Ewige Jugend - Nataly von Eschstruth - E-Book

Ewige Jugend E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Es ist ein wunderbarer Frühlingsmorgen, als Oberst von Welten mit seiner Nichte Lobelia und einem ortskundigen Führer in die Masulschlucht oberhalb von Meran wandern. Und doch nimmt dieser schöne Morgen eine unvorhergesehene Wendung, und dies in zweifacher Hinsicht. In der Schlucht angekommen, werden sie von einem gewaltigen Bären angegriffen, dem sie nur knapp entrinnen können. Als mehrere Schüsse fallen, und der Bär sterbend zusammensinkt, scheint das Problem bewältigt. Doch es beginnt ein ungleich größeres. Der tödliche Schuss kommt aus der Flinte eines kroatischen Jägers, Gaj Gyurkovics, der den Bären verfolgt hatte. Nun aber heftet er sich an die Fersen von Lobelia, in die sich dieser raue Gesell verliebt hat. Eine unheimliche Verfolgungsgeschichte nimmt ihren Lauf.-

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Nataly von Eschstruth

Ewige Jugend

Roman

Saga

Ewige Jugend

German

© 1920 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711472927

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Erstes Kapitel

In goldenen Sonnenschein gebadet lag die Welt.

Reich üppig, zauberhaft schön, — verschwenderisch in alle Pracht und Farbenglut getaucht, mit der der erste südliche Lenz seinen Malkasten aus des lieben Herrgotts Überfluss gefüllt.

„Lobelia! Hast du dich auch nicht auf den hohen Thermometerstand verlassen und an warme Kleidung für den Heimweg gedacht?“

Der ältere Herr, der mit fröhlich kraftvoller Stimme die Worte gerufen, blieb stehen und atmete in tiefen Zügen die köstliche Himmelsluft. Schon auf zehn Schritte weit sah man ihm den pensionierten Offizier, den kernigen Soldaten an.

Ein scharf gezeichnetes Profil, graumelierter, starker Schnurrbart, noch etwas altmodisch wagrecht gedreht, ein Sportanzug, der einen leichten Einschlag in das Weidmännische hatte, und den Ferngucker am Riemen, um den Hals gehängt, war das äussere Signalement des Oberst von Welten, des Onkels der früh verwaisten Nichte Lobelia, die ihn sowohl wie Tante Adele zum Winteraufenthalt nach Meran begleitet hatte.

Herr Alois Sturmlechner, der freundliche alte Hagestolz und Villenbesitzer in Obermais, der Herrn von Welten im Café an der Gilf kennengelernt und sich als leidenschaftlicher Naturschwärmer und Lokalpatriot der Familie für Ausflüge in die Umgebung Merans zur Verfügung gestellt hatte, repräsentierte den dritten im Bund von der tatenlustigen kleinen Partie, die heute den Kurs nach Schönna, resp. der Masulschlucht genommen. — Er war gross und hager, hatte enorm lange Beine und kleidete sich mit Vorliebe echt tirolisch, ein wenig mit „Salonbeigeschmack“, ohne jedoch gigerlhaft zu übertreiben. Es waren überraschend frühe Lenzestage in das gottgesegnete Blütental Meran eingezogen.

Die Sonne stand am tiefblauen Himmel und zauberte auf der Gilfe ein wahrhaft italienisches Leben hervor — das Wintergrün in den Gärten stand dunkel gesättigt im grellen Licht, und drunten auf den sammetigen Rasenflächen begann es zu knospen und zu blühen, zu duften und zu maien, als ob alle Glocken von nah und fern den Siegeseinzug von Lenz und Liebe in seligen Akkorden verkünden wollten.

Herr von Welten stand einen Augenblick auf der Strasse von Obermais still, um noch einmal nach dem Parkhotel, den Fenstern seiner erholungsbedürftigen Frau zurückzuwinken und alsdann den Blick voll Entzücken über das ideale Landschaftsbild schweifen zu lassen.

„Ja, es ist ein herrliches Erdenfleckchen, dieses Meran!“ nickte der Oberst, und er wandte sich und sah der Nichte mit beinah schalkhaftem Blick in das morgenfrische, süsse Mädchengesicht: „so ganz dazu angetan, Jugend und Schönheit in seinen Grenzen aufzuspeichern! — Da drunten die Löselbuben, mit den flatternden Bändern und Sträusslein am Hut, und hier die wandelnden Blumen in Menschengestalt!“

Herr Sturmlechner verneigte sich wie in selbstverständlicher Huldigung vor Lobelia. „Da hat der Herr Onkel recht, Gnädigste! Küss die Hand! Wie ich zum erstenmal Ihren schönen Namen Lobelia gehört habe, gedachte ich meiner Mutter selig, die so viel schöne Lobeliablüten in ihrem Garten gepflegt hat! Akkurat so rosig und sammetweich, wie Ihre Wangen sind!“

Das junge Mädchen lachte.

„Wenn ich Sie heut aus der Tauf’ heben sollte, Gnädigste, so würde ich den Schalk im Nacken haben und Ihnen einen gar absonderlichen Blumennamen geben.“

„Hört, hört! Jetzt werden Sie wohl galant, Freund Loisl!“

„Na, so gar schmeichelhaft ist er am End’ nit! — Ich schaute mir nur grad das flotte, kurze Gewandel mit dem vieltaschigen Jopperl an, und das Grünhütel, na, und nit grad zum Schluss den prallen kleinen Rucksack, den die Baroness’ sich umgeschnallt haben; da wär’ zu den Löselbuam wohl ein Blümerl passend, das man bei uns dahier ‚Hirtentäschel‘ nennt!“

Onkel und Nichte lachten hell auf, und Herr Sturmlechner freute sich, dass er einen Witz gemacht hatte.

„Heut nehmen wir kein’ Umweg, wenn wir in die Masulschlucht wollen. Da ist ein so gottherrlicher Weg, den sonst kein Fremder zu sehen kriegt. Ein bisserl abseits in die Schluft hinein. Droben weiss ich eine Senne. Möglicherweise sind schon Leute droben, dann haben wir auch gute Einkehr!“

Fröhlicher Gesang schallte ihnen entgegen. Weinselige Stimmen.

Ein Trupp Löselbuben, die jungen österreichischen Rekruten, die zur Ausmusterung in die Stadt beordert sind.

Junge, stramme Alpner, flotte, wetterfeste Burschen, sehnig und gebräunt, aus den südlich gelegenen Tälern, die Hüte keck auf einem Ohr, Sträusse und flatternde Bänder und glühheisse Gesichter, aus denen grell die Zähne blitzen.

„Angetrunken sind sie alle!“ lachte Herr Alois, „aber an Schaden tuen’s nit!“

Die Strasse sperrend, schwanken und stampfen sie heran.

Aller Augen richteten sich auf Lobelia.

Das Entzücken über ihre reizende, jugendfrische Schönheit flammt in den Augen auf.

„Grüass di Gott, du sakrisch, blitzsauberes Dirndel!“ grölt der eine, und ehe sich das junge Mädchen versieht, haben sie zwei starke Arme gefasst und mit einem Jodler in die Luft geschwenkt. — So ist es beim Schuhplattler Sitte, wenn der Tänzer seine Partnerin hoch emporhebt, in urwüchsiger Freude zu zeigen, wie das Madel des Burschen Höchstes und Liebstes ist, das er noch über sich selbst erhebt.

Auch bei den Löselbuben herrscht diese verliebte Sitte, aber sie kam der völlig ahnungslosen jungen Dame so überraschend, dass sie einen lauten Schrei des Schreckens ausstiess.

Herr von Welten glaubte auch nicht anders, als dass es sich um die kecke Ungehörigkeit eines angetrunkenen Burschen handele; er sprang jäh herzu und hob den Arm, seine Nichte an sich zu reissen, um sie vor weiteren Frechheiten zu schützen. Da stellte der Rekrut aber sein ‚I-Tipferl‘ fein säuberlich und sogar recht sanft auf den Erdboden zurück, sah dem reizenden Mädchen mit blitzenden Augen in das heiss erglühte und erschreckte Antlitz und schwenkte sein Grünhütel so übermütig lachend in der Luft, dass die metallenen Zitternelken zwischen dem farbigen Band lichte Funken sprühten.

