Erkenne dich selbst - Jnani Yoga - Teil 1 - Omraam Mikhaël Aïvanhov - E-Book

Erkenne dich selbst - Jnani Yoga - Teil 1 E-Book

Omraam Mikhaël Aïvanhov

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Beschreibung

'Erkenne Dich selbst'. So lautete die Inschrift über der Pforte des Tempels von Delphi. Das ganze Wissen und die ganze Weisheit liegt darin, sich selbst zu erkennen und das niedere Ich mit dem höheren Ich zu verschmelzen. Wer das verwirklichen konnte, betritt eine Welt, in der es keine Grenzen und keine Trennung zwischen Unten und Oben mehr gibt. Solange man die Bedürfnisse seines höheren Ichs nicht kennt, gibt man alles dem physischen Körper, der übersättigt ist, während Seele und Geist vor Hunger und Durst fast sterben. Omraam Mikhael Aivanhov

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Über den Autor

Omraam Mikhaël Aïvanhov war ein großer spiritueller Meister, ein lebendiges Vorbild, ein »Überbringer des Lichts« und ein warmherziger, humorvoller Lehrer, der durch sein selbstloses, zugängliches und brüderliches Verhalten überzeugte.

Er strebte an, alle Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten – so wie ein Bergführer seine Kameraden sicher bis auf den höchsten Gipfel führt.

Das Gedankengut, das Omraam Mikhaël Aïvanhov verbreitet hat, bietet zahlreiche Methoden und einen klaren, begehbaren Weg zu größerer Vollkommenheit und mehr Lebensglück.

In wohltuend einfacher Sprache erklärt er alle wichtigen Zusammenhänge des Lebens und ist gerade bei den Fragen unserer heutigen Zeit wegweisend. Ob es um die Bewältigung des Alltags geht, um das Thema der Liebe und Sexualität oder um tiefgründige philosophische Themen – stets sind seine Antworten überraschend klar und hilfreich.

Kurzbeschreibung

»Erkenne Dich selbst – Jnani-Yoga«Reihe Gesamtwerke – Band 17

»Die Inschrift über dem Eingang des Tempels von Delphi lautet »Erkenne Dich selbst«. Doch was ist dieses »Selbst«, das man erkennen soll? Die eigenen Fehler, die eigenen Qualitäten? Nein, das bedeutet noch nicht, sich zu kennen. Sich zu kennen bedeutet, die verschiedenen Körper zu kennen, aus denen der Mensch besteht (den physischen Körper, den Ätherkörper, den Astralkörper usw.), und die Bedürfnisse dieser einzelnen Körper. Die Eingeweihten betonten deshalb so sehr die Notwendigkeit, sich selbst zu erkennen, weil dieses Wissen einem die größten Möglichkeiten für das Voranschreiten, für Fortschritt und Erfolg eröffnet. Solange man die Bedürfnisse seines höheren Ichs nicht kennt, gibt man immer alles dem physischen Körper, der übersättigt ist, während die Seele und der Geist vor Hunger und Durst fast ersticken und sterben.

»Erkenne Dich selbst«. Das ganze Wissen, die ganze Weisheit liegt darin, sich zu erkennen, sich wiederzufinden und das niedere Ich mit dem höheren Ich zu verschmelzen. Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ist das Symbol des Eingeweihten, dem es gelungen ist, sich wiederzufinden. Die Schlange ist eine gerade oder gewundene Linie, und eine Linie ist immer begrenzt. Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, wird zu einem Kreis, und der Kreis ist das Unendliche, das Unbegrenzte, die Ewigkeit. Der Mensch, der das Symbol des Kreises verwirklichen konnte, betritt eine Welt, in der es keine Grenzen, keine Trennung zwischen Unten und Oben mehr gibt, denn alle Kräfte, alle Reichtümer und Tugenden, die das wahre Ich besitzt, fließen in das kleine Ich ein. Das Kleine und das Große sind nur mehr eins und der Mensch wird zu einer Gottheit.«

Omraam Mikhaël Aïvanhov

Da Omraam Mikhaël Aïvanhov seine Lehre ausschließlich mündlich überlieferte, wurden seine Bücher aus stenographischen Mitschriften, Tonband- und Videoaufnahmen seiner frei gehaltenen Vorträge erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Kurzbeschreibung

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: »Erkenne dich selbst«

Kapitel 2: Die synoptische Tafel

Kapitel 3: Der Geist und die Materie

Kapitel 4: Die Seele

Kapitel 5: Das Opfer

Kapitel 6: Die Nahrung von Seele und Geist

Kapitel 7: Das Bewusstsein

Kapitel 8: Das höhere Selbst

Kapitel 9: Die Wahrheit

Kapitel 10: Die Freiheit

Vom selben Autor – Reihe Gesamtwerke

Vom selben Autor – Reihe Izvor

Vom selben Autor – Reihe Broschüren

Copyright

Kapitel 1: »Erkenne dich selbst«

»Erkenne dich selbst«. Dieser Spruch, der über dem Eingang des Tempels von Delphi eingemeißelt war, konnte nur von sehr wenigen richtig interpretiert werden. Wer ist dieses »Selbst«, das man erkennen soll? »Oh«, werdet ihr antworten, »das sind unser Charakter, unsere Schwächen, unsere Fehler, unsere Qualitäten.« Nein, diese Bereiche zu erkennen ist sicher notwendig, reicht aber nicht aus. Sich erkennen bedeutet, die verschiedenen Körper, aus denen wir bestehen, zu kennen (den physischen Körper, den Äther-, den Astral-, den Mental-, den Kausal-, den Buddhi- und den Atmankörper) und die Bedürfnisse dieser verschiedenen Körper. Doch von all diesen Dingen weiß man nichts. Jeder kennt von sich einige Qualitäten, einige Laster, und man sagt: »Ja, ja, ich kenne mich!« Aber nein, man kennt noch gar nichts, man weiß nicht, was in seinem tiefsten Inneren existiert, was man sich wünscht, wonach man verlangt, wonach man sich sehnt und woran man leidet. Man weiß nicht, wer oder was dieses »Selbst« ist, man verwechselt es immer mit dem physischen Körper, und man bemüht sich für ihn um Nahrung, Kleidung, Juwelen, Komfort, Vergnügen, ohne zu bemerken, dass das ganz und gar nicht das ist, was das wahre Ich von einem verlangt. Die rein materiellen und physischen Befriedigungen haben den Menschen noch nie glücklicher oder zufriedener gemacht. Erst wenn er beginnt, sein »Selbst«, dort oben, zu erkennen, wird es ihm endlich möglich werden, in der Herrlichkeit, im Glanz zu leben. Die Eingeweihten der Antike betonten nur deshalb die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis, weil diese Erkenntnis große Möglichkeiten für Vervollkommnung, Fortschritt und Erfolg eröffnet. Solange man die Bedürfnisse seines höheren Selbst nicht kennt, überfüttert man ständig seinen physischen Körper mit allem Möglichen, während Seele und Geist hungern, dürsten, ersticken und sterben.

