Erzbischof Conrad Gröbers „Pakt mit dem Teufel“ - Michael Süsterhenn - E-Book

Erzbischof Conrad Gröbers „Pakt mit dem Teufel“ E-Book

Michael Süsterhenn

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Beschreibung

Der Autor hat in Freiburg und Köln Deutsch und Geschichte studiert. Bei dem Text handelt es sich um eine bisher unveröffentlichte, bis auf wenige Korrekturen unveränderte digitalisierte Examensarbeit mit dem Titel „Die Interpretation des Nationalsozialismus in der bischöflichen Massenpublizistik für Baden 1929 bis 1941“ von 1982 bei Prof. Dr. Hans-Günter Zmarzlik, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.In diesem vor vierzig Jahren verfassten Text, der leider auch heute häufig noch aktuell ist, was die christlichen und nicht-christlichen Glaubensgemeinschaften bezüglich der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, der Unterstützung autoritärer Systeme, der Unterstützung von Kriegen oder der Diskriminierung von Andersgläubigen, Frauen und Minderheiten angeht, wird ein weitgehendes Einverständnis der katholischen Kirche in Baden bis mindestens 1941 mit der nationalsozialistischen Familien-, Sexual-, Wirtschafts-, Sozial-, Außen- und Minderheitenpolitik und der Vernichtung des Kommunismus dargestellt und belegt. Dieses Einverständnis entsprang einer ehrlichen Überzeugung und war keine bloße "Taktik" oder etwa durch staatliche Organe wie das Propagandaministerium erzwungen, wie es z. B. Manfred Hüsgen in seiner Arbeit über "Die Bistumsblätter in Niedersachsen während der nationalsozialistischen Zeit" behauptet. Dies wird deutlich durch die Länge, sachliche Differenziertheit und emotionale Intensität vieler Zitate aus dem St. Konradsblatt und den Hirtenbriefen Erzbischof Conrad Gröbers sowie durch ihre thematische Übereinstimmung mit allgemeinen katholischen Lehren und Äußerungen vor dem 5. März 1933. Die katholische Kirche in Baden und wahrscheinlich auch in ganz Deutschland kann deshalb von ihrer relativen Eigenständigkeit, Machtstärke und ihrem hierarchischen Aufbau her als ein typisches Glied der von Peter Hüttenberger strukturell beschriebenen "NS-Polykratie" betrachtet werden, deren einzelne Machtzentren sich gerade durch die Verbindung von genereller politischer Übereinstimmung, gegenseitiger Machtstärkung und dennoch divergierender Machtinteressen und Kompetenzstreitigkeiten auszeichneten. Die katholische Kirche ist deshalb neben Reichswehr, Großwirtschaft, Deutsche Arbeitsfront, NSDAP/Politische Organisation und dem SS/SD/Gestapo-Komplex in die „NS-Polykratie“ einzuordnen.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Haupttitel

Über das Buch und den Autor

Zitate

Inhaltsverzeichnis des Originaltextes

Einleitung

1. Familienpolitik

2. Sexualpolitik

3. Erziehung und Schule

4. Katholische Vereine, Verbände und Gewerkschaften

5. Wirtschafts- und Sozialpolitik

6. Außenpolitik

7. Minderheitenpolitik

8. Kommunismus

Schluß

Literaturverzeichnis

Impressum

Haupttitel

Michael Süsterhenn

Erzbischof Conrad Gröbers „Pakt mit dem Teufel“. Die bischöfliche Massenpublizistik für Baden 1929 bis 1941

(Bei dem Text handelt es sich um eine bisher unveröffentlichte, bis auf wenige Korrekturen unveränderte digitalisierte Examensarbeit mit dem Titel „Die Interpretation des Nationalsozialismus in der bischöflichen Massenpublizistik für Baden 1929 bis 1941“ von 1982 bei Prof. Dr. Hans-Günter Zmarzlik, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.)

Über das Buch und den Autor

Der Autor hat in Freiburg und Köln Deutsch und Geschichte studiert. Bei dem Text handelt es sich um eine bisher unveröffentlichte, bis auf wenige Korrekturen unveränderte digitalisierte Examensarbeit mit dem Titel „Die Interpretation des Nationalsozialismus in der bischöflichen Massenpublizistik für Baden 1929 bis 1941“ von 1982 bei Prof. Dr. Hans-Günter Zmarzlik, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

In diesem vor vierzig Jahren verfassten Text, der leider auch heute häufig noch aktuell ist, was die christlichen und nicht-christlichen Glaubensgemeinschaften bezüglich der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, der Unterstützung autoritärer Systeme, der Unterstützung von Kriegen oder der Diskriminierung von Andersgläubigen, Frauen und Minderheiten angeht, wird ein weitgehendes Einverständnis der katholischen Kirche in Baden bis mindestens 1941 mit der nationalsozialistischen Familien-, Sexual-, Wirtschafts-, Sozial-, Außen- und Minderheitenpolitik und der Vernichtung des Kommunismus dargestellt und belegt. Dieses Einverständnis entsprang einer ehrlichen Überzeugung und war keine bloße "Taktik" oder etwa durch staatliche Organe wie das Propagandaministerium erzwungen, wie es z. B. Manfred Hüsgen in seiner Arbeit über "Die Bistumsblätter in Niedersachsen während der nationalsozialistischen Zeit" behauptet. Dies wird deutlich durch die Länge, sachliche Differenziertheit und emotionale Intensität vieler Zitate aus dem St. Konradsblatt und den Hirtenbriefen Erzbischof Conrad Gröbers sowie durch ihre thematische Übereinstimmung mit allgemeinen katholischen Lehren und Äußerungen vor dem 5. März 1933. Die katholische Kirche in Baden und wahrscheinlich auch in ganz Deutschland kann deshalb von ihrer relativen Eigenständigkeit, Machtstärke und ihrem hierarchischen Aufbau her als ein typisches Glied der von Peter Hüttenberger strukturell beschriebenen "NS-Polykratie" betrachtet werden, deren einzelne Machtzentren sich gerade durch die Verbindung von genereller politischer Übereinstimmung, gegenseitiger Machtstärkung und dennoch divergierender Machtinteressen und Kompetenzstreitigkeiten auszeichneten. Die katholische Kirche ist deshalb neben Reichswehr, Großwirtschaft, Deutsche Arbeitsfront, NSDAP/Politische Organisation und dem SS/SD/Gestapo-Komplex in die „NS-Polykratie“ einzuordnen.

