzahl die Bedeutung der Orientierungsfunktion der Parteien, ihrer Rolle bei der Bewerberrekrutierung und die Notwendigkeit der von ihnen geleisteten finanziellen sowie organisatorischen Unterstützung im Wahlkampf zunehmen,27 ohne aber das Primat des personalisierten Wahlverhaltens sowie die Wirksamkeit des erfolgversprechenden Kandidatenprofils in Frage zu stellen. Laut Holtkamp sieht Wehling die starke Konzentration der lokalen Politikforschung auf Groß- und Universitätsstädte als Grund, warum in Kommunen ein hohes Maß an Parteipolitisierung festgestellt wird, die aber laut Wehling nicht das wirkliche Bild in den Gemeinden insgesamt widerspiegelt.28 Wenn Gemeinden aller Größenklassen in Baden-Württemberg betrachtet werden, ist zu fragen, ob bei Analysen von Direktwahlen in Kommunen aller Größenklassen die Ergebnisse in kleinen Gemeinden durch ihre - im Vergleich mit größeren Städten - große Zahl das Bild vom Wahlverhalten bestimmen. Denn Gemeinden unter 20.000 Einwohner(inne)n machen 91,1 Prozent aller Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg aus, fast 80 Prozent der Gemeinden haben weniger als 10.000 Einwohner/innen.29
Hoecker begründet Erfolg und Misserfolg der Kandidierenden bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart im Jahr 1996 mit deren parteipolitischem Hintergrund und Hilfe der Parteien: „Für das Abschneiden der einzelnen Kandidaten waren die parteipolitischen Hintergründe der Bewerber bzw. das Zusammenspiel mit den sie tragenden politischen Parteien von ausschlaggebender Bedeutung.“30 Auch wenn er vor einer einfachen Übertragung dieser Erkenntnis auf andere Kommunen warnt, weist er insbesondere bei Oberbürgermeisterwahlen auf die Bedeutung von „parteipolitischen Umständen“31 hin.
Ohne die Umstände zu nennen und ohne den Gedanken auszuführen sieht Löffler an einer Stelle im „Leitfaden“ neben Kandidateneigenschaften deren Zusammenwirken mit Umständen der Wahl als entscheidend für den (Ober-)Bürgermeisterwahlsieg: „Der Wahlerfolg lässt sich immer auf das Zusammenwirken verschiedener Kandidatenmerkmale mit äußeren Umständen zurückführen.“32 Die Überlegung veranlasst Löffler nicht, zu prüfen, unter welchen Bedingungen das von ihm, Wehling u.a. beschriebene, durch objektive Kandidatenmerkmale geprägte Erfolgsmuster seltener oder häufiger bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen festzustellen ist. Hier setzt mein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse an. Denn wenn das von Löffler, Wehling u.a. als Erfolgsmuster benannte Kandidatenprofil nicht unter allen Umständen gleich wirksam ist, sind die Umstände zu klären. Im Zusammenhang welcher Kontextfaktoren ist das Erfolgsmuster mit den „objektiven“ Kandidatenmerkmalen verwaltungskompetent, auswärtig und parteifern unterschiedlich häufig bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen festzustellen? Gibt es Unterschiede bei Vor- bzw. Nachteilen? Bei genauer Betrachtung der Literatur sind Abweichungen und Differenzierungen beim als erfolgversprechend für (Ober-)Bürgermeisterwahlen bezeichneten Kandidatenprofil auch in Veröffentlichungen von Autor(inn)en zu finden, die letztlich das oben genannte Erfolgsmuster postulieren. So sieht Wehling historisch begründete Abweichungen im badischen Landesteil Baden-Württembergs mit mehr einheimischen, verwaltungsfernen und parteinahen (Ober-)Bürgermeister/innen als vorübergehende Erscheinung mit der Tendenz zur Angleichung an das ursprünglich württembergische Erfolgsmodell.33 Kern konstatiert bei Abwahlen mehr Chancen als bei Neuwahlen für „Kommunikationsprofis“ mit wenig oder keiner Verwaltungspraxis, aber letztlich sieht er die Wählerpräferenz für das von Wehling beschriebene Kandidatenprofil bestätigt.34 Bisher wird nicht systematisch gefragt, ob unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen Kandidatenmerkmale unterschiedlich häufig als Erfolgsfaktoren zu finden sind. In dieser Arbeit wird die Frage gestellt, ob die von Wehling, Löffler u.a. als Erfolgsfaktoren bezeichneten Kandidatenmerkmale in verschiedenen Kontexten von Oberbürgermeisterwahlen gleich häufig als Merkmal und Vorteil der Sieger/innen vorhanden sind oder ob trotz dieser Merkmale verloren wird. Wenn es Abweichungen vom Erfolgsmuster gibt, ist nach Gemeinsamkeiten von Wahlen zu fragen, deren Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.
Bei der Durchsicht der Literatur zur empirischen Wahlforschung wird erkennbar, dass kommunale Wahlen und speziell die in der Bundesrepublik Deutschland auf kommunaler Ebene stattfindenden Direktwahlen der politischen und administrativen Spitze weniger Aufmerksamkeit finden als Wahlen auf anderen politischen Ebenen. Dabei hat die Bedeutung der direkten Wahl der kommunalen Spitze in den letzten Jahren zugenommen. Denn Oberbürgermeister/innen und Bürgermeister/innen werden nun in allen, Landräte und Landrätinnen in der Mehrzahl der deutschen Flächenstaaten und der/die Regionspräsident/in der Region Hannover von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt.35
Um Erklärungsansätze für den Erfolg zu überprüfen und ggf. zu modifizieren, wird in dieser nun vorliegenden Arbeit die Wirksamkeit der in der Literatur genannten Erfolgsfaktoren bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg untersucht – warum diese Beschränkung? Wegen der Vielzahl von Direktwahlen der kommunalen Spitze in jedem Jahr ist für eine qualitative Analyse eine Begrenzung der Zahl der untersuchten Wahlen notwendig. Räumlich beschränke ich mich bei der empirischen Untersuchung auf Baden-Württemberg - nicht nur weil Wehling und andere ihren kandidatenorientierten Deutungsansatz im Wesentlichen aufgrund der Analyse von Wahlen in dem Bundesland entwickelt haben, nicht nur weil ich hier auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann. Dieses Bundesland hat auch, zusammen mit Bayern, die am längsten zurückreichende Tradition der direkten Volkswahl von (Ober-)Bürgermeister(inne)n. Und (Ober-)Bürgermeisterwahlen fanden und finden in Baden-Württemberg in der Regel losgelöst von anderen Wahlen statt. Wenn an einem Tag mehrere (Ober-)Bürgermeisterwahlen stattfinden, ergibt sich dies durch örtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit gesetzlichen Fristen für die Neuwahl nach acht Jahren oder bei vorzeitigem Ausscheiden von Amtsinhaber(inne)n.36 Das Kommunalwahlgesetz wurde erst im Jahr 2005 vom Landtag so geändert, dass Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen zeitgleich mit allgemeinen Wahlen stattfinden können, was bis dahin nicht zulässig war. Erstmals fanden am Tag der Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg (Ober-)Bürgermeisterwahlen zeitgleich mit einer anderen Wahl statt. (Ober-)Bürgermeister/innen amtieren hier mit acht Jahren länger als die für fünf Jahre gewählten Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Allein in Baden-Württemberg sind für (Ober-)Bürgermeisterwahlen ausschließlich Einzelbewerbungen möglich. D.h. Kandidierende werden von keiner Partei oder Fraktion im Rat vorgeschlagen, sondern sie bewerben sich individuell.37