Aber die Menschen glauben nicht einmal an die Existenz anderer Körper, wie sollten sie sich also darum kümmern, sie zu ernähren, ihnen Kräfte zukommen zu lassen? Es ist unglaublich, in welch einem Zustand sich viele Leute befinden, sogar unter den kultiviertesten: Sie sind stolz auf ihre Bildung, auf ihre Diplome, auf ihre Kenntnisse, und doch sind sie fortwährend überlastet und voller Sorgen. Das beweist, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmt. Man sollte besser nicht so stolz auf sich sein, wenn man derart unwissend ist.

»Erkenne dich selbst«… Darin liegt alles Wissen, alle Weisheit: sich erkennen, sich wiederfinden, das Verschmelzen von niederem und höherem Ich. Das Symbol des Eingeweihten, dem es gelungen ist, sich wiederzufinden, ist die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Die Schlange, die auf der Erde kriecht, ist eine gerade oder gewundene Linie, und die Linie ist begrenzt. Die Schlange jedoch, die sich in den Schwanz beißt, wird zu einem Kreis, und der Kreis steht für das Unendliche, das Grenzenlose, die Ewigkeit. Der Mensch, der das Symbol des Kreises verwirklichen konnte, betritt eine Welt, in der es keine Grenzen mehr gibt, keine Trennung zwischen oben und unten, denn all die Kräfte, Reichtümer und Tugenden, die das wahre Ich besitzt, übertragen sich auf das kleine Ich. Das Kleine und das Große bilden nur noch ein Ganzes und der Mensch wird zu einer Gottheit.

Sèvres, den 6. Februar 1972

Kapitel 2: Die synoptische Tafel

I

Diese Tafel1, die ihr vor euch habt, ist eine Zusammenfassung der gesamten Einweihungswissenschaft, aller heiligen Bücher der Menschheit. Man kann selbstverständlich andere Schemata vom psychischen Leben des Menschen erstellen, und wir haben bereits andere studiert. Will man zum Beispiel eine Vorstellung von der anatomischen Struktur vermitteln, stellt man zum einfacheren Verständnis nicht alles auf einmal dar, man ist gezwungen, verschiedene Bildtafeln anzufertigen, eine für die Knochen, eine für die Muskeln, für den Kreislauf, die Nerven usw. Auch in der Geographie gibt es mineralogische, politische, ökonomische und geologische Karten. Es kann daher verschiedene Darstellungen geben, um die psychische Struktur des Menschen zu erklären, und auch wenn diese hier zum Beispiel sich vom Sephirothbaum unterscheidet, stellt sie dieselbe Realität dar und man kann alles darin wiederfinden. Ich habe euch noch andere Schemata gegeben, und obgleich sie alle verschieden sind, widersprechen sie sich untereinander nicht.

Diese Darstellung, die ich euch heute präsentiere, findet ihr in keinem Buch, sie wird zum ersten Mal so weitergegeben. Sie ist eine Zusammenfassung, eine Synthese aller Wahrheiten des Lebens. Im Augenblick seht ihr nur isolierte Worte ohne Verbindung untereinander, sind sie aber erst einmal erklärt, miteinander verbunden und in die Gesamtheit wieder eingefügt, werdet ihr staunen über ihre Bedeutungen und Entsprechungen.

Diese Tafel, die wir auch als synoptisch bezeichnen, weil sie einen Gesamtüberblick der Struktur des Menschen und der Aktivitäten, die dieser Struktur entsprechen, darstellt, setzt sich aus fünf Spalten zusammen, wie ihr seht.

Die erste Spalte kennzeichnet die Prinzipien, aus denen der Mensch sich zusammensetzt: der physische Körper, der Wille, das Herz, der Verstand, die Seele und der Geist.

In der zweiten Spalte seht ihr »Ideal« geschrieben, denn jedes Prinzip strebt nach einem Ideal. Das Herz, der Verstand, die Seele und der Geist haben alle ein Ideal, das bei allen natürlich ganz unterschiedlich ist.

Damit jedes Prinzip sein Ideal erreichen kann, muss es genährt und gestärkt werden, und man muss ihm die Möglichkeit geben, fortzubestehen, damit es sich weiterhin manifestieren kann. Darum steht über der dritten Spalte »Nahrung«.

Die beiden letzten Spalten schließlich bezeichnen die Bezahlung, das heißt den Preis, den man bezahlen muss, um die entsprechende Nahrung zu erhalten, und die Tätigkeit, das heißt die Arbeit, die man leisten muss, um diese Bezahlung zu erhalten.

Ihr seht also, dass all diese Begriffe auf eine vollkommen klare und logische Weise miteinander verbunden sind.

Um das Verständnis zu erleichtern, werden wir mit dem physischen Körper beginnen, denn jedermann weiß, was der physische Körper ist, jeder hat mit ihm zu tun, er ist sichtbar und berührbar, er ist eine nicht zu leugnende Realität. Das Ideal des physischen Körpers ist die Gesundheit, das Leben. Für ihn ist nichts wertvoller, nichts wesentlicher, als bei guter Gesundheit zu sein, stark und voller Kraft. Um diese Vitalität zu besitzen, muss er mit den verschiedensten Nahrungsmitteln ernährt werden, mit fester, flüssiger und gasförmiger Nahrung. Wenn er diese Nahrung nicht erhält, stirbt er.2 Ohne Universitäten besucht zu haben, wissen alle, dass man zum Überleben essen muss. Selbst die Kinder wissen das.

Aber um zu dieser Nahrung zu kommen, braucht man Geld. Ihr kennt die Geschichte… Man stellte einem Steinklopfer die Frage: »Nun, Antonio, warum klopfst du Steine? – Um Geld zu bekommen. – Und warum willst du Geld bekommen? – Um mir Makkaroni zu kaufen. – Und warum Makkaroni? – Um Kraft zu haben. – Und warum Kraft haben? – Um Steine zu klopfen…« Ja, ein Teufelskreis. Ihr seid also damit einverstanden, nicht wahr? Um zu essen, braucht man Geld, und um Geld zu bekommen, muss man arbeiten, ganz einfach.

Aber wartet ab; bei dem, was euch auf der physischen Ebene so selbstverständlich erscheint, habt ihr niemals daran gedacht, dass man es auch auf den anderen Ebenen wiederfindet. Wille, Herz, Verstand, Seele und Geist streben jeweils auch einem Ziel entgegen, und um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie ernährt werden; um diese Nahrung zu erhalten, braucht man Geld, und das Geld verdient man nur, indem man eine bestimmte Arbeit verrichtet. Wenn ihr diese Tafel einmal fest in eurer Vorstellung verankert habt, besitzt ihr den Schlüssel zum physischen und zum psychischen Leben des Menschen.