„Nix für ungut!“ rief er. „Mir san heut all ausser Rand und Band, und so an Liebeserklärung an ein rosetes Madel is unser gutes Recht ... Koan Larifari! „I hab’ kein’ Rauschika! I siech alleweil noch sehr genau, wo so zwa Sterndel am Himmel zum Schatz leuchten!“

Wieder ein brausendes Hallo seiner beiden Begleiter, alle wirbelten die Hüte mit Spielhahn, Rosetten und Buschen wie in harmloser und versöhnlicher Biederkeit auch gegen die Herren.

„Der Vinzenz hat recht! — Itz kennet ma den Weg!“

Und dann setzten die frischen, weinfeuchten Kehlen ein:

„Zwoa Sterndel am Himmel,

Die leuchten zusamm,

Der oan leucht zum Dierndel

Der andre leucht hoam!“

Und nun ein Jodler, so schneidig, so köstlich frisch, echt und gewaltig, dass es weit zu Tal widerhallte.

Arm in Arm, von neuem eine Kette bildend, sperrten die Rekruten abermals die Strasse, und in flotten Sprüngen ging’s hinab durch Obermais.

Vinzenz schaute noch einmal zurück. Es schien, als könne der den Blick gar nicht von seinem blitzsauberen Madel losreissen.

„Wo soll’s dann hingehn?“ rief er noch zurück. „Auf’m Jauffen habt’s noch Schnee bis an die Knie!“

„Ni nöt!“ lachte Sturmlechner freundlich zurück. „Grad’ zufrieden sind wir, wann’s bis in die Masulschlucht kommen!“

„’Hüt’s Gott! — Da gehabt’s euch wohl!“

Und weiter ging’s.

„Hast dich wohl sehr erschrocken, Lobelia?“ fragte der Oberst und neigte sich vor, der Nichte in das immer noch heiss errötete Gesichtchen zu schauen. „Bös gemeint war es nicht, nun — und Publikum hatte das kleine Intermezzo ja auch nicht.“

„Schade!“ zuckte Herr Alois lakonisch die Achseln.

„Schade? Wollen Sie zum Spötterl werden?“

„Im Gegenteil! Ich kenn’ viele, grausig viele Damen, die solch ein Abenteuer am liebsten vor ganz Obermais Augen erlebt haben möchten!“

„Wie ist das zu verstehen?“

„Nun, es ist eine wirklich sehr grosse und spontane Huldigung, die Ihnen akkurat gebracht ist, Gnädigste! — Wen die Löselbub’n als schönstes Dirndel auf offner Strassen hochschwenken, von der sprechen’s halt in der ganzen Stadt! — Früher, da kam’s schon öfters vor, da ist’s mehr ein Jux gewesen; aber seit etzlichen Jahren, da scheint es unter den Burschen ein ganz ernsthaftes Abkommen zu sein, nit jedem Fratz so eine Anbetung zu gönnen. Da sind’s gar wählerisch geworden. — Wollen auch ihr herrisches Ansehn haben!“

„Ich habe nie zuvor davon gehört.“

„Moderner Komment der Löselbub’n!“

„Ich mein’ halt, ich kenn’ den Bub! Es muss der Vinzenz vom Brunnecker gewesen sein, wann ich net irrig bin!“

„Also der Vinzenz vom Brunnecker schien doch die Antike studiert zu haben!“

„Es wird ja immer hübscher. Antike! Nun werde ich schon völlig zum alten Eisen geworfen.“

„Mag schon sein, Gnädigste, so wie die Frau Ninon de Lenclos, — die mit weissen Haaren noch den Enkelsohn närrisch machte!“

„Warum nicht gleich die ‚Wala‘?“

„Wala? Wen verstehen’s unter solcher Dam’?“

„Nun, die Urmutter des Weltenalls, die Urewige, wie uns die alten Göttersagen des Nordens berichten!“

„Jetzt wirst du arrogant, Lobelia! Solche Antike spreche ich dir denn doch nicht zu mit deinen zwanzig Jahren!“

„Zwanzig Jahre? — Ich bitte dringend, mir nicht zwei mühsam abverdiente Jahre, genau genommen sogar zwei und ein halbes Jahr zu streichen!“

„Richtig, Kind, ich vergass nachzuzählen! Die Zeiten vergehen so schnell! Aus kleinen Mädchen werden Leute — und Leute werden Bräute!“

„Du weisst doch, Onkelchen, dass ich zum Verloben absolut noch keine Musse habe!“

„Natürlich! Jetzt bist du ja noch mit deinem Pinsel verlobt!“

„Ja du mei!“ schrie Herr Alois entsetzt. „Mit an’ Pinsel hat sich die Gnädige verlobt?“

„Nichts für ungut, bester Sturmlechner, dieser minderwertige Liebhaber besteht aus Dachshaaren und Schweinsborsten. Mein Pflegetöchterchen hier ist Malerin, bester Herr, und so völlig der Kunst verschworen, dass bisher alle andern Interessen zurücktreten mussten.“

„Na — dann schnauf’ ich wieder! Mit solchem Rivalen, den man noch beliebig aus der Hand werfen kann, nimmt es hoffentlich bald ein schneidiger Kavalier auf.“

Lobelia lachte. „Ich bezweifle, dass es mit Erfolg geschieht.“

Höher und höher steigen die drei Wanderer empor.

Eine ganz andere Luft strich schon hier um die Stirnen.

Von Zeit zu Zeit blieb das Trio stehn und schaute auf den Weg zurück.

Welch ein Ausblick auf die Alpen, — welch ein Panorama, das sich im Tal drunten entrollte!

Da jauchzt das Herz bei so viel Kraft, Gewalt und Schönheitswundern.

Lobelia atmete tief auf.

Sie war leichtfüssig vorangeeilt, die nächste Wegbiegung zu erreichen, die den Ifinger in neuen, grotesken Formen zeigte.

Sie stand und schaute verklärten Blicks ringsum.

Die Herren blieben nach schnellen Schritten an ihrer Seite. Verstohlen beobachteten sie das reizende Mädchen.

Fräulein von Welten galt nicht nur für sehr hübsch, sie war es auch.

Eine mittelgrosse Gestalt, schlank und doch von weicher, üppiger Fülle, eine vollendete schöne Figur — wie jeder Kenner zugeben musste —, stand sie inmitten des hellen Sonnenlichts wie die verkörperte Jugend und Schönheit. Das reizend Oval ihres Gesichtchens mit der sammetweichen Haut, so auffallend in frischen und doch zarten Farben, hatten Herrn Sturmlechner zuerst geradezu bezaubert, und wenn er dann gar in die grossen, weit offenen Augen von goldigem Braun schaute, die von dunkeln Brauen überwölbt und beinah schwarzen Wimpern beschattet wurden, so konnte er gar wohl den stürmischen Löselbuben begreifen, der solch herziges Madel im Triumph auf die Arme hob. Das Haar, in der Farbe der Augen, lag in duftigen Wellen um Stirn und Schläfen, ein Rahmen, wie ihn keine Menschenhand um ein Porträt legen kann.

Klug und lebhaft war der Ausdruck des Gesichts, am anziehendsten, wenn das freundlich schelmische Lächeln die roten Lippen schürzte und die Zähne, gesund und weiss, dahinter blitzten. Wenn Herr Alois nicht immer noch mit allen Fasern seines Herzens seinem flachshaarigen Nannerl mit den blauen Vergissmeinnichtsguckerln nachgetrauert und nicht schon allzu graumeliertes Gelock gehabt hätte, so würde er sich fraglos bis über die Ohren in das reizende Fräulein Lobelia verliebt haben. —

Und immer weiter führte der Weg in die köstliche Alpwildnis hinein.

Die Umgegend war so recht nach dem Herzen einer Malerin!

Schade, dass man sich nicht auf einen dieser dichtbemoosten Felssteine niedersetzen und sein Skizzenbuch zur Hand nehmen konnte.

Jedes Bild ein Meisterstück!

Diese wundervollen uralten Tannen, über deren Häupter gar viele Jahrhunderte schon hingezogen waren, breiteten die tief dunkelgrünen Nadelarme weit über Weg und Halde hinaus.

