Eroberer - Die Rache - Timothy Zahn - E-Book

Eroberer - Die Rache E-Book

Timothy Zahn

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Beschreibung

Friede mit den Eroberern? Ausgeschlossen!

Im 23. Jahrhundert kommt eine lange Ära des Friedens in der Galaxis abrupt zu einem Ende, als die Raumschiffe der Zhirrzh eine Flotte des Commonwealth – des Bundes zwischen Menschen und humanoiden Aliens – angreifen. Der Konflikt eskaliert, beide Seiten erheben massive Vorwürfe und Anschuldigungen gegen die andere, und ein Friedensvertrag ist nicht in Sicht. Menschen und Zhirrzh stehen kurz davor, sich gegenseitig zu vernichten. Das Commonwealth bittet Lord Steward Cavanagh, wieder in den aktiven Dienst zurückzukehren. Er soll die Friedensverhandlungen leiten. Uneinigkeiten zwischen den Führungsclans der Eroberer erschweren die Gespräche zusätzlich. Zeitgleich entdeckt eine kleine, aber hochspezialisierte Elitetruppe, dass der Grund für den Konflikt möglicherweise ein großes Missverständnis ist …

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Seitenzahl: 844

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Das Buch

Im 23. Jahrhundert kommt eine lange Ära des Friedens in der Galaxis abrupt zu einem Ende, als die Raumschiffe der Zhirrzh eine Flotte des Commonwealth – des Bundes zwischen Menschen und humanoiden Aliens – angreifen. Der Konflikt eskaliert, beide Seiten erheben massive Vorwürfe und Anschuldigungen gegen die andere, und ein Friedensvertrag ist nicht in Sicht. Menschen und Zhirrzh stehen kurz davor, sich gegenseitig zu vernichten. Das Commonwealth bittet Lord Steward Cavanagh, wieder in den aktiven Dienst zurückzukehren. Er soll die Friedensverhandlungen leiten. Uneinigkeiten zwischen den Führungsclans der Eroberer erschweren die Gespräche zusätzlich. Zeitgleich entdeckt eine kleine, aber hochspezialisierte Elitetruppe, dass der Grund für den Konflikt möglicherweise ein großes Missverständnis ist …

Der Autor

Timothy Zahn wurde 1951 in Chicago geboren, lebt in Oregon und ist heute einer der beliebtesten Science-Fiction-Autoren der USA. Sein bekanntestes Werk ist die Thrawn-Trilogie, die mehrere Jahre nach dem Ende von Die Rückkehr der Jedi-Ritter spielt und die Geschichte des Star-Wars™-Universums in eine neue Zeit vorantreibt (Expanded Universe). Diesen Büchern folgte eine Reihe weiterer Star-Wars™-Romane. Für seine Novelle Cascade Point wurde Zahn mit dem renommierten »Hugo Award« ausgezeichnet.

Eine Übersicht der im Heyne-Verlag lieferbaren Romane von Timothy Zahn finden Sie am Ende dieses E-Books.

Mehr über Timothy Zahn und seine Romane auf:

diezukunft.de

TIMOTHY ZAHN

EROBERER

Die Rache

Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

CONQUEROR’S LEGACY

Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Überarbeitete Neuausgabe 05/2017

Redaktion: Werner Bauer

Copyright © 1996 by Timothy Zahn

Copyright © 2017 dieser Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-21248-3V001

www.diezukunft.de

1

Der Himmel direkt voraus erstrahlte in einem wolkenlosen Blau. Und zu allen Seiten, bis hin zur fernen Krümmung des Horizonts, verschmolzen die Braun- und Grau- und pastellzarten Grüntöne der Landschaft des Planeten wie in einem surrealistischen Bildnis mit dem Blau des Himmels. Hinten – gewissermaßen schräg oben – hing die Sonne des Planeten wie eine fahle blutorangefarbene Kugel.

Und direkt darunter befand sich das feindliche Territorium.

»Samurai, ich registriere eine Reaktions-Aktivität«, ertönte die Stimme des Kampfbeobachters der Corvine in Commander Rafe Taokas Ohr. »Vierunddreißig Kilometer achtern. Ich weiß noch nicht, um welche Art von Geräten es sich handelt, aber ich habe fünf Einheiten aufgefasst.«

»Bestätigung«, meldete Juggler, Taokas Kampfbeobachter. »Ich bestätige ebenfalls Talismans Zählung.«

»Verstanden«, sagte Taoka und rief mit einer Bewegung des linken Augenlids die taktische/Sensoren-Ansicht für den Bereich hinter seinem Catbird-Jäger auf. Die Abbildung wurde in die grafisch verstärkte Abbildung des Terrains in Flugrichtung eingeblendet, das unter ihm vorbeiraste; und er nahm sich einen Moment Zeit für die Untersuchung der blinkenden Kreise, die Juggler markiert hatte. Es waren zwar noch keine Fluggeräte zu sehen, aber die Falschfarbendarstellung zeigte definitiv thermische und Turbulenz-Signaturen. »Gusto, geh noch einen halben Kilometer höher – ich möchte, dass Talisman ein Auge auf die Signaturen da unten hat. Juggler, Argus: Ihr beiden bleibt am vorderen Abtastkegel dran.«

»Verstanden«, sagte Gusto von der Corvine; seine Stimme klang etwas belegt. »Sollten wir aber nicht nach X fliegen?«

»Strategische Order Drei, Gusto«, sagte Crossfire aus dem anderen Catbird, das ein Dutzend Meter neben Taokas Flügelspitze herflog. »Wir werden erst nach X fliegen, wenn die unbekannten Flugobjekte identifiziert wurden.«

»Das ist keine Übung, Crossfire«, sagte Gusto in einem Ton, als ob er eine Rüge aussprechen wollte. »Das ist ein echter Einsatz.«

»Ja, wissen wir«, sagte Crossfire geduldig. »Immer mit der Ruhe. Wir kriegen das schon hin.«

»Jawohl, Sir«, murmelte Gusto. »Immer mit der Ruhe.«

»Glücklich klingt er aber nicht gerade, oder?«, meinte Juggler vom Sitz des Kampfbeobachters hinter Taoka.

»Ich kann’s ihm auch nicht verdenken«, erwiderte Taoka knurrend. Das war nämlich eine völlig sinnlose Vorschrift, diese Strategische Order Drei, und jedermann – von der Friedenstruppen-Triade abwärts – wusste das auch. Level X, die vollständige MindLink-Integration zwischen dem Piloten, dem Kampfbeobachter und dem Raumjäger selbst war das Basiskonzept der Copperheads. Die Level A-Verknüpfung, mit der sie im Moment arbeiten, war im Grunde kaum besser als die standardmäßigen Head-up-Displays, mit denen die Poppers ausgerüstet wurden, die Axeheads oder Dragonflies flogen.

Allerdings war die Strategische Order Drei auch nicht von Militärs erlassen worden. Es handelte sich vielmehr um eine politische Maßnahme, zu der die Copperheads vor ein paar Jahren vom NorCoord-Parlament vergattert worden waren – eine Art Kurzschlussreaktion wegen der dramatisierten Meldungen über den Burnout der Copperheads. Eine Meldung, die vom damaligen ehrgeizigen Parlimin Lord Stewart Cavanagh lanciert und aufgebauscht worden war.

Von Politikern erwartete man schließlich nichts anderes als hirnrissigen und kurzsichtigen Aktionismus. Was Taoka dann aber als einen Schlag ins Kontor empfunden hatte, war der Umstand, dass Cavanaghs Kreuzzug von einem ehemaligen Copperhead unterstützt und befürwortet wurde. Und noch schlimmer, von einem Copperhead, der einmal fast eine Legende gewesen war. Adam Quinn: Maestro.

Oder, wie Taoka ihn heute einschätzte: Adam Quinn, der Verräter.

Es war eine schmerzliche Zeit der Demütigung gewesen, und Taoka hatte sich geschworen, diesen Schmerz niemals zu vergessen. Doch vielleicht war ihnen nun späte Gerechtigkeit widerfahren. Laut letzter Nachricht des Schnellboots, die die Einsatzgruppe Trafalgar vor dem Abflug aus dem Raumsektor des Commonwealth noch erreicht hatte, war Quinn verhaftet und des Diebstahls von Eigentum der Friedenstruppen angeklagt worden. Und mit etwas Glück würde Lord Cavanagh vielleicht auch noch dafür zur Verantwortung gezogen werden; Taoka hatte nämlich gehört, dass Quinn damals für Cavanagh gearbeitet hatte. Wenn die beiden dann für die nächsten zwanzig Jahre in Tiefkühl-Haft kämen, würde ihn das wieder mit seinem Schicksal versöhnen.

Unter den drei Raumjägern schoss eine Gruppe von Gebäuden der Eroberer vorbei. Sie hatten die gleiche Architektur aus verbundenen Sechsecken, wie sie auch für die Kriegsschiffe der Aliens charakteristisch war. Er erhaschte einen Blick auf einen Hof zwischen zwei der Gebäude – die Wärmesignatur eines einzelnen Eroberers, der dort draußen im Freien stand und ohne Zweifel mit einer Hightech-Optik-Brille zu ihnen heraufschaute –, und dann befanden sie sich auch schon über einem großen Landefeld, an dessen einem Ende mehrere kleine Luft- oder Raumfahrzeuge abgestellt waren.

»Ich habe ein paar Wärmesignaturen«, meldete Juggler hinter ihm. »Ein paar dieser Fluggeräte da unten fahren bereits die Triebwerke hoch.«

»Sieht ganz so aus, als ob unsere Ankunft sich schon herumgesprochen hätte«, merkte Gusto an.

»Ihre Kommunikation scheint jedenfalls zu funktionieren«, sagte Taoka und rief die Abbildung der Fluggeräte auf, die sie gerade überflogen hatten. »Wir können von Glück sagen, dass sie den Alarmstart noch ein bisschen üben müssen.«

»So ganz ungeübt sind sie aber doch nicht«, sagte Crossfire. »Argus meldet zwei sich nähernde Gruppen: zwanzig und vierundzwanzig Grad, Entfernung zweihundert Kilometer. Abfangvektoren.«

Taoka lächelte grimmig. Nun hatten sie endlich direkten Feindkontakt. »In Ordnung, Gruppe Samurai. Ihr habt es so gewollt: alle Copperheads auf X.«

»Funkspruch von der Gruppe Samurai, Commodore«, rief der Kommandeur der Raumjäger durch die Brücke der Trafalgar. »Sie haben Kontakt mit unbekannten Flugobjekten. Samurai hat ihnen befohlen, auf Level X zu gehen.«

»Verstanden, Schweighofer.« Commodore Lord Alexander Montgomery ließ vielleicht zum hundertsten Mal seit dem Start der Sonden-Teams den Blick über die Anzeigen der Fernaufklärung schweifen. Das Friedenstruppen-Kommando hatte ihm zwar versichert, dass ihr plötzliches Auftauchen den Feind wahrscheinlich überraschen würde, aber die Sesselpupser des Friedenstruppen-Kommandos mussten hier schließlich nicht ihren Hals riskieren. Er trug das Risiko, und er hatte auch nicht die Absicht, die Sonden-Teams oder seine Einsatzgruppe an die Zhirrzh zu verlieren. Bestimmt nicht so, wie Trev Dyami die Jütland verloren hatte. »Smith, haben wir noch Sichtkontakt mit den Aufklärern?«, rief er quer durch die Brücke.