Dagegen gab und gibt es in Bayern nicht die Trennung der Wahlen. Dort wird in der Regel die Verwaltungsspitze zeitgleich mit Gemeinde- und Kreisräten gewählt. Deren Amtsdauer ist identisch, wenn nicht Neuwahlen der kommunalen Spitze vorzeitig nötig werden. Wenn in Bayern bei der Direktwahl der Verwaltungsspitze im ersten Wahlgang niemand die absolute Mehrheit erhält, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten statt.38 Die Stichwahl ist dann zwar von der allgemeinen Wahl „abgekoppelt“, aber eine Vorentscheidung ist durch die Reduzierung des Kandidatenangebots gefallen. In Bayern sind Vorschläge von Parteien oder Wählervereinigungen für die (Ober-)Bürgermeisterwahl die Regel.39
Im Allgemeinen können in den Bundesländern außerhalb von Baden-Württemberg zur (Ober-)Bürgermeisterwahl sowohl Einzelbewerber/innen als auch von Parteien oder kommunalen Wählervereinigungen nominierte Kandidat(inn)en antreten. In fast allen Bundesländern werden entweder die Termine der direkten Volkswahl der Verwaltungsspitzen - als Regel mit Ausnahmen bei vorzeitigem Ausscheiden - mit Wahlen zu kommunalen Räten zusammengelegt, oder die Direktwahltermine aller oder mehrerer Gemeinden werden auf einen Tag gelegt. Bei der Zusammenlegung mehrerer (Ober-)Bürgermeisterwahlen und mehr noch bei gemeinsam mit Rats- und Parlamentswahlen abgehaltenen wird der „bundespolitischen Großwetterlage“ mehr Einfluss auf Direktwahlergebnisse zugeschrieben als bei Entkopplung der Wahlen.
Durch die Loslösung der (Ober-)Bürgermeisterwahlen von anderen Wahlen und die Betonung der Individualwahl im Wahlrecht besteht in Baden-Württemberg also eine gute Möglichkeit, Faktoren herauszuarbeiten, die zum Erfolg bei direkten Wahlen von Verwaltungsspitzen durch die Bevölkerung beitragen. Trotz weiter bestehender - rechtlicher und politisch-kultureller - Unterschiede zwischen den Bundesländern gewinnen Erkenntnisse aus Baden-Württemberg zum Direktwahlverhalten für andere Bundesländer nach der Einführung der Direktwahl der Verwaltungsspitze an Bedeutung, denn laut Bogumil/Heinelt „verstärken sich Tendenzen einer weiteren Angleichung an das baden-württembergische Grundmodell.“40
Erarbeitet wurden grundlegende Erklärungsansätze für Erfolge bei Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg entweder durch Analysen von Wahlen in Gemeinden aller Größenklassen – so von Kern und Wehling/Siewert41. Oder sie waren Ergebnisse von Fallstudien zu einzelnen Oberbürgermeisterwahlen im Rahmen der empirischen Wahlforschung – so die Studien zu zwei großen Städten42 von Biege/Fabritius/Siewert/Wehling43 und Hoecker44. Da es im Jahr 2006 in Baden-Württemberg insgesamt 1108 Gemeinden45 gab und in diesem Bundesland in jedem Jahr über hundert Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen stattfinden, ist für eine Untersuchung mit begrenzten Mitteln eine Beschränkung der Stofffülle unumgänglich.46 Weil die wissenschaftliche Debatte weniger bei der Erklärung von Siegen bei Bürgermeisterwahlen in kleineren Gemeinden, sondern immer wieder neu bei der Begründung von Erfolgen bei Oberbürgermeisterwahlen entfacht wird, werden Oberbürgermeisterwahlen in Städten mit über 20.000 Einwohner/innen untersucht und keine Bürgermeisterwahlen einbezogen. Die Reduktion der Stofffülle soll hier nicht so weit gehen, dass aus der Analyse eines einzelnen Fallbeispiels sich möglicherweise ergebende Besonderheiten als Grundlage für Verallgemeinerungen genommen werden. Denn Löffler betont im Hinblick auf erfolgreiche Kandidaturen: „Jede einzelne Wahl ist aber ein singuläres Ereignis.“47 Um zu allgemeinen und bezüglich der Wirksamkeit von Erfolgsfaktoren differenzierten Aussagen zu gelangen, untersucht die hier vorliegende Arbeit mehr als eine Wahl.
Analysiert werden in meiner Arbeit Oberbürgermeisterwahlen in laut amtlicher Statistik als „Städte“48 bezeichneten Kommunen mit über 20.000 Einwohner(inne)n. 101 Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohner/innen standen in Baden-Württemberg zum Zeitpunkt der Untersuchung 1007 Orte mit einer geringeren Bevölkerungszahl gegenüber.49 In den 101 Kommunen lebt mit über fünf Millionen Menschen etwa die Hälfte der Bevölkerung Baden-Württembergs.50 Auch bundesweit wohnt in Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohner/innen rund die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands.51 In 98 der 101 Kommunen über 20.000 Einwohner(inne)n amtierten zur Zeit der Untersuchung Oberbürgermeister/innen.52 Die Frage, wer gewonnen hat, wird für die Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg in den Jahren 2003 bis 2006 gestellt. Die zeitliche Einschränkung auf die vier Jahre von 2003 bis 2006 ist eine zufällige. Mit der Untersuchung eines Teils aller Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen wird eine mittlere Ebene gewählt zwischen der Einzelfallstudie und der Analyse der Gesamtheit von Kommunen und Wahlen in einem Bundesland. Dies entspricht dem Ansatz von Kern, der die Zahl der untersuchten Wahlen auf 147 einschränkte, indem er die auswählte, bei denen wieder antretende (Ober-)Bürgermeister/innen in drei Jahrzehnten nicht wieder gewählt wurden. Bei seiner und der vorliegenden Studie wird jeweils ein Ausschnitt aus allen (Ober-)Bürgermeisterwahlen in einem begrenzten Zeitraum gewählt.