Sonnenlichter stiegen flimmernd an den borkigen Stämmen empor, ein fast berauschender Duft strömte von den Latschen herab, und die ersten Fliegen, Käfer und Schmetterlinge blitzten wie kleine Geheimnisse, wohl geschaut, aber viel zu schnell, um erforscht zu werden, um das sprossende und knospende Grün.

An den Südhängen war die Vegetation schon ziemlich vorgeschritten, während an den tief schattenden Nordseiten der Schnee noch in letzten schmalen Streifen lag.

Von droben grüssen die majestätischen Häupter der Bergweltkaiser.

Sie tragen urewige Kronen, und die Reiche der Welt liegen bezwungen zu ihren Füssen, weit hingestreckt, wie der Körper eines Besiegten.

Droben in blauer Luft, am Saum des Himmels, zieht ein Adler seine stolzen Kreise.

Man steht und schaut empor in die leuchtende Bläue.

„Welch eine Staffage für diese wunderbar schöne Landschaft! — Hier sieht man erst, wie hoch und schlüftig die Alpen sind. Ist nicht dort in der breiten Rinne eine Lawine herniedergegangen? Man sieht am Rand der Schlucht noch die Eisblöcke lagern.“

„Ganz recht! Wir haben die kleinen Schneerutsche viel in den Alptälern. Auch die Wasser reissen zur Schmelze ungeheure Mengen an Geröll und Gesperr mit in den Grund. Da schauens hier zur Seite die Prachttannen! Die grossen haben getrotzt, aber die kleinen sind scharf niedergerissen ...“

„Von einem Gebirgswasser?“

„Wann der Schnee droben schmilzt, löst sich das Erdreich und stürzt zur Tiefe, führt allerhand Sammelsuri mit sich und füllt oft ganze Talbecken. — Da kann die Naiv Illustrationen liefern!“

„Ich hörte von den Verwüstungen, die dies kleine, so harmlos aussehende Wässerchen oft schon angerichtet hat!“

„Man hat uns sogar ein schönes und frommes Wunder im Naivtal gezeigt, das sich bei dem letzten Hochwasser abgespielt hat.“

„Sie meinen das mit dem gnadenreichen Muttergottesbild!“

„Ganz recht! Eine steinerne Statue der Mutter Gottes!“

„Die Wasser sind voll rasender Wucht zu Tal gestürzt, alles, was sich ihnen in den Weg stellte, herabreissend und zerstörend. — Als die Fluten das Muttergottesbild erreichten, das frei auf der Wiese im Grund stand, teilten sie sich in zwei Ströme, die rechts und links neben dem Heiligenbild vorbeibrausten und die Madonna, wie auf einer kleinen, grünen Insel, inmitten der rasenden Gebirgswasser, unbeschädigt stehenliessen. — Da lacht einen halt das Gnadenbtld so wunderselig an, wann man jetzt dahergeht und es zwischen all seinen Blumen stehen sieht, als wollt’s sagen: ‚Dahier der kleine Herrgott Jesus Christ, der hebet nur sein Patscherl und befiehlt dem Wasser und Sturm noch ebenso gewaltiglich, wie ehemals auf dem See Genezareth!‘“

Ein Augenblick feierliche Stille.

Der Wind strich durch die Baumkronen, und Gras und Halme neigten sich tief zur Erde.

„Später blühen an diesem Fleck die schönsten Alprosen, die man schauen kann.“

„Oh! Was liegt dort im Geröll?“

Mit schnellem Schritt eilte Lobelia herzu, neigte sich und hob ein seltsam schneckenförmig gewundenes Horn empor.

„Alle Wetter, Kind! Das muss von einem Urtier aus der Gletscherzeit stammen!“

„Ein Widderhorn!“

„Vielleicht von dem mythologischen Gespann, das der Wala goldenen Wagen über den Himmel zog!“

„Grad’ haben wir von ihr gesprochen, Gnädige, und haben Ihnen den schönen Namen gegeben! Nun findens plötzlich ein gar seltenes Zeichen ihrer Huld.“

„Ja, ja!“ lachte der Oberst sehr animiert, „das hat sie dir extra zugeworfen, Mädel! Heb’s zum Andenken auf.“

Alle standen und schauten.

„Welch schöne Zeichnung! Wie ebenmässig gewunden!“

„Der Gletscherschnee hat diese Rarität wohl seit grauen Jahren geborgen.“

Wie ein Schauer der Andacht geht es einem über den Leib, wenn man vor dem armseligen Rest eines Geschöpfes steht, das längst in Staub zerfallen, während die Alpen wie gigantische Marksteine der Zeit noch emporragen zu einem Himmel, der wieder auf die Berge niederschaut, unveränderlich und unvergänglich, eine Urewigkeit, die mit leuchtenden Sternen in das All schreibt: ‚Kennst und suchst du deinen Schöpfer, Menschenkind? Hier bin ich. Dein Herr und dein Gott!‘

Zweites Kapitel

„Noch ein paar Schritte bergauf, dann müssen wir hinter jenem Felsvorsprung die Senne sehen, wo wir hoffentlich unser Mittagessen verzehren können.“

„Und mit welchem Appetit!“

„Man glaubt gar nicht, was diese kräftige, frische Bergluft austut!“

„Gut, dass die Rucksäcke dann leichter werden.“

„Dafür wollen wir sorgen!“

„Da drüben! Da schauens über das niedere Knirksholz das Dach rauslugen?“

„Die Senne!“

„Nun aber mal trapp!“

„Ich vermisse das einladende Rauchwölkchen über dem Schornstein.“

„So ein Feuerl brennt schnell!“

„Haust ein Senn droben?“

„Du mei! Fünf Mannerleut’ und a paar Weiberl! Mit so viel Vieh gibt’s an ausgiebige Arbeit!“

Herr Aloys stiefelte mit seinen langen Beinen gewaltig bergauf, und als man sich so weit genähert hatte, dass man unter dem felssteinbeschwerten, grünmoosigen Dach die Fensterscheiben unter den schrägen Sonnenstrahlen blinken sah, blieb der Österreicher stehen und legte beide Hände hohl um den Mund.

„Holdrihohoho! — Halliho!“

Das war ein Jodler, der Gäste anmeldet, und der meist mit einem fröhlichen Juhschrei beantwortet wurde. Man stand momentan und lauschte. Alles blieb still.

„Na, tritt denn kei Zenzerl unter die Tür, Ausschau zu halten?“

„Die ganze Senne sieht noch recht tot und öde aus!“

Noch einmal jodelte Herr Sturmlechner sein Signal hinauf.

Nichts rührte und regte sich.

Ein paar Vogelstimmen schrien aufgeschreckt aus dem Geklüft herüber.

„Seltsam, — jetzt erst merkt man, wie weltfern, wie einsam wir hier sind!“

Man war an die Senne herangekommen. Grabesstill lag sie inmitten der schroff aufsteigenden, wild zerklüfteten Felsen, an denen sich die Schneerillen tief hinab bis auf die Matten zogen.

Man klopfte an den Türen.

Keine Antwort.

Man versuchte in die blindverstaubten, regen- und schneeverwaschenen Fenster zu sehen.

Keine Seele zu erblicken.

Ein Eindringen ohne Axt und Gewalt unmöglich.

„Wenn wir uns nur ein bisschen warm hinsetzen könnten!“

Sturmlechner deutete nach einem Heustadel, der, ein wenig höher als die Sennhütte gelegen, von der ziemlich steil abfallenden Halde herniederwinkte.

Es war ein spitzes Schutzdach, aus grün bemoosten Stämmen roh zusammengefügt, unter dem sich ein offner Heuboden befand.

Zum Schutz gegen Wildfrass war der Boden wie eine Art Pfahlbaute erhöht, von einer Reihe Stämmen im Viereck gestützt, unter denen im Sommer oder Herbst die Geiss Schutz bei Regen und Gewitter suchten.

