Ex - Katja Lewina - E-Book

Ex E-Book

Katja Lewina

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Beschreibung

Mit 16 war Sascha der Eine: Iro, Kippe im Mundwinkel und ein Musikgeschmack wie ein junger Gott. Mit ihm lernte Katja, einen Plattenspieler zu bedienen und einen Penis gleich dazu. Natürlich brannte sie mit ihm durch, doch zwei Jahre später war es aus. Nach 20 Jahren Funkstille sehen Katja und Johnny sich wieder und sprechen über früher. Katja hat inzwischen eine Familie und dennoch wieder mal Liebeskummer, und langsam kann sie die Frage nicht mehr ignorieren: Warum scheitern ihre Lieben immer und immer wieder? Eine Frage, die sich die meisten von uns schon gestellt haben. Jedes Mal glauben wir von Neuem: Das ist sie, die Liebe unseres Lebens – bis sie zerbricht. Was also führt dazu, dass Beziehungen kaputtgehen? Katja Lewina hat sich auf den Weg gemacht und die zehn wichtigsten Männer ihres Lebens besucht. Auf ihrem Roadtrip in die Vergangenheit trifft sie ihre Ex-Freunde, wühlt mit ihnen in alten Erinnerungen – und entdeckt psychologische Muster, die viel mit ihr selbst, aber auch mit unserer Gesellschaft zu tun haben. So beleuchtet ›Ex‹ die Liebe in Zeiten des Patriarchats und der scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten und gibt Antworten auf die Frage, was in der Liebe alles schiefgehen kann.

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»Tanze ich seit zwei Jahrzehnten die immer gleiche Choreografie oder hat sich etwas verändert?«

Katja Lewina

Mit 16 war Johnny der Eine: Iro, Kippe im Mundwinkel und ein Musikgeschmack wie ein junger Gott. Mit ihm lernte Katja, einen Plattenspieler zu bedienen und einen Penis gleich dazu. Natürlich brannte sie mit ihm durch, doch zwei Jahre später war es aus. Nach 20 Jahren Funkstille sehen Katja und Johnny sich wieder und sprechen über früher. Katja hat inzwischen eine Familie und dennoch wieder mal Liebeskummer. Bei nahezu jeder Beziehung hat sie von Neuem geglaubt: Das ist sie, die große Liebe – bis sie zerbrach.

Katja Lewina trifft in ›Ex‹ die zehn wichtigsten Männer ihres Lebens, wühlt mit ihnen in alten Erinnerungen und entdeckt psychologische Muster, die viel mit ihr selbst, aber auch mit unserer Gesellschaft zu tun haben. So beleuchtet sie die endende und neu entstehende Liebe in Zeiten des Patriarchats und der scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten und gibt Antworten auf die Frage, was in der Liebe alles schiefgehen kann.

»Klug, witzig, unterhaltsam, wütend und versöhnlich«

Missy Magazine

über ›Bock. Männer und Sex‹

© Manuela Clemens

Katja Lewina wurde 1984 in Moskau geboren, studierte Slawistik sowie Literatur- und Religionswissenschaften. Sie arbeitete als freie Lektorin und im Künstler:innenmanagement. Heute ist sie freie Autorin für namhafte Medien. Bei DuMont erschienen die SPIEGEL-Bestseller ›Sie hat Bock‹ (2020) und ›Bock. Männer und Sex‹ (2021).

Katja Lewina

Ex

Von Katja Lewina sind bei DuMont außerdem erschienen: Sie hat BockBock. Männer und Sex

eBook 2022 © 2022 DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte Vorbehalten Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln Umschlagabbildung: © Manuela Clemens Satz: Fagott, Ffm Gesetzt aus der Dante und der Brandon Grotesque eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck ISBN eBook 978-3-8321-8270-0

www.dumont-buchverlag.de

Ja. Das ist alles passiert.Nur vielleicht ein kleines bisschen anders.

Im Voraus

Die Liebe, ach, diese Liebe. »Das hier ist etwas ganz Großes!«, denken wir jedes Mal aufs Neue, um doch nur wieder vor den Trümmern unserer Erwartungen zu stehen und um die Vergangenheit zu flennen. Ganz gleich, ob die Idee von einem »Wir« nur ein paar Wochen oder viele Jahre währte – wir haben es nicht geschafft, mal wieder. Ob wir selbst gehen oder verlassen werden, ist dabei schon fast egal, denn das Gefühl, versagt zu haben, teilen wir alle. Wir haben es nicht geschafft, beieinanderzubleiben. Nicht geschafft, unsere Liebe zu retten. Vielleicht nicht einmal, sie zuzulassen.