Im Untersuchungszeitraum fanden 44 Oberbürgermeisterwahlen statt. D.h. in dieser Zeit wurden von den 98 in Baden-Württemberg am Ende des Jahres 2006 amtierenden Oberbürgermeister/innen rund 45 Prozent neu- oder wiedergewählt.53 Um Unterschiede zwischen den Wahlarten erkennen zu können, werden in der hier vorliegenden Arbeit sowohl Ab- und Wiederwahlen als auch Neuwahlen untersucht. Diese Wahlen unterscheiden sich dadurch, dass Amtsinhaber/innen wieder oder nicht mehr antreten. Denn bisherige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Wieder- und Abwahlen durch den positiv oder negativ gewerteten Amtsbonus stark geprägt sind und sich daher von Neuwahlen unterscheiden. Unter den 44 Oberbürgermeisterwahlen sind 22 Neuwahlen, bei denen keine Amtsinhaber/innen antreten, sowie 22 Ab- und Wiederwahlen, bei den Amtsinhaber/innen sich (erfolglos oder erfolgreich) wieder bewerben.
Unterscheiden sich (Ober-)Bürgermeisterwahlen durch ausschließlich kandidatenorientierte Wahlentscheidungen von anderen politischen Wahlen? Brettschneider sieht zunehmende Personalisierung bei Wahlen nicht als generellen Trend bestätigt. Er stellt in einer grundlegenden empirischen Untersuchung fest, dass Personalisierung von Wahl zu Wahl unterschiedlich stark ausfalle54 und nur bei passender Kandidatenkonstellation und politischer Ausgangslage die Wahlkampfstrategie der „Entkopplung von Kandidat und Partei“55 zum Erfolg führt. Personalisiertes Wahlverhalten ist für ihn abhängig von institutionellen, situativen und individuellen Faktoren56. Fallen Oberbürgermeisterwahlen aus dem Rahmen der Erkenntnisse der empirischen Wahlforschung heraus, da Aussagen zur Bedeutung fester Parteibindungen und kurzfristig wirkender Einflussfaktoren für das Wahlverhalten überwiegend auf der Analyse überörtlicher, allgemeiner Wahlen beruhen?57 Spielt die in der Forschung festgestellte Zunahme instrumenteller Wahlentscheidungen keine Rolle bei Oberbürgermeisterwahlen?58 Um den von der empirischen Wahlforschung gesteckten Rahmen auszuleuchten und Erkenntnisse über wahlentscheidende Faktoren bei Oberbürgermeisterwahlen in diesen Zusammenhang zu stellen, werden im ersten Literaturkapitel dieser Arbeit grundlegende Erklärungsansätze für das Wahlverhalten dargestellt.
Im zweiten Teil des Literaturberichts werden in der Wissenschaft diskutierte Erfolgsfaktoren bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg erörtert. Am Beginn der systematischen wissenschaftlichen Forschung dazu steht die Frage, ob es ein eigenständiges kommunales Wahlverhalten gibt oder ob kommunales Wahlverhalten überwiegend ein Reflex „gesamtsystemaren Wahlverhaltens“59 ist. Nach dieser Frage werden in diesem Teil der Arbeit neben den bereits genannten Kandidatenmerkmalen weitere in der Literatur zu findende Faktoren dargestellt, die zum Erfolg bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen beitragen. Aus der Auswertung der wissenschaftlichen Literatur heraus werden Forschungsfragen zur Analyse der Oberbürgermeisterwahlen entwickelt.
Der Literaturbericht schafft die Grundlage für die Analyse der Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg in vier Jahren unter dem Aspekt, welche Faktoren die Wahlentscheidung bestimmten. Ein Faktor, der zum Wahlsieg beiträgt, wird hier als „Erfolgsfaktor“ bezeichnet. Zum Begriff der „Erfolgsfaktoren“ findet sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur, z.B. bei Pörner, eine Definition, die - bezogen auf Oberbürgermeisterwahlen - dieser politikwissenschaftlichen Arbeit zugrunde gelegt wird: „Unter Erfolgsfaktoren verstehen wir alle Faktoren, von denen man annehmen kann, dass sie den unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg entscheidend beeinflussen.“60 Es geht um Faktoren, die über Besonderheiten bei einzelnen Wahlen hinaus wirksam und verallgemeinerbar als Erfolgsfaktoren bei Oberbürgermeisterwahlen zu sehen sind. Eine kritische Anmerkung zum betriebswirtschaftlichen „Erfolgsfaktorenkonzept“ lautet, dass bei den „strategischen Erfolgsfaktoren“ für Unternehmen das Umfeld nicht aus dem Blick verloren werden darf und Erfolgsfaktoren nicht an jeder Stelle, zu jeder Zeit gleich wirken. Gefragt wird daher in der vorliegenden Arbeit, ob die Erfolgsfaktoren unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen in gleichem Maß wirksam sind.
Im „Handbuch Wahlforschung“ führt Schoen aus, dass die empirische Wahlforschung methodisch auf aggregierte Sekundär- und individuell erhobene Primärdaten zurückgreift.61 Eine als Methode für die Untersuchung der 44 Wahlen denkbare, repräsentative Befragung Wahlberechtigter in 44 Städten wäre angesichts begrenzter Ressourcen eine kaum zu bewältigende Hürde gewesen. Wenn eine solche umfangreiche Befragung durchgeführt worden wäre, wäre damit der Aspekt individueller Begründungen für Wahlentscheidungen vertieft worden. Erfasst werden durch Befragungen Verhaltensabsichten der Befragten oder deren retrospektive - z.T. die sozial erwünschte - Wahrnehmung ihres Verhaltens. Die Auswertung wissenschaftlicher Literatur zeigt, dass Erkenntnisse zu Strukturmerkmalen von Wahlentscheidungen, um die es in dieser Arbeit geht, auch auf andere Weise als durch Befragungen gewonnen werden. Die bei Umfragen genannten Gründe für die Entscheidung bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen entsprechen denen, die sich aus der Auswertung von Sekundärdaten ergeben. In Bezug auf Kandidatenmerkmale zeigt dies etwa die Befragung von Tabor62, in der gleichzeitig Entscheidungskriterien genannt werden, die sich nicht in der realen Wahlentscheidung niederschlagen. Die von ihm erfragten Erwartungen an (Ober-)Bürgermeister/innen entsprechen einerseits den Merkmalen, die bei anderen Studien auch durch Analyse von Sekundärdaten gewonnen werden. Die Befragten wünschen sich als „Bürgermeister“ einen „relativ jungen, ortsfremden und verheirateten Verwaltungsfachmann mit einem überwiegend distanzierten Verhältnis zu politischen Parteien“.63 Anderseits schlagen sich von den Interviewten formulierte neue Ansprüche nicht in Wahlergebnissen nieder, sondern werden sich nach Tabors Auffassung erst in Zukunft durch entsprechendes Wahlverhalten auf das Sozialprofil der Gewählten auswirken, nämlich mit der Wahl von mehr Frauen und mehr Universitätsabsolvent(inn)en.64
