Illegale Kriege - Daniele Ganser - E-Book

Illegale Kriege E-Book

Daniele Ganser

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Beschreibung

»Wir, die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat -, haben beschlossen: Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.« Charta der Vereinten Nationen,abgeschlossen in San Francisco am 26. Juni 1945. Mit der Gründung der UNO gilt ein weltweites Kriegsverbot. Nur in zwei Ausnahmen sind kriegerische Maßnahmen zugelassen (Selbstverteidigung oder Mandat des UNO-Sicherheitsrats). Die Realität ist jedoch eine ganz andere. Dieses Buch beschreibt, wie in Vergangenheit und Gegenwart Illegale Kriege geführt werden. Es zeigt, wie die Regeln der UNO und vor allem das Kriegsverbot gezielt sabotiert wurden und welch unrühmliche Rolle hierbei die Länder der NATO spielen. Es ist ein Buch von beklemmender Aktualität.

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Seitenzahl: 690

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Dieses Buch widme ich meiner

Mutter Jeannette und meinem Vater Gottfried

sowie allen Menschen, die sich mutig, achtsam

und gewaltfrei für den Frieden engagieren.

»Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Gewaltverbot, UNO-Charta 1945 (Kapitel 1, Artikel 2, Absatz 4)

Daniele Ganser

Illegale Kriege

Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren

Eine Chronik von Kuba bis Syrien

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-98791-014-2

© Westend Verlag, Frankfurt/Main 2022

© Orell Füssli Sicherheitsdruck AG. Zürich 2016

Umschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Druck und Bindung: CPI - Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Dank

Jeder Forscher wird von vielen Menschen unterstützt, ohne die er seinen Weg nicht gehen könnte. Mein Dank geht an Professor Rainer Hoffmann, der am Historischen Seminar der Universität Basel lehrte. Während meiner Studienzeit hat er mir auf wundervollen inspirierenden Wanderungen durch den Schwarzwald die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Gesellschaft aufgezeigt.

Achtung und Dank gilt auch meinen langjährigen Freunden Sherpa Hänggi, Tobi Portmann, Marcel Schwendener, Däne Aebischer, Yves Pierre Wirz, Philipp Schweighauser, Laurenz Bolliger, Nick Beglinger, Raymond Schärer und Dani Morf für viele spannende Gespräche über das Zeitgeschehen, die internationale Politik und das, was wirklich zählt im Leben. Echte Freunde sagen einem immer ehrlich ihre Meinung und helfen einem dadurch, die eigenen blinden Flecken zu erkennen und sich weiterzuentwickeln. Danken möchte ich zudem Andreas Zimmermann, Tobi Sutter und Urs Beyeler für die tolle Zeit im Walzwerk sowie Alexandre Robaulx de Beaurieux, meinem geschätzten Mitarbeiter am Swiss Institute for Peace and Energy Research in Basel, für seine wertvolle Hilfe bei der Recherche für dieses Buch. Meinem Lektor Alwin Letzkus gebührt mein Dank für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und meinem Verleger Stephan Meyer vom Orell Füssli Verlag in Zürich danke ich für die langjährige und gute Zusammen­arbeit.

Ein besonderer Dank gilt schließlich meiner Mutter Jeannette Ganser, meiner Schwester Tea Ganser und meinem 2014 in Lugano verstorbenen Vater Gottfried Ganser. Ich bin Schweizer, und meine Eltern sind beide Schweizer, das prägt meine Perspektive. Aber die Eltern von meinem Vater stammen aus Deutschland und sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Schweiz eingewandert, wo mein Vater 1922 in La Chaux de Fonds geboren wurde. Die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielt er nicht sofort. Während des Zweiten Weltkriegs studierte er Theologie an der Universität Basel. Weil seine Eltern Deutsche waren, wurde er 1943 vom deutschen Generalkonsul in Zürich zum Wehrdienst einberufen. Mein Vater war damals 21 Jahre jung und wollte nicht an Hitlers Krieg teilnehmen.

Diese Entscheidung meines Vaters gegen den Krieg hat mich als Sohn und Historiker bewegt. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Wissenschaftler durch seine Nationalität und Familiengeschichte beeinflusst wird. Auch aus diesem Grunde habe ich nicht nur die internationale Politik, sondern auch Teile meiner Familiengeschichte erforscht. Im Nachlass meines Vaters habe ich eine handschriftliche Notiz vom Oktober 1943 gefunden, in der er seine Beweggründe für die Kriegsdienstverweigerung in einem ersten Entwurf des Briefes an den Generalkonsul darlegte. »Der Grund meines Hierbleibens ist eben die Weltanschauung des neuen deutschen Reichs, die den deutschen Bürger in der ganzen Welt verhasst gemacht hat. Möge Gott Ihnen einmal die Erkenntnis geben, dass die Völker als Brüder nebeneinandergestellt sind, und dies nicht, damit eines dem anderen durch Gewalt seine Weltanschauung aufdränge. Ich kann es heute noch nicht verstehen, dass unser hochchristliches Deutschland jedes Verantwortungsgefühl vor Gott verloren haben sollte.« Diese klare Ablehnung des Faschismus und des Nationalsozialismus durch meinen Vater hat meine Friedensforschung geprägt.

Meine Mutter war Kinderkrankenschwester und hat sich immer bemüht, Leid zu mildern und Heilung zu unterstützen. Ich danke meiner Mutter und meinem Vater, meiner Schwester und ihrem Mann Thomas Weiss, dass sie mich immer in meiner Arbeit unterstützt haben, auch dann, als ich entschied, mich auf das doch etwas ungewohnte Fachgebiet der internationalen verdeckten Kriegsführung zu spezialisieren.

Danken möchte ich aber vor allem auch meiner Frau Bea. Wenn man sich mit der NATO auseinandersetzt und illegale Kriege in Büchern und öffentlichen Vorträgen kritisiert, macht man sich nicht nur Freunde. Die Kriegstreiber sind mächtig und einflussreich. Immer wieder wurde ich in den letzten Jahren in verschiedenen Zeitungen angegriffen. Doch meine Frau hat mich stets darin bestärkt, weiter nach bestem Wissen und Gewissen meine unabhängige historische Forschung fortzuführen. Dafür gebührt ihr mein innigster Dank. Ohne sie wäre dieses Buch in der nun vorliegenden Form nie möglich gewesen.

Dr. Daniele Ganser

Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER)

Basel, 1. Juli 2016

Einleitung

In einer Zeit, in der immer mehr Flüchtlinge nach Europa kommen, fordern Politiker und Bürger zu Recht, dass man die Ursachen der Flüchtlingskrisen bekämpfen müsse. Doch was sind die Ursachen? Neben Bevölkerungswachstum, Armut, Umweltzerstörung und Arbeitslosigkeit sind es ohne Frage die Kriege, welche die Herkunftsländer der Flüchtlinge verwüsten. Krieg und Terror dominieren seit Jahren die täglichen Schlagzeilen in den Massenmedien. Doch viel zu selten wird in Europa und Nordamerika in denselben Massenmedien betont, dass Kriege illegal sind.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der UNO-Friedensorganisation gilt ein weltweites Kriegsverbot. Zu diesem Verbot gibt es nur zwei Ausnahmen: Erstens gilt das Recht auf Selbstverteidigung, das heißt ein Land, das angegriffen wird, darf sich verteidigen. Zweitens darf Krieg gegen ein Land geführt werden, wenn ein ausdrückliches Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt. Abgesehen von diesen zwei Ausnahmen ist Krieg verboten, seit mehr als 70 Jahren.

Wenn jemand eine Waffe nimmt, auf die Straße geht und dort einen anderen Menschen erschießt, ist das illegal. Mord ist verboten. Das wissen alle Menschen. In einem funktionierenden Rechtsstaat wird der Mörder von der Polizei gesucht, gefunden, erhält vor erfahrenen und gerechten Richtern einen fairen Prozess und muss für mehrere Jahre ins Gefängnis. Viele Menschen wissen, dass auch Krieg genau wie Mord illegal ist. Wenn ein Land ein anderes Land mit Waffen angreift, ist das verboten. Die Politiker des Landes, das den Angriff durchführt, also in aller Regel Präsidenten oder Premierminister, machen sich des schweren Verbrechens der Aggression schuldig und müssten angeklagt und bestraft werden, viele müssten ins Gefängnis.

Doch genau dies geschieht nie oder selten, weil erstens die verantwortlichen Politiker im Gegensatz zu Straßenmördern zu mächtig sind, als dass sie jemand festnehmen und bestrafen könnte. Und weil zweitens die Massenmedien es nicht wagen, die Politiker, die ohne UNO-Mandat Angriffskriege führen, klar und deutlich als Verbrecher zu bezeichnen. Das hat weitreichende Folgen. Denn was nicht im Fernsehen kommt und nicht in der Zeitung steht, wird auch selten gedacht und diskutiert, weshalb das breite Publikum selten auf die Idee kommt, dass Kriegsverbrecher aus den NATO-Staaten mitschuldig an der Flüchtlingskrise sind, weil es stets nur von kriminellen Schleppern hört, die zwar auch Verantwortung tragen, aber viel weiter unten in der Hierarchie stehen.