Offensichtlich ist der physische Körper das Gefäß all der anderen feinstofflicheren Prinzipien. Seele und Geist zum Beispiel sind nicht wirklich im physischen Körper, sondern sie manifestieren sich durch ihn, durch sein Gehirn, durch den Solarplexus, die Augen usw. Wenn ihr zum Beispiel jemanden mit großer Liebe betrachtet, mit großer Reinheit, mit hellem Licht, wer oder was manifestiert sich da durch eure Augen? Die Augen gehören zum physischen Körper, aber derjenige, der sich offenbart, der sich dieser Ausdrucksmittel bedient, wer ist das? Vielleicht ist es die Seele, vielleicht ist es der Geist, vielleicht ist es Gott… Wenn ihr jemandem einen durchbohrenden Blick oder vernichtende Worte entgegenschleudert, die ihn krank machen, so waren dies feindlich gesinnte Kräfte, die sich eurer bedient und ihn niedergeschmettert haben. Also, der physische Körper ist oft nur das Instrument segensreicher oder unheilvoller Kräfte, die in ihm oder außerhalb von ihm existieren.

Der Wille hat Macht und Bewegung als Ideal, das ist es, wonach ihn verlangt. Ihr wendet ein: »Aber er kann doch auch nach Weisheit, Intelligenz oder Schönheit verlangen.« Nein, das gehört nicht zu seinem Bereich, es sind andere Prinzipien, die danach verlangen. Der Wille kann mobilisiert werden, um Intelligenz zu erlangen oder ein Kunstwerk zu erschaffen, aber was er sich für sich selbst wünscht, das Einzige, was ihn reizt, das ist die Macht und Bewegung. Er will nicht unbeweglich bleiben, er will etwas zu tun haben, will berühren, sich regen, die Dinge bewegen. Aber ebenso wie der physische Körper kann auch er sein Ideal nicht ohne Nahrung verwirklichen. Und die Nahrung des Willens ist die Kraft. Durch die Kraft genährt, wird der Wille tatkräftig, wenn man ihn aber nicht damit ernährt, schwindet er dahin. Und das Element, das für ihn gleichbedeutend mit Geld ist und mit dem er sich die nötige Nahrung kaufen kann, das ist die Gestik. Ja, man muss sich immer von Unbeweglichkeit und Trägheit losreißen, um zu handeln, sich zu bewegen, Energien auszulösen. Wenn man es sich angewöhnt, zu handeln, sich zu bewegen, »kauft« der Wille Kraft und wird dadurch stark.

Und wisst ihr, welches die erste von allen Bewegungen ist? Das ist der Atem. Sofort nach der Geburt beginnt das Kind zu atmen, und in diesem Augenblick setzen auch alle anderen Lebensvorgänge ein… Um sich also dieses »Geld« zu beschaffen, sollte man sich daran gewöhnen, die Übungen zu praktizieren, die in der Lehre empfohlen werden: Die Atemübungen, die Gymnastik3, die Paneurythmie4 usw. Sie wurden ersonnen, um den Willen zu stärken. Ihr könnt dem natürlich viele andere Aktivitäten des täglichen Lebens hinzufügen, die ich hier aus Zeitmangel nicht alle aufzählen kann, es gibt sie in großer Zahl. Ich spreche hier jedoch nur von Methoden, die uns die Lehre anbietet, und die im Besonderen das spirituelle Leben betreffen.

Ihr sagt: »Aber wir dachten nicht, dass diese Übungen so sehr den Willen entwickeln könnten, wir glaubten, dass sie dazu geschaffen wären, die Vitalität des physischen Körpers zu stärken oder die Fröhlichkeit des Herzens…« Auch das trifft zu, weil alles verbunden ist. Für den Augenblick trenne ich die Ebenen, um besser verstanden zu werden. Ich ordne jeder das zu, was ihr entspricht, aber in Wirklichkeit sind alle diese Prinzipien untrennbar. Wenn ihr atmet, wenn ihr die Bewegungen der Gymnastik ausführt, profitiert auch der Körper davon, die Gesundheit verbessert sich, die Kraft nimmt zu und ihr werdet euch besser gelaunt fühlen, das liegt auf der Hand. Nichts ist isoliert, alles ist verbunden.

Der Mensch besitzt eine Fähigkeit zu empfinden, sich anrühren zu lassen, die man das Herz nennt. Aber es handelt sich dabei keinesfalls um das physische Organ, das die Anatomie und die Physiologie untersucht, und das diesen Namen trägt. Das Herz der Anatomie, das Hauptorgan für den Blutkreislauf, ist eine Art hydraulischer Pumpe, aber das eigentliche Organ für das Empfinden ist der Solarplexus. Wenn die Eingeweihten erklären, dass das wahre Verstehen vom Herzen ausgeht, sprechen sie vom Solarplexus. Übrigens ist der Solarplexus eine Art umgekehrtes Gehirn. Im Gehirn ist die graue Substanz außen und die weiße innen. Im Solarplexus hingegen ist es umgekehrt. Die weiße Materie ist außen und die graue Materie innen. Aber ich habe euch schon viel zu diesem Thema erklärt, belassen wir es für heute dabei.5 Das nur, um euch zu erklären, dass der Solarplexus Reichtümer und Schätze enthält, die seit undenklichen Zeiten dort verborgen sind, und obgleich sich die Menschen dessen nicht wirklich bewusst sind, empfinden und verstehen sie in Wirklichkeit von dort aus. Das Gehirn versteht die Dinge äußerlich, objektiv, in der Theorie, und so äußern sich viele Leute über bestimmte Themen, ohne das Geringste empfunden oder ausprobiert zu haben. Dabei versteht man die Dinge doch erst wirklich, wenn man sie erlebt, berührt, empfunden, gekostet hat. Der Solarplexus ist daher eine Welt, welche die Wissenschaft unserer Zeit noch nicht wirklich kennt und die noch auf ihre Erforschung wartet.

Worin besteht nun das Ideal des Herzens? Strebt es nach Wissen, Kenntnissen, Stärke? Nein, es braucht Glück, Freude, Wärme, denn in der Wärme wird es belebt. Kälte tötet es. Überall wo es hingeht, sucht es die Wärme bei den Geschöpfen.

Die Nahrung für das Herz ist die Empfindung, alle Arten von Empfindungen, die guten Empfindungen und leider auch die schlechten Empfindungen. Aber da wir uns beschränken müssen, werden wir hier nur von den guten Herzen sprechen, den Herzen von guten geistigen Schülern, die von guten Empfindungen genährt werden.