Um Strukturmerkmale bei den Entscheidungen der 44 Oberbürgermeisterwahlen herauszuarbeiten, werden in dieser Arbeit öffentlich zugängliche Sekundärdaten ausgewertet: Wahldaten (Ergebnisse, Wahlbeteiligung) sowie Faktoren, die in Veröffentlichungen genannt und als für das Ergebnis entscheidend bezeichnet werden. Quellen sind Veröffentlichungen von für die Wahlen zuständigen Behörden wie statistischen Ämtern, bereits vorhandene wissenschaftliche Abhandlungen zu einigen Oberbürgermeisterwahlen sowie auf das Lokalgeschehen bezogene, gedruckte und elektronische, meist tagesaktuelle Medien. Bei letzteren handelt es sich überwiegend um in Papierform oder im Internet veröffentlichte Ausgaben von Tageszeitungen, die mehr Artikel zu Oberbürgermeisterwahlen in Städten enthalten als zu Bürgermeisterwahlen in kleineren Gemeinden. Nicht immer wurde komplett die Berichterstattung über die ganze Zeit vor und während der Wahlkämpfe ausgewertet, aber immer die Analyse nach der Wahl in den Medien, da in den Artikeln nach der Wahl die wahlentscheidenden Faktoren geschildert werden. Bei der Analyse von Sekundärdaten sind Forscher/innen nicht wie bei einer Befragung auf die Kooperation mit Beteiligten angewiesen. Nachträglich können bei Befragungen Geschehnisse zurechtgerückt werden.65
Bei der Untersuchung einer großen Zahl von Fallbeispielen gilt generell die Inhaltsanalyse, die Auswertung von Texten, als probate Methode.66 Die Analyse der Medien und der Fachliteratur liefert die Außensicht professioneller Beobachter/innen - dazu gehören die Lokaljournalist(inn)en - zur Wahlentscheidung vor Ort und in deren Auswahl die Sicht der Beteiligten. Auch wenn in Betracht gezogen wird, dass Journalist(inn)en selbst in das örtliche Geschehen einbezogen sind, sind sie in der Regel weniger parteiisch als unmittelbar an der Wahlauseinandersetzung Beteiligte. Die Inhaltsanalyse schützt damit ein Stück weit vor der Betriebsblindheit der in das Wahlgeschehen direkt Involvierten67, die zu beachten ist bei der Auswertung von Experteninterviews dieser Personengruppe. Löffler weist auf das Risiko der Nutzung von Kandidatenbefragungen hin und warnt, Erfahrungen sowie Ratschläge erfolgreicher Bewerber/innen einfach zu verallgemeinern: „methodisch unzulässig ist es, aus einem einzelnen erfolgreichen Wahlkampf allgemeine Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Wahlkampfführung abzuleiten, wie das Bürgermeister gerne tun. Denn was im einen Fall erfolgreich ist, kann im nächsten Fall der Grund für ein Scheitern sein.“68 Anders als bei Kern werden daher in der vorliegenden Arbeit nicht Antworten Beteiligter und von Fachleuten auf gezielte Fragen präsentiert. Vielmehr wurden unstandardisierte Interviews vor Ort geführt zur Einschätzung des Geschehens, die hier nicht explizit dokumentiert werden. Eigene Beobachtungen ergänzen das Gesamtbild, aber deren Verwertung ist durch eigene mittelbare oder unmittelbare Beteiligung an einem Teil der Wahlen Grenzen gesetzt.
Gegenüber Befragungen bieten Inhaltsanalysen „manifest gewordener Kommunikationsprozesse“69 in Medien den Vorteil leichterer Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Die Auswertung von Medieninhalten, insbesondere Tageszeitungen, bildet auch bei den Arbeiten von Kern und Hoecker die Grundlage für die Erforschung von Gründen für den Erfolg bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg70. Anders als Kern habe ich Strukturdaten wie Einwohnerzahlen, Wahlergebnisse oder Angaben zu den Bewerber/innen nicht per Fragebogen bei den Kommunen, sondern an Hand der Quellen direkt erhoben.71 Eine mit den Studien von Hoecker und Kern vergleichbare Methodik erleichtert den Vergleich der Ergebnisse der Untersuchungen.
Die 44 untersuchten Wahlen werden entlang der Kontextbedingung, ob Amtsinhaber/innen kandidieren, in Ab-, Wieder- und Neuwahlen unterschieden. Die Neuwahlen werden aufgrund der Beziehung der Sieger/innen zu den bei Rats- und Parlamentswahlen im Untersuchungszeitraum dominierenden Parteien und des Verhaltens der örtlichen politischen Kräfte - Konkurrenz oder Übereinkunft - bei der Wahl kategorisiert. Die Oberbürgermeisterwahlen werden zunächst einzeln analysiert als Fallbeispiele. Diese Fallstudien mit der Erklärung von Ergebnissen in einzelnen Städten bieten die Möglichkeit, die Komplexität und Besonderheiten von Oberbürgermeisterwahlentscheidungen darzustellen. Die Einzelanalysen beleuchten den Kontext und mögliche Besonderheiten der 44 Oberbürgermeisterwahlen.
Mit der Untersuchung auf einer Ebene zwischen Totalerhebung aller Wahlen und Einzelfallanalyse wird vermieden, einerseits einen Sonderfall zu verallgemeinern und andererseits nur Zahlen zu interpretieren, ohne den Kontext der Wahlen zu kennen. Um der von Holtkamp genannten Gefahr zu entgehen, dass aus Fallstudien gewonnene Erkenntnisse zu einer „Überbetonung lokaler Spezifika“72 führen, und die generelle Relevanz der für einzelne Wahlen bedeutsamen Entscheidungsfaktoren zu erkennen, werden aus den Fallbeispielen gewonnene Erkenntnisse in Beziehung zu einander gesetzt. Verglichen werden auf Grund der Auswertung der Quellen Merkmale der im entscheidenden Wahlgang Erst- und Zweitplatzierten73 in verschiedenen Kontexten. Um Unterschiede der Merkmalsausprägungen bei unterschiedlichen Wahlkonstellationen zu erkennen, werden auch Sieger/innen unter unterschiedlichen Konkurrenzbedingungen miteinander verglichen. Die beschreibende Statistik ermöglicht Aussagen über die Häufigkeitsverteilung von Erfolgsfaktoren bei dem als Stichprobe zu sehenden Ausschnitt aus der Gesamtheit der Wahlen. Die zusammenfassende Analyse der Wahlen zeigt statistisch signifikante Muster auf. Aufgrund des Vergleichs der Kandidatenmerkmale ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Erfolgsmuster. Der Typenbildung74 bei Scholz nach der Auswertung von 19 Karrieren und Führungsstilen von Oberbürgermeisterinnen75 vergleichbar werden Typen gebildet, die sich unterscheiden durch verschieden große Bedeutung von Erfolgsfaktoren.
Bisher fehlt in der Literatur der Vergleich Erst- und Zweitplatzierter bei mehreren und verschiedenen Arten von (Ober-)Bürgermeisterwahlen unter Einbeziehung des Kontexts. Aus Erhebungen zu Merkmalen amtierender (Ober-)Bürgermeister/innen in Baden-Württemberg wurde etwa von Bäuerle, Wehling u.a.76 geschlossen, wie gesiegt wird. Aus dem Vorhandensein überwiegend parteiloser, vor ihrer Wahl auswärtiger und bereits verwaltungserfahrener Amtsinhaber/innen wurde ein Erfolgsmuster für Wahlen entwickelt, das hier durch den Vergleich Erst- und Zweitplatzierter in verschiedenen Kontexten überprüft wird.