Ich bin Schweizer Historiker und Friedensforscher und habe mich auf die internationale Zeitgeschichte seit 1945 spezialisiert und leite in Basel das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER). Über viele Jahre hinweg habe ich verschiedene Kriege aus der Distanz beobachtet und mit Erschrecken Folgendes festgestellt: Es sind die Länder der NATO, der größten Militärallianz der Welt, welche angeführt von den USA in den letzten 70 Jahren am meisten illegale Kriege vom Zaun gebrochen haben, aber immer völlig straflos davongekommen sind. Die USA und die NATO sind eine Gefahr für den Weltfrieden, sie haben das Kriegsverbot wiederholt missachtet.

In diesem Buch lege ich an konkreten Beispielen aus verschiedenen Ländern und Jahren dar, wie illegale Kriege geführt werden. Ich zeige auf, wie die Regeln der Friedensorganisation UNO gezielt und absichtlich sabotiert wurden. Meine Recherchen zum Thema illegale Kriege haben sich über viele Jahre hingezogen, weshalb ich die Entstehungsgeschichte dieses Buches kurz darlegen möchte.

Begonnen hat diese Forschung im Jahre 1997. Ich war damals 24 Jahre alt und Student der Geschichte an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel. Im Rahmen der Abschlussprüfungen musste ich während sechs Monaten ein Themenfeld genau untersuchen und danach eine rund 150 Seiten lange Lizentiatsarbeit (heute Masterarbeit) vorlegen. Ich wusste, dass Kriege illegal sind, und beschloss am Beispiel der Kubakrise von 1962 zu prüfen, ob damals die Regeln der UNO eingehalten wurden oder nicht. Im Archiv studierte ich die schriftlichen Protokolle des UNO-Sicherheitsrates und der UNO-Generalversammlung und las Fachliteratur. Die UNO-Quellen sind öffentlich zugänglich. Jeder kann nachlesen, was die Vertreter der verschiedenen Länder in den UNO-Sitzungen sagten. Damals war noch alles auf Papier. Heute findet man viele wertvolle UNO-Dokumente auch digital in der United Nations Dag Hammarskjöld Library.

Nachdem ich viel gelesen hatte, kam ich zu einem für mich persönlich erschütternden Resultat: Die Regeln der UNO werden systematisch missachtet, ohne dass dies in den Massenmedien bekannt gemacht wird. Immer wieder wird im UNO-Sicherheitsrat gelogen. Zudem werden verdeckte Kriege geführt, wie die Invasion der Schweinebucht 1961, gegen die die UNO machtlos ist. Ich verfasste meine Recherche auf Englisch und legte meine Forschungsresultate unter dem Titel »The Role of the United Nations in the Cuban Missile Crisis 1962« im Juli 1997 der Universität Basel vor. Ich bestand die Prüfungen. Die begleitenden Geschichtsprofessoren Rainer Hoffmann und Georg Kreis benoteten die Arbeit mit summa cum laude und ermunterten mich, meine Forschungsresultate zu publizieren.

Im Jahre 2000 erschien meine Lizentiatsarbeit beim kleinen Verlag University Press of the South in den USA unter dem Titel: »Reckless Gamble. The Sabotage of the United Nations in the Cuban Conflict and the Missile Crisis of 1962«. Noam Chomsky, ein von mir sehr geschätzter Professor am MIT in den USA, der sich wiederholt sehr kritisch zu den illegalen Kriegen seines Heimatlandes geäußert hatte, lobte meine Publikation, was mich als frischgebackenen Historiker freute. Chomsky erklärte auf dem Umschlag, das Buch sei eine »erhellende Studie, die nicht nur sehr zum besseren Verständnis der Kubakrise beiträgt, sondern auch deutlich macht, wie sich die mächtigsten Mitgliedsländer in der UNO verhalten.«

Mittlerweile war ich derart fasziniert von der internationalen Politik, dass ich die Universität Basel nach meinem Lizentiat nicht verließ, sondern mich im Rahmen einer Dissertation ab 1998 weiter in die internationale Zeitgeschichte vertiefte. In meinem neuen Forschungsprojekt untersuchte ich die Geheimarmeen der NATO im Kalten Krieg und erlangte im September 2001 meinen Doktortitel im Fachbereich Geschichte. Einen Teil meiner Forschung zu den Geheimarmeen hatte ich an der London School of Economics and Political Science (LSE) in London durchgeführt und dort mit Wissenschaftlern aus Finnland, Norwegen, USA, Großbritannien und anderen Ländern wiederholt über die NATO und die UNO diskutiert. Das Thema war brandaktuell, weil damals im Jahre 1999 die NATO ohne UNO-Mandat Serbien bombardierte. Als junger Doktorand wurde mir immer deutlicher, dass die NATO die Regeln der UNO missachtet.

Jetzt bin ich 44 Jahre alt und merke, dass ich schon seit 20 Jahren zur NATO und zur UNO forsche. Über all die Jahre habe ich Daten, Zitate und Fakten für dieses Buch gesammelt. Im Februar 2003, kurz bevor die USA und Großbritannien in einem illegalen Krieg ohne UNO-Mandat den Irak angriffen – woraus später die Terrormiliz IS entstand, die derzeit Syrien destabilisiert –, habe ich mit meiner Frau und Freunden in der Schweizer Hauptstadt Bern gegen den Irakkrieg demonstriert. Mit rund 40.000 Menschen war es eine der größten Demonstrationen, welche die Schweiz seit 1945 gesehen hatte. Auch in anderen Hauptstädten in Europa und Nordamerika gingen Tausende auf die Straßen. Den amerikanischen Präsidenten George Bush und den britischen Premierminister Tony Blair kümmerte es nicht. Trotz der Proteste griffen sie im März 2003 den Irak an, stürzten den Nahen Osten ins Chaos und erzeugten viel Leid und große Flüchtlingsströme. Was für die Hippies der Vietnamkrieg war, ist für mich der Irakkrieg: ein Ereignis, das die Welt erschüttert und Millionen von Menschen politisch bewegt hat, unter ihnen auch mich.

Weil nach dem Irakkrieg für immer mehr Menschen deutlich wurde, dass illegale Kriege den Weltfrieden gefährden, stieg auch das Interesse an der Friedensforschung und der historischen Untersuchung der Gewaltspirale. Daher fragte der Kai Homilius Verlag aus Berlin bei mir an, ob er meine Forschungsresultate zum Kubakonflikt, die ja nur auf Englisch vorlagen, auf Deutsch übersetzen und in seiner Edition Zeitgeschichte publizieren dürfe. Ich war damit einverstanden. Klaus Eichner übersetzte den Text und das Buch erschien 2007 unter dem Titel »Die Kubakrise – UNO ohne Chance. Verdeckte Kriegsführung und das Scheitern der Weltgemeinschaft 1959–1962.« Das Buch wurde während einigen Jahren verkauft, ist jetzt aber vergriffen und wird nicht mehr nachgedruckt. Die relevanten Daten zu Kuba sind in einem längeren Kapitel in diesem Buch enthalten.

Mit diesem Werk lege ich nun meine über die Jahre gesammelten Analysen zum Thema illegale Kriege vor. Natürlich ist es keine umfassende Darstellung aller illegalen Kriege seit 1945, denn es sind derart viele, dass nicht alle hier erwähnt werden können. Ich habe mich darauf beschränkt, nur illegale Kriege zu behandeln, an denen NATO-Länder beteiligt waren, aber natürlich gibt es auch illegale Kriege, an denen keine NATO-Länder beteiligt waren. Dies bedeutet: Viele illegale Kriege bleiben in diesem Buch unerwähnt, und es ist ein weites Forschungsfeld, auf dem noch viel Arbeit geleistet werden muss.

Das Buch ist in Länderkapitel unterteilt und chronologisch aufgebaut. Jedes Kapitel steht für sich. Der Leser kann also, nachdem er die einführenden Kapitel zur UNO, zur NATO, zu den USA und zum Strafgerichtshof durchgelesen hat, frei zwischen den Länderkapiteln springen und das lesen, was ihn am meisten interessiert. Am Ende des Buches erlaubt die Chronologie einen schnellen Überblick über die wichtigsten Daten und Ereignisse.

Es ist meine Hoffnung, dass eine junge Studentin oder ein junger Student dieses Buch lesen wird, und dass es ihr oder ihm genau gleich ergehen möge wie mir damals, als ich als 24-jähriger Geschichtsstudent in der Bibliothek der Universität Basel saß: Dass nämlich ein waches und bleibendes Interesse an der Welt, den Menschen und am Frieden entsteht. Zudem hoffe ich, dass dieses Buch auch all jene Menschen außerhalb der Universität und in allen Altersgruppen stärkt, die sich für das Weltgeschehen und die Friedensbewegung interessieren und engagieren. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir illegale Kriege vermeiden müssen und die UNO-Charta achten sollten.

1. Gründung der UNO 1945

Die Weltfriedensorganisation United Nations Organisation (UNO) wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco in den USA gegründet. Der Hauptsitz der UNO befindet sich in New York, der Zweitsitz im Palais des Nations in Genf in der Schweiz. Viele Gründerväter der UNO waren erschüttert von dem Leid und den Grausamkeiten, die sich die Menschen im Zweiten Weltkrieg gegenseitig zugefügt hatten. Dieser größte und grässlichste aller Kriege, der bisher auf dem blauen Planeten gefochten wurde, hatte 60 Millionen Menschenleben gefordert, was der gesamten heutigen Bevölkerung von Frankreich entspricht.

