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88 Millionen Fässer Erdöl werden weltweit täglich verbraucht. Das sind 44 Supertanker. Woher kommt das Öl? Wie hat es die europäische Geschichte in den letzten 150 Jahren beeinflusst? Und vor allem: Warum geht es uns jetzt aus? Daniele Ganser, Peak-Oil-Experte und Friedensforscher, legt die erste Gesamtdarstellung zu Europas Erdöl-Abhängigkeit vor. Er schildert den Beginn der Erdölindustrie, das durch billige Energie angetriebene Wirtschaftswachstum, die Erdölkrisen der 1970er-Jahre und die Hintergründe des andauernden, blutigen Kampfs ums Erdöl bis hin zu den jüngsten Kriegen im Irak und in Libyen.Absoluten Neuigkeitswert hat Gansers Nachweis, dass beim konventionellen Erdöl weltweit bereits 2005 das Fördermaximum erreicht wurde. Für heiße Diskussionen werden auch seine Szenarien zur energiepolitischen Zukunft sorgen: Spitzt sich der globale Kampf ums Erdöl zu? Gelingt den Europäern die Wende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien?
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Seitenzahl: 753
Veröffentlichungsjahr: 2022
Ebook Edition
Daniele Ganser
Europa im Erdölrausch
Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit
Für Julia und Noah und die kommenden Generationen, weil sie Lebensfreude und Hoffnung versprühen und den notwendigen Wandel einleiten können.
»Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt«
Mahatma Ghandi (1869–1948)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISBN: 978-3-86489-888-4
© Westend Verlag, Frankfurt/Main 2022
© Orell Füssli Sicherheitsdruck AG. Zürich 2012
Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Vorwort
Dank
Abkürzungen
Einführung
1Europa vor der Entdeckung des Erdöls
Europa und seine Grenzen
Das Wachstum der europäischen Bevölkerung
Mit der Kohle beginnt das fossile Zeitalter 1712
Die fossile Landwirtschaft und das Wachstum der Weltbevölkerung
2Der Beginn des Erdölzeitalters
Die Entstehung von Erdöl und Erdgas
ExxonMobil und der Beginn der Erdölindustrie in den USA 1859
Die erste Erdölbohrung in Deutschland in Wietze 1859
Die Gründung von Royal Dutch Shell 1907
Die Importe in die Schweiz und die Förderung in Österreich
3Der Kampf ums Erdöl im Ersten Weltkrieg
Die Briten entdecken als Erste Erdöl im Nahen Osten 1908
Deutschlands Ölpolitik und der Bau der Bagdadbahn
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914
Die Schweiz verliert ihre wirtschaftliche Souveränität 1915
Die Erdölimporte aus den USA sichern den Sieg 1918
4Der Kampf ums Erdöl im Zweiten Weltkrieg
Deutschland stellt Leunabenzin aus Kohle her
Die Schweizer Kriegswirtschaft erlässt ein Fahrverbot 1941
Pearl Harbor und der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941
Deutschland verliert den Kampf um die Erdölfelder von Baku
5 Der Wiederaufbau von Europa
Der Aufstieg von Saudi-Arabien und Saudi Aramco
Der Sturz der iranischen Regierung durch die USA 1953
Die vorsichtige Vergabe der Erdölkonzessionen in der Schweiz
6Die Suezkrise und die Angst vor Lieferunterbrüchen
Der französische und britische Angriff auf Ägypten 1956
Fahrverbot in Europa während der Suezkrise
Die erfolglose Erdölsuche der Swisspetrol in der Schweiz
7Der Erdölrausch erfasst Europa von 1950 bis 2000
Was ist ein Erdölrausch?
Billiges Erdöl bildet die Grundlage für den Erdölrausch
Der Bau der Autobahnen
8Wie das Erdöl zum Endkunden kommt
Der Bau von Pipelines in den USA und Europa
Der italienische Erdölkonzern ENI und der Tod von Enrico Mattei
Der Bau der Zentraleuropäischen Pipeline CEL über die Alpen
Der Bau der Transalpinen Pipeline TAL durch Österreich
9Die Verarbeitung von Erdöl zu Fertigprodukten in den Raffinerien
Wie funktioniert eine Erdölraffinerie?
Der Aufbau von Raffinerien in Europa
Der Bau der Schweizer Raffinerie Collombey
Die Angst vor dem Russenöl
Der Bau der Schweizer Raffinerie Cressier
10Die Macht der Kartelle
Die Sieben Schwestern und das Kartell von Achnacarry
Die Milliardengewinne der Erdölkonzerne
Die Kartelluntersuchungen in der Schweiz
Die Schweizer wollen eine eigene Erdölfirma gründen
Die Gründung der OPEC 1960
Sind die OPEC-Angaben zu den Erdölreserven verlässlich?
11Die erste Erdölkrise 1973
Das Ende von Bretton Woods und der Zerfall des Dollars 1971
Die amerikanische Erdölproduktion erreicht das Fördermaximum
Der Ausbruch der Erdölkrise 1973
Die autofreien Sonntage in den Niederlanden und Deutschland
Die autofreien Sonntage in der Schweiz
12Die Grenzen des Wachstums
Der Club of Rome warnt vor knappen Rohstoffen
Der Bau von Atomkraftwerken in Deutschland und der Schweiz
Die Gesamtenergiekonzeption der Schweiz
13Die zweite Erdölkrise
Die Iranische Revolution 1979 und die zweite Erdölkrise
In der Schweiz steigt das Misstrauen gegenüber Erdölkonzernen
14Die Golfkriege
Der Angriff Saddam Husseins auf den Iran 1980
Die Schweiz und der Preiszerfall während des ersten Golfkriegs
Der Angriff Saddam Husseins auf Kuwait 1990
15Peak Oil und das Ende des Erdölrausches
Was bedeutet Peak Oil?
Die Erdölproduktion von Europa bricht ein
Die Prognosen der Internationalen Energieagentur
Die Peak-Oil-Diskussion in der Schweiz
Die Peak-Oil-Diskussion in Deutschland und den USA
16Kann das unkonventionelle Erdöl die Lücke füllen?
Teersand aus Kanada
Unkonventionelles Erdöl aus großen Meerestiefen
Tight Oil aus North Dakota
Kann der Entölungsgrad erhöht werden?
Sind Biotreibstoffe auch Erdöl?
Darf man Gaskondensate zum Erdöl zählen?
Wann kommt das Fördermaximum beim unkonventionellen Erdöl?
17Wieder Krieg um Erdöl
Die Administration von George Bush junior und das Erdöl
Die Terroranschläge vom 11. September 2001
Der Krieg gegen Afghanistan 2001
Der Angriff auf den Irak 2003
Die Kritik von Venezuela
Der Krieg gegen Libyen 2011
18Wirtschaftskrisen und hoher Erdölpreis
Energiearmut, gibt es das?
Der Anstieg des Erdölpreises
Hat der hohe Erdölpreis die Finanzkrise ausgelöst?
Warum wir das Erdöl verlassen müssen
19Die Energiewende
Kommt es zu einer Rückkehr von König Kohle?
Wird Europa auf Atomstrom setzen?
Folgt auf den Erdölrausch ein Erdgasrausch?
Brauchen wir die 2000-Watt-Gesellschaft?
Gibt es Häuser ohne Erdölheizung?
Können verbrauchsarme Autos den Klimawandel aufhalten?
20Der Ausbau der erneuerbaren Energien
Wasserkraft
Erdwärme
Biomasse und Biogas
Windenergie
Sonnenenergie
Energiesubventionen und der Streit ums Geld
Schluss
Chronologie
Anmerkungen
Verzeichnis ausgewählter Bücher
Index
Infografiken
Titel
Inhaltsverzeichnis
Dr. Colin J. Campbell
Dies ist ein wichtiges Buch, denn es beschreibt den fundamentalen Umbruch in der Energiegeschichte der Menschheit, in welchem wir uns derzeit befinden. Es wurde von einem Historiker geschrieben, was wertvoll ist, denn der Umbruch wird erst in seinem historischen Kontext deutlich erkennbar. Die Menschen der Steinzeit benutzten den harten Feuerstein mit seinen scharfen Kanten für ihre Werkzeuge und Waffen, später verwendeten sie Bronze, Eisen und Stahl. Als Energiequelle diente den Menschen Holz und Holzkohle, später oberflächlich abgebaute Kohle, die zu tiefen Kohleminen ausgebaut wurden. Als die Kohleminen auf Grundwasser stießen und das Wasser den weiteren Abbau verhinderte, setzte während der industriellen Revolution ein bemerkenswerter technischer Fortschritt ein. Die Handpumpe wurde durch die Dampfmaschine ersetzt, die durch den deutschen Erfinder Nikolaus Otto 1861 zum Verbrennungsmotor weiterentwickelt wurde. Dieser wurde zuerst mit Benzol aus Steinkohle angetrieben, danach mit Petroleum, das man aus Rohöl gewann. In den 1880er-Jahren fuhren in Deutschland und der Schweiz erstmals Autos auf den Straßen, 1907 zog der erste mit Erdöl angetriebene Traktor seine Ackerfurchen.
Der neue und viel effizientere Verbrennungsmotor hat die moderne Welt verändert und eine vorher nie gesehene Ausdehnung von Industrie, Handel und Transport ermöglicht. Er revolutionierte auch die Landwirtschaft, was eine Versechsfachung der Weltbevölkerung ermöglichte. Parallel dazu stieg die Erdölnachfrage an. Erdöl war schon in der Antike bekannt, aber die ersten gezielten Erdölbohrungen wurden erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA in Pennsylvania und in Europa in Rumänien an den Küsten des Schwarzen Meeres niedergebracht. Bald verstanden Erdölgeologen, wie und wo man Erdölfelder finden kann. Die größten Regionen und Felder, schwer zu übersehen, wurden zuerst gefunden. Das meiste Erdöl entstand aus Algen, die sich während nur zwei Epochen globaler Erwärmung vor 90 und 150 Millionen Jahren stark ausgebreitet hatten. Zu Beginn reisten Erdölgeologen wie ich auf Pferden durch abgelegene Gegenden, studierten das Gestein und nahmen Proben. Heute erlaubt die technische Entwicklung die Abbildung des Untergrunds am Computerbildschirm. Als die Förderung am Land zurückging, ermöglichte die Entwicklung der Bohrtechnik der Erdölindustrie, Bohrinseln auf dem Meer zu bauen.