11 In Baden-Württemberg werden in den Medien (nach meiner Kenntnis) bisher ausschließlich Männer als „Bürgermeistermacher“ präsentiert.
12 Hüttl, Deutschlandradio Kultur am 14.11.2010, s.o..
13 A.a.O.. Wäre heterosexuelle Partnerschaft der „Königsweg“ zum Sieg, wie ist dann die Wahl eines Homosexuellen gegen heterosexuelle Konkurrenz zum Oberbürgermeister in einer katholisch geprägten Stadt in Oberschwaben zu erklären?
14 Paul Witt (Hrsg.): „Karrierechance Bürgermeister – Leitfaden für die erfolgreiche Kandidatur“, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, 2010; die männliche Form ist angebracht, da nur männliche Wissenschaftler mitwirken. Die einzige weibliche Autorin ist eine Bürgermeisterin.
15 Berthold Löffler: „Bürgermeisterwahlkampf – Strategie und Taktik“, in: Witt: „Karrierechance …“, s.o., S. 53-89, S. 55.
16 A.a.O., S. 72.
17 Ebenda.
18 In der „Verwaltungszeitung Baden-Württemberg, Organ des Verbands der Verwaltungsbeamten Baden-Württemberg e.V.“ Nr. 5/2011 wird Wehling in einem Seminarbericht auf der Seite 19 gar als „Bürgermeisterpapst“ bezeichnet - womit die Bedeutung seiner Aussagen unterstrichen wird.
19 Hans-Georg Wehling: „Wer wird Bürgermeister?“, in: Witt: „Karrierechance …“, s.o., S. 39-52, S. 40.
20 Ebenda.
21 Ebenda.
22 Löffler: „Bürgermeisterwahlkampf …“, s.o., S. 74.
23 Dieter Ohr: "Wird das Wählerverhalten zunehmend personalisierter, oder: Ist jede Wahl anders? Kandidatenorientierungen und Wahlentscheidung in Deutschland von 1961 bis 1998", in: Markus Klein, Wolfgang Jagodzinski, Ekkehard Mochmann und Dieter Ohr (Hrsg.): „50 Jahre Empirische Wahlforschung in Deutschland. Entwicklung, Befunde, Perspektiven, Daten“, Wiesbaden, 2000“, S. 272-308, S. 298.
24 A.a.O., S. 277.
25 Ebenda.
26 Markus Hoecker: „Die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart 1996 – Parteipolitik und Wahlkampfstrategie: die kommunale Persönlichkeitswahl im Spannungsfeld der modernen Parteiendemokratie – Eine Einzelfallstudie“, Stuttgart, 2005.
27 Siehe u.a. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung 242 (überarb. Neuauflage 2006): „Kommunalpolitik“ (Autor: Hans-Georg Wehling), Bonn, 2006, S. 46-47.
28 Lars Holtkamp: „Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie – Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie“, Wiesbaden, 2008, S. 89. Wehling erklärt bundesweit den Grad der Parteipolitisierung in Kommunen „vor allem mit der Gemeindegröße, dem Kommunalrecht und der politischen Kultur“, a.a.O., S. 87. In Großstädten wird eine Annäherung an Politikmuster auf Bundesebene gesehen.
29 Timm Kern: „Warum werden Bürgermeister abgewählt?“, Stuttgart, 2007, S. 110.
30 Hoecker, s.o., S. 168.
31 A.a.O., S. 169.
32 Löffler: „Bürgermeisterwahlkampf …“, s.o., S. 63
33 Hans-Georg Wehling/H. Jörg Siewert: „Der Bürgermeister in Baden-Württemberg“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 2. Auflage 1987, S. 84.
34 Kern, s.o., S. 204, 225 und 214-215.
35 Siehe den Überblick in der Tabelle 1 im Anhang aus: Ursula Wolf: „Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg“, unveröffentlichtes Diskussionspapier, Stuttgart, Stand 28.12.2002 (Tabelle vom Autor dieser Arbeit aktualisiert). In Schleswig-Holstein wurde die 1996 eingeführte Direktwahl der Landrätinnen bzw. Landräte 2009 wegen niedriger Wahlbeteiligungen wieder abgeschafft. Die Literatur zu Direktwahlen beschäftigt sich überwiegend mit Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen, denen auch ich mich zuwende.
36 Hans-Georg Wehling: „Einleitung“, in: Hermann Bausinger, Theodor Eschenburg u.a.: „Baden-Württemberg – Eine politische Landeskunde“, Stuttgart, Berlin, Köln, 4. Auflage 1996, S. 11-13, S. 12; Hans-Georg Wehling: „Gemeinden und Kommunalpolitik“, ebenda, S. 150-171, S. 151ff..
37 Wehling, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), s.o., S. 36.
38 In Baden-Württemberg gibt es bei (Ober-)Bürgermeisterwahlen einen ersten und zweiten Wahlgang. Wer im ersten die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, ist gewählt. Eine einfache Mehrheit reicht für den Sieg im zweiten, der eine „Neuwahl“ ist, zu der neben den Bewerber/innen der ersten Runde neue antreten dürfen. Auch in Sachsen ist der zweite Wahlgang keine Stichwahl, sondern eine „Neuwahl“, zu der alle Bewerber/innen des ersten antreten können.
39 Holtkamp: „Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie“, s.o., S 153.
40 Jörg Bogumil/Hubert Heinelt: „Bürgermeister in Deutschland – Einleitung und Überblick“, in: Jörg Bogumil/Hubert Heinelt (Hrsg.): „Bürgermeister in Deutschland – Politikwissenschaftliche Studien zu direkt gewählten Bürgermeistern“, Wiesbaden, 2005, S. 7-11, S. 7.
41 Kern, s.o., Wehling/Siewert, s.o.. Kern und Wehling/Siewert leisten nach ihren Angaben einen Beitrag zur Elitenforschung. Bei Wehling/Siewert (siehe S. 9) prägen die vielen kleineren Gemeinden durch ihre große Überzahl das Bild der Karriere des „typischen“ Bürgermeisters (Bürgermeisterinnen gab es Mitte der achtziger Jahre in Baden-Württemberg nicht), der oft ohne Rücksicht auf Parteien und Organisationen ins Amt kommen kann, da der direkte Zugang zu den Menschen mit sinkender Einwohnerzahl einfacher wird und häufig (schlagkräftige) örtliche Parteiorganisationen fehlen.
42 Es geht um Reutlingen und die Großstadt Stuttgart. Reutlingen ist jetzt ebenfalls Großstadt mit über 100.000 Einwohner/innen, war es aber zum Zeitpunkt der Untersuchung von Biege et. al. noch nicht.
43 H.P. Biege/G. Fabritius/H.J. Siewert/H.-G. Wehling: „Zwischen Persönlichkeitswahl und Parteientscheidung – Kommunales Wahlverhalten im Lichte einer Oberbürgermeisterwahl“, Königstein/TS, 1978.