Was zur Hölle machen wir falsch? Sind wir zu verwöhnt, zu selbstsüchtig? Verweigern wir uns dem Glück durch unbewusste Sabotage? Suchen wir an der falschen Stelle? Sind unsere Projektionen schuld? Unrealistische Ideale? Und so gehen wir davon, ratlos in den allermeisten Fällen, murmeln was von »Hat eben nicht gepasst«, um uns bald darauf in das nächste Abenteuer zu stürzen, in etwas, das ganz sicher etwas Großes wird. Diesmal aber wirklich.

»Serielle Monogamie« nennen wir dieses Spiel und leben mit der Suche nach der einen, endlich glücklich machenden Beziehung nichts weniger als die Liebesform unserer Zeit. Noch in der Generation unserer Großeltern wurden Ehen auf Lebenszeit geschlossen. Heute hält eine Beziehung genau so lange, wie wir Bock auf sie haben. »Dass Beziehungen an irgendeinem Punkt abgebrochen werden, ist zu einem ihrer alltäglichen Merkmale geworden, und zwar in einem solchen Maße, dass viele, wenn nicht die meisten Beziehungen eine intrinsische Vorwegnahme ihres Endes beinhalten«, schreibt die Soziologin Eva Illouz in Warum Liebe endet. Wir sind damit so frei wie nie zuvor, aber gleichzeitig auch ebenso hilflos. Die Sehnsucht, bei einem Menschen anzukommen und zu bleiben, lässt uns nicht los, im Gegenteil: Je unmöglicher uns das Erreichen einer dauerhaften Liebe erscheint, desto stärker idealisieren wir sie. Ein:e Partner:in soll uns bitte alles sein: Muse, Sexgött:in, Mutter, Vater, Kind und Haustier, Partner:in in Crime und Gute-Laune-Maschine in einem, und wenn eins davon nicht hinhaut, dann war er:sie es eben nicht. Und so stürzen wir uns kopflos in Beziehung um Beziehung, produzieren wir Ex um Ex um Ex. Und für Frauen gilt das sogar noch mehr als für Männer. Denn was sind wir schon im Patriarchat ohne die Liebe eines Mannes?

Wir braven kleinen Abkömmlinge des Liberalismus bilden uns ein, eine echte Wahl zu haben, wir leben in dem sicheren Gefühl, dass dort draußen immer noch etwas Besseres auf uns wartet, etwas, das uns auf ewig glücklich machen wird. Doch das ist eine Lüge. Selbst Princess Charming wird uns irgendwann zum Hals raushängen, wenn wir in unserem Inneren der gleiche Lump bleiben, der wir schon immer waren. Denn die Fähigkeit, Liebesbeziehungen zu führen, fängt bei uns selbst an. Wir alle schleppen Beschädigungen aus Kindheit und Jugend mit uns rum, die uns das Beziehungsleben schwer machen. Wenn wir derer nicht gewahr sind, dann gute Nacht.