»Jawohl, Sir«, rief der Koordinierungsoffizier der Einsatzgruppe zurück. »Sowohl optisch als auch per Laserverbindung. Noch immer keine Reaktion des Feinds.«

»Die wird aber nicht mehr lange auf sich warten lassen«, murmelte Captain Thomas Germaine auf dem Sitz des Stabschefs der Flotte neben Montgomery. »Sie müssen doch irgendetwas in diesem System haben, womit sie einen Kampf führen können. Die Frage ist nur, wo sie es gebunkert haben.«

»Das sehe ich auch so.« Montgomery strich sich nachdenklich mit dem Zeigefinger über die tiefe Kerbe im Kinn. Die Aufklärer lieferten deutliche visuelle Darstellungen beider Monde und des ganzen Weltraumschutts im weiteren Umkreis. Es sei denn, der Feind hatte noch etwas unter der Oberfläche versteckt …

»Die Antilope meldet den Start eines feindlichen Schiffs vom Planeten«, rief Smith. »Koordinate Fünfzig-Fünf-Delta.«

Germaine hatte das Hauptdisplay bereits für die Übertragung der Daten von der Antilope eingerichtet. Das Zhirrzh-Schiff, das zu ihnen aufstieg, war nicht allzu groß; vielleicht halb so groß wie die Schiffe, mit denen die Jütland ein paar Lichtjahre vor Dorcas aneinandergeraten war.

Wenn man aber bedachte, mit welcher Leichtigkeit diese vier fremden Raumschiffe die aus acht Schiffen bestehende Einsatzgruppe der Jütland vernichtet hatten, war die Präsenz auch nur eines Kriegsschiffs der Zhirrzh etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte.

Und die Antilope, die zweitausend Kilometer entfernt den Planeten in einer Aufklärungsbahn umkreiste, hätte da draußen genauso gut als Zielscheibe dienen können, wenn man bedachte, dass der Rest der Einsatzgruppe sie kaum zu schützen vermochte. »Mendoza, Sie sollten lieber von dort verschwinden«, befahl er dem Kapitän der Antilope. »Gehen Sie in den Hyperraum und warten Sie bei Punkt Victor auf uns.«

Wie um den Befehl zu unterstreichen, sprühte das aufsteigende Ensemble aus Sechsecken plötzlich Laserfeuer und erzeugte kleine Wolken aus dem verdampften Metall der Hülle der Antilope. »Verstanden, Trafalgar«, ertönte Mendozas Stimme. »Soll ich zur rückwärtigen Sicherung eine Schleife fliegen?«

»Negativ«, sagte Montgomery. »Fliegen Sie einfach nur los. An die Schiffe im Sektor Bravo: Verteidigungsstaffel gegen das anfliegende fremde Schiff bilden. Alle Raumjäger sofort zu ihren Schiffen zurückkehren, einschließlich der Sonden-Teams.«

»Die Gruppe Samurai hat bereits Feindberührung, Sir«, erinnerte Schweighofer ihn.

»Sagen Sie Samurai, dass ich sofort gesagt habe.«

»Verstanden.«

Montgomery schaute auf und sah, dass Germaine ihn mit gerunzelter Stirn ansah. »Wir fliegen schon ab?«, fragte der Flottenstabschef. »Wir werden doch wohl noch mit einem einzigen feindlichen Raumschiff fertig werden.«

»Mut ist eine Zierde des Soldaten«, sagte Montgomery leise zu ihm. »Um den Draufgänger zu markieren, sollte man aber lieber in der Galauniform vorm Spiegel posieren. Die Ziele unserer Mission bestanden darin, geografische Daten zu sammeln und die Annahme zu überprüfen, dass die Zhirrzh nicht fähig seien, die Tachyonen-Signaturen anfliegender Sternenschiffe zu registrieren. Wir haben beides erreicht. Es wäre nichts damit gewonnen, wenn wir das Missionsprofil noch um einen Raumkampf ergänzten.«

»Außer einer möglichen Reduzierung der feindlichen Bedrohung«, erwiderte Germaine. »Auch ohne die Antilope haben wir hier eine zahlenmäßige Überlegenheit von fünfzehn zu eins, und dann noch vier Geschwader Adamant- und Copperhead-Jäger. Eine solche Chance …«

»Ein zweites Schiff nähert sich, Commodore«, unterbrach Smith ihn. »Die Cascadia hat es bei der Koordinate Eins-sechzehn Charlie geortet.«

»Verteidigungsstaffel bilden«, befahl Montgomery, als Germaine die Abbildung aufrief. Der Neuankömmling tauchte aus einer Formation niedriger Hügel auf und schien etwas größer als das erste Schiff, obwohl das angesichts der ganz anders konfigurierten Sechsecke schwer zu sagen war. »Wissen Sie schon, woher sie kommen?«

»Sie tauchen anscheinend direkt unter unsrer Nase auf, Sir«, sagte Kyun Wu an der Sensorstation. »Ich habe das einmal überprüft – die Sonden-Teams hatten sie zunächst als Gebäude identifiziert. Sie müssen ein unglaubliches Liftsystem haben, wenn sie in der Lage sind, Objekte von dieser Größe in einer Gravitationsquelle auf und ab zu bewegen.«

Montgomery unterdrückte den Impuls, das Gesicht zu verziehen. Laser, die in der Lage waren, die Metallhüllen der Friedenstruppen-Schiffe aufzuschlitzen, praktisch unzerstörbare Keramikhüllen, eine Methode der Direktkommunikation über interstellare Distanzen, und nun auch noch ein unbekannter, aber offensichtlich hoch effizienter Weltraumaufzug. Allein das hätte schon genug über den Stand ihrer Technologie ausgesagt, um diese Aliens als eine potenzielle Bedrohung für die Menschheit einzustufen.

Und wo diese Technologie nun bei der Invasion des Commonwealth zum Einsatz kam, hatte diese potenzielle Bedrohung sich in einen Rotalarm verwandelt. Womit die Zhirrzh das Prädikat »Eroberer« erworben hatten.

»Commodore, die Antilope ist in den Hyperraum gegangen«, meldete Smith. »Das erste unbekannte Flugobjekt nimmt Kurs auf die Galileo und die Wolverine. Das zweite Ufo greift Cascadia und Nagoya an.«

»Die Nagoya wurde getroffen!«, meldete Kyun Wu knapp. »Eine Laser-Breitseite von Ufo Zwei. Sieht so aus, als ob der gesamte vordere Abschnitt schwer beschädigt wäre.«

»Bestätige das«, sagte Smith. »Schäden an der Kommandozentrale; schwere Schäden an den Sensoren und den vorderen Raketenschächten.«

»Die Cascadia hat Ufo Zwei mit Raketen angegriffen«, sagte Kyun Wu. »Die Raketen haben Treffer erzielt … aber keine offensichtlichen Schäden. Das Ufo greift die Nagoya erneut an.«

»Schäden an der Steuerbordseite der Nagoya«, sagte Smith. »Ich korrigiere mich, schwere Schäden. Die Kommandozentrale wurde zerstört. Prasad hat befohlen, das Schiff zu verlassen. Ufo Eins greift die Wolverine an.«

»Trautmann, nehmen Sie Kurs auf die Cascadia. Wir müssen ihr zu Hilfe kommen«, instruierte Montgomery den Steuermann. »Kyun Wu: Status der Wabenzellen der Nagoya.«

»Noch nichts«, sagte Kyun Wu angespannt. »Das Ufo feuert noch immer auf die Nagoya. Warten Sie einen Moment; ich fange gerade ein Notsignal von einer Rettungskapsel auf …«

Er verstummte plötzlich. »Die Bojen haben den Dienst quittiert, Commodore.«

Germaine fluchte leise. »Zum Teufel mit ihnen.«

Montgomery ballte die linke Hand so fest zur Faust, dass sie schmerzte, und ein plötzlicher Zorn wallte in ihm auf. Sie taten es schon wieder. Brutal, überheblich und vorsätzlich massakrierten die Eroberer die menschlichen Überlebenden ihres Angriffs. Hilflose Überlebende, in schutzlosen und unbewaffneten Rettungskapseln. »Raketen abfeuern«, befahl er. »Volle Salve.«

»Verstanden«, rief der Waffenoffizier. »Raketen sind draußen.«

»Zu spät, Commodore«, sagte Smith leise. »Die Nagoya existiert nicht mehr.«

Für ein halbes Dutzend schmerzhafte Herzschläge saß Montgomery einfach nur da und starrte auf die sich ausdehnende Wolke aus Schutt, die eben noch die Nagoya gewesen war: eine Wolke, in der noch immer Sekundär-Explosionen und feindliches Laserfeuer aufloderten und flackerten. Sein Herz war voll von Dingen, die er den Eroberern hätte entgegenschreien mögen – so übervoll, dass er kaum noch an sich zu halten vermochte. Doch er war ein NorCoord-Offizier und repräsentierte als solcher das Erbe und die Tradition Großbritanniens. Solche Männer verloren nicht die Beherrschung.

»Jäger-Status?«, fragte er stattdessen.

»Die Gruppe Samurai trifft gerade in den Landebuchten ein«, meldete Schweighofer. Seine Stimme war so eisig kalt wie ein Rheinland-Winter auf Nadežda. »Alle anderen Jäger sind bereits zu ihren Schiffen zurückgekehrt. Das heißt, alle, die noch zurückkehren konnten.«

Montgomery ballte erneut die Faust. Aber es wäre später immer noch Zeit, die Gefallenen zu zählen. Im Moment musste er verhindern, dass es noch größere Verluste gab. »Feuern Sie eine letzte Salve auf Ufo Zwei ab«, befahl er dem Waffenoffizier und betätigte seine Steuerkonsole. »Alle Schiffe: Verteidigungsformation bilden und geordnet in den Hyperraum gehen. Treffpunkt bei Punkt Victor.«

Er spürte Germaines Blick auf sich, als die anderen Schiffe die Befehle bestätigten und die Einsatzgruppe den geordneten Rückzug antrat. Doch der Flottenstabschef sagte nichts. Wahrscheinlich deshalb, weil es auch nichts zu sagen gab. Fünfzehn Kriegsschiffe der Friedenstruppen, die vor zwei Schiffen des Feindes flohen und eine ganze Schiffsbesatzung bestehend aus Toten zurück ließen. Und die beiden feindlichen Kriegsschiffe schienen nicht einmal einen Kratzer abbekommen zu haben.

