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Ist klassische Musik heute noch zeitgemäß? Kent Nagano glaubt, dass man sich dieser Frage stellen muss, wenn man der existenziellen Krise der Klassik entgegentreten will. Was liegt näher, als dies anhand seiner eigenen Biographie zu tun? Der Maestro erläutert, welche Rolle das Erlernen von Instrumenten in seiner Kindheit spielte und was gute Lehrer für Musik bedeuten. Er erzählt zutiefst persönlich von seinen Begegnungen mit Meisterwerken der Klassik und großen Komponisten, seiner Arbeit mit bedeutenden Orchestern und seinem unermüdlichen Engagement für den Nachwuchs. Die klassische Musik verändert sich, sie muss es tun - denn sie darf nicht aus der Lebenswirklichkeit breiter Schichten verschwinden. Durch ihren Verlust würden Gesellschaften nicht nur kulturell ärmer, sondern sie würden an Inspiration, Witz, emotionaler Tiefe und Gemeinsinn einbüßen. In Sorge über sterbende Orchester und gleichgültige Politiker hält Kent Nagano ein ebenso leidenschaftliches wie lustvolles Plädoyer für die Klassik.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
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www.berlinverlag.de
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2014
ISBN 978-3-8270-7743-1
© 2014 Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2014
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München,nach einem Entwurf von peter schmidt, belliero & zandée
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
»The greatest gift God could give to man was the ability to talk and communicate. And a big part of communication is music.« »Das größte Geschenk, das Gott den Menschen machen konnte, war die Gabe zu sprechen und zu kommunizieren. Und ein großer Teil von Kommunikation ist Musik.«
Prolog
Was ist eigentlich klassische Musik? Sie ist ein Abenteuer, eines, das wir erleben, wenn wir uns auf sie einlassen. Sie nimmt uns mit in eine andere Welt. Sie entfaltet dort eine ungeheure Macht. Und aufgrund dieser Macht kann sie uns ungemein viel geben, gerade heute in diesen unruhigen, so sehr beschleunigten Zeiten. Davon handelt dieses Buch.
Die Frage lässt sich noch anders beantworten. Klassische Musik ist ein Universum, das sich ausdehnt, sobald man sich hineinbegibt. Man findet dort alles, was diese Kunstform seit fast tausend Jahren bis heute hervorgebracht hat: die mittelalterliche Musik, die Musik der Renaissance und des Barock, die Klassik und Romantik, schließlich die Neue Musik, die Oper, sinfonische Werke, Kirchen- und Kammermusik. Wenn ich in diesem Buch immer wieder von klassischer Musik spreche, dann umfasst dieses Universum all diese ästhetischen Ausdrucksformen, die über die Anordnung von Tönen geschaffen wurden und werden. In der klassischen Musik liegen unsere gesamte abendländische Tradition, die große Entwicklungsidee bis hin zur Moderne und der Kanon mit seinen Werken aus den unterschiedlichen Epochen. In ihr liegt nie versiegende menschliche Kreativität, durch die unaufhörlich Werke in dieser Kunstform hervorgebracht werden. In ihr liegen aber auch das Gemeinschaftserlebnis und die Begegnungen in den Opern- und Konzerthäusern. Und nicht zuletzt der Konsens über die Bedeutung und den Wert dieser Kunstform. Das meine ich mit klassischer Musik.
In diesem Buch geht es nicht nur um sie, sondern auch um uns und darum, warum wir es nicht zulassen sollten, dass die klassische Musik in unserer schnelllebigen, hochtechnologisierten und visuell geprägten Welt an gesellschaftlicher Bedeutung verliert. Was würde uns sonst an unsere Traditionen erinnern, die wir in unserer postmodernen Orientierungslosigkeit so dringend brauchen? Was könnte uns umfänglicher inspirieren, unsere Vorstellungen bereichern, was würde uns weitertreiben – weit in die Zukunft hinein, ohne dass wir vergessen, wer wir sind, und uns in ihr verlieren?
KAPITEL 1
Von Rinderzüchtern und Trompeten
»Die gesprochene Sprache hat stets etwas mit Aussagen und Argumenten zu tun, mit Fragen und Antworten. In der Sprache der Musik gibt es das nicht. Es gibt keine Argumente; die Musik ist frei davon und immer bereit, ein Teil von jedermann zu werden.«
Wachtang Korisheli
DAS KLINGENDE FISCHERDORFIch habe einen Traum. Vielleicht ist es irreführend, ein Buch mit diesem Satz zu beginnen, der mich unweigerlich in die Nähe der Träumer rücken könnte. Aber ich bin kein Träumer, sondern Realist. Und deshalb schreibe ich dieses Buch. Für meinen Traum. Dieser Traum zieht mich weit zurück in meine Kindheit, in die fünfziger und sechziger Jahre, die ich – aus europäischer Perspektive – am Ende der Welt verbrachte. Er führt mich an die Westküste der Vereinigten Staaten, irgendwo ins Niemandsland auf der gut vierhundert Meilen langen Strecke zwischen Los Angeles und San Francisco, die man heute, wenn man über den Highway fährt, in sieben Stunden zurücklegen würde.