Nie wieder Krieg

Schon nach dem Ersten Weltkrieg waren kleine Friedensbewegungen entstanden. Deutsche Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, gründeten 1919 den »Friedensbund der Kriegsteilnehmer« und engagierten sich aktiv gegen neue Kriege. »Der Weltkrieg ist vorbei. Wenn er einen Sinn gehabt haben soll, kann es nur der gewesen sein, die Völker über den Aberwitz bewaffneter Auseinandersetzungen zu belehren«, erkannten die Soldaten weise. »Auch solche gigantischen Lehren werden jedoch rasch vergessen. Es gilt, die Erinnerung an die Leiden, das Blut, den Schmerz, das unterdrückte Menschentum wachzuhalten. Vor allem müssen sich die Kriegsteilnehmer hierfür einsetzen. Sie wissen, was Krieg heißt. Sie müssen daher mit allen Mitteln gegen den Krieg und für den Frieden kämpfen.« Der Friedensbund wollte eine Friedenserziehung in den Schulen einführen und die Armeen auflösen und prägte die Parole »Nie wieder Krieg!«1

Die Friedensbewegung konnte sich bekanntlich nicht durchsetzen. Auf den Ersten Weltkrieg folgte der Zweite Weltkrieg, der mit Konzentrationslagern wie Auschwitz und den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki gänzlich neue und früher unvorstellbare Dimensionen des Tötens aufgezeigt hat. Viele, die den Zweiten Weltkrieg erlebt und überlebt hatten, wollten, dass sich dieser Wahnsinn nicht mehr wiederholt, und suchten erneut Wege, um Kriege gänzlich zu verbieten oder aber nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen.

Die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges waren auch über sich selbst als Menschen zutiefst erschrocken. Denn sie sahen die Möglichkeiten der fast unvorstellbaren Selbstzerstörung, die es zu bändigen galt. Die Gier nach Macht und Geld kombiniert mit Lügen, Täuschung und Rücksichtslosigkeit hatten großes Leid verursacht. Sophie Scholl, die während des Zweiten Weltkriegs als Mitglied der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« mutig zum Ungehorsam gegen die nationalsozialistische Diktatur von Adolf Hitler aufgerufen hatte, kritisierte in deutlichen Worten diese Abgründe der internationalen Politik: »Wenn ich auch nicht viel von Politik verstehe, und auch nicht den Ehrgeiz habe, es zu tun, so habe ich doch ein bisschen ein Gefühl, was Recht und Unrecht ist«, so die Neunzehnjährige in einem Brief an ihren Verlobten Fritz Hartnagel während des Krieges. »Und ich könnte heulen, wie gemein die Menschen auch in der großen Politik sind, wie sie ihren Bruder verraten um eines Vorteils willen … Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur werden sie zu wenig gesucht. Vielleicht auch, weil es die härtesten Maßstäbe sind.« Sophie Scholl wurde 1943 zusammen mit ihrem Bruder Hans beim Austeilen von Flugblättern in der Münchener Universität verhaftet, wegen »Hochverrat« und »Wehrkraftzersetzung« verurteilt und mit der Guillotine enthauptet.2

Bis heute stehen die Geschwister Scholl als Beispiel dafür, dass es auch in den dunkelsten Stunden der Weltgeschichte Friedenskämpferinnen und Friedenskämpfer gegeben hat, die sich gegen Massenmord, Gewalt und Unrecht unter Einsatz ihres Lebens gewehrt haben. Diese Grundhaltung haben die Gründer der UNO aufgenommen. Ihr ehrlicher Wunsch war es, zukünftige Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien und eine neue und bessere Welt zu erschaffen. Viele Mitarbeiter der UNO haben sich diesen Zielen verschrieben. Zu ihnen zählt zum Beispiel der Schwede Dag Hammarskjöld, der zweite UNO-Generalsekretär, der stark im christlichen Glauben verwurzelt war. Auf seinem Grabstein in Uppsala in Schweden steht: »Nicht ich, sondern Gott in mir«. Hammarskjöld verstand sich als ein Mensch, der seinen täglichen Gottesdienst in der Weise begeht, dass er sich für den Frieden in der Welt einsetzt. Dafür brauchte er keine Kirche, sondern den Kontakt mit den Menschen. Nach seiner Wahl im April 1953 erklärte er vor dem UNO-Hauptgebäude in New York gegenüber einem Reporter: »Väterlicherseits habe ich den Glauben geerbt, dass kein Leben befriedigender sei als jenes, das im selbstlosen Dienst für das eigene Land – oder die Menschheit – gelebt wurde. Dieser Dienst verlangt das Opfer aller persönlichen Interessen, aber ebenso den Mut, unbeugsam für seine Überzeugung einzustehen.« Hammarskjöld starb am 18. September 1961 bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz in Afrika, wo er in der Kongo-Krise vermittelte. Vermutlich wurde der UNO-Generalsekretär ermordet. Kurz nach seinem Tod erhielt er den Friedensnobelpreis.3

Die 193 Mitglieadsstaten der UNO

Die UNO ist die einzige internationale Organisation, in der praktisch alle Länder der Welt Mitglied sind, derzeit sind es 193. Dies erlaubt den Regierungen über ihre Botschafter bei der UNO in New York und in Genf in ständigem Kontakt und Austausch zu sein, was gerade in Krisenzeiten sehr wertvoll ist. In den letzten 70 Jahren ist die UNO stark angewachsen, immer mehr Staaten wollen als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit und Souveränität Vollmitglied in der UNO werden. Als die UNO 1945 in San Francisco gegründet wurde, zählte sie nur 50 Staaten, darunter die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland, Mexiko, Kuba, Brasilien, Kanada, Indien, Iran, Irak, Dänemark und Norwegen. Die Republik China auf Taiwan war auch Gründungsmitglied und hatte den offiziellen Sitz Chinas inne. Erst 1971 wurde der Sitz von China auf die kommunistische Volksrepublik China mit Hauptstadt Peking übertragen. Österreich trat der UNO 1955 bei. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) traten 1973 als zwei selbständige Mitglieder der UNO bei, seit 1990 ist das vereinte Deutschland Mitglied der UNO. Weil die Schweizerinnen und Schweizer grundsätzlich misstrauisch gegenüber internationalen Organisationen sind, da sie diese als Einschränkung ihrer Souveränität betrachten, hat das Schweizer Stimmvolk lange mit dem Beitritt zur UNO gezögert. Erst 2002 ist auch die Schweiz nach einer Volksabstimmung der UNO beigetreten. Als Stimmbürger habe ich für den UNO-Beitritt der Schweiz gestimmt und zudem mit einem längeren Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung für den UNO-Beitritt geworben.4

Die jüngsten drei UNO-Mitglieder sind Osttimor, Montenegro und Südsudan. Osttimor wurde 2002 Mitglied der UNO, nachdem es seine Unabhängigkeit von Indonesien erklärt hatte. Montenegro wurde 2006 UNO-Mitglied, nachdem es sich von Serbien abgespalten hatte. Der Südsudan, der sich vom Sudan abspaltete, wurde 2011 das 193. UNO-Mitglied. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der UNO-Mitgliedsländer weiter ansteigen wird. Der Vatikan und Palästina sind derzeit nicht vollwertige UNO-Mitglieder, aber beide haben den Status eines permanenten Beobachters ohne Stimmrecht in der UNO-Generalversammlung. Die Republik Kosovo, rechtlich eine autonome serbische Provinz, hat sich 2008 einseitig für unabhängig erklärt. Diese Unabhängigkeit wurde von 110 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten anerkannt. Aber Kosovo hat derzeit keinen Sitz in der UNO-Generalversammlung und ist daher nicht UNO-Mitglied.

Der Völkerbund, eine zwischenstaatliche Organisation, welche nach dem Ersten Weltkrieg 1920 gegründet worden war, um den Frieden auf der Welt zu sichern, war kläglich gescheitert, denn er konnte den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass alle internationalen Organisationen unfähig und zum Scheitern verurteilt sind, wäre falsch. Natürlich besteht die Gefahr, dass auch die UNO im 21. Jahrhundert scheitern wird, dass sie durch einen grässlichen Dritten Weltkrieg hinweggefegt wird wie damals der Völkerbund. Doch noch ist es nicht so weit. Und daher ist es sinnvoll und wichtig, für die UNO Sorge zu tragen und sich auf ihre Grundgedanken zu besinnen.

Das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot

Der Grundgedanke der UNO ist einfach und klar: Kriege sind illegal. Dieser Grundgedanke gilt noch heute, auch wenn er viel zu selten im Fernsehen erklärt oder über die Zeitungen und das Internet vermittelt wird. Im Artikel 2 der UNO-Charta wird das Gewaltverbot klug und klar formuliert: »Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der UNO-Friedensorganisation gilt dieses weltweite Kriegsverbot. Zu diesem Verbot gibt es nur zwei Ausnahmen: Erstens gilt das Recht auf Selbstverteidigung, d. h., wenn ein Land also angegriffen wird, darf es sich verteidigen. Zweitens darf Krieg gegen ein Land geführt werden, wenn ein ausdrückliches Mandat des UNO-Sicherheitsrates vorliegt. Nur wenn der Sicherheitsrat ein solches UNO-Mandat verabschiedet, kann ein Krieg als legal angesehen werden. Alle anderen Kriege sind illegal.

