Erlenhof - Ferdl Weihsmann - E-Book

Erlenhof E-Book

Ferdl Weihsmann

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Beschreibung

Auf einem heruntergekommenen, brandenburgischen Gutshof finden sich nach und nach junge dynamische Kerle ein, um dem herrschaftlichen Anwesen wieder zu altem Glanz und neuer Gloria zu verhelfen. Allen voran der Erzähler Christian Leutholdt, ein Junganwalt aus dem Allgäu, der den Auftrag von seiner Oma Renate, der eigentlichen Erbin übernimmt. Ihm zur Seite steht sein Freund und Lebensgefährte Kevin McPhearsson. Nicht von ungefähr teilen alle diese tatkräftigen Burschen den Hang zu einem guten Haarschnitt, angefangen von einem schnittigen Flattop über Slickback-Fasson oder einem stylischem schulterlangem Lockenhaarschnitt. Das Thema Haarfetisch steht ganz bewusst im Vordergrund und wird in vielen Facetten beschrieben. Das Buch beginnt am Abend der Eröffnung des auf dem Hof entstandenen neuen Hotels und zeigt in Erinnerungssequenzen die Schwierigkeiten, mit denen diese fast überwiegend schwule Boygroup umgehen muss. Dabei rücken schwule Themen und Outings genauso ins Blickfeld, wie die verschiedenen Zweige des Haarfetischismus - von Glatze bis Locken, von Bartrasur zur Intimrasur. Christian lässt in diesen Rückblicken weder familiäres noch berufliches langweilig wirken. Mit frecher und direkter, jedoch keinesfalls anstößiger Erzählweise liefert dieser Roman einen sehr guten Einblick in normales schwules Leben mit all seinen Problematiken und Facetten. Das Ende des Buches macht Lust auf den zweiten Teil der Erlenhof-Reihe, in dem die Fortgänge der Aktivitäten beobachtet werden, weitere Überraschungen ins Haus stehen und Ungelöstes aus dem ersten Band aufgeklärt wird. Sind Sie also bereit für einen scharfen Schnitt?

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Seitenzahl: 1173

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Dieses Buch enthält detaillierte Beschreibungen von erotischen und sexuellen Handlungen mit entsprechender Wortwahl. Darum ist das Buch nur für volljährige Leser geeignet, die sich nicht an bisexueller und homosexueller Erotik stören.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Kapitel 129

Kapitel 130

Kapitel 131

Kapitel 132

Kapitel 133

Kapitel 134

Kapitel 135

Kapitel 136

Kapitel 137

Kapitel 138

Kapitel 139

Kapitel 140

Kapitel 141

Kapitel 142

Kapitel 143

Kapitel 144

Kapitel 145

Kapitel 146

Kapitel 147

Kapitel 148

Kapitel 149

Kapitel 150

Kapitel 151

Kapitel 152

Kapitel 153

Kapitel 154

Kapitel 155

Kapitel 156

Kapitel 157

Kapitel 158

Kapitel 159

Kapitel 160

1

Geschafft!

Ich bin hundemüde. Fast wäre ich ja schon vor ein paar Stunden am Tisch eingeschlafen. Kein Wunder! Wie spät ist es denn jetzt? Nach 4 Uhr nachts … oder frühmorgens, wie man will.

Kein Wunder, ich bin seit früh um fünf heute auf den Beinen. Und immer in Trapp und unter Hochspannung. Aber dabei war es ja heute eigentlich gar nicht mehr nötig, in Hektik zu verfallen, wie in den letzten Wochen … dachte ich heute früh beim Aufstehen noch.

Oma Renate und Daddy vom Flugplatz abholen, Mutti und mein Schwesterherz waren ja schon vor 2 Tagen angereist, und vorher noch ein paar letzte Besorgungen im Großmarkt – Austern und Lachs, der Frische wegen für das Kalte Büffet. Dann war es auch schon Mittag und wir stellten fest, dass der Koch, der das Kalte Büffet zur Eröffnung des Hotels & Restaurants »Erlenhof« ausrichten sollte, ausfiel.

René allein konnte es nicht schaffen. Zum Glück hatte Tante Eva die beste Idee: Sie organisierte eins-fix-drei zwei alte Freundinnen, die uns dann bei der ganzen Aktionen halfen. Marga war sogar gelernte Kaltmamsell im Ruhestand. Alles klappte wunderbar, wenn auch ein bisschen hektisch. Das muss aber wohl so sein, sonst macht es auch keinen Spaß.

Als die ersten Gäste um 18.00 Uhr - überpünktlich - ankamen, war von dem Durcheinander nichts, na ja fast nichts mehr zu sehen. Es kamen wirklich alle, so um die 90100 Personen, nebst Bürgermeister, Landrat, das Fernsehen und die dazugehörige Prominenz und so weiter. Schön war’s und lustig.

Die Letzten gingen um 3 Uhr in der Früh (die wurden auch eher hinaus komplimentiert).

Der ganze Clan liegt nun schon in den Betten. Zum Glück ist das Haus, eine altes Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert, groß genug für ein schönes, gemütliches Hotel mit viel Nebengelass. Es ist wieder toll geworden, unser Gutshof. Mein »Erlenhof«.

Langsam gehe ich über den Hof zum alten Gesindehaus hinüber. Dort habe ich ein schönes Zimmer in einer riesigen Wohnung, die ich mir mit meinen Kumpels teile. Das Zimmer werde ich hier behalten, das steht fest. Genauso steht auch fest, dass ich jetzt hier bleibe, hier ist meine Lebensmitte entstanden. Hier ist mein Arbeitsplatz. Neue Aufgaben stehen an. Hier werde ich gebraucht. Hier habe ich meine Freunde, meinen Partner.

Die vielen Gäste sind bereits vor gut einer Stunde gegangen. Ich habe dann noch notdürftig ein bisschen unten in den Gasträumen aufgeräumt, weil ich so aufgekratzt schien. Nun ist die Anspannung der Müdigkeit gewichen - und das ist auch gut so.

Die Abendtoilette fällt eher dürftiger als sonst aus. Ich falle ins Bett und auf einmal ziehen die ganzen Bilder und Highlights der letzten Monate wie im Film an mir vorbei. Ich denke dabei, vielleicht sollte ich ein Buch darüber schreiben? Was so alles passieren kann …

Wie fing denn alles an? Ich dämmere in den Schlaf. Alles erscheint wieder vor mir:

2

Oma Renate kam eines Tages im Frühling - Ende April, Anfang Mai - vor 1½ Jahren zu Daddy und mir in die Kanzlei nach Kempten. Sie hatte sich bei angemeldet. Frau Münch, Daddys Sekretärin, hatte natürlich wieder einmal vergessen, mir Bescheid zusagen. So wurde ich aus meinen tiefen Gedanken und Überlegungen zum recht schwierigen Fall Kapinski gegen (wer war das noch gleich) in Schweden, Eckström/Eckholm oder so, herausgerissen.

Ich stand in Daddys großem Büro am Fenster und blickte auf den Kemptener Marktplatz hinunter und war immer noch mit meinen Gedanken im Schriftsatz zum Fall versunken, als Oma plötzlich von einer Erbschaft in Brandenburg anfing zu reden. Sie hätte vor 2 Tagen Post von einem Notar in der Schweiz erhalten und könne noch nicht genau sagen, worum es sich eigentlich im Einzelnen handele, aber so viel sei schon bekannt:

Ein Haus, eher eine Villa mit viel Land und wohl auch Wald, Ländereien, auf alle Fälle Grundbesitz. Vielleicht auch Geld, Schätze, Juwelen, Antiquitäten, Aktien …

Oma übertrieb immer gern. Daddy sah mich fragend und schmunzelnd an. Alles von Opa Peters Verwandtschaft, die Oma gar nicht so richtig kennen würde. Opa kann man nun nicht mehr fragen, da er ja schon 10 Jahr tot ist. Es muss eigentlich eine Großtante aus Ostpreußen sein, die von dort zu Kriegsende vertrieben wurde und sich am Rande von Berlin niedergelassen hatte, weil man dort noch ein Gut und Land hatte.

Ich erinnerte mich dunkel. Opa hatte mir mal erzählt, kurz nach dem die Mauer gefallen war, dass es dort noch Verwandtschaft geben würde oder könnte. Großtante Amalie … Auf meine Frage hin, die doch nun ausfindig zu machen, wich Opa Peter eigenartig kühl aus und erklärte, das hätte ja doch keinen Sinn. Mir ist die Sache dann auch nicht mehr wichtig gewesen. Dieser Name, Amalie Jacobeit, wurde auch von Oma jetzt gerade gegenüber Daddy erwähnt. Daddy, der sich natürlich wieder mal an überhaupt nichts erinnern konnte, machte einen recht hilflosen Eindruck. Ich machte wohl auch immer noch einen recht abwesenden Eindruck, weil Oma mich barsch anfuhr:

»Christian, hörst Du eigentlich zu!?«

Ich antwortete prompt, wie aus der Pistole mit amerikanischen Akzent, den ich aus meinem Jahr San Diego her noch konnte: »Ya, Ma’am, surely«, so wie ich sie immer ein bisschen neckte, wenn sie wieder anfing die Patronin der Familie zu spielen.