Das Geld, mit dem Glück und Freude bezahlt werden, ist die Liebe. Wenn ihr liebt, wird euer Herz sogleich genährt. Wie oft habe ich euch dies erklärt! Ihr könnt nicht mit Reichtümern, mit Macht oder selbst mit Schönheit glücklich sein, sondern allein mit Liebe. Es ist die Liebe, die glücklich macht. Ihr könnt dem Herzen alles mögliche Andere geben, es wird unzufrieden bleiben und euch auffordern: »Gebt mir Liebe!«, denn mit der Liebe wird es sich alles Übrige kaufen. Wenn ihr jemanden liebt, gleicht diese Liebe dem Geld, mit dem ihr euch alle möglichen Empfindungen, Emotionen und Gefühle »kaufen« könnt. Tausende von Empfindungen entstehen täglich aus eurer Liebe. Sobald ihr keine Liebe mehr habt, habt ihr kein Geld mehr: aus mit den Gefühlen, den Emotionen, nichts mehr! Ihr habt wohl eure Frau umarmt, doch wenn ihr sie nicht mehr liebt, werdet ihr weder Freude noch Glück fühlen. Aber wenn ihr sie liebt...! Selbst ohne sie zu umarmen, durchströmen euch Tausende von Gefühlen und Empfindungen, unmöglich, sie alle zu analysieren… einfach nur, weil die Liebe da ist.6

Der Mensch besitzt einen Verstand, dessen Ideal es ist, zu wissen, zu verstehen. Das ist von großer Bedeutung, denn wenn ihr das Wesen der Dinge nicht kennt, schadet ihr euch, ihr bringt euch durcheinander, ihr wagt euch in gefährliche Bereiche vor, aus denen ihr nicht mehr herauskommt.

Um dieses Ideal zu erreichen, braucht der Verstand eine Nahrung, und diese Nahrung ist der Gedanke.7 Wenn ich sage: »Gedanke«, dann kann man darunter auch, genau wie für das Herz, die schlechten Gedanken verstehen, denn es gibt alle möglichen Gedanken. Aber hier, in unserer Lehre versteht es sich, dass wir von den besten und lichtvollsten Gedanken sprechen. Es ist also der Gedanke, der den Verstand nährt; wenn ihr nicht denkt, gelingt es euch nicht, zu erkennen, klarzusehen. Manche sagen: »Warum sich den Kopf zerbrechen? Man sollte nicht zu viel denken, das ist gefährlich, man wird verrückt.« Ja, man wird verrückt, wenn man falsch denkt, dennoch ist der Gedanke die beste Nahrung für den Verstand. Wenn ihr diesen nicht ernährt, stumpft er ab, wird schwach: Ihr habt ihn verhungern lassen.

Um sich aber die besten Gedanken kaufen zu können, braucht man Geld. Man kann immer Gedanken haben, aber seltsame, unsinnige, und das Ergebnis ist nicht gerade berauschend. Die Bettler, die Clochards und die Armen können nicht die besten Restaurants besuchen und sich an frischer Nahrung erfreuen, das ist für sie zu teuer, und so machen sie sich auf die Suche nach Abfällen in Mülltonnen. Um nun die besten Gedanken kaufen zu können, muss man ebenfalls reich sein. Und wisst ihr, worin dieser Reichtum besteht? In der Weisheit. Wenn ihr dieses Geld, das sich Weisheit nennt, nicht habt, werdet ihr, symbolisch ausgedrückt, nur Abfälle bekommen. Allein die Weisheit kann euren Verstand mit den besten Gedanken nähren, und auf diese Weise erlangt er das Licht, nach dem er sucht. Doch anders als man manchmal glaubt, ist Weisheit weder gleichbedeutend mit Sachkenntnis, noch mit Wissen oder Gelehrsamkeit. Es ist vielmehr eine innere Haltung. Manche Personen sind weise, ohne die geringste Ausbildung zu haben, und andere haben viel Wissen im Kopf, aber keine Weisheit. Die Weisheit ist eine innere Haltung, die zunächst einmal darin besteht, sich orientieren zu können und die beste Richtung zu wählen; erst in zweiter Linie führt sie uns zu Wissen, zu Kultur, zu Erkenntnissen. Die Weisen wissen keinesfalls alles, sie haben nicht das absolute, das vollständige Wissen erlangt; sie studieren und lernen immer weiter, und das kann eine Ewigkeit so weitergehen, denn das Wissen reicht bis in die Unendlichkeit… Aber Weisheit kann man augenblicklich erlangen.

Die Weisheit, sie ist Gold, Gold, das von der Sonne kommt. Ja, Weisheit, spirituelles Gold, kommt von der Sonne. Und übrigens werden die Heiligen immer mit einem goldenen Kreis über ihrem Kopf darstellt, weil die Weisheit wirklich ein Licht ist, das von ihnen ausgeht… Mit diesem Gold kann man in der unsichtbaren Welt alles kaufen, genauso wie ihr mit dem materiellen Gold alles, was es auf der Erde gibt, kaufen könnt. Wenn ihr dort oben in den Geschäften auftaucht, fragt man euch: »Haben Sie Gold? – Ja.« Und man füllt eure Einkaufstaschen. Andernfalls gibt man euch dort oben nichts.

Und morgens, beim Sonnenaufgang auf dem Felsen, sammeln wir Gold, Goldkörnchen, dank derer wir im Himmel alles kaufen können: Liebe, Freude, ein weites Herz, Gesundheit, Kraft und Fülle. Viele haben den Wert dieser Gewohnheit, morgens zum Betrachten des Sonnenaufgangs zu gehen, noch nicht erfasst, und sie machen sich lustig über uns, indem sie uns die »Sonnigen« nennen. Sie haben vielleicht im Augenblick viel Geld in ihren Safes, aber solange sie den Wert dieses spirituellen Goldes noch nicht begriffen haben, werden sie mit all ihren Milliarden pleitegehen.

Und um dieses Gold nun zu verdienen, muss man eine Arbeit verrichten: Man muss lesen, studieren, nachdenken, meditieren; und wenn es in dieser letzten Zeile noch nicht erwähnt ist, dass man den Sonnenaufgang betrachten sollte, um dieses Gold zu erlangen, nun, dann fügt es hinzu: Man sollte im Frühjahr zum Sonnenaufgang gehen, um das Gold der Sonne einzusammeln… Also, an die Arbeit! Ihr wendet ein: »Aber man tut nichts, man bleibt sitzen zum Meditieren, man bewegt sich nicht.« Dem Anschein nach ja, man bewegt sich nicht, aber in Wirklichkeit erbebt und vibriert unser ganzes Wesen im Inneren.

Befassen wir uns jetzt mit der Seele. Welch eine Verwirrung und wie viel Unsicherheit herrscht unter den Menschen auch in diesem Bereich! Wenn man mit ihnen vom Herzen, vom Verstand, vom Willen spricht, dann gelingt es notfalls gerade noch, einander zu verstehen, aber wenn es um die Seele geht...! Ich habe zahlreiche Werke über die Seele gelesen, aber ihre Definitionen und Erklärungen haben mich nie zufriedengestellt. Und was die anerkannte Wissenschaft zu diesem Thema zu sagen hat, davon sprechen wir lieber nicht! Sie schafft sie ab, indem sie behauptet, die Seele existiere in Wirklichkeit gar nicht, sondern sei lediglich ein Zusammenwirken physiologischer Vorgänge. Darum hat es mir Vergnügen bereitet, eines Tages einen Vortrag über die Seele zu halten.