44 Hoecker, s.o..
45 Siehe die Zahlen des statistischen Landesamts Baden-Württemberg; vgl. Theodor Pfizer und Hans-Georg Wehling: „Die Gemeinden und ihre Aufgaben – Eine Einführung“, in Theodor Pfizer und Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Kommunalpolitik in Baden-Württemberg“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1985, S. 13-126, S. 20. Die Zahl der selbständig verwalteten Gemeinden in Baden-Württemberg sank durch einen Zusammenschluss von acht Gemeinden in Südbaden zum 1.1.2009 auf 1101.
46 Da es keine festen Termine für (Ober-)Bürgermeisterwahlen gibt, werden die für acht Jahre (regulär nur durch die Altersgrenze verkürzt) zu wählenden Amtsträger/innen das ganze Jahr hindurch an vielen Sonntagen (nur in den Ferien oder an „hohen“ Feiertagen seltener oder nicht) gewählt.
47 Löffler: „Bürgermeisterwahlkampf …“, s.o., S. 88.
48 Die Definition der amtlichen Statistik unterscheidet zwischen „Gemeinden“ mit bis zu 19.999 Einwohner/innen, „Kleinstädten“ zwischen 20.000 und 49.999, Mittelstädten zwischen 50.000 und 99.999 und Großstädten über 100.000 Einwohner/innen, siehe Holtkamp: „Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie …“, s.o., S. 45. In Baden-Württemberg führen einige Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohner/innen aufgrund historischer Rechte den Titel „Stadt“, ohne dass das Gemeindeoberhaupt „Oberbürgermeister/in“ heißt, von denen aber keine in die Studie einbezogen ist.
49 Siehe dazu Kern, a.a.O., S. 110. Drei Kommunen mit über 20.000 Einwohner/innen, deren Verwaltungschefs im Untersuchungszeitraum den Titel „Bürgermeister“ trugen, sind nicht einbezogen; in einer dieser drei Städte fand 2006 eine Wiederwahl statt.
50 Siehe die Tabelle 15.1. in: Schmid, Josef/ Zolleis, Udo:“ Wahlkampf im Südwesten“, Berlin, 2007, S. 269 und die Angaben des statistischen Landesamts Baden-Württemberg; in diesem Land leben über 10 Millionen Menschen, davon über 5 Millionen in Kommunen mit über 20.000 Einwohner/innen.
51 Wenn die drei Stadtstaaten mit ihren vier Städten dazugerechnet werden, leben über 58 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung in „Städten“. Werden nur die Flächenländer betrachtet, leben fast 48 Prozent der Einwohner/innen in Kommunen über der 20.000er-Grenze, Quelle: Gemeindeverzeichnis der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (internetbasierte Datenbank). Bundesweit leben und arbeiten in Deutschland drei Viertel der Bevölkerung in den „Stadtregionen“, also in den Städten selbst und ihrem nahen Umland; siehe DEMO 3/2009, S. 6.
52 In Baden-Württemberg werden Oberbürgermeister/innen in der Regel in Städten mit über 20.000 Einwohner/innen gewählt, aber die Kommune muss beschließen, das Land muss genehmigen, dass das Gemeindeoberhaupt „Oberbürgermeister/in“ heißt. Es gibt keinen Automatismus beim Sinken unter oder Steigen über die 20.000 Einwohnergrenze. Im Jahr 2009 wurden zwei Städte, 2013 wurde eine weitere zur „Großen Kreisstadt“ ernannt, so dass dort seither Oberbürgermeister/innen amtieren.
53 Im Anhang 2 sind die bis Ende des Jahres 2007 gewählten Oberbürgermeister/innen aufgeführt.
54 Frank Brettschneider: „Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung – Kompetenz – Parteien. Ein internationaler Vergleich“, Wiesbaden, 2002, S. 207
55 A.a.O., S. 16; Auch Gramling spricht von „Entkopplung von Partei und Kandidat“ – siehe: Roland Gramling: „Der Kandidat ist online! Politische Kommunikation im Internet“, Diplomarbeit, Hochschule Darmstadt, 2006, S. 23 ff..
56 Brettschneider: „Spitzenkandidaten …“, s.o., S. 207.
57 Siehe etwa Rainer-Olaf Schultze: „Wahlforschung/Wahlsoziologie“, in: Dieter Nohlen (Hrsg.): „Wörterbuch Staat und Politik“, Bonn, 1991, S. 769-777, insbesondere S. 773.
58 Siehe etwa Rainer-Olaf Schultze: „Wählerverhalten im Zeichen strukturierter Vielfalt“, in: Der Bürger im Staat 2/2009, S. 82-89, S. 82.
59 So in der Zusammenfassung des Beitrags von Paul Kevenhörster: „Parallelen und Divergenzen zwischen gesamtsystemarem und kommunalem Wahlverhalten“, in: Franz Schuster (Hrsg.): „Kommunales Wahlverhalten“, S. 241-284, auf S. XXIII.
60 Ronald Pörner: „Die Net-Economy – Besonderheiten und Strategische Erfolgsfaktoren“, in: Manschwetus, U./Rumler, A.: „Strategisches Internetmarketing – Entwicklungen in der Net-Economy“, Wiesbaden, 2002 und auf der Homepage von Prof. Dr. Ronald Pörner, S. 7-8 der Homepageversion.
61 Harald Schoen: „Daten in der empirischen Wahlforschung“, in: Jürgen W. Falter, Harald Schoen (Hrsg.): „Handbuch Wahlforschung“, Wiesbaden, 2005, S.89-104, S. 90.
62 Manuel Tabor: „Bürgermeister in Baden-Württemberg – Anspruch und Wirklichkeit. Eine Untersuchung von Sozialprofil und Aufgaben der Amtsinhaber, sowie der Anforderungen und Vorstellungen der Wähler“, Diplomarbeit, FH Kehl, 2006.
63 A.a.O., S. 46.
64 A.a.O., S. 47.
65 Vgl. Broschek/Schultze, s.o., S. 31.
66 Siehe zur Inhaltsanalyse Ulrich von Alemann/ Erhard Forndran: „Methodik der Politikwissenschaft“, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1974, S. 163 ff..
67 Siehe Hoecker, s.o., zur Methodik bei ihm die Seiten 13 ff..
68 Löffler: „Bürgermeisterwahlkampf…“, s.o., S. 88.
69 Jürgen Kriz: „Empirische Sozialforschung“, in: Dieter Nohlen, a.a.O., S. 109-112, insbes. S. 110.
70 Siehe Kern, s.o., S. 36 und Hoecker, s.o., S.23 zur Beurteilung von Zeitungsartikeln als deren zentrale Quelle für ihre Studien. Kern nutzt die Pressespiegel der Gemeindeverwaltungen.