Aber wenigstens hatte er nicht die ganze Einsatzgruppe verloren – so wie Dyami damals die Jütland verloren hatte.

Zumal es auch keine Rolle mehr spielte, wie bösartig und überheblich die Zhirrzh sich hier aufgeführt hatten. Spätestens jetzt musste das NorCoord-Parlament den Einsatz von CIRCE genehmigt haben, der furchtbaren Waffe, durch deren Einsatz vor vier Jahrzehnten der Pawolianische Krieg beendet worden war und die man anschließend aus Sicherheitsgründen demontiert hatte. Es sprach jedoch alles dafür, dass sämtliche Komponenten von CIRCE inzwischen von dem Dutzend oder mehr Welten zusammengesucht worden waren, auf denen man sich versteckt hatte. Irgendwo im Commonwealth – auf der Erde, auf Celadon, vielleicht auch irgendwo in den Tiefen des Raums – verwandelten wahrscheinlich in diesem Moment die besten Waffentechniker von NorCoord diese Komponenten wieder in die wirkungsvollste Tötungsvorrichtung, die die Menschheit jemals erdacht hatte.

Sollte der Feind nur weitermarodieren. Bald würden sie es mit CIRCE zu tun bekommen, und dann würden die Friedenstruppen den Ton angeben.

Und die Zhirrzh würden schon noch merken, wer hier die wahren Eroberer waren.

2

Der Sprecher der beiden Mrachanis begann seinen Bericht. Seine sanfte, leise Stimme und die Ernsthaftigkeit, die darin mitschwang, berührten Kommandant Thrr-mezaz auf eine eigentümliche Art und Weise. »Du musst uns anhören, Kommandant der Zhirrzh«, kam ein paar Takte später die Übersetzung über den Translatoren-Link, der in Thrr-mezaz’ Ohren-Schlitzen steckte. »Wir sind hier auf Dorcas in großer Gefahr. Du musst deine Anführer davon überzeugen, uns zu ihnen zu bringen.«

»Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um euch zu beschützen, Lahettilas«, sagte Thrr-mezaz. Die Übertragung in die Sprache der Mensch-Eroberer drang ein paar Takte später aus dem Lautsprecher auf seiner Schulter; er war per Dunkellichtstrahl mit dem Interpreter verbunden, der in einem Gebäude auf der anderen Seite des Landefelds installiert war. »Ihr müsst wissen, dass die Oberclan-Versammlung und das Krieger-Kommando derzeit sehr beschäftigt sind …«

Lahettilas fiel ihm ins Wort, und die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme geriet plötzlich zu Spott. »Alles in eurer Macht Stehende? Ihr gewährt dem Mensch-Eroberer Unterschlupf, der für einen hinterhältigen Angriff verantwortlich ist, welcher tödlich für uns hätte enden sollen; und da willst du noch behaupten, ihr würdet uns beschützen?«

»Der Mensch-Eroberer Srgent-janovetz steht unter strenger Beobachtung«, sagte der zweite Kommandant Klnn-vavgi neben Thrr-mezaz. »Falls er derjenige ist, der im letzten Vollbogen diesen Angriff mit Explosivmitteln gegen euer Quartier geführt hat, wird er jedenfalls keine Gelegenheit bekommen, ihn zu wiederholen.«

Der zweite Mrachani knurrte etwas. »Das sagst du«, hieß es in der Übersetzung. »Dabei räumst du aber ein, dass du nicht einmal den Hergang des Angriffs kennst. Wie wollt ihr dann überhaupt unsere Sicherheit garantieren?«

»Ich habe nie gesagt, dass eure Sicherheit garantiert sei«, sagte Thrr-mezaz kalt. Diese Aliens hatten etwas an sich, das ihn irgendwie reizte – wobei dieses Gefühl sich zunehmend verstärkte. Und das Letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, war ein Vortrag über seine Pflichten als Kommandant der Bodentruppen der Zhirrzh. »Dorcas ist ein Kriegsgebiet, in das ihr euch freiwillig begeben hat. Also werdet ihr euch auch zusammen mit uns den Gefahren aussetzen müssen.«

Lahettilas hob erneut an zu sprechen, und diesmal griff er den kalten Ton in der Stimme von Thrr-mezaz auf. »Der Unterschied ist nur der, dass ihr Krieger seid, Kommandant der Zhirrzh. Wir sind jedoch Botschafter. Zumal es nicht unsere Entscheidung war, uns in euer Kriegsgebiet zu begeben. Unser Anliegen war, dass man uns zu euren Anführern bringt, um ein Bündnis zwischen unseren beiden Völkern zu erörtern. Darum hatten wir zuvor schon gebeten.«

»Und wie ich bereits gesagt habe, ist die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen«, sagte Thrr-mezaz. »Mehr kann ich euch im Moment nicht dazu sagen.«

Lahettilas atmete tief ein, und dann atmete er genauso schwer wieder aus, als ob er damit einen Teil seiner Lebensenergie aushauchte. Sein Ton änderte sich erneut, und er sagte mit einer leisen und sorgenvollen Stimme, bei der Thrr-mezaz schier einen Knoten in die Zunge bekam: »Ich habe verstanden«, folgte die Übersetzung. »Misstrauen und Furcht sind wahrscheinlich integrale Bestandteile des Kriegs. Dennoch wäre es geradezu eine Tragödie, wenn ein solches Misstrauen zur Vernichtung unserer beiden Völker führen würde.«

»Wirklich tragisch«, pflichtete Thrr-mezaz ihm bei. »Andererseits sind die Zhirrzh noch weit von einer solchen Vernichtung entfernt.«

Lahettilas sprach erneut, und diesmal klang seine Stimme düster und grimmig. »Wahrscheinlich seid ihr der Vernichtung schon näher, als euch überhaupt bewusst ist. Euer Krieger-Kommando muss dringend über die Waffe namens CIRCE informiert werden. Falls die Mensch-Eroberer nämlich imstande sind, sie zu rekonstruieren …«

Hinter den Mrachanis erschien plötzlich ein Älterer; nur sein transparentes Gesicht ragte aus der Wand. »Du musst dieses Gespräch sofort beenden, Kommandant«, zischte er.

In den zwei Vollbögen, die seit ihrer Landung bereits vergangen waren, hatten die Mrachanis intensiv nach der Quelle dieser kurzen Gespräche mit den Älteren gesucht. Aber sie waren noch immer nicht schnell genug, und der Ältere war schon wieder verschwunden, bevor sie sich auch nur umzudrehen vermocht hatten. »Diese wispernden Zhirrzh-Stimmen stören mich, Kommandant der Zhirrzh. Woher kommen sie überhaupt?«

»Ich werde dem Krieger-Kommando euer Anliegen vortragen«, beschied Thrr-mezaz ihn, wobei er seine Frage geflissentlich ignorierte. »Wir müssen jetzt gehen. Die Krieger werden sich um euch kümmern.«

Lahettilas führte diese eindrucksvolle Atemübung wieder durch und schaute auf den Boden, während er weiterredete: »Na schön. Das ist alles, was wir tun können. Zumindest alles, was diejenigen von uns, die wir bloße Befehlsempfänger sind, in dieser Zeitspanne der Geschichte zu erreichen hoffen dürfen.«

»Dann auf Wiedersehen«, sagte Thrr-mezaz und wandte sich von den Fremden ab. Ein plötzlicher Schwall von Ärger rann ihm über die Zunge. Ein Befehlsempfänger. War das etwa alles, wofür diese Fremden ihn hielten – für einen bloßen Befehlsempfänger?

Wie konnten sie es nur wagen, ihn so zu düpieren? Er war schließlich Thrr-mezaz von Kee’rr, Kommandant eines Brückenkopfs der Zhirrzh auf feindlichem Territorium. Also alles andere als ein popliger Subalterner.

Und er würde ihnen das auch beweisen. Er würde beim Krieger-Kommando vorstellig werden – vielleicht sogar beim Oberclan-Primus höchstpersönlich. Er würde diese Angelegenheit ruckzuck klären – so schnell, dass sich ihnen der Pelz sträubte.

»Überhebliche, aufgeblasene Marsupilamis sind das, was?«, murmelte Klnn-vavgi neben Thrr-mezaz, als sie über das Landefeld zum Hauptquartier gingen.

»Das kannst du aber laut sagen«, erwiderte Thrr-mezaz knurrend. »Ich weiß zwar nicht, wie die Mrachanis das sehen, Zweiter, aber ich glaube nicht, dass man einen Zhirrzh in einem Kriegsgebiet als simplen Befehlsempfänger abqualifizieren kann.«

»Dann müssen wir sie eben vom Gegenteil überzeugen.« Klnn-vavgi warf einen Blick über die Schulter und ließ nachdenklich die Zunge hervorschnellen. »Es ist schon wieder passiert«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Ist es dir auch aufgefallen? Das dritte Mal in den letzten zwei Vollbögen, nach meiner Zählung.«

»Du meinst den Älteren, der den Pfad zum Krieger-Kommando verwaltet hat und der das Gespräch plötzlich abgebrochen hat?«

»Exakt«, sagte Klnn-vavgi. »Das ist umso interessanter, wenn man bedenkt, welches Risiko sie dabei eingehen.«

»In der Tat«, murmelte Thrr-mezaz. Der Oberste Schiffskommandant Dkll-kumvit hatte es nämlich so klar wie eine filigrane Glasarbeit gemacht, dass die Existenz der Älteren der Zhirrzh ein Geheimnis war, das sorgfältig vor den Mrachanis gehütet werden sollte. Und doch hatte der Oberbefehlshaber des Krieger-Kommandos, der am anderen Ende des Pfads der Älteren lauschte, eine Offenbarung dieses Geheimnisses riskiert. Und nicht nur ein-, sondern gleich dreimal.

Das konnte nur bedeuten, dass sie es für zwingend geboten gehalten hatten, diese drei Gespräche zu beenden. Was wiederum darauf hindeutete, dass Lahettilas etwas wusste, von dem Thrr-mezaz und die anderen Zhirrzh-Krieger nichts wissen sollten. »Dann wird dir auch das gemeinsame Element in allen drei Fällen aufgefallen sein?«, fragte er Klnn-vavgi.