Ja, auch ich habe mein Vergnügen. Erinnert ihr euch? Viele von euch sind danach zu mir gekommen, um mir zu sagen, sie hätten ihn von fantastischer Klarheit gefunden. In Wirklichkeit habe ich damals noch nichts Besonderes gesagt; ich habe gerade einmal die Frage etwas besser eingeordnet, damit ihr allmählich die Wahrheit wahrnehmt, aber ich bin weit davon entfernt, mir einzubilden, ich hätte alles erklärt.

Das Ideal der Seele, das, wonach sie verlangt, wird euch vielleicht erstaunen, aber es ist weder die Erkenntnis, noch das Licht, noch das Glück. Das Ideal der Seele, das ist der Raum, die Grenzenlosigkeit, denn sie braucht nur eines: sich weiten, sich ausbreiten, sich ausdehnen, bis sie das Unendliche umfasst. Ihr Ideal ist die Unendlichkeit. Wenn man sie begrenzt, fühlt sie sich unglücklich. Die menschliche Seele ist ein winziger Teil der Universalseele, und sie fühlt sich in uns so eingeschränkt, so erstickt im physischen Körper, dass ihr einziger Wunsch darin besteht, sich im Raum ausdehnen zu können. Man stellt sich im Allgemeinen vor, dass die Seele sich in vollem Umfang im Menschen aufhält. In Wirklichkeit ist das nicht so, nur ein kleiner Teil ist im Menschen; der Rest befindet sich außerhalb von ihm und führt ein unabhängiges Leben im kosmischen Ozean. Aber da die Universalseele Pläne für uns hat und uns beleben und verschönern möchte, arbeitet sie an uns, um in uns hineinzuschlüpfen und uns mehr und mehr zu durchdringen. Unsere Seele ist nicht auf uns selbst begrenzt, sie ist etwas viel Umfassenderes, genauso wie unser wahres Wesen, unser Höheres Selbst nicht dieses kleine Ich ist, das wir kennen, sondern eine sehr viel mächtigere Wesenheit. Was die Seele angeht, so übertrifft sie um ein Vielfaches, was wir uns von ihr vorstellen können. Sie existiert außerhalb des physischen Körpers: Sie kann ihn verlassen, reisen, ferne Regionen des Raumes und seine Wesenheiten aufsuchen…

Also, dieser Teil der Universalseele, der in uns ist, strebt unaufhörlich nach unermesslicher Weite, nach unendlichem Raum. Aber um dieses Ideal zu erreichen, möchte auch sie gestärkt werden, und es existiert für sie eine entsprechende Nahrung: all die Qualitäten des höheren Bewusstseins, die Unpersönlichkeit, die Entsagung, die Opferbereitschaft, alles, was den Menschen dazu treibt, seine Grenzen zu überschreiten, seine Ichbezogenheit zu überwinden. Seht nur, all die persönlichen, egoistischen Verhaltensweisen errichten Grenzen, schaffen Trennung. Sobald man sagt: »Das ist meins!«, führt man bereits eine Trennung ein. Die unpersönlichen Verhaltensweisen hingegen entfernen alle Barrieren und bringen sie zum Verschwinden.

Damit die Seele sich ihre Nahrung verschaffen kann, braucht sie Geld, und dieses Geld, das einzige Mittel, das es der Seele ermöglicht, sich bis ins Unendliche auszudehnen, das ist das Weitwerden, die Verschmelzung, die Ekstase. Um Ekstase zu erlangen, ist eine Tätigkeit nötig, eine Arbeit, und diese Arbeit ist das Gebet, die Verehrung, die Kontemplation. Die der Seele eigene Aktivität ist die Kontemplation: den Herrn kontemplieren, die Engel, die Erzengel, die himmlische Schönheit… Das Gebet ist ein Streben nach der göttlichen Herrlichkeit, und wenn diese Herrlichkeit da ist, empfindet man eine solche Erweiterung, dass man das Gefühl hat, man werde aus seinem Körper herausgerissen. Genau das ist Ekstase. Alle diejenigen, welche Ekstase kennengelernt haben, bezeugen, dass sie nicht mehr auf der Erde in ihrem begrenzten physischen Körper waren, sondern dass sie sich umhüllt fühlten von der Universalseele, gänzlich mit ihr verschmolzen. Danach mussten sie natürlich aufs Neue herabsteigen, aber einige Minuten lang, einige Stunden lang lebten sie in der Unendlichkeit, in der absoluten Verschmelzung.

Was ich euch hier offenbare, entspricht absolut allen Bekenntnissen, den Berichten von Heiligen, Mystikern und Eingeweihten. Die Ekstase kommt nicht einfach so, auf einen Schlag, sie ist das Ergebnis einer Tätigkeit: des Gebets, der Anbetung, der Kontemplation, der Bemühung, sich dem Himmel, dem Schöpfer zuzuwenden, um dieses Gold zu empfangen, dank dem man anschließend all die himmlischen Freuden kaufen und sich bis ins Unendliche ausdehnen kann. Also, meine lieben Brüder und Schwestern, so wird das klar und verständlich. Sicher, denjenigen, die noch nie die geringste dieser Erfahrungen gemacht haben, werden meine Worte ein wenig seltsam oder übertrieben erscheinen. Sie mögen denken, was sie wollen, ich aber gebe euch diese Tafel in größter Einfachheit, in größter Aufrichtigkeit, und alle Eingeweihten werden mit mir in diesem Thema übereinstimmen.

Kommen wir nun zum Geist. Auch der Geist strebt nach einem Ideal, aber er möchte nicht, wie die Seele, sich mit dem Raum, mit der Unendlichkeit verschmelzen, denn seine Wesensart ist anders. Die Seele ist das ureigenste weibliche Prinzip, das auf wunderbare, göttliche Weise zum Ausdruck gebrachte weibliche Prinzip. Der Geist ist der göttliche Ausdruck des männlichen Prinzips. Auch Verstand und Herz repräsentieren männliches und weibliches Prinzip, aber auf einer niedereren Ebene, also auf eine weniger vollkommene Weise. Die Aufeinanderfolge der beiden Prinzipien wiederholt sich in allen Regionen des Universums, aber unter verschiedenen Formen – positiv und negativ, emissiv und rezeptiv – in allen Bereichen. Überall werdet ihr nur diese beiden Prinzipien finden. Aber ich habe schon ausführlich über diese Thematik gesprochen.8

Wonach verlangt der Geist? Er strebt weder nach Raum noch nach Wissen, weder nach Glück noch nach Macht oder Gesundheit. Nein, nach nichts von alldem, denn er ist niemals krank, schwach, unglücklich, düster oder kalt. Der Geist verlangt nur eines: die Ewigkeit. Da er aus unsterblicher Essenz besteht, mag er nichts, was in der Zeit begrenzt ist, er will die Ewigkeit. So wie der Raum der Bereich der Seele ist, so ist die Zeit der Bereich des Geistes. Niemals werden die Physiker und Philosophen die Natur von Zeit und Raum verstehen, wenn sie nicht auch das Wesen von Geist und Seele verstehen; weil Zeit und Raum die Begriffe einer vierten Dimension sind, die Seele und Geist berührt. Auch darüber gäbe es so viel zu sagen! Aber ich warte auf den richtigen Zeitpunkt. Ich werde euch nur sagen, dass die größten Physiker, Mathematiker und Philosophen, die sich mit der Zeit und dem Raum befassen, diese Mysterien so lange nicht durchdringen werden, wie sie nicht mit ihrer Seele und ihrem Geist bewusst an der Unendlichkeit und an der Ewigkeit gearbeitet haben.