Erschreckend ist die ideologisch motivierte Tendenz der katholischen Kirche in Baden zu rechtlicher Unterdrückung von Andersdenkenden, Minderheiten und der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Schon 1930 hatte das St. Konradsblatt die neuen Strafgesetze im faschistischen Italien gelobt: "Jede Frau, die das keimende Leben zerstört, wird mit 1-4 Jahren bestraft ... Bei Ehebruch erhalten beide Teile ein Jahr Haft. - So wird neuestens in Italien für Zucht und Volkswohl gesorgt. - Und bei uns?“ Es wurden das staatliche Verbot der Sekten, der Homosexualität, der Wahrsagekunst und Astrologie, die Verfolgung der Kommunisten und eine repressive Sexualpolitik befürwortet. Der Weg von der ideologischen Verdammung bis zur Entrechtung und Vernichtung von Minderheiten oder Andersdenkenden ist nicht weit. Dies beweist die Tatsache, dass viele Homosexuelle, die Kommunisten und unter den Sekten die Ernsten Bibelforscher von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager verschleppt und getötet wurden. Gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik hat sich die katholische Kirche in Baden nach 1933 in ihren öffentlichen Äußerungen zu neutral verhalten, obwohl sie die Macht gehabt hätte, diese hartnäckig zu kritisieren. Äußerst fragwürdig sind die Versuche, Hitlers Außenpolitik und Kriege rechtlich, sozialdarwinistisch oder ideologisch zu begründen, zumal die katholische Kirche vor 1933 die friedliche Verhandlungs- und Verständigungspolitik Brünings unterstützt hatte. Denn weder die Ablehnung eines internationalen Vertrages wie des Versailler Vertrages als "Unrecht", noch die Überzeugung, dass Deutschland "Lebensraum" brauche und der Kommunismus "gottlos" oder "satanisch" sei, rechtfertigen eigenmächtige Annektionen, Eroberungskriege und die damit verbundenen Toten und Verletzten.

Zitate

Denn es ist kein guter Baum, der faule Frucht trage, und kein fauler Baum, der gute Frucht trage. Ein jeglicher Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt. Denn man liest nicht Feigen von den Dornen, auch liest man nicht Trauben von den Hecken. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus dem bösen Schatz seines Herzens. Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Was heißet ihr mich aber HERR, HERR, und tut nicht, was ich euch sage? Lukas 6,43-46

Liebe Seele, trachte nicht nach dem ewigen Leben, sondern schöpfe das Mögliche aus. Pindar, Dritte Pythische Ode

Inhaltsverzeichnis des Originaltextes

(hier keine Links)