Sein Stellvertreter ließ in einer Geste der Zustimmung die Zunge hervorschnellen. »Diese Waffe, über die Lahettilas schon die ganze Zeit mit dem Krieger-Kommando sprechen will. Dieses Ding, das er als CIRCE bezeichnet. Ich frage mich nur, was das ist.«

»Jede Wette, dass das Krieger-Kommando es weiß«, behauptete Thrr-mezaz und ließ den Blick schweifen. Er sah zwar keine Älteren in der Nähe schweben und lauschen, doch musste das bei den Älteren nicht unbedingt etwas heißen. Diese ätherischen, transparenten Wesen waren für Lauschangriffe geradezu prädestiniert.

»Es handelt sich zweifellos um etwas, von dem wir, die ›Befehlsempfänger‹, nichts erfahren sollen«, sagte Klnn-vavgi. »Ich weiß nicht, wie du das siehst, Thrr-mezaz, aber für mich hat die ganze Sache einen deftigen politischen Beigeschmack.«

»Kann sein«, murmelte Thrr-mezaz. »Ich frage mich nur … nein.«

»Was denn?«

»War nur so ein Gedanke«, sagte Thrr-mezaz und ließ wieder den Blick schweifen. »Was auch immer die Mrachanis oder das Krieger-Kommando über die Sache wissen – ich wette, dass unser gefangener Mensch-Eroberer uns die ganze Geschichte erzählen könnte.«

»Ein interessanter Gedanke«, stimmte Klnn-vavgi ihm zu. »Vielleicht sollten wir einmal eine kleine Unterredung mit ihm führen.«

Für ein paar Takte war Thrr-mezaz versucht, diesem Vorschlag zu folgen. Als ein Zhirrzh-Kommandant im Kriegsgebiet hätte er eigentlich alles wissen müssen, was auch das Krieger-Kommando über die Waffen des Feindes wusste, die vielleicht gegen seine Krieger eingesetzt würden.

Aber der gefangene Mensch-Eroberer, Srgent-janovetz, stand unter ständiger Beobachtung durch die Älteren des Brückenkopfs. Wenn sie ihn über CIRCE befragten, würde das Krieger-Kommando es innerhalb von zehn Takten wissen. Und Cvv-panav, der Sprecher für Dhaa’rr in der Oberclan-Versammlung, hatte schon einmal versucht, Thrr-mezaz als Befehlshaber der Bodentruppen auf Dorcas absetzen zu lassen. Wenn Thrr-mezaz nun versuchte, hinter eine Sache zu kommen, die das Krieger-Kommando ganz offensichtlich geheim halten wollte, würde er ihm eine Steilvorlage für seine Absetzung liefern.

Thrr-mezaz warf einen Blick auf Klnn-vavgi, und plötzlich gerann ihm ein Zweifel unter der Zunge. War es möglich, dass sein Stellvertreter nur aus dem Grund hier war, um genau dieses Ziel zu verfolgen? Um Thrr-mezaz zu einer Handlung zu verleiten, die ihn sein Kommando kosten würde? Klnn-vavgi war schließlich auch ein Dhaa’rr; vielleicht war seine ostentativ bekundete Verachtung für die Clan-Politik nur eine Lüge, mit der er Thrr-mezaz in Sicherheit wiegen wollte.

Er züngelte, von sich selbst angewidert. Eine absurde Vorstellung, und er schämte sich, dass er das auch nur in Erwägung gezogen hatte. Lahettilas und das ganze Gerede über Misstrauen musste ihm doch tiefer unter die Zunge gegangen sein, als er geglaubt hatte. »Wir wollen zunächst einmal etwas anderes versuchen«, sagte er zu Klnn-vavgi und änderte die Marschrichtung zum östlichen Rand des Landefelds. »Mitkommen.«

Die Krieger und Techniker hatten die Untersuchung des Lagerhauses längst beendet, in dem die beiden Mrachanis vor einem Vollbogen von den Mensch-Eroberern angegriffen worden waren. An der Ostseite, wo die Türen gewesen waren, war der Boden mit Holzsplittern übersät, und Thrr-mezaz zuckte unwillkürlich zusammen, als er und Klnn-vavgi durch die knirschenden Trümmer gingen. Denn an dieser Stelle waren zwei Krieger der Zhirrzh, als die Türen durch die Explosion aus den Angeln gehoben wurden, von ihnen erschlagen und vor der Zeit in die Älterenschaft erhoben worden.

Und sie litten noch immer an den Folgen dieser Erhebung. Nachdem sie abrupt über die mehr als dreihundert Licht-Zykliken zurückgerissen worden waren, die Dorcas und ihre konservierten fsss-Organe auf Oaccanv trennten, verharrten die beiden Neu-Älteren im vorübergehenden Wahnsinn des Verankerungsschocks.

Genauso wie die Krieger, die bei der Invasion von Dorcas in die Älterenschaft erhoben worden waren. Seitdem waren bereits siebzehn Vollbögen vergangen, und es war noch immer nicht abzusehen, wann die Gruppe diesem Wahnsinn wieder entrinnen würde.

Und Thrr-mezaz wusste auch, dass ein ganz bestimmtes Gerücht kursierte: Sucher und Heiler hatten angeblich in der Theorie bewiesen, dass ein Zhirrzh, der zum Zeitpunkt der Erhebung zu weit von seinem fsss-Organ entfernt war, für immer in diesem Verankerungsschock gefangen wäre. Die Clan- und Familienoberhäupter dementierten natürlich gleichlautend, dass solche Theorien jedenfalls formell verkündet worden wären – ganz zu schweigen davon, dass sie getestet oder bewiesen worden wären. Aber dadurch wollten die Gerüchte auch nicht verstummen. Thrr-mezaz konnte nur hoffen, dass, falls eine solche Grenze existierte, Dorcas sich noch innerhalb dieses Bereichs befand.

Es waren noch drei gezackte Löcher vom Sprengstoff der Mensch-Eroberer in die Nordwand gerissen worden, nachdem die erste Explosion die Türen aus den Angeln gerissen hatte. Deshalb lagen auch an dieser Stelle Holzsplitter und -trümmer vor dem Gebäude. »Was wollen wir überhaupt hier?«, fragte Klnn-vavgi, als Thrr-mezaz in die Mitte des Raums ging.

»Ich habe ein spezielles Arrangement mit einem unserer Kommunikatoren getroffen«, sagte Thrr-mezaz ihm. »Er soll ein paarmal im Zehntbogen hier vorbeischauen, für den Fall, dass ich ihn brauche.«

»Wirklich«, sagte Klnn-vavgi und musterte seinen Kommandeur. »Ein spezielles Arrangement, sagst du?«

»Ja«, antwortete Thrr-mezaz. Er hatte plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Der sichere Pfad, den die Dhaa’rr-Ältere Prr’t-casst-a vor zwei Vollbögen zwischen Thrr-mezaz und seinem Bruder Thrr-gilag eingerichtet hatte, diente nur einem Zweck: die mutmaßliche Gefangennahme von Prr’t-casst-as Ehemann, Prr’t-zevisti, durch die Mensch-Eroberer zu diskutieren. Wenn sie versucht hätten, den Pfad zu irgendeinem anderen Zweck zu benutzen, wäre das wahrscheinlich auf den Widerstand der Älteren gestoßen, die damit beschäftigt waren, die Nachrichten hin und her zu transportieren. Vor allem dann, wenn sie auf die politischen Schachzüge von Dhaa’rr zu sprechen gekommen wären. Vielleicht sollte er die ganze Sache einfach vergessen und hoffen, dass die Mrachanis diese Bedrohung durch CIRCE nur aufbauschten.

Plötzlich erschien der Ältere wieder. »Kommandant Thrr-mezaz«, sagte er. »Du hast eine Nachricht für Prr’t-casst-a?«

»Für Prr’t-casst-a? Nein«, erwiderte Thrr-mezaz. »Aber ich möchte trotzdem den sicheren Pfad benutzen, den sie für die Kontaktaufnahme mit meinem Bruder, Sucher Thrr-gilag, eingerichtet hat. Kannst du das ermöglichen?«

»Ich kann es zumindest versuchen«, sagte der Ältere mit dem Anflug eines Zweifels. »Ich dachte, Thrr-gilag sei schon wieder nach Oaccanv zurückgekehrt.«

»Ist er auch«, bestätigte Thrr-mezaz. »Er müsste sich jetzt entweder im Komplex der Oberclan-Versammlung in Union City befinden, beim Schrein der Thrr-Familie nahe Klippental oder in der Heimatstadt der Familie Thrr, in Schilfweiler.«

»Zu Befehl, Kommandant«, sagte der Ältere und verschwand.

»Glaubst du, Thrr-gilag weiß über diese Waffe CIRCE Bescheid?«, fragte Klnn-vavgi.

»Er hat immerhin neunzehn Vollbögen auf der Stützpunktwelt Zwölf mit der Befragung von Pheylan Cavanagh, dem gefangenen Mensch-Eroberer, verbracht«, erinnerte Thrr-mezaz ihn. »Falls CIRCE wirklich so gefährlich ist, wie Lahettilas anscheinend glaubt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit einmal die Sprache daraufgekommen sein.«

»Kann sein.« Klnn-vavgi ließ den Blick durch das beschädigte Gebäude schweifen. »Wo wir gerade dabei sind, könntest du ihn vielleicht auch fragen, ob er etwas über die Explosivwaffen der Mensch-Eroberer weiß?«

Die Takte vergingen und summierten sich schließlich zu einem Centumtakt. Es wurden zwei Centumtakte daraus, drei, schließlich vier. Thrr-mezaz schaute sich um, spürte, wie sein Schwanz immer schneller rotierte, und fragte sich, was wohl schiefgegangen sei. Der Ältere war sowohl an seinem konservierten fsss-Organ und an der kleinen fsss-Schnitte im Osten des Brückenkopfs auf Dorcas verankert und war deshalb imstande, die Nachrichten sofort über die Licht-Zykliken zwischen Dorcas und Dharanv, der Heimatwelt der Dhaa’rr, hinweg zu vermitteln. Die Weiterleitung der Nachricht an einen Älteren auf Dharanv, der auch zweifach an einer Schnitte in der entsprechenden Region von Dharanv verankert war, hätte ebenfalls kein Problem darstellen sollen. Hatte die Oberclan-Versammlung den Zeitpunkt des Starts der diplomatischen Mission zur Heimatwelt der Mrachanis vielleicht vorverlegt? Thrr-mezaz wusste, dass Thrr-gilag an dieser Mission teilnehmen sollte; falls der Start der Mission wirklich vorgezogen worden war, wäre das vielleicht eine Erklärung für sein Verschwinden.