Die UNO ist wichtig, weil wir »eine Reihe von Problemen haben, die wirklich globaler Natur sind und auch nur gemeinsam, global – wenn überhaupt – bewältigt werden können«, betont der UNO-Experte Andreas Zumach zu Recht.5 Aber die Generalversammlung, der Sicherheitsrat und auch der Generalsekretär haben kein »unabhängiges Leben«. Sie bilden nur das Verhalten ihrer mächtigsten Mitglieder ab. Oder wie es UNO-Generalsekretär Sithu U Thant formulierte: »Die Vereinten Nationen können nur das tun, was ihre Mitgliedsstaaten zulassen.«6 Über den Einsatz von Gewalt darf nur der UNO-Sicherheitsrat entscheiden. Bedenklicherweise ist die Militärallianz NATO im UNO-Sicherheitsrat überproportional stark vertreten. Der UNO-Sicherheitsrat besteht aus fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht und zehn nicht ständigen Mitgliedern, die jeweils für zwei Jahre gewählt werden und kein Vetorecht haben. Die Beschlüsse des Sicherheitsrates sind für alle 193 UNO-Mitglieder verbindlich, wenn mindestens 9 der 15 Mitglieder der Resolution zustimmen, und wenn kein ständiges Mitglied ein Veto einlegt. Die dominanten fünf ständigen ­Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat sind das NATO-Land USA, das NATO-Land Großbritannien, das NATO-Land Frankreich sowie Russland und China. Aus dieser einfachen Übersicht geht hervor, dass es praktisch unmöglich ist, dass der UNO-Sicherheitsrat je eine Resolution verabschieden wird, die einen Krieg gegen ein NATO-Land legitimiert, da dies die drei NATO-Mitglieder mit ihrem Veto verhindern würden. Die Interessen der NATO-Länder sind in der UNO überproportional vertreten.

Natürlich haben die anderen Länder der Welt gemerkt, dass diese Machtverteilung nicht fair und ausgewogen ist. Deutschland zum Beispiel oder auch Indien, Japan oder Brasilien haben keinen permanenten Sitz im Sicherheitsrat und auch kein Vetorecht. Die deutsche Presse spricht daher richtig von einer »Zweiklassengesellschaft«. Diese besteht aus den fünf Ländern mit Vetorecht und dem Rest der 188 UNO-Länder ohne Vetorecht. Natürlich hat »der Rest der Welt« auch eine Stimme, nämlich in der UNO-Generalversammlung. Dort hat niemand ein Vetorecht. Doch die Resolutionen der Generalversammlung haben nur Empfehlungscharakter und sind nicht bindend.7

Auch kleinere Länder wie Libyen haben diese Zweiklassengesellschaft kritisiert. Die UNO-Charta sagt, »dass alle Länder, groß oder klein, gleichberechtigt sind«, erklärte Muammar Gaddafi, der Präsident von Libyen, vor der UNO-Generalversammlung im Oktober 2009. »Besteht diese Gleichberechtigung, wenn es um die permanenten Sitze im Sicherheitsrat geht? Nein, wir sind nicht gleichberechtigt.« Der Sicherheitsrat und die Mitglieder mit Vetorecht seien zu Unrecht privilegiert. »Wie können wir zufrieden sein mit dem Weltfrieden und globaler Sicherheit, wenn die ganze Welt von 15 Ländern kontrolliert wird? Wir sind 192 Länder und wir sind wie Speakers’ Corner in Londons Hyde Park. Wir sprechen einfach und niemand kümmert sich darum, was gesagt wird.«

Der Einfluss der UNO-Generalversammlung sei viel zu klein, die Dominanz des UNO-Sicherheitsrates abstoßend, protestierte der libysche Präsident. »Zurzeit ist der Sicherheitsrat ein Sicherheitsfeudalismus, ein politischer Feudalismus für diejenigen, die im Genuss eines permanenten Sitzes sind. Sie schützen sich gegenseitig und nutzen alle anderen aus. Man sollte es den Terrorrat und nicht den Sicherheitsrat nennen.« Die Kritik von Muammar Gaddafi, der zwei Jahre später von den NATO-Ländern Frankreich, Großbritannien und USA angegriffen und im Verlauf des Krieges getötet wurde, war scharf, aber durch die Fakten wohlbegründet. Mit Verweis auf das Kapitel VII der UNO-Charta, welches den Einsatz von militärischer Gewalt durch den Sicherheitsrat regelt, erklärte er treffend, wie die Zweiklassengesellschaft funktioniert: »Im politischen Alltag benutzen die Privilegierten den Sicherheitsrat gegen uns, wenn es ihnen von Nutzen ist. Ansonsten wird er ignoriert. Wenn sie ein Projekt vorantreiben wollen oder ein persönliches Anliegen haben, dann wird die UNO respektiert, verherrlicht und Kapitel VII wird gegen die armen Länder angewandt. Wenn sie aber die Regeln der UNO brechen wollen, wird die ganze Institution einfach ignoriert … Seit seiner Gründung 1945 hat der Sicherheitsrat versagt, Sicherheit zu gewährleisten. Wir werden alle Sicherheitsresolutionen ignorieren, weil diese Resolutionen ausschließlich gegen uns gerichtet sind und nicht gegen die Supermächte, welche permanente Sitze und das Vetorecht haben.«8

Leider bestätigen die historischen Fakten die Kritik von Libyen an der UNO. Das wichtige und wertvolle Kriegsverbot ist derart oft missachtet worden, dass es bei vielen Menschen völlig in Vergessenheit geraten ist. Einige glauben gar, das Kriegsverbot sei heute nicht mehr aktuell oder relevant, und auch die UNO könne man abschaffen, da sie ausgedient habe und nicht funktioniere. Doch was wäre die Alternative, wenn das Kriegsverbot fällt und die UNO abgeschafft würde? Vermutlich hätten wir dann eine Welt, in der die stärksten Mächte, darunter das US-Imperium, in Kooperation mit der größten Militärallianz der Welt, der NATO, ständig zum Mittel der Gewalt griffen, um ihre Interessen durchzusetzen. Eine Welt, in der sich die Armen und Schwachen mit Terror wehrten und im Sinne der asymmetrischen Kriegsführung Angst und Schrecken in die NATO-Länder trügen. Kurzum, wir hätten eine unüberblickbare Reihe von Kriegen und Terroranschlägen, sodass niemand mehr genau wüsste, wo und warum ein Krieg angefangen hat, wer hinter dem jüngsten Terroranschlag steckt und wie man wieder aus der Gewaltspirale aussteigen könnte. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis in einem solchen Chaos auch atomare, biologische und chemische Waffen eingesetzt würden. Eine solch traurige Entwicklung kann niemand für seine Kinder und Enkel wollen.

Daher scheint es mir wichtig und richtig, das Gewaltverbot der UNO zu achten und zu stärken. Dort, wo es missachtet wurde, wo illegale Kriege geführt wurden, müssen diese illegalen Kriege benannt und die konkreten Umstände analysiert werden. Genau das tut dieses Buch an einer Reihe von Beispielen. Vor allem aber möchte es daran erinnern, dass es ein unglaublich wichtiger und weitreichender Schritt in der Geschichte der Menschheit war, als 1945 die UNO von 50 Staaten gegründet wurde. Dieser Schritt gab zu großen Hoffnungen Anlass, denn er bezeugte einen neuen Bewusstseinszustand. Nie zuvor in den letzten 2000 Jahren hatten die Staatenführer der Welt beschlossen, den Krieg zu verbieten. Diese völlig neue Idee bleibt edel und richtig, auch wenn die letzten 70 Jahre zeigen, dass die Umsetzung noch nicht gelungen ist.

Die UNO wird durch Lügen sabotiert

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA die Gründung der UNO explizit unterstützt. Präsident Harry Truman, der über Japan zwei Atombomben abwerfen ließ, erklärte, die UNO sei wichtig, aber nicht vollkommen: »In einer Welt ohne einen solchen Mechanismus wären wir zu ständiger Angst vor unserer eigenen Vernichtung verdammt. Es wäre also wichtig, dass wir einen Anfang machten, und sei er noch so unvollkommen.« Und Henry Cabot Lodge, der spätere US-Botschafter bei der UNO, meinte, die Weltfriedensorganisation könne der Welt zwar »nicht den Himmel bringen, aber uns vielleicht vor der Hölle bewahren«.9

Da die Weltfriedensorganisation bis heute von Menschen und ihrer mitunter ausgeprägten Gier nach Macht und Reichtum geleitet wird, ist klar, dass die UNO ein Abbild der Menschen und ihres jeweiligen Bewusstseinszustandes sein muss, unvollkommen und dennoch unersetzlich. Der deutsche Politologe Klaus Dieter Wolf, der als Professor an der Universität Darmstadt lehrt, beschreibt die Organisationen des UNO-Systems daher treffend als »eine Inselgruppe der Zivilisation in einem Meer von Anarchie«, die den »regellosen Naturzustand zwischen den Staaten zwar nicht grundsätzlich« überwindet, aber »einen wichtigen Beitrag« dazu leistet, »dass immer mehr Spielregeln eingeführt werden, die auch die Logik der Machtpolitik auf längere Sicht verändern.«10

Die UNO ist ein großes Theater. Der irische Politiker Conor Cruise O’Brien bezeichnete die UNO einst treffend als »das heilige Drama«, der eindrucksvolle Raum des Sicherheitsrates und auch die große Halle der Generalversammlung seien in erster Linie imposante Kulissen, obschon man nicht immer wisse, ob eine Komödie oder Tragödie gespielt werde. »Die Szene bleibt gewaltig, selbst wenn die Akteure es nicht sind … ein Theater der Absurditäten. Überströmt von Schreckgespenstern in seiner Form und in seinen Inhalten. Auf der gemeinsamen Ebene ist es eine hoffnungslos ernsthafte Farce, von deren Fortgang unser Leben abhängig sein könnte.«11

Angesichts einer Vielzahl von Kriegen sind wir heute gezwungen zu analysieren, warum und wo die UNO sabotiert wurde und versagt hat. Dieses Buch zeigt, dass die Ineffizienz der UNO nicht in ihrem System begründet liegt, sondern dem individuellen Versagen ihrer Mitglieder geschuldet ist, die zeitweilig unfair agierten und die UNO mit Lügen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung sabotierten. Das ist, konsequenterweise, der Punkt für die Lösung des Problems der »Ineffektivität«. Jede Reform der UNO, die das dominante Problem der Lügen nicht einbezieht, muss längerfristig scheitern.