Es wurde festgelegt, dass ich mit Oma Renate den Termin in der darauf folgenden Woche beim Notar Höfli in Luzern wahrnehmen sollte, weil Daddy einen wichtigen, nicht verschiebbaren Termin in Wien mit einem Klienten hatte.

Oma mokierte sich noch, wer denn noch wichtiger als sie sein könne, war aber zufrieden, dass ich mitkam, weil wir uns eigentlich, bis auf die paar Ausnahmen, wo sie den Boss raus kehrte oder raus kehren wollte, gut verstehen. Sie stellte nur noch kurz fest, in einem Ton, der keine Widerrede zuließ, dass sie mit mir auf keinen Fall Porsche fahren wolle, weil der so unbequem zum Einsteigen sei und ihr der BMW von Daddy völlig ausreiche.

Die Woche verging wie im Flug mit Terminen und mit anderen wichtigen Familienthemen. Ich bekam noch einen neuen Fall, der mich mehr als genug in Anspruch nahm. Ich war daher auch ein bisschen froh, als ich Oma dann am Mittwochmorgen pünktlich zum Termin abholte. Also ein bisschen raus aus dem Trott.

Der Termin war um 14.00 Uhr und wir hatten genügend Zeit, nach Luzern zu fahren. Oma stellte hin und wieder fest, dass ich auch mit dem BMW zu schnell rasen würde, gab aber auch zu, dass ich ein guter, sicherer Fahrer bin, obwohl ich erst Ende 20 sei. Daraufhin teilte ich ihr mit, dass ich ja schon 10 Jahre Auto fahre und noch keinen Unfall gehabt hätte. Ich erklärte Oma Renate, dass ich immer ein umsichtiger Fahrer bin und auch sonst verantwortlich bin. Ich habe ja auch mein Jura-Studium mit Bravur innerhalb von 5 Jahren gemeistert und bin nun seit knapp einem Jahr bei Daddy in der Kanzlei. Andere in meinem Alter gammeln noch herum oder sind uninteressiert an der Arbeit der Eltern. Ich möchte aber in die Fußstapfen von Daddy treten. Durch die EU und die bevorstehende Osterweiterung gibt es so viele interessante Sachen, Möglichkeiten, Fälle und Arbeit, dass es mich wirklich reizt, hier und heute in der Kanzlei zu arbeiten und etwas zu bewegen. Daddy hat einen Partner, Herrn Alois, der demnächst in Ruhestand gehen wird. Er arbeitet mich auch schon gut ein und ist wie ein guter Onkel zu mir.

Daddy möchte gerne seine Kontakte nach Australien und Südafrika vertiefen, benötigt dazu jemanden wie mich, der sprachgewandt und flexibel und jung ist. Also internationale Geschäfte betreuen, Verträge ausarbeiten etc. und kein Kleinkrämeranwalt mit Scheidungsthemen und Familienrecht oder kleine Delikte unter Nachbarn. Mit Oma haben wir noch viel übers Wetter gesprochen und auch über die Großtante Amalie. Aber Oma wusste auch nicht viel. Sie war als Schulmädchen mal dort in Ostpreußen gewesen. Es war Krieg und schlechte Zeiten und sie eben klein. Was bleibt da schon an Erinnerungen? Es ist eben über 60-65 Jahre her.

Zu Tante Amalie wusste sie noch weniger, weil es Opas Verwandtschaft war. Opa Peter hat darüber überhaupt nicht viel geredet. Das fand Oma Renate recht merkwürdig, da Opa sich sonst immer gerne mitteilte. Natürlich konnte sie es wieder nicht lassen, mich und meine langen Haare zu kritisieren. Ich versicherte, dass längere Haare wieder im Kommen sind, was ja auch stimmt. Sie meinte dazu nur, dass ich mir bald einen Pferdeschwanz binden könnte, was wohl doch nicht so modern wäre. Ich erklärte ihr, dass ich leider noch keinen Pferdeschwanz binden kann – insgeheim habe ich es schon versucht, es fehlen noch 2-3 cm bis dahin. Im Büro trage ich die Haare immer korrekt gegelt, die Ohren frei und Daddy hat sich damit wohl abgefunden. Er trägt auch keinen Militärhaarschnitt. Er sagt zu meinen Haaren jedenfalls nichts. Ich sehe im Büro immer korrekt aus, auch mit Anzug und Krawatte eben.

»Das ich mich deinetwegen aber extra rasiert habe«, ich trage sonst gerne 3-Tage-Bart, »zählt wohl überhaupt nicht, oder?«, fragte ich sie ein bisschen spöttisch. Zur Garderobe konnte sie ja ohnehin nichts sagen, weil ich eben schon immer in der Kanzlei konservative dunkle oder maximal mittel/stahlgraue Anzüge trug. Auch heute hatte ich mir den Armani-blauen dunklen Anzug gegönnt. Ich fand mich cool, jedenfalls findet Nadine, meine Freundin, den Anzug wahnsinnig, oder verscheißert sie mich etwa?

Oma Renate verglich mich wieder mit Marcus, der die Haare eben Fasson-mäßig tragen würde und das eben zeitgemäßer sei. Ich konnte es noch nie verstehen, dass Marcus sich die Haare so super kurz schneiden ließ. In der 12 Klasse schockte er uns sogar einmal mit einem Glatzenschnitt, was ihm das Gelächter der ganzen konservativen Schule einbrachte, aber die Wette um 100 DM hatte er damit gewonnen. Nun trägt er eben »Popper«, hinten Fasson und vorne lange Stirnhaare. Seine Sache, aber immerhin sieht er damit ganz gut aus. Die Diskussion verlief wie üblich im Sande, bring ja eh nichts.

Wir sind in Luzern. Die Kanzlei von Herrn Höfli liegt in exponierter Lage mit Blick auf den Vierwaldstädter See. Nobel also.

Wir werden nach kurzer, angemessener Wartezeit von einer sehr schweizerischen Sekretärin vorgelassen - überhaupt kein Vergleich zu Daddys Frau Münch. Herr Höfli, ein großer, netter, schlanker, dunkelhaariger Mann um die 50 begrüßt uns freundlich. Nach kurzem Smalltalk über die Fahrt hierher kommt er zur Sache. Oma reicht alle nötigen Dokumente hinüber. Opas Geburtsurkunde, Sterbeurkunde, Heiratsurkunde und der Erklärung, dass sie alleinige Erbin ist. Die Unterlagen werden kurz aber gründlich geprüft. Alles klar. Das Testament von Großtante Amalie Jacobeit wird eröffnet. Es ist ein riesiger, dicker Umschlag mit Siegel. Mir wird ganz mulmig.

Wir in Kempten verfassen zwar in der Kanzlei auch Testamente und beraten unsere Klienten bei Erbschaftsangelegenheiten, aber so etwas hat wohl auch Daddy noch nicht gesehen. Ich jedenfalls noch nicht. Bestimmt nicht!

Als erstes kommt obenauf ein kleiner Brief zum Vorschein. Wohl das Anschreiben bzw. das Testament. Der Rest entpuppt sich als Aktienpakete und irgendein gebündeltes Papierpaket, worauf wir noch zurückkommen werden.

Herr Höfli öffnet das Testament und verliest es. Opa Peter, d.h. da er ja nun schon 10 Jahre tot ist, Oma Renate erbt. Und zwar nicht schlecht:

Einen Bauerngut, genannt »Erlenhof«, am Rande von Berlin im Bundesland Brandenburg mit viel Land und Wald, geschätzter Verkehrswert ca. 15,0 Mio. Euro, wohl wesentlich höher. Dann Aktien, die sich bei Herrn Höfli in Verwaltung befinden, im Wert von ca. 500.000 SFR des aktuellen Zeitwertes. Weiterhin eine Münzsammlung, die bei einer Bank hier in Luzern im Safe liegt mit einem Schätzwert von ca. 100.000 SFR sowie Familienschmuck im Wert von ca. 250.000 SFR. Die ostpreußischen Ländereien und das Stammhaus von Tante Amalie bei Tilsit sind hoffnungslos verloren.

Oma Renate schaut mich ungläubig an und kann es nicht fassen.

Aber Herr Höfli ist mit der Verlesung noch nicht fertig. Oma Renate ahnt den Pferdefuß, der auch nicht von schlechten Eltern ist: Großtante Amalie erwartet die Instandsetzung des Gutshofes vom Erben. Sie selbst konnte in den letzten Jahren überhaupt nichts machen. Sie wohne dort seit Kriegsende. Das Gut wurde von den Russen beschlagnahmt und diente als Lazarett. Dann quartierte sich zu DDR-Zeiten eine LPG im Gutshof ein. Die LPG war Nutzer und verwaltete das Gut in Grund und Boden. Tante Amalie durfte immerhin eine kleine Wohnung im Gesindehaus nutzen und musste mit ansehen, wie Ihr Eigentum immer weiter verfiel. Nach der Wende wohnte sie auch noch dort und stellte einen Antrag auf Rückübereignung, der auch bestätigt wurde. 1995 erhielt sie ihr Eigentum zurück.