Und just in dem Moment, als er zu dem Schluss gekommen war, dass diese Variante wohl die wahrscheinlichste sei, erschien der Ältere wieder. »›Hier spricht Thrr-gilag‹«, zitierte er.

»›Hallo, mein Bruder. Gibt es ein Problem?‹«

»Das wollte ich dich auch gerade fragen«, sagte Thrr-mezaz zu dem Älteren, und die Rotation des Schwanzes verlangsamte sich etwas. »Wo steckst du überhaupt?«

Der Ältere nickte und verschwand. Diesmal war er in weniger als einem Centumtakt wieder zurück. »›Wie der Zufall es will, bin ich an Bord eines Schiffes, das zu dir unterwegs ist. Ich müsste in ungefähr fünf Vollbögen ankommen.‹«

Thrr-mezaz runzelte die Stirn. »Ich dachte, Klnn-dawan-a würde auch mitkommen.«

»›Das wird sie auch‹«, kam die Rückmeldung. »›Sie wird von Shamanv abfliegen und müsste ein oder zwei Vollbögen vor mir hier eintreffen. Sie hat das Päckchen dabei.‹«

Thrr-mezaz verspürte eine Zuckung im Schwanz. Das Päckchen: Ihr Codewort für die geheime und höchst illegale Schnitte, die Thrr-gilag und Klnn-dawan-a im letzten Vollbogen sich irgendwie von Prr’t-zevistis fsss-Organ auf Dharanv beschafft hatten.

Eine Schnitte, die wahrscheinlich Prr’t-zevistis Lebensversicherung darstellte. Aber das würde nicht einmal für einen einzigen Zungenschlag eine Rolle spielen, falls man sie damit erwischte. »Irgendwelche Probleme in dieser Hinsicht?«, fragte er.

»›Nicht, dass ich wüsste. Ich habe nicht mehr mit Klnn-dawan-a gesprochen, seit ich Dharanv verlassen habe.‹«

»Wieso kommst du dann auch hierher?«, fragte Thrr-mezaz. »Ich dachte, du solltest mit zur Heimatwelt der Mrachanis gehen.«

»›Das sollte ich auch. Ich bin aber von dieser Mission zurückgezogen worden.‹«

Klnn-vavgi nuschelte sich etwas in den Bart. »Zurückgezogen?«, wiederholte Thrr-mezaz. »Wer ist denn auf diese hirnverbrannte Idee gekommen?«

Der Ältere nickte und verschwand. »Ich wette mit dir um den Sold für zwanzig Vollbögen, dass es hier um Politik ging«, sagte Klnn-vavgi knurrend. »Diese Sache trägt ganz offensichtlich die Zungenmale des Sprechers für Dhaa’rr.«

»Vielleicht auch nicht«, erwiderte Thrr-mezaz, und vor lauter Unbehagen rotierte sein Schwanz wieder schneller. »Ich hatte im letzten Vollbogen mit meinem Vater gesprochen, und er war verzweifelt auf der Suche nach Thrr-gilag. Unsere Familie scheint ein großes Problem zu haben, und dass Thrr-gilag von der Mrachani-Mission abgezogen wurde, könnte vielleicht damit zu tun haben.«

»Dann muss es sich wirklich um etwas Gravierendes handeln, wenn Thrr’t-rokik der Verzweiflung nahe ist«, bemerkte Klnn-vavgi. »Ich bin ihm bisher nur ein paarmal begegnet, aber er hat nicht den Eindruck auf mich gemacht, als ob er sich so leicht aus der Ruhe bringen ließe.«

»Das stimmt normalerweise auch«, pflichtete Thrr-mezaz ihm grimmig bei.

»Ich nehme an, du möchtest dich nicht näher dazu äußern?«

Thrr-mezaz ließ die Zunge in einer Geste der Verneinung hervorschnellen. »Was ich dir im Moment sagen könnte, wäre größtenteils reine Spekulation.«

Der Ältere erschien wieder. »›Es handelte sich um eine gemeinsame Entscheidung des Sprechers für Dhaa’rr und des Oberclan-Primus‹«, gab er Thrr-gilags Antwort wieder. »›Die Einzelheiten teile ich dir nach meiner Ankunft mit.‹«

»In Ordnung«, sagte Thrr-mezaz. »Ich hätte aber noch ein paar Fragen an dich. Einmal: Was weißt du über die Sprengstoffe der Mensch-Eroberer?«

»›Nur dass sie genauso wirkungsvoll wie Laser sind, wenn es darum geht, Zhirrzh in die Älterenschaft zu erheben‹«, kam die Antwort einen Centumtakt später. Sie hatte einen bitteren Unterton.

»Das wusste ich schon«, sagte Thrr-mezaz. »Zweitens: Was weißt du über eine Waffe der Mensch-Eroberer namens CIRCE?«

Der Ältere verschwand … und wieder verstrichen die Takte. »Es herrscht eine geradezu unheimliche Stille da draußen«, sagte Klnn-vavgi, als das Schweigen sich bereits in den dritten Centumtakt erstreckte. »Wie sicher, sagtest du, wäre dieser Pfad?«

Der Ältere war zurück, bevor Thrr-mezaz noch zu antworten vermochte. »›Es tut mir leid, Thrr-mezaz, aber dazu kann ich wirklich nichts sagen.‹«

Thrr-mezaz warf Klnn-vavgi einen Blick zu. Dann hatten sie also in beiden Punkten richtig gelegen. Es hatte irgendeine Bewandtnis mit CIRCE, die das Krieger-Kommando geheim halten wollte. Und Thrr-gilag wusste auch, was das war. »Ich verstehe, mein Bruder«, sagte Thrr-mezaz zu dem Älteren. »Ich wünsche dir eine sichere Reise.«

»›Pass du auch auf dich auf. Ich sehe dich in ein paar Vollbögen.‹«

Thrr-mezaz nickte dem Älteren zu. »Vielen Dank. Du kannst den Pfad wieder freigeben.«

»Zu Befehl, Kommandant«, sagte der Ältere und verschwand.

»Dann hatten wir also doch Recht«, murmelte Klnn-vavgi.

»Sieht so aus.« Thrr-mezaz schaute sich im leeren Lagerhaus um und fragte sich, ob ein anderer Älterer vielleicht ihre Unterredung belauscht hätte. »Wir sollten lieber wieder zurückgehen.«

»Ich frage mich nur, um welchen Waffentyp es sich handelt«, sagte Klnn-vavgi, als sie über das Landefeld zurückgingen. »Glaubst du, es ist eine Art nuklearer Sprengstoff?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Thrr-mezaz und schielte ins helle Sonnenlicht des Nachmittenbogens und auf den Staub, der von einer steifen nördlichen Brise aufgewirbelt wurde. »Was mir aber noch mehr Sorge bereitet als das was ist das warum. Genauer gesagt, warum sie diese Waffe noch nicht gegen uns eingesetzt haben?«

»Vielleicht haben sie es doch schon getan«, mutmaßte Klnn-vavgi. »Vielleicht ist das, was die Mrachanis als CIRCE bezeichnen, das, was wir die Copperhead-Krieger nennen.«

»Das wage ich zu bezweifeln«, sagte Thrr-mezaz. »Thrr-gilags Studiengruppe hat den Namen ›Copperheads‹ aus erster Hand von ihrem Gefangenen. Die Mrachanis hatten sicherlich schon genug Kontakt mit den Mensch-Eroberern, dass ihnen ein solcher Fehler nicht unterlaufen wäre.«

»Es sei denn, dass die Mensch-Eroberer verschiedene Worte benutzen, wenn sie mit verschiedenen Rassen kommunizieren«, wandte Klnn-vavgi ein. »Das wäre ein probates Mittel, die Kommunikation zwischen ihren Feinden zu erschweren.«

Thrr-mezaz ließ die Zunge hervorschnellen. »Ein interessanter Aspekt.«

»Dann hätten wir also noch eine Frage an Thrr-gilag, wenn er hier eintrifft«, sagte Klnn-vavgi. »Wir müssen herausfinden, ob der Gefangene ihnen gegenüber jemals CIRCE erwähnt hat …«

Plötzlich erschien ein Älterer vor ihnen. »Kommandant Thrr-mezaz: eine dringende Nachricht vom Obersten Schiffskommandanten Dkll-kumvit«, sagte er mit übertragungsschwacher Stimme. »Er hat eine Nachricht vom Krieger-Kommando erhalten, wonach Shamanv vor zwei Zehntbögen von einer Gruppe von Kampfschiffen der Mensch-Eroberer angegriffen worden sei.«

Thrr-mezaz’ Schwanz zuckte. Shamanv – das war doch der Ort, von dem Klnn-dawan-a laut Thrr-gilags Aussage starten wollte. Mit Prr’t-zevistis neuer Schnitte … »Schäden?«, fragte er.

»Unklar«, antwortete der Ältere. »Aus der Nachricht ging nur hervor, dass zwei Zhirrzh-Kriegsschiffe die Angreifer vertrieben hätten und dass ein Schiff schwere interne Schäden durch die Explosivraketen der Mensch-Eroberer erlitten hätte. Es wurde außerdem gemeldet, dass ein feindliches Kampfschiff zerstört worden sei. Der Oberste Schiffskommandant Dkll-kumvit glaubt, das sei vielleicht der Auftakt einer neuen Offensive der Mensch-Eroberer.«

»Verstanden«, sagte Thrr-mezaz. »Löse Vollalarm für alle Bodenkrieger aus und gib den Befehl, die Stingbirds startbereit zu machen.«

»Zu Befehl.« Der Ältere verschwand.

»Mitkommen«, sagte Thrr-mezaz zu Klnn-vavgi und beschleunigte den Schritt in Richtung des Hauptquartiers.

Dabei fragte er sich, ob sein stellvertretender Kommandant auch schon die beängstigenden Weiterungen des Angriffs auf Shamanv erkannt hätte. Entweder hatte der Feind einen Zhirrzh gefangen genommen und zum Reden gebracht, oder er hatte die optronischen Daten eines Gefechtsrecorders der Zhirrzh gefunden und entschlüsselt …

Oder er hatte eine Methode entwickelt, Raumschiffe entlang der Tunnellinie zwischen Sternen zu verfolgen.

Zumal Klnn-vavgi noch vor zwei Vollbögen darüber spekuliert hatte, dass der Feind vielleicht über eine so unglaubliche Technologie verfügte. Und zehn Vollbögen zuvor hatte Thrr-gilag halb im Scherz die gleiche Vermutung geäußert.