Um nun die Ewigkeit zu erlangen, braucht der Geist eine Nahrung. Ihr seid erstaunt, dass der Geist eine Nahrung braucht? Ich sagte euch auch eines Tages, dass sogar der Herr sich ernährt… Und die Nahrung des Geistes ist die Freiheit! Wenn die Seele das Bedürfnis hat, sich zu weiten, hat der Geist das Bedürfnis, alle Bindungen, die ihn fesseln, zu durchtrennen.

Und die Wahrheit ist die Bezahlung, mit der der Geist die Freiheit kauft. Weder Weisheit noch Liebe können den Geist befreien, sondern einzig die Wahrheit. Jede Wahrheit, die ihr über dieses oder jenes Thema in Erfahrung bringen könnt, gibt euch die Möglichkeit, euch zu befreien. Jesus sagte: »Erkennt die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Jh 8,32). Ja, es ist die Wahrheit, die befreit. Ihr fragt: »Und die Liebe?« Die Liebe legt euch eher in Ketten, sie bindet euch. Wollt ihr euch an jemanden oder an etwas binden, ruft die Liebe herbei. Nichts wird euch besser binden als sie. Wollt ihr euch befreien? Ruft die Wahrheit. Und als Beweis seht euch an, was mit den Greisen geschieht: Sie machen sich daran, die Wahrheit zu erkennen, und da die Wahrheit Freiheit bedeutet, verschwinden sie in die jenseitige Welt. Solange man jedoch verliebt ist, will man sich nicht befreien, man will auf der Erde bleiben, um gemeinsam spazieren zu gehen und sich zu umarmen… Denkt nach, ihr könnt nichts dagegen einwenden.

Aber die Wahrheit kann man nicht irgendwo finden, im erstbesten Laden um die Ecke; es gilt eine Tätigkeit, eine Arbeit auszuführen, um diese Wahrheit zu besitzen, und diese Arbeit ist die Identifikation mit dem Schöpfer. In dieser Identifikation nähert man sich Ihm an, man verschmilzt mit Ihm, wird eins mit Ihm, und man besitzt die Wahrheit, man ist frei! Als Jesus sagte: »Ich und der Vater sind eins« (Jh 10,30), fasste er damit den Vorgang der Identifikation zusammen. Die Meditation bringt euch zwar etwas Licht, aber ihr werdet dadurch nicht frei. Die Kontemplation führt euch bis zur Ekstase, aber auch damit werdet ihr nicht frei. Nur durch die Arbeit der Identifikation erlangt ihr das Gold, das Wahrheit genannt wird. Und diese Wahrheit besteht darin, dass der Mensch nichts als eine Illusion, Maya, ist, dass er aus Gott hervorgegangen ist und zu Gott zurückkehren wird… Das ist die Wahrheit. An dem Tag, an dem man das begriffen, geschaut, gespürt hat, fühlt man sich frei: frei von Leidenschaften, frei von Ehrgeiz, frei von Leiden, und man betritt die Ewigkeit.

»Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen« (Jh 17,3), sagte Jesus.9 Und um welches »Kennen« geht es hier? Nicht um das intellektuelle Kennen, wie bei den Leuten, die Bücher lesen und sagen: »Ich kenne diese Frage«, sondern um das wahre Kennen. Dich kennen, Dich, den einzig wahren Gott, das bedeutet, nur noch mit Ihm eins zu sein, mit Ihm verschmolzen zu sein. Und diese Einheit, diese Verschmelzung, das ist das ewige Leben. Außerhalb dieser Verschmelzung mit dem Schöpfer kann euch nichts den Eintritt in das ewige Leben verschaffen: Ihr seid nicht ewig, weil ihr noch in der Zeit lebt.

In Wirklichkeit leben wir in der Zeit und in der Ewigkeit. Unser Geist lebt in der Ewigkeit, unser Körper jedoch, mit allem, was uns umgibt, lebt in der Zeit, er zerfällt und stirbt dann. Ich habe euch vor einigen Jahren einen Vortrag über die Zeit und die Ewigkeit gehalten. Darin habe ich euch gezeigt, dass die Ewigkeit keine Frage von Zeit ist, auch nicht von unbegrenzter Zeit, sondern von Intensität. Ewigkeit bedeutet Lebensintensität, und das ewige Leben zu haben, bedeutet nicht, unendlich lange zu leben, es bedeutet, ein intensives Leben zu leben. Wir sind in der Zeit begrenzte Geschöpfe, wir hatten einen Anfang und müssen ein Ende haben, aber in dieser begrenzten Existenz können wir die Ewigkeit in der Intensität des spirituellen Lebens finden. Der Größenordnung nach entspricht allein der Geist der Ewigkeit.

Und damit ihr seht, wie die Eingeweihten den Sinn des Wortes »erkennen« verstehen, gebe ich euch ein sehr einfaches Beispiel. Habt ihr bemerkt, dass die Kinder, sobald sie etwas kennenlernen wollen, die Gewohnheit haben, es in den Mund zu stecken? Die Erwachsenen hingegen wissen nicht mehr, wie man die Dinge erkennt, weil sie sie anschauen, sie studieren, sie lesen, die Kinder dagegen praktizieren das wahre Erkennen, das darin besteht, die Dinge in den Mund zu stecken, das heißt, sie zu kosten. Gehen wir noch weiter: In der Bibel heißt es, Adam erkannte Eva, und Abel wurde geboren… oder Abraham erkannte Sarah, und Isaak wurde geboren… Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass das Erkennen ein Verschmelzen ist. Kennen, das hat überhaupt nichts damit zu tun, jemandem zu begegnen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln, um dann zu sagen: »Den kenne ich.« Ihr habt Bekanntschaft mit ihm gemacht, das ist alles, aber ihr kennt ihn nicht. Wenn ihr eins mit ihm wäret, würdet ihr ihn erkennen. Das Wort Erkennen hat also zwei Bedeutungen: Die eine gilt für die gewöhnlichen Leute, die andere für die Eingeweihten. Nun, Jesus sprach daher für die Eingeweihten, als er sagte: »Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen« (Jh 17,3). Damit wird alles klar.