71 Siehe Kern, s.o., S. 31-36, zu seinem methodischen Vorgehen.
72 Holtkamp: „Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie…“, s.o., S. 47.
73 Wie bei der unter Leitung von Witt/Krause durchgeführten Studie beschränke ich mich auf die im entscheidenden Wahlgang an erster und zweiter Stelle Platzierten, da so hinreichend Unterschiede deutlich werden; siehe Paul Witt/ Christina Krause: „Wer wird gewählt? Wer wird nicht gewählt? Eine Analyse von Erfolgsaussichten bei Oberbürgermeister- und Bürgermeisterwahlen“. Empirisches Fachprojekt von Studierenden der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Kehl, 2011/2012. Daten zu Erst- und Zweitplatzierten werden dort nicht direkt, sondern nur durch Befragungen erhoben.
74 Zu Typenbildung siehe etwa Susann Kluge: „Empirisch begründete Typenbildung in der qualitativen Sozialforschung“, in: Forum Qualitative Sozialforschung, 1(1), Art. 14, http://nbn-resolving.de/urn:de:0114-fqs0001145, 2000, Revised 7/2008, von Alemann/Forndran, s.o., S.110 f..
75 Vergleiche Anja Scholz: „Oberbürgermeisterinnen in Deutschland. Zum Erfolg weiblicher Führungspersönlichkeiten“, Wiesbaden, 2004, S. 32 und S. 237 ff..
76 Wehling/Siewert, s.o.; Siegfried Bäuerle: „Bürgermeister – Zur Charakteristik einer interessanten Berufsgruppe – Eine empirische Untersuchung, in: Norbert Roth: „Position und Situation der Bürgermeister in Baden-Württemberg“, Stuttgart, Berlin, Köln, 1998, S. 61–101.
Welche Ansätze zur Erklärung des Wahlverhaltens gibt es in der empirischen Wahlforschung? Wird damit eine Grundlage gelegt für die Erklärung von Entscheidungen bei Oberbürgermeisterwahlen? Zunächst werden grundlegende theoretische Ansätze der empirischen Wahlforschung aufgezeigt. Danach werden auf der Grundlage dieser Erklärungsansätze benannte Determinanten für politische Wahlentscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland beschrieben und auf Oberbürgermeisterwahlen bezogen.
Wahlgeographische Untersuchungen waren Anfang des 20. Jahrhunderts bahnbrechend für die systematische Wahlforschung. Siegfried gilt als Begründer der wissenschaftlichen Wahlgeographie77. Aus heutiger Sicht ist zu sagen, dass aus der in wahlgeografischen Untersuchungen zu Grunde gelegten Topographie und den Naturfaktoren keine deterministischen, sondern eher indirekte Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Die damit zusammenhängende Wirtschaftsstruktur und Lebensweise beeinflussen politische Einstellungen.78 Falter und Winkler sehen im „Handbuch Wahlforschung“ diesen Ansatz als weiterhin sinnvolle Ergänzung derzeit dominierender Ansätze zur Erklärung langfristig orientierten Wahlverhaltens, da Faktoren in ihrem räumlichen Kontext untersucht werden und damit „sozusagen das gesamte politische ‚Klima‘ einer Landschaft untersucht wird“79.
Wehling knüpft mit dem Konzept der „regionalen politischen Kultur“ an die Erkenntnisse wahlgeografischer Untersuchungen an. Er etablierte damit ein Erklärungsmodell für regionale Unterschiede im Wahlverhalten. Laut Wehling entwickelt sich die politische Kultur über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg innerhalb gegebener (Herrschafts-)Grenzen.80 Unter politischer Kultur versteht er „Glaubenssysteme, Wertvorstellungen, Einstellungen, Denkweisen sowie die Wissensvorräte, die Individuen als Mitglieder einer Gruppe teilen.“81 Wirtschaftliche Lebensbedingungen mit ihren Auswirkungen auf den Alltag, „ideologisch-religiöse Prägungen“ und „historische Schlüsselereignisse“ setzen „sich als abstrakte, geronnene Erfahrung im kollektiven Gedächtnis der Menschen fest.“82 Holtkamp definiert „politische Kultur“ allgemein „als durch Jahrzehnte zurückreichende Traditionen beeinflusste politische Verhaltensweisen“83. Historische Entwicklungen und die Zugehörigkeit zu lokal verankerten Gruppen führen zu unterschiedlichen politischen Kulturen in verschiedenen Regionen eines Landes.
Wehling hat insbesondere am Beispiel von Baden-Württemberg aufgezeigt, dass es innerhalb eines Bundeslandes nicht nur eine politische Kultur gibt, sondern unterschiedliche regionale politische Kulturen, die auch das Wahlverhalten beeinflussen. Regionale politische Kulturen entstehen innerhalb der politischen (Außen-)Grenzen größerer politischer Einheiten etwa in Abgrenzung zu neuen Herrschaften.84 Es können gleichzeitig unterschiedliche Traditionen und damit Schichten der politischen Kultur wirksam sein. Zur gleichen Zeit können sowohl innerhalb neu gezogener - etwa größere Gebiete umfassender - Grenzen entwickelte Verhaltensweisen als auch innerhalb alter - engerer - Grenzen entstandene Traditionen wirken.85 Die Schichten liegen übereinander, ältere Traditionen werden nicht einfach ausgelöscht. Die Grundmuster des Wahlverhaltens werden in diesem Ansatz als veränderbar beschrieben.86
Mit dem Konzept der politischen Kultur werden Wählerpotentiale beschrieben. Denn politische Einstellungen und strukturelle Voraussetzungen tragen in sich keine Zwangsläufigkeit für das Wahlverhalten.87 Das Wahlverhalten wird durch die politische Kultur vorbestimmt, aber nicht endgültig determiniert. Da also nicht zwangsläufig eine Partei gewählt wird, sind Strategien notwendig zur dauerhaften Bindung der Bewohner/innen einer Region an eine Partei und zur Mobilisierung möglicher Wähler/innen. Für den nachhaltigen Erfolg ist es laut Wehling unerlässlich, dass die Partei zur politischen Kultur passt: „Der Erfolg einer politischen Partei hängt langfristig davon ab, wie gut sie zu einer gegebenen politischen Kultur passt.“88 Die strategische Aufgabe der lang- und kurzfristigen Erschließung von Wählerpotentialen, d.h. der Umsetzung dieser Potentiale in Wählerstimmen, stellt sich nicht nur unter dem Blickwinkel dieses Ansatzes, sondern auch anderer Ansätze zur Erklärung des Wahlverhaltens.