Die Ländereien seien jetzt an einen Bauern verpachtet. Von der Pacht hatte sie ihre kärgliche Rente aufbessern können. Tante Amalie verstarb mit 94 Jahren. Wieso sie sich zu Lebzeiten nicht bei Opa Peter gemeldet hat, geht aus dem Testament nicht hervor. Auch nicht, wieso gerade er erbt. Andere Verwandte, die erben könnten, gibt es aber auch nicht.

Ratlosigkeit bei Oma. Ich finde als erster die Haltung wieder.

Das Erbe ist interessant, wenn da nicht die große Unbekannte mit der Instandsetzung wäre. Die Aktien stammen aus den 30iger Jahren und wurden konservativ vom Notar Höfli, bzw. seinem Großvater und Vater treuhänderisch verwaltet, bis heute.

So wurde ein gutes Vermögen angehäuft. Nett, nett.

Das Bündel Papiere entpuppt sich als Lageplan, Grundbuch und Katasterunterlagen für das Gut. Bilder sind leider keine dabei.

Herr Höfli erklärt noch, wie sich das Erbe zusammen setzt und wieso er die Unterlagen verwaltet.

Die Aktien, die Münzen und der Schmuck sind schon seit 1938 in der Verwaltung der Kanzlei. Die Verstorbene, bzw. ihre Eltern haben schon damals sehr weitsichtig gehandelt und während einer Reise in die Schweiz die Werte beim Großvater von Herrn Höfli in der Kanzlei deponiert. Dann kam der Krieg. Nach dem Krieg konnte man lange keinen Kontakt zu einander finden. Frau Amalie Jacobeit hatte dann in den 70iger Jahren, während einer Reise als Rentnerin nach Westberlin von dort aus wieder den Kontakt aufgenommen.

So wurde das Vermögen gepflegt und gehegt.

Nach der Wende besuchte Herr Höfli Frau Jacobeit in Brandenburg. Er zahlte ihr eine kleine zusätzliche Rente vom Zins des Vermögens aus. Er hat auch mit Ihr gemeinsam 1996 das Testament aufgesetzt.

Mehr wüsste auch er nicht. Das Gut oder den Bauernhof kennt er ebenfalls nicht. Er hatte sich damals mit Frau Jacobeit in Berlin in einem Hotel getroffen des Zeitdrucks wegen.

Wir, d.h. Omi Renate haben also 6 Wochen Zeit, um das Erbe anzunehmen oder auszuschlagen. Wir, das heißt Omi Renate, haben also 6 Wochen Zeit, das Erbe anzunehmen oder auszuschlagen. Diese Zeit müssen wir nutzten, um die Sache in den Griff zu bekommen. Ratlosigkeit wohin man schaut.

Wir fahren zurück. Sind stumm. Die Landschaft gleitet an mir wie im Traum vorbei, obwohl ich hell wach bin, geht alles wie von selbst. Meine Gedanken kreisen um das eine Thema: Wie Oma helfen?

Wir trinken unterwegs irgendwo am Bodensee noch einen Espresso und sprechen den gleichen Gedanken aus: Sofort prüfen, was Oma erwartet. Wir legen in knappen Sätzen die Aufgaben fest. Ich werde ihr helfen. Daddy muss mir frei geben, damit ich Oma begleiten kann. Das wird er machen, ganz klar. Wir fahren nach Hause, es ist ja schon spät. Die Unterredung beim Notar hat gute 2 Stunden in Anspruch genommen. Wir sind also nicht vor halb neun abends wieder in Wiggensbach. Dort besitzen wir, also Daddy, eine tolles altes Bauerhaus, dass er in den 70ern erworben und großzügig umgebaut hat. Platz genug für unsere ganze Familie Leutholdt - Mutti Annette, Daddy Wolfgang, meine beiden jüngeren Geschwister Constanze und Marcus. Marcus ist 22 und studiert in Boston etwas mit Elektronik und IT. Constanze ist 26 und ist fast Ärztin. Sie studiert in München und ist am Wochenende meist daheim. Auch für mich, Christian, 28 und Anwalt, gibt es ein tolles Zimmer in diesem Familienanwesen. Oma Renate wohnt auch gleich um die Ecke in Westenried in einem schönen neuen Häuschen. Oma ist 74 und noch gut beieinander, fährt auch selbst noch Auto. Ihr Golf macht alles mit, was sie mit ihm anstellt …

Wir betreten das Bauernhaus. Mutti hat einen kleinen Imbiss für uns in der Wohnküche parat. Ich muss erst mal einen Grappa trinken. Daddy trinkt in Vorahnung einen mit und wir erzählen, was in Luzern passiert ist.

Wir sind immer noch nervös und fahrig, die Last fällt ab, teils durch den Grappa und teils eben durch die zeitliche Trennung. Wir sprechen alle durcheinander wirres Zeug. Keiner hört, was der andere sagt, bis Mutti alle zur Ordnung ruft. Stille tritt ein und wir ordnen unsere Gedanken, können nun wieder ruhig und gepflegt sprechen, hören einander sogar zu.

Wir legen fest, dass Oma und ich gemeinsam nach Berlin, na ja, nicht direkt Berlin, sondern ins Land Brandenburg, nach Rupersdorf fahren. Vorher will ich die nächsten beiden Tage bis zum Wochenende nutzen, um Details wie Telefonnummern, Namen von Ansprechpartnern und Adressen sowie Öffnungszeiten der zuständigen Ämter und Institutionen zusammen zu tragen und gegebenenfalls einen Besuchstermin für die nächste Woche vereinbaren. Meine Termine hier in Kempten muss Herr Alois übernehmen. Daddy meint, das geht schon, er wird bestimmt mitspielen. Daddy selbst hat keine Zeit, weil in der Kanzlei die Luft brennt, wie gesagt. Mutti ist erstaunlich ruhig.

Wieso eigentlich?

Die beiden nächsten Tage verbringe ich damit, Internet zu surfen, um einiges über Brandenburg und seine Administration zu erfahren. Ich telefoniere dann wie ein Weltmeister. Nach einigen Fehlverbindungen und angeblichen Unzuständigkeiten habe ich doch Freitagnachmittag alles bei einander. Oma hat einen Termin beim Katasteramt in Potsdam am nächsten Mittwochvormittag.

Das war nicht leicht, überhaupt nicht. Nur mit viel Überredungskunst konnte ich den Dienststellenleiter überzeugen, dass es super wichtig ist, auch für sein Land. Das hat ihn plötzlich hold gestimmt. Ein Telefonat aus den alten Bundesländern?

Wer weiß, was dahinter steckt? Ich werde dem Herrn Lehmann wohl einen Flasche Cognac spendieren. In Rupersdorf sind wir auch beim stellvertretenden Bürgermeister angemeldet. Ich buche also für Dienstagabend zwei Flüge für Oma Renate und für mich. Den Rückflug plane ich für Donnerstagnachmittag. Na, mal sehen, was uns erwartet. Eigentlich müsste die Zeit dicke reichen, um auch einen Stadtbummel durch Berlin zumachen. Mein letzter Besuch dort war als Gymnasiast kurz vor der Wende mit der ganzen Klasse. Ich denke heute noch mit Schrecken daran, wie das war, als wir uns das damalige Ostberlin ansahen. Die Vopos an der Grenze sahen uns an, als ob wir Vaterlandsverräter und Spione in einem waren. Zwangsumtausch? Für mich als 15-jährigen waren 25 DM auch viel Geld. Dafür haben wir wie wild Bücher und Klassik-LPs gekauft, die waren damals in der DDR sehr billig und gut.

Das dazwischen liegende Wochenende gammele ich so vor mich hin. Samstag ist Party bei Andy. Mit meiner Freundin Nadine klappt es in der letzten Zeit leider nicht mehr so gut. Gehe daher allein nach Hause. Was hat sie bloß? Etwa einen anderen? Müsste mich wirklich mehr um sie kümmern. Die Kanzlei schlaucht wirklich, oder ist das nur ein Vorwand von mir? Egal, blöd gelaufen. Das gesamte Wochenende plätschert also so dahin. Wir fahren alle, d.h. Mutti, Daddy, Constanze, Oma und ich nach Oberstdorf und essen dort gut zu Mittag. Constanze fährt von dort gleich nach München, weil sie abends noch eine Freundin trifft, mit der sie noch für die nächste Klausur lernen will.

Das lustige an uns Geschwistern ist, dass wir uns alle wirklich ein bisschen ähnlich sind, nicht nur äußerlich. Ich bin blond, im Sommer immer ein bisschen blonder von der Sonne, groß und schlank. Conny ist wunderhübsch, zierlich, blond und doch intelligent. Marcus ist der etwas Schüchternere von uns allen, aber auch blond, superintelligent und noch ein bisschen größer als ich, aber nur 3 cm. Ich bin 186 cm und er eben 189 cm, dafür ein bisschen dunkelblonder als ich. Wir beide sind seelenverwandt, dazu noch später ausführlicher.

Wir sind alle wohl erzogen, ein bisschen katholisch, weil das hier so Brauch ist. Aber Mutti übertreibt es nicht damit. Sie sagt immer, für eine gute humanistische Bildung schadet es nicht, seinen eigenen Glauben zu haben und seine Kirche sowie die Bibel zu kennen. Damit hat sie ja auch wohl Recht.