Indem der Schüler Anstrengungen unternimmt, um die Identifikation, die Kontemplation, die Meditation, den Gesang, die Atem- und Gymnastikübungen bis hin zur eigentlichen physischen Arbeit auszuüben, wird es ihm gelingen, alle diese Prinzipien in sich zu nähren und zu stärken, anstatt sich immer hungrig, durstig und unzufrieden zu fühlen. Man kann jetzt natürlich diese wenigen Hinweise bis ins Unendliche weiterentwickeln, Einzelheiten hinzufügen, variieren und alle möglichen Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Elementen herstellen. Übrigens, habe ich in den letzten vierunddreißig Jahren, in denen ich zu euch spreche, etwas anderes getan? Ich habe mich immer auf dieser Übersicht auf- und abbewegt, ohne es euch zu sagen, ohne es euch zu zeigen; daraus habe ich alle meine Vorträge abgeleitet. Auf dieser Übersichts-Tafel wollte ich alle Konzepte bezüglich des physischen und des psychischen Lebens zusammenfassen und aufeinander abstimmen, all die Kenntnisse, die man sonst überall verstreut findet, um sie zu einer Einheit zu formen. Denn das ist so meine Eigenart: immer eine Einheit, eine Synthese herstellen zu wollen.

Die Wissenschaft hat schon zu lange den Weg der Analyse eingeschlagen, die heutige Welt braucht jetzt eine synthetische Sichtweise der Dinge. Nun, wir haben sie, diese synthetische Sichtweise der Dinge; ich jedenfalls arbeite nur mit Hilfe der Synthese. Sicher ist es von Zeit zu Zeit notwendig, einen Punkt zu analysieren. Aber meine Methode ist die Synthese, weil allein die Synthese belebt. Dank ihr kann man mit dem Herrn, mit dem gesamten Universum verschmelzen, um groß, reich, lebendig zu werden. Mit der Analyse engt ihr euch ein, sterbt ihr ab, werdet ihr immer kleiner, und es ist bald zu Ende mit euch. Die Analyse ist der Tod… Die Synthese ist das Leben… Ein Beweis: Was macht die Mutter? Um ihr Kind zu formen, nutzt sie nur die Synthese von Milliarden von Elementen. Das Kind ist diese lebendige Synthese, die sich bewegt, die isst, die spricht. Später, wenn die Stunde der Analyse gekommen ist, wird jedes Teilchen des Körpers wieder in die Region zurückkehren, die ihm entspricht: in die Erde, in die Luft, in das Wasser und in das Feuer… genauso wie die Buchstaben immer wieder in den Kasten des Schriftsetzers zurückkehren. Wenn ihr daher immer nur eifrig analysiert, die Dinge und die Wesen auseinandernehmt, geht ihr in Richtung Tod, des spirituellen Todes.

Der Individualismus, das persönliche, egoistische Leben mündet in den spirituellen Tod: Man löst sich, man isoliert sich und trennt sich von den anderen, das ist der Tod. Das kollektive, brüderliche Leben hingegen ist eine Synthese, die das Leben bringt, die Auferstehung. Wenn man nicht die Universelle Weiße Bruderschaft in der Welt verwirklichen will, nun, das bedeutet, dass man für den spirituellen Tod arbeitet. Um zu leben, muss man eine hohe Vorstellung von Synthese haben, und dieses Ideal ist das Reich Gottes.

Wie ich euch schon zu Beginn sagte, kann diese Tafel nicht alles enthalten. Es gibt daher eine gewisse Anzahl von Konzepten, die ihr dort nicht finden werdet. Aber wir können dennoch dem Bewusstsein dort einen Platz geben. Das Bewusstsein, und genauer noch das Selbst-Bewusstsein, ist Angelegenheit des Verstandes. Das Überbewusstsein gehört den Bereichen von Seele und Geist an; und was den Geist betrifft, kann man sogar vom göttlichen Überbewusstsein sprechen. Den Bereichen von Wille und Herz entspricht das Bewusstsein, und erst auf der Ebene des Verstandes beginnt das Ich-Bewusstsein zu erwachen. Alle Erscheinungsformen des instinktiven Lebens (Atmung, Verdauung, Kreislauf, Ausscheidung, Wachstum) entsprechen dem Unterbewusstsein. Der physische Körper mit dem Knochengerüst schließlich entspricht dem Unbewussten.

Ihr fragt mich, wo man die Reinheit einfügen sollte... Aber wie kann man die Reinheit von allem Übrigen trennen? Im Sephirothbaum ist es anders, dort ist sie der Sephira Jesod zugeordnet10, aber hier hat sie keinen besonderen Platz, sie befindet sich überall. Man sollte sie zunächst auf die Ebene des physischen Körpers beziehen, als eine Qualität der Nahrung: Die Nahrung muss rein sein. Sobald sie verschmutzt, vergiftet oder verfault ist, werdet ihr krank. Im Bereich des Willens verhält es sich ebenso: Die Kraft, mit der ihr euren Willen nährt, muss rein sein. Denn auch dort gibt es solche und solche Kräfte, und manche hinterlassen viele Schlacken. Nehmt zum Beispiel Brennstoffe: Kohle und Benzin enthalten Energien, aber damit bei der Verbrennung so viele Energien wie möglich freigesetzt werden und dabei möglichst wenig Schlacken zurückbleiben, muss man diese Stoffe entweder reinigen oder filtern oder Stoffe bester Qualität auswählen. Sonst erhaltet ihr viele Schlacken und nur sehr wenig Wärme und Energie.

Auch die Gefühle müssen von größter Reinheit sein, um das Herz vollständig zu ernähren. Wenn ihr in euer Herz unreine Materialien hineinlasst wie Wut, Eifersucht, Begehren, Sinnlichkeit, eine ganze Mischung abscheulicher Gefühle, dann beginnt euer Herz zu leiden, weil ihr ihm verschmutzte Nahrung gegeben habt. Und das Gleiche gilt für den Verstand, die Seele und den Geist. Denn es kann dort, wo Unreinheiten sind, keine Weisheit, Ekstase oder Wahrheit geben. Ihr seht, wie klar das alles ist.

Auf dieser Übersichts-Tafel habe ich auch der Schönheit keinen Platz zugewiesen, und auch nicht der Vollkommenheit. In Wirklichkeit sind sie auf allen Ebenen und Stufen selbstverständlich mit einbezogen.