Einleitung

1. Familienpolitik

2. Sexualpolitik

3. Erziehung und Schule

4. Katholische Vereine, Verbände und Gewerkschaften

5. Wirtschafts- und Sozialpolitik

6. Außenpolitik

7. Minderheitenpolitik

7.1 Homosexuelle

7.2 Astrologen und Wahrsager

7.3 Sekten

7.4 Juden

8. Kommunismus

Schluß

Literaturverzeichnis

Einleitung

Es gibt viele Belege für eine Gegnerschaft der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus, aber auch andere, die auf eine Unterstützung oder nur ein Zulassen der nationalsozialistischen Politik hinweisen. Eine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus wird meist dokumentiert mit Belegen zum Kampf der katholischen Kirche gegen den "Mythus des 20. Jahrhunderts" von Alfred Rosenberg,1 die "Deutschgläubigen", die ständigen Vereins- und Konkordatsbrüche im Vereins- und Schulwesen,2 die Euthanasie,3 die Bedrohung der "religiösen und sittlichen" Verkündigung durch Zensur und Bespitzelung;4 dann mit Belegen zur Verfolgung und Ermordung von katholischen Geistlichen;5 mit Zitaten aus den monatlichen Berichten der Geheimen Staatspolizei6 oder mit der von Hitler geäußerten Absicht, die Kirchenfrage nach dem Krieg durch radikale Entchristlichung endgültig zu lösen.7 Auf der anderen Seite lassen sich Belege zur Gleichgültigkeit der katholischen Kirche gegenüber der Demokratie,8 der nationalsozialistischen Judenpolitik bis zum Krieg,9 der Verfolgung oder Ermordung politischer Feinde, wie der Kommunisten oder 1934 der SA-Führungsspitze unter Röhm, und zur politischen Unterstützung von "Hitlers Kriegen"10 finden. Eine teilweise Unterstützung und Duldung der nationalsozialistischen Politik durch die katholische Kirche wird von der dieser nahestehenden Forschung nicht geleugnet, aber gerechtfertigt: Wegen der damals noch unbekannten Totalitarismustheorie habe man gemeint, auf die Demokratie verzichten und einen modus vivendi mit dem Nationalsozialmus finden zu können; dies sei aber ein "politischer Irrtum" gewesen.11 Durch das Reichskonkordat sei man verpflichtet gewesen, sich auf den Widerstand im eigenen Bereich zu beschränken;12 allein die Aufrechterhaltung der kirchlichen Eigenständigkeit in einem totalitären System bedeute schon Widerstand.13 Man dürfe katholische Bekenntnisse zu nationalsozialistischer Politik und Ideologie nicht ernst nehmen, da sie als beabsichtigte "Taktik" der formalen Anpassung in Sprache und Thematik die notwendige Voraussetzung gewesen seien, um überhaupt noch öffentliche Kritik leisten zu können.14 Wer habe außerdem den Mut, den Geistlichen Feigheit vor dem Märtyrertod im Dritten Reich vorzuwerfen.15 Man habe wegen des verschärften totalitären Polizeisystems und zur Rettung der Sakramentenspendung16 der nationalsozialistischen Kriegspolitik und der gleichzeitigen Judenvernichtung keinen Widerstand leisten dürfen. Und schließlich sei sowieso jeder gewaltsame Widerstand gegen eine "rechtmäßige Obrigkeit" nach katholischer Lehre verboten gewesen.17 Es soll hier die Frage untersucht werden, ob die katholischen Bekenntnisse zu nationalsozialistischer Politik und Ideologie nur Taktik waren oder in Wirklichkeit einer ehrlichen Überzeugung entsprachen. Diese "Taktik" spielt zum Beispiel in der Arbeit von Manfred Hüsgen über "Die Bistumsblätter in Niedersachsen während der nationalsozialistischen Zeit" eine wichtige Rolle. Einerseits stellt er solche Bekenntnisse fest, andererseits hält er sie für eine "Methode der Anpassung" oder für staatliche Zwangsauflagen und Themenanweisungen des Propagandaministeriums.18

Die Behauptung, daß gewisse Äußerungen nur aus taktischen Gründen oder zwangsweise erfolgten, läßt sich quellenmäßig nur an den Äußerungen selbst oder an einer eventuellen Kontinuität dieser Äußerungen im angrenzenden Zeitraum überprüfen. Dazu sollen hier das "St. Konradsblatt. Familienblatt für die Erzdiözese Freiburg"19 und die im "Amtsblatt für die Erzdiözese Freiburg"20 veröffentlichten bischöflichen Hirtenbriefe im Zeitraum von 1929 bis 1941 herangezogen werden.

Das St. Konradsblatt war das einzige katholische Wochenblatt für die Erzdiözese Freiburg, wo es auch ausdrücklich vor jedem andern Wochenblatt den Vorrang hatte.21 Mit einer Auflage von 100 000 war es das meistgelesene Blatt von allen badischen Zeitschriften, Tages- und Wochenzeitungen. Nach katholischen Schätzungen erreichte es wöchentlich 500 000 von den insgesamt über eineinhalb Millionen badischen Katholiken.22 Seine Chefredakteure waren vom Freiburger erzbischöflichen Ordinariat eingesetzte Pfarrer. Der einzige Chefredakteurwechsel in dem hier behandelten Zeitraum fand im Januar 1935 anläßlich der ebenfalls einzigen staatlichen Beschlagnahme des Wochenblattes statt.23 Im Mai 1941 mußte es auf staatliche Anordnung aus angeblichem Papiermangel sein Erscheinen einstellen.24

Die sonntags in der Kirche vorgelesenen bischöflichen Hirtenbriefe waren neben den katholischen Wochenblättern die einzigen Massenpublikationsorgane, die der katholischen Kirche im Dritten Reich noch blieben.25 Die sonntäglichen Predigten der Pfarrer und die bischöflichen Hirtenworte erreichten aber immerhin jeweils 800 000 badische Katholiken.26

Die dezentralisierte Organisation der katholischen Kirche in Deutschland nach Bistümern und Erzbistümern mit jeweils eigenen Verwaltungs-, Organisations- und Publikationsorganen hat bisher in der Forschung naturgemäß eine Fülle von Regionaluntersuchungen ausgelöst. Diese Regionaluntersuchung soll durch die Darstellung der bischöflichen Massenpublizistik für Baden nicht nur ansatzweise eine Lücke schließen, sondern auch gleichzeitig durch die Möglichkeit der Konzentration auf das badische Erzbistum Freiburg, seine bischöfliche Massenpublizistik und den damaligen Erzbischof Gröber die Frage nach der "Taktik" oder Wahrheit und den Motiven mancher katholischen Bekenntnisse zur nationalsozialistischen Politik besser lösen helfen, Die einzelnen Kapitel der Arbeit wie "Familienpolitik", "Sexualpolitik" usw. sind politische Bereiche, die wegen ihrer Überschneidung katholischer und nationalsozialistischer Interessen ausgewählt wurden.