Das hier ist kein Plädoyer fürs Bleiben, kein Anprangern von Trennungswilligkeit. Natürlich gibt es Verbindungen, in denen es sich zu gehen lohnt, und vermutlich sind das sogar ziemlich viele. Es gibt nur einen Fehler, der uns immer wieder unterläuft (und glaubt mir, gäbe es Meister:innenschaften darin, ich würde sie alle gewinnen): Wir lernen nicht. Wir gehen weiter, manchmal sogar leichten Herzens, aber wir lernen nicht. Halten uns an Ausreden und Beschwichtigungsformeln fest, die so bequem erscheinen, dass wir nichts anderes gelten lassen als: »An mir lag’s nicht, der:die andere ist’s gewesen.« Dabei liegt alles immer auch an uns. Das ist der widerwärtige Part, an den wir uns trauen müssen, wollen wir irgendwann in der Lage sein, eine Beziehung zu führen, die zu uns passt. Wir sind es gewöhnt, sprachlos auseinanderzugehen, unseren Groll mitzunehmen und höchstens mit Außenstehenden unsere Version des Geschehenen zu besprechen, und lassen uns dabei auch mal uneingeschränkt recht geben. Wir wollen nicht hören, was unser:e Ex zu sagen hat, denn »Was vorbei ist, ist vorbei«. Welch Frevel! Denn auch wenn das mit der Liebe nicht hingehauen hat zwischen zweien, dann können sie einander immer noch gute Lehrer:innen sein, ja, mit ein bisschen Glück sogar die besten. Vielleicht war es unmöglich, mit dem Typ unter einem Dach zusammenzuleben, aber vielleicht grenzt unser Pedantismus wirklich an eine Zwangsstörung. Vielleicht war der Sex grottig, aber vielleicht sind wir auch wirklich ein sexistisches Arschloch. Worauf ich hinauswill: In den meisten Punkten, über die wir gestritten haben, liegt auch ein Funken Wahrheit. Und wir sollten sie zulassen und sie uns anschauen, statt sie reflexhaft von uns zu weisen. Stehen wir zu unserer Mangelhaftigkeit, und lassen wir unser Gegenüber ebenso zu seiner:ihrer stehen! Es hat eben nicht gepasst. Statt uns deswegen gegenseitig zu zürnen, können wir uns darin ebenso umarmen. Jede Beziehung, mag sie noch so kurz, so erfolglos, noch so enttäuschend sein, lehrt uns etwas über die Liebe, über die Menschen, über uns selbst. Jede Beziehung bedeutet Entwicklung. Oder, wie Paartherapeutin Katherine Woodward Thomas in Lass uns in Frieden auseinandergehen: Wenn die Liebe endet … Die5 Schritte des ›Conscious Uncoupling‹ schreibt: »Statt unsere Beziehungen weiterhin anhand ihrer Dauer zu beurteilen, sollten wir schleunigst anfangen, uns Fragen zu stellen wie ›Was habe ich daraus gelernt?‹ und ›Was kann ich künftig besser machen?‹.«

Vielleicht braucht es gar nicht die eine große Liebe. Vielleicht reichen viele kleine, die uns auf unserem Weg begleiten, Stück um Stück. Und vielleicht gelingt es uns am Ende ja doch noch, bei jemandem zu bleiben. Nicht aus Verzweiflung, nicht aus Bedürftigkeit heraus, sondern weil wir von und mit all unseren Ex genug gelernt haben, um uns selbst gut genug zu kennen und das Zusammensein von ganzem Herzen zu wollen.

Und genau deshalb fasste ich letztes Jahr einen Plan. Ich würde mit all meinen Ex-Männern – Freunden, Fast-Freunden, Affären – Kontakt aufnehmen, und zwar in der exakten Kaputtness-Chronologie meiner Beziehungen. Und dann würde ich sie treffen, also, falls sie mich nicht noch immer hassten (nicht ganz auszuschließen bei dem einen oder anderen), und mit ihnen in unserer gemeinsamen Vergangenheit wühlen. Ich würde sie all das fragen, was ich sie schon immer mal fragen wollte.

Was würden sie erzählen? Haben wir die gleiche Version unserer Geschichte erlebt? Gibt es so etwas wie Schuld? Suche ich mir immer die Falschen aus oder ist die Liebe tatsächlich unvorhersehbar? Tanze ich seit zwei Jahrzehnten die immer gleiche Choreografie oder hat sich etwas verändert? Was haben wir aus der Sache gelernt? Und (aufregend!) kann ich meine damalige Wahl noch immer nachvollziehen? Dass ich mich inmitten dieses Experiments gleich noch mal bis zum Anschlag verknallen würde, ahnte ich in diesem Moment zwar noch nicht. Aber ich sag es mal so: Wenn es um Nervenaufreibungen geht, war ich noch nie verlegen. Und so sind das hier, wenn man es genau betrachtet, zwei Geschichten geworden – eine über das Damals und eine über das Heute.

Also. Dann lasst uns mal ein bisschen im Dreck wühlen. Oder genauer gesagt: in meinem eigenen. Meine cis hetero Beziehungshistorie und -gegenwart mag vielleicht ein wenig verworren erscheinen, doch damit unterscheide ich mich vermutlich von den wenigsten Menschen dort draußen, egal welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung, die im Gegensatz zu mir vielleicht gelernt haben, persönliche Niederlagen und emotionale Schwächen als Privatsache zu behandeln.