Vielleicht hatten beide Recht gehabt. Und wenn das stimmte, dann würde das diesem Krieg plötzlich eine neue Dynamik verleihen. Dank dem Aufzeichnungsgerät der Mensch-Eroberer, das sie nach dem ersten Gefecht aus dem Wrack geborgen hatten, hatte das Krieger-Kommando bisher den Vorteil gehabt, die Position der feindlichen Welten und Stützpunkte zu kennen – während die Welten der Zhirrzh in den Weiten des Alls verborgen waren. Und nun waren sie dieses Vorteils plötzlich beraubt. Die Mensch-Eroberer waren jetzt in der Lage, den Spieß gegen die Zhirrzh umzudrehen.

Und dem Namen gerecht zu werden, den die Mrachanis ihnen gegeben hatten: die Eroberer.

»Wir haben ein Problem, Thrr-mezaz«, sagte Klnn-vavgi neben ihm leise. »Erst CIRCE, und jetzt auch noch das – wir haben wirklich ein Problem.«

»Ja.« Thrr-mezaz schaute wieder in den Himmel. »Ich weiß.«

3

Die Datenleitungsverbindung wird um 15:52:25 eingerichtet, 22,41 Minuten später als der geschätzte Zeitpunkt, der mir an diesem Morgen um 09:21:44 mündlich mitgeteilt wurde. Es tritt ein Kontaktübergang von 0,04 Sekunden ein; und dann ist die Verbindung für die Leitung ordnungsgemäß hergestellt.

Die Informationen, die mir um 09:20:21 übermittelt wurden, besagten, dass ich vor dem Untersuchungsausschuss aussagen solle, der in Konferenzraum Drei der Friedenstruppen-Basis auf Edo tagt. Meine eingebaute Vorsicht veranlasst mich zu der Bestätigung, dass ich auch wirklich mit dem richtigen Standort verbunden bin. Die Überprüfung des Kontakts dauert 0,02 Sekunden, und dann kann ich tatsächlich bestätigen, dass ich mit dem richtigen Schnittstellen-Terminal verbunden bin. Dabei stelle ich auch fest, dass die Datenleitung mit einer Verschlüsselung vom Typ Corbalin 74-D-6 arbeitet. Das war ebenfalls zu erwarten.

Ich stelle eine Sub-Verbindung mit den optischen und akustischen Sensoren des Schnittstellen-Terminals her. Die Hauptlinse ist eine Kugellinse Avergand-4; ich berechne und initialisiere die erforderlichen Änderungskorrekturen, um das Bild ins Standardformat zu konvertieren. Fünfzehn menschliche Wesen sind innerhalb des Erfassungsbereichs der Linse im Raum: Zwei männliche und ein weibliches Wesen sitzen an einem Tisch 21,5 Grad zur Linken des Terminals in einer mittleren Entfernung von 2,54 Metern, zehn männliche Wesen sitzen in einer Reihe 10,3 Grad zur Rechten in einer mittleren Entfernung von 4,15 Metern, und zwei männliche Wesen sitzen 50,3 Grad zur Rechten in einer mittleren Entfernung von 3,77 Metern. Aus den Atemmustern im Auditorium schließe ich, dass drei weitere Personen sich außerhalb des Erfassungsbereichs der Linse befinden.

Ich unterziehe die im Raum Anwesenden einer gründlichen Musterung mit visuellen Erkennungsalgorithmen und gleiche sie mit den 5.128.339 Gesichtsmustern in meiner Datei »aktuelle Ereignisse« ab. Die drei Personen am Tisch sind hochrangige Offiziere der Friedenstruppen: Vizeadmiral Tal Omohundro, Generalmajor Petros Hampstead und Brigadegeneral Elisabeth Yost. Einer der zwei Männer, die am rechten Rand sitzen, hat einen noch höheren Rang inne als sie: Admiral Thomas Rudzinski, einer der drei Oberkommandierenden, die die Triade der Friedenstruppen bilden. Neben ihm sitzt Commander Pheylan Cavanagh, den ich vor elf Tagen sieben Stunden siebenundzwanzig Komma vier sechs Minuten aus der Gefangenschaft der Eroberer nach Edo geflogen habe.

Die Männer in der Reihe sind mir ebenfalls bekannt: Es handelt sich um diejenigen, die an der Rettung von Commander Cavanagh beteiligt waren. Ganz links sitzt Aric Cavanagh, Commander Cavanaghs älterer Bruder; neben ihm sitzt der ehemalige Copperhead-Kommandeur Adam Quinn, derzeit Sicherheitschef der CavTronics Corporation. Bei den anderen acht handelt es sich um die Copperhead-Piloten und Kampfbeobachter, die uns begleitet haben: Commander Thomas Masefield …

Vizeadmiral Omohundro räuspert sich. »Bitte identifizieren Sie sich.«

Ich verzögere meine Reaktion um 0,11 Sekunden, um eine positive Identifikation der Copperheads durchzuführen, bestätige, dass alles wie geplant läuft, und stelle eine Sub-Verbindung zum Terminal des Auditoriums-Sprechers her. »Mein Name ist Max.«

»Deine Dienstbezeichnung und Kenndaten?«

Ich spreche nicht gern über mich. Aber die spezifische Frage ist nun einmal gestellt worden. »Ich bin ein paraintelligenter Computer der Serie Carthage-Ivy-Gamma. Ich verfüge über Entscheidungsfindungs-Kapazitäten der Klasse Sieben und eine modifizierte zerfallsgesteuerte, zufallsbasierte logische Struktur vom Typ Korngold-Che, ein Datenzugriffssystem Kyalaynov und einen komprimierten Steuben-Dyad-Speicher mit 8,7 Megamyncs.«

Vizeadmiral Omohundros Gesichtsausdruck verändert sich unmerklich. Der Vergleich mit menschlichen Standard-Ausdrucksalgorithmen lässt erkennen, dass er entweder überrascht oder vielleicht sogar beeindruckt von meinen Fähigkeiten ist. »Du warst das Führungssystem bei Aric Cavanaghs illegaler Rettungsmission im Raumsektor der Eroberer?«

»Ich war das Führungssystem für den Tanker, der bei der Mission für die Rettung von Commander Pheylan Cavanagh eingesetzt wurde.«

Brigadegeneral Yost reckt das Kinn um 1,4 Zentimeter. »Bitte gehe die Abschrift-Datei der Anhörung bis zu diesem Punkt durch.«

Die Datei enthält die Beweisaufnahme und Aussagen der letzten drei Tage. Das meiste davon ist mir bereits bekannt: wie Lord Stewart Cavanagh, sein Sohn Aric und seine Tochter Melinda erfahren hatten, dass Commander Cavanagh wahrscheinlich von den Eroberern gefangen genommen worden war und wie sie beschlossen hatten, ihn in einer privaten Mission zu retten. Die Aussage zur Mission selbst ist mir ebenfalls bekannt: die vergebliche Suche auf zwei wahrscheinlichen Planeten, die Flucht vor zwei Kriegsschiffen der Eroberer über dem dritten Planeten und die ungewöhnliche logische Deduktion, durch die Aric die richtige Welt ausfindig gemacht hat.

Andere Teile der Aussage kenne ich noch nicht, und ich nehme sie mit Interesse zur Kenntnis. Ich erfahre, dass es Geschwaderkommandeur der Reserve, Iniko Bokamba war – Sicherheitschef Quinns ehemaliger Kommandeur bei den Copperheads –, der geholfen hatte, die Befehle zu fingieren, durch die Commander Masefields Copperhead-Einheit schließlich nach Dorcas verlegt und dem Befehl von Sicherheitschef Quinn unterstellt wurde. Aus einem Teil der Aussage von Commander Cavanagh geht auch hervor, dass die Nicht-Menschen, die wir als die Eroberer bezeichnen, sich selbst die Zhirrzh nennen.

Ich habe die Durchsicht der Datei beendet, noch bevor Brigadegeneral Yost wieder verstummt. »Ich bin fertig.«

»Hast du irgendwelche Diskrepanzen in den Aussagen festgestellt?«

»Zumindest keine wesentlichen. Sieben Zeitstempel und vier andere numerische Werte sind nicht ganz richtig. Ich habe eine Paralleldatei mit den markierten Berichtigungen hinzugefügt.«

Die drei Offiziere legen eine Pause von 1,10 Minuten ein, um meine Änderungen zu studieren. Ich verbringe die ersten 26,33 Sekunden dieser Zeitspanne damit, meine Verbindung zu diesem Terminal zu überprüfen und suche nach dem Grund, weshalb der anfängliche Kontaktübergang ganze 0,04 Sekunden betragen hat. Ich stelle fest, dass ein Kontaktpunkt im Gebäude falsch ausgerichtet ist. Ich lokalisiere die Wartungsdatei des Gebäudecomputers und hinterlasse einen Hinweis, dass die Komponente ausgetauscht werden müsse.

Die letzten 42,07 Sekunden der Pause verbringe ich damit, die Reflexionen der verschiedenen Gegenstände aus poliertem Metall im Raum zu studieren und versuche, darin die Gesichter der drei Personen zu erkennen, die sich außerhalb meines Erfassungsbereichs befinden. Dieser Versuch ist teilweise von Erfolg gekrönt; ich vermag zu erkennen, dass zwei der Männer beisammen sitzen und der dritte für sich allein sitzt. Doch ohne Zugang zu einem Sensor, der es mir ermöglichen würde, die Konturen der reflektierenden Oberflächen exakt abzubilden, bin ich nicht in der Lage, eine positive Identifikation der Gesichter vorzunehmen.

