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Zum 70. Jahrestag der Verurteilung und Hinrichtung der Mitglieder der Weißen Rose - Mit wichtigen historischen Dokumenten u. a. die Vernehmnungsprotokolle Die Weiße Rose ist neben dem Widerstandskreis um Graf Stauffenberg heute eine der bekanntesten Widerstandsgruppen im Dritten Reich. Kern der Münchner Hitlergegner waren Hans Scholl, Alexander Schmorell, Sophie Scholl, Christoph Probst, Willi Graf und Professor Kurt Huber. Zwischen 1942 und 1943 verbreitete die Gruppe sechs Flugblätter, in denen sie zum Widerstand gegen das NS-Regime aufrief. Ihren Mut und ihre Entschlossenheit, sich gegen die Nazi-Diktatur zur Wehr zu setzen, bezahlten die sechs und ein weiterer Unterstützer, der Student Hans Leipelt, mit dem Leben. In diesem Band werden zum ersten Mal die zentralen Dokumente zur »Weißen Rose« kommentiert und historisch eingeordnet wiedergegeben. Die Geschichte des Münchner Widerstandskreises wird vor dem historischen Hintergrund des Krieges dargestellt und die wichtigsten Akteure werden biographisch porträtiert. Eindrucksvoll werden die dramatische letzte Aktion der Hitlergegner im Lichthof der Münchner Universität, die Verhöre der Gestapo und die Verhandlungen vor dem »Volksgerichtshof« sowie die Verbreitung des »Manifests der Münchner Studenten« auch noch nach deren Tod durch die Alliierten geschildert. Dieser Band enthält: - Die Flugblätter der Weißen Rose und - die Geschichte der Weißen Rose mit Biografien und Fotos ihrer Mitglieder, - die zentralen Dokumente zur Weißen Rose, u. a. die Vernehmungsprotokolle, - sowie eine kommentierte Auswahlbibliographie. "Ich würde es genauso wieder machen." Sophie Scholl
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Seitenzahl: 621
Veröffentlichungsjahr: 2013
Ulrich Chaussy | Gerd R. Ueberschär
»Es lebe die Freiheit!«
Die Geschichte der Weißen Rose und ihrer Mitglieder in Dokumenten und Berichten
Fischer e-books
von Gerd R. Ueberschär
»Es lebe die Freiheit«. Dies waren die letzten Worte von Hans Scholl, als er vor 70 Jahren am 22. Februar 1943 im Gefängnis München-Stadelheim nach einem Todesurteil des »Volksgerichtshofes« hingerichtet worden ist, weil er zusammen mit seiner Schwester Sophie Scholl sowie mit Alexander Schmorell und Christoph Probst und anderen Gegnern des NS-Regimes zum Widerstand gegen Hitlers Herrschaft aufgerufen hatte. Dass insbesondere die Forderung nach Freiheit das große Ziel des Münchner Widerstandskreises war, hat Eugen Grimminger, der die Gruppe damals finanziell unterstützte, überliefert: Es war mit seinen Worten der »Kampf um Gedankenfreiheit, freie Meinungsäußerung, Freiheit der Lebensgestaltung, Toleranz und Wahrung der Menschenrechte«,[1] der die Grundlage ihres Widerstandes gegen das NS-Regime bildete.
Im Februar 1943 befand sich das Dritte Reich seit dreieinhalb Jahren im Krieg gegen eine Übermacht von Feinden. Die Verluste und Schäden machten sich immer deutlicher auch im Alltag der Bevölkerung bemerkbar. Um diesen selbst begonnenen Krieg jedoch unerbittlich führen zu können, waren von der NS-Führung grausame Verbrechen angeordnet und durchgeführt sowie eine totalitäre Herrschaft eingerichtet worden. Der Widerstand des Kreises Weiße Rose um Hans Scholl und Alexander Schmorell richtete sich im Sommer 1942, als die ersten vier Flugblätter verteilt wurden, gegen diese diktatorische Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Ihr Aufbegehren gegen das NS-Regime war – wie manche andere Opposition gegen Hitlers Herrschaft – nur punktuell sowohl in der Verbreitung als auch im Sympathisanten- und Teilnehmerkreis, aber zugleich fundamental und für das Regime gefährlich. Denn es befand sich gerade vom Sommer 1942 bis zum Februar 1943 mit dem militärischen Kampf um Stalingrad und der letztlich schweren Niederlage in der Wolgastadt in einer militärischen Krisensituation an der Ostfront, die auch die Kriegsbereitschaft in der Heimat tangierte. Am 3. Februar 1943 hatten die Reste einer ganzen deutschen Armee, der 6. Armee mit ursprünglich fast 300000 Soldaten unter Generalfeldmarschall Paulus, in Stalingrad kapitulieren müssen, nachdem sie Wochen zuvor von der Roten Armee von der deutschen Front abgeschnitten und an der Wolga eingekesselt worden war. Die immensen Verluste im Kampf um Stalingrad waren für den Widerstandskreis um die Geschwister Scholl und Alexander Schmorell ein zusätzlicher Anstoß, die deutsche Bevölkerung im Januar und Februar 1943 erneut zum Widerstand gegen Hitler und sein Regime aufzurufen. Neuere Untersuchungen zur Weißen Rose – wie von Detlef Bald in 2003 – betonen, dass die militärischen Erlebnisse und Erfahrungen im Rahmen von Einsätzen der Medizinstudenten als Sanitätsdienst-Unteroffiziere an der Ostfront vom Juli 1942 bis November 1942 motivierend für ihren Widerstand gegen das NS-Regime wirkten; auch wenn sie im Bereich der mittleren Ostfront und nicht im südlichen Abschnitt bei Stalingrad erfolgten. Sie hinterließen zweifellos bleibende und desillusionierende Eindrücke.[2] Diese Einschätzung und Bewertung der Kriegserlebnisse als besonderer Anstoß für den weiteren Widerstand führten allerdings auch zu kontroverser Forschungsdiskussion.[3] Die besondere Wirkung der Kriegserfahrungen an der Ostfront im Sommer und Herbst 1942 für die Widerstandsaktionen der Weißen Rose wurde dann von Detlef Bald bei der Herausgabe seiner Studie als Taschenbuch im Jahr 2004 erneut überzeugend dargestellt.[4]
Auch wenn nur 80 bis 100 Personen von den NS-Stellen bei deren Ermittlungen gegen den Widerstandskreis der Weißen Rose einbezogen wurden und dessen Flugblätter insgesamt nur eine Auflage von ca. 15000 Stück umfassten, so war die Widerstandsaktion zu dieser Zeit für das Regime in besonderem Maße gefährlich. Die ersten Flugblätter erschienen als anti-nationalsozialistische Protestaktion gegen das Regime im Sommer 1942, als das Regime eine neue Offensive im Süden der Ostfront unternahm, um die Kriegsinitiative nach dem vergeblichen Kampf um Moskau zurückzugewinnen, und ihre Verfasser konnten über mehrere Monate hinweg bis Mitte Februar 1943 weder entdeckt noch ihre Aktionen verhindert werden. Als der Widerstandskreis im Februar 1943 durch Zufall aufgedeckt worden war, wurden die verhafteten Mitglieder der Weißen Rose mit großer Härte verurteilt und in beschleunigtem Verfahren hingerichtet.
Bis heute ist die Münchner Studenten- und Jugendgruppe Weiße Rose um die Geschwister Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf und Christoph Probst neben den Gruppen um den 20. Juli 1944 der wohl bekannteste Widerstandskreis gegen Hitler und sein Regime innerhalb Deutschlands. Die Verteilung der Flugblätter der Weißen Rose und die aufgemalten Wandparolen mit anti-nationalsozialistischen Inhalten und Aufrufen an verschiedenen Gebäuden in München waren ein für die Öffentlichkeit deutlich sichtbares Zeichen und Symbol eines anderen, besseren Deutschland als das Dritte Reich der Nationalsozialisten.
Über die Grenzen Deutschlands hinaus werden die Protestaktionen der Weißen Rose gegen die NS-Herrschaft seit dem Erscheinen der ersten Monographie von Inge Scholl 1952,[5] der Schwester von Hans und Sophie Scholl, mit dem Abdruck der sechs Flugblätter und anderen Publikationen zum deutschen Widerstand in den 50er und 60er Jahren bis heute in besonderem Maße gewürdigt. So ist ihrer Forderung und ihrem Streben nach Freiheit beispielhaft in der »Hall of Freedom« im Eispalast auf dem Jungfraugipfel in der Schweiz eine besondere Gedenkstätte gewidmet. Ebenso große Aufmerksamkeit erzielte die von der Weiße Rose-Stiftung in München konzipierte Wanderausstellung über die Geschichte des Widerstandskreises um Hans Scholl und Alexander Schmorell. Seit 1990 ist sie erfolgreich in über 340 Ausstellungsorten und 17 Ländern Europas sowie auch in den USA, Australien und Südafrika präsentiert worden. Zudem wurde sie von 1999 bis 2004 in Zusammenarbeit mit der Orenburger Stiftung »Eurasia« in 16 Städten Russlands bis weit nach Sibirien hinein mit großem Interesse und Echo gezeigt. Darüber hinaus wurde in Orenburg, dem russischen Geburtsort von Alexander Schmorell im Südural, im September 2004 eine dauerhafte Gedenkstätte »Die Weiße Rose« eröffnet.