„Hurra! Das Heu ist noch nit vom Stadel abgetragen. Da finden wir ein ganz behaglich weich und warmes Nestchen!“

„Ganz recht! Wir breiten die Plaids aus.“

„Die Sonne hat schon den ganzen Vormittag warm auf das Heu geschienen.“

„Gewiss ein köstlicher Duft!“

„Wie sollen wir aber hinaufkommen?“

„Schauens nöt das Hühnerleiterl zur Seite, Gnädigste? Da steigt ma halt auf!“

Lobelia lachte.

„Die Poesie lässt nichts zu wünschen übrig. Hoffentlich kracht nicht die kippliche Sache unter uns zusammen!“

„Wenn das Fräulein Lobelia da heraufschwebt, so ist’s halt Jakobs Himmelsleiter, an der die Engel auf und niedersteigen!“ schmunzelte Herr Aloys galant.

Er fasste an die Leiter und rüttelte daran.

„Na, an bisserl schief und morsch ist die Sach’ wohl, aber ich vermein’, so leichte Ware wie uns halt sie noch aus.“

Die Herren kletterten Probe und kamen wohlbehalten oben an.

„Hier ist es ideal! Grossartig! Das Heu wie von der Sonne geheizt! ‚Reich‘ mir die Hand, mein Leben — dass ich dir helfen kann!‘“ scherzte Herr von Welten, neigte sich und bot der Nichte die Hand entgegen.

„Nimm erst mal hier den Rucksack, Onkelchen!“

„Hat ihm schon!“

„So; eins ... zwei ... drei — jupplala!“

„Oben wären wir!“

„Tatsächlich, das ist ja herrlich hier!“

„Welch ein Speisesaal!“

„Jetzt spielt die Gnädige Hausfrau! Wir lagern uns hier in die Sonne.“

„Und ich packe aus!“ Man war hungrig geworden und verzehrte mit Genuss die Butterbrote.

„Wie gewaltig die Felsen ragen! Dort in der Schlucht muss es wohl schon dunkel werden, wenn die Sonne sonst noch hoch am Himmel steht!“

„Solch eine Einsamkeit hat doch etwas Gewaltiges!“

„Das Schweigen im Wald —“

„Es geht auf die Nerven.“

„Man glaubt gar nicht, was für eine beredte Sprache solch tiefe Stille spricht!“

„Die Donner des Weltenalls.“

„Wie es sich wohl in die tiefe Klamm hier hinter der Halde herniedersieht?“

„Das können wir ja konstatieren.“

„Mir deucht es manchmal, als hörte ich Wasserrauschen ...“

„Bei der Schneeschmelze gar möglich!“

„Wenn wir fertig diniert haben, werfen wir noch einen Blick hinab, ehe wir uns auf den Heimweg machen.“

Gesagt, getan.

Man legte allen Ballast auf dem duftenden Heu nieder, klomm unter Lachen und Scherzen die Stiege wieder herab und schlug querfeldein, über wild romantisch getürmtes Geröll und herrliche Moosbildungen, den Weg nach der Klamm ein.

„Hören Sie doch!“ Lobelia blieb plötzlich stehen und hob lauschend das Köpfchen.

„Ist ein Wasserfall in der Nähe? Es rollt eben wieder so ein seltsames Getöse ...“

„Ja, ja! Ich lauschte auch schon. — Kann jetzt schon ein Gewitter im Anzug sein, es klang wie ein ferner Donner!“

„Unmöglich! Da, hier oben, um diese Jahreszeit?“

„Aber was ist es sonst?“

„Hören Sie? Da grollt es wieder.“

„Und diesmal näher, als käme es aus den Felsen hinter der Wiese her.“

Man stand und lauschte.

„Joseph Maria! Heiliger Herr und Gott!“

Herr Aloys Sturmlechner schrie es gellend auf und deutete mit der Hand nach einem vorspringenden Felsblock, — kaum ein paar hundert Meter von ihnen entfernt. „Da schaut’s! A Bär — a Bär!“

Kreideweiss, mit schlotternden Knien stand er. Gleichzeitig rollte es wie ein furchtbares Donnergebrüll über ihnen. Auf dem Felsplateau zeichnete sich die gedrungene Gestalt eines sehr grossen und starken braunen Bären ab, den struppigen Kopf vorgestreckt, und die Vranken gegen die Felsschrunden gestemmt.

„Herrgott des Himmels! Wo kommt hier in diese Gegend ein solches Ungetüm her?!“ rang es sich voll bebenden Entsetzens von Lobelias Lippen; der Oberst aber riss den Arm seiner Nichte jäh an sich.

„Vorwärts! So schnell wie möglich entfliehen! Die Bären können rasend schnell laufen, und dem Gebrüll nach hat er Hunger!“

„Er sieht uns! Er hat uns entdeckt!“ keuchte Sturmlechner mit weit aufgerissenen Augen noch einmal zurückstarrend. „Nun erbarm’ sich die heilige Mutter Gottes, dös koans von uns zu Fall kommt!“

„Er setzt sich in Trab! Er folgt uns!“

Wie ein gellender Aufschrei rang es sich von den Lippen des jungen Mädchens.

„Laufens, was das Zeug haltet!“

„Wohin?“

„Nach dem Heustadel hinauf! Das ist unsre einzige Rettung!“

In wahnsinniger Flucht stürmten die drei einsamen Menschen dem rettenden Unterschlupf entgegen.

Noch einmal rollte die furchtbare Stimme des Raubtiers, schon bedeutend näher, hinter ihnen, sich an den schroffen Felswänden in grausigem Echo brechend; dann war es still, nur das Poltern und Aufkrachen der Steine in der Klamm zeigte es an, dass der Bär am Rand des Abgrunds einherrannte und jetzt anscheinend auf die Wiefenhalde abbog, seinen Opfern den Weg zum Stadel abzuschneiden.

Wie die Rasenden stürzten sich diese der Leiter entgegen.

Noch nie hatten Weltens Arme solche Kraft entwickelt, als in diesem Augenblick, wo er seine halb ohnmächtige Nichte packte und mit sich die morschen Sprossen emporriss.

„Nur jetzt verlass uns nicht, barmherziger Gott, dass das Holz unter uns bricht, sonst sind wir verloren!“ gellte es durch seine Seele wie ein Angstschrei zum Himmel.

Droben!

Gott sei ewig gedankt!

Er stiess Lobelia nach dem Heu zurück, warf sich auf die Knie und streckte die Hand helfend dem Freund entgegen. Ob die Sprossen von der doppelten Last doch eingeknaxt waren, oder ob sie in der wahnwitzigen Hast und Aufregung nicht auf das Schwanken geachtet hatten — zwei der verwitterten Stangen brachen unter Sturmlechners wuchtigen Nagelschuhen.

„Macht nix! I kimm schon hoch!“

„Halten Sie sich an meinem Arm!“

„Nix da! I reiss Ihna ja runter!“

„Da ist ja der Bär! — Ganz dicht schon hinter Ihnen!“ schrillte Lobelias Stimme voll Verzweiflung durch die Todeseinsamkeit.

„Na, na! Ich bin ja schon droben!“ — Einen letzten energischen Schwung — Herr Aloys krallte sich an den Holzpfosten und zog sich empor.

Der Schweiss rann von seiner Stirn, er stand momentan und atmete schwer auf.

„Nun fassens mit an, Herr Oberst, dass wir die Leiter umstürzen!“

„Glauben Sie, die Bestie folgt uns!“

Wieder schrie Lobelia gellend auf vor Entsetzen, Welten aber und Sturmlechner radderten mit der Kraft der Verzweiflung an der Leiter.

„Gottlob! Sie ist ja nur hier mit Haken in die Bohle gehängt!“

„Dann nicht umwerfen, heraufziehen!“

„Gewiss noch besser!“

„Sie kommt ganz leicht hoch.“

„Zurück, Gnädige. Gebt’s a Raum!“

Die Leiter schwankte einen Augenblick über dem Köpfchen der jungen Dame, dann fiel sie mit dumpfem Schlag auf das Heu nieder.

„Gerettet!“ keuchte Welten auf. — „Soviel ich von Bären gehört habe, folgen sie in keinen geschlossenen Raum, und der Stadel ist ja an den Wetterseiten mit Brettern verschalt.“

„Hier herauf kommt er nimmer!“ nickte der Österreicher und wischte sich mit dem Sacktuch die Stirn. „Das einzige wäre, dass er sich gegen die Balken stemmt und die wurmstichige alte Sache hier ins Wanken bringt!“

„Die Stämme scheinen sehr fest! Sehen Sie doch die Lasten, die sie tragen müssen!“

Lobelia war bleich, vor Entsetzen auf die Knie gebrochen und hatte die Hände wie in schaudernder Abwehr vor das farblose Antlitz geschlagen.