Aber Erdöl und Erdgas sind natürliche Ressourcen, die nur in beschränkten Mengen vorhanden sind und sich daher erschöpfen. Mit jedem Liter, der verbrannt wird, nimmt der globale Vorrat um einen Liter ab. Die Förderung auf einem Erdölfeld steigt zuerst an, wenn neue Bohrungen niedergebracht werden, erreicht dann aber das Fördermaximum Peak Oil, wonach die Förderrate wieder zurückgeht. Dasselbe Muster zeigt sich auch bei einer Erdölregion, wo die Förderung etwa zur Halbzeit das Maximum erreicht, nachdem rund die Hälfte der vorhandenen Ressourcen abgeschöpft wurden. Da die weltweiten Erdölentdeckungen in den 1960er-Jahren das Maximum erreicht haben und seither zurückgehen, ist es klar, dass auch die globale konventionelle Erdölförderung den Peak Oil erreichen musste. Mehr als 50 Länder fördern heute weniger Erdöl als früher, in manchen Ländern ist der Rückgang schon seit vielen Jahren zu beobachten.
Europa liefert hierzu ein eindrückliches Beispiel. Shell präsentierte 1936 an einer Industriemesse in Delft in den Niederlanden eine Bohrplattform. Zur Überraschung aller fand diese einige Anzeichen von Erdöl, was zu einer Ausweitung der Erdölsuche in der Nordsee und einigen kleinen Funden führte. 1957 führte Shell eine Probebohrung bei Groningen in den Niederlanden durch, welche unerwartet auf ein sehr großes Gasfeld stieß. Danach nahm das Interesse an der Nordsee stark zu; auch im britischen Gewässer wurden einige größere Gasfelder entdeckt. Als in den 1960er- und 1970er-Jahren in der Grenzregion zwischen Norwegen und Großbritannien größere Erdölfelder gefunden wurden, stiegen diese beiden Länder zu den wichtigsten Erdölproduzenten Europas auf; ich selbst nahm an der Erdölsuche im norwegischen Gebiet der Nordsee teil. Doch Großbritannien erreichte das Fördermaximum 1999, Norwegen zwei Jahre später, seither fällt die Erdölproduktion von Europa. Trotz dem Einsatz bester Technik und viel Geld ist die Förderung in der Nordsee nach einem steilen Anstieg ebenso stark eingebrochen und geht nun pro Jahr um rund 5 Prozent zurück.
Dieses Buch legt dar, wie und warum Europa und die Welt in eine starke Abhängigkeit vom Erdöl gelangt sind, und dass das Angebot von konventionellem Erdöl nicht nur in der Nordsee, sondern auch in vielen anderen Ländern heute zurückgeht. Es ist nicht einfach, den Rückgang der Erdölproduktion genau zu berechnen, weil die Zahlen zu den Reserven und zur Produktion in vielen Ländern unzuverlässig sind. Die Erdölkonzerne hatten zu Beginn eine Tendenz, ihre Reserven zu tief auszuweisen, um später über stetiges Reservewachstum berichten zu können, was für die Aktienmärkte attraktiv war. Einige OPEC-Länder haben umgekehrt in den 1980er-Jahren den Umfang ihrer Erdölreserven übertrieben, weil die Produktionsquote für jedes Land von den angegebenen Reserven abhing. Zudem gibt es verschiedene Arten von Erdöl und Erdgas, die grob in die Kategorien »konventionell« und »unkonventionell« eingeteilt werden. Zur Unterscheidung beider Kategorien gibt es jedoch keine Standarddefinition. Es braucht daher den Fleiß und den Scharfsinn eines Detektivs, um ein realistisches Bild des Rückgangs der Welterdölproduktion zu zeichnen. Derzeit ist ein heftiger Streit um das genaue Datum des Peak Oils zu beobachten – der in unmittelbarer Nähe ist oder schon hinter uns liegt –, doch weit wichtiger ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie der Abstieg vom Erdölgipfel zu meistern ist und wie sich die Energiewende auf unser Leben auswirken wird.
Der Autor dieses Buches leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel. Das SIPER verfolgt die Vision einer Welt, die durch 100 Prozent erneuerbare Energien versorgt wird, in der Konflikte im Dialog mit Respekt gelöst werden, ohne Gewalt, Terror und Krieg. Der Autor ist sich bewusst, dass das Fördermaximum beim Erdöl einen fundamentalen Umbruch in der Energiegeschichte der Menschheit einleiten wird. Wie dieses Buch darlegt, gibt es ökonomische und politische Gründe, welche es für offizielle Institutionen wie die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris schwierig machen, über den Peak Oil offen zu informieren, obschon nun auch die IEA die Realität von Peak Oil einräumt. Auch der Internationale Währungsfonds (IMF) bestätigt in einer neueren Studie, dass die verschiedenen Schätzungen zum Peak Oil sich derzeit immer mehr annähern und konsolidieren.
Es ist offensichtlich, dass im Jahre 2050 das Erdölangebot nur noch ausreichen wird, um maximal die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung zu erhalten, wenn der gegenwärtige Lebensstil beibehalten wird. Die Herausforderung ist groß, sich den neuen Realitäten und veränderten Umständen anzupassen, und die Übergangszeit droht von großen Spannungen begleitet zu werden, wie dieses Buch überzeugend darlegt. Politische Unruhen in Moskau, London und an der Wall Street sowie Revolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten sind schon heute zu beobachten. Auch die finanziellen Folgen sind tief greifend, denn die Banken haben stets mehr Geld ausgeliehen, als sie zur Verfügung hatten, in der Überzeugung, dass das Wirtschaftswachstum in der Zukunft die Schulden der Gegenwart abdecken werde. Aber das Wirtschaftswachstum beruht auf einem steigenden Energieangebot, welches nicht mehr vorhanden sein wird, wenn das Erdöl das Fördermaximum Peak Oil erreicht hat und global zurückgeht.
Der Autor hat ein ausgezeichnetes und äußerst spannendes Buch geschrieben, das diese Puzzleteile verbindet und die tieferen sozialen, politischen und ökonomischen Folgen der Energiewende aus einer historischen Perspektive aufzeigt.
Dr. Colin J.Campbell, geboren 1931, ist ein britischer Erdölgeologe mit mehr als 40 Jahren Erfahrung in der Erdölindustrie. Campbell arbeitete für Texaco, BP, Amoco, Norsk Hydro und Fina. Er suchte und fand Erdöl in vielen Teilen der Welt und war auch an der Erkundung der Nordsee beteiligt, von 1980 bis 1984 als Exploration Manager für Amoco, von 1985 bis 1989 als Executive Vice President für Fina Norwegen. Zusammen mit Jean Laherrère publizierte er 1998 die einflussreiche Studie »The Coming Oil Crisis« und gründete im Jahr 2000 das internationale Netzwerk Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO). Campbell erhielt seinen Doktortitel von der Universität Oxford und lebt heute als unabhängiger Energieberater in Irland.
Die Idee für dieses Buch entstand im Jahr 2003 während eines Gesprächs, das ich im Schweizer Außenministerium in Bern im Büro von Botschafter Peter Maurer führte. Peter Maurer, heute Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf, hat als Botschafter die Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York vertreten und war danach im Außenministerium zuständig für Menschenrechte und zivile Friedensförderung. Ich selber hatte 2001 an der Universität Basel meine Doktorarbeit in Internationaler Zeitgeschichte abgeschlossen und war danach beim Think Tank Avenir Suisse in Zürich angestellt, zuständig für wirtschaftspolitische Analysen. Peter Maurer riet mir, den Einfluss der globalisierten Wirtschaft auf Krieg und Frieden genauer zu untersuchen.
Die Fragestellung war sehr breit und offen, aber sie faszinierte mich. Im selben Jahr wechselte ich von Avenir Suisse an die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich und begann mit meinen Recherchen zur Globalisierung. Bald schon fokussierte ich auf das Erdöl. Botschafter Maurer gebührt mein Dank, dass er mich auf dieses wichtige Themenfeld geführt hat und die ersten Jahre des Forschungsprojektes finanziell unterstützte. Danken möchte ich auch Dr. Jakob Kellenberger, dem damaligen Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der mich als Beirat von Avenir Suisse in Genf mehrmals zum Gespräch empfing und mich durch seine Integrität und globale Perspektive beeindruckte.
Meine Forschung zum Erdölrausch und seinen Folgen zog sich über zehn Jahre hin, obschon ich zu Beginn geplant hatte, das Buchprojekt schneller abzuschließen. Doch Erdöl ist ein äußerst faszinierendes Thema und das Studium der Ressourcenkriege politisch sensibel, weshalb ich da und dort auf Widerstände gestoßen bin und immer sorgsam meine Unabhängigkeit wahren musste. Dankbar bin ich, dass ich über die Jahre in verschiedenen Ländern Menschen getroffen habe, von denen ich viel lernen konnte. Bei der Weltbank in Washington waren die Gespräche mit Ian Bannon zur Entwicklung der Erdöl fördernden Länder sehr wertvoll. Von Ivo Kaufmann vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Bern habe ich einiges über illegalen Erdölhandel und Tarnfirmen gelernt. In Norwegen waren die Gespräche mit Ola Tunander vom Peace Research Institute Oslo (PRIO) über verdeckte Kriegsführung sehr anregend.