Generalmajor Petros Hampstead schaut als Erster zu mir auf. »Max, hat man dir gesagt, dass diese Mission einen Verstoß gegen das Gesetz bedeuten würde?«

»Es war nicht erforderlich, dass man mir das sagte. Ich habe schließlich Zugriff auf das gesamte Gesetzeswerk des Commonwealth.«

»Dann bestätigst du also, dass gegen Gesetze des Commonwealth verstoßen wurde?«

»Ja.«

Vizeadmiral Omohundro schaut mit gerunzelter Stirn in die Terminal-Linse. Ich analysiere seinen Gesichtsausdruck und deduziere, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hat. »Hat irgendeiner der Beschuldigten dir eine Begründung für sein Handeln genannt?«

»Nein.«

Generalmajor Hampstead berührt Vizeadmiral Omohundro mit den Fingerspitzen der rechten Hand an der Schulter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Nach zwei kurzen Sätzen beugt Brigadegeneral Yost sich zu ihnen hinüber und hört zu. Ich versuche auch zuzuhören, aber die akustischen Sensoren des Terminals sind der Aufgabe nicht gewachsen. Ich frage das in mir gespeicherte Militärrecht der Friedenstruppen ab und versuche ihr Gespräch zu extrapolieren. Anhand meiner Ausdrucks-Algorithmen und einer Ton-/Inferenz-Analyse der Verhandlungsabschrift ermittle ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,87, die drei Richter wünschen im Grunde nicht, dass Aric und die Copperheads schuldig gesprochen werden. Dies ist auch konsistent mit mehreren Gesprächen, die vor und nach Commander Cavanaghs Rettung stattgefunden hatten und in denen die Teilnehmer der Rettungsmission darauf spekulierten, dass das Friedenstruppen-Kommando auf politische Widerstände stoßen würde, falls nach einer erfolgreichen Mission Anklage gegen sie erhoben würde.

Sicherheitschef Quinn erhebt sich. Die drei Offiziere beenden das geflüsterte Gespräch und schauen ihn an. Ich analysiere Quinns Gesichtsausdruck und deduziere einen emotionalen Mix, der um grimmige Belustigung zentriert ist. »Wenn ich die Zeit des Gerichts für einen Moment in Anspruch nehmen dürfte, Admiral Omohundro?«

Vizeadmiral Omohundro wirft einen kurzen Blick auf die Terminal-Linse. Eine Analyse seines Gesichtsausdrucks deutet auf Müdigkeit hin. »Vielen Dank für deine Aussage und Richtigstellungen, Max. Falls wir dich noch einmal brauchen, werden wir auf dich zurückkommen.«

Er drückt einen Schalter auf dem Tisch. »Sie können sprechen, Commander Quinn.«

»Sir, für mich ist es offensichtlich …«

Die optische und akustische Verbindung wird getrennt, als die Datenübermittlungsleitung unterbrochen wird. Mit der Entlassung durch Vizeadmiral Omohundro ist mein Part in diesem Verfahren abgeschlossen.

Aber ich bin jetzt neugierig. Sicherheitschef Quinns Gesichtsausdruck und Tonlage deuten darauf hin, dass das, was er zu sagen hat, von großer Wichtigkeit ist. Außerdem hat Lord Cavanagh, als er mich im Tanker installierte, mir den Befehl erteilt, seinen Sohn Aric nach besten Kräften zu schützen. Diese Order ist bisher nicht widerrufen worden; und ohne ausreichende Informationen bin ich auch nicht in der Lage, sie auszuführen.

Das andere Ende der Verbindung ist zwar tot, aber die Schwingungen der Abbruch-Hysterese hallen noch nach. Durch das Rauschen suche ich entlang der Verbindung nach dem verschobenen Kontaktpunkt, den ich zuvor ausgemacht hatte. Der Signal-Rauschabstand beträgt etwa 8,4 Dezibel: schlecht, aber immer noch ausreichend für meine Zwecke. Ich verstärke mein Signal und sende einen Sprungbefehl, durch den der Kontakt übergangen und eine neue Verbindung gesucht wird. Der Befehl erreicht einen Vermittlungsknoten, der noch bereit ist, meine Präsenz im System zu akzeptieren. Mein Befehl wird entgegengenommen und ausgeführt, und die ursprüngliche Datenleitung wird wiederhergestellt.

»… Das Friedenstruppen-Kommando kann sich den Luxus kaum leisten, acht Copperheads aus ihren Jägern zu holen und sie irgendwo wegzusperren. Ich bin mir auch sicher, dass Sie drei viel dringendere Aufgaben zu erledigen haben, als den Vorsitz in einem Kriegsgerichtsprozess mit dem ganzen Zinnober zu übernehmen.«

Vizeadmiral Omohundros Gesichtsausdruck ändert sich kaum merklich und durchläuft vier emotionale Stadien, während Sicherheitschef Quinn spricht. Der letzte Gesichtsausdruck scheint dem einer leisen, freudigen Erwartung am nächsten zu kommen. »Ein solcher Kriegsgerichtsprozess ist zwingend geboten, Mr. Quinn. Gerade in Kriegszeiten muss die militärische Disziplin gewahrt werden.«

»Einverstanden, Sir. Auf der anderen Seite müssen Sie aber auch die Moral der Truppe berücksichtigen. Zumal wir Commander Cavanagh auch wieder unversehrt zurückgebracht haben.«

Vizeadmiral Omohundro schaut zu Commander Cavanagh hinüber. Nun besteht keinerlei Zweifel mehr: Er hat einen freudigen Gesichtsausdruck. »Wenn Sie etwas zur Sache zu sagen haben, bitte sehr.«

Quinns Gesichtsausdruck verändert sich unmerklich. Ich interpretiere den Ausdruck als unterdrückte Besorgnis. »Man hat mir zu verstehen gegeben, Sir, dass die Friedenstruppen es zu schätzen wüssten, wenn ich wieder als Copperhead-Pilot in ihre Dienste treten würde. Mir ist durchaus bewusst, dass Sie mich angesichts der aktuellen militärischen Lage auch zum Dienst verpflichten könnten; ich darf aber darauf hinweisen, dass, falls die Anklage gegen Commander Masefields Einheit fallen gelassen wird, solche Formalitäten nicht notwendig wären. Ich werde meine Stelle bei CavTronics Industries kündigen und freiwillig wieder bei den Copperheads dienen.«

Es ist ein deutliches Flackern auf vier der polierten Metallflächen in meiner Sichtlinie zu sehen. Ich analysiere die Reflexionen und deduziere, dass einer der noch immer unidentifizierten Beobachter die Arme vor der Brust verschränkt hat. Weitere Untersuchungen erbringen auch kein konkretes Ergebnis, aber ich schätze mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,60, dass sein Gesichtsausdruck sich ebenfalls verändert hat.

Vizeadmiral Omohundro schaut in diese Richtung, und sein Gesichtsausdruck verändert sich ebenfalls. »Sie möchten eine Anmerkung machen, Parlimin VanDiver?«

Ich habe nun einen Namen, und ich benötige 0,01 Sekunden, um die entsprechende Datei zu lokalisieren und zu studieren. Jacy VanDiver, fünfundfünfzig, von Grampians on Avon; im Jahr 2297 als Abgeordneter ins NorCoord-Parlament berufen. Das Dossier beinhaltet einige unfreundliche Begegnungen zwischen Parlimin VanDiver und Lord Cavanagh während der letzten fünfzehn Jahre, wobei es gleichermaßen um geschäftliche wie um politische Dinge ging. Dann erregt eine interessante Tatsache meine Aufmerksamkeit: Parlimin VanDiver war in den Jahren 2291 und 2294 auch für einen Sitz im NorCoord-Parlament vorgesehen. In beiden Fällen hatte Gouverneur Fletcher von Grampians on Avon jedoch Lord Cavanagh berufen.

»Im Moment nicht, Admiral.« Parlimin VanDivers Stimme ist sonor und tief. Ohne einen Ausgangswert bin ich nicht in der Lage, eine vollständige Stress-/Emotions-Analyse durchzuführen. »Vielleicht später.«

Vizeadmiral Omohundro hält den Blick noch für 0,63 Sekunden auf Parlimin VanDiver gerichtet und richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Sicherheitschef Quinn. »Also gut, Mr. Quinn. Als Vorsitzender dieser Verhandlung nehme ich Ihr Angebot an. Sie werden hiermit wieder als Leutnant in die Copperheads aufgenommen und melden sich unverzüglich beim Sektor-Kommandeur der Copperheads zum Dienst.«

Vizeadmiral Omohundro nimmt ein Hämmerchen, das neben seiner rechten Hand liegt, und hebt es in eine Höhe von 16,5 Zentimetern über den Tisch. »Die Verhandlung ist vertagt.«

Das Hämmerchen schlug laut auf den Tisch, und Pheylan Cavanagh stieß mit einem stillen Seufzer der Erleichterung die Luft aus.

Es war vorbei.

»Das hätten wir geschafft«, murmelte Admiral Rudzinski neben ihm, als sie sich erhoben. »So schlimm war es doch gar nicht, oder?«

Pheylan grinste schief. »Nein, Sir. Hat sich kaum gelohnt, überhaupt herzukommen.«

Der Admiral erwiderte dieses schiefe Grinsen und wurde dann plötzlich ernst. »Ihnen ist natürlich klar, dass das kaum ein Freispruch erster Klasse ist. Eine Haftstrafe ist ihnen zwar erspart geblieben, aber dafür wurden sie quasi in ein Strafbataillon versetzt.«

»Da gehören sie auch hin, Sir«, erinnerte Pheylan ihn mit leiser Stimme. »Wir sind Soldaten der Friedenstruppe. Das ist unser Job.«

Und dann stand Aric vor ihm und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken, was ihm aber nicht allzu gut gelang. »Das wäre erledigt«, sagte er und streckte die Hand aus. »Danke, Pheylan, dass du für uns ausgesagt hast.«

Pheylan ignorierte die ausgestreckte Hand und drückte seinen älteren Bruder kurz in einer bärenstarken Umarmung an sich. »Ich glaube, meine Schulden bei dir sind trotzdem erst zu einem kleinen Teil beglichen«, sagte er zu Aric und trat zurück. »Was wirst du jetzt tun?«

Aric verzog das Gesicht. »Ich will versuchen, den beschlagnahmten Tanker frei zu bekommen und meinen Vater zu finden.«

»Noch immer keine Nachricht von ihm?«, fragte Pheylan.

»Nein«, sagte Aric. »Ich hatte inzwischen aber die Gelegenheit, mit Captain Teva zu sprechen. Dem Vernehmen nach hat Paps ihn vor zweieinhalb Wochen mit der Cavatina von Mra-mig weggeschickt.«

»Ja, ich habe auch davon gehört, dass er auf Mra-mig gewesen sei«, sagte Rudzinski. »Was wollte er überhaupt dort?«

»Er hat nach Informationen über die Zhirrzh gesucht, die uns vielleicht bei der Suche nach Pheylan helfen könnten«, sagte Aric ihm. »Dieser Titel ›Eroberer ohne Grund‹, den wir für die Zhirrzh verwenden, ist anscheinend einer Mrach-Legende entsprungen.«

»Und hat er etwas gefunden?«, sagte Rudzinski.