Die weltweite Anerkennung der Widerstandsgruppe Weiße Rose sollte allerdings nicht zu der Annahme führen, deren Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei von Anfang an vorhanden gewesen und ihre Mitglieder als »weiße, lupenreine« Helden auf einem Denkmal zu präsentieren. Denn, wie bei anderen Hitlergegnern – etwa aus dem Kreis des 20. Juli 1944 um Graf von Stauffenberg – auch, dokumentierten mittlerweile einige neue Studien, dass z.B. auch Hans und Sophie Scholl anfangs von der NS-Bewegung begeistert waren oder zumindest dabei mitmachen wollten, da der Nationalsozialismus ihren eigenen Vorstellungen eines nationalen Aufbruchs zu entsprechen schien. Die Nähe zu NS-Ideen änderte sich allerdings, als die NS-Rassen- und Kriegspolitik ab Kriegsbeginn im September 1939 immer rücksichtsloser und brutaler wurde. Die Studien zeigen, dass Brüche in ihrem Verhalten zum Nationalsozialismus vorlagen und keineswegs eine gradlinige Entwicklung hin zur späteren Widerstandshaltung.
Bis heute, 70 Jahre nach den Widerstandsaktionen, liegt eine große Zahl an Forschungsstudien und Publikationen über den Widerstandskreis der Weißen Rose vor.[6] Darunter sind auch einige Quelleneditionen mit Briefen und Tagebücher. Viele Jahre war die Quellenlage nicht günstig. Dies änderte sich erst nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in der UdSSR und DDR in den 90er Jahren.[7] Während die Texte der Flugblätter der Weißen Rose schon länger bekannt waren, wurden die verschiedenen Vernehmungsprotokolle und andere Unterlagen der NS-Ermittlungsstellen erst 1989/90 zugänglich. Auf einigen Umwegen sind sie mittlerweile in Berlin gelandet, wo sie nun im Bundesarchiv aufbewahrt werden, so dass sich die Forschung über die Geschichte der Weißen Rose auf die überlieferten Verhörprotokolle und weitere Ermittlungsunterlagen der Gestapo als besondere primäre Quellenstücke stützen kann. Bis dorthin war es ein langer Weg.
Die von der Gestapo nach Verhaftung der Mitglieder der Weißen Rose angefertigten Vernehmungsprotokolle hatten den Zweiten Weltkrieg und die Wirren des Kriegsendes überstanden. Sie fielen als Teil der Akten des Volksgerichtshofes, die bei Kriegsende 1945 in Potsdam lagen, in die Hände der Roten Armee und wurden anschließend nach Moskau transportiert. Dort kamen die Verhörprotokolle mit anderen erbeuteten deutschen Akten im Sonderarchiv unter Verschluss. Einige Jahre nach Gründung der DDR wurden sie an die DDR übergeben – außer jenen Unterlagen, die den 1917 im russischen Orenburg geborenen Alexander Schmorell betrafen. Danach gelangten sie zum Teil in das Zentrale Parteiarchiv (ZPA) des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED und teilweise in das Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Dort blieben sie weitgehend unter Verschluss. Zuletzt befanden sich die Akten sowohl im zentralen Staatsarchiv der DDR als auch im ausgelagerten MfS-Archiv in Dahlwitz-Hoppegarten. Nach dem Ende des ostdeutschen Staates kamen sie 1990 in den übernommenen Bestand des Bundesarchivs Berlin und wurden endlich auch der wissenschaftlichen Forschung als Quelle zur Einsichtnahme und Auswertung frei zugänglich gemacht.
Möglicherweise wollte die SED-Führung in Ostberlin durch die Zurückhaltung der Dokumente umfängliche Studien und größere Publikationen zur Geschichte der Weißen Rose vermeiden, da sie die vielgepriesene Besonderheit und »herausragende Stellung« des kommunistischen Widerstandes relativiert hätten. Im Parteiarchiv standen die Protokolle viele Jahre nur einigen DDR-Historikern zur Verfügung[8] oder wurden nur nach parteipolitischer Hilfe und besonderer Genehmigung des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker westdeutschen Publizistinnen und Forschern über die Weiße Rose – wie z.B. Anneliese Knoop-Graf für ihre Edition der Briefe von Willi Graf im Jahre 1984 – zugänglich gemacht;[9] dadurch konnten sie auch bis dahin in zentralen Quelleneditionen zur Weißen Rose, die in der Bundesrepublik erschienen, nicht abgedruckt werden.[10]
Die Alexander Schmorell betreffenden Akten blieben allerdings überwiegend in Moskau, sie kamen ins Zentrum für die Aufbewahrung historischer Dokumentensammlungen (früher Sonderarchiv für erbeutetes Archivgut) und schließlich ins staatliche Militärarchiv Russlands (RGVA) in Moskau. Sie gehören damit zum Beutegut des Zweiten Weltkrieges, dessen Rückgabe durch Beschluss der russischen Duma nach wie vor verwehrt ist. Inzwischen liegt auf der Grundlage dieses Moskauer Aktenbestandes eine in Orenburg erschienene, sorgfältige deutsch-russische Publikation zu den Verhörprotokollen Alexander Schmorells vor.[11]
Nur ein kleiner Bestand der Akten des VGH – die Unterlagen des Oberreichsanwaltes beim Volksgerichtshof und einige Handakten des 1. Senats – fiel 1945 der US-Armee in die Hände. Sie wurden in die Bestände des US-Berlin Document Center und des Bundesarchivs Koblenz aufgenommen. Beide Bestände wurden dann im Bundesarchiv Abteilung Potsdam zusammengeführt, um danach dem Bestand des Bundesarchivs Berlin mit den DDR-Archivalien zugeordnet zu werden.
Die seit 1990 neu zugänglichen Vernehmungsprotokolle der Gestapo sind – trotz ihrer Quellenproblematik – als wertvolle und aussagefähige Schriftstücke für die Motive, Ziele und Hintergründe der Mitglieder der Weißen Rose anzusehen. Sie gelten insgesamt als sehr ergiebige Quellen bezüglich Informationen und Fakten zur Geschichte der Weißen Rose und werden in der neueren Literatur seit 1990 mit ausgewertet.
Eine kritische Diskussion und ein negatives Echo erfuhren neuere Überlegungen in der Literatur, die den Verfassern der Flugblätter vorhielten, sie hätten den im NS-Staat gesetzlich legitimierten Antisemitismus »hingenommen« und grundsätzlich keine Kritik am Antisemitismus des NS-Regimes entwickelt.[12] Auch wenn dabei ein möglicher Antijudaismus bzw. Antisemitismus beim Kreis der Weißen Rose als »Kind seiner Zeit« interpretiert wird, so ist die im zweiten Flugblatt von Alexander Schmorell verfasste Anklage gegen den Nationalsozialismus wegen der bestialischen Ermordung von 300000 Juden im eroberten Polen nach dem September 1939 eine der nicht zu übersehenden, eindrücklichsten Vorhaltungen der NS-Gewaltverbrechen. Mit großer Schärfe wurden diese Gewalttaten als »das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen« bezeichnet. Es war nach den Worten von Hans Scholl und Alexander Schmorell »ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschengeschichte an die Seite stellen kann«. Ebenso ablehnend wurden auch Hinweise bewertet, wonach die Geschwister Scholl möglicherweise unter Einfluss von Betäubungsmitteln standen, als sie die Flugblätter übermütig oder realitätsfern im Lichthof der Universität München verstreuten.[13]
Die Vernehmungsprotokolle der Gestapo waren dann Inspiration und Basis für den von Fred Breinersdorfer und Marc Rothermund im Jahr 2004 produzierten Film »Sophie Scholl – Die letzten Tage«, der – nicht zuletzt durch seine Oscar-Nominierung in den USA – mit großem Erfolg gezeigt und überaus positiv aufgenommen wurde.
Ebenso erfolgreich war der von Fred Breinersdorfer zum Film herausgegebene Begleitband mit der Wiedergabe des Drehbuchs. Er erschien bis 2005 in fünf Auflagen und wurde in zwei Bänden auch ins Japanische übersetzt und in Japan herausgegeben.[14]
Auch für den vorliegenden Band sind die überlieferten Vernehmungsprotokolle und der Abdruck weiterer historischer Archivalien aus dem von der Roten Armee 1945 erbeuteten Aktenbestand des Volksgerichtshofes ein wichtiger und zentraler Teil der Dokumentation und Darstellung zur Geschichte der Weißen Rose. Ihr umfangreicher Abdruck soll es dem Leser ermöglichen, anhand dieser primären Quellenstücke Hintergründe und Motive im Denken und Handeln der Mitglieder des Widerstandskreises um Hans Scholl und Alexander Schmorell zu erkennen und zu bewerten.
Die Texte der sechs Flugblätter der Münchner Widerstandsgruppe Weiße Rose sind nachfolgend nur in geringem Umfange der neueren Rechtschreibung angepasst worden. Unterstreichungen und gesperrte Hervorhebungen in den Flugblättern wurden in kursiver Schrift gesetzt.
Zusätzlich abgedruckt ist der Flugblattentwurf von Christoph Probst, den er Ende Januar 1943 für Hans Scholl handschriftlich formuliert hat. Er wurde als Flugschrift jedoch nicht mehr hergestellt und verteilt. Der Text wurde bei Hans Scholl bei dessen Verhaftung gefunden. Scholl gelang es dabei nicht, ihn zu zerstören. Probst musste dann in der Haft den Text aus den zerrissenen Papierfetzen rekonstruieren.