3

Der Wochenanfang ist damit geprägt, dass ich mit den Vorbereitungen für die Kurzreise nach Berlin beschäftigt bin. Ich habe uns noch ein kleines hübsches Hotel per Internet gebucht. Es liegt am Stadtrand und ich hoffe, dass es nicht so laut ist. Oma Renate braucht ihre Ruhe in der Nacht, sagt sie. Außerdem habe ich noch ein Auto am Flugplatz bestellt. Keinen Porsche und keinen BMW. Oma wird sich aber im Kleinwagen bestimmt wohl fühlen.

Wir fahren am Dienstagnachmittag nach München zum Flughafen. Alles verläuft planmäßig. Das Auto lassen wir im Parkhaus des Flughafens stehen. Wir werden bestimmt ein kleines Vermögen fürs Parken bezahlen. Da Oma noch kurz vor der Abfahrt zum Flughafen in der Kanzlei war und Daddy und damit auch mich offiziell in die Sache einschaltete, können wir die ganzen Kosten glücklicherweise als Firmenkosten abrechen, zumindest für mich. Ein kleiner, schwacher Trost.

Der Flug war ruhig. Das richtige für Oma Renate. Wir erhielten auch ohne Probleme unseren Wagen. Beim Landen in Berlin konnten wir die Stadt von oben sehen. Viel Grün, Wald und Seen sehe ich. Sehr schön und sympathisch. Ich freue mich auf die 2 Tage und bin eher entspannt als aufgeregt. Gespräche mit Behörden und Institutionen gehört zu meiner Arbeit.

Oma steht die Angespanntheit förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie ist nervös und fahrig. Ich versuche sie aufzumuntern und abzulenken. Wir fahren durch die Stadt, dank Navigationssystem kein Problem, einen kurzen Überblick über unsere neue, alte Hauptstadt zu bekommen. Ich bin erstaunt und neugierig und hoffe, dass wir am Donnerstagnachmittag für einen ausführlicheren Stadtbummel noch Zeit haben werden.

Wir mogeln uns durch den Großstadtverkehr. Es geht so leidlich. Ich bin zwar ein guter Autofahrer, fahre aber eben meist nur auf dem Dorf, oder in unserer Kleinstadt Kempten, erinnere mich aber auch wieder schnell an San Diego. Ich gewöhne mich fix an die Dichte des Verkehrs und nach einer guten Stunde sind wir im Grünen, in unsrem kleinen, netten, lauschigen Hotel angekommen.

Auch hier im Osten gibt es tatsächlich gute kleine Landgasthöfe mit familiärem Flair, was aber leider noch fehlt, ist die Individualität und der gute Service. Ich bin erstaunt, dass das nach gut 13 Jahren immer noch so ist. Das will mir nicht in den Kopf. Hauptsache ist aber, dass die Zimmer in Ordnung sind - und das sind sie.

Am Mittwoch haben wir einen vollen Terminkalender. Um 9.00 sind wir beim Katasteramt in Potsdam angemeldet. Also müssen wir recht früh aus den Federn. Ich plane den Vormittag ein. Das war auch gut so. Nachmittags beim Amt in Rupersdorf und Besichtigung des Gutes.

Wir werden im Katasteramt schon erwartet. Herr Lehmann ist freundlich und kompetent. Er gibt uns bereitwillig Antwort, nachdem er unser Anliegen nochmals erklärt bekommen hat und wir uns ausgewiesen haben.

Wir werden informiert, dass sich der Hof von 1955 bis zur Wende in Verwaltung einer LPG befunden hat. Vorher war es von den Russen als Lazarett und Stützpunkt genutzt worden.

Frau Amalie Jacobeit bewohnte dabei eine kleine Einliegerwohnung im Seitenflügel, bzw. im Gesindehaus, die früher wohl dem Personal gedient hat. Aus dem Melderegister geht hervor, dass es wohl ihr Eigentum war und schuldenfrei ist. 1991 stellte sie den Antrag auf Rückübereignung und erhielt dazu den positiven Bescheid 1995. Die LPG wurde 1991 abgewickelt. Von 1992 bis 1995 war keine Tätigkeit auf dem Hof zu verzeichnen. Wir sollten uns aber nochmals bei der Landwirtschaftskammer und beim Gewerbeamt hier in Potsdam erkundigen, da aus den Unterlagen nicht klar hervor geht, was nach 1995 auf dem Hof gemacht wurde. Es könnte sich um eine »Öko-Station« oder ähnliches handeln. Wir erhielten die Telefonnummer und die Namen der Mitarbeiter bei der Landwirtschaftskammer und beim Gewerbeamt.

Die Flasche Cognac, die ich für Herrn Lehmann dezent aus dem Aktenkoffer nehme, wird von ihm sehr erfreut, aber auch ein bisschen beschämt angenommen.

Zur aktuellen Situation auf dem Hof kann er trotzdem keine genaueren Angaben machen. Uns war das sehr merkwürdig. Was läuft da gegenwärtig ab? Wir erhielten die telefonische Auskunft von der Kammer, dass sich dort eine Arbeitsgemeinschaft für alternative Tierzucht eingeschrieben hat, die auch Fördermittel vom Land erhalten würde. Geflügel oder Hasen, eventuell Strauße? Genaueres konnte man uns leider auch dort nicht sagen, nur dass der Geschäftsführer Neumann hieße.

Wir aßen in aller Eile eine Kleinigkeit, die fürchterlich schmeckte. Ich erinnerte mich, dass wir an der Uni immer sagten, schmeckt wie Dienstag, sieht aber aus wie Donnerstag. So ähnlich war das hier auch. Na egal, wir wurden immerhin satt. Oma Renate meinte, als die Speisen auf den Tisch kamen, dass sie ja sowieso nichts essen könne und das hier schon gar nicht.

Statt zu essen, sprach sie mit mir.

»Christian, was meinst Du zu der ganzen Sache?« Ich glaubte erst, sie meinte das Essen, und empfahl ihr, doch wenigsten Mal zu kosten, denn es sei wirklich nicht soo schlimm. Sie erklärte: »Dass Du jetzt überhaupt ans Essen denken kannst? Ich meine natürlich die Erbschaft und diese Ungewissheit zu dem, was wir vorfinden werden!»

»Oma«, versuchte ich sie mit gedämpfter Stimme zu beruhigen, »das wird schon werden. Wir sind in 2 Stunden klüger.«

Sie stocherte in ihrem ohnehin nun schon kalten Essen herum. Ich sagte ihr, dass sie wenigstens das Wasser austrinken solle, weil sie mir sonst hier noch unter den Händen verdurste und ich keine Lust verspüren würde, sie in die Klinik wegen Austrocknung zu bringen. Sie sagte nur etwas schnippisch, so wie es ihre Art ist, »Christian, du bist herzlos und kümmerst dich nicht um mich.«

Ich entgegnete, »Gerade weil ich dich mag, kümmere ich mich auch um dein leibliches Wohl.«

Sie trank aus, ich zahlte und wir fuhren weiter über die A 10 nach Rupersdorf. Das Amt fanden wir sehr schnell, obwohl sich das Dorf sehr durch die Landschaft schlängelt und in mehrere Ortsteile gegliedert ist. Herr Meinecke, ein Mann Anfang Dreißig, etwas untersetzt aber nicht dick, dunkelblonde gegelte mittellange Locken – irgendwie erinnert er mich an Robert, meinen Cousin, aber Robert ist dunkelhaarig -,der zuständige Mitarbeiter für Grundstücksfragen und Liegenschaften und gleichzeitig stellvertretende Bürgermeister empfängt uns recht herzlich und stellt gleich bei der Begrüßung fest, dass er davon ausgehe, dass nun wieder Ordnung im »Erlenhof« einziehen würde. Ich war etwas durcheinander durch diese Bemerkung von ihm und fragte: »Ist es denn jetzt nicht in Ordnung? Eigentlich dürfte dort doch jetzt gar nichts gemacht werden, oder?«

Er lachte. »Haben Sie ’ne Ahnung«. Mehr sagt er nicht.

Er informierte uns zusätzlich, zu dem, was wir schon von Herrn Höfli und Herrn Lehmann, sowie von der Landwirtschaftskammer erfahren hatten, wie folgt: Der Hof stünde seit fast einem Jahr leer, also sei nicht mehr bewohnt. Nachdem Frau Jacobeit nach einem Oberschenkelhalsbruch im vorigen Sommer für längere Zeit ins Krankenhaus kam und dann in die Reha-Klinik, wurde sie in ein Pflegeheim im Nachbarort untergebracht. Dort hatte sie es gut. Betreuung rund um die Uhr. Ein Zimmer für sich allein.

In dieser Zeit wurde der Hof weiterhin von dem Ökoprojekt von Herrn Neumann, den alle hier nur den Gockel nennen, genutzt. Von Viehhaltung wusste er nichts. Von bewirtschaften kann schon lange keine Rede mehr sein. Das hat mit der LPG 1991 aufgehört. Die Ländereien wurden an einen Bauern namens Pahnke verpachtet, der sich nach der Wende auf ökologischen Getreide- und Gemüseanbau spezialisiert hatte. Davon wussten wir bisher nichts.