Vgl. Karl-Dietrich Erdmann: Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933-1939. München 1970.

dtv 9. Auflage 1980 (Gebhardt dtv Bd. 20), S. 186.↩

Vgl. ebda S. 167ff., S. 187.↩

Vgl. Andreas Lindt: Das Zeitalter des Totalitarismus. Politische Heilslehren und ökumenischer Aufbruch. Stuttgart Kohlhammer 1981 (Christentum und Gesellschaft Bd. 13), S. 213ff.↩

Zur Zensur vgl. Guenter Lewy: Die katholische Kirche und das Dritte Reich. München 1965 (Originalausgabe erstmals 1964 unter dem Titel "The Catholic Church and Nazi Germany" in New York erschienen), S.157; zur Bespitzelung durch den SD vgl. Gerhart Binder: Irrtum und Widerstand. Die deutschen Katholiken in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Mit einer Einführung von Felix Messerschmid. München 1968, S.232.↩

Vgl. Erdmann a.a.O. S. 187, S. 195.↩

Josef Nowak: katholische Situation zwischen 1937 und 1934. In: Hermann Engfer (Hg.): Das Bistum Hildesheim 1933-1945. Eine Dokumentation. Hildesheim 1971, S. 60-71; hier S. 67f.↩

Erdmann a.a.O. S. 194.↩

Kurt Sontheimer: Einleitung in: Hans Müller: katholische Kirche und Nationalsozialismus. Dokumente 1930-1935. München 1963, S. VII-XXVI; hier S. XXIV; Ernst Wolfgang Böckenförde: Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Hochland 53. 1960/61, S. 219-239; hier S. 234f.↩

Erdmann a.a.O. S. 195; Lindt a.a.O. S. 215f.↩

Zum Freiburger Erzbischof Gröber vgl. Gordon C. Zahn: Die deutschen Katholiken und Hitlers Kriege. Graz/ Köln 1965 (Originaltitel "German Catholics and Hitler's Wars". New York o.J.), S. 163ff.↩

Conrad Repgen: Hitlers Machtergreifung und der Deutsche Katholizismus. In: Historische Klopfsignale für die Gegenwart. München 1974, S. 128-153 (Erstmals Festvortrag vom 13.1.1963); hier S.150f.↩

Hugo Ott: Möglichkeiten und Formen kirchlichen Widerstands gegen das Dritte Reich von Seiten der Kirchenbehörde und des Pfarrklerus. Dargestellt am Beispiel der Erzdiözese Freiburg. Historisches Jahrbuch. 92. Jhg. 1972, S. 312-333; hier S. 332.↩

Repgen a.a.O. S. 151. Anmerk. 85.↩

Siegfried Kessemeier: katholische Publizistik im NS:Staat 1933-1938. Grundzüge und Entwicklung. Münster 1973.(Phil. Diss. Münster 1969), S. 295ff.; Manfred Hüsgen: Die Bistumsblätter Niedersachsens während der nationalsozialistischen Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Publizistik im Dritten Reich. Hildesheim 1975 (Phil. Diss. Hannover), S.255f.↩

Novak a.a.O. S.60.↩

Vgl. Ernst Wolfgang Böckenförde: Kirche und Politik. Zu einigen Neuerscheinungen über das Verhältnis der katholischen Kirche zum „Dritten Reich". Der Staat 5. 1966, S. 225-238; hier S. 234f.↩

Vgl. Binder a.a.O. S. 375ff.↩

Hüsgen a.a.O. S. 255ff., S. 216ff.↩

St. Konradsblatt. Familienblatt für die Erzdiözese Freiburg. (im folgenden abgekürzt: K).↩

Amtsblatt für die Erzdiözese Freiburg (bis 1932 "Anzeigeblatt") (im folgenden abgekürzt: A).↩

A 19. Sept. 1934, S. 267.↩

K 22. Sept. 1932↩

K 24. Febr. 1935, S. 66↩

K 25. Mai 1941↩

Lewy a.a.O. S. 152ff↩

K 22. Sept. 1932↩

1. Familienpolitik

Das Ziel katholischer Familienpolitik war stets die Vermehrung katholischer Familien und ihrer Kinder. Der Grund für diese Politik ist der Wunsch, nach der katholischen Soziallehre zu leben, die die Familie als einen Grundbaustein der Gesellschaft ansieht, und der Sakramentcharakter der Ehe.1

Die spezifisch katholische Familienpolitik wurde in dem hier behandelten Zeitraum zwischen 1929 und 1941 stets durch den Hinweis auf die angebliche Wichtigkeit der Familienpolitik für die nationale Größe Deutschlands legitimiert. So forderte der Erzbischof Carl Fritz in seiner Predigt auf dem Katholikentag 1929 in Freiburg die Anwesenden auf, "Apostel für den Aufbau des christlichen Ehe- und Familienlebens zum Wohl von Volk, Heimat und Kirche" zu werden.2 Hinweise auf die Übereinstimmung katholischer und nationaler Interessen waren seit dem Kulturkampf im 19. Jahrhundert zu einer taktischen und gleichzeitig ehrlich gemeinten Übung geworden, um der seit dieser Zeit mal mehr, mal weniger vorgebrachten Beschuldigung der Rückständigkeit und des "Ultramontanismus" vorzubeugen.3