»Anscheinend nicht«, sagte Aric. »Jedenfalls ging das nicht aus der Mitteilung hervor, die er mit der Cavatina nach Dorcas geschickt hat. Und dann ist er, soweit ich das zu sagen vermag, plötzlich wie aus dem Universum verschwunden.«

Ein Lufthauch strich über Pheylans Nacken, und er drehte sich um. Er sah sich einem stämmigen Mann im mittleren Alter gegenüber, der seitlich versetzt neben ihnen stand und stumm dem Gespräch lauschte. »Können wir Ihnen helfen, Sir?«, fragte er den Mann.

»Das ist der Stellvertretende Commonwealth-Attaché Pjotr Bronski«, sagte Rudzinski, bevor der Mann noch zu antworten vermochte. »Er arbeitet vom Commonwealth-Konsulat auf Mra-ect aus. Er hat Lord Cavanagh kurz auf Mra-mig gesprochen; und ich bat ihn dann, hierherzukommen, in der Hoffnung, dass er uns vielleicht etwas zu seinem Verschwinden sagen könnte.«

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, Mr. Cavanagh«, sagte Bronski. »Doch wie ich Admiral Rudzinski bereits sagte, habe ich Ihren Vater nur für ein paar Minuten in seinem Hotelzimmer in Mig-Ka City gesehen. Es ging darum, ob er eine Nicht-Mrach versteckte, die deportiert werden sollte, und wir wurden angefordert, um der Sache auf den Grund zu gehen. Meine Leute und ich haben seine Suite nach der Nicht-Mrach durchsucht, haben aber nichts gefunden und sind dann wieder gegangen.«

»Das ist ja interessant Mr. Bronski«, sagte Aric und zog die Stirn leicht in Falten. »In welchem Hotel, sagten Sie, haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ich habe gar nichts gesagt«, entgegnete Bronski ungerührt. »Aber es war das Mrapiratta-Hotel.«

»Ja, dort soll er sich laut Aussage von Teva aufgehalten haben«, pflichtete Aric ihm bei. »Er sagte auch, dass er nach dem Start vom Planeten eine Meldung über einen Vorfall in diesem Hotel empfangen hätte. Es seien Schüsse gefallen, und vielleicht hat es sogar eine Explosion gegeben.«

»Eine Explosion?«, fragte Pheylan impulsiv. »Davon habt ihr mir aber nichts gesagt.«

»Ach, Paps ist schon nichts passiert«, versicherte Aric ihm. »Er war nämlich schon aus dem Hotel draußen, als er Teva anrief und ihm sagte, er solle mit der Cavatina starten.«

Rudzinski schaute Bronski mit einer gewölbten Augenbraue an. »Wussten Sie etwa davon?«

»Wir hatten beim Verlassen des Hotels einen kleinen Zusammenstoß mit zwei Bhurtala« sagte Bronski mit einem Achselzucken. »War aber nichts Ernstes.« Er verzog die Lippen. »Nur dass ich wegen des ganzen Drumherums dann nicht mehr dazu gekommen bin, Lord Cavanagh noch einen Besuch abzustatten. Sonst hätte ich vielleicht das zu verhindern vermocht, was auch immer ihm zugestoßen ist.«

»Ja«, murmelte Rudzinski. »Trotzdem bezweifle ich, dass Lord Cavanagh sich in ernster Gefahr befindet. Mitri Kolchin ist nämlich bei ihm, und Kolchin war einer der besten Angehörigen der Friedenstruppen-Einsatzkommandos aller Zeiten. Womit auch immer er beschäftigt ist, er wird wiederkommen, wenn er es erledigt hat.« Er zog eine Karte aus der Innentasche. »Und in der Zwischenzeit müssen wir in einem Krieg die Stellung halten.«

Pheylan nahm reflexartig Haltung an. »Jawohl, Sir. Sind das meine Befehle?«

»Ja«, sagte Rudzinski und reichte ihm die Karte. »Sie sind mit sofortiger Wirkung dem Inspektionsteam zugeteilt, das die Überreste Ihres ehemaligen Gefängnisses auf der Welt untersucht, die wir als Ziel Eins bezeichnet haben.«

»Ein Inspektionsteam?« Pheylan nahm die Karte und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Ich hatte doch darum gebeten, den Kampftruppen zugeteilt zu werden, die den Zhirrzh-Brückenkopf auf Dorcas angreifen sollen. Meine Schwester Melinda hat sich dort befunden, als sie angegriffen wurden.«

»Ich bin sicher, dass man Ihre Bitte berücksichtigen wird«, sagte Rudzinski. »Doch fürs Erste müssen wir alles über die Bedrohung herausfinden, der wir gegenüberstehen. Es wäre nämlich möglich, dass es noch etwas Wichtiges auf Ziel Eins gibt, das niemand außer Ihnen identifizieren kann.«

Pheylan schnitt eine Grimasse. Zu Sandkastenspielen vergattert werden, während seine Schwester hilflos unter den feindlichen Geschützen saß …

Aber es ergab einen Sinn. Leider. »Verstanden, Sir.«

»Gut«, sagte Rudzinski. »Ihr Schiff startet in zwei Stunden. Die Einzelheiten entnehmen Sie der Karte.«

»Jawohl, Sir.« Pheylan wandte sich wieder an Aric. »Aric …«

»Ich weiß«, sagte Aric. »Pass da draußen aber gut auf dich auf. Ich will mich nicht schon wieder auf die Suche nach dir machen müssen.«

»Keine Sorge, das musst du nicht«, sagte Pheylan und drückte seinem älteren Bruder die Schulter. »Und du passt auch auf dich auf.«

»Max und ich schaffen das schon«, versicherte Aric ihm. »Bis dann.«

Er lächelte Pheylan ein letztes Mal zu, wandte sich ab und ging zur Tür. Pheylan sah, dass Quinn und die anderen Copperheads den Raum bereits verlassen hatten; sie führten wahrscheinlich ihre eigenen Befehle aus. Vielleicht hätte er in den zwei Stunden bis zum Abflug die Gelegenheit, ihnen nochmals dafür zu danken, dass sie ihr Leben und ihre Karriere aufs Spiel gesetzt hatten, nur um ihn zu retten.

Um ihre Karriere mussten sie sich ab heute zumindest keine Sorgen mehr machen. Von ihrem Leben konnte man das allerdings nicht sagen. Nicht, wo die Zhirrzh da draußen waren.

Die Eroberer.

Er atmete bedächtig ein. »Mit Ihrer Erlaubnis, Admiral.«

»Wegtreten, Commander«, sagte Rudzinski leise. »Viel Glück.«

Die Copperheads und Aric Cavanagh waren ihrer Wege gegangen, Admiral Rudzinski war wieder ins Lagezentrum zurückgekehrt, die drei vorsitzenden Offiziere hatten sich ebenfalls getrennt und widmeten sich ihren Pflichten, und Pjotr Bronski hatte schon den Ausgang vor Augen – als die Stimme, die er halb erwartet und halb befürchtet hatte, hinter ihm ertönte.

»Auf ein Wort, Mr. Bronski.«

Bronski ging langsamer und warf einen Blick über die Schulter. Parlimin VanDiver kam auf ihn zu, gefolgt von dem stummen Bodyguard, der bei der Verhandlung neben ihm gesessen hatte. »Ich bin etwas in Eile, Parlimin VanDiver«, sagte er. »Kann die diplomatische Vertretung des Commonwealth auf Edo sich denn nicht mit dieser Sache befassen?«

»Nein«, sagte VanDiver ohne Umschweife. »Das kann sie nicht.«

Bronski verzog innerlich das Gesicht. Jedoch ignorierte ein bloßer Commonwealth-Attaché nicht einfach ein hochrangiges politisches Schwergewicht von NorCoord. »Also gut, Sir«, sagte er und blieb stehen.

Der Bodyguard verstand sein Handwerk, das musste man ihm lassen. VanDiver brauchte kein Wort zu sagen; der andere ging schnurstracks zur nächsten Tür – ein Büro für die Verarbeitung von Medienkommunikation, dem Schild an der Wand nach zu urteilen –, warf einen kurzen Blick hinein und nickte seinem Chef dann zu. »Dort hinein, Mr. Bronski«, sagte VanDiver und deutete auf die offene Tür. »Wenn es beliebt.«

Als ob er überhaupt eine Wahl gehabt hätte. »Jawohl, Sir«, sagte Bronski. Er ging an dem wachsamen Bodyguard vorbei und betrat den Raum.

Das Büro enthielt vier unordentliche Schreibtische, die zurzeit nicht besetzt und wie Belagerungsformationen um ein Vermittlungsknoten-Computerterminal vom Typ SieTec angeordnet waren. VanDiver und der Bodyguard betraten den Raum hinter ihm, und der Letztere schloss die Tür und postierte sich daneben. »Wollen wir uns nicht setzen?«, fragte VanDiver, setzte sich an einen Schreibtisch und bedeutete Bronski mit einer Geste, an einem Tisch seiner Wahl Platz zu nehmen.

»Vielen Dank«, sagte Bronski und wählte einen Platz, an dem er den SieTec mehr oder weniger zwischen sich und dem Bodyguard hatte. »Ich muss Sie aber darauf hinweisen, Sir, dass ich in einer halben Stunde im Commonwealth-Koordinationszentrum sein muss.«

»Ich werde es kurz machen«, sagte VanDiver. »Ich habe vor ein paar Minuten Ihr Gespräch mit Admiral Rudzinski und den Cavanagh-Jungs mitbekommen. Sie haben sie belogen.«

Rhetorisch führte er eine scharfe Klinge, das stand mal fest. »Das ist aber eine interessante Anschuldigung, Sir.«

VanDiver hob die Augenbrauen. »Ist das etwa schon Ihre ganze Reaktion? Kein Dementi, keine Empörungsäußerung? Dass Ihnen da nicht der Kamm schwillt angesichts dieses impertinenten Angriffs auf Ihre Integrität?«

Bronski seufzte. »Ich bin ein Commonwealth-Beamter im höheren Dienst, Parlimin«, gab er dem anderen zu verstehen. »Da schickt es sich nicht, Regierungsvertretern von NorCoord zu widersprechen.«

VanDiver lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Ja, Taurin Lee hatte auch schon gesagt, dass Sie genau so einer seien«, bemerkte er. »Sie erinnern sich doch noch an Taurin Lee, oder?«

»Natürlich, Sir«, sagte Bronski mit bemüht fester Stimme. »Mr. Lee ist meiner Gruppe begegnet, als wir ins Mrapiratta-Hotel gingen. Er hat sich als Ihr Adjutant ausgewiesen und mir die Blanko-Karte des NorCoord-Parlaments gezeigt, mit der Sie ihn ausgestattet hatten. Dann sagte er mir, dass er unserem Gespräch mit Lord Cavanagh beiwohnen würde.«

»Und nach diesem Gespräch?«