Frau Jacobeit wollte verkaufen, bekam aber keinen richtigen Käufer an die Angel. Pahnke konnte wegen Geldmangel nicht kaufen, sondern nur pachten. Vielleicht auch, weil der »Erlenhof « einen sehr desolaten Eindruck nach außen hin mache, gaben die Banken ihm kein Geld.

Ralf Meineke, der stellvertretende Bürgermeister, persönlich sei jedoch der Auffassung, dass es gar nicht so schlecht ist, wie es aussehe. Mir wurde schon ganz verzagt und ich sah schon die Erbschaft als ausgeschlagen an. Aber Herr Meineke, der später mein, unser Freund werden sollte, obwohl er sein großes Geheimnis nicht gerne Preis gibt, hat zum Glück Recht behalten. Er begleitete uns hinaus und fährt sogar mit zum »Erlenhof«.

Oma Renate ist von Herrn Meineke vom ersten Moment sehr angetan, das merke ich, wie sie mit ihm auf der kurzen Fahrt zum Gutshof spricht. Die Fahrt dauert wirklich nicht lange, aber allein hätten wir es wohl bei den vielen Abzweigungen und Abbiegungen der Straße bestimmt nicht so schnell gefunden. Plötzlich biegen wir um eine Ecke in eine grandiose Allee ein, die mit Erlen bewachsen ist. Der Weg ist mit Kopfsteinpflaster befestigt, bis zum Gut sind es ca. 300 Meter.

Ich selbst bin erst später darauf gekommen, mir die Frage zu stellen, was so ein gebildeter, kultivierter Mann wie Ralf Meineke hier auf dem Dorf verloren hat. Später werden wir es erfahren.

Wir sind da. Was soll ich sagen: einfach entsetzlich, deprimierend und traurig. Mir und auch Oma Renate wird schwer ums Herz. Das stellen wir beide nachher auf der Fahrt zum Hotel fest, dass wir wieder Mal die gleichen Gefühlswallungen hatten. Merkwürdig?

Obwohl Frühling, Mai ist, wird uns wie November. Kalt, nass, feindselig - aber die Sonne scheint doch?

Gut - wir greifen uns ein Herz und steigen aus. Herr Meineke ist sehr einfühlsam und stellte auch plötzlich seinen Redefluss über Gott und die Welt im Allgemeinen und Rupersdorf im Besonderen ein. Wir gehen über einen kleinen Platz, der wieder mit Kopfsteinpflaster befestigt ist. Dort lassen wir auch das Auto stehen. Vor uns liegt das Portal des Gutshauses. 5 Stufen sind es bis zur großen 2-flügeligen Tür. Ich fasse die Klinke an, sie ist verschlossen.

Herr Meineke sagt, dass hinten ist wohl offen ist.

Wir gehen um das große zweistöckige Haus, dass auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Eine wunderschöne Fassade im Schinkel’schen Stil. Das Dach mit Gaupen ausgebaut. Zur einen Schmalseite des Gutshauses nach Süden schließt sich eine riesige Veranda an das Haus an. Von dort erahnt man eine Wiese und einen großen Obstgarten. Das Gebäude muss mal hellockerfarben gewesen sein und hatte schöne dunkelgrüne Holzladen. Ein Prachtbau, der seinesgleichen sucht.

Links und rechts geht es zu den Stallungen und den Scheunen. Wir sehen, dass links, so halb rechts zur Seite nur ein Stallgebäude steht. Links sehen wir mehrere Backsteingebäude, Ställe, Scheunen, eine Remise und das Gesindehaus. Alles mit altem Baumbestand und verwilderten Rasenflächen. Wir treffen am Hintereingang ein. Auf dem Hof, na ja es ist mehr eine Portalrampe wie vorne, steht ein alter LADA mit MOL-Kennzeichen. Meineke sagt, »Der Wagen von Neumann«.

Ich klinke wieder. Und siehe da, es ist offen. Ich öffne und mir steht ein grauhaariger, hagerer Mann, Mitte 40 mit 3-Tage-Bart gegenüber. Ein bisschen verschwitzt und in Arbeitsklamotten nebst Gummistiefeln. Man sieht aber auch, dass er sonst eigentlich eine gepflegte Erscheinung ist, was die modern kurz geschnitten, nach vorne gekämmten und gegelten Haare verraten.

Er stellt sich vor. Mit Verwunderung bemerke ich, dass er nicht fragt, wer wir sind. Nachher erfahren wir von Ralf Meineke, dass er, nachdem Herr Lehmann vom Katasteramt uns in unserem Auftrag bei ihm avisiert hatte, dann Herrn Neumann informierte, dass wir heute kommen, um das Gut zu inspizieren. Er zeigt uns das Haus. Das Gutshaus war zu DDR-Zeiten die Verwaltung der LPG. Wie sehen uns um. Vieles ist stehen geblieben, als die LPG 1991 dicht gemacht hat. Möbel, Akten und Unrat überall. Ein paar Möbel sind recht gut erhalten und wohl gleich nach der Wende beschafft worden. In den Räumen herrscht abgeblätterter DDR-Schick. Ornamenttapeten, so wie ich sie aus unserer alten Wohnung in den 60ern her kannte, bevor wir ins Bauernhaus zogen.

Oma hält sich die Hand vor den Mund und ich höre sie nur ab und zu stöhnen. Sie sieht so aus, als ob sie jeden Moment umfallen könnte. Ich stützte sie. Sie nimmt die Stütze auch tatsächlich an, was mich noch mehr wundern lässt. In der ersten Etage war ein Kinderferienlager eines Betriebes untergebracht. Kinder-Doppelstock-Betten, teils aus Metall, wohin man sieht. Zwei große Zimmer sind als Wasch/Duschräume umgebaut worden. Noch ziemlich gut in Takt. Herr Neumann erzählt uns, dass das Kinderferienlager von einem VEB-Kombinat 1985 von Grund auf renoviert und dabei die Bäder saniert wurden. Im Erdgeschoss sind außer den Büros auch Speisesaal und andere große Gesellschaftsräume sowie eine Küche. Der Dachboden ist Abstellraum und Fundus in einem. Wenn, dann finden wir hier wohl noch einige »Erbstücke und Schätze«, so hoffe ich zumindest.

Wir wollen den Keller sehen. Herr Neumann dreht und windet sich, aber wir geben nicht nach. Haben wir bisher nicht feststellen können, was Herr Neumann hier eigentlich werkelt, so wird es uns jetzt klar. Keine Kaninchenzucht. Keine Strauße. Es sind Champignons! Der Keller riecht moderig. Ist aber sonst riesig und gut erhalten, was ich als Laie feststellen kann. Teilweise sogar gefliest.

Herr Neumann erklärt uns laufend beflissentlich, dass für seine Tätigkeit hier, also die Champizucht, alles in Ordnung sei. Er hätte einen Vertrag mit Frau Jacobeit und würde auch immer pünktlich seine Pacht/Miete für den Keller und für den kleinen Büroraum zahlen. 100 Euro im Monat, jawohl! Er würde uns auch gerne den Vertrag zeigen und die Einzahlungsbelege.

Wir gehen wieder hoch und weiter in die Veranda und können auf die Terrasse und die Wiese mit dem dahinter liegenden Obstgarten blicken. Alles etwas verwildert, aber trotzdem schön. Man kann fühlen, dass es hier schön sein kann. Zur Linken schließt sich am Haus ein kleiner Garten mit Rosen an. Alles im Allem eine riesige Anlage. Schön, aber total runtergekommen. Es sieht hier so aus, als ob die Zeit vor 50 Jahren oder noch länger stehen geblieben ist. Eine Kulisse für Nachkriegsfilme - eine eigenartig morbide Atmosphäre umgibt uns.

In den Stallungen liegt unwahrscheinlich viel Gerümpel und Schrott. Nur in der einen Scheune wurde anscheint richtig aufgeräumt. Es liegt nichts, aber auch überhaupt nichts herum.

Leer, total leer.

Herr Neumann erklärte, dass hier früher die Traktoren und Mähdrescher gestanden haben. Merkwürdig, die habe ich doch aber teilweise als Schrottmaschinen in der Remise gesehen und in den Stallungen sowie in einer Ecke des Wirtschaftshofes. Oma Renate ist die erste, die ihre Fassung wieder findet. Sie spricht das aus, was wir zwei fühlen: Resignation.

Ralf Meineke ist aber vorbereitet. Ich denke, dass er mit dem Katasteramt in Potsdam ausführlich gesprochen haben muss. Aus unseren kurzen Erzählungen allein, kann er seine Informationen nicht haben. Außerdem muss er sich auch dafür irgendwelche Informationen besorgt haben. »Für die Wiederinstandsetzung und Renovierung gibt es beträchtliche Zuschüsse vom Landeskonservator und von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Bei einer kommerziellen Nutzung des Gutes können weitere Fördermittel vom Land in Anspruch genommen werden, so gibt es z.B. Existenzgründerkredite und ERP-Kredite von der Bank für Wiederaufbau, auch Zuschüsse und günstige Kredite. Alles in allem wohl ein Zuschuss von ca. 40-50 % der benötigten Gelder, der Rest müsste eben kreditiert werden. Sicherheiten in Form von Liegenschaften und Gebäuden sind ja vorhanden«, erklärt er uns.