„Da ist er! — Jetzt, in diesem Augenblick hätte er uns erreicht, wenn der Heuschuppen nicht gewesen wäre!“

„Ein furchtbarer, ein riesiger Kerl!“

„Alt ausgewachsener Bär!“

„Das Herz muss ja dem Mutigsten stocken, dass es zu schlagen aufhört, wenn man so ein Ungeheuer als Feind schaut!“

„Diese grässlichen Augen! Wie er hier heraufstiert! — Solch ein Anblick ist ja gar nicht zu ertragen!“

Herr von Welten legte den Arm beruhigend um die Zitternde.

„Sieh nicht mehr hinab, Kind! — Komm, wir machen dir ein warmes, weiches Lager hier im Heu.“

„Ich habe keine Ruhe dazu.“ schluchzte Fräulein von Welten, und ihre Zähne schlugen hörbar, wie im Schüttelfrost, zusammen.

Der Bär hob sich mit den Vorderpranken an einem der Holzpfeiler empor und brüllte wiederum aus weitgeöffnetem Rachen.

„Dieser Unhold ist ja entsetzlich wild!“ murmelte der Oberst durch die Zähne. „Er scheint verfolgt zu sein ... vielleicht gar angeschossen, man kann in dem dicken Fell nur keine Blutspur entdecken.“

„Sonst sind Bären nicht so wütend, wenn man sie nicht reizt.“

„Gewiss nit! Als mein Vater selig noch lebte, da hatten wir öfters Bären in Obermais! Von Schloss Planta schoss man sie aus dem Fenster. Aber eine solch wilde Bestie ist dermalen nicht dabei gewesen.“

„Sicherlich haben schon Jäger seine Spur aufgenommen und ihn angeschossen.“

„Oder ist’s vielleicht eine Bärin, der man das Lager ausgehoben hat?“

„Nun hält sie uns für ihre Angreifer!“

„Wohl möglich.“

„Ihre Wut ist so grausig!“

„Gibt’s denn jetzt junge Bären?“

„Da hab’ i so gar keine Erfahrung! — Aber im Frühjahr? Man könnt’s halt meinen.“

„Ich habe mich ja noch nie mit derartigem Raubzeug befasst, — in meiner Heimat pirscht man auf einen Rehbock oder bläst einem Krummen das schwache Lebenslichtlein aus!“

„Gibt es denn hier in der Schlucht immer Bären?“

„O ka Ahnung! Seit Jahren hat man nix mehr davon gehört. — Es wechseln bei besonders strengem Winter wohl mal etzliche aus Graubünden herüber, aber heuer hatten wir kaum Kälte!“

„Wird denn das grausige Tier noch lange hierbleiben?“ ächzte Lobelia, und ihr Haupt sank wie tief ermattet zur Brust. „Wenn er Hunger hat, muss er doch Nahrung suchen!“

„Na, na! Nit immer! Grad dann halt so ein rabiates Viech die Wacht bei seinem Feind!“

„Wie sollen wir denn dann jemals von hier erlöst werden?“ Lobelia rang die Hände, und ihr Blick irrte wie in Verzweiflung zu dem Himmel, der sich von der sinkenden Sonne schon rötlich zu färben begann.

„Fürchtens Ihnen nur nit, Gnädige!“ tröstete Herr Sturmlechner und sah doch selber dabei wie eine Kalkwand aus. „So an Bärengebrumm hörens schon weithin ins Tal! — Das dauert gar nit lang, dann wimmelt’s hier auf der Halde von Schützen, die alle kommen, um uns zu retten!“

„Proviant haben wir ja auch noch.“

„Wann es sich die Gnädige nur a bisserl kommod machen möcht’!“

„Ich habe keine Ruhe, Herr Sturmlechner!“

„Ich desto mehr!“ versuchte der Oberst zu scherzen. „Jetzt wollen wir uns mal hier einen Gral bauen! — Komm, Kind! Lass deinen Verehrer da unten ruhig traben! Er scheint jetzt Karussell um das Stadel zu laufen! Das hat er billig!“

„Wir müssen doch beobachten, wo er abbleibt!“

„Warum, Lobelia? Je mehr wir uns hier oben rühren, desto mehr machen wir auf uns aufmerksam!“

„Jetzt könnten wir auf keinen Fall mehr an den Heimweg denken, die Nacht tät uns ja derquer kommen, und da ist’s nit gut mit einem solchen Mistviech Kirschen essen!“

„Wenn wir nicht nach Hause kommen, werden sie hoffentlich Boten nach uns ausschicken!“ flüsterte Fräulein von Welten und zitterte so heftig an allen Gliedern, dass der Oberst sie in das ausgehöhlte Heu mehr tragen musste, als dass sie ging.

„Aber niemand ahnt, wo wir sind, dass wir so querfeldein von dem Weg abgebogen sind!“

„Dann gehens dem Gebrüll nach.“

„Dieses schauerliche Brüllen! Ach, ich habe mich immer so sehr vor Bären geängstigt, grad, als ob mir’s wie eine Vorahnung in allen Gliedern gelegen hätte, dass ich noch einmal etwas so Unbeschreibliches mit solchem Ungeheuer erleben würde.“

„Nur nicht ohne Not sich sorgen! — Der alte, liebe, treue Herrgott lebt noch, der verlässt uns nicht!“

„Und so ein heiliges Madel, wie die Gnädige ist, die hat allerweg ihre Schutzengel.“

„Ein paar Tropfen Kognak! — Komm, wir wollen hoffen, dass auch uns freundlich der Weg aus diesem Tal gezeigt wird. — Bis dahin wollen wir uns die Zeit so gut wie möglich vertreiben, — die Nacht kommt hier in den Alpentälern, in Schlüften und Schluchten wie hier, ganz besonders schnell herauf, und wenn wir auch nicht schlafen, so wollen wir uns doch nicht ohne Not durch nervenmordendes Beobachten und Auflauern schachmatt machen!“

„Von Zeit zu Zeit vorsichtig rekognosziert!“

„In der Dunkelheit nützt das ja nichts.“

„Man sieht nichts.“

„Und unser Kerkermeister, der uns hier gefangen hält, ist, so Gott will, beim Morgengrauen über alle Berge.“

„Unwillkürlich achtet man auf jeden Laut und regt sich so auf!“ klagte Lobelia mit bebender Stimme.

Die Herren wechselten einen schnellen Blick tiefbesorgten Einverständnisses. Sie waren beide als Soldaten im Krieg gewesen, das Jahr sechsundsechzig hatte es ihnen gezeigt, was es heissen will, in dunkler Nacht angestrengt zu lauschen, auf Vorposten zu stehen und zu wissen, dass der Tod auf leisen Sohlen umherschleicht und jede Sekunde um Sein oder Nichtsein würfelt.

Sie ermassen die Schauder einer Nacht, wie sie jetzt heraufzog in all ihren ungeheuerlichen Konsequenzen; denn was es besagt, einen gereizten Bären als Todfeind in nächster Nähe zu wissen, ahnungslos, zu was alles Wut und Hunger solch ein Höllenvieh aufstacheln und aufreizen kann, das wussten nur sie als erfahrene Männer allein.

Grausige, furchtbare Nacht.

Tiefes Dunkel, — man erkennt nicht mehr die Hand vor den Augen.

Der Wind heult in den Schlüften, unheimliche Geräusche dort und hier, und dann plötzlich das wütende Aufbrüllen des Bären in allernächster Nähe.

Stille ...

Qual über Qual.

Nun hört man ihn jenseits am Stadel die Pranken in das Holz hauen, es ist, als zittere der ganze morsche Bau.

Leises, jammervolles Weinen des jungen Mädchens.

Sie umklammert die Hand des Onkels, und Welten fühlt, dass ihr ganzer Körper wie unter Fieberschauern bebt.

Wie lang ist die Nacht, wie unerträglich lang!