2. Gründung der NATO 1949

Die North Atlantic Treaty Organisation (NATO) ist die größte und am stärksten bewaffnete Militärallianz, die es auf der Welt je gegeben hat. Ihre Mitgliedsländer befinden sich in Nordamerika und Europa. Die Rüstungsausgaben der NATO-Mitgliedsländer übersteigen jene aller anderen Länder um das Vielfache. Zu Beginn hat die NATO sich auf die Verteidigung ihrer Mitgliedsländer konzentriert und nur selten illegale Angriffskriege geführt. Nach dem Fall der Berliner Mauer haben die illegalen Angriffskriege der NATO dann zugenommen. Zu diesen zählen der Angriff auf Serbien 1999, der Angriff auf Afghanistan 2001, der Angriff auf Irak 2003, der Sturz von Präsident Gaddafi in Libyen 2011 und die Bombardierung von Syrien.

Die 28 Mitgliedsstaaten der NATO

Gegründet wurde die NATO am 4. April 1949 in Washington. Die zwölf Gründungsmitglieder waren die USA, Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Holland, Norwegen, Portugal und Großbritannien. Erst 1952 kamen Griechenland und die Türkei zum NATO-Militärbündnis dazu. Der NATO-Beitritt von Spanien erfolgte 1982. Als die Berliner Mauer fiel und der Kalte Krieg endete, zählte die NATO somit 16 Mitgliedsländer. Innerhalb der UNO stimmten diese Länder oft so, wie es Washington vorgab, denn die Europäer profitierten vom Schutz der USA. Im Rahmen der NATO-Osterweiterung wurde die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges zum Missfallen der Russen stark ausgedehnt. Heute zählt die NATO 28 Mitgliedsländer.

Nachdem im Mai 1955 in Deutschland die Bundeswehr gegründet worden war, trat am 9. Mai 1955 auch die Bundesrepublik Deutschland (BRD) als 15. Mitgliedsland der NATO bei. Fünf Tage danach gründeten die Ostblockstaaten unter der Führung der UdSSR den Warschauer Pakt als Gegenstück zur NATO. Im geteilten Deutschland kamen sich die kapitalistische NATO und der kommunistische Warschauer Pakt sehr nahe. Am Checkpoint Charlie, dem bekanntesten Berliner Grenzübergang durch die Berliner Mauer, berührten sich der sowjetische und der amerikanische Sektor, und es gab Momente wie 1961, als sich dort sowjetische und amerikanische Panzer direkt gegenüberstanden. Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war seit ihrem Gründungsjahr 1955 Mitglied im Warschauer Pakt, zusammen mit der UdSSR, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei und Albanien. Innerhalb der UNO stimmten diese acht Mitglieder des Warschauer Paktes oft so, wie es Moskau verlangte.

Die USA sind ohne Frage das mächtigste Mitgliedsland innerhalb der NATO. Sie kontrollieren die NATO seit ihrer Gründung 1949. »Die einzige internationale Organisation, die jemals funktioniert hat, ist die NATO, und zwar deshalb, weil es eine militärische Allianz ist und wir die Führung innehaben«, erklärte einst der amerikanische Präsident Richard Nixon vielsagend.12 Die Europäer wollen die Dominanz der USA innerhalb der NATO nicht eingestehen, weil diese Tatsache sie als Vasallen herabsetzt. Den Europäern ist es erlaubt, stets den höchsten zivilen NATO-Beamten, den Generalsekretär, zu stellen. Dieser tritt oft im Fernsehen auf und gibt viele Zeitungsinterviews, womit die NATO ein »europäisches Gesicht« erhält. Derzeit amtiert der Norweger Jens Stoltenberg als NATO-Generalsekretär, vor ihm hatten der Däne Anders Fogh Rasmussen, der Holländer Jaap de Hoop Scheffer und der Brite George Robertson das Amt inne.

Um die amerikanische Dominanz in der NATO abzusichern, ist aber nicht das Amt des Generalsekretärs entscheidend, der sozusagen für die Öffentlichkeitsarbeit wichtig ist, sondern das Amt des höchsten militärischen Kommandanten für das europäische Territorium. Und dieser Rang des »Supreme Allied Commander Europe« (SACEUR) hat immer ein amerikanischer General inne, der im Supreme Headquaters Allied Powers Europe (SHAPE) in der belgischen Stadt Casteau seinen Hauptsitz hat. Seit 2013 amtiert US-General Philip Breedlove als SACEUR. Er ist viel weniger in den Massenmedien und daher deutlich weniger bekannt als der Generalsekretär Jens Stoltenberg, aber weitaus mächtiger, denn der SACEUR ist verantwortlich für die Planung, Vorbereitung und Führung aller NATO-Kriege. Der erste SACEUR war Dwight Eisenhower, der spätere US-Präsident, der 1953 die Regierung im Iran stürzte. Ein weiterer bekannter SACEUR war Lyman Lemnitzer, der 1962 im Rahmen der Operation Northwoods vorschlug, amerikanische Schiffe vor Kuba in die Luft zu sprengen und dieses Verbrechen dann den Kubanern in die Schuhe zu schieben, um damit gegenüber der Weltöffentlichkeit eine US-Invasion der Karibikinsel zu rechtfertigen.

Die NATO ist auch im Bereich verdeckte Kriegsführung aktiv, obschon in den Massenmedien darüber kaum berichtet wird. Im Jahre 1990 wurde bekannt, dass die NATO Stay-behind-Geheimarmeen in Europa aufgebaut hatte. Diese hatten im Kalten Krieg den Auftrag, im Falle einer sowjetischen Invasion des NATO-Territoriums hinter den feindlichen Linien zu kämpfen und auch während Friedenszeiten gegen Kommunisten und Sozialisten in den NATO-Ländern aktiv zu werden, falls diese zu stark würden und die NATO sozusagen »von innen« gefährden sollten. In Italien liefen diese Geheimarmeen unter dem Namen »Operation Gladio«. In Deutschland wurden rechte Offiziere mit einer SS-Vergangenheit von den Amerikanern in die Stay-behind-Armeen rekrutiert, um eine antikommunistische Haltung zu garantieren. Die Geheimarmeen trainierten mit den britischen und amerikanischen Special Forces, verfügten über Sprengstoff und geheime Waffenlager und waren in aller Regel im militärischen Geheimdienst des jeweiligen NATO-Landes angesiedelt. Die Bevölkerung und auch viele Parlamentarier wussten nichts über diese geheime Seite der NATO. Einige der NATO-Geheimarmeen waren in Verbrechen wie Staatsstreiche, Terroranschläge und Folter verwickelt, weshalb das Parlament der Europäischen Union 1990 eine genaue Untersuchung der Stay-behind-Geheimarmeen in allen NATO-Ländern verlangte, was aber von der NATO blockiert wurde und nie stattfand. Ich habe selber während meiner jahrelangen Recherche zu den NATO-Geheim­armeen festgestellt, dass die NATO keinen Einblick in diese dunklen Seiten ihrer eigenen Geschichte erlaubt. Trotz wiederholten Nachfragen wurden mir keine Akten zu den Stay-behind-Armeen zur Verfügung gestellt. Die NATO ist weder transparent noch demokratisch organisiert, sondern funktioniert wie ein Militärbündnis hierarchisch und nach dem Prinzip der Verschwiegenheit, auch und gerade, wenn es um schwere Verbrechen geht.13

Die Partnership for Peace

Die Schweiz und Österreich sind neutrale Länder und nicht Mitglied des NATO-Militärbündnisses, aber völlig von NATO-Ländern umgeben und damit stark in die NATO-Sicherheitsarchitektur eingebunden. In diesem Sinne wohne auch ich in der Schweiz im erweiterten »NATO-Raum«. Seit 1996 nimmt die Schweiz an der sogenannten »Partnerschaft für den Frieden« (PfP) teil. Die PfP ist eine politische Initiative der NATO, um die sicherheitspolitische Kooperation mit Nichtmitgliedsländern zu fördern. Auch Österreich ist seit 1995 Mitglied in der PfP und österreichische Soldaten haben seither wiederholt an NATO-Übungen teilgenommen.

In der Schweiz ist die PfP nicht sonderlich beliebt. Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen nicht einmal, dass ihr Land Mitglied der NATO nahestehenden PfP ist. Nationalrat Luzi Stamm reichte im September 2014 eine Motion ein, in der er den ehemaligen US-Verteidigungsminister William Perry zitierte, der erklärt hatte: »Der Unterschied zwischen einer NATO-Mitgliedschaft und einer Beteiligung an der NATO-Initiative ›Partnership for Peace‹ muss dünner gemacht werden als ein Blatt Papier.« Nationalrat Stamm kritisierte, dass das Programm PfP »zur schleichenden Anbindung an die NATO weiterentwickelt wird, um eine NATO-Mitgliedschaft vorzubereiten«. Die Schweiz befinde sich bereits »im machtpolitischen Schlepptau« der NATO, was aber die dauernde, bewaffnete und umfassende Neutralität der Schweiz untergrabe. »Die Schweiz muss deshalb aus dem Nato-Programm PfP austreten«, so die klare Forderung des Schweizer Parlamentariers.