Ich sah Oma im Geiste als Jungunternehmerin. Mit Gummistiefeln, Hacke, Spaten und Kopftuch …

»Was denken Sie denn, was das alles kostet, das hier wieder aufzubauen, was hier über zig Jahre verschlammt wurde. Tante Amalie würde sich im Grabe umdrehen …«, frage ich nachdenklich.

»Herr Leutholdt, Ihre Tante konnte seit langem hier nichts mehr machen. Zu DDR-Zeiten wurde das Gut durch die LPG zwangsverwaltet. Sie werden sehen, dass es innen gar nicht so schlecht ist. Sicherlich macht es von außen einen jämmerlichen Eindruck. Aber die Substanz ist ja doch irgendwo genutzt und gepflegt worden … bis auf die letzten paar Jahren eben.«

Die Ländereinen, also die Felder und wohl auch irgendwie der Wald wurden durch den Bauern Pahnke bewirtschaftet. So kennen wir es von Herrn Lehmanns Berichten. Wo war eigentlich die Wohnung von Großtante Amalie? Wir gingen hinaus zum Seitenflügel des Gesindehauses oder das, was er mal war. Eine kleine Tür, eine winzige Wohnung mit Ofenheizung bzw. eine alte marode Zentralheizung. 2 Zimmer, Küche als Durchgang zu den Zimmern und eine kleine Toilette mit Dusche - wow …

Alles nicht größer als zusammen 40 m2. Recht nett eingerichtet und nicht verwohnt, aber muffig. Na klar, war ja seit einem Jahr keiner mehr drin - und dann der lange Winter. Manfred Neumann erklärte uns überschwänglich, wie nett die alte Dame mit ihm und er mit ihr umgegangen ist. Mir kam der Gedanke auf, dass es sich fast um Mutter und Sohn handeln könnte. Er hätte sie auch damals gefunden, als sie gestürzt war und dann in die Klinik gebracht. Er und seine Frau hätten sich ein bisschen um sie gekümmert, weil ja sonst keiner da gewesen sei. Leider ist sie ja nun tot.

Ich erwiderte darauf hin barsch, dass wir von ihr ja kaum etwas gewusst hätten, sonst hätten wir uns schon um Tante Amalie gekümmert. Die Atmosphäre war am brodeln. Wir gingen wieder hinaus in den ehemaligen Garten, der mit alten Obstgehölzen bepflanzt war. Außerdem gab es hier noch ein paar Beetpflanzen und einen kleinen Kräutergarten. Zum Anwesen gehörten weiterhin auch noch 100 Hektar Ackerland und nochmals genau so viel Wiesen und Wald. Und der kleine See - Ende der Bestandsaufnahme.

Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Tante Amalie, dann in so sauberen, aber doch ärmlichen Verhältnissen gelebt hat. Und das auch noch nach der Wende. Als man ihr alles wieder zurückgegeben hatte, was man ihr nach dem Krieg weggenommen hatte. Ein Rätsel, welches ich nicht lösen konnte … noch nicht.

Wir lassen uns von Herrn Neumann seine Adresse im Dorf geben und verabreden uns mit ihm für morgigen Vormittag. Er will uns Kopien vom Vertrag und von den Einzahlungen geben. Er zeigt sich recht kooperativ und fragt, ob er denn nun weiter machen könne mit seiner Pilzzucht. Ich sagte ihm, dass er bis auf weiteres weiter fortfahren kann. Wir, also genau genommen Oma Renate, hatten ja auch offiziell das Erbe nicht angetreten. Das musste er ja nicht unbedingt wissen. Ich werde jedoch das Gefühl nicht los, dass da was nicht stimmt.

Wir sagen jedoch weiter nichts dazu. Allerdings ließ ich mir auch die Telefonnummer vom Stift geben, in dem Tante Amalie vor 3 Monaten gestorben war. Wir steigen ins Auto und fuhren Herrn Meineke zurück in sein Amt. Da es schon spät ist, fahren wir zurück ins Hotel. Für morgen haben wir noch weitere Termine.

Mit dem Berlin-Rundgang wird es wohl nichts werden. Der Flieger nach München würde um 17.50 Uhr abheben. Wir treffen vormittags nochmals Herrn Neumann und Herrn Meineke, der uns Bauer Pahnke vorstellen will. Dann haben wir ein Treffen mit Schwester Hilde vom Stift, die uns die letzten Habseligkeiten von Tante Amalie zeigen will. Sie sagt am Telefon, dass da viele Unterlagen sind, mit denen sie nichts anzufangen weiß. Tröstlich, noch jemand der etwas nicht weiß. Aber ich werde langsam hellhörig.

4

Oma Renate und ich kommen im Hotel an. Und machen uns frisch und essen etwas Ordentliches zu Abend. Dieses Mal ist das Essen gut, bodenständig und nicht mit so viel Schnick-Schnack. Ein Essen, wie ich es mag. Das versöhnt mich wieder mit dem Hotel-Management. Der Koch ist Spitze, also frage ich nach ihm. Ein junger Mann kommt angelaufen und fragt bestürzt, ob was nicht in Ordnung war, wo er sich doch so viel Mühe gegeben hätte. Oma beruhigt ihn und sagt: »Junger Mann, freuen Sie sich denn nicht, wenn Sie direkten Kontakt mit Ihrer Kundschaft haben? Wir möchten mit Ihnen sprechen, weil uns ihr Essen so ausgezeichnet geschmeckt hat. Die Forelle war fabelhaft und dazu das junge Gartengemüse ein Gedicht.«

Wir sahen, wie die hektische Röte aus seinem Gesicht wich, er sich ein bisschen linkisch den Schweiß von der Stirn wischte und antwortete, »Nein, äh, doch, schon, vielen Dank auch. Es ist nur so selten, dass sich ein Gast direkt bei mir bedankt. Und so lange koche ich ja auch noch nicht. Vielen Dank für die freundlichen Worte«. Und schon wollte er wieder verschwinden. Da kennt er aber Oma Renate nicht, die sofort seinen Namen wissen wollte, wie er das Gemüse zubereitet hätte und wie alt er denn überhaupt sei.

»Ich heiße René, René Zellweger und bin 23 Jahre alt« Er gab dann Oma Renate noch ein paar Geheiminformationen die Zubereitung des Gemüses betreffend, was mir eigentlich ziemlich egal war. Mir war wichtig, dass es geschmeckt hatte. Es war noch ein schöner Maiabend und Oma und ich saßen noch einen Moment auf der Terrasse des Hotels. Wir rekapitulierten den heutigen Tag und stellten fest, dass wir immer noch keine Entscheidung wegen der Erbschaft treffen konnten. Noch zu viele Ungewissheiten und Ungereimtheiten. Wir machten einige Festlegungen, u.a. dass wir einen Gutachter für die Bausubstanz benötigten und eine verlässliche Quelle, die uns etwas zu Fördermitteln etc. sagen könnte. Ich meinte zu Oma Renate auch, dass ja die Sanierungen nicht übers Knie gebrochen werden müssten, sondern auch so peu à peu durchgeführt werden könnten. Die anderen Erbschaftsteile, dabei spielte ich auf das Aktienpaket, den Schmuck und die Münzen an, seien doch sehr interessant. Und man müsste auch sehen, was die Pacht und die Vermietung tastsächlich einbringen könnten. Die Erbschaftssteuer wäre natürlich noch eine Hürde, die zu nehmen war. Herr Höfli war da sicherlich zu jeder Schandtat bereit.

Wir gingen zu Bett. Ein anstrengender Tag lag hinter uns, Oma Renate war es anzusehen, dass sie müde war. Ich sprach noch mit Daddy am Telefon, der ja in Wien einen wichtigen Termin hatte. Dort war alles okay. Wir machen weiter, wie mit Oma abgesprochen. Die offenen Fragen würden wir zusammenfassen und mit ihm dann zu Hause am Freitag besprechen. Ich sollte ihn vom Flughafen in Friedrichshafen abholen. Die Maschine der »Tyrolean« würde um 17.00 Uhr landen.

Der Morgen begann gut. Schönes Wetter. Wir brachen gleich nach dem Frühstück auf und verstauten unser Gepäck im Auto. Nach knapp 20 Minuten waren wir bei Herrn Neumann angekommen.

Pünktlich um 9.00 Uhr.

Wir stiegen aus und klingelten und eine hübsche, dunkelhaarige Frau Mitte 30 öffnete uns die Tür. Es war die Frau von Herrn Neumann. Er übergab uns eine Kopie des Pacht- und Mietvertrages für den Gutskeller. Er schien mit dem Original authentisch.

Auch die Überweisungen auf das Konto von Tante Amalie waren okay. Nun wussten wir wenigsten, wo das Geld hinfloss. Herr Neumann zeigte uns sein neues Häuschen und war richtig stolz darauf. Frau Neumann sprach sehr liebevoll von Tante Amalie. Es schien wirklich, als ob sich die Neumanns sich ein bisschen um sie gekümmert hätten.