Hauptthemen katholischer Familienpolitik waren Mischehen, Ehescheidungserleichterungen, Abtreibung, ausreichende Sozialunterstützung der Familie und der Geburtenrückgang. Häufig warnte man vor den sogenannten "Mischehen", die durch die Verbindung zweier Konfessionen in einer Ehe - im Dritten Reich bedeutete dagegen "Mischehe" im staatlichen Sprachgebrauch eine Ehe zwischen Juden und Nichtjuden - zwangsläufig zu einer Schwächung des katholischen Glaubens bei dem katholischen Ehepartner und den katholischen Kindern führen müsse. Außerdem seien Mischehen auch national schädlich, da sie, statistisch nachweisbar, äußerst kinderarm seien.4

Das Zentrum und die Bayerische Volkspartei setzten im Dienst katholischer Interessen alle möglichen Kräfte ein, um jegliche Gesetzesvorlagen zur Ehescheidungserleichterung zu boykottieren.5 Dieser Kampf wurde begründet mit dem katholischen Grundsatz der "Unauflöslichkeit der Ehe" und der Warnung, daß eine Häufung von Scheidungen Kinderverwahrlosung und Geburtenrückgang zur Folge habe. Das gern zitierte Beispiel für zunehmende Ehescheidungen, Abtreibungen und Kindermangel war die Stadt Berlin, die man deshalb die "gottloseste Stadt der Welt"6 nannte.

Die notwendigen Voraussetzungen für eine Stärkung von Familie und Kinderzahl sah man in einer ausreichenden Sozialunterstützung7 und der Erziehung zu christlicher Opferfreudigkeit, also zum katholischen Glauben überhaupt. Man betonte: Ein starker katholischer Einfluß im Staat und die damit verbundene erhöhte "Opferfreudigkeit, die aus dem Glauben entspringt, wirken sicherer auf die Volksvermehrung."8

Auch der intensive Kampf der Kirche gegen den Alkoholismus durch Warnungen und Einrichtung von Trinkerheilanstalten sollte eine zunehmende wirtschaftliche und seelische Zerstörung vieler Familien verhindern. Bischof Sproll von Rottenburg lobte 1929 die katholischen Jugendvereine, daß sie "alkoholfrei und nikotinfrei"9 seien.

Die Zunahme rein katholischer Ehen wurde durch Empfehlung katholischer Ehevermittlungsinstitute und durch die Möglichkeit katholischer Eheinserate im St. Konradsblatt gefördert.10

Während im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik hauptsächlich das Zentrum und die Bayerische Volkspartei die Interessen der katholischen Kirche gegenüber ihren politischen Gegnern des Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus vertraten, blieben nach der Zerstörung des Mehrparteiensystems im Dritten Reich der katholischen Kirche nur noch die Hirtenbriefe der Bischöfe und die von diesen gesteuerten katholischen Wochenblätter als letzte politische Einflußmöglichkeit; anläßlich bestimmter Ereignisse wie dem katholischen Frauensonntag, dem nationalen Muttertag oder auch Sterilisations- und Euthanasiemaßnahmen der Nationalsozialisten wurden in diesen die religiösen und moralischen Lehren zur Familienpolitik verteidigt.

Seit 1933 erkannte die katholische Kirche grundsätzlich das national-völkische Interesse des Nationalsozialismus an einer Steigerung der Familien- und Geburtenrate an, betonte jedoch jeweils die moralische und religiöse Seite der Familienpolitik. 1935 kommentierte das St. Konradsblatt eine Rede des Reichsführers der deutschen Rechtswahrer, Minister Dr. Frank, die er auf einer Tagung in Breslau zur Reform des Ehescheidungsrechts gehalten hatte:

Aber er setzte sehr scharf hinzu, daß an der grundsätzlichen Bedeutung der Ehe als Heimstätte der nationalen Wohlfahrt vom Nationalsozialismus nicht nur nichts geändert wird, sondern daß diese Urzelle der völkischen Gemeinschaft mit allen Sicherungen des Rechtsschutzes umgeben sein wird ... Man sieht an den Worten den Wandel der Anschauungen über die Ehe. Das individualistische Zeitalter betrachtete sie und konnte sie nur betrachten als Vertrag zweier Individuen, in deren Belieben gestellt! Der Bolschewismus, als Ende individualistischer Entwicklung, hat diese furchtbaren Anschauungen über die Ehe radikal durchgeführt. Heute nach einem halben Menschenalter sieht er die Folgen für die Gemeinschaft und sucht jenen Radikalismus zu korrigieren. Eine völkische Bewegung kann nicht anders, als von ihrem Prinzip aus die Ehe als ‚Urzelle der völkischen Gemeinschaft‘ betrachten und behandeln. Sie nähert sich damit wieder der christlichen Anschauung. Darüber hinaus ist die Ehe für den Christen ein Sakrament; das heiligt, sichert und stärkt ihr Fundament natürlich weit über die natürlichen Anschauungen von der Ehe hinaus.11

Ebenso wurde auch die Sozialunterstützung kinderreicher Familien befürwortet; hier am Beispiel Berlins:

Die Ehrenpatenschaften, die am Geburtstag des Kanzlers, am 20. April, feierlich verliehen werden, sind für die dritten und vierten Kinder jeder Ehe vorgesehen, die nachweislich aus Familien stammen, die den erbbiologischen Anforderungen entsprechen … Die Reichshauptstadt tritt erfreulicherweise an die Spitze dieser aufbauenden Bevölkerungspolitik, die Stadt Berlin, in der seit dem Jahr 1922 die Zahl Sterbefälle größer ist als die der Geburten ...12