Ich würde sagen: Ich haue einfach mal alles raus.

Paolo ist wieder da. Ich habe ihm geschrieben – also nicht, weil ich da schon an der Ex-Sache dran gewesen wäre, sondern vorher, als es gerade ganz arg bei mir war. Und er war sofort wieder am Start. Unser letzter Kontakt lag Jahre zurück, weiß der Teufel, warum ich ihn in meinem Adressbuch suchte. Es gab da Bessere als ihn. Zugewandtere. Aktuellere. Männer, mit denen der Sex schöner war (und ehrlich, das war keine Kunst). Überhaupt welche, von denen ich mir mehr hätte versprechen können. Aber ich schrieb ihm. Wie es denn so laufe, wollte ich wissen. Erinnerte mich dunkel an eine Verliebtheit, von der er mir erzählt hatte. Eine Russin, wunderschön.

[09.06., 11:15] Ich: Und, wie ist es ausgegangen?

Ich sitze auf dem Klo, als seine Antwort kommt. Handy in der Hand, klar.

[09.06., 12:17] Paolo: Na, wirst du von Zeit zu Zeit melancholisch mit deiner kleinen Flimmerkiste, dass du an mich denkst?

Heutzutage gibt es ja keine Überraschungen mehr. Mein Herz ist krank, jede:r, der:die es wissen will, kann es nachlesen, Social Media sei Dank. Lebenserwartung ungewiss, kann morgen tot sein oder in dreißig Jahren. Doch, das ändert schon was in mir. Aber dass ich deswegen melancholisch werde? Schwermut ist mir ja so gar nicht zu eigen. Nein, vermutlich denke ich an ihn, weil er für eine andere Zeit steht. Für eine Zeit, in der Tod und Gebrechen noch keine Rolle spielten, in der mein Körper unversehrt und kein Defibrillator unter meiner Haut verbaut worden war. Für eine Zeit, in der ich dachte, mir gehört die Welt. Mit ihm dachte ich das vor allem. Jedes Mal, wenn wir in diesen sechzehn Jahren, die wir uns kennen, aufeinandertrafen, war ich sicher: Hier passiert was Phantastisches. Um gleich darauf aufs Maul zu kriegen, von Paolo, von mir selbst, vom Leben, wer weiß das schon so genau. Es gibt diese Begegnungen, die wieder und wieder enttäuschen, aber so ganz los lässt man sie trotzdem nicht. Er ist meine solche Begegnung.

Ich schreib ihm das, während ich mich entleere. Wie viele Nachrichten werden wohl in derart unappetitlichen Situationen verfasst? Wer nutzt kein Whatsapp auf dem Klo? Also Paolo sicher nicht. Ich stelle mir ihn vor, wie er an seinem Küchenfenster steht, auf die Straße rausblickt, neben sich eine Tasse Siebträgermaschinen-Kaffee auf der sauber gewischten Arbeitsplatte. So beantwortet er seine Nachrichten. Nicht in so einem fensterlosen Bad, in dem ich gerade hocke. Neben mir kriecht Schimmel die Kacheln hoch; die Lüftung ist reine Dekoration, hat der Schornsteinfeger gesagt, und unsere Vermieterin stellt sich ahnungslos. Aber: Man gewöhnt sich ja an alles.

Ich hole richtig aus, erzähle alles. Oder zumindest so viel, wie in eine Nachricht passt. Denn mein Herz quält sich nicht nur im physischen Sinne. Zu meinen Füßen die Trümmer einer mehrjährigen Beziehung und ein Liebeskummer aus der Hölle. Nicht, dass ich verlassen worden wäre. Oder das Gefühl hätte, einen Fehler gemacht zu haben. Ich will die Beziehung, derentwegen ich leide, nicht zurück, ich bin froh, dass sie vorbei ist. Und doch: leide ich.

Mein Kummer gilt nicht einem Mann, er gilt der Liebe.