Die Hinweise zur Anzahl der gedruckten Flugblätter, zum Verbreitungsgebiet, zur Verbreitungszeit und zu den Verfassern der Flugblätter folgen den Angaben in den Vernehmungsprotokollen der Betroffenen. Ebenso aufgenommen sind die beiden im Rahmen der Gestapo-Ermittlungsarbeit in Auftrag gegebenen textkritisch-wissenschaftlichen Gutachten des Münchner Professors Richard Harder, die dieser nach dem 17. Februar 1943 »geheim« für die Münchner Staatspolizeistelle zu erstellen hatte. Harder erkannte in seiner textkritischen Untersuchung nicht, dass mehrere Verfasser an der Formulierung der Flugblätter beteiligt waren.
Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ›regieren‹ zu lassen. Ist es nicht so, dass sich jeder ehrliche Deutsche heute seiner Regierung schämt, und wer von uns ahnt das Ausmaß der Schmach, die über uns und unsere Kinder kommen wird, wenn einst der Schleier von unseren Augen gefallen ist und die grauenvollsten und jegliches Maß unendlich überschreitenden Verbrechen ans Tageslicht treten? Wenn das deutsche Volk schon so in seinem tiefsten Wesen korrumpiert und zerfallen ist, dass es, ohne eine Hand zu regen, im leichtsinnigen Vertrauen auf eine fragwürdige Gesetzmäßigkeit der Geschichte das Höchste, das ein Mensch besitzt und das ihn über jede andere Kreatur erhöht, nämlich den freien Willen, preisgibt, die Freiheit des Menschen preisgibt, selbst mit einzugreifen in das Rad der Geschichte und es seiner vernünftigen Entscheidung unterzuordnen – wenn die Deutschen, so jeder Individualität bar, schon so sehr zur geistlosen und feigen Masse geworden sind, dann, ja dann verdienen sie den Untergang.
Goethe spricht von den Deutschen als einem tragischen Volke, gleich dem der Juden und Griechen, aber heute hat es eher den Anschein, als sei es eine seichte, willenlose Herde von Mitläufern, denen das Mark aus dem Innersten gesogen und die nun ihres Kerns beraubt, bereit sind, sich in den Untergang hetzen zu lassen. Es scheint so – aber es ist nicht so; vielmehr hat man in langsamer, trügerischer, systematischer Vergewaltigung jeden einzelnen in ein geistiges Gefängnis gesteckt, und erst als er darin gefesselt lag, wurde er sich des Verhängnisses bewußt. Wenige nur erkannten das drohende Verderben, und der Lohn für ihr heroisches Mahnen war der Tod. Über das Schicksal dieser Menschen wird noch zu reden sein.
Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, werden die Boten der rächenden Nemesis unaufhaltsam näher und näher rücken, dann wird auch das letzte Opfer sinnlos in den Rachen des unersättlichen Dämons geworfen sein. Daher muss jeder einzelne seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur bewußt in dieser letzten Stunde sich wehren, soviel er kann, arbeiten wider die Geißel der Menschheit, wider den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates. Leistet passiven Widerstand – Widerstand –, wo immer Ihr auch seid, verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine, ehe es zu spät ist, ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind, gleich Köln, und ehe die letzte Jugend des Volkes irgendwo für die Hybris eines Untermenschen verblutet ist. Vergeßt nicht, dass ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt!
Aus Friedrich Schiller, ›Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon‹:
»… Gegen seinen eigenen Zweck gehalten, ist die Gesetzgebung des Lykurgus ein Meisterstück der Staats- und Menschenkunde. Er wollte einen mächtigen, in sich selbst gegründeten, unzerstörbaren Staat; politische Stärke und Dauerhaftigkeit waren das Ziel, wonach er strebte, und dieses Ziel hat er so weit erreicht, als unter seinen Umständen möglich war. Aber hält man den Zweck, welchen Lykurgus sich vorsetzte, gegen den Zweck der Menschheit, so muss eine tiefe Mißbilligung an die Stelle der Bewunderung treten, die uns der erste flüchtige Blick abgewonnen hat. Alles darf dem Besten des Staats zum Opfer gebracht werden, nur dasjenige nicht, dem der Staat selbst nur als ein Mittel dient. Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer, als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung. Hindert eine Staatsverfassung, dass alle Kräfte, die im Menschen liegen, sich entwickeln; hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht und in ihrer Art noch so vollkommen sein. Ihre Dauerhaftigkeit selbst gereicht ihr alsdann viel mehr zum Vorwurf als zum Ruhme – sie ist dann nur ein verlängertes Übel; je länger sie Bestand hat, um so schädlicher ist sie.
… Auf Unkosten aller sittlichen Gefühle wurde das politische Verdienst errungen und die Fähigkeit dazu ausgebildet. In Sparta gab es keine eheliche Liebe, keine Mutterliebe, keine kindliche Liebe, keine Freundschaft – es gab nichts als Bürger, nichts als bürgerliche Tugend.
… Ein Staatsgesetz machte den Spartanern die Unmenschlichkeit gegen ihre Sklaven zur Pflicht; in diesen unglücklichen Schlachtopfern wurde die Menschheit beschimpft und mißhandelt. In dem spartanischen Gesetzbuche selbst wurde der gefährliche Grundsatz gepredigt, Menschen als Mittel und nicht als Zwecke zu betrachten – dadurch wurden die Grundfesten des Naturrechts und der Sittlichkeit gesetzmäßig eingerissen.
… Welch schöneres Schauspiel gibt der rauhe Krieger Gaius Marcius in seinem Lager vor Rom, der Rache und Sieg aufopfert, weil er die Tränen der Mutter nicht fließen sehen kann!
… Der Staat (des Lykurgus) könnte nur unter der einzigen Bedingung fortdauern, wenn der Geist des Volks stillstünde; er könnte sich also nur dadurch erhalten, dass er den höchsten und einzigen Zweck eines Staates verfehlte.«
Aus Goethes ›Des Epimenides Erwachen‹, zweiter Aufzug, vierter Auftritt:
»Genien
…
Doch was dem Abgrund kühn entstiegen,
Kann durch ein ehernes Geschick
Den halben Weltkreis übersiegen,
Zum Abgrund muss es doch zurück.
Schon droht ein ungeheures Bangen,
Vergebens wird er widerstehn!
Und alle, die noch an ihm hangen,
Sie müssen mit zu Grunde gehn.
Hoffnung
Nun begegn’ ich meinen Braven,
Die sich in der Nacht versammelt,
Um zu schweigen, nicht zu schlafen,
Und das schöne Wort der Freiheit
Wird gelispelt und gestammelt,
Bis in ungewohnter Neuheit
Wir an unsrer Tempel Stufen
Wieder neu entzückt es rufen:
(Mit Überzeugung laut:)
Freiheit!
(gemäßigter)
Freiheit!
(von allen Seiten und Enden Echo)
Freiheit!«
Wir bitten Sie, dieses Blatt mit möglichst vielen Durchschlägen abzuschreiben und weiterzuverteilen!
Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare: ca. 100 Stück Verbreitungsgebiet: per Post im Raum München verschickt
Zeit der Verbreitung: 27.6. – 12. 7. 1942
Verfasser des Flugblattes: Hans Scholl, Alexander Schmorell
Man kann sich mit dem Nationalsozialismus geistig nicht auseinandersetzen, weil er ungeistig ist. Es ist falsch, wenn man von einer nationalsozialistischen Weltanschauung spricht, denn wenn es diese gäbe, müsste man versuchen, sie mit geistigen Mitteln zu beweisen oder zu bekämpfen – die Wirklichkeit aber bietet uns ein völlig anderes Bild: schon in ihrem ersten Keim war diese Bewegung auf den Betrug des Mitmenschen angewiesen, schon damals war sie im Innersten verfault und konnte sich nur durch die stete Lüge retten. Schreibt doch Hitler selbst in einer frühen Auflage ›seines‹ Buches (ein Buch, das in dem übelsten Deutsch geschrieben worden ist, das ich je gelesen habe; dennoch ist es von dem Volke der Dichter und Denker zur Bibel erhoben worden): »Man glaubt nicht, wie man ein Volk betrügen muss, um es zu regieren.« Wenn sich nun am Anfang dieses Krebsgeschwür des deutschen Volkes noch nicht allzusehr bemerkbar gemacht hatte, so nur deshalb, weil noch gute Kräfte genug am Werk waren, es zurückzuhalten. Wie es aber größer und größer wurde und schließlich mittels einer letzten gemeinen Korruption zur Macht kam, das Geschwür gleichsam aufbrach und den ganzen Körper besudelte, versteckte sich die Mehrzahl der früheren Gegner, flüchtete die deutsche Intelligenz in ein Kellerloch, um dort als Nachtschattengewächs, dem Licht und der Sonne verborgen, allmählich zu ersticken. Jetzt stehen wir vor dem Ende. Jetzt kommt es darauf an, sich gegenseitig wiederzufinden, aufzuklären von Mensch zu Mensch, immer daran zu denken und sich keine Ruhe zu geben, bis auch der Letzte von der äußersten Notwendigkeit seines Kämpfens wider dieses System überzeugt ist. Wenn so eine Welle des Aufruhrs durch das Land geht, wenn ›es in der Luft liegt‹, wenn viele mitmachen, dann kann in einer letzten, gewaltigen Anstrengung dieses System abgeschüttelt werden. Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende.