Um zu erfahren, wie Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier über das Erdöl denken und wie gut sie über die internationale Erdölpolitik informiert sind, habe ich nicht nur die parlamentarischen Protokolle studiert, sondern auch Gespräche in der Wandelhalle des Bundeshauses geführt. Ich bin auf engagierte, aber auch vielfältig beschäftigte Politiker gestoßen, deren Meinung zur Energiepolitik im Allgemeinen und zur Schweizer Erdölabhängigkeit im Speziellen diese Forschung bereichert haben. Ich bin nicht Mitglied einer politischen Partei, habe aber mit Freude festgestellt, dass Volksvertreter aus allen Parteien bereit waren, offen und direkt mit mir über das Thema Erdöl zu sprechen. Besonders erwähnen möchte ich hier die Gespräche mit Nationalrat Ruedi Aeschbacher (EVP), Ständerat Hannes Germann (SVP), Nationalrat Beat Jans (SP), Ständerätin Helen Leumann (FDP), Nationalrat Peter Malama (FDP), Nationalrätin Christa Markwalder (FDP), Nationalrat Ruedi Rechsteiner (SP), Nationalrat Eric Nussbaumer (SP) sowie die Treffen mit den Nationalräten Reto Wehrli (CVP) und Geri Müller (Grüne), die im Schweizer Parlament eine Serie von Vorträgen zum Thema Peak Oil organisierten, an denen ich mitwirkte.
Es ist wenig bekannt, dass die Schweiz ausgezeichnete Erdölgeologen ausgebildet hat, die auf der ganzen Welt Erdöl gesucht und gefunden haben. Die Gespräche mit Schweizer Erdölgeologen waren für diese Arbeit von unschätzbarem Wert. Danken möchte ich vor allem Dr. Walter Ziegler, von dem ich über die Jahre viel über Erdöl lernen durfte. Walter Ziegler hat für Esso in Kanada Ölsande untersucht und als Chef-Erdölgeologe die Exploration in der Nordsee geleitet. In Irland traf ich den britischen Erdölgeologen Dr. Colin Campbell, den weltweit führenden Peak-Oil-Experten, der für BP und Amoco auf der ganzen Welt nach Erdöl suchte. Er hat für dieses Buch das Vorwort verfasst. In Deutschland lernte ich den Energieexperten Dr. Werner Zittel kennen, der die globale Energiedebatte mit seinen Publikationen mitprägt und mir ein sehr spannender Gesprächspartner war. Mit Dr. Rolf Hartl, dem langjährigen Geschäftsführer und amtierenden Präsidenten der Schweizer Erdöl-Vereinigung, habe ich am Fernsehen und an Fachkonferenzen mehrmals über Peak Oil diskutiert, und obschon wir uns in der Sache nicht einig waren, danke ich ihm für die spannenden Diskussionen.
Ein großer Teil der Arbeit wurde in Basel geschrieben. Im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv (SWA) in Basel, das für diese Forschungsarbeit äußerst wichtig war, hat mir Archivar Oliver Plüss immer wieder bei der Quellensuche geholfen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Neben der Arbeit im Archiv war der rege Austausch, den ich über die Jahre mit anderen Energieexperten pflegte, sehr wertvoll. Während den Treffen im Rahmen der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) wie auch im Energie Trialog bin ich auf viele sehr gut informierte Menschen gestoßen, die mein Wissen zur laufenden Energiewende forderten und förderten. Erwähnen möchte ich vor allem Prof. Alexander Wokaun vom Paul Scherrer Institut, Prof. Andreas Zuberbühler und Ernst Reinhardt von der SATW, Prof. Christian Pfister von der Universität Bern, Dr. Marco Berg von der Stiftung Klimarappen, Prof. Hansjürg Leibundgut von der ETH Zürich, Michael Kaufmann vom Bundesamt für Energie (BFE), Solarpionier Josef Jenni von der Jenni Energietechnik, Reto Rigassi von Suisse Eole, David Stickelberger von Swissolar, Franz Beyeler von Minergie, Martin Vosseler und Andreas Nidecker von der SUN 21, Jürg Burri und Bernhard Piller von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), Nick Beglinger vom Wirtschaftsverband Swisscleantech und Bertrand Piccard von Solar Impulse.
Während der Arbeit an diesem Buch unterrichtete ich am Historischen Seminar der Universität Basel, dem Historischen Seminar der Universität Zürich, dem Historischen Seminar der Universität Luzern und an der Universität St. Gallen (HSG) zur Erdöl- und Energiegeschichte. Danken möchte ich den Professoren Heiko Haumann, Rainer Hoffmann, Ueli Mäder, Rolf Sieferle, Rainer Hoffmann und Rolf Wüstenhagen für den fundierten, kritischen und anregenden interdisziplinären Gedankenaustausch. Die wertvolle Arbeit mit den Studentinnen und Studenten hat mich davon überzeugt, dass die Zusammenhänge von Energie, Krieg und Frieden in Zukunft systematisch untersucht werden müssen, weshalb ich 2011 in Basel das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) gegründet habe, dem ich seither als Institutsleiter vorstehe. Das SIPER hätte nicht ohne die Unterstützung und das Vertrauen von David Thiel, Martin Gafner, Michael Hobmeier, Roger Altenburger, René Steiner, Rolf Wägli, Daniel Trüssel und Kurt Schär aufgebaut werden können, wofür ich sehr dankbar bin. Bei der Recherche zu diesem Buch hat mir SIPER-Mitarbeiter Alexandre de Robaulx de Beaurieux geholfen. Danken möchte ich auch Dr. Ulrich Grete und der Stiftung Ecoscientia sowie Dr. Ulrich Gut, Maja Nagel und Herbert Bühl von der Paul Schiller Stiftung, die es ermöglichten, dass diese langjährige Forschung in völliger finanzieller Unabhängigkeit durchgeführt werden konnte.
Die Fotografen Andreas Zimmermann und Tobias Sutter haben mich im Walzwerk in Münchenstein bei der Titelgestaltung gut beraten, für die professionelle Zusammenarbeit danke ich Madlaina Bundi, Programmleiterin Sachbuch beim Orell Füssli Verlag in Zürich, und Regula Walser, die das Buch lektoriert hat. Auch meinen langjährigen Freunden Sherpa Hänggi, Philipp Schweighauser, Laurenz Bolliger, Dani Morf, Orlando Budelacci, Marcel Schwendener, Tobi Portmann, Däne Aebischer, René Ab Egg und Yves Pierre Weidmann möchte ich danken für spannende Gespräche über internationale Politik und über unser persönliches Streben nach Glück und Erfüllung im Leben.
Besonderer Dank gilt meiner Mutter, meinem Vater und meiner Schwester, die mich immer liebevoll darin bestärkten, meine Interessen zu verfolgen, auch dann, wenn ich auf große Widerstände stieß. Danken möchte ich auch Hans und Käthy Schwarz für ihre wichtige Unterstützung. In den Jahren, in denen ich an diesem Buch arbeitete, sind meine beiden Kinder Julia und Noah auf die Welt gekommen – ihnen widme ich dieses Buch. Die große Freude über die eigenen Kinder hat mich darin bestärkt, auch die langfristige Verfügbarkeit von Erdöl und die Chancen und Herausforderungen der Energiewende genau zu untersuchen, da diese Fragen für Kinder und die kommenden Generationen nicht eine theoretische Reflexion, sondern überlebenswichtig sein werden. Natürlich habe ich viel Zeit hinter meinem Computer, im Ausland und im Archiv verbracht. Mein größter Dank geht daher an meine Frau Bea, weil sie mich in guten wie in schwierigen Zeiten mit ihrer Liebe auf meinem Weg unterstützte und darin bestärkte, nach Klarheit, Wahrheit und Weisheit zu streben.
Daniele Ganser
Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER)
Basel, 29. August 2012
AEE Agentur für Erneuerbare Energien
AGIP Agenzia Generale Italiana Petroli
AIOC Anglo-Iranian Oil Company
APOC Anglo-Persian Oil Company
ARAMCO Arabian American Oil Company
ASPO Association for the Study of Peak Oil and Gas
BAR Bundesarchiv
BEAG Berner Erdöl AG
BFE Bundesamt für Energie
BFS Bundesamt für Statistik
BIGA Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit
BLS Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn
BP British Petroleum (BP)
CENTCOM US Central Command
CIA Central Intelligence Agency
CTL Coal to Liquids
EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz
EMPA Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
ENI Ente Nazionale Idrocarburi
EROI Energy Return on Investment
ETH Eidgenössische Technische Hochschule
EU European Union
EV Erdöl-Vereinigung Schweiz
EVD Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement
EWZ Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
FED Federal Reserve System
GEK Gesamtenergiekonzeption
GTL Gas to Liquids
IEA International Energy Agency
INOC Iraq National Oil Company
IPC Iraq Petroleum Company
IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change
IPE International Petroleum Exchange London
IWB Industrielle Werke Basel
KEV Kostendeckende Einspeisevergütung
KOC Kuwait Oil Company
LEAG Aktiengesellschaft für luzernisches Erdöl
LNG Liquified Natural Gas
MWV Mineralölwirtschaftsverband Deutschland
NATO North Atlantic Treaty Organization
NEPDG National Energy Policy Development Group
NGL Natural Gas Liquids
NIOC National Iranian Oil Company
NOC National Oil Corporation Libyen
NYMEX New York Mercantile Exchange
NZZ Neue Zürcher Zeitung
OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
OMV Österreichische Mineralölverwaltung
OPEC Organization of Petroleum Exporting Countries
PDVSA Petroleos de Venezuela SA
PEK Petroleum Expertenkommission
PEMEX Petroleos Mexicanos
PNAC Project for the New American Century
REN21 Renewable Energy Policy Network for the 21st Century
RRR Reserve Replacement Ratio
SASOL South African Synthetic Oil Limited
SATW Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften
SBB Schweizerische Bundesbahnen (SBB)
SEAG Aktiengesellschaft für schweizerisches Erdöl
SEC Securities and Exchange Commission
SES Schweizerische Energie-Stiftung (SES)
SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (SIA)
SIPER Swiss Institute for Peace and Energy Research Basel (SIPER)
SIPRI Stockholm International Peace Research Institute
SOCAL Standard Oil of California, später Chevron
SOCAR State Oil Company of Azerbaijan Republic
SOCONY Standard Oil of New York, später Mobil
SSS Société suisse de surveillance économique
SWA Schweizerisches Wirtschaftsarchiv
UNO Vereinte Nationen
USGS US Geological Survey
UVEK Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
VCS Verkehrs-Club der Schweiz
VSE Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke
VSG Verband der Schweizerischen Gasindustrie
WEO World Energy Outlook
WTI West Texas Intermediate
WWF World Wildlife Fund
Die Erdölgeschichte, welche 1859 mit der industriellen Förderung ihren Anfang genommen hatte, feierte im Jahre 2009 den 150. Jahrestag. In dieser relativ kurzen Zeit hat Erdöl nicht nur in Europa, sondern in allen Industrieländern zu einem fundamentalen Strukturwandel beigetragen und ist weltweit zum wichtigsten Energieträger aufgestiegen. Als Treibstoff für Millionen von Maschinen sorgt Erdöl heute für Mobilität, Wärme und Strom und dient als Rohmaterial für viele Produkte, darunter Plastik, Düngemittel und Farben.