Jedes Mal aufs Neue wünsche ich mir, sie möge dauern. Ich gebe alles, aber es scheint nie genug zu sein. (Obwohl, eine Ausnahme gibt es, und ich erzähle euch noch von ihr. Später. Unbedingt.) Ich glaube nicht an »den Richtigen«. Ich glaube nicht an die Monogamie. Ich glaube nicht an »bis dass der Tod euch scheidet«. Ich glaube an Dinge-zusammen-Durchstehen. Ich glaube an die Entscheidung füreinander. Ich glaube an das »Wir«. Zumindest tue ich das heute, in meinen Dreißigern. Als ich noch jünger war, war ich da viel unbedarfter – warteten doch noch so viele Typen auf mich. Um manche meiner Beziehungen habe ich gekämpft, mit Zähnen und Klauen, mit Bitten und Betteln, aus manchen bin ich leichtfertig getürmt, insgesamt aber, ja, bin ich immer und immer wieder an ihnen gescheitert. Wie auch an der mit Paolo.

Dabei war das noch nicht mal eine echte Beziehung, beide Male, die wir es miteinander versucht hatten, nicht. Haben wir uns je als Paar empfunden, als Einheit, als Team? Ich glaube nicht. Dafür fuhren wir die Kiste zu schnell vor die Wand. Waren wir vielleicht grundsätzlich inkompatibel?

In diesem Moment stelle ich mir diese Frage nicht. Natürlich nicht. Meine Güte, ich bin am Kacken! Doch wenn ich ehrlich bin: Ich habe nie verstanden, warum aus uns beiden nichts wurde. Bis heute nicht.

[16.06., 11:29] Ich: Weißt du eigentlich, dass ich seit unserem Telefonat quasi ununterbrochen daran denke, mit dir zu schlafen?

[16.06., 12:08] Paolo: Warum sollte es dir auch anders gehen als mir?

[16.06., 13:57] Ich: Muss an der Hitze liegen. Hätte dich schon gestern Abend, als ich betrunken nach Hause kam, beinahe für Telefonsex angerufen.

[16.06., 14:00] Paolo: Vielleicht hättest du mich beim Masturbieren erwischt.

[16.06., 14:11] Paolo: Also eher wahrscheinlich als vielleicht. So wie heute Nacht, als ich aufgewacht bin und von dir geträumt hatte. Oder heute Morgen, in der trägen Sommerhitze.

[16.06., 15:32] Ich: Aber jetzt gerade fände ich es sehr reizvoll, vor deiner Tür zu stehen und sofort nackt mit dir zu sein.

That escalated quickly.

Vor seiner Tür stehen und sofort nackt mit ihm sein, genau das ist mein Plan, einige Tage später. Für unser Wiedersehen hab ich mir eigentlich etwas ganz anderes ausgedacht. Was Zwangloses: Mannis Geburtstag, den er mit ein paar Leuten an einer Tischtennisplatte im Park begehen will. Sehr stilecht, wie ich finde. Selbst nach einem Telefongespräch, an dessen Ende Paolo »Es fühlt sich an, als sei überhaupt keine Zeit vergangen« sagte und sogar recht damit hatte, kann ich ihn nicht einschätzen. Uns. Natürlich hätten wir was essen gehen können. Oder trinken. Aber so eine kleine Feier schien mir perfekt: Intim genug, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Formell genug, um nicht komplett komisch werden zu müssen, falls es doch noch komisch würde.

Doch als ich an der Tramhaltestelle stehe und darauf warte, zu ihm gebracht zu werden (»Klingel mich runter«, bat er, »dann haben wir wenigstens noch den Weg zum Park, um uns aneinander zu gewöhnen«), habe ich eine andere Idee. Die Sonne knallt, obschon es schon fast Abend ist, ich habe Durst und schwitze trotz Baumwollkleid. Und ich denke an Paolos Schwanz. Ich könnte mich an ihm festhalten. An ihm hochziehen sogar. Gott weiß, ich hätte es nötig. Ja, unser Sex war schlecht. Aber vielleicht bin ich besser jetzt. Oder er. Außerdem: Bislang sind wir immer daran gescheitert, dass wir Zeit hatten, Erwartungen aufzubauen. Die wir nicht halten konnten, offenbar. Dieses Mal sollten wir es gar nicht so weit kommen lassen.

»Hallo«, sagt er über die Gegensprechanlage seines gesichtslosen Altbaus. Ostberlin, da hat man sich halt nicht so Mühe gegeben.