Das Leiden ist ebenfalls nicht erwähnt, aber es ist leicht nachzuvollziehen: Ordnet eines der Elemente dieser Übersicht an anderer Stelle ein oder verändert seine Qualität, gebt dem physischen Körper, dem Herzen, dem Verstand eine unreine Nahrung oder gebt einem Prinzip das, was für ein anderes bestimmt ist, und sofort stellt sich das Leiden ein. Wenn ihr all die Klagen in eurem Inneren hören könntet: »Danach habe ich nicht verlangt, warum gibst du mir diese Nahrung? Ich brauche Raum, warum hast du mich hier eingesperrt? Ich will Wärme, warum lässt du mich in der Kälte? Ich friere…«

Spürt ihr jetzt die Wahrhaftigkeit all dessen, was ich euch erkläre? Wenn ihr mir allerdings mit einer rein intellektuellen und objektiven Einstellung zuhört, spürt ihr vielleicht überhaupt nichts und ihr findet sogar, dass meine Worte nicht euren Überzeugungen entsprechen. Wenn die ganze Kultur der Welt von heute euch Ideen in den Kopf gesetzt hat, die euch am Verstehen hindern, dann ist das nicht meine Schuld. Aber beeilt euch, betrachtet die Dinge auf meine Weise, und ihr werdet entzückt sein. Ihr werdet sagen: »Ich habe verstanden. Diese Übersicht werde ich bei mir tragen, und wohin ich auch gehe, werde ich sie betrachten: Im Zug, in der U-Bahn, beim Zahnarzt… sogar im Schönheitssalon!« Ja, diese Übersicht kann euch eine große Hilfe sein. Unterschätzt niemals ihre Bedeutung.

Sèvres, den 6. Februar 1972, morgens

II

Frage: »Im Allgemeinen bringt man die Freiheit mehr mit der Vorstellung von Raum in Verbindung: sich fortbewegen, reisen können… Können Sie uns erklären, warum Sie in der Übersichts-Tafel die Freiheit eher als eine Errungenschaft des Geistes darstellen als der Seele?«

Ja, die ganze Welt verwechselt Freiheit mit Raum. Aber die wahre Freiheit ist nicht mit Raum verbunden. Stellt euch einen jungen Mann vor, der derart durch seine Schwiegermutter gereizt wird, dass er eines Tages seine Koffer packt und in die Berge fährt. Aber selbst dort oben ist er nicht frei. Warum nicht? Weil dieselben Geschichten und Diskussionen in seinem Kopf rumoren. Physisch gesehen ist er weit weg von ihr, aber mental gesehen hat er sie nicht verlassen, da er ständig an sie denkt. Und was für »gute« Gedanken er ihr schickt! Der Begriff Freiheit ist nicht an den Raum gebunden, weil der Raum eben nicht die wahre Freiheit verleiht. Er vermittelt eine gewisse Freiheit: Im Raum kann man sich frei bewegen, rühren und fortbewegen; die Freiheit des Geistes jedoch, die wahre Freiheit, ist etwas anderes!

Nehmt das Bild eines Kreises. Sein Umfang kann riesig sein, aber das Zentrum ist immer ein winziger Punkt, der nicht die geringste Ausdehnung hat. Der Umfang repräsentiert die Seele, die sich bis ins Unendliche ausdehnen kann, der Punkt hingegen repräsentiert den Geist. Der Geist hat keine Ausdehnung, aber er hat die besondere Eigenschaft, so intensiv zu schwingen, dass er sich unmittelbar wegbewegen und überall gleichzeitig sein kann. Darum sagt man auch, der Geist sei überall und nirgends. Der Umfang ist festgelegt, aber der Mittelpunkt kann sich fortbewegen, ja, denn er ist lebendig.

Der Geist nimmt überhaupt keinen Raum ein, im Gegensatz zur Seele, die sich im Raum ausdehnt. Daher betrifft das Freisein im Geist nicht mehr den Raum, Freisein ist ein Bewusstseinszustand. Der Geist entkommt dem Raum, weil er nicht aus Materie ist, die Seele hingegen besteht aus Materie. Natürlich nicht aus dieser dichten Materie, die wir sehen, sondern aus der Urmaterie, die reines Licht ist. Der Geist vermag nichts ohne die Materie der Seele. Es ist die Seele, die ihm ihre wunderbar feinstoffliche Materie zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe er schöpferisch sein kann. Der Geist ist in der Materie eingeschlossen, und wenn die Physiker die Atomspaltung herbeiführen, tun sie nichts anderes, als den Geist befreien, die in der Materie eingeschlossenen Kräfte. Nicht die Materie ruft die Explosion hervor, sondern die in ihr enthaltene Energie.

Wenn man sagt »Geist und Materie«, berührt man die beiden gegenüberliegenden Pole im Universum, aber man kann Schritt für Schritt herabsteigen, um die verschiedenen Grade dieser Polarisation aufzuzählen: der Himmlische Vater und die Göttliche Mutter, der kosmische Geist und die Universalseele, der Geist und die Seele, dann weiter unten auf der physischen Ebene, der Mann und die Frau. Der Mann stellt den Geist dar (auch wenn er manchmal nichts Spirituelles an sich haben mag, symbolisch gesehen gehört er in die Kategorie des Geistes) und die Frau stellt die Materie dar (obgleich sie keineswegs reine Materie ist, oft ist sie sogar spiritueller als der Mann; aber symbolisch gesehen gehört sie in die Kategorie der Materie). Und wenn der Mann und die Frau sich vereinen, symbolisieren sie die Vereinigung von Geist und Materie, durch die das Universum entstanden ist.

Sèvres, den 6. Februar 1972, nachmittags

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Anmerkungen

1 Auszug aus der von Meister Omraam Mikhael Aivanhov erstellten Übersicht (synoptische Tafel), in der er aufzeigt, wie das spirituelle Leben auf der feinstofflichen Ebene – genauso wie das (körperliche) Leben auf der physischen Ebene – genährt, gepflegt und aufrechterhalten wird.

2 Über die Ernährung siehe Band 16 der Reihe Gesamtwerke »Alchimie und Magie der Ernährung – Hrani-Yoga«.

3 Siehe Band 18 der Reihe Gesamtwerke »Erkenne dich selbst«, Kapitel 11 »Die Gestik« und Band 13 »Die Neue Erde«, Kapitel 18 »Die Gymnastik-Übungen«.

4 Siehe den Band »Die Paneurythmie« sowie eine gleichnamige CD.

5 Siehe Band 6 der Reihe Gesamtwerke »Die Harmonie«, Kapitel 9 »Solarplexus und Gehirn« und Kapitel 11 »Das geistige Herz«.

6 Über die Liebe siehe Band 14/15 der Reihe Gesamtwerke »Liebe und Sexualität«.

7 Siehe die synoptische Tafel am Anfang dieses Kapitels, Zeile »Verstand«

8 Siehe Band 14/15 der Reihe Gesamtwerke »Liebe und Sexualität«.

9 Siehe Band 4 der Reihe Gesamtwerke »Das Senfkorn«.

10 Siehe Band 7 der Reihe Gesamtwerke »Die Reinheit, Grundlage geistiger Kraft – Die Mysterien von Jesod«.

Kapitel 3: Der Geist und die Materie

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