Auf der Basis meiner Forschung komme ich zum selben Resultat. Ich denke, die Schweizer Bevölkerung sollte angesichts der vielen illegalen Kriege, in welche die NATO verwickelt ist, über einen Austritt aus der sogenannten Partnership for Peace abstimmen, da es sich hier faktisch um eine Partnership for War handelt, der die Schweiz nicht angehören sollte. Doch der Schweizer Bundesrat sieht dies anders und hält an der PfP-Mitgliedschaft fest. In seiner Stellungnahme vom November 2014 erklärte der Bundesrat, ein Austritt aus der PfP sei unsinnig, und behauptete: »Von einer schleichenden Anbindung an die NATO oder gar von einer Vorbereitung einer NATO-Mitgliedschaft der Schweiz kann nicht die Rede sein.«14

Auch in Deutschland hat es immer wieder kritische Stimmen gegeben, die einen Austritt von Deutschland aus der NATO wie auch die Schließung von Ramstein und allen anderen US-Militärstützpunkten forderten. Zu diesen mutigen Stimmen, welche keine Mehrheit repräsentieren und auch in der deutschen Regierung oder im Parlament nur schwach vertreten sind, gehört der prominente deutsche Theologe Eugen Drewermann. Entsprechend dem Adorno-Wort »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« sei die NATO das Falsche, in der nichts Richtiges geschehen könne, so Drewermann. Daher müsse Deutschland aus der NATO austreten. Die NATO sei »eine kriminelle Vereinigung, eine mafiöse Organisation«. Auch Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, sieht die NATO kritisch und fasste in einem öffentlichen Vortrag an der Universität Bremen die Bewertung und Charakterisierung der NATO, wie sie sich heute präsentiere, mit einem Zitat des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt zusammen: »In Wirklichkeit ist diese Organisation nicht notwendig. Objektiv gesehen handelt es sich heute um ein Instrument der amerikanischen Außenpolitik, der amerikanischen Weltstrategie.«15

3. Imperium USA

In der Geschichte der Menschheit hat es immer wieder Staaten gegeben, die eine beschränkte Zeit lang mächtiger und einflussreicher waren als andere. Diese Staaten werden als Imperium bezeichnet. Zu ihnen zählt das römische Imperium, das vor rund 2000 Jahren seine Machtbasis in Rom und Italien hatte und dessen Einflussbereich damals den ganzen Mittelmeerraum und die heutigen Länder Spanien, Frankreich, Griechenland, Türkei, Syrien und in Nordafrika Teile von Ägypten, Tunesien und Algerien umfasste. Das spanische Imperium hatte seine Machtbasis in Madrid und umfasste im 16. Jahrhundert die heutigen Staaten Mexiko, Guatemala, Honduras, Costa Rica, Nicaragua, Panama, Kolumbien, Peru, Philippinen, die Sahara und Teile der USA. Auch das britische Imperium war mächtig und verfügte im 19. Jahrhundert über die stärkste Handels- und Kriegsflotte der Welt. Das britische Imperium hatte seine Machtbasis in London und Vertreter des Imperiums prahlten, dass in ihrem Reich die Sonne nie untergehe. Das britische Imperium umfasste Australien, Indien, Südafrika, Kanada und die Ostküste der USA. Die globale Dominanz der Briten trug mit dazu bei, dass die englische Sprache und Kultur sich auf der ganzen Welt verbreiteten.

Imperien haben oft versucht, ihre Position der Stärke zu nutzen, um noch mehr Einfluss und Macht zu erlangen, indem sie Rohstoffe und Handelsrouten kontrollierten und ihre Kriegstechnik verbesserten. In ihrer Geschichtsschreibung haben Imperien immer darauf geachtet, dass ihre Handlungen und sogar ihre Kriege von den eigenen Hofhistorikern als klug, notwendig und gerecht dargestellt wurden. Der britische Historiker Paul Kennedy hat indes zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Geschichtsschreibung die Dekadenz von Imperien verschleiert. Imperien kommen und gehen. Kein Imperium besteht für immer. Die »imperiale Überdehnung«, wie Kennedy sie nennt, führt stets dazu, dass mächtige Staaten ihre moralische Führung durch Machtmissbrauch verlieren, die materiellen und personellen Ressourcen an einer Vielzahl von Einsatzorten gleichzeitig einsetzen und damit ihre Kräfte überfordern, was schlussendlich zum Zusammenbruch eines Imperiums führt.16

Wie erkennt man ein Imperium?

Das mächtigste Land heute sind ohne Zweifel die USA. Ich werde daher in diesem Buch die Bezeichnung »Imperium USA« verwenden, was für einige Leser ungewohnt ist, da in den Massenmedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz diese Bezeichnung vermieden wird, weil ansonsten Spannungen mit den USA entstehen könnten, was wiederum zu wirtschaftlichen Nachteilen führen kann. Die Bezeichnung Imperium USA ist aber historisch korrekt und schärft den Blick auf die realen Machtverhältnisse seit 1945, was gerade mit Bezug auf die Funktionsweise der UNO sehr wichtig ist. Ein Imperium zu erkennen ist nicht schwierig. Das Imperium ist in aller Regel die größte wirtschaftliche und militärische Macht innerhalb einer be­stimmten geschichtlichen Epoche. Wenn man das Bruttoinlandprodukt (BIP) der US-Wirtschaft misst, so wird sofort klar, dass die USA noch vor China derzeit die größte Wirtschaftsmacht der Welt sind. Zudem verfügen die USA mit dem Dollar über die Weltreservewährung und können diese selber drucken.

Auch militärisch ist die Überlegenheit der USA groß. Sie verfügen über zehn atomar angetriebene Flugzeugträger, während die anderen ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, also Großbritannien, Frankreich, Russland und China jeweils nur einen Flugzeugträger betreiben. Vor allem bei den Militärausgaben sieht man die dominante Stellung des US-Imperiums deutlich. Im Jahre 2015 hat dieses Imperium 600 Milliarden Dollar fürs Militär ausgegeben. China folgte auf Platz zwei deutlich abgeschlagen mit rund 200 Milliarden, vor Russland (80 Milliarden), Saudi-Arabien (80 Milliarden), Frankreich (60 Milliarden), Großbritannien (60 Milliarden), Indien (50 Milliarden) und Deutschland (50 Milliarden).17

Das US-Imperium ist mit einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent auch der größte Waffenexporteur, vor Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Es ist beunruhigend, dass gemäß den Untersuchungen des Stockholmer Institutes für Friedensforschung (SIPRI) die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats, eigentlich zuständig für den Weltfrieden, zugleich die fünf größten Waffenexporteure sind. Die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates profitieren davon, wenn ein Krieg ausbricht, weil dann auch ihre Waffenexporte in die Konfliktregion zunehmen. Neben den fünf Vetomächten im UNO-Sicherheitsrat gehören die NATO-Länder Deutschland, Spanien, Italien und die Niederlande gemäß SIPRI zu den zehn größten Waffenexporteuren der Welt.18

Neben den höchsten Militärausgaben hat das US-Imperium mehr als 700 Militärstützpunkte auf der ganzen Welt verteilt, darunter auch Stützpunkte in Deutschland wie Ramstein, gegen den die deutsche Bevölkerung immer wieder demonstriert, weil über Ramstein der Einsatz von US-Drohnen koordiniert wird. Der Amerikaner Chalmers Johnson, Professor für Politikwissenschaften in Kalifornien, hat die imperiale Entwicklung der USA genau studiert. »Es gab einmal eine Zeit, da konnte man den Imperialismus messen, indem man die Anzahl der Kolonien zählte. Die amerikanische Version der Kolonie ist die Militärbasis«, so die kluge Beobachtung von Johnson. »Indem man die weltweite Verteilung unserer Militärbasen verfolgt, kann man viel über unseren stets anwachsenden imperialen Fußabdruck lernen, wie auch über die Militarisierung der Politik, welche damit einhergeht.« Die Militärbasen dienen der Marine für die Stationierung ihrer Schiffe, der Luftwaffe als Landeplatz für ihre Flugzeuge und Helikopter und der Armee als Basis für Truppen und Material. »In anderen Ländern gab es im Jahre 2005 insgesamt 737 US-Militärbasen«, so Johnson.19

In den USA wird der Begriff Imperium fast nie oder nur selten verwendet, weil das Wort Ausbeutung und Unterdrückung anderer Länder impliziert. »Wir sind ein sehr junges Imperium. Wir möchten nicht einmal daran denken, dass wir ein Imperium sind«, räumte der Amerikaner George Friedman von Stratfor 2015 ein.20 Auch in Europa bezeichnen nur wenige Menschen die USA als Imperium, und viele hätten Mühe zu sagen, wie viele Menschen in etwa in den Kriegen des Imperiums seit 1945 getötet wurden, weil diese Zahlen kaum je in den Zeitungen stehen. »Wir müssen wissen, dass wir in einem Manipulationskontext sind«, erklärte der deutsche Psychologe Rainer Mausfeld 2015 in einem Vortrag an der Universität Kiel. »Insgesamt ergeben sich aus offiziellen Dokumenten, dass die USA seit dem Zweiten Weltkrieg für den Tod von 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich sind. Das sind Dimensionen, dass man sich fragt: Wie kann es eigentlich gelingen, solch monströse Dimensionen für die Bevölkerung praktisch vollständig unsichtbar zu machen? … Die Fakten sind bekannt. Sie sind nur für die Bevölkerung durch Fragmentierung und Dekontextualisierung unsichtbar gemacht worden. Das heißt, es ist einfach nicht passiert. Und wenn es passiert ist, spielt es keine Rolle. Es interessiert niemanden.«21