»Hallo«, sage ich. Und: »Ich komm hoch.«

Und als ich oben bin, küssen wir uns augenblicklich, noch im Flur, und eine Welle des Vermissens erfasst mich, ja, ich habe ihn vermisst, so sehr vermisst, ich wusste es selbst nicht mal, erst sein Mund auf meinem offenbart es mir.

Und ja, nackt sind wir dann auch ziemlich schnell. Obwohl, vom Tempo her eher so semi.

»Wie zieht man das denn aus?«, fragt er beim Anblick meines Bustiers und zerrt es mir umständlich über den Kopf. Wir lachen. Die hübschen Spitzendinger kann ich seit der Implantation nicht mehr tragen, die scheuern zu sehr an den Narben. Ich hätte ihm gern einen unversehrten Körper geboten, überhaupt einen jüngeren. Als wir uns kennenlernten, trug ich bauchfrei. Mein Bauch war quasi das Erste, was er von mir sah, erzählte er mir irgendwann. Und jetzt, nach den drei Kindern … Ach, wir wollen nicht drüber reden. Ich mag meinen Körper, tu ich wirklich. Doch Paolo hat ihn nicht begleitet über all die Zeit, sondern sich an sechzehn Jahre alten Fantasien bedient, selbst als wir vor ein paar Jahren miteinander schliefen. Ich weiß noch, wie ich exakt diesen Gedanken hatte, als ich mich auszog und nackt auf seinem Sofa wiederfand. Wir waren betrunken von Champagner, mitten am Tag, trotzdem erinnere ich mich noch genau daran, dass ich dachte: Verdammte Scheiße, er hat den gleichen Jungenkörper wie damals. Nichts hat sich an ihm verändert. Und an mir alles. Und auch jetzt hat sich kein Haar an ihm verirrt, kein kleinstes bisschen Fett. Nur dass seine Locken nicht mehr braun sind, sondern grau, verrät, dass er gealtert ist.

»Dieser Jungenkörper«, sage ich.

»Das hast du letztes Mal auch schon gesagt«, sagt er.

Eine ganze Weile sagt niemand was von uns, bis er »Schau mich an« flüstert, in dem Moment, in dem er in mich hineingleitet, und dann wieder, als er mir die Arme hinter dem Rücken festhält und mich genauso fickt, wie ich es schon immer wollte, und mir ein »Oh mein Gott, Paolo, warum nicht schon früher?« entfährt.

Irgendwie schaffen wir es in den Park, bis zu den Tischtennisplatten. Wir schaffen es sogar, unterwegs beim Späti Bier und Eis zu besorgen, das uns natürlich unter den Händen wegschmilzt, bis wir da sind. Als wir so laufen, sucht meine Hand Paolo unentwegt, greift nach Armen, Bauch und Oberschenkeln, tätschelt Bauch und Kopf, alles, dessen sie habhaft werden kann. Versichert sich: Er ist da. Das alles ist passiert. Ich kann es nicht glauben.

»Ein Freund also«, sagt Manni und grinst, als wir kurz alleine stehen. Er hat uns schon in alles eingewiesen: Büffet auf den Parkbänken, Bier im Schatten, Nachbarn:innen, Freund:innen, Kolleg:innen, hallo, ein Hallo in die Runde. Manni ist fast der erste Mensch, den ich in der Stadt kennengelernt hab, damals, mit zwanzig. Wir haben geknutscht, in diesem kleinen, abgehalfterten Club, in dem er damals aufgelegt hat. Seitdem sind wir irgendwie befreundet. Irgendwie, weil nicht durchgehend. Aber doch immer irgendwie. Letzten Sommer hatte er einen Herzinfarkt, so ganz knapp am Ende vorbeigeschrammt ist er. Ich habe das verpasst, weil das gerade eine dieser »Nicht-durchgehend«-Phasen war. Dafür geben wir jetzt einen hübschen kleinen Club der Herzversehrten ab. Früher nahmen wir unsere Beziehungen auseinander, heute unsere Krankheiten. Dabei bin ich erst sechsunddreißig. Das ist viel zu fucking früh. Andere fangen in diesem Alter grade erst an, Kinder zu bekommen. Und meine sind schon so weit, dass sie aufeinander aufpassen. Wie heute zum Beispiel. Louise, meine Teenage-Tochter, bekommt fünf Euro die Stunde für quasi Nixtun. Ihre jüngeren Geschwister servieren ihr das YumYum in einer hübschen Keramikschale und sogar mit Stäbchen, bevor sie ihren Videoabend starten. Und ich kann zu Mannis Geburtstag. Oder Paolo vögeln. Oder beides. Mein Mann und ich haben unsere Beziehung schon vor Jahren geöffnet, weil wir uns nicht einschränken wollten in unserer Entwicklung, in unserem Ausdruck, in unserer Lust. Fair enough. Aber manchmal frag ich mich, ob ich mein Leben zu schnell gelebt habe. Alles, immer und sofort, keine Geduld und kein Verzagen, weder in meinen Beziehungen noch in meinem Beruf. Früher hielt ich das für eine Tugend, heute beschleicht mich der Verdacht, dass das nicht spurlos an mir vorübergegangen ist. Alte Leute haben Herz. Alte Leute sterben dran. Aber doch nicht ich.