Durch den konstanten Zufluss billiger Energie ist der Erdölkonsum der globalisierten Industriegesellschaft stark angestiegen und hat viel zu unserem heutigen Reichtum in Europa beigetragen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges lag der globale Erdölverbrauch noch bei 6 Millionen Fass (à 159 Liter) pro Tag. Doch dann folgte in Europa und anderen Ländern der Welt ein Erdölrausch, wie man ihn in der Geschichte noch nie gesehen hatte, und der globale Tagesverbrauch kletterte bis ins Jahr 2012 auf 88 Millionen Fass, was 44 Supertankern entspricht.
Energie ist das Rückgrat jeglicher Existenz. Ohne Energie kann der Mensch nicht leben. Ohne Energie ist materielle Produktion unmöglich und ein Wirtschaftskreislauf undenkbar. Wir haben uns daran gewöhnt, dass billiges Erdöl in stets größeren Mengen zur Verfügung steht. Europa ist mit einem Tageskonsum von 15 Millionen Fass stark erdölsüchtig. Europa braucht mehr Erdöl als China, das täglich 9 Millionen Fass benötigt, aber eine mehr als doppelt so große Bevölkerung wie Europa zählt. Nur die USA übertreffen mit einem Tageskonsum von 20 Millionen Fass den Erdöldurst Europas, obschon die USA weniger Einwohner zählen als Europa.
Doch nun geht uns das Erdöl aus. In Europa sind Großbritannien und Norwegen die wichtigsten Erdölfördernationen, aber in beiden Ländern wurde um das Jahr 2000 das Fördermaximum Peak Oil erreicht. Die Produktion bricht ein. Auch in den USA, dem einst größten Erdölförderland der Welt, wurde 1970 das Fördermaximum erreicht. China konnte sich noch bis 1994 aus eigenen Erdölquellen selber versorgen, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Viele Erdölfelder in China haben ihre besten Zeiten hinter sich; China tritt auf dem Weltmarkt als großer Nachfrager auf und steht dabei in direkter Konkurrenz zu Europa und den USA.
Die Zeit ist gekommen, dass wir in Europa fundamental über die Folgen unserer großen Erdölsucht nachdenken müssen. Denn nicht nur in Norwegen und Großbritannien geht die Erdölförderung zurück, auch Indonesien und Mexiko haben das Fördermaximum überschritten. Deutschland und Österreich waren einst bescheidene Erdölproduzenten, doch wie überall auf der Welt stieg die Förderung zuerst an, erreichte dann ein Fördermaximum und sank wieder ab. Darüber hat man sich wenig Gedanken gemacht, Europa hat die fehlenden Mengen stets aus dem Ausland kompensiert. Das tun auch China und die USA. Doch jetzt zeigen sich die globalen Knappheiten, das konventionelle Erdöl hat 2006 das Fördermaximum Peak Oil erreicht. Einen zweiten Planeten, aus dem wir die fehlenden Mengen importieren könnten, haben wir nicht. Der Kampf um die Ressourcen spitzt sich zu.
In den 1950er- und 1960-Jahren, als Erdöl im Überfluss vorhanden war, kostete das Fass Erdöl 2 Dollar. Energiepreise waren kein Thema, billige Energie schien vielen ein Geburtsrecht. Noch im Januar 1999 war das Fass Erdöl der Sorte Brent für 10 Dollar zu kaufen. Doch seither haben wir eine bisher völlig unbekannte Preisvolatilität kennengelernt. Der Erdölpreis stieg in nur einer Dekade um mehr als das Zehnfache und erreichte im Sommer 2008 ein Maximum bei 148 Dollar, brach dann in der Finanzkrise auf 40 Dollar ein, um bis im März 2012 wieder auf 120 Dollar anzusteigen. Nie zuvor hat die Welt derart hohe Erdölpreise erlebt.
»Wir sind ganz klar im dritten Ölpreis-Schock«, erklärte Nobuo Tanaka, der Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA) im Juli 2008.1 Die IEA hat die Aufgabe, die Industrieländer vor kommenden Erdölkrisen zu warnen. Anders als beim ersten und zweiten Ölpreis-Schock sei eine schnelle Besserung diesmal wenig wahrscheinlich, so die IEA. »1973 hat die OPEC die Erdölproduktion aus politischen Gründen gedrosselt«, so Tanaka, »und daraufhin sind die Preise stark angestiegen. Jetzt aber hat die starke globale Nachfrage die Krise ausgelöst, während die Produktion in vielen Erdölfeldern zurückgeht«, erklärte Tanaka besorgt. »Es handelt sich hier um ein strukturelles Problem, das sich nur noch zuspitzen wird«, eine schnelle Lösung sei nicht in Sicht. »Wir sind auf diese Situation nicht gut vorbereitet.«2
Die meisten Menschen wissen zwar, dass der hohe Erdölpreis die Wirtschaft belastet, sie möchten sich aber nicht genauer mit den Folgen der realen Knappheiten beim Erdöl auseinandersetzen. Man redet sich ein, der Angriff auf den Irak 2003, der die drittgrößten Erdölreserven der Welt besitzt, sei aus humanitären Gründen erfolgt, genauso wie der Angriff auf Libyen 2011, das die größten Erdölreserven Afrikas kontrolliert. Dies kann nicht überzeugen. Ehrlicher scheint es mir, wenn wir uns eingestehen, dass die USA zusammen mit europäischen Ländern Kriege führen, um Erdöl zu erbeuten. Für Erdöl wird getötet, obschon wir das gerne verdrängen.
Wir befinden uns in einer einzigartigen Konstellation und können diese nutzen, um grundlegende Fragen aufzuwerfen: Wann wurde das Erdöl entdeckt, und wie sind die großen europäischen Erdölkonzerne Shell und BP entstanden? Wie haben sich geostrategische Krisen wie der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, die Suezkrise 1956, der Jom-Kippur-Krieg von 1973, die Iranische Revolution von 1979, der Irakkrieg von 1991 und der Irakkrieg von 2003 auf den Erdölimport und die Preise ausgewirkt? Was waren die Hintergründe dieser Kriege, wer hat profitiert? Warum gehen die Erdölfunde seit 40 Jahren zurück? Und können die erneuerbaren Energien, Sonne, Wasser, Wind, Biomasse, Biogas und Erdwärme, das Erdöl ersetzen?
Das »schwarze Gold« hat die Geschichte auf ganz erstaunliche Weise beeinflusst. Den einen hat es Wohlstand und Reichtum, den anderen Verderben und Tod gebracht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit schildert dieses Sachbuch den Erdölrausch Europas und seine Folgen im internationalen Kontext. Als Schweizer Historiker und Friedensforscher hat mich der Bezug zur Schweiz und die Frage nach Krieg, Macht und Frieden interessiert. Ich habe mehrere Jahre in verschiedenen Ländern für dieses Buch recherchiert. Jetzt bin ich 40 Jahre alt, und mir ist während der Recherche klar geworden, wie stark auch mein Leben durch den Erdölrausch geprägt wurde. Heute bin ich davon überzeugt, dass wir das Erdöl verlassen sollten, bevor es uns verlässt. Dafür braucht es einen Bewusstseinswandel. Ich hoffe, dass in Zukunft immer mehr Menschen die erneuerbaren Energien, Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme und Biomasse, ausbauen, deren Effizienz fördern und Konflikte ohne Gewalt lösen werden.
Die Abhängigkeit Europas von Energieimporten begann erst mit dem Anbruch des fossilen Zeitalters. Zuvor war Europa kaum auf den Import von Energie angewiesen, da alle verbrauchte Energie in Form von Holz und Getreide auch in Europa nachwuchs. Während vieler Jahrtausende wurde hier, genau gleich wie in allen anderen Regionen der Welt, nur sehr wenig und ausschließlich erneuerbare Energie verbraucht. Darunter die über die Nahrung aufgebaute menschliche und tierische Muskelkraft, das nachwachsende Holz und andere Formen von Biomasse wie Torf. Sowohl Jäger und Sammler als auch Agrargesellschaften waren gezwungen, mit dieser Energie besonders sparsam umzugehen, denn sie war vergleichsweise teuer und stets ein knappes Gut.