Mausfeld kritisiert zu Recht, dass die mehr als 20 Millionen Tote, die das US-Imperium seit 1945 zu verantworten hat, in den NATO-Ländern wenig reflektiert werden. Die Opfer bleiben unsichtbar in dem Sinne, dass in den NATO-Ländern selten über sie gesprochen oder geforscht wird. Auch die Amerikaner selber sehen die Opfer ihrer Kriege oft nicht und wollen sie auch nicht sehen. Ich bin aber der Meinung, dass die Zeit gekommen ist, die illegalen Kriege der NATO-Länder direkt anzusprechen und auszuleuchten. In meinen Vorträgen in Berlin, Hamburg, München, Zürich, Bern, Luzern, Wien, Salzburg und anderen Orten habe ich in den letzten Jahren immer wieder den Begriff »US-Imperium« verwendet und historisch erklärt. Gerade jene Menschen, die zu meinen Vorträgen kommen oder sie auf Youtube im Internet anschauen, finden es richtig und wichtig, dass zum US-Imperium und auch zum Machtmissbrauch in anderen Ländern Klartext gesprochen wird.

Die größte Schwierigkeit besteht aber bei aller berechtigten Kritik am US-Imperium immer darin, dass man nicht in einen undifferenzierten Antiamerikanismus abgleitet. Ich bin selber wiederholt in die USA gereist und habe dort wunderbare Menschen getroffen und viel von ihnen gelernt. Zudem bin ich in der Friedensforschung aktiv, und diese betont seit vielen Jahren, dass zwischen den Nationen kein Hass geschürt werden darf, weil sich die Menschen sehr schnell entlang ihrer nationalen Identität gruppieren. Die Kritik am US-Imperium ist meiner Ansicht nach berechtigt, aber sie muss immer auch darlegen, auf wen sie sich bezieht, denn wie in jedem Land gibt es auch in den USA verschiedene Gruppen.

Die USA sind eine Oligarchie

Im April 2014 berichtete die BBC mit Bezug auf eine Studie der Universität Princeton, dass die USA »eine Oligarchie, keine Demokratie« sind. »Die USA werden durch eine reiche und mächtige Elite dominiert«, erklärte die BBC richtig. Die Autoren der Studie, die Professoren Martin Gilens und Benjamin Page, fanden heraus, dass wenige Superreiche die Politik in den USA steuern, während der durchschnittliche Amerikaner nur wenig Macht hat, die Politik zu beeinflussen. Dies sind die klassischen Merkmale einer Oligarchie, also einer Herrschaft von Wenigen (oligoi). »Unsere Studie kommt zum Schluss, dass die Mehrheit der Amerikaner wenig Einfluss auf die Entscheide hat, welche unsere Regierung fällt. Wir Amerikaner zeichnen uns zwar durch viele Merkmale aus, die für ein demokratisches System kennzeichnend sind, darunter regelmäßige Wahlen, Rede- und Versammlungsfreiheit und eine breite Wahlberechtigung«, so Gilens und Page. »Aber wir glauben, dass wenn die Politik durch mächtige Wirtschaftsorganisationen und eine kleine Zahl von sehr reichen Amerikanern dominiert wird, auch der Anspruch von Amerika, eine Demokratie zu sein, wirklich in Gefahr ist.«22

Gemäß dem amerikanischen Historiker Eric Zuesse ist der Befund, »dass die USA eine Oligarchie und gar keine Demokratie« ist, korrekt. »Die amerikanische Demokratie ist nur ein Schwindel und Augenwischerei, egal wie oft die Oligarchen, welche unser Land regieren und auch die Medien kontrollieren, das Gegenteil behaupten«, so Zuesse in der Zeitschrift Counterpunch. »Die USA sind, mit anderen Worten, eigentlich sehr ähnlich wie Russland oder viele andere obskure ›Wahldemokratien‹. Früher waren wir das nicht, aber jetzt sind wir eine Oligarchie.«23 Der Trendforscher Gerald Celente aus New York fordert daher, dass in den USA die direkte Demokratie eingeführt werden müsse, sodass die Bürger wie in der Schweiz zum Beispiel über die Anschaffung von Kampfflugzeugen abstimmen könnten. »Als Bürger dieser Welt sollten sie verlangen, dass ihre Stimme gehört wird«, so Celente. »Wir sollten es nicht mehr länger einfach hinnehmen, dass die gewählten Abgeordneten Gesetze verabschieden und eine Politik machen, die der Allgemeinheit schadet und nur dem Reichtum und der Macht von ganz wenigen Spezialinteressen dient.«24

Ich bin der Meinung, dass die Resultate der Studie von Gilens und Page signifikant sind, und dass die USA tatsächlich zu einer Oligarchie geworden sind. In den USA leben derzeit rund 300 Millionen Menschen. Wer von ihnen zu den Oligarchen gehört, also zur Elite, die das Land und seine Politik lenkt, ist schwer zu beziffern und in der historischen Forschung umstritten. Ich gehe davon aus, dass es nur etwa ein Prozent, also rund drei Millionen Menschen sind. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie entweder sehr reich oder sehr einflussreich oder beides zusammen sind. Dieses eine Prozent lenkt das US-Imperium. Die Kritik am US-Imperium richtet sich an dieses eine Prozent, und nicht an die 99 Prozent der restlichen Bürger der USA.

Zur amerikanischen Elite, also zu dem einen Prozent, gehören natürlich alle Präsidenten der USA seit 1945. Unter ihnen haben einige selbstkritisch erkannt, dass in der Tat mächtige Wirtschaftsinteressen die US-Politik dominieren. Der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter beklagte im Herbst 2015, dass wenige Reiche die Fäden der Macht in der Hand halten und dass sich die USA daher von einer Demokratie zu einer Oligarchie, einer Regierung von wenigen Reichen verwandelt hat. Über die Vergabe der Gelder bestimmen die Reichen, wer Präsident wird. Zur Auswahl stehen zum Schluss jeweils nur zwei Reiche, also Vertreter des einen Prozentes, im Wahlkampf 2016 waren dies Donald Trump und Hillary Clinton. »Alle US-Präsidentschaftskandidaten müssen mindestens über 200 oder 300 Millionen Dollar verfügen«, kritisierte Carter im Gespräch mit der Fernsehjournalistin Oprah Winfrey. So viel Geld hätte er selber in den 1970er Jahren für seinen Wahlkampf nicht sammeln können und daher könnte er in den heutigen USA auch nicht wieder Präsident werden. »Wir sind jetzt eine Oligarchie geworden statt einer Demokratie«, stellte Carter traurig fest. »Und ich glaube, das ist der größte Schaden an den fundamentalen ethischen und moralischen Standards des amerikanischen politischen Systems, den ich je in meinem Leben gesehen habe.«25

Zur Elite, d. h. zu den mächtigen ein Prozent des US-Imperiums gehören neben dem Präsidenten auch alle Mitglieder des einflussreichen National Security Council (NSC), der 1947 gleichzeitig mit dem Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) gegründet wurde. Der Nationale Sicherheitsrat NSC trifft sich in regelmäßigen Abständen im Situation Room im Keller des Weißen Hauses, um die US-Außenpolitik umzusetzen. Da sich das US-Imperium fast ständig im Krieg be­findet, muss der Nationale Sicherheitsrat NSC als strategisches Zentrum der amerikanischen Kriegsführung bezeichnet werden. Zum NSC gehören die Spitzen der Exekutive, also der US-Präsident, der Vizepräsident, der Außenminister, der Verteidigungsminister, der Direktor der 16 US-Geheimdienste, der Generalstabschef, der Berater für Nationale Sicherheit und je nach Thema weitere Personen wie der Finanzminister, der Justizminister oder auch der UNO-Botschafter. Zum Kern des Nationalen Sicherheitsrates gehören also insgesamt nur rund zehn Personen. Sie bilden den Kern des US-Imperiums und dienen den Oligarchen, auch wenn sie selbst ihre Rolle nicht so umschreiben würden.