Die ersten Frührotlichter, die über den Himmel zucken.

Es wird heller und heller.

Lobelia liegt bewusstlos in dem Heu, und mit grimmigem Brummen rüttelt der Bär abermals an dem altersschwachen Bau.

Schüsse krachen. Ein lautes Geschrei kräftiger Männerkehlen. Ein Brüllen, Röcheln — und die Sonne hat gesiegt.

Drittes Kapitel

Als der Vinzenz vom Brunnecker Hof das reizendste Madel, das er je geschaut, auf seinen starken Armen gehalten und ihr erst so erschrecktes Fratzerl ihn nachher beim „Behüats Gott“ so freundlich mit blitzblanken Guckerln angelacht hatte, da wollte ihm so ein Erinnern nimmer aus dem Sinn kommen. Zwar sang er mit schmetternder Stimme ein Rekrutenlied nach dem andern und hakte sich just so fidel wie zuvor bei seinem Jugendgespiel, dem Sepp, in den Arm, aber er wandte doch öfters den Kopf und schaute dem schmucken Madel nach, bis sie in der Ferne dem Blick entschwand.

„In die Masulschlucht wollten die Herrischen!“ guckte der Sepp ein wenig überrascht, „und nun schwenkens zur Seiten in den Waldpfad ein. — Wetten, dös die Stadtleut’ sich noch verlaufen tun?“

„Nix da! Auf den Langen in der Joppen hab’ i mi auskennt!“ rief der Toni, der Knecht beim Seitzerbauer war; „dös is der Aloys Sturmlechner. Derselbe, dess Vater in der Lauben drunten a Bankgeschäft gehalten hat.“

„Just selbiger aus den Wasserlauben. Der is ja uns oan’!“

„Und woass seit Bubenjahren Bescheid dahier.“

„I denk’, sie möchten nach der Senn’ hinauf, nach’m Mirzel oder Anderl schauen.“

Die Burschen schritten rüstig aus.

Sie waren von Schönna heruntergekommen und sahen nun die ersten Häuser von Obermais vor sich.

Seitwärts schlängelt sich ein Fusspfad herab, der nach dem Ifinger und den Schluften abstreckt.

Zwei Tiroler Buben sprangen in wilder Hast, atemlos vom Laufen und Schreien, daher.

Sie fuchtelten wild mit den Armen durch die Luft.

„Hört’s, ihr Mannerleut’! Stillgestanden, hört’s!“

„Ja du mei, — da brennt’s!“

„Mach’s raus! — Gib’s a Auskunft!“

„Is a Malheur passiert?“

Keuchend standen die Flüchtigen.

„Anderl! Bist jo der Anderl!“

„Sell scho! — Und — droben — droben an der Klamm hab’n ma a Bär aufgespürt!“

„A Bar in der Masul?“

„Alle Heiligen soan unsre Zeugen!“ schrie der Anderl und wechselte vor Entsetzen immer noch die Farben — bald weiss wie Schnee, bald wie im Fieber sah er aus.

„Derzählt’s, Bub’n! Derzählt’s!“

„Der Bauer hat uns naufi g’schickt, mal Umschau zu halten. Auf’m Stadel haben wir noch zentnerweis’ das Heu, und hier drunten wird’s knapp.“

„Ja, ja — ganz recht!“

„Und — da habt’s an Bär geschaut?“

„Wie wir so die Senn und den Stadel observiert ham — nachen hörn wir so an narrisches Gebrummel in der Schlucht drunten.“

„Was soll’s denn sein?“ meinte der Hias, „steig’n mer mal hinauf und schauen, was es da gibt. — An an Bär hat keiner nöt denkt von uns.“

„Und kraxelt auf die Felsen? Jesus Maria, sell konnte nöt guat wären!“

„Wie mer oben hinaufkommen, — ma braucht’ sich nit weit vorzurecken, — sehen wir unten am Wasser an Riesenpetz, so an Höllenvieh wie an Ochs, der tratscht da im Geschlürf herum.“

„Der Anderl tat vor Schreck laut aufkreischen, sonst hätt’ er uns nöt derschaut.“

„Nu aber guckt er hoch — und richt’ sich auf und schlagts an Gebrüll auf —!“

„‚An Stutzen hab i nöt, aber aufbrennen tu i dem vermaledeiten Mistvieh doch oans!‘ tobt der Hias, als ob ihn akkurat der Böse plagt, und packt an grossen, damisch schweren Felsblock und schiebt und rollt ihn, und mit an Gekrach, wie wann der Fels z’sammensackt, poltert der Stoan in die Schlucht auf den Bär drauf!“

„Bub’n! Sell soll ma glauben?“

„Weiter! Da ward er aber furig, der Sakra?“

„So an Gebrüll hat’s no kan Seel’ gehört, wie der aber aufgeschlagen hat! Und ob’s ihn nu getroffen hat — —“

„Sell is gewiss! An die Schuft hat’s ihn trefft!“

„I sag’ mir: ‚Wann der jetzt no klettern kann, dann sin ma alle zwo beide hin!‘ — und nehmens die Bein in die Hand, und nun aber nach Meran, alle Schützen und die Kaiserjäger alarmiern!“

„Die Jaga! — sput’s uns!“

„I lauf’ mit!“

„Malefiz! Dös i ka Büchsen hab’! I rennt’ spornstreichs nach der Masul herein!“

„Jesses! Mei unglückseliges Dearndel!“

„Was ficht di an, Vinzenz?“

„Die Herrischen sind ja in die Schlucht!“

„Der Aloys Sturmlechner!“

„Wenn’s der Bär auswittert und in seiner Wut annimmt, soans verloren!“

„Heilige Mutter Gottes, nur dös nit!“

„So an sauberes Madel!“

„Zu Hilf’! Kommts ihr all zu Hilf’!“

„Schreits die Manner z’samm’!“

„Holts an Waffen!“

„Laufts, ihr Leut’! laufts!“

Wie ein Rasender stürmte Vinzenz voran zu Tal.

Die Burschen folgten in wildem Tumult.

Wer ihnen begegnete, hörte nur die eine Schreckensnachricht: „An Bär ist in der Masul aufgespürt! — Drei Fremde soan noch hinunter’gangen!“

Wie ein Lauffeuer gellte die Schreckensnachricht durch Meran.

Aber die Zeit stand nicht still; die Sonne war schon längst hinter die Alpen gesunken, als sich eine Schar beherzter Männer zusammengefunden hatte, um im Verein mit etlichen Kaiserjägern und Kurgästen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Bärenjagd zu bestehen.

Es ist und bleibt ein heldenhaftes Wagnis, solch einem Ungeheuer in unwirtlichem und kaum übersichtlichem Terrain entgegenzutreten, und das Entsetzen, dass zwei unbewaffnete Herren und eine junge Dame der wütenden Bestie in Sicht gekommen sein konnten, erfüllte ganz Meran.

„In der Dunkelheit kann man nicht vordringen.“

„Undenkbar, einen Kampf aufzunehmen, wenn man nicht die Hand vor Augen sieht!“

„Und doch darf man nicht zögern!“

„Es gilt drei Menschenleben!“

„Man muss alsbald hinauf und gleich beim ersten Morgengrauen die Spur suchen!“

„Der Vinzenz meint, die Touristen wären nach der Sennhütte hinauf.“

„Wer sind die Herrschaften?“

„Kennt man Namen?“

„Du liebe Zeit, ja! Der Oberst von Welten mit seiner Nichte, einem so bildhübschen Mädchen, das schon allgemein aufgefallen ist.“

„Herr Sturmlechner macht ihnen den Cicerone!“

„Wo wohnen sie?“

„Im Tiroler Hof.“

„Nein, nein! Im Parkhotel. Die so leidende Gattin vom Oberst ist daheimgeblieben und soll beinah Krämpfe haben vor Angst und Aufregung!“

„Gott erbarm’ sich, so eine arme Dam’.“

„Die Jäger rücken aus!“

„Dös is ka Kinderspiel, wanns dös Revier umstellen wollen.“ —

Die Strasse nach Mais schritten rüstig die beherzten Männer, von Jagdeifer und dem Verlangen beseelt, rechtzeitig den Bedrängten Hilfe zu bringen.