Der Begriff »Europa« bezeichnet keineswegs ein eindeutig umrissenes geografisches Gebiet. Europa ist geografisch gesehen ein Subkontinent, der zusammen mit Asien den riesigen Kontinent Eurasien bildet. Eurasien erstreckt sich von Portugal im Westen bis nach Japan im Osten, von Russland im Norden bis nach Indien im Süden. In Eurasien liegen heute so verschiedene Länder wie China, Nordkorea, Dänemark, Deutschland und Frankreich. Aber auch die Staaten Saudi-Arabien, Irak und Iran, welche über die größten konventionellen Erdölreserven der Welt verfügen, gehören dazu.
Aus historischer und kultureller Sicht ist Europa klar von Asien getrennt und daher ein eigenständiger Kontinent. Europa erstreckt sich über das westliche Fünftel der eurasischen Landmasse. Doch während die Kontinente Afrika, Australien, Nordamerika, Südamerika und Antarktika durch Wasser als natürliche Grenze klar voneinander abgegrenzt sind, fehlt eine solch eindeutige Grenze zwischen Europa und Asien. Es bleibt daher offen, wo genau Europa endet und wo Asien beginnt.
Jede Grenzziehung zwischen Europa und Asien ist letztlich eine Frage der Konvention. Ein Spezialfall ist vor allem Russland, das zusammen mit Saudi-Arabien zu den wichtigsten Erdölförderern der Welt zählt und über große Gasreserven verfügt. Das größte Land der Welt liegt aus geografischer Sicht bis zum Uralgebirge in Europa, der Rest von Russland liegt in Asien. Bei den antiken Griechen bildeten der Bosporus und die Dardanellen die Grenze Europas; der größte Teil der Landmasse der heutigen Türkei befindet sich gemäß dieser Definition also nicht in Europa, sondern in Asien.
Für die vorliegende Untersuchung der Erdölabhängigkeit definiere ich »Europa« als das geografische Gebiet der derzeit 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU27). Auch Norwegen und die Schweiz, welche beide nicht Mitglied der EU sind, gehören natürlich zu Europa, ebenso wie die sogenannten »Zwergstaaten« Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino und der Vatikan. Auch das geografische Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens ebenso wie Weißrussland, die Ukraine und Moldawien, die alle weder Mitglied der EU noch der NATO sind, zähle ich zu Europa. Entgegen der antiken Definition ist für mich auch die Türkei ein Teil Europas, da das Land EU-Beitrittskandidat ist und seit Jahren zur NATO gehört. Das Gleiche gilt für EU-Beitrittskandidat Island. Russland zähle ich indes nicht zu Europa, da das Land größtenteils in Asien liegt und weder Mitglied der EU noch der NATO ist und dies vermutlich auch nie werden wird.
Europa war lange vor der Herausbildung von Staaten auf Energie angewiesen. In der Zeit der Antike, also während rund 1000 Jahren, von 500 v. Chr. bis 500 n. Chr., stammte die verfügbare Energie jedoch ausschließlich aus erneuerbaren Quellen. Weder die Griechen noch die Römer nutzten Erdöl, Erdgas, Kohle oder Atomenergie. Auch während des Mittelalters, von 500 bis 1500, basierte die Energie ausschließlich auf knappen erneuerbaren Energiequellen.
Nach Entwicklung der entsprechenden Technik wurden im Kleinen die erneuerbare Windkraft für den Antrieb von Schiffen auf den Meeren, Flüssen und Seen und die erneuerbare Wasserkraft für den Betrieb von Mühlen eingesetzt. Durch diese wenigen Energiequellen konnten genügend Nahrung, Mobilität und Wärme erzeugt werden, um der damaligen Bevölkerung Europas das Überleben zu sichern, wenn auch oft in ärmlichen Verhältnissen. Im Vergleich zum Energieverbrauch von heute war der Energiekonsum minimal.
Der Energieverbrauch ist direkt von der Größe der Bevölkerung abhängig. Heute leben in Europa rund 650 Millionen Menschen, davon 500 Millionen in der EU27. Europa gehört derzeit zu den dichter besiedelten Teilen der Erde. Dies war nicht immer so. Zur Zeit von Christi Geburt lebten in Europa nur 25 Millionen Menschen, bei einer Weltbevölkerung von rund 300 Millionen. Noch bis ins Jahr 700 lag die Bevölkerungszahl Europas unter 30 Millionen. Wälder und Sumpfgebiete bedeckten große Teile des Kontinents.1
Ab dem Jahr 700 wuchs die Bevölkerung Europas sehr langsam auf rund 70 Millionen im Jahre 1300. Die landwirtschaftlich verfügbare Fläche nahm aufgrund intensiver Rodungen zu, so dass mehr Energie in Form von Nahrung geerntet werden konnte. Trotzdem war die mittlere Lebenserwartung mit 35 Jahren im Vergleich zu heute auf einem sehr tiefen Niveau. Zudem grassierten Krankheiten. Im 14. Jahrhundert tötete die Pest rund ein Drittel der gesamteuropäischen Bevölkerung und ließ die Einwohnerzahl von 70 auf 45 Millionen Menschen absinken.2 Erst gegen 1500 waren diese Verluste wieder ausgeglichen, und die europäische Bevölkerung zählte rund 80 Millionen Menschen. In der frühen Neuzeit wuchs die europäische Bevölkerung weiter an, aber nur langsam: Im Jahre 1600 waren es 105 Millionen Menschen, im Jahr 1700 rund 115 Millionen.3
Um 1800 zählte die europäische Bevölkerung etwa 140 Millionen. Der größte Teil wohnte auf dem Land oder in kleinen Städten. 70 Prozent der Europäer lebten von der Landwirtschaft, eine Quote, die wir heute abschätzig als »unterentwickelt« bezeichnen. Der europäische Energiekreislauf fokussierte auf den Anbau von Getreide und auf die Tierhaltung für die Erzeugung von Milchprodukten und Fleisch. Großstädte mit über 100 000 Einwohnern gab es in ganz Europa im Jahre 1800 nur gerade 40. Mehr als 500 000 Einwohner zählten nur die Städte London und Paris. Weil es kein Erdöl und keinen elektrischen Strom gab, sah die Oberfläche von Europa ohne Autobahnen, Flughäfen und Strommasten völlig anders aus.4
Erst im 19. Jahrhundert kam es in Europa im Kontext der industriellen Revolution zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion, wie man sie zuvor auf dem Kontinent noch nie gesehen hatte. In England stieg die Bevölkerung von 11 auf 37 Millionen, in Deutschland von 24 auf 56 Millionen, in der Habsburger Monarchie von 23 auf 47 Millionen und in Gesamteuropa von 140 auf 400 Millionen. In verschiedenen Ländern wurden die Nahrungsmittel knapp. Es kam zu Energiekrisen, und zwar in ihrer radikalsten Form: als Hungersnöte, ausgelöst durch schlechte Ernten. In Irland starben nach den Kartoffelmissernten in den 1840er- und 1850er-Jahren rund eine Million Menschen an Hunger und Seuchen, eine weitere Million verließ aufgrund der großen Not das Land. Europa, das heute Ziel von Flüchtlingen aus aller Welt ist, war damals ein Kontinent, der von seinen Bewohnern verlassen wurde. Insgesamt wanderten im 19. Jahrhundert rund 20 Millionen Europäer aus wirtschaftlicher Not aus, viele versuchten ihr Glück in den USA.5
Auch die Schweiz wurde damals von Energiekrisen geplagt. Das Land war lange außerordentlich spärlich besiedelt. Erst um 1800 konnte die Schweizer Bevölkerung infolge der verbesserten Nahrungsgrundlage auf 1,6 Millionen Menschen anwachsen, aber das Land blieb arm.Harte körperliche Arbeit in der Landwirtschaft und eine kleine Mobilität im Umkreis von einigen Dörfern prägten diese Zeit.6 Energiekrisen forderten auch in der Schweiz Todesopfer.