Aus den verfügbaren historischen Dokumenten geht klar hervor, dass alle Mitglieder des NSC stets danach trachten, die Macht des US-Imperiums zu erhalten oder zu vergrößern. Dafür setzen sie auch Lüge und Gewalt ein. Noch nie hat ein NSC-Mitglied vorgeschlagen, alle US-Militärbasen zu räumen und sich bei den Ländern zu entschuldigen, die ohne UNO-Mandat bombardiert wurden. Der amerikanische Historiker John Prados räumt ein, dass der NSC »eine sehr spezielle Institution« sei, welche »dafür bekannt ist, dass sie in der Vergangenheit an der Grenze zur Legalität operiert und diese auch überschritten hat«. Der Nationale Sicherheitsrat NSC vereint die mächtigsten Männer Amerikas und einige mächtige Frauen des Imperiums, sie entscheiden, ob ein Angriffskrieg geführt wird oder nicht und welche Menschen durch US-Drohnen getötet werden. Der NSC ist viel mächtiger als der UNO-Sicherheitsrat und verletzt die UNO-Charta immer wieder. Die Kritik am US-Imperium richtet sich an die amerikanische Elite und die Mitglieder des NSC.26

Neben dem National Security Council zählt auch das amerikanische Parlament, das die Handlungen des NSC überwacht und regelmäßig absegnet, zur amerikanischen Elite, also zu den einflussreichen ein Prozent. Das US-Parlament teilt sich in zwei Kammern, den Senat mit 100 Personen und das Repräsentantenhaus mit 435 Personen, zusammen bilden die 535 Personen den Kongress. Eigentlich sollte das Parlament das Volk repräsentieren. Doch der US-Kongress repräsentiert vor allem die reiche Elite und ihre Interessen. »Die hundert Senatoren besitzen einer aktuellen Erhebung zufolge im Durchschnitt ein Privatvermögen von drei Millionen Dollar«, berichten die deutschen Journalisten Mathias Bröckers und Paul Schreyer. Der US-Senat sei nicht ein Rat der Alten oder Weisen, sondern ein »Rat der Reichen«. Im Repräsentantenhaus seien die Abgeordneten etwas ärmer, aber im Kongress insgesamt stellen die Millionäre die Mehrheit.27

Neben den drei Millionen, welche die US-Elite bilden, gibt es natürlich 297 Millionen weitere US-Amerikaner, die zur Mittelschicht und Unterschicht gehören. Viele dieser Menschen sind äußerst liebenswürdig, freundlich und großzügig. Aber ein überraschend großer Teil dieser Menschen lebt in materieller Armut: Fast 50 Millionen Menschen beziehen Food Stamps, also Essensmarken vom Staat. Die Food-Stamp-Bezugszahlen sind für Soziologen ein Armutsindikator, vergleichbar mit der Anzahl der Hartz-IV-Empfänger in Deutschland. Meine Kritik am Imperium USA richtet sich nicht an die amerikanische Unterschicht und Mittelschicht.

Ich selber habe die USA wiederholt bereist und habe mit Menschen aus verschiedenen Schichten in New York, Seattle, Washington, Los Angeles, Miami, Boston und Boise gesprochen. Mein Eindruck ist, dass das Wissen der Unter- und Mittelschicht über die Welt sehr beschränkt ist. Die meisten sprechen keine Fremdsprachen und viele konnten zum Beispiel mein Heimatland Schweiz nicht von Schweden unterscheiden, weil beide Länder so ähnlich klingen und – zumindest aus amerikanischer Perspektive – in etwa in derselben Weltregion liegen. Über die amerikanischen Kriege sind die Unterschicht und die Mittelschicht grundsätzlich sehr schlecht unterrichtet. Sie glauben, die vielen US-Kriege seien nicht aus Eigeninteresse geführt worden, sondern um anderen Menschen zu helfen und Freiheit und Demokratie zu fördern, weil genau dies in den von der Elite kontrollierten amerikanischen Medien täglich erzählt wird. Soldaten aus der Unter- und Mittelschicht kämpfen in den US-Kriegen, die Mehrheit glaubt dem Präsidenten blind und kann sich nicht vorstellen, dass er sie anlügen und täuschen würde.

Natürlich gibt es auch Millionen von sehr gut ausgebildeten Amerikanern, die sehr genau über die Welt informiert sind, verschiedene Sprachen sprechen und viele Länder selber bereist haben, aber nicht zur Elite, also den besonders reichen und mächtigen ein Prozent zählen. Die USA haben die höchste Dichte an Eliteuniversitäten und ich habe während meinem Studium an der London School of Economics and Political Science (LSE) in London und auch an verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen in Europa und Nordamerika viele hervorragende amerikanische Wissenschaftler kennen und schätzen gelernt.

Ich schätze den Anteil der sehr gut ausgebildeten Amerikaner, die sehr genau über die Welt informiert sind, verschiedene Sprachen sprechen und viele Länder selber bereist haben, auf rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, also auf rund 30 Millionen Menschen. Ein Teil von ihnen steht ideologisch stramm hinter dem US-Imperium und hofft in die Elite der ein Prozent aufzusteigen. Diese Intellektuellen verteidigen das Imperium in Büchern und Vorträgen. Wann immer ein amerikanischer Präsident oder Verteidigungsminister ein Land bombardiert, applaudieren diese Verteidiger des US-Imperiums und finden Gründe, warum der Einsatz von Folter und Gewalt in diesem Fall richtig und wichtig war.

Ein anderer Teil dieser 30 Millionen sehr gut ausgebildeten Amerikaner kritisiert das US-Imperium. Es ist völlig falsch zu glauben, dass alle Amerikaner Folter und Angriffskriege ohne UNO-Mandat für richtig halten. Die Kritiker des US-Imperiums lehnen Lüge und Machtmissbrauch dezidiert ab. Zu diesen Kritikern des US-Imperiums zählen zum Beispiel der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, der Filmemacher Michael Moore, der Architekt Richard Gage und die Journalisten Seymour Hersh, Glenn Greenwald und William Blum. Sie alle sind hervorragend ausgebildet und stehen dem US-Imperium, dem Machtmissbrauch, der Folter und dem Überwachungsstaat ablehnend gegenüber. Von den amerikanischen Intellektuellen habe ich in meiner eigenen Forschungslaufbahn viel gelernt, da sie es verstehen, Dinge auf den Punkt zu bringen, und sich nicht in solch vagen und nebulösen Formulierungen verlieren, wie man sie an Universitäten in der Schweiz, Deutschland und Österreich oft antrifft. Ohne jede Frage sind die US-Amerikaner die schärfsten Kritiker des US-Imperiums und der amerikanischen Oligarchie. Daher muss sich die Friedensbewegung in Europa mit der Friedensbewegung in den USA verbinden. Diese »Transatlantiker für den Frieden« lehnen die Angriffskriege des US-Imperiums ab und unterstützen sich gegenseitig.

Martin Luther King zur Arroganz der Macht

Weil die USA über die wunderbare Redefreiheit verfügen, hat es in Amerika immer auch Friedensaktivisten gegeben, denen völlig klar war, dass die USA das Imperium schlechthin sind. »Amerika ist das reichste und mächtigste Land der Welt geworden«, erklärte der Friedensnobelpreisträger Martin Luther King schon 1967 in Los Angeles. »Aber die Ehrlichkeit verpflichtet mich zuzugeben, dass unsere Macht uns oft arrogant gemacht hat. Wir haben das Gefühl, dass wir mit unserem Geld alles tun können. Wir sind arrogant und glauben, dass wir anderen Ländern Lektionen erteilen müssen, aber nichts von ihnen lernen können. Wir glauben in unserer Arroganz oft, dass wir eine Art göttliche messianische Aufgabe als Polizist der Welt haben«, so die scharfe, aber berechtigte Kritik des Friedensnobelpreisträgers. »Größere Macht beinhaltet größere Gefahr, wenn sie nicht auch durch ein Wachstum der Seele begleitet wird«, mahnte King. »Echte Macht besteht darin, die Kraft gerecht einzusetzen. Wenn wir die Macht unserer Nation nicht verantwortungsvoll und mit Zurückhaltung gebrauchen, wird sie sich so verhalten, wie das Sprichwort von Acton sagt: Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Unsere Arroganz kann zu unserem Verderben werden.« Ein Jahr nachdem Martin Luther King diese weitsichtige Rede gehalten hatte, wurde er in Memphis, Tennessee erschossen.28

4. Die Gründung des Internationalen ­Strafgerichtshofes 1998

Auf Einladung der Vereinten Nationen fand im Sommer 1998 in Rom eine historische Konferenz statt, an der Minister und Diplomaten aus mehr als 150 Mitgliedsstaaten und von mehr als 320 Nichtregierungs-Organisationen teilnahmen, um Wege zur Bestrafung von Aggression, Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu finden. Nach fünfwöchigen Verhandlungen entschieden sich die Teilnehmer, ein neues internationales Organ, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH, oder auf Englisch International Criminal Court, kurz ICC) zu schaffen.

Der Internationale Strafgerichtshof ist der erste ständige Gerichtshof der Weltgeschichte zur Verfolgung und Anklage von Einzelpersonen, die für Fälle von Aggression, Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, unabhängig davon, wo auf dem Globus das Verbrechen stattgefunden hat und ob die Täter zum Zeitpunkt des Verbrechens Präsidenten, Premierminister, Verteidigungsminister, Generäle oder einfache Soldaten waren. Kriegsverbrecher können seit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes nicht mehr damit rechnen, straflos zu bleiben, nur weil sie mächtig sind.

Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes ist aus der Sicht der Friedensforschung ein ganz wichtiger und wertvoller Schritt für mehr Frieden und weniger Krieg auf der Welt. Natürlich ist der Strafgerichtshof historisch gesehen noch sehr jung und daher noch nicht so stark, wie er sein sollte. Viele Menschen wissen gar nicht, dass es ihn überhaupt gibt. Aber weil heute der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag existiert, muss jeder Politiker, der einen illegalen Krieg führt, und jeder Soldat, der an einem illegalen Krieg teilnimmt, zumindest theoretisch damit rechnen, später vor Gericht gebracht zu werden.

Was ist das Verbrechen der Aggression?

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist zuständig für das Verbrechen der Aggression