Die Touristen waren nicht heimgekehrt, und bange Sorge erfüllte alle Seelen, ob sich wohl in jener Todeinsamkeit einer herrlich schönen, aber so weltfernen Gegend das grausigste Drama abgespielt habe, das gedacht werden kann.

Schwarz und schweigend lag der Wald.

Kein Laut nah und fern. Nur der Wind sauste daher, und in den Zweigen knackte und raschelte es, wenn Vögel oder kleines Getier, Eichkätzchen oder gar ein Marder von Ast zu Ast huschten.

Das Gewehr im Anschlag, drängten die Beherzten sich mutig Schritt um Schritt voran.

Angestrengtes Lauschen. Jeder Laut war ein Ereignis.

Die Felsen hemmen den Schall so sehr; es ist beinah unmöglich, ein noch so starkes Gebrüll bis hierher zu hören.

Der Himmel färbt sich im Osten mit zartem, flimmerndem Grau, das erst nur matten Schein in die tiefen Schatten wirft.

Welch eine Geduldsprobe! Welch eine nervenmordende Wartezeit!

Die Herren und Männer fiebern vor Aufregung. Jeder einzelne glaubt, den eignen Herzschlag hören zu müssen.

Ein rosiges Aufflammen —!

Droben die Schneezinken des Ifingers beginnen sich zu färben.

Die letzten dunklen Wolken der Nacht stieben über den Himmel davon.

Röter und röter färben sich ringsum die Alphäupter.

Wie mit einem Zauberschlag wird es sehr plötzlich hell und lebendig im Wald.

Hastige Schritte, ein Aufspringen mit derben Nägelschuhen.

Zwei Löselbuben, der Vinzenz vom Brunnecker Hof und der Sepp, die waghalsig in den Felskessel vorangeschlichen sind, kommen atemlos.

„Er brummt! — Man hört ihn deutlich, von der Senne klingt’s herüber!“

„Gott helf’! — dass sie noch leben!“

„Nun Vorsicht! — Dort um die Felsen herum, dann haben wir die Halde mit der Sennhütte vor Augen!“

Vogelschrei hoch in der Luft.

Ein Sperber steigt der Sonne entgegen. Die letzten Schatten verwehen wie Nebel und Rauch.

Scharfe Männeraugen lugen voll heisser Spannung durch das Gezweig.

Da — ein kurzes, grimmes Aufbrüllen, droben vom Stadel herunter klingt es. Die Aufregung der Jäger erreicht den Höhepunkt.

Der Heuschober steht beinah frei auf der Wiese, — ein Heranpirschen ist kaum möglich — —

Welch ein Meisterschuss, von sicherster Hand gegeben, kann das Untier auf diese Entfernung hin niederstrecken?

„Alle müssens schiessen! Je mehr Kugeln, desto besser!“

„Dort hinten! An der Rückwand des Stadels taucht er auf!“

„Er scheint seine Opfer tatsächlich zu bewachen!“

„Ein Bär halt gern gefangen!“

„Jetzt tratscht er nach rechts!“

„Man sieht deutlich, wie er nach dem Heu hinaufwittert —“

„Er will sich an dem Holzpfahl aufrichten!“

„Das unglückliche junge Mädchen! Die Herrschaften sind sicher in das Heu geflüchtet, man merkt es der Bestie ja an!“

„Eine Salve — eine Salve geben!“

„Kommando.“

Ein kurzes, scharfes Aufblitzen aus dem Tannendickicht heraus, dann ein scharfes Knattern — und fast gleichzeitig ein kurzes, bellendes Gebrüll des vielfach getroffenen Raubtiers.

Der Bär bäumt auf — greift mit den Vorderpranken gierig in die Luft — er taumelt, — wendet sich — stiert auf die neuen Feinde und Angreifer in den Tannen —

Noch einmal ein dumpfes, furchtbares Brüllen, — dann sinkt er zur Seite, rollt sich wie ein Knäuel auf dem dicken Moos umeinander ...

„Feuer!“

Wieder knallen die Gewehre.

Weisse Pulverdampfwölkchen kräuseln aus dem dichten Unterholz.

Ein Zucken des zottig schweren Körpers, abermals ein ruckweises Brummen, das in kurzes Röcheln übergeht.

„Gut getroffen!“

In dem grünbuschigen Knirks, noch die rauchende Büchse im Anschlag, stand ein Schütz.

Klein und etwas zur Fülle neigend war seine Gestalt, dabei sehnig gedrungen, von anscheinender Muskelkraft, wie sie den an Sturm, Wetter und Gefahren gewohnten Einwohnern wilder Berggegenden eigen ist.

Hohe Schnürstiefel, ein mehr derb praktisches als elegantes Jagdzivil, die Mütze, die sogar etwas Schäbiges hatte, von fremdartiger Fasson, fest über den ganzen Kopf gezogen, stand er vorgeneigt und schien mit stierem Blick seine Kugel verfolgen zu wollen, ob sie, wie gewohnt, ihr Ziel erreichen werde.

Sein Gesicht war nicht hübsch, ein rüder Zug lag um den Mund, dessen wulstige Lippen von starkem, nicht sonderlich gepflegtem Schnauzbart umstarrt waren.

Die Nase, kurz und stumpf, zeigte breite Nüstern, und etliche Blatternarben verdarben ihre Form und erzählten von einer Zeit, die ihre Schreckensspuren unauslöschlich in die Physiognomien ihrer Opfer schreibt.

Eine gewisse Gutmütigkeit lag auf den breiten, fleischigen Wangen, gepaart mit Sinnlichkeit, die den dunkeln, leicht vortretenden und von starkbuschigen Brauen umsäumten Augen einen Ausdruck von Leidenschaft und tierischem Instinkte gab.

In diesem Moment glühte der Jagdeifer, sein Opfer niedergestreckt zu haben, voll gieriger Gewalttätigkeit darin.

„Basse manelka!“ lachte er mit dröhnender Stimme. „Der hat’s! Die Kugel, die ihms Lebenslicht ausblasen hat, wor meinigte!“

Er hob den Arm und wehrte zwei Kaiserjägern, die an seiner Seite gestanden hatten, energisch ab.

„Laufts no net sogleich hin. — I sprech’ aus Erfahrung! Bin seit Bubenjahren auf a Bärenjäger! — Ma denkt, er liegts im Feuer dabei, und kommt man in die Näh’, rackert sich so an sakrischer Hund auf und gibt’s noch an Treff!“

Wieder fielen etliche Schüsse aus dem Hinterhalt und schienen den Körper der Bestie abermals getroffen zu haben.

Er zuckte empor — ein kurzes, halb ersticktes Röcheln ... dann schüttelten sich die zottigen Glieder, und die Beine zogen sich wie im Krampf an den Leib.

„So wahr i der Gaj Gyurkovics bin! Da brennens no die schöne Schur in Fetzen!“ grollte der kroatische Bärenjäger ärgerlich. „No ein paar Minuten Geduld, und er hätte ausgeschnauft g’hobt, — ohne die Mandel Löcher mehr im Pelz!“

Ein lautes, jubelndes Siegesgeschrei aus kräftigen Männerkehlen.

Die Jäger stürmten über die freie Halde, dem Heustadel zu.

„Sturmlechner! — Heda! Sturmlechner! Seid Ihr dahier innen?“

Hoch hinter dem Dachgespärr tauchte der Kopf des Herrn Alois auf.

Das Entsetzen spiegelte sich noch auf seinem farblosen Gesicht.

„Schiessts net mehr! Dahier sind wir!“

Oberst von Welten trat an die Luke über der Leiter.

Er hob den Hut und winkte dankbar erfreuten Gruss hernieder.

Sein Blick traf den kolossalen Körper des Bären, und ein tiefes Aufatmen hob seine Brust.

„Es ist auch eine Dame droben?“ rief ein Offizier der Kaiserjäger. „Die Herrschaften können ohne Gefahr herniedersteigen!“

„Ist’s nur ein Bär gewesen?“

„Habts ihr mehrere gespürt?“

„Na, na! — Der hat’s allein grad g’schafft, vermein’ i!“

„So a Mordsvieh!“

„Grad g’fangen g’halten hat er sie!“

Gaj Gyurkovics war langsam nähergestapft und schaute unter seiner spitz gebogenen Mützenkrempe nach dem Stadel herauf.