Langfristig konstantes Wahlverhalten beschreibt auch das von Lipset und Rokkan89 formulierte makrosoziologische Erklärungsmodell. Es setzt an den vier von ihnen konstatierten Hauptkonfliktlinien („cleavages“) an, entlang derer die modernen westeuropäischen Gesellschaften gespalten sind: Die Konfliktlinien verlaufen zwischen Zentrum und (unterworfener) Peripherie eines Landes, zwischen Staat und Kirche, zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie zwischen Kapital und Arbeit.90 Um politisch wirksam zu werden, müssen die durch diese Konfliktlinien bedingten gesellschaftlichen Konflikte durch Kollektivorganisationen vertreten und vermittelt werden. Die gesellschaftlichen Großgruppen binden sich zur Durchsetzung ihrer Interessen an Parteien oder gründen diese selbst bzw. wirken an deren Gründung mit. Das Wahlverhalten der Bevölkerung wird in diesem Ansatz durch deren Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und entsprechenden Milieus erklärt. Die mit sozialen Gruppen bzw. Milieus verbundenen Menschen wählen eine bestimmte Partei, weil sie in dieser ihre Interessenvertretung in der Politik sehen. Diese, die Gesellschaft grundlegend prägenden („klassischen“) Konfliktlinien markieren auch in heutiger Zeit deutliche Unterschiede im Wahlverhalten großer Teile der Bevölkerung.91 Der Ansatz von Lipset/Rokkan liefert eine Erklärung für langfristige Parteipräferenzen, aber nicht für kurzfristig determinierte Wahlentscheidungen.92
Lazarsfeld u.a. entwickelten ein mikrosoziologisches Modell zur Erklärung konstanter und wechselnder Wahlentscheidungen. Sie stellten in ihrer für diesen Ansatz grundlegenden Studie „The People’s Choice“93 fest, dass insbesondere das familiäre Umfeld, die Konfessionszugehörigkeit, der sozio-ökonomische Status und die Wohngegend in starkem Maß das Wahlverhalten der Menschen bei der US-Präsidentschaftswahl 1940 bestimmt hatten. Bei Befragten, deren politische Präferenzen sozial determiniert waren, wurde in der Untersuchung festgestellt, dass im Wahlkampf verbreitete Informationen nur selektiv wahrgenommen wurden. „Parteipropaganda“ und Informationen aus anderen Quellen dienten weniger zur Meinungsbildung, sondern mehr zur Begründung und Stabilisierung einer Wahlentscheidung.94 Auch in weiteren Studien im Rahmen dieses Ansatzes wurde festgestellt, dass ein homogenes soziales Umfeld zu einem dem entsprechenden Verhaltensdruck und einer damit einhergehenden Wahlnorm für den einzelnen Menschen führt. Den stärksten Einfluss üben dabei Familie und enger Freundeskreis aus.95 Als zweit- und drittwichtigste Faktoren, die zur Übernahme politischer Präferenzen beitragen, sieht Schoen die Häufigkeit der Kontakte und die politische Einheitlichkeit des Umfeldes.96 Je weniger homogen das Umfeld ist, desto widersprüchlicher werden die Verhaltenserwartungen.97 Nichtwahl und Wechselwahl können Folge eines inhomogenen Umfeldes sein.
Campbell/Converse/Miller/Stokes stellen in ihrer Studie „The American Voter“98 bei Wähler(inne)n eine grundsätzliche, sozialpsychologisch begründete, Identifikation mit einer Partei fest. Die „Parteiidentifikation“ ist eine langfristig stabile Bindung, die auch als „psychologische Parteimitgliedschaft“ (im Gegensatz zu „formaler“ Mitgliedschaft) bezeichnet wird. Diese Bindung wird nicht nur durch soziale Herkunft, sondern durch eine Vielzahl von Einflüssen im Laufe des Lebens determiniert. Die damit verbundene politische Grundeinstellung wirkt als Filter für die Wahrnehmung sowie Wertung politischer Ereignisse und sorgt in der Regel für eine Festigung von Einstellungen und dementsprechende Wahlentscheidungen.99 Langfristig stabil ist die Parteiidentifikation, wenn alle Einstellungen einer Person konform gehen. Sowohl grundsätzliche politische Einstellung als auch damit einhergehendes konstantes Wahlverhalten sind prinzipiell veränderbar; eine rasche Änderung wird aber als Ausnahme gesehen, die nur durch einschneidende Ereignisse ausgelöst wird.100 Parteiidentifikation immunisiert nicht vollständig gegen Informationen, die den Menschen in eine andere Richtung beeinflussen können. Durch anders gerichtete Einflussfaktoren kann die Stabilität der Parteiidentifikation geschwächt und langfristig verändert werden.
Mit dem Bild des „Kausalitätstrichters“101 wird die Wahlentscheidung nach diesem Modell erklärt: Grundlegende Parteiorientierung und Faktoren wie Kandidaten- und Themenorientierung, Punkte wie etwa die Einstellung zur Regierungspartei, die Wahrnehmung der Wirtschaftslage oder die Persönlichkeitsstruktur der Wähler/innen lenken die Entscheidung Wählender im Trichter nach unten bis zur engsten Stelle, wo die Faktoren hin zur Wahlentscheidung als Resultat des Zusammenwirkens aller Einflüsse gebündelt werden. Aktuelle sowie in der Vergangenheit liegende Einflussfaktoren und Erfahrungen wirken auf die Wahlentscheidung ein.102 Als wichtigste kurzfristige Einflussfaktoren auf die Wahlentscheidung werden die Orientierung an Kandidierenden und Sachthemen identifiziert.103 Der sozialpsychologische Ansatz liefert mit der „Determinanten-Trias Parteiidentifikation, Kandidatenorientierung und Orientierung an Sachthemen (issues)“104 einen umfassenden Erklärungsansatz für Wahlentscheidungen: Parteiidentifikation, die die Einstellung zu Kandidierenden und Themen beeinflusst, erklärt stabiles Wahlverhalten; kurzfristig wirkende Einflussfaktoren liefern die Erklärung für Wahlverhalten, das in der konkreten Situation von der Parteiidentifikation abweicht. Die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer Partei oder einer Person steigt, je mehr Faktoren in die gleiche Richtung weisen. Wenn Kandidaten- und Themenorientierung mit der Parteiidentifikation übereinstimmen und dann entsprechend der Parteiidentifikation gewählt wird, wird von einer „Normalwahl“ („normal vote“) gesprochen.105 Nicht bei jeder Wahl haben die genannten Einflussfaktoren die gleiche Bedeutung. Laut Schoen/Weins sind in Zeiten politischer Stabilität die Bindungen zwischen Parteiidentifikation und Sachfragen- sowie Kandidatenorientierung enger als in politisch bewegten Zeiten, in denen neue Parteibindungen entstehen können.106
Als systematische Ergänzung soziologischer und sozialpsychologischer Wahlforschung sowie „überaus nützliches Werkzeug“, um nachzudenken „über die Entscheidungssituationen, in denen sich politische Akteure bewegen“, und um Wahlverhalten zu analysieren, bezeichnen Arzheimer und Schmitt den aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht heraus entwickelten „Rational Choice-Ansatz“.107 Downs legte mit seiner Arbeit „Ökonomische Theorie der Demokratie“108 die Grundlage für eine ökonomische Theorie des Wählerverhaltens. Kern seines Ansatzes und darauf aufbauender Erklärungen des Wahlverhaltens ist, dass individuelle Kosten-Nutzen-Überlegungen rational Wählender das Wahlverhalten beeinflussen und insbesondere kurzfristige Wahlentscheidungen bestimmen.109