Eugenische Maßnahmen wurden unterstützt, soweit sie auf freiwillige oder erzwungene Sterilisation und Tötung Erbkranker verzichteten.13 Andererseits wehrte man sich gegen Vorstellungen, "die in der Ehe nichts anderes als eine geschlechtliche Verbindung im Auftrage des Volkes und Staates erblicken."14 Aus demselben Grund verurteilte die Kirche später auch die nationalsozialistischen Menschenzüchtungsversuche,15 in denen das Sexualverhalten des Menschen lediglich durch Körpergröße, Haar- und Augenfarbe bestimmt wurde. Trotz solcher Einschränkungen und Bedenken hatte die katholische Kirche keinen Grund, die nationalsozialistische Familienpolitik generell zu bekämpfen; denn einerseits vertraute sie auf ihren scheinbar durch das 1933 abgeschlossene Konkordat gesicherten religiösen und moralischen Einfluß, andererseits war der Nationalsozialismus als Machtfaktor die einzige Alternative zu der von der katholischen Kirche abgelehnten Familienpolitik von Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus.

Wenn auch die Kritik der katholischen Kirche an manchen familienpolitischen Punkten wie zum Beispiel der Euthanasie positiv zu bewerten ist, so darf dabei nicht übersehen werden, daß Zwangssterilisation, Euthanasie und Menschenzüchtung ebenso wie die katholische Propaganda gegen Mischehen, gegen Ehescheidungserleichterungen und für ein gesetzliches Abtreibungsverbot nur zwei Seiten derselben Grundhaltung sind. Jedesmal handelt es sich um unbegründete Eingriffe des Staates oder der katholischen Kirche in menschliche Einzelpersönlichkeiten, da diese, beim Verzicht des Erbkranken auf Sterilisation oder beim Beharren einer Frau auf Abtreibung ihres Kindes keine akute Bedrohung für die Allgemeinheit darstellen. Ebenso falsch für einen modernen Industriestaat sind die katholischen und nationalsozialistischen Vorstellungen, daß Bevölkerungsgröße, Erbgesundheit und Familie für das Wohlergehen eines Landes hauptursächlich seien. Ausreichende Qualifikation, Technik und Rohstoffbesitz sind heute für die militärische oder wirtschaftliche Stärke viel wichtiger. Die Familie kann gerade den Jugendlichen nicht mehr die nötige fachliche Qualifikation und Erziehung zu demokratischer Mündigkeit geben; diese Aufgaben sind längst von staatlichen Schulen und Erziehungseinrichtungen übernommen worden.

Die Lehren der katholischen Kirche und des Nationalsozialismus über Bevölkerungsgröße und Familie sind also für die heutige Zeit unbrauchbar. Ihre Methoden der Familienpolitik sind totalitär, da sie, sobald sie eine Möglichkeit zur politischen Durchsetzung ihrer Lehren haben, durch staatlichen Zwang und unbegründet wie bei der Zwangssterilisation oder dem staatlichen Abtreibungsverbot die freie Entfaltung der Persönlichkeit einschränken.

Staatslexikon. Bd.1. Freiburg Herder 5. Aufl. 1926. Stichw. "Ehe- und Eherecht", Sp. 1540ff.↩

K 15. Sept. 1929, S. 474.↩

Böckenförde a.a.O. 1960/61, S. 232.↩

Vgl. K 20. Jan. 1929, S. 28.↩

Vgl. K 17. Nov. 1929, S. 583.↩

K 7. Juli 1929, S. 331.↩

Vgl. Hirtenbrief des Erzbischofs Carl Fritz von Freiburg zum Katholikentag 1929. K 25. Aug. 1929, S. 414.↩

K 15. April 1934, S. 282.↩

K 10. Nov. 1929, S. 567.↩

Vgl. K 18. Jan. 1931, S. 27.↩

K 17. Nov. 1935, S. 963.↩

K 15. April 1934, S. 282.↩

Vgl. Mahnruf Erzbischof Gröbers. A 15. Jan. 1934, S. 157.↩

Hirtenbrief Gröbers. A 5. Jan. 1935, S. 306.↩

Hirtenbrief Gröbers. A 30. Okt. 1942, S. 135.↩

2. Sexualpolitik

Die Sexualpolitik der katholischen Kirche hängt eng zusammen mit ihren Lehren über Familie und Ehe. Die Ehe ist ein Sakrament. Ihr Hauptzweck ist die Fortpflanzung. Fortpflanzung außerhalb katholischer Ehen gilt als Sünde, ebenso jegliche Sexualität, die sich innerhalb und außerhalb der Ehe auf bloße Triebbefriedigung und Erotik beschränkt, also nicht die Fortpflanzung zum Zweck hat.1 Die Wichtigkeit dieser Lehren für die katholische Kirche läßt sich daran zeigen, daß noch in den zwanziger Jahren ein unehelich geborenes Kind kein katholischer Priester werden durfte.2

Tendenzen zur Abwehr und sogar Unterdrückung der Sexualität haben in der katholischen Kirche eine lange und tief verwurzelte Tradition. Auch in den zwanziger und dreißiger Jahren versuchte sie, durch päpstliche Enzykliken, bischöflische Hirtenbriefe, in ihren Wochenblättern und durch bestimmte Vereine, z. B. den "Volkswartbund für das katholische Deutschland", ihre Lehren zur Sexualität politisch durchzusetzen. Wie in anderen Bereichen behauptete sie auch hier die angeblichen Vorteile einer repressiven Sexualpolitik für das Wohl des Staates. Das St. Konradsblatt entrüstete sich 1929 über die Aktivitäten eines Schaustellers:

'Berlin ohne Hemd', so lautete der Lockruf eines Budenbesitzers; hunderte von jungen Menschen sind diesem Teufelsruf gefolgt ... Das alles mit Duldung der Polizeibehörde. Wie wenig hat man doch bis jetzt die Mahnrufe der deutschen Bischöfe von 1925 auf der Fuldaer Bischofskonferenz befolgt. Nicht nur Männer und Jünglinge, sondern auch ein großer Prozentsatz des weiblichen Geschlechtes zählte zu den Zuschauern ... O armes Geschlecht, ohne Sitte, ohne Grundsätze, ohne Keuschheit. Wahrhaftig du erinnerst uns an das stolze Römerreich, das auch deine Wege ging und daher auch zugrunde ging.3

Die katholischen Vertreter prangerten, oft unter Ausdruck ihres eigenen Ekels vor der Sexualität, zu viel Haut zeigende Kleidung,4 Nacktbaden, Nacktdarstellungen, Freikörperkultur, Homosexualität, erotische Literatur und Filme sowie Gemeinschaftserziehung oder auch -baden an. So empörte sich ein Autor im St. Konradsblatt über den Film "Der blaue Engel", der 1930 wegen seiner Publikumswirksamkeit in vielen Kinos zu sehen war:

Ich saß ernst und starr vor dieser Leinwand, welche Bilder darauf zauberte, die ekelerregend waren … Heute noch klingt mit das Schlußlied in den Ohren, das übrigens auf Schallplatten allüberall schon zu hören ist, in dessen Refrain es heißt: 'Bin nur auf Liebe eingestellt.' - Ja, das nennt die Welt Liebe, wenn sie ihrem Körper huldigt und alles gewährt, was seine Sinne fordern.5

Von den Katholiken geforderte Zensur--. und Gegenmaßnahmen stießen bei den aufgeklärt oder materialistisch denkenden Liberalen, Sozialisten und Kommunisten auf Ablehnung, zumal es sich bei solchen Maßnahmen um einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Einzelnen und deshalb um eine totalitäre Durchsetzung katholischer Wertmaßstäbe bei Andersdenkenden handeln würde.

Ein erster Wandel in der staatlichen Sexualpolitik trat im August 1932 unter der Papen-Regierung ein, die Nacktbaden, Nacktdarstellungen und sozialistische Freikörperkulturschulen verbot.6 Nach dem Ermächtigungsgesetz 1933 führten die Nationalsozialisten diese Politik verstärkt fort. Die katholische Kirche und der Vatikan reagierten positiv darauf:

Die scharfen Maßnahmen, die der preußische Innenminister Göring gegen Schund und Schmutz in Wort und Bild erlassen hat, sowie das Schreiben des bayerischen Innenministers über die religiöse und nationale Einstellung der Lehrerschaft an den bayerischen Schulen haben in vatikanischen Kreisen starke Beachtung gefunden. Man erinnert daran, daß Pius XI zu wiederholten Malen und mit äußerstem Nachdruck in seinen letzten Enzykliken die grundsätzliche Bedeutung des Abwehrkampfes gegen Schmutz und Schund für die körperliche und geistige Gesundheit von Familie und Volk betont hat und begrüßt aufs lebhafteste die Art und Weise, wie entschlossen und zielbewußt im neuen Deutschland dieser Kampf aufgenommen wird. Das offizielle Organ 'Osservatore Romano', hat die grundsätzliche Bedeutung und Anerkennung der Maßnahmen und Anweisungen, die in Preußen und Bayern erlassen wurden, zum Ausdruck gebracht.7

Das Freiburger erzbischöfliche Ordinariat forderte die Geistlichen auf, die Behörden in ihren Maßnahmen zu unterstützen;8 der "Volkswartbund" rief sogar zu einem Boykott bestimmter Geschäfte auf:

Unterstützt diese löblichen Bestrebungen der Regierung, kauft vor allem bei denjenigen Geschäftsleuten, die bereits vorher, als noch jeder Schmutz und Schund erlaubt war, auf anreißerische Reklame verzichtet haben.9

Anläßlich neuer Erfolgsmeldungen im Kampf gegen "Schmutz und Schund" empfahl sich der "Volkswartbund" noch 1935 den Behörden wegen seiner "reichen Erfahrungen bei allen Bestrebungen zur Bekämpfung von Mißständen auf dem Gebiete der öffentlichen Sittlichkeit".10

Wollten die Nationalsozialisten durch ihre Sexualgesetzgebung wirklich eine allgemeine Disziplinierung und "sittliche Erneuerung des Volkes" erreichen, so wie es sich die katholische Kirche vorstellte? Die tatsächliche sexuelle Freizügigkeit im Dritten Reich, z.B. in den Unterhaltungsfilmen, läßt eher das Gegenteil vermuten. Wahrscheinlicher ist es, daß der Nationalsozialismus die sexuelle Prüderie breiter Kreise in der deutschen Bevölkerung als Mittel politischer Taktik benutzte. Sowohl in den Sittlichkeitsprozessen gegen Geistliche als auch beim "Röhm-Putsch" und in der Blomberg-Fritsch-Krise diente der Vorwurf der Homosexualität dem Angriff auf politisch lästige Gegner. Umgekehrt könnte die umfangreiche Sexualgesetzgebung zur Prostitution, Homosexualität, Literatur usw.11 im April 1933 den Zweck gehabt haben, sich die Zustimmung breiter katholischer Kreise zum Nationalsozialismus zu erkaufen, wie man es ja auch im Juli 1933 mit dem Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kirche beabsichtigte.