Um 10 waren wir wieder im Amt bei Herrn Meineke. Er trug heute die mittelblonden Locken, amerikanisch würde man sagen »slick back«, also mit viel Gel glatt nach hinten gebändigt, was ihn ein bisschen gockelig erscheinen ließ, was er eigentlich gar nicht nötig hatte. Da erinnerte ich mich, dass eigentlich Herr Neumann »Gockel« genannt wurde. Na ja, egal, da habe ich wohl was missverstanden oder verwechselt. In seinem Büro saß Bauer Pahnke und hatte einen Stapel Akten in der Hand. Der Pachtvertrag für die Äcker und Wiesen mit Tante Amalie.

Ralf Meineke ließ davon Kopien anfertigen, so dass wir etwas in den Händen hatten. Auch von den letzten Raten waren Kopien dabei. Nicht schlecht. 2.000 DM pro Monat, also jetzt gute 1.000 Euro. Zusammen mit der Pacht von den Pilzen kam Tante Amalie schon mal locker auf 1.100 Euro Rentenaufbesserung. Pahnke informierte uns auch, dass der Wald nicht von ihm, sondern durch das brandenburgische Forstamt mit verwaltet werde und nach seiner Kenntnis auch eine Pacht für die Nutzung des Holzschlages gezahlt werde. Die Forellenzucht sei davon aber außen vor.

»Forellenzucht?« - etwas ganz neues für uns.

»Ja. Forellenzucht im Wildbach im Wald. Das macht die Forstverwaltung gemeinsam mit Löcknitzforelle oder so.«

»Einem Betrieb hier aus der Gegend?«, denke ich laut.

»Mit wem denn sonst?«, erklärte er besserwisserisch. »Die Forstverwaltung ist in der Kreisstadt, das schaffen sie heute nicht mehr«, bemerkt Meineke. »Ich werde die Leute informieren, dass es sie gibt. Hier ist die Telefonnummer und die Adresse.«

Er schreibt schnell Namen, Adresse und Telefonnummer auf einen kleinen Zettel, den ich einstecke.

Dieser Hund! Er wusste es schon die ganze Zeit und hat nichts gesagt. Wieso? Ich bedankte mich sehr förmlich. Wir verabschieden uns und erklären, dass wir uns in den nächsten Tagen melden und sagen werden, wie es weiter gehen wird. Meineke ist übereifrig und stellt seine Dienste zur Verfügung. Ich denke, dass er gemerkt hat, dass ich stutzig geworden bin. Wieso auch nicht. Irgendwas ist faul an der Sache, aber was? Das ist die große Frage hier.

Eigentlich ein netter Kerl, wieso hat er gestern nichts von den Forellen erwähnt? Das mit dem Wald und der Verwaltung der Frostwirtschaft wusste er wohl wirklich nicht. Aber die Forellenzucht hätte er doch kennen müssen. Und die angeklatschten Haare? Na, jeder macht sich selbst lächerlich, so gut er kann.

5

Schwester Hilde, Ordensschwester um die 60, erwartet uns im Stift. Sie ist gut vorbereitet und legt uns alle Unterlagen und ein paar Schmuckstücke sowie andere persönliche Sachen von Tante Amalie vor. Während ich die Akten sichte, schaut Oma sich die anderen Sachen an. Sie prüft mit Kennerblick die Preziosen.

»Alles echt«, entfährt es ihr mit Erstaunen.

Es sind 2 schlichte Ringe, wohl Eheringe, ein Ring mit einer Perle und Steinen und ein Ring mit Brillanten, zwei Broschen mit Steinen und drei mehr oder weniger schwere, längere Goldgliederketten nebst Anhänger. Oma schätzt den Wert auf gut und gerne 10.000 Euro. Was ich finde, ist noch viel besser. Es ist das Kontoheft von Tante Amalie mit allen Bewegungen der letzten 6 Jahre. Auf dem Bankkonto befinden sich ca. 60.000 Euro. Auf einem Girokonto!

Ich fasse es nicht.

Ich sehe, dass die Forstwirtschaft keine Zahlungen getätigt hat. Merkwürdig. Alle Bewegungen sind per Kontoauszüge lückenlos

erfasst. Einnahmen und Ausgaben wie Strom, Zeitungsabo etc. und eine kleine Rente von 550 Euro. Dazu kommen noch die 1.100 Euro Nebeneinkünfte aus der Pacht. Mit 1.650 Euro lässt es sich doch schon ganz gut leben. Tante Amalie muss ein sehr sparsamer Mensch gewesen sein, wenn sie noch davon sparen konnte. Wo aber sind die Einkünfte von den Forellen und vom Wald. Wir dürfen die drei Ordner und die Sachen aus dem Karton mitnehmen, darunter ist auch ein altes Fotoalbum, gegen Quittung versteht sich.

Schwester Hilde ist sichtlich zufrieden, dass die Sachen bei Ihr nicht mehr herum liegen. »Der Schmuck hat mir unseren kleinen Safe blockiert«, meinte sie. »Unerhört«, denke ich bei mir und lächel.

Wir bedanken uns und schaffen es gerade noch, bei den Forellen vorbei zu fahren, nachdem uns Schwester Hilde den Weg beschrieben hat. Es ist nicht weit. Ein lauschiges Plätzchen mitten im Wald. Es sieht aus, wie eine kleine Försterei. Nettes Haus mit Stall und Gewerberäumen dabei im alten Backsteinstil. Beim Losfahren sehe ich Ralf Meineke hinten im Hof. Was macht der denn hier? Es ist leider keine Zeit, um auf uns aufmerksam zu machen. Wir sind ehe spät dran und der Flieger wird nicht extra auf uns beide warten. Das kann man ja nun wirklich nicht verlangen.

Wir haben von allem Fotos gemacht - vom alten Gut, vom Ort Rupersdorf und von der Forellenzucht. Ralf Meineke hat Oma Renate und mich auf der Freitreppe vom Gut fotografiert. Ich soll ihm einen Abzug schicken, auch von den Fotos von ihm mit Oma, das ist klar - aber wieso von dem Bild, was er von mir allein gemacht hat? So ein Quatsch!

Von Manfred Neumann habe ich nur ein Foto gemacht, auch mehr aus Zufall, wie er in den Stall vorgeht. Mir wird immer klarer, dass da vielleicht mehr sein muss, als Nachbarschaftshilfe zu Tante Amalie. Oder?

Die Ordner bekomme ich gerade noch in meinen ohnehin viel zu großen Pilotenkoffer unter. Oma verwahrt den Schmuck nebst Fotoalbum in ihrer großen Handtasche. Handtasche ist eigentlich untertrieben. Aber hierfür ist sie geradezu ideal. Wir schaffen es pünktlich am Flughafen in Tegel zu sein. Wir geben das Auto ab und checken ein. Unser Flug hat natürlich wieder mal Verspätung, wie kann es auch anders sein.

Dafür werden wir mit tollen Plätzen entschädigt, wegen der Überbuchung werden Oma Renate und ich in der Businessclass untergebracht. Ein netter Abschluss der Reise. Durch den verspäteten Abflug in Berlin ist natürlich auch die Landung in München weiter verspätet. Wir drehen einige Runden über das Erdinger Moos und kommen irgendwann herunter.

Wir holen unser Auto aus dem Parkhaus. Wie erwartet zahle ich ein kleines Vermögen für 2 Tage parken und denke irgendwie daran, dass ich wohl den falschen Beruf gewählt habe. Parkplatzbetreiber am Flughafen, dann hätte man ausgesorgt.

Wir kommen gegen 22 Uhr zu Hause an. Ich rufe Mutti vom Flughafen in München aus per Handy an, dass es später werden würde. Sie ist dafür sehr dankbar. Wir informierten sie auch in groben Zügen über die Ereignisse in Rupersdorf.

Mit Daddy in Wien telefonierte ich auch vom Wagen aus, auf dem Weg nach Hause – nein nicht was sie denken - ich habe eine Freisprechanlage im Wagen. Also, alles in Ordnung. Oma Renate unterbrach mich natürlich immer, indem sie mir immer ins Wort fiel und alles besser wissen wollte. Zum Glück kennt Daddy ja seine Mutter und bat sie um Ruhe. Wir besprachen das Wichtigste und dass ich ihn morgen in Friedrichshafen vom Flughafen abholen würde. Ich bekam ebenfalls noch einige Instruktionen für den morgigen Tag. Daddy dachte an alles und hatte für Freitag in der Residenz in Kempten bei der Referentin des Allgäuer Landeskonservatoren Frau Niederegger für mich schon einen Termin vereinbart, um mich wegen der Fördermittel schlau machen zu können. Außerdem sollte ich Kontakt mit einem seiner Kollegen in Berlin aufnehmen, Christoph Braun. Der könne ja mal ein bisschen schnüffeln, was da so in der Vergangenheit gelaufen ist in Rupersdorf. Mit der Bank von Tante Amalie sollte ich auch noch einen ersten Kontakt machen, um denen mitzuteilen, dass sich in der Erbschaftssache Amalie Jacobeit etwas tun würde, denn für einen Besuch bei der Bank, hatten wir leider keine Zeit mehr.

Nach einer kleinen Verschnaufpause und nachdem ich Oma nach Hause gefahren hatte, setzte ich mich noch schnell an den Computer und machte die Fotos fertig, damit ich Mutti noch schnell alles zeigen konnte. Dank Digitalkameras und Computer ist das heute alles kein großes Problem mehr. Man muss es nur können. Weil mein Bruder Marcus ja so ein Computerfreak ist, ist aber eben alles an Hard- und Software vorhanden. Nach gewissen Anfangsängsten kann ich aber auch so einigermaßen damit umgehen. Marcus hätte alles viel schneller und besser gekonnt.