Doch nicht ich.

»Italiener?«, fragt Manni.

Ich schüttele den Kopf. »Seine Mutter steht auf Paolo Conte.«

»Und woher kennst du ihn?«

»Oh, ich war mal verliebt in ihn, vor sechzehn Jahren.«

»Na, dann pass mal auf, dass das nicht wieder passiert.«

Anderthalb Bier später spielen wir Tischtennis, endlich!, im Rundlauf. Wofür sonst sind wir hierhergekommen? Ich hab extra den Schläger meines Schwiegervaters dabei, er hat ihn meinem Sohn geschenkt, in einem dunkelgrün karierten Sechzigerjahre-Futteral. Todschick. Das gibt dem Spiel so etwas Bedeutsames. Genau wie Paolo, der in Anzughose um die Platte tanzt, in Anzughose und langärmligem Hemd, die Ärmel aber doch wenigstens hochgekrempelt. Kurz mach ich mir Sorgen, ob das nicht alles viel zu schäbig ist für ihn, so ein Geburtstag unterm Plattenbau, mit warmem Bier und durchgeschwitzten, leicht verbrauchten Gästen. Ein Mann mit kahl rasiertem Schädel und in Adiletten führt seine Dogge an uns vorbei, dann macht er Klimmzüge an der Stange im Sandkasten. Eine Frau guckt aus der fünften Etage traurig auf uns runter, raucht eine nach der anderen. Paolo hingegen könnte seinem Aussehen nach einen Tag auf seiner Segeljacht am Wannsee verbracht haben, unberührt von allen Sorgen. Vorhin ging sein Handy. »Oh, entschuldige, ich schreib schnell zurück! Ist ein Freund, der gerade im Theater sitzt und sich wahnsinnig freut. Ich hatte für heute eigentlich zwei Karten, aber die hab ich ihm gegeben. Ich geh doch nicht ins Theater, wenn ich Katja wiedersehen kann!«

So jemand ist Paolo. Auch noch Mitglied im verdammten Förderverein. Schaut sich jede Woche ein Stück an und liest die Geschlossene Gesellschaft in der Badewanne, einfach so zum Spaß. Während ich schon froh bin, einen Tatort zu Ende zu gucken, ohne dass irgendwer von mir was will. Wenn ich es überhaupt aufs Sofa schaffe, meistens arbeite ich, wenn die Kinder im Bett liegen. Oder sitze, in besonderen Fällen, mit Freundin, Kippe und Gin Tonic auf dem Balkon. Na ja, also in letzter Zeit eben ohne Kippe. Aber auch so bin ich von Bildungsbürgertum genauso weit entfernt wie Cindy aus Marzahn. Die Cindy und ich, wir haben schon was. Nein, ein gewisser Charme ist nicht abzustreiten. Dreh und wende es, wie du willst. Aber bleibt halt Unterschichten-Charme. Paolo gewinnt sogar beim Tischtennis Runde um Runde, alle keuchen, ich am meisten, obwohl ich besonders gut bin im Rausfliegen. Es ist heiß.

Es ist heiß, mir ist schwindelig und mein Herz schlägt, wie es vielleicht noch nie geschlagen hat. »Ich glaub, ich brauch mal ne Pause«, sage ich und gehe einen Schritt zur Seite.

Ein einziger Herzschlag. Durchgehendes Feuer.

Explosion.