Es ist uns nicht gegeben, ein endgültiges Urteil über den Sinn unserer Geschichte zu fällen. Aber wenn diese Katastrophe uns zum Heile dienen soll, so doch nur dadurch: durch das Leid gereinigt zu werden, aus der tiefsten Nacht heraus das Licht zu ersehnen, sich aufzuraffen und endlich mitzuhelfen, das Joch abzuschütteln, das die Welt bedrückt.
Nicht über die Judenfrage wollen wir in diesem Blatte schreiben, keine Verteidigungsrede verfassen – nein, nur als Beispiel wollen wir die Tatsache kurz anführen, die Tatsache, dass seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialischste Art ermordet worden sind. Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschengeschichte an die Seite stellen kann. Auch die Juden sind doch Menschen – man mag sich zur Judenfrage stellen wie man will –, und an Menschen wurde solches verübt. Vielleicht sagt jemand, die Juden hätten ein solches Schicksal verdient; diese Behauptung wäre eine ungeheure Anmaßung; aber angenommen, es sagte jemand dies, wie stellt er sich dann zu der Tatsache, dass die gesamte polnische adelige Jugend vernichtet worden ist (gebe Gott, dass sie es noch nicht ist!)? Auf welche Art, fragen Sie, ist solches geschehen? Alle männlichen Sprößlinge aus adeligen Geschlechtern zwischen 15 und 20 Jahren wurden in Konzentrationslager nach Deutschland zur Zwangsarbeit, alle Mädchen gleichen Alters nach Norwegen in die Bordelle der SS verschleppt! Wozu wir dies Ihnen alles erzählen, da Sie es schon selber wissen, wenn nicht diese, so andere gleich schwere Verbrechen des fürchterlichen Untermenschentums? Weil hier eine Frage berührt wird, die uns alle zutiefst angeht und allen zu denken geben muss. Warum verhält sich das deutsche Volk angesichts all dieser scheußlichsten menschenunwürdigsten Verbrechen so apathisch? Kaum irgend jemand macht sich Gedanken darüber. Die Tatsache wird als solche hingenommen und ad acta gelegt. Und wieder schläft das deutsche Volk in seinem stumpfen, blöden Schlaf weiter und gibt diesen faschistischen Verbrechern Mut und Gelegenheit, weiterzuwüten –, und diese tun es. Sollte dies ein Zeichen dafür sein, dass die Deutschen in ihren primitivsten menschlichen Gefühlen verroht sind, dass keine Saite in ihnen schrill aufschreit im Angesicht solcher Taten, dass sie in einen tödlichen Schlaf versunken sind, aus dem es kein Erwachen mehr gibt, nie, niemals? Es scheint so und ist es bestimmt, wenn der Deutsche nicht endlich aus dieser Dumpfheit auffährt; wenn er nicht protestiert, wo immer er nur kann, gegen diese Verbrecherclique, wenn er mit diesen Hunderttausenden von Opfern nicht mitleidet. Und nicht nur Mitleid muss er empfinden, nein, noch viel mehr: Mitschuld. Denn er gibt durch sein apathisches Verhalten diesen dunklen Menschen erst die Möglichkeit, so zu handeln, er leidet diese ›Regierung‹, die eine so unendliche Schuld auf sich geladen hat, ja, er ist doch selbst schuld daran, dass sie überhaupt entstehen konnte! Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann wieder mit ruhigstem, bestem Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig! Doch ist es noch nicht zu spät, diese abscheulichste aller Mißgeburten von Regierungen aus der Welt zu schaffen, um nicht noch mehr Schuld auf sich zu laden. Jetzt, da uns in den letzten Jahren die Augen vollkommen geöffnet worden sind, da wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, jetzt ist es allerhöchste Zeit, diese braune Horde auszurotten. Bis zum Ausbruch des Krieges war der größte Teil des deutschen Volkes geblendet, die Nationalsozialisten zeigten sich nicht in ihrer wahren Gestalt, doch jetzt, da man sie erkannt hat, muss es die einzige und höchste Pflicht, ja heiligste Pflicht eines jeden Deutschen sein, diese Bestien zu vertilgen!
»Der, des Verwaltung unauffällig ist, des Volk ist froh. Der, des Verwaltung aufdringlich ist, des Volk ist gebrochen.
Elend, ach, ist es, worauf Glück sich aufbaut. Glück, ach, verschleiert nur Elend. Wo soll das hinaus? Das Ende ist nicht abzusehen. Das Geordnete verkehrt sich in Unordnung, das Gute verkehrt sich in Schlechtes. Das Volk gerät in Verwirrung. Ist es nicht so, täglich, seit langem?
Daher ist der Hohe Mensch rechteckig, aber er stößt nicht an, er ist kantig, aber verletzt nicht, er ist aufrecht, aber nicht schroff. Er ist klar, aber will nicht glänzen.« Lao-tse
»Wer unternimmt, das Reich zu beherrschen und es nach seiner Willkür zu gestalten; ich sehe ihn sein Ziel nicht erreichen; das ist alles.«
»Das Reich ist ein lebendiger Organismus; es kann nicht gemacht werden, wahrlich! Wer daran machen will, verdirbt es, wer sich seiner bemächtigen will, verliert es.«
Daher: »Von den Wesen gehen manche vorauf, andere folgen ihnen, manche atmen warm, manche kalt, manche sind stark, manche schwach, manche erlangen Fülle, andere unterliegen.«
»Der Hohe Mensch daher läßt ab von Übertriebenheit, läßt ab von Überhebung, läßt ab von Übergriffen.« Lao-tse
Wir bitten, diese Schrift mit möglichst vielen Durchschlägen abzuschreiben und weiterzuverteilen.
Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare: ca. 100 Stück
Verbreitungsgebiet: im Raum München
Zeit der Verbreitung: 27.6. – 12. 7. 1942
Verfasser des Flugblattes: Alexander Schmorell, Hans Scholl
»Salus publica suprema lex.«
Alle idealen Staatsformen sind Utopien. Ein Staat kann nicht rein theoretisch konstruiert werden, sondern er muss ebenso wachsen, reifen wie der einzelne Mensch. Aber es ist nicht zu vergessen, dass am Anfang einer jeden Kultur die Vorform des Staates vorhanden war. Die Familie ist so alt wie die Menschen selbst, und aus diesem anfänglichen Zusammensein hat sich der vernunftbegabte Mensch einen Staat geschaffen, dessen Grund die Gerechtigkeit und dessen höchstes Gesetz das Wohl Aller sein soll. Der Staat soll eine Analogie der göttlichen Ordnung darstellen, und die höchste aller Utopien, die civitas Dei, ist das Vorbild, dem er sich letzten Endes nähern soll. Wir wollen hier nicht urteilen über die verschiedenen möglichen Staatsformen, die Demokratie, die konstitutionelle Monarchie, das Königtum usw. Nur eines will eindeutig und klar herausgehoben werden: jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch auf einen brauchbaren und gerechten Staat, der die Freiheit des einzelnen als auch das Wohl der Gesamtheit sichert. Denn der Mensch soll nach Gottes Willen frei und unabhängig im Zusammenleben und Zusammenwirken der staatlichen Gemeinschaft sein natürliches Ziel, sein irdisches Glück in Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zu erreichen suchen.
Unser heutiger ›Staat‹ aber ist die Diktatur des Bösen. »Das wissen wir schon lange«, höre ich Dich einwenden, »und wir haben es nicht nötig, dass uns dies hier noch einmal vorgehalten wird.« Aber, frage ich Dich; wenn Ihr das wißt, warum regt Ihr euch nicht, warum duldet Ihr, dass diese Gewalthaber Schritt für Schritt offen und im verborgenen eine Domäne eures Rechts nach der anderen rauben, bis eines Tages nichts, aber auch gar nichts übrigbleiben wird als ein mechanisiertes Staatsgetriebe, kommandiert von Verbrechern und Säufern? Ist euer Geist schon so sehr der Vergewaltigung unterlegen, dass Ihr vergeßt, dass es nicht nur euer Recht, sondern eure sittliche Pflicht ist, dieses System zu beseitigen? Wenn aber ein Mensch nicht mehr die Kraft aufbringt, sein Recht zu fordern, dann muss er mit absoluter Notwendigkeit untergehen. Wir würden es verdienen, in alle Welt verstreut zu werden wie der Staub vor dem Winde, wenn wir uns in dieser zwölften Stunde nicht aufrafften und endlich den Mut aufbrächten, der uns seither gefehlt hat. Verbergt nicht eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit. Denn mit jedem Tag, da Ihr noch zögert, da Ihr dieser Ausgeburt der Hölle nicht widersteht, wächst eure Schuld gleich einer parabolischen Kurve höher und immer höher.