Sicher ist jedenfalls, daß der Nationalsozialismus der katholischen Kirche eine Durchsetzungsmöglichkeit ihrer Sexuallehren bot, wie sie in der freiheitlichen Weimarer Republik wahrscheinlich niemals möglich gewesen wäre.

Staatslexikon Bd. 1 a.a.O. Stichwort "Ehe- und Eherecht", Sp. 1540ff.↩

Staatslexikon Bd. 5 Freiburg Herder. 5. Aufl. 1932, Stichwort "Uneheliche Kinder", Sp. 500f.↩

K 27. Okt. 1929, S. 545.↩

Vgl. K 27. Okt. 1929, S. 547.↩

K 28. Sept. 1930, S. 540.↩

K 28. Aug. 1932, S. 524.↩

K 16. April 1933, S. 246.↩

A 19. Mai 1933, S. 66f.↩

K 7. Mai 1933, S. 275.↩

A 8. Juni 1935, S. 387f.↩

K 30. April 1933, S. 271.↩

3. Erziehung und Schule

Die katholische Kirche leitet aus einer seit dem Mittelalter bestehenden Tradition katholischer Schulerziehung ihr "historisches" und aus ihrem "kirchlichen Lehramt" ihr "göttliches" Recht auf die Schule ab,1 dies besonders in allen religiösen und sittlich-weltlichen Angelegenheiten. Der kirchliche Einfluß auf das Schulwesen wurde in Deutschland erstmals während des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert gebrochen, als im Reich die kirchliche Schulaufsicht durch eine staatliche ersetzt wurde.2 Staatliche Versuche während des Kulturkampfes, die Konfessionsschulen durch Simultanschulen zu ersetzen, stießen auf heftigsten Protest der katholischen Kirche. Denn sie sieht eine katholische Erziehung nur in Konfessionsschulen gewährleistet. Um ihr Recht auf die Konfessionsschulen auch gegenüber dem Staat und demokratischen Mehrheiten verteidigen zu können, beruft sie sich gern auf ein 'Naturrecht" der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder, welches im konkreten Einzelfall das Recht der Eltern auf katholische Konfessionsschulen und auf katholischen Religionsunterricht mit einschließt. Typisch ist die Äußerung Erzbischof Gröbers aus einem Hirtenbrief zum katholischen Schulsonntag 1933, in dem er sich gegen "Staatsmonopol und staatliche Zwangsschule" wehrte: "Die Eltern haben ein Naturrecht, zu verlangen, daß ihre Kinder katholisch erzogen werden. Die Kirche hat ein gottgegebenes Recht auf den Religionsunterricht und auf die religiös-sittliche Erziehung der Jugend."3

1906 kam es in Preußen und teilweise im ganzen Reich zu einer weitgehenden Durchsetzung katholischer Interessen, da die Bekenntnisschule zur Regelschule erklärt wurde, aber die Simultanschule in Einzelfällen dennoch erlaubt war.4

In der Weimarer Republik gab es zum Leid der katholischen Kirche keine einheitliche Reichsschulgesetzgebung. Dennoch war der katholische Religionsunterricht in allen Ländern gesichert. Während Baden, Hessen und Hessen-Nassau Simultanschulen hatten, war in Preußen, Bayern und Württemberg die Konfessionsschule gesetzlich garantiert.5 Das katholische Interesse an der Einführung der Konfessionsschule durch allgemeinverbindliche Reichsgesetze scheiterte am Widerstand der Sozialdemokratie.6

Die Schulpolitik der Nationalsozialisten hatte weniger eine sachliche als eine ideologische Funktion. Ihr ging es um eine Entchristlichung und gleichzeitige Nazifizierung Deutschlands. Bis 1931 wurde die Gemeinschaftsschule in Deutschland allgemein durchgesetzt. Der durch Versprechen Hitlers und durch das Konkordat gesicherte katholische Religionsunterricht in der Schule wurde durch taktische Maßnahmen immer mehr eingeschränkt.7 1941 wurden alle Klosterschulen im Reich geschlossen. Erzbischof Gröber wehrte sich in einem Hirtenbrief:

Was die christlichen Schulen aber betrifft, so folgern wir unseren Rechtsgrund dafür aus dem göttlichen Lehrauftrag unseres Herrn und dem religiösen Herkommen unseres Volkes. Sie entsprechen dem eindeutigen Willen zahlloser, katholischer Eltern und den gesetzlichen Bestimmungen und Bürgschaften, die, wenn auch da und dort ohne stichhaltigen Grund bestritten, bis auf den heutigen Tag noch bestehen. Nachdem diese Kanäle katholischer Lehre und christlichen Lebens mancherorts nun zugeworfen oder verstopft sind, erleidet die bisherige klösterliche ohne Ausnahme deutschstämmige Lehrer- und Erzieherschaft ein schmerzliches, unerwartetes Schicksal…8

Dieser seit 1934 von den Bischöfen oft so genannte 'Kulturkampf" schloß für das Bewußtsein der Betreffenden eine generelle Übereinstimmung zwischen Katholiken und nationalsozialistischer Gesamtpolitik nicht aus.

---ENDE DER LESEPROBE---