Ein Schlag aus mir selbst heraus, wie eine geheime, unsichtbare Kraft, durchfährt meinen Körper, reißt meine Arme hoch, lässt mich nach vorne torkeln. »Hat sie Kreislauf?«, fragt irgendwer. »Ich glaube, das ist was anderes«, sagt Manni. Und dann ist Paolo hinter mir, lässt mich rücklings in sich hineinsinken, sagt kein Wort, ist einfach meine Wand. Ich gleite Richtung Boden, in die Hocke, die rettende Hocke, lehne mich an seine Beine und schließe die Augen. Dumpfer Schmerz in meinem Kopf, als hätte man mich mit einem Baseballschläger erwischt. Von dem bisschen Rundlauf.

So also fühlt sich das an, wenn der Defibrillator einen Schlag abgibt.

Wie von selbst schiebt sich meine Hand auf Paolos, die auf meiner Schulter ruht. Wir sagen kein Wort, bis eine von Mannis Freundinnen, die auf dem Mäuerchen neben uns sitzt, fragt, ob er mein Mann sei. Er verneint. »Oh«, sagt sie. »Ihr wirkt so vertraut.« Dabei haben wir uns gerade erst vor drei Stunden wiedergesehen, nach vier Jahren. Ja, wir wirken nicht nur vertraut, wir sind es. Das waren wir schon immer, sofort und zu jeder Zeit. Und diese Frau, die uns erst ein oder zwei Stunden gesehen hat, ohne wirklich mit uns zu interagieren, hat gesehen, was eigentlich sein müsste. So wie wir es immer wollten und es nie geschafft haben.

Wir gehen pinkeln, oder sagen wir: Paolo führt mich wankendes Elend in die Büsche. »Kannst du das, wenn dir jemand zuguckt?«, fragt er. »Ich nämlich nicht.«

Sieht ihm ähnlich, finde ich. Unter normalen Umständen würde ich ihn auslachen dafür, so richtig, richtig laut, aber jetzt gerade habe ich keine Kraft und suche mir einfach einen Busch etwas abseits, außerhalb seiner Sichtweite. Oder meiner, je nachdem, wie man es nimmt. Ich nehme dafür sogar in Kauf, aus einigen Metern Entfernung durch ein paar Äste hindurch von einem Kleinkind auf dem Bobbycar beobachtet zu werden. Kinder lieben so was. Erwachsene, die hilflos wankend in irgendwelchen Büschen hocken und versuchen, sich nicht auf die Espadrilles zu pissen, die sind nämlich neu. Großartig. Ich winke, es winkt zurück, die Mutter kommt, zieht es davon. Vielleicht vermutet sie einen Triebtäter hinter den Zweigen, dabei bin das nur ich, und zudem durch den Elektroschock von jeglichen Trieben befreit.

»Wie gut, dass wir schon vorhin miteinander geschlafen haben«, sagt Paolo, als er mich endlich zur Tramhaltestelle geschleppt und auf der Wartebank abgesetzt hat. »Jetzt könnten wir das wohl vergessen.«

Der Witz ist mies, aber er lässt mich trotzdem lachen. Es ist dunkel inzwischen, Menschen gibt es kaum noch auf den Straßen. Montagabends ist nicht viel zu holen in der Stadt, nirgendwo eigentlich. Vielleicht hätte ich mir ein Taxi nehmen sollen, vernünftiger wäre es sicher gewesen, weniger quälend auf jeden Fall, doch nirgendwo schlägt die mir anerzogene Sparsamkeit brutaler durch als beim Thema Verkehrsmittel. Oder fast nirgendwo. Ich kratze Schimmel von Käse, esse morgens, mittags, abends Suppe, bis der Topf endlich leer ist – und würde nie einen Fuß in ein Taxi setzen, es sei denn, mein Leben hinge davon ab. Oder jemand anderes bezahlte.

Jetzt fällt’s mir wieder ein. »Der Sex war gar nicht scheiße«, sag ich, und er: »Wir sind ja auch nicht mehr dieselben. Zum Glück. Zwischen uns hat sich in all den Jahren nichts geändert. Aber wir haben uns verändert. Sind weiter.« Und dann verbeiß ich mich in seinen zarten Hals (den zartesten Hals, den ich jemals biss), wie ein Vampir saug ich an ihm, bis ich Blut schmecke, ein winziges bisschen Blut, Lebenskraft, für mich. Da