Die Originalquellen zeigen, dass die Energiekrisen stets durch schlechte Ernten ausgelöst wurden: »Selten noch traf ein so durchaus nasses Jahr ein«, so die Beschreibung der »Schweizerischen Monatschronik« des Jahres 1816. »Man hat während der sechs Monathe vom April bis zum September in der Schweiz 130 Regentage gezählt. Das Schmelzen der ungeheuren Schneemassen, die während des Winters in den höheren Gegenden sich aufgehäuft hatten, vermehrte die Wassermenge. Unsäglich war der Schaden, den einzelne Gemeinden, wo förmliche Überschwemmungen eintraten, dadurch erlitten, überall wurde durch die schlimme Witterung ein bedeutender Theil der Heuernte zerstört, die Getreide- und Kartoffelernte verspätet, so dass sie nur in den milderen Gegenden mit Erfolg eingesammelt werden konnte; die Weinlese missrieth völlig.«7
Die schlechte Ernte führte 1817 zu einer Hungersnot, von der die Zeitdokumente ein bedrückendes Bild zeichnen: »Man verminderte anfänglich den Genuss gesunder, kräftiger Nahrung, bald aber musste man froh seyn, noch die geringste, schlechteste Nahrung genießen zu können«, berichtete ein Zeitgenosse aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden. »Jeder, der des Bettels nicht schon gewohnt war, suchte sich desselben noch möglichst zu erwehren; aber, früh schon gänzlich abgemattet, mit Hungergeschwulsten und Heißhunger behaftet, wurde das Betteln bald eine Wohltat … Schindlinge, zermahlne Knochen, Pferdefleisch, Zumehl, Leim, Blut, Häute von Thieren, hielten die Hungrigen für gute Nahrungsmittel; Hunde und Katzen waren für sie Leckerbissen; und braunes Heu abgesotten, dann den Absud gesalzen, fanden unsere Armen als schmackhafte Suppe.«8
Wer zu wenig Nahrung finden konnte, starb in der Schweiz in der Energiekrise von 1817: »Da ich in eine dieser Hütten, oder eins dieser Löcher eintrat, befiel mich in der That beynahe eckelndes Entsetzen«, beschrieb ein Zeitzeuge aus dem Raum Altdorf die damalige Not. »In einem kleinen Stübchen waren etwa acht Menschen in schwarzen Lumpen, die als zerissne, zerfranzte Fetzen kaum an ihnen hängen bleiben konnten, beyeinander.« Ein neugeborenes Kind, so der Berichterstatter, »lag in den Fetzen der Wiege, blass, ohne eigne Kraft, ohne bemerkbare Sorge der Eltern. Seine Nahrung waren Erdäpfel, die, als Früchte dieses Jahres, elend genug syn mochten. Die natürlichste Quelle, aus der es seine Nahrung hätte zeihen sollen, war versiegt. Wie aus Gräbern hervorgescharrt, sahen alle Anwesende aus; am elendsten der ausgemagerte Vater des Kindes, dessen hohle Augen und eingefallenen Backen und Auszehrungshusten die Nähe des Todes verkündigten«.9Einige versuchten, der Hungersnot durch Auswanderung zu entkommen. Andere harrten aus und hofften, dass die nächste Ernte gut ausfallen würde, um das Land und seine Menschen erneut mit der notwendigen Energie zu versorgen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts fällt es einem schwer, sich gedanklich ins 19. Jahrhundert zurückzuversetzen. Im Kontext von Klimawandel, Ressourcenkriegen und Unfällen in Atomkraftwerken ist es heute offensichtlich, dass die fossilen Energieträger wie auch die Atomenergie mit großen Gefahren und Risiken behaftet sind. Man könnte daher glauben, dass Europa ohne Erdöl, ohne Kohle, ohne Erdgas und ohne Uran ein viel besserer Lebensraum war, weil das ganze System gänzlich auf erneuerbaren Energien aufgebaut war. Tatsächlich waren vor der industriellen Revolution die Luft und das Wasser reiner und die Lärmbelastung geringer. Aber wer die historischen Quellen prüft, kann erkennen, dass auch jenes Zeitalter der erneuerbaren Energien keineswegs ein goldenes Zeitalter war, da Energiekrisen in Form von Hungersnöten auftraten und diese unter den ärmsten Schichten zu viel Leid und auch zum Tod führten.
Die Abhängigkeit von der fossilen Energie verlief in verschiedenen Schritten, deren Folgen den Zeitgenossen kaum bewusst waren. Es war bekanntlich die Kohle, die das fossile Zeitalter einläutete und die Industrialisierung ermöglichte. Ohne Kohle wären die europäischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts Agrargesellschaften geblieben. Der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft veränderte Europa fundamental. Mit dem Bau der ersten Dampfmaschine im Jahre 1712 war es dem Engländer Thomas Newcomen gelungen, mit Kohle Wasser zu erhitzen und die erzeugte Dampfkraft in mechanische Kraft umzuwandeln.
Diese Erfindung war für England entscheidend, weil sich das Land in einer Energiekrise befand: Der größte Teil seines Waldbestandes war abgeholzt, die oberflächlich zugängliche Kohle war aufgebraucht, während eindringendes Grundwasser den Bergleuten den Zugang zu tieferen Kohleschichten verwehrte. Newcomen gelang es, diesen Trend umzukehren, indem er seine Dampfmaschine in Staffordshire in einem der größten Kohlewerke Englands aufbaute und dort das Grundwasser abpumpte. Ab 1712 konnte England den Kohleabbau deutlich intensivieren: Das fossile Zeitalter begann. Ein Kohlebergwerk nach dem anderen wurde wiedereröffnet, und die Kohleproduktion von England stieg von rund 3 Millionen Tonnen im Jahr 1712 auf 6 Millionen im Jahre 1750. »Am Ende des Jahrhunderts«, so Paul Roberts, »produzierte England 10 Millionen Tonnen Kohle, was die Insel zum unangefochtenen König der Kohle und zur ersten modernen Energiewirtschaft machte.«10
James Watt, dem oft fälschlicherweise die Erfindung der Dampfmaschine zugeschrieben wird, verbesserte den Wirkungsrad der Newcomen’schen Dampfmaschine 1769 erheblich. In der Folge stieg der Energieverbrauch weiter an. Denn Dampfmaschine und Kohlebergbau bedingten einander insofern, als ohne Kohleförderung die Dampfmaschinen nicht betrieben werden konnten und umgekehrt die Erschließung reicher Kohlevorkommen in größerer Tiefe mit den traditionellen Methoden nicht möglich war, sondern vom Einsatz von Dampfmaschinen abhing.
Die Dampfmaschine erlaubte es aber nicht nur, das Grundwasser abzupumpen und dadurch die Kohleförderung gewaltig zu steigern, sondern auch die durch Kohle erzeugte Wärmeenergie in mechanische Energie für den Betrieb von Zügen umzuwandeln. Der erste Passagiertransport mittels einer Dampflokomotive fand 1825 in England statt, und schon bald entstand auf der Insel zwischen den Kohlewerken und den Verbrauchszentren ein großes Schienennetzwerk, auf dem Dampflokomotiven mit Kohle gefüllte Wagons transportierten. Von England kommend, breitete sich das fossile Zeitalter in ganz Europa aus und veränderte den Kontinent grundlegend. Jeder Einzelne war von dieser Veränderung betroffen. So diente Kohle unter anderem auch zur Herstellung von Stadtgas (nicht zu verwechseln mit Erdgas), das für die Straßenbeleuchtung und das Kochen und Heizen verwendet wurde.
Im Unterschied zu England verfügten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten deutschen Regionen noch über so viel billiges Holz, dass kein großer Bedarf entstand, die eigenen Stein- und Braunkohlelager verstärkt auszubeuten. Erst als die Eisenproduktion um 1830 anstieg und die Angebotsmenge an Holz an natürliche Grenzen stieß, erwies sich die verstärkte Ausnutzung von Kohlevorkommen als ökonomisch sinnvoll. 1835 wurde die erste deutsche Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. In den folgenden Jahrzehnten war die Kohlenachfrage der Eisenindustrie und der Eisenbahnen derart groß, dass auch in Deutschland mehr und mehr Stein- und Braunkohle abgebaut wurde, die beide in großen Mengen vorhanden waren.
Der Wandel von der agrarischen zu einer urban-industriellen Wirtschaft im 19. Jahrhundert vollzog sich jedoch nicht abrupt, sondern in vielen Einzelschritten. Neben der Kohle dominierten weiterhin Holz, Wind und Kleinwasserkraft den europäischen Energiemix. Windmühlen, heute vor allem noch bekannt in Holland, waren über ganz Europa verbreitet und wurden zum Mahlen von Getreide zu Schrot und Mehl eingesetzt. Im Deutschen Kaiserreich waren noch im Jahre 1895 rund 18 000 Windmühlen und 54 000 Wassermühlen in Betrieb.11
Holz blieb auch im 19. Jahrhundert ein geschätzter Werkstoff und eine wichtige Energiequelle für Europa. Es konnte, wenn es nicht übernutzt wurde, stets nachwachsen. »Das Holz lieferte Energie, Baustoff für Häuser, Brücken, Fahrzeuge, Werkstoff für Werkzeuge und Geräte, aus ihm gewann man Holzkohle zum Schmelzen und Schmieden, Pottasche zur Glasherstellung, Teer und Pech zum Abdichten von Schiffen und Fässern«, so der Historiker Karl Metz. »Mehr als neun Zehntel des geschlagenen Holzes dürfte als Brennmaterial verbraucht worden sein, zur direkten Befeuerung beim Wärmen und Kochen wie zur Herstellung von Holzkohle.«12 Trotzdem war Europa damals vergleichsweise »arm an Energie«; Freizeit und Mobilität waren knapp bemessen, die körperliche Arbeit hart und die Winter dunkel und kalt. Pro Kopf stand »zehn- bis fünfzehnmal weniger Bruttoenergie zur Verfügung als den Angehörigen der heutigen Konsumgesellschaften«, berechnete der Historiker Christian Pfister.13
In der Schweiz begann das fossile Zeitalter mit dem Bau der ersten Eisenbahn und dem Import von hochwertiger deutscher Kohle. Die Schweiz hatte zu diesem Zeitpunkt ihre eigenen spärlichen Kohlevorkommen bereits ausgebeutet; neben Holz wurde auch Torf als Brennstoff verwendet. Das neu geschaffene Eisenbahnnetz erlaubte es, das Schweizer Mittelland über Basel mit den deutschen und französischen Kohlerevieren zu verbinden und große Mengen an energetisch höherwertiger Steinkohle zu importieren.14
Heute, wo die Debatte um den Klimawandel dominiert und gegen Kohlekraftwerke demonstriert wird, ist es schwierig, sich zu erinnern, mit welch großer Freude die Zeitgenossen den Ausbau der mit Kohle befeuerten Eisenbahn erlebten. Die Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecke der Schweiz zwischen Baden und Zürich im Jahre 1847 war ein großes Volksfest. Die Menschen feierten die neue, mit Kohle betriebene »Spanischbrötlibahn« mit Stolz und Freude. Es sei ein »licht- und glanzvoller« Tag, freute sich die »Neue Zürcher Zeitung« auf der Titelseite, »da er einer Feier galt, die vor uns so viele Nationen mit dem Bewusstsein begangen haben, dass nun eine der schönsten Eroberungen des menschlichen Erfindungsgeistes ihr Eigenthum geworden sei. Mit der Eröffnung unserer Eisenbahn beginnt ein ganz neues Stadium in unsern Verkehrsverhältnissen.«15
Schon 1860 wurde das Schweizer Bahnnetz mit dem deutschen Bahnnetz verbunden. Die stetig anwachsende Zahl von mit Kohle gefüllten Bahnwagen aus Deutschland symbolisierte den Aufbruch in eine neue Zeit und den Abschied von der Agrargesellschaft. Die Industriegesellschaft entstand mit ihrer Metall- und Maschinenindustrie, dem Fahrzeugbau, der Chemischen Industrie und der Nahrungsmittelindustrie. Dank der Kohle konnten Eisen und später Stahl in fast unbegrenzten Mengen verarbeitet werden und lösten Holz als Universalwerkstoff ab. Die Zeitgenossen beobachteten erstmals ein stetes Wirtschaftswachstum, das für viele mit einer Zunahme an Mobilität und Wohlstand einherging. »Der Aufschwung der kohlebefeuerten Wirtschaft gipfelte in der langen Phase der Hochkonjunktur vor dem Ersten Weltkrieg«, berichtet Christian Pfister.16Das Modell von England, das auf der Basis der Kohle als erstes Land der Welt industrialisiert worden war, wurde zum Vorbild aller aufstrebenden Volkswirtschaften.