Dort hatte sich der Baron eben zurückgewandt und führte eine zierliche Mädchengestalt der Leiter zu.

Sein Arm stützte die anscheinend halb Ohnmächtige.

Der Blick des Kroaten schärfte sich plötzlich.

„Teremtete!“ stiess er wie mit einem leisen Pfiff durch die Zähne hervor. „Dös ist ja meiner Seel’ das Madel aus dem Theater drunt!“

Eine Glutwelle schoss in sein Gesicht, bis unter die buschigen Haare hinauf.

„Sakra, da find’ i ’s doch wieder! So an Fratzel an goldiges! Aber erbärmlich schaut’s drein ... du mei!“

Mit ein paar gewaltigen Sätzen sprang er zu, und während ein paar Männer eine neue Leiter, die unter dem weit vorspringenden Dach der Sennhütte gehangen hatte, heranschleppten und gegen die Luke des Stadels aufstellten, schob er sie mit kraftvollem Arm beiseite.

Ein paar gewandte Sprünge — er schwang sich empor und stand neben Lobelia.

Die Dam’ ist zu schwach zum Absteigen, i trags scho’!“ — Und ehe der überraschte Oberst oder Sturmlechner nur Zeit zum Denken fanden, hatte er mit gewalttätigem Griff das junge Mädchen gepackt und auf den Arm gehoben.

Sehr geschickt fand er die Leiter mit dem Fuss.

„Festholten! Greifts zu! Gib a Obacht, Bub, dös ma gut nunter komm’!“

Der Vinzenz vom Brunnecker Hof, der als Eifrigster die Leiter herzugeschleppt und grad’ den Fuss auf die unterste Sprosse gestellt hatte, um als erster droben zu sein, fühlte sich unsanft zurückgeschoben und starrte nun mit finsterm Blick empor, wo der Kroate mit seiner reizenden Bürde den Abstieg begann.

„Sell is nöt recht!“ dachte er; „die Leiter hab’ i und der Franzel dahertragt, da stand mir auchs Recht zu, dem Madel beizuspringen.“

Aber er fasste mit beiden Fäusten zu und hielt das Holz so sicher, als sei es gar ein Engerl vom Himmel selber, das da herniederstieg.

„Nur nit so lamentabel, — das verhüt’s Gott und alle Heiligen!“

Er starrte auf das wachsbleiche Antlitz.

„Ja, Fräulein! Du mei Herrgott! So muass i Ihna wiederschaun!“ rief er voll herzlicher Teilnahme, und Lobelia schien ihn tatsächlich wieder zu erkennen. Ein mattes Lächeln huschte um ihre Lippen; sie versuchte ihm freundlich zuzunicken.

Gaj Gyurkovics liess ihre Gestalt aus seinen Armen niedergleiten, beugte sich vor und stierte der Geretteten mit heissem Blick in das Antlitz.

Lobelia sah empor, sah ihn an.

Wie ein jäher Schreck spiegelte es sich in ihren Augen — unwillkürlich wich sie zurück, dicht an des Vinzenz Seite.

„I hob die Gnädige schon gesehn! Im Theater neulich! Wissens noch ... im Apajune?!“

Fräulein von Welten wich noch weiter zurück, und Vinzenz, der sie scharf beobachtete, trat jäh neben sie, als wolle er sich instinktiv schützend zwischen sie und den Fremden schieben.

„Nein ... ich kenne Sie nicht!“ stammelte Lobelia und wich dem Blick des Kroaten aus, ängstlich nach dem Stadel zurückschauend, ob der Oberst noch nicht folge.

„No, no! Bekannt gemacht hab’ i mi den Herrschaften noch nit, so viel Müh’ ich mir an selben Abend und die Tag nachher auch gegeben hab! I hol’s nach, Gnädige. Gaj Gyurkovics bin i genannt — unter den kroatischen Edelleuten findens mi an der Spitzen!“

Die andern Herren drängten näher; Herr von Welten schwang sich die Leiter herab und stand neben der Nichte.

Sein Blick traf nicht allzu erfreut den Bärenjäger aus dem Ivantschitzkagebirge, der ihm derb vertraulich die massive Hand entgegenstreckte.

„Sind’s der Vater dazu?“ fragte er. „Da freut’s mi, dös mei Kugel Ihrem Gefangenwärter grad zur Zeit eins aufbrennt hat!“

Herr von Welten verneigte sich etwas steif und förmlich. Sein Blick traf Vinzenz.

„Ah — unsre fröhlichen Löselbuben!“ lächelte er; „sicherlich haben Sie unsre Wanderung in die Schlucht beobachtet und uns Hilfe gebracht?“

„Sell schon, Euer Gnaden! — I bin zwoar nur a simpler Bauer, der Vinzenz vom Brunnecker Hof, aber der Stutzen, den i mir in der Kasern’ drunten geholt, trefft a sein Ziel. Gell’, Franzel?“

Sein Spezi hatte das Grünhütel gleich dem Sprecher gelüftet; ehe er aber antworten konnte, stiess Vinzenz, dessen Blick eben noch ein wenig aufbegehrerisch über das frischfarbige Gesicht des Kroaten geschweift und dann zu Lobelia zurückgekehrt war, einen leisen Schrei des Schreckens aus.

„Heilige Mutter Gottes! Wie schaut denn das Madel drein?“

Das schwere Wolltuch war von Lobelias Köpfchen zurückgeglitten.

Um Stirn und Schläfen lag das gestern noch so volle nussbraune Haar — es war weiss wie silberner Schnee.

Und abermals ein Aufschrei des Obersten, der voll Entsetzen, wie abwehrend die Hände hob ... und ringsum die Männer im Kreise traten jäh näher und schauten wie gebannt auf das Schreckliche.

Die Haare des jungen Mädchens hatte die furchtbare Aufregung, die grausige Todesangst einer langen, bangen Nacht gebleicht.

Mechanisch hob sie die Hände.

„Was ist mit mir?“

„Nichts allzu Erstaunliches, armes Kind, es war zu kalt für deine zarten Nerven während unsrer Gefangenschaft heute nacht, es hat auf ... dein Köpfchen geschneit!“

Herr von Welten sagte es leise, seine Stimme bebte.

Alois Sturmlechner aber fand zuerst wieder das richtige Wort.

„Da kann sich die Gnädige aber grad bei dem Bär bedanken!“ lachte er mit viel Selbstbeherrschung. „Neulich hab’ i ein Bildel von der Damen bei der Frau Tante geschaut, vom Fasching her! Da sollte wohl ein Rokokofräulein gespielt werden! Die weisse Perücke zu den dunkeln Augen hat so gut gekleidet, wie nix andres!“

„So ist’s! Akkurat so ist’s!“ nickte Gaj Gyurkovics und schien das junge Mädchen mit den Blicken zu verschlingen: „Nur eine Schönheit mehr wird’s!“

„Da helft alles Reden nix!“ grollte Vinzenz und griff mit dem Oberst zugleich nach der wankenden Gestalt der jungen Dame.

„Schwach ist’s dem Fräulein. Schliess die Sennhütten auf, Sepp! Dös ’s a Ruah find’, bis ma an Wagen ’rannschafft.“

„Brav, Bursche, brav!“

Herr von Welten hielt die bebende, von Frost geschüttelte Gestalt im Arm und legte liebevoll das Plaid über das schimmernde Haupt der Nichte.

„Der Gedanke ist gut; wenn es erlaubt ist, bleiben wir in der Sennhütte, das Gehen ist ja jetzt eine Unmöglichkeit für meine Schutzbefohlene.“

Er sagte das letzte Wort mit besonderer Betonung, und sein Blick traf dabei wie zufällig den kroatischen Edelmann.

Dieser wollte wie ganz selbstverständlich den Löselbub zurückweisen.

„Geht’s nur, Bursch! I führ das Fräulein scho sicher, mei Arm schafft’s eher wie jeder andre.“

Lobelia umschloss jählings des Vinzenz Arm mit der Hand, während sie sich fest an den Onkel schmiegte.