Viele, vielleicht die meisten Leser dieser Blätter sind sich darüber nicht klar, wie sie einen Widerstand ausüben sollen. Sie sehen keine Möglichkeiten. Wir wollen versuchen, ihnen zu zeigen, dass ein jeder in der Lage ist, etwas beizutragen zum Sturz dieses Systems. Nicht durch individualistische Gegnerschaft, in der Art verbitterter Einsiedler, wird es möglich werden, den Boden für einen Sturz dieser ›Regierung‹ reif zu machen oder gar den Umsturz möglichst bald herbeizuführen, sondern nur durch die Zusammenarbeit vieler überzeugter, tatkräftiger Menschen, Menschen, die sich einig sind, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen können. Wir haben keine reiche Auswahl an solchen Mitteln, nur ein einziges steht uns zur Verfügung – der passive Widerstand.
Der Sinn und das Ziel des passiven Widerstandes ist, den Nationalsozialismus zu Fall zu bringen, und in diesem Kampf ist vor keinem Weg, vor keiner Tat zurückzuschrecken, mögen sie auf Gebieten liegen, auf welchen sie auch wollen. An allen Stellen muss der Nationalsozialismus angegriffen werden, an denen er nur angreifbar ist. Ein Ende muss diesem Unstaat möglichst bald bereitet werden – ein Sieg des faschistischen Deutschland in diesem Kriege hätte unabsehbare, fürchterliche Folgen. Nicht der militärische Sieg über den Bolschewismus darf die erste Sorge für jeden Deutschen sein, sondern die Niederlage der Nationalsozialisten. Dies muss unbedingt an erster Stelle stehen. Die größere Notwendigkeit dieser letzten Forderung werden wir Ihnen in einem unserer nächsten Blätter beweisen.
Und jetzt muss sich ein jeder entschiedene Gegner des Nationalsozialismus die Frage vorlegen: Wie kann er gegen den gegenwärtigen ›Staat‹ am wirksamsten ankämpfen, wie ihm die empfindlichsten Schläge beibringen? Durch den passiven Widerstand zweifellos. Es ist klar, dass wir unmöglich für jeden einzelnen Richtlinien für sein Verhalten geben können, nur allgemein andeuten können wir, den Weg zur Verwirklichung muss jeder selber finden.
Sabotage in Rüstungs- und kriegswichtigen Betrieben, Sabotage in allen Versammlungen, Kundgebungen, Festlichkeiten, Organisationen, die durch die nationalsozialistische Partei ins Leben gerufen werden. Verhinderung des reibungslosen Ablaufs der Kriegsmaschine (einer Maschine, die nur für einen Krieg arbeitet, der allein um die Rettung und Erhaltung der nationalsozialistischen Partei und ihrer Diktatur geht). Sabotage auf allen wissenschaftlichen und geistigen Gebieten, die für eine Fortführung des gegenwärtigen Krieges tätig sind – sei es in Universitäten, Hochschulen, Laboratorien, Forschungsanstalten, technischen Büros. Sabotage in allen Veranstaltungen kultureller Art, die das ›Ansehen‹ der Faschisten im Volke heben könnten. Sabotage in allen Zweigen der bildenden Künste, die nur im geringsten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen und ihm dienen. Sabotage in allem Schrifttum, allen Zeitungen, die im Solde der ›Regierung‹ stehen, für ihre Ideen, für die Verbreitung der braunen Lüge kämpfen. Opfert nicht einen Pfennig bei Straßensammlungen (auch wenn sie unter dem Deckmantel wohltätiger Zwecke durchgeführt werden). Denn dies ist nur eine Tarnung. In Wirklichkeit kommt das Ergebnis weder dem Roten Kreuz noch den Notleidenden zugute. Die Regierung braucht dies Geld nicht, ist auf diese Sammlungen finanziell nicht angewiesen – die Druckmaschinen laufen ja ununterbrochen und stellen jede beliebige Menge Papiergeld her. Das Volk muss aber dauernd in Spannung gehalten werden, nie darf der Druck der Kandare nachlassen! Gebt nichts für die Metall-, Spinnstoff- und andere Sammlungen. Sucht alle Bekannten auch aus den unteren Volksschichten von der Sinnlosigkeit einer Fortführung, von der Aussichtslosigkeit dieses Krieges, von der geistigen und wirtschaftlichen Versklavung, von der Zerstörung aller sittlichen und religiösen Werte durch den Nationalsozialismus zu überzeugen und zum passiven Widerstand zu veranlassen!
Aristoteles, ›Über die Politik‹: »… Ferner gehört es (zum Wesen der Tyrannis), dahin zu streben, dass ja nichts verborgen bleibe, was irgendein Untertan spricht oder tut, sondern überall Späher ihn belauschen, … ferner alle Welt miteinander zu verhetzen und Freunde mit Freunden zu verfeinden und das Volk mit den Vornehmen und die Reichen unter sich. Sodann gehört es zu solchen tyrannischen Maßregeln, die Untertanen arm zu machen, damit die Leibwache besoldet werden kann, und sie, mit der Sorge um ihren täglichen Erwerb beschäftigt, keine Zeit und Muße haben, Verschwörungen anzustiften … Ferner aber auch solche hohe Einkommensteuern, wie die in Syrakus auferlegten, denn unter Dionysios hatten die Bürger dieses Staates in fünf Jahren glücklich ihr ganzes Vermögen in Steuern ausgegeben. Und auch beständig Kriege zu erregen, ist der Tyrann geneigt …«
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Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare: ca. 100 Stück
Verbreitungsgebiet: im Raum München
Zeit der Verbreitung: 27.6. – 12. 7. 1942
Verfasser des Flugblattes: Hans Scholl, Alexander Schmorell
Es ist eine alte Weisheit, die man Kindern immer wieder aufs neue predigt, dass, wer nicht hören will, fühlen muss. Ein kluges Kind wird sich aber die Finger nur einmal am heißen Ofen verbrennen.
In den vergangenen Wochen hatte Hitler sowohl in Afrika, als auch in Rußland Erfolge zu verzeichnen. Die Folge davon war, dass der Optimismus auf der einen, die Bestürzung und der Pessimismus auf der anderen Seite des Volkes mit einer der deutschen Trägheit unvergleichlichen Schnelligkeit anstieg. Allenthalben hörte man unter den Gegnern Hitlers, also unter dem besseren Teil des Volkes, Klagerufe, Worte der Enttäuschung und der Entmutigung, die nicht selten in dem Ausruf endigten: »Sollte nun Hitler doch …?«
Indessen ist der deutsche Angriff auf Ägypten zum Stillstand gekommen, Rommel muss in einer gefährlich exponierten Lage verharren – aber noch geht der Vormarsch im Osten weiter. Dieser scheinbare Erfolg ist unter den grauenhaftesten Opfern erkauft worden, so dass er schon nicht mehr als vorteilhaft bezeichnet werden kann. Wir warnen daher vor jedem Optimismus.
Wer hat die Toten gezählt, Hitler oder Goebbels – wohl keiner von beiden. Täglich fallen in Rußland Tausende. Es ist die Zeit der Ernte, und der Schnitter fährt mit vollem Zug in die reife Saat. Die Trauer kehrt ein in die Hütten der Heimat und niemand ist da, der die Tränen der Mütter trocknet, Hitler aber belügt die, deren teuerstes Gut er geraubt und in den sinnlosen Tod getrieben hat.
Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge. Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan. Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle, und seine Macht ist im Grunde verworfen. Wohl muss man mit rationalen Mitteln den Kampf wider den nationalsozialistischen Terrorstaat führen; wer aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen. Hinter dem Konkreten, hinter dem sinnlich Wahrnehmbaren, hinter allen sachlichen, logischen Überlegungen steht das Irrationale, d.i. der Kampf wider den Dämon, wider den Boten des Antichrists. Überall und zu allen Zeiten haben die Dämonen im Dunkeln gelauert auf die Stunde, da der Mensch schwach wird, da er seine ihm von Gott auf Freiheit gegründete Stellung im ordo eigenmächtig verläßt, da er dem Druck des Bösen nachgibt, sich von den Mächten höherer Ordnung loslöst und so, nachdem er den ersten Schritt freiwillig getan, zum zweiten und dritten und immer mehr getrieben wird mit rasend steigender Geschwindigkeit – überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten. Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott, er ist wie ein Schiff ohne Ruder, dem Sturme preisgegeben, wie ein Säugling ohne Mutter, wie eine Wolke, die sich auflöst.
Gibt es, so frage ich Dich, der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten Güter ein Zögern, ein Spiel mit Intrigen, ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, dass ein anderer die Waffen erhebt, um Dich zu verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen? Wir müssen das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers.
»Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; und die ihnen Unrecht taten, waren so mächtig, dass sie keinen Tröster haben konnten.
Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren, mehr denn die Lebendigen, die noch das Leben hatten …« (Sprüche)
Novalis: »Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor … Wenn Europa wieder erwachen wollte, wenn ein Staat der Staaten, eine politische Wissenschaftslehre bevorstände! Sollte etwa die Hierarchie … das Prinzip des Staatenvereins sein? … Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreis herumtreibt, und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Werke des Friedens vornehmen und ein großes Friedensfest auf den rauchenden Walstätten mit heißen Tränen gefeiert wird. Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und das Völkerrecht sichern und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr friedenstiftendes Amt installieren.«
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Weiße Rose nicht im Solde einer ausländischen Macht steht. Obgleich wir wissen, dass die nationalsozialistische Macht militärisch gebrochen werden muss, suchen wir eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen. Dieser Wiedergeburt muss aber die klare Erkenntnis aller Schuld, die das deutsche Volk auf sich geladen hat, und ein rücksichtsloser Kampf gegen Hitler und seine allzuvielen Helfershelfer, Parteimitglieder, Quislinge usw. vorausgehen. Mit aller Brutalität muss die Kluft zwischen dem besseren Teil des Volkes und allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt, aufgerissen werden. Für Hitler und seine Anhänger gibt es auf dieser Erde keine Strafe, die ihren Taten gerecht wäre. Aber aus Liebe zu kommenden Generationen muss nach Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden, dass niemand auch nur die geringste Lust je verspüren sollte, Ähnliches aufs neue zu versuchen. Vergeßt auch nicht die kleinen Schurken dieses Systems, merkt euch die Namen, auf dass keiner entkomme! Es soll ihnen nicht gelingen, in letzter Minute noch nach diesen Scheußlichkeiten die Fahne zu wechseln und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre!