Direkt an der landschaftlich wilden Küste liegt auf etwa halbem Weg zwischen den beiden Metropolen der unscheinbare Ort Morro Bay, damals nichts weiter als ein kleines Fischerdorf mit vielleicht zweitausend Einwohnern aus aller Herren Länder. Wenn ich an meine Kindheit in diesem Dorf zurückdenke, dann erklingt in meinen Erinnerungen immerfort Musik – Bachs Präludien und Fugen, Beethovens und Mozarts Sinfonien, Choräle für große Chöre, Kantaten. Für einen Dirigenten ist es womöglich nichts Ungewöhnliches, Erinnerungen mit Musik zu verbinden, wo doch Klänge den Lebensalltag bestimmen. Wer kennt nicht die suggestive Kraft von Melodien, die in der Lage ist, Landschaften, Gebäude, Situationen, Menschen und ganze Phasen der Vergangenheit in der eigenen Vorstellung auferstehen zu lassen.
Doch so meine ich das nicht. Ich höre Musik, die von unseren Orchestern damals gespielt und von den Chören tatsächlich gesungen wurde, immerzu, weil die ständige Präsenz klassischer Musik mit großer Selbstverständlichkeit unseren dörflichen Alltag bestimmte. Sie war Teil unseres Lebens, einfach immer da – zum Üben, zum Zeitvertreib, zum Erwerb sozialer Anerkennung, für das Gemeinschaftserlebnis. Ohne Musik war das Leben meiner Geschwister, Freunde, Klassenkameraden und mein eigenes gar nicht vorstellbar. Dabei machten wir Musik um der Musik willen. Keines von uns Bauernkindern dachte damals an eine Karriere als Musiker. In meiner Kindheit und Jugend deutete nichts darauf hin, dass ich irgendwann einmal als Dirigent meinen Lebensunterhalt verdienen würde.
Chor- und Orchesterproben, Klavierunterricht, dazu Musiktheorie – das alles bestimmte die sieben Tage der Woche, ohne dass meine Geschwister und ich da etwas Besonderes gewesen wären. Fast jeder in unserer ländlichen Gemeinde war irgendwie in das Musikleben involviert. Die Kinder der Rinderzüchter genauso wie die der Feldbauern und Fischer, der Handwerker, der Lehrer und Lebensmittelhändler, des Schuldirektors. Morro Bay war ein klingendes Fischerdorf, etwas Merkwürdig-Einmaliges zwischen Felsen, Feldern und dem Pazifik. In der Intensität, mit der sich die Kinder der Musik widmeten und ihre Eltern in die Welt der Klassik hineinzogen, war unser Ort ungewöhnlich, vielleicht sogar ein wenig seltsam. Die Musik verband uns alle, diese Gesellschaft aus Einwanderern völlig unterschiedlicher ethnischer und kultureller Hintergründe. Im Rückblick erscheint mir das fast wie ein Traum.
Vielleicht sollte ich ein bisschen ausholen: Meine Großeltern väter- und mütterlicherseits waren Ende des 19.Jahrhunderts von Japan nach Amerika ausgewandert und hatten sich als Gemüsebauern an der Westküste Amerikas niedergelassen, um sich dort im »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« ihr Glück zu erarbeiten. Unsere Familie lebt seit gut 120Jahren in Amerika – die Hälfte der Zeit seit es die Vereinigten Staaten gibt. Ich bin also ein echter Amerikaner. Meine Großeltern betrieben eine Farm, die später, nachdem mein Großvater schwer erkrankte, mein Vater und seine Brüder übernahmen. Weder mein Vater noch meine Mutter waren als Landwirte ausgebildet. Beide sollten es nach dem Willen ihrer Eltern weiterbringen und Berufe erlernen, die ihnen eine Existenz jenseits der Landwirtschaft ermöglichten. Beruflich verfolgten sie deshalb ganz andere Pläne: Mein Vater hatte an der University of California, Berkeley, Architektur und Mathematik studiert, meine Mutter graduierte dort als Mikrobiologin und Pianistin.
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