Nach dem Anschauen der Fotos fällt Mutti auf Anhieb eine Ähnlichkeit von Ralph Meineke mit Robert auf.

6

Das Gespräch mit Frau Niederegger, der Referentin des Landeskonservators Allgäu war sehr hilfreich. Ich hatte alle Informationen innerhalb einer guten Stunde zusammen.

Ich erklärte ihr, dass einer unserer Klienten, was ja auch stimmte, eine Erbschaft in den neuen Bundesländern machen würde und was da so alles zu beachten wäre, wenn ein altes, wohl unter Denkmalsschutz stehendes Gemäuer geerbt werden solle und was es für Förderungen geben würde?

Frau Niederegger erklärte, dass bundesweit eigentlich so ziemlich die gleichen Gesetze gelten würden, aber sie wüsste, dass das Land Brandenburg noch über zusätzliche Mittel aus einer Stiftung »Preußischer Kulturbesitz« verfügen würde. Davon hatte auch Meineke schon gesprochen. Man müsse die Sache langsam, aber gründlich angehen. Sie sagte ihre Hilfe zu, soweit sie es könnte, aber die Sache ist ja in Brandenburg und nicht in Bayern. Sehr nett.

Sie wüsste auch von Verwandten in den neuen Bundesländern, dass es für Existenzgründer besondere Programme gibt, die von den Hausbanken und der Bank für Wiederaufbau betreute werden. Die Bank für Wiederaufbau verwaltet Gelder, die derzeit vom Marshallplan zum Aufbau des ganzen Nachkriegsdeutschlands von den Alliierten zur Verfügung gestellt wurden. Der Anteil für die »Ostzone« wurde bislang nicht abgerufen. So wurde er gepflegt und gemehrt und nach der Wiedervereinigung für spezielle Aufgaben in den NBL bereitgehalten. Aha!

Alles in allem, würde es Fördermittel zur Instandsetzung und Rekonstruktion von alten Gemäuern geben, so sie unter Denkmalschutz stünden, aber auch sonst. Wie viel, hängt natürlich von den Arbeitsumfängen überhaupt ab. Und die Mittel sind begrenzt. Man müsste also darum kämpfen. Das mit den Existenzgründern wäre noch zu prüfen.

Das Telefonat mit Christoph Braun war ebenfalls ganz brauchbar. Er ist wie Daddy Anwalt, aber in Berlin und auch für die neuen Bundesländer zugelassen, was eine Besonderheit für die 5 neuen Bundesländer ist. Im Normalfall kann man nur ein einem Bundesland Prozessvollmacht bekommen.

Nachdem ich in groben Zügen die Sachlage schilderte und Christoph Braun einige Detailfragen stellte, die ich auch gut beantworten konnte, sagte er uns Unterstützung, natürlich gegen Bezahlung, zu.

Er wollte auf den Ämtern und im Melderegister Nachforschungen anstellen, was in der Vergangenheit und auch eventuell vor den Wende in Rupersdorf los war in Bezug auf Tante Amalie. Ich versicherte ihm, dass ich ihm ein paar Fotos per E-Mail schicken würde, damit er weiß, worum es ginge.

Das Telefonat mit Tante Amalies Bank verlief etwas zäh. Die Mitarbeiterin dort konnte erst nicht viel mit dem Namen Amalie Jacobeit Erben anfangen, meinte aber auch, dass sie neu wäre und verband mich mit der Filialleiterin. Was ich ja ohnehin von Anfang an vorhatte.

Frau Mayer kondolierte im Namen der Bank und mir gegenüber als Vertreter der Erben. Sie machte darauf aufmerksam, dass sie per Telefon sowieso nicht viel sagen dürfe. Mir reichte, dass sie bestätigte, dass es ein Konto von Tante Amalie mit der von mir genannten Nummer gibt. Außerdem machte sie mich noch aufmerksam, dass es noch ein kleines Schließfach bei ihr in der Bank geben würde. Wir vereinbarten, dass wir uns beim nächsten Besuch in Rupersdorf treffen würden. Frau Mayer würde vorerst das Bankkonto sperren und bestätigte mir auch indirekt die Höhe der Einzahlung. Das Schließfach würde sie versiegeln und erst öffnen, wenn ich sie besuchen würde, damit kein Unberechtigter sich in der Zwischenzeit des Inhaltes bemächtigen könnte.

Ich fuhr rasch nach Hause um mich umzuziehen, denn ich wollte Daddy nicht im Businessanzug abholen. Es war Freitagnachmittag. Das Wochenende stand vor der Tür und es war herrlichstes Frühlingswetter - postkartenreif. Ich wollte »oben ohne«, also Cabrio-offen fahren. Das Winter-Hardtop war schon gewechselt und auf der Heimfahrt könnte ich ja, Daddys Ohren wegen, das Verdeck hoch machen. Gesagt getan.

Oma Renate war gerade bei uns eingetroffen. Sie wedelte aufgeregt mit dem alten Fotoalbum von Tante Amalie hin und her. In der anderen Hand hatte sie noch irgendetwas Kleines – einen Safe-Schlüssel oder so. Aha!

Wir gingen gemeinsam ins Haus. Mutti begrüßt uns. Oma hatte einige Seiten im Album mit Fähnchen markiert. Die Rückseite des Einbandes des Albums war eingerissen. Sie hielt mir fragend den Safe-Schlüssel unter die Nase. »Der Safe-Schlüssel gehört bestimmt zu dem Schließfach in der Bank«, erklärte ich. Oma war erstaunt. Das hätte sie bei all den Sachen nun doch nicht mehr erwartet, dass da noch ein Schließfach sein sollte.

Die Bilder, die Oma uns zeigte, waren auch informativ: Tante Amalie in Pommern oder in Ostpreußen vor den alten Herren Haus, datiert 1922. Tante Amalie mit Onkel Gustav, ihrem Mann, Hochzeitsbild 1923. Onkel Gustav ist im Krieg geblieben, so ein handschriftlicher Vermerk von 1943. Daneben ein kleines Bild von einer jungen Frau »Gerda 1940«. Opa Peter als junger Mann mit Tante Amalie und Gerda, datiert 1940. Das Gut in Rupersdorf kurz nach dem Krieg 1945. Tante Amalie auf der Treppe. Tante Amalie 1948 mit einem Kind, ca. 5 oder 6 Jahre alt, vor dem Gut. Und schließlich Tante Amalie 1970 mit einer jungen Frau und einem Säugling auf dem Arm. Darunter wurde handschriftlich »Eva mit Ralf 1970 in Wismar« notiert. In dem aufgerissenen Einband steckt ein Brief, nein zwei. Einer ist von Opa Peter an Tante Amalie, datiert Februar 1942. Der Inhalt war sehr persönlich. Nur so viel, dass er kondolierte. Gerda war die Nichte von Tante Amalie. Opa hatte wohl eine »Verbindung« mit ihr angestrebt. Leider verstarb sie in dem strengen Winter 1942.

Daher hatte Opa, Jahrgang 1920, nie viel von Amalie oder von Gerda gesprochen. Ihm tat das Herz wohl immer noch weh, wenn er sich daran erinnerte. Gerda muss seine erste große Liebe gewesen sein, vermute ich. Oma Renate hatte er nach dem Krieg 1947 im Allgäu dann kennen gelernt und sie 1948 geheiratet. 1951 kam dann mein Vater Wolfgang zur Welt. Zwei Jahre später Onkel Rainer, der bei einem Flugzeugunglück vor 12 Jahren zusammen mit seiner Frau Ulrike umgekommen war.

1957 wurde dann Tante Edeltraut geboren. Sie lebt am Bodensee und hat einen Friseursalon, der sehr gut geht, gemeinsam mit ihrem Mann, Onkel Jürgen. Beide haben einen Sohn, Robert, der jetzt Anfang 20 und ebenfalls Friseur ist. Er kümmert sich von Zeit zu Zeit um meine Mähne. Robert ist passionierter Friseur.

Nein - er ist Visagist. Vielleicht ein bisschen schwul, aber wen kümmert es?

Wenn ich mich bei Robert anmelde, dann wird das immer ein richtiger »Männer-Schönheitstag« mit Haare waschen, Kopfmassage, Haarschnitt, Rasur und Gesichtspackung. Alles Topp. Maximal entspannend. Wir klönen dabei immer und die Zeit vergeht wie im Flug. Ich merke dann gar nicht, wie spät es ist. Ein bisschen Pflege für den Mann ist ja okay heutzutage. Der Preis ist unter Verwandten sehr moderat. Dafür bringe ich Robert aber auch immer irgendwas mit.

Er ist auch verantwortlich dafür, dass ich meine Haare länger trage. Er schnitt immer weniger ab, bis sie eben so lang waren, dass ich mein okay gab. Lang.

Onkel Rainer sollte auch das Sägewerk und die Großtischlerei von Opa Peter übernehmen. Daddy hatte nie was mit Holz oder ähnlichen Handwerklichkeiten am Hut. So wurde er Anwalt und das sehr erfolgreich.