Zu Ihrer Beruhigung möchten wir noch hinzufügen, dass die Adressen der Leser der Weißen Rose nirgendwo schriftlich niedergelegt sind. Die Adressen sind willkürlich Adressbüchern entnommen.
Wir schweigen nicht, wir sind euer böses Gewissen; die Weiße Rose lässt euch keine Ruhe!
Bitte vervielfältigen und weitersenden!
Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare: ca. 100 Stück
Verbreitungsgebiet: im Raum München
Zeit der Verbreitung: 11.7. – 20. 7. 1942
Verfasser des Flugblattes: Hans Scholl, Alexander Schmorell
Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. Wie im Jahre 1918 versucht die deutsche Regierung alle Aufmerksamkeit auf die wachsende U-Bootgefahr zu lenken, während im Osten die Armeen unaufhörlich zurückströmen, im Westen die Invasion erwartet wird. Die Rüstung Amerikas hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, aber heute schon übertrifft sie alles in der Geschichte seither Dagewesene. Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! Seine und seiner Helfer Schuld hat jedes Maß unendlich überschritten. Die gerechte Strafe rückt näher und näher!
Was aber tut das deutsche Volk? Es sieht nicht und es hört nicht. Blindlings folgt es seinen Verführern ins Verderben. Sieg um jeden Preis! haben sie auf ihre Fahne geschrieben. Ich kämpfe bis zum letzten Mann, sagt Hitler – indes ist der Krieg bereits verloren.
Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen werden wie Eure Verführer? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehasste und ausgestoßene Volk sein? Nein! Darum trennt Euch von dem nationalsozialistischen Untermenschentum! Beweist durch die Tat, dass Ihr anders denkt! Ein neuer Befreiungskrieg bricht an. Der bessere Teil des Volkes kämpft auf unserer Seite. Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, eh’ es zu spät ist!
Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat! Glaubt nicht, dass Deutschlands Heil mit dem Sieg des Nationalsozialismus auf Gedeih und Verderben verbunden sei! Ein Verbrechertum kann keinen deutschen Sieg erringen. Trennt Euch rechtzeitig von allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt! Nachher wird ein schreckliches, aber gerechtes Gericht kommen über die, so sich feig und unentschlossen verborgen hielten.
Was lehrt uns der Ausgang dieses Krieges, der nie ein nationaler war?
Der imperialistische Machtgedanke muss, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in Deutschland und Europa auszuüben versucht hat, muss im Keime erstickt werden. Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein. Nur eine gesunde föderalistische Staatenordnung vermag heute noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen. Die Arbeiterschaft muss durch einen vernünftigen Sozialismus aus ihrem Zustand niedrigster Sklaverei befreit werden. Das Truggebilde der autarken Wirtschaft muss in Europa verschwinden. Jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter der Welt!
Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.
Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter!
Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare:
ca. 10–12000 Stück
Verbreitungsgebiet: München, Augsburg, Salzburg, Wien, Linz, Stuttgart, Frankfurt (Main)
Zeit der Verbreitung: 25. 1. 1943 – 18. 2. 1943
Verfasser des Flugblattes: Hans Scholl, Alexander Schmorell, Kurt Huber
Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir!
Es gärt im deutschen Volk: Wollen wir weiter einem Dilettanten das Schicksal unserer Armeen anvertrauen? Wollen wir den niedrigsten Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest unserer deutschen Jugend opfern? Nimmermehr!
Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat.
In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung sind wir aufgewachsen. HJ, SA und SS haben uns in den fruchtbarsten Bildungsjahren unseres Lebens zu uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren versucht. ›Weltanschauliche Schulung‹ hieß die verächtliche Methode, das aufkeimende Selbstdenken und Selbstwerten in einem Nebel leerer Phrasen zu ersticken. Eine Führerauslese, wie sie teuflischer und zugleich bornierter nicht gedacht werden kann, zieht ihre künftigen Parteibonzen auf Ordensburgen zu gottlosen, schamlosen und gewissenlosen Ausbeutern und Mordbuben heran, zur blinden, stupiden Führergefolgschaft. Wir ›Arbeiter des Geistes‹ wären gerade recht, dieser neuen Herrenschicht den Knüppel zu machen. Frontkämpfer werden von Studentenführern und Gauleiteraspiranten wie Schulbuben gemaßregelt, Gauleiter greifen mit geilen Späßen den Studentinnen an die Ehre. Deutsche Studentinnen haben an der Münchner Hochschule auf die Besudelung ihrer Ehre eine würdige Antwort gegeben, deutsche Studenten haben sich für ihre Kameradinnen eingesetzt und standgehalten … Das ist ein Anfang zur Erkämpfung unserer freien Selbstbestimmung, ohne die geistige Werte nicht geschaffen werden können. Unser Dank gilt den tapferen Kameradinnen und Kameraden, die mit leuchtendem Beispiel vorangegangen sind!
Es gibt für uns nur eine Parole: Kampf gegen die Partei! Heraus aus den Parteigliederungen, in denen man uns politisch weiter mundtot halten will! Heraus aus den Hörsälen der SS-Unter- und -Oberführer und Parteikriecher! Es geht uns um wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit! Kein Drohmittel kann uns schrecken, auch nicht die Schließung unserer Hochschulen. Es gilt den Kampf jedes einzelnen von uns um unsere Zukunft, unsere Freiheit und Ehre in einem seiner sittlichen Verantwortung bewußten Staatswesen.
Freiheit und Ehre! Zehn lange Jahre haben Hitler und seine Genossen die beiden herrlichen deutschen Worte bis zum Ekel ausgequetscht, abgedroschen, verdreht, wie es nur Dilettanten vermögen, die die höchsten Werte einer Nation vor die Säue werfen. Was ihnen Freiheit und Ehre gilt, das haben sie in zehn Jahren der Zerstörung aller materiellen und geistigen Freiheit, aller sittlichen Substanz im deutschen Volk genugsam gezeigt. Auch dem dümmsten Deutschen hat das furchtbare Blutbad die Augen geöffnet, das sie im Namen von Freiheit und Ehre der deutschen Nation in ganz Europa angerichtet haben und täglich neu anrichten. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet.
Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes.
Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns!
»Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!«
Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!
Anzahl der gedruckten Flugblatt-Exemplare: ca. 3000 Stück
Verbreitungsgebiet: Raum München (insbesondere Universität München)
Zeit der Verbreitung: 15. 2. 1943 – 18. 2. 1943
Verfasser des Flugblattes: Kurt Huber, Hans Scholl, Alexander Schmorell
Stalingrad!
200000 deutsche Brüder wurden geopfert für das Prestige eines militärischen Hochstaplers. Die menschlichen Kapitulationsbedingungen der Russen wurden den geopferten Soldaten verheimlicht. General Paulus erhielt für diesen Massenmord das Eichenlaub. Hohe Offiziere haben sich im Flugzeug aus der Schlacht von Stalingrad gerettet.
Hitler verbot den Eingekesselten sich zu den rückwärtigen Truppen zurückzuziehen. Nun klagt das Blut von 200000 dem Tod geweihten Soldaten den Mörder Hitler an.
Tripolis! Es ergab sich bedingunglos der 8. englischen Armee. Und was taten die Engländer, sie ließen das Leben der Bürger in ihren gewohnten Geleisen weiter laufen. Belassen sogar die Polizei und Beamte in ihren Stellen. Nur eines machten sie gründlich, sie säuberten die größte italienische Kolonialstadt von allen falschen Rädelsführern und Untermenschen. Mit tödlicher Sicherheit kommt die vernichtende, erdrückende Übermacht von allen Seiten herein. Viel weniger als Paulus kapitulierte, wird Hitler kapitulieren. Gäbe es doch für ihn dann kein Entkommen mehr. Und wollt ihr Euch genau so belügen lassen wie die 200000 Mann, die Stalingrad auf verlorenem Posten verteidigten? Dass ihr massakriert, sterilisiert oder Eurer Kinder beraubt werdet? Roosevelt, der mächtigste Mann der Welt, sagt am 26. Januar 1943 in Casablanca: Unser Vernichtungskampf richtet sich nicht gegen die Völker, sondern gegen die politischen Systeme. Wir kämpfen bis zur bedingungslosen Kapitulation. Bedarf es da noch eines Nachdenkens, um die Entscheidung zu fällen?
Es handelt sich nunmehr um Millionen Menschenleben. Soll Deutschland das Schicksal von Tripolis erfahren?
Heute ist ganz Deutschland eingekesselt wie es Stalingrad war. Sollen dem Sendboten des Hasses und des Vernichtungswillens alle Deutschen geopfert werden! Ihm, der die Juden zu Tode marterte, die Hälfte der Polen ausrottete, Rußland vernichten wollte, ihm, der Euch Freiheit, Frieden, Familienglück, Hoffnung und Frohsinn nahm und dafür Inflationsgeld gab. Das soll, das darf nicht sein! Hitler und sein Regime muss fallen, damit Deutschland weiter lebt. Entscheidet Euch, Stalingrad oder Untergang, oder Tripolis und die hoffnungsvolle Zukunft. Und wenn ihr Euch entschieden habt, dann handelt.
Um die Verfasser der Flugschriften zu finden und sie verhaften zu können, erteilte die Münchner Gestapo-Leitstelle am17. und 18. Februar 1943 dem Münchner Altphilologen Professor Dr. Richard Harder den Auftrag, ein sprachlich-wissenschaftliches Gutachten zu den Inhalten der Flugblätter, zuerst über die zwei Flugblätter Nr. 5 und 6, später auch noch über die ersten vier Flugblätter, zu verfassen. Richard Harder (1896–1957) hatte sich 1927 an der Heidelberger Universität in Klassischer Altertumswissenschaft habilitiert. Danach lehrte er an den Universitäten Königsberg und Kiel sowie seit 1941 an der Universität München. Er galt in Fachkreisen als anerkannter Altphilologe. In München war er den NS-Stellen bekannt, da er ein neues, besonders arisch ausgerichtetes »Institut für Geistesgeschichte« aufbauen sollte[15]; insofern konnte die Gestapo ihm unbesorgt die geheimen Flugblätter zur Auswertung übergeben und ein auf die Interessen desNS-Staates orientiertes Gutachten erwarten.
Harder bescheinigte den Verfassern ein »außergewöhnlich hohes« intellektuelles Niveau. Er kam zu dem Ergebnis, dass Gegenstand und Forderung – d.h. das Verlangen nach »Freiheit und Ehre« für jeden Einzelnen in der Diktatur Hitlers – »fest und zielsicher« durchdacht und stark christlich geprägt seien. In seinem Gutachten bezweifelte Harder allerdings, dass die Flugblätter »in breiteren Kreisen der Soldaten oder Arbeiter« Widerhall finden könnten. Er vermutete immerhin, dass die Flugblätter im Umfeld der Universität entstanden seien. Bevor aber die Gestapo anhand des ersten Gutachtens von Harder weitere Recherchen aufnehmen konnte, kam es am 18. Februar zur Verhaftung von Hans und Sophie Scholl in der Universität München. Bei den Vernehmungen spielten dann auch die beiden Gutachten Harders gegenüber den Verdächtigen keine erkennbare Rolle.
Professor Harder
München 22, den 17. 2. 1943
Ludwigstr. 14, I. Aufg.
Tel. 23 0 31.
Geheim
Vor einigen Stunden wurden mir zwei Flugblätter übergeben. Im Interesse der Beschleunigung der Untersuchung stelle ich sofort zusammen, was eine geisteswissenschaftliche Überprüfung in der Kürze der Zeit ergeben konnte. Sollten sich mir weitere wichtige Gesichtspunkte ergeben, werde ich einen Nachbericht machen.
Ich zitiere die beiden Flugblätter folgendermassen
»Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland« (beginnt: »Der Krieg geht …«; schliesst: »… verbreitet die Flugblätter«.)
b =»Kommilitoninnen und Kommilitonen!!«
(beginnt: »Erschüttert steht …«; schliesst:
von Freiheit und Ehre«.)
Ich zähle in beiden Flugblättern die Zeilen durch.
Die beiden Machwerke zeigen ein aussergewöhnlich hohes Niveau. Es spricht ein Mensch, der die deutsche Sprache vollendet meistert, der seinen Gegenstand bis zur letzten Klarheit durchdacht hat. Der Mann weiss genau was er will; er verfügt über detaillierte Kenntnisse. Er ist Deutscher. Und zwar nicht Emigrant, sondern ein Deutscher, der seit Jahren bis heute die politischen Ereignisse hier im Lande miterlebt. Er ist genauestens über die politischen und personalen Verhältnisse orientiert, insbesondere in München. Und zwar kennt er die Personalverhältnisse in der Partei: Er weiss z.B. dass Gauleiter Giesler, der gemeinhin in München einfach als Gauleiter gilt, offiziell nur mit der Gauleitung betraut ist, infolgedessen zielt er auf ihn mit dem Ausdruck b 24 »Gauleiteraspiranten«. Ferner kennt er genau die Personalverhältnisse an der Universität. Denn mit dem Ausdruck b 34 »den Hörsälen der SS-Unter- und Oberführer« ist ohne Frage auf den Rektor der Universität SS-Oberführer Wüst geziehlt, dessen genauen SS-Rang zweifellos nicht jeder kennt. Übrigens ist die verdeckte Art der Anspielung in beiden Fällen gleichzeitig ein Beispiel für die stilistische Raffiniertheit des Mannes.
Ich stelle im folgenden über die Tatbestände einige Thesen auf:
a und b stammen von dem gleichen Verfasser. Trotz der Abweichung im Ton geht die Identität des Verfassers aus einigen Einzelheiten ziemlich deutlich hervor. Das Stichwort von b lautet »Freiheit und Ehre«: das Stichwort »Freiheit« kehrt a 53 wieder und zwar fällt der Blick bei diesem Freiheitswillen typisch auf »jeden Einzelnen«. (a 51; b 37: dementsprechend heisst es b 12 »persönliche Freiheit«). Die politisch-geschichtliche Konzeption des Verfassers sieht einen neuen. »Befreiungskrieg« beginnen (a 24); es ist sehr charakteristisch für den Verfasser, dass dies keine blosse Augenblicksphrase ist, sondern eine durchdachte geschichtliche These. In b zieht der Verfasser die Parallele zum Ende der Befreiungskriege vom 1813 bis in die Einzelheiten (b 50); er vergleicht die Niederlage Napoleons an der Beresina mit dem Ereignis von Stalingrad (b 53); er zitiert Theodor Körner (a 55) und spricht von der »Verknechtung Europas« (a 56) wie es zu Zeiten Napoleons üblich war. Die zugrundeliegende Parallele Hitler-Napoleon hört man in reaktionären Kreisen öfter; hier ist sie mit genauen geschichtlichen Kenntnissen ausgeschlachtet.
2.a und b sind zu verschiedener Zeit verfasst, und zwar a etwa im Dezember 42 oder Januar 43: Hier ist die Kriegslage lediglich allgemein ungünstig gesehen: zurückströmende Armeen im Osten. Invasionserwartung im Westen, riesige Rüstung Amerikas. Nur damals konnte in höhnischer Weise vom »Bolschewistenschreck« (29) gesprochen werden. b ist dagegen verfasst nach dem Fall von Stalingrad (siehe den Anfang) und nach der Münchner Universitätswoche; ferner nach der Ankündigung der neuen Schliessungsmassnahmen (36); das heisst also im Laufe der letzten 2–3 Wochen.
3.Der Verfasser schreibt einen hervorragenden deutschen Stil, wie ihn nur ein Mensch schreiben kann, der in längerem Umgang mit deutscher Literatur steht, also vermutlich entweder ein Geisteswissenschaftlicher oder ein Theologe.
4.Der Verfasser erweist sich stilistisch als ein Mensch, dem die lutherische Bibelübersetzung als vertrauter Besitz im Ohr liegt. a 34 »… gerechtes Gericht über die, so …«: dieses archaische Relativpronomen ist in Deutschland nur noch im Nachklang Luthers gebräuchlich. b 4 steht der Ausdruck »vor die Säue werfen«. Dies innere Vertrautsein mit der Sprache der Bibel deutet entweder auf einen Theologen oder doch wenigstens auf einen im Kampf der Kirche stehenden Menschen; und zwar, da die katholische Kirche meistens andere Bibelübersetzungen verwendet, eher auf einen Protestanten als auf einen Katholiken (vgl. auch a 53 »Freiheit des Bekenntnisses«). Theologisch ist auch der Ausdruck b 51 »gläubiger Durchbruch«. Der Ausdruck a 26 »den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um eure Herzen gelegt« ist typischer Predigtstil. Auf kirchliche Herkunft führt auch die Bemerkung b 20 über die Ordensburgen; die Ordensburgen sind gegenwärtig ohne innenpolitische Aktualität, da sie seit Kriegsbeginn geschlossen sind: sie haben überhaupt eine verhältnismässig geringe Rolle in der innenpolitischen Diskussion gespielt, mit einer einzigen Ausnahme: die Diskussion über die »Kulträume«, gegen die von kirchlicher Seite Sturm gelaufen wurde; in diese Richtung führt der Vorwurf b 21 der Gottlosigkeit.
5.Der Verfasser spricht in b in einem Ton im Namen eines geistigen Deutschlands, der eigentlich nur möglich ist, wenn er nicht nur Akademiker ist, sondern zu der Universität in näherer Beziehung steht; ich schliesse auf einen Menschen, dessen Studium etwa um 1933 begann und der in irgendeiner Weise noch mit der Universität verbunden ist, also entweder als Assistent oder dgl. in der Wissenschaft oder in der Universitätspolitik tätig ist.
6.Der Verfasser ist mit dem Nationalsozialismus und seiner Entwicklung so genau vertraut, wie es nur aus eigenem Erleben sich erklärt. Das beweist besonders der Abschnitt b 15–19, wo mit dem Angriff gegen die »weltanschauliche Schulung« in der Tat ein wunder Punkt getroffen wird; ich habe schon in anderem Zusammenhang an massgebender Stelle darüber berichtet, wie abschreckend diese Schulung auf Menschen von geistiger Begabung zu wirken pflegt. Wenn a 19 mit besonderer Erbitterung von der Führerauslese gesprochen wird, so möchte ich vermuten, dass der Verfasser bei einer solchen Führerauslese unter den Tisch gefallen ist. Die vertraute Kenntnis der gesamten Terminologie bestätigt dies Bild.
7.Bei aller Durchdachtheit unterlaufen doch gelegentlich Denkfehler, die auf rasche Abfassung schliessen lassen. a 54 »Gewaltstaaten« ist unsinnig. a 36 »Der Ausgang dieses Krieges« gleichfalls. b 16 »zu uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren«: das Mittelglied ist ausgerutscht.
8.Die bisher festgestellten Züge sind dem Verfasser ungewollt entglitten. In seiner politischen Zielsetzung tarnt er seine geistige Herkunft sorgfältig, so bedient er sich in seiner Propaganda z.B. keineswegs des Kirchenkampfes mit seinen naheliegenden Argumenten; bezeichnend ist ferner die Art wie er a 20 über die Juden spricht: keineswegs als Philosemit und keineswegs unter Verwendung der sentimentalen Gefühlsargumente, die gerade zu diesem Punkt im Ausland umlaufen. Überhaupt verfügt er über keine Kenntnis der üblichen ausländischen Argumentationen und dürfte sich weder im Ausland aufhalten noch mit Ausländern Fühlung haben. Bezeichnend ist das Fehlen jeder aussenpolitischen Konzeption (z.B. Italien). Was a 41ff. über »Zusammenarbeit der europäischen Völker« gesagt wird, ist phrasenhaft, platt und dürftig.
Soviel zur Person des Verfassers. Zur politischen Situation lässt sich folgendes ablesen. a 38ff., also in dem früheren Flugblatt bedient er sich der alten Propagandaphrasen vom »preussischen« Militarismus. Da ist natürlich auf Bayern abgestellt. Dementsprechend die Forderung des »Föderalismus« (a 46). Das Arbeiten mit den bayerischen Sonderneigungen ist eine alte Taktik des Zentrums gewesen. Dem entsprechen auch die verlegenen Worte a 48. ff., die ein Sozialprogramm entwickeln wollen, damit aber nicht zustandekommen. Diese Stümperei zeigt den weltfremden Akademiker und erinnert etwa an die Praxis der ehemaligen »gelben« Gewerkschaften, d.h. der katholischen Sozialpolitik.
Zugleich ist aber bei diesem Kampf gegen das Preussentum eine sehr überlegte Einschränkung gemacht. a 39 wird »ein einseitiger preussischer Militarismus« bekämpft: hier ist das Wort »einseitiger« eine bewusste Einschränkung, die vermeiden will, bei Menschen mit soldatischer Gesinnung Anstoss zu erregen. Der Bayerische Separatismus nimmt also zugleich Rücksicht auf die verbreitete soldatische Haltung des deutschen Volkes und sucht seine Anhänger in den entsprechenden Kreisen, d.h. am ehesten in der Studentenschaft. Dazu stimmt, dass sich a 35 gegen diejenigen wendet, die »feig und unentschlossen« seien: das wendet sich an typisch intellektuelle Kreise. Weiter stimmt dazu, dass a 36 ausdrücklich abgelehnt wird, dass dieser Krieg ein »nationaler« sei: hier wird also die Empfindung von Menschen nationaler Gesinnung bewusst geschont. Übrigens glaube ich nach der gesamten Ausdrucksweise nicht, dass der Verfasser Soldat gewesen ist oder ist.
Während in a auf diese Weise noch nach Anhängern gleichsam gesucht wird, ist in b der politische Boden eindeutig die Studentenschaft. Hier wird gearbeitet mit einer genauen Kenntnis der Münchner Vorgänge in den letzten Wochen. Aber auch die Stimmung in der Studentenschaft ist dem Verfasser genau bekannt. B 23 wird davon gesprochen, dass Frontkämpfer von Studentenführern wie Schuljungen gemassregelt werden: dies entspricht einer tatsächlichen Verärgerung der Studierurlauber der Wehrmacht, die vielfach zu den Anforderungen des Studentenbundes in Opposition stehen.
Zusammenfassend stellt sich der Verfasser als ein begabter Intellektueller dar, der seine Propaganda auf akademische Kreise, insbesondere die Studentenschaft abstellt. Trotz einem gewissen Schwung der Sprache und der Entschlossenheit des politischen Wollens sind seine geistigen Erzeugnisse aber letzten Endes Schreibtischprodukte; wenn sie auch nicht den Ton eines verbitterten Einsamen haben, hinter ihnen also wohl eine gewisse Clique steht, so sind sie doch nicht der Ausfluss einer machtpolitisch aktiven Gruppe; dazu ist ihre Sprache zu abstrakt; sie will (und kann) in breiteren Kreisen der Soldaten oder Arbeiter keinen Widerhall finden.
gez. Harder.
Abschrift.
Professor Harder
München 22, 18. 2. 1943
Ludwigstr. 13 I. Aufgang.
Geheim.
Nachdem mir gestern zwei Flugblätter (a und b) vorlagen, erhalte ich heute weitere vier Blätter (Flugblätter der Weissen Rose Nr. I– IV); ich bezeichne sie mit c – f und wiederum den Zeilenzahlen. Ferner wurde mir mitgeteilt, dass durch technische Anzeichen bewiesen ist, dass der Verfasser von a b identisch mit dem Verfasser von c – f ist.
Durch diese Moment erhalten meine gestrigen Beobachtungen eine neue Beleuchtung. Zunächst einmal bestätigt sich das Ergebnis der gestrigen Analyse von a b, indem in c – f Motive deutlich herauskommen, die in a b nur dem geschulten Ohr hörbar wurden.
Dies gilt von folgenden Punkten.
Gestr. Gut. S. 3 Nr. 4 christliche Färbung: dies kommt jetzt in voller Breite zu Tage. Die christlichen Ausdrückte häufen sich. e 14 Kreatur, d 33 es ist uns nicht gegeben, d 48 gebe Gott dass; entsprechend dem archaischen Relativpronomen »so« (a 34) erscheint hier ein ebenso untrügliches Zeichen theologischer Redeweise »jetzt da uns die Augen geöffnet sind« (d 79), d 76 (der fanatische Ruf eines Busspredigers), c 38 wieder der Vorwurf der Gottlosigkeit: atheistische Kriegsmaschine, f 22 der Tod als Schnitter, f 27 Vorwurf der Gotteslästerung, e 38 Mantel der Klugheit (vgl. a 26), e 19 nach Gottes Willen, e 35 in alle Welt zerstreut wie der Staub vor dem Winde, e 39 Ausgeburt der Hölle, c 34 Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur. Am offensten lässt er die christlich Maske fallen in f: f 44 der Einzige Gott, f 46 der wahre Gott. f 98 tritt er auf als böses Gewissen der Menschen; f 47 Schiff ohne Ruder, Säugling ohne Mutter, Wolke die sich auflöst: diese eigentümlichen Bilder scheinen aus der christlichen Mystik zu stammen, ich vermute etwa von Meiser Ekkehard. Schon in e 11 fiel das Wort civitas dei, d.h. also ein lateinisches Zitat aus Augustin; dieser Gedanke wird wieder aufgenommen f 37: Der Mensch, der seine Stellung im ordo verlässt, d.h. in der Weltordnung, ebenfalls ein augustinisches Bild (bezeichnend übrigens wie der Verfasser hier ohne Rücksicht auf das Verständnis lateinische Ausdrücke gebraucht). Schliesslich ist ein grosser Teil von f beherrscht von den Visionen des Buches Daniel vom gefallenen Engel, dem Antichrist und dem Dämon der dem Menschen auflauert. Eine gewisse leise Tarnung ist darin gegeben, dass f 61 »Sprüche« zitiert werden – es kann sich hierbei nur um die Sprüche Salomonis handeln. Dies aber hinzuzufügen, scheute sich der Verfasser denn doch.
Gestr. Gut. S. 4 Nr. 8 Vorsicht in der Propaganda: d 36 zeigt dieselbe Zurückhaltung in der Judenfrage. e 34: der Verfasser ist kein Monarchist.
Gestr. Gut. S. 6 2. Absatz stellte ich fest, dass die Aufrufe nicht den Ton eines verbitterten Einsamen haben: das wird jetzt e 46 ausdrücklich ausgesprochen. Im übrigen sieht sich der Verfasser umgeben von Menschen der gleichen Gesinnung (e 23; f 10) und klagt wieder wie in a b über deren Lauheit (c 3ff; d 5ff.)
Ich bezeichnete den Verfasser als Intellektuellen. Das kommt in dem neuen Material wieder deutlich heraus. Der Verfasser bringt weithin unbekannte Zitate von Goethe und Schiller; ferner Novalis, Aristoteles, Laotse. e 94