Im Zentrum der Energiegeschichte stand damals wie heute die Sonne, die sowohl die Nahrung für Mensch und Tier als auch das Wachsen des Holzes, das Fließen des Wassers und das Entstehen der Winde ermöglicht. Auch die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas, die unter günstigen Bedingungen im Laufe der Erdgeschichte aus organischen Materialien entstanden, sind nichts anderes als »gespeichertes Sonnenlicht«. Doch erst mit dem Beginn der industriellen Revolution gelang es ab dem 18. Jahrhundert, dieses »gespeicherte Sonnenlicht« – zuerst in Form von Kohle, dann als Erdöl und Erdgas – zu nutzen. Damit ereignete sich ein radikaler Bruch in der Geschichte der Energie, weil plötzlich Energie in großen Mengen vorhanden war, was es zuvor in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hatte. Mit der Nutzung der fossilen Energien »katapultierten sich die entstehenden Industrieländer in das Zeitalter des Überflusses, d.h. sie lösten sich aus einer Weltgeschichte der Knappheit, deren knappstes Gut die Energie war«, so Karl Metz. Auch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, befinden wir uns noch in dieser Phase des Energieüberflusses. Wir leben in einem fossilen Energierausch, und die meisten von uns können sich nicht mehr erinnern, dass Energie einmal sehr knapp und teuer war.17
Es kann kaum genügend betont werden, wie fundamental der Zufluss fossiler Energien die Geschichte Europas in den letzten 200 Jahren verändert hat. Man begann zum ersten Mal, Energieträger zu verbrauchen, die nicht permanent in ungefähr gleichem Umfang erneuert werden konnten. Damit demonstrierte Europa der ganzen Welt die Überlegenheit der fossilen Energien. Die Schattenseite wurde ausgeblendet. Wenige dachten daran, dass man von einem Schatz lebte, der in einem noch unbekannten Jahr aufgebraucht sein und danach zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen würde.
Obschon das genaue Datum des Endes des fossilen Zeitalters heute noch ungewiss ist, sind sich alle Beobachter darin einig, dass Kohle, Erdöl und Erdgas nur in beschränkten Mengen im Erdboden lagern und sich nicht in historischen Zeiträumen reproduzieren. Dasselbe gilt auch für Uran. Das fossile Zeitalter dürfte daher ein relativ kurzer, wenn auch sehr intensiver Abschnitt der Menschheitsgeschichte sein (vgl. Infografik »Erdölzeitalter auf langer Zeitachse« auf Seite 368). Der Historiker Rolf Peter Sieferle verglich den Verbrauch fossiler Energie in historischen Zeiträumen grafisch eingängig mit dem »Bild einer Nadel auf der Zeitachse«. Der schwedische Biochemiker Gösta Ehrensvärd sprach zugespitzt vom kurzen »fossilen Intermezzo«.18
Dass die fossilen Energieträger aufgrund ihrer hohen Energiedichte die erneuerbaren Energieträger wie Holz, Wasserkraft oder Windkraft in nur zwei Jahrhunderten verdrängten, erstaunt nicht. Denn sie waren schlicht besser, und zwar in dem Sinne, dass aus ihnen mehr Wärme erzeugt werden konnte als aus den erneuerbaren Energien. Bedenkenlos wurde die Abhängigkeit von den fossilen Energien in sehr kurzer Zeit dramatisch ausgebaut, was heute vermehrt kritisch reflektiert wird. »Das gegenwärtige Energiesystem basiert zu 80 Prozent auf der Nutzung nicht-regenerativer fossiler Energieträger«, kritisierte der Energieexperte Frank Umbach zu Beginn des 21. Jahrhunderts.19 Da China, Indien und Brasilien dem Beispiel von Europa folgten und im Kontext ihrer Industrialisierung vermehrt fossile Energien konsumieren, ist es zu einem dramatischen Anstieg des Energieverbrauchs gekommen, ohne absehbaren Rückgang der stetig wachsenden Nachfrage.
In den industrialisierten Ländern Europas ermöglichten die fossilen Energiequellen einem immer größeren Teil der Bevölkerung bessere Lebensbedingungen, wie sie im Mittelalter nur den von Sklaven- und Fronarbeit lebenden Feudal- und Adelsschichten vergönnt waren. Armut und Hunger wurden durch den scheinbar unendlichen Vorrat an fossilen Energiequellen und die Leistungssteigerung in der Agrarwirtschaft Schritt für Schritt zurückgedrängt. Billigflieger machen es heute möglich, dass auch Studenten mit bescheidenem Einkommen ohne Probleme in wenigen Stunden von Berlin nach Barcelona fliegen können, was einem Mobilitätsangebot entspricht, das im Mittelalter nicht einmal Königen möglich war.
Das Erschließen fossiler Energiequellen und der steigende Wohlstand trugen mit dazu bei, dass sich die Bevölkerung nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt sprunghaft vergrößerte. Zur Zeit von Christi Geburt zählte die Weltbevölkerung nur 300 Millionen Menschen. Dann dauerte es mehr als 1600 Jahre, bis sich die Weltbevölkerung auf 600 Millionen Menschen verdoppelte. Im Jahre 1800 lebten erstmals 1 Milliarde Menschen auf der Erde. Danach dann wuchs die Weltbevölkerung so stark wie nie zuvor. 1927 war die Marke 2 Milliarden erreicht, 1959 dann die Marke 3 Milliarden. Schon 1974 lebten 4 Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde, bei stetig größerem Verbrauch an fossilen Energieträgern. 1987 waren es 5 Milliarden, 1999 schließlich 6 Milliarden. Im Jahr 2011 stieg die Weltbevölkerung auf aktuell 7 Milliarden. Auffällig an dieser Entwicklung ist, dass es nur zwölf Jahre dauerte, bis die Weltbevölkerung von 6 auf 7 Milliarden angewachsen war. Wir beobachten derzeit einen demografischen Zuwachs, wie ihn die Menschheitsgeschichte noch nie zuvor registriert hat (vgl. Infografik »Wachstum der Weltbevölkerung« auf Seite 369).
Zumindest in Teilen wurde das Bevölkerungswachstum durch den fundamentalen Einfluss der fossilen Energieträger auf die Landwirtschaft ermöglicht, auch wenn dieser Aspekt der fossilen Revolution in der Energiedebatte oft unberücksichtigt bleibt. Die Landwirtschaft war während Jahrhunderten eine Wirtschaftsform zur Umwandlung von Sonnenenergie in Nahrungsmittel. Dies änderte sich im fossilen Zeitalter fundamental, da sich die Landwirtschaft vom Energielieferanten zum Energieverbraucher wandelte. Durch »die massenweise Verwendung fossiler Stoffe zum Antrieb von Agrarmaschinen wie für Düngung und zur Bekämpfung von Schädlingen wird mehr Energie verbraucht, als durch Photosynthese in den geernteten Pflanzen enthalten ist«, betont der Technikhistoriker Karl Metz richtig. Diese Zusammenhänge sind durch die Forschung klar belegt, aber kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert. Zugespitzt könnte man auch sagen: Wir essen Erdöl. Der Zufluss von Erdöl und Erdgas hat die Landwirtschaft revolutioniert und die Erträge vervielfacht. Getreide wird an Tiere zur Fleischproduktion verfüttert. Der Erdölrausch bedeutet – zumindest für die reichen Länder – Nahrung im Überfluss. »Ohne diese Energierevolution in der Landwirtschaft hätte es … keinen Überfluss der Nahrung und kein explosives Wachstum der Weltbevölkerung … geben können«, ist Metz überzeugt.20
Der Charakter der Landwirtschaft änderte sich mit der fossilen Revolution fundamental. »Man brachte es so weit, dass man vielfach mehr fossile Energie zur Feldbestellung, Düngung und Schädlingsbekämpfung aufwenden muss, als schließlich in der Pflanze photosynthetisch gebunden ist«, erkennt auch der Historiker Rolf Peter Sieferle.21 Damit wandelte sich die Landwirtschaft von einem System der Energiegewinnung durch die Zugabe von fossiler Energie in ein System der Stoffumwandlung, bei dem per saldo Energie verloren geht.
Die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion befinden sich heute in einer starken Abhängigkeit von fossilen Energien. Erdöl ist bei der Landrodung, für den Antrieb von Maschinen wie Traktoren oder Mähdrescher, für die Nahrungsmittelverarbeitung und den Nahrungstransport zum Endkunden zentral. Auch Erdgas ist für die Nahrungsmittelproduktion wichtig. Seit Chemiker entdeckt haben, dass Pflanzen für ihr Wachstum vor allem Stickstoff, Phosphor und Kalium brauchen, wird Kunstdünger chemisch produziert. In einem Hochdruckverfahren wird der Stickstoff, der in der Luft reichlich vorhanden ist, mithilfe von Erdgas oder anderen Energiequellen stofflich mit Wasserstoff verbunden, wodurch Ammoniak entsteht, der als Düngemittel eingesetzt wird. Ohne Erdöl und Erdgas wäre die »Grüne Revolution«, die den landwirtschaftlichen Ertrag weltweit stark ansteigen ließ, unmöglich gewesen.
In den ersten hundert Jahren der Erdölgeschichte, also zwischen 1850 und 1950, verbrauchte Europa vergleichsweise wenig Erdöl. Die Kohle dominierte in dieser Zeit die Energieversorgung. Trotzdem waren diese hundert Jahre für die spätere europäische Wirtschaftsgeschichte prägend, denn in den USA und in Europa entstand eine mächtige Erdölindustrie, die das »schwarze Gold« förderte und weltweit verkaufte.
»Produziert« wurde das Erdöl durch die Erdölindustrie nie, auch wenn dieser Ausdruck zuweilen anstelle von »gefördert« verwendet wird und suggeriert, die Erdölindustrie würde selber etwas herstellen. Dies ist natürlich nicht der Fall; die Erdölindustrie veredelt lediglich Rohöl zu Erdölprodukten wie Diesel oder Heizöl. Das Rohöl selber kann niemand »produzieren« – es entstand, gleich wie die Kohle und das Erdgas, lange bevor die ersten Menschen den Planeten bevölkerten. Es ist ein Rückstand aus organischen Überresten, hauptsächlich aus Algen und tierischem Plankton, aber auch aus Landpflanzen, die sich als »gespeichertes Sonnenlicht« am Meeresboden von Ozeanen, Seen und küstennahen Gewässern ansammelten. Während sich der größte Teil der toten organischen Substanz am Meeresboden zersetzte und verrottete, wurde ein kleiner Teil von Sedimentgestein zugedeckt, über Millionen von Jahren konserviert und durch Untergrundhitze und Druck in Erdöl und Erdgas verwandelt.1
Die winzigen und leichten Tröpfchen von Erdöl und kleinen Blasen von Erdgas wanderten im Laufe der Erdgeschichte durch feine Poren des schweren Gesteins nach oben, traten auf natürliche Weise an der Erdoberfläche aus und gingen dadurch wieder verloren. Nur an wenigen Stellen trafen die aufsteigenden Tröpfchen und Blasen auf eine undurchdringbare Decke, eine sogenannte Kappe, die sie am weiteren Aufsteigen hinderte, was dazu führte, dass sich unter dem Erdboden und unter dem Meer kleine und große Speicherfelder aus porösem Gestein, getränkt mit Erdgas und Erdöl, bilden konnten. Im porösen Speichergestein konzentrierte sich das leichtere Gas jeweils in den oberen Lagen.
Nach dem Abbau von Kohleschichten oder Salzlagen entstehen im Erdboden Löcher, ja ganze Gang- und Höhlensysteme, in denen ein erwachsener Mensch gehen oder gar ein Lastwagen fahren könnte. Solche Öffnungen werden zum Teil wieder geschlossen, durch Entfernen der Verstrebungen und durch geplantes Absenken der darüberliegenden Schichten. Analog ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass durch die Förderung von Erdöl und Erdgas solche Leerräume im Untergrund entstehen – zumindest sind entsprechende Fragen des Öfteren an mich herangetragen worden, sowohl von meinen Studenten wie auch bei öffentlichen Vorträgen zum Thema Erdöl in der Privatwirtschaft. Diese Vorstellung ist indes falsch. Sie beruht zum Teil auf semantischen Missverständnissen. Ein »Oil Pool« ist nicht ein »Erdölteich«, sondern eine Ansammlung von Rohöl in porösem Reservoirgestein. Nach dem Abbau von Erdöl und Erdgas bleiben keine Hohlräume zurück, denn das Erdöl, gleich wie das Erdgas, befindet sich in einem Speichergestein in winzigen Poren, also zum Beispiel zwischen den Sandkörnern eines ölführenden Sandsteins, und das Speichergestein bleibt im Boden. Das mengenmäßig entzogene Erdöl wird in aller Regel durch aufsteigendes Wasser ersetzt.
Erdöl kann, anders als landläufig angenommen, auch niemals in vollem Umfang gefördert werden – mehr als die Hälfte bleibt als Restöl im Gestein haften. Der Entölungsgrad, der den prozentualen Anteil des geförderten Erdöls am Gesamtvorkommen angibt, ist je nach Lagerstätte und Beschaffenheit des Erdöls sehr unterschiedlich und liegt durchschnittlich bei 20 bis 40 Prozent. Durch das Einpressen von Wasser oder durch Injektion von Chemikalien oder Gasen (sekundäre und tertiäre Förderung) kann der Entölungsgrad eines Feldes auf bis zu 45 Prozent erhöht werden. Die sekundäre und tertiäre Förderung ist teuer und aufwendig. Wann ein Erdölfeld wirklich leer ist, hängt daher auch vom Erdölpreis auf dem Weltmarkt ab. Erst wenn dieser über 70 Dollar liegt, ist die sekundäre und tertiäre Förderung wirtschaftlich.
Erdöl und Erdgas, die durch Ritzen und Poren auf natürliche Weise an der Erdoberfläche auftreten, waren schon in früheren Jahrhunderten bekannt. 3000 v. Chr. wurde in Mesopotamien an verschiedenen Orten eine schwarze, halbfeste, schlammige Substanz beobachtet, die aus Bodenritzen und Gesteinsspalten austrat und als »Erdpech« oder »Bitumen« bezeichnet wurde. Die berühmteste Erdölquelle lag in Hit am Euphrat im heutigen Irak, unweit von Bagdad, damals als die sagenhafte Stadt Babylon verehrt. »Es gibt viele unglaubliche Wunder im Lande Babylon, aber keines ist so groß wie die gewaltige Menge an Erdpech, die es dort gibt«, berichtete der griechische Historiker Diodor voller Bewunderung.2 Sowohl Erdgas als auch Erdöl wurden an einigen Austrittsstellen abgebrannt und als heilige Kraftquelle in Feuerkulten verehrt.
In der Antike war Erdpech eine Handelsware, die in bescheidenen Mengen zum damaligen Wirtschaftskreislauf gehörte. Im Schiffbau dichtete Erdpech die Fugen ab, beim Hausbau diente es als Baumörtel, um die Ziegel zu verbinden. Als »unermüdliches Feuer« fand Erdölpech auch in der Kriegsführung Verwendung. Der Perserkönig Cyrus setzte in seiner Kriegsführung bei der Einnahme von Babylon auf Brandwaffen und sicherte so seiner Armee den Sieg: »Wir haben genügend Pech und Werg, so dass das Feuer sich schnell überall ausbreiten wird«, so Cyrus, »und die Menschen auf den Hausdächern entweder rasch ihren Posten verlassen oder verbrennen müssen.«3
Auch in Europa waren vereinzelte, auf natürliche Weise aussickernde kleine Erdölvorkommen seit Jahrhunderten bekannt. Johann Jakob Scheuchzer schrieb in seiner 1746 publizierten »Naturgeschichte des Schweizerlandes«, dass »an dem Fuße des Wallenbergs, welcher an der mittägigen Seite des Wallenstätter Sees aufsteiget, ein Wasser entspringt, welches einen Schwefelgeruch hat, und viel zähe Bergwächsische Theile enthaltet, welche gleich einem Fröschleich sich in ziemlich große Stücke oder Fetzen sammeln und theils oben auf schwimmen, theils an der Seite ankleben«. In einem anderen Bericht notiert Scheuchzer: »An dieses Bergs – Tödtiberg – Nordseite ist eine Cristal-Mine und nicht weit davon ein gewisser Ort, genannt Oelbanken, weil da zur Sommerzeit ein starker Geruch eines in der Erde verborgenen liegenden Petrolei oder Steinöls verspürt wird.«4 In beiden Fällen handelte es sich um das natürliche Auftreten geringer Mengen von Erdöl. Das Erdöl wurde als medizinisches Mittel eingesetzt, insbesondere gegen Krankheiten des Viehs, als Wagenschmiere und in sehr geringer Menge auch als Leuchtmaterial.
Bevor die Erdölindustrie entstand, spielte Erdöl im Leben der Menschen während Jahrtausenden nur eine untergeordnete Rolle. Von einem »Erdölrausch« konnte keineswegs die Rede sein; die gefundenen und verbrauchten Mengen waren sehr gering. »Das Erdöl ist eine nutzlose Absonderung der Erde«, glaubte eine Kommission der russischen Kaiserlichen Akademie, welche 1806 in Baku einen Bericht für den Zaren Alexander I. in St. Petersburg verfasste. »Es ist der Natur nach eine klebrige Flüssigkeit, die stinkt. Das Erdöl kann in keiner Weise verwendet werden. Man könnte damit höchstens die entsetzlich quietschenden Räder der Karren der Eingeborenen schmieren.«5
Die Geburt der modernen Erdölindustrie vollzog sich am 27. August 1859 bei Titusville im US-Bundesstaat Pennsylvania, als der Amerikaner Edwin Drake mit seiner erfolgreichen Bohrung in nur 22 Meter Tiefe auf Erdöl stieß und das moderne Erdölzeitalter einläutete. Drake hatte erstmals die Technik des Bohrens eingesetzt, die zuvor nur zur Gewinnung von Salz verwendet worden war. »Ich war überzeugt«, so Drake später, »dass Öl in großen Mengen durch die Bohrungen gefördert werden könnte, wie man sie zur Gewinnung von Salzsole einsetzt. Und ich war entschlossen, dass kein anderer als ich selbst das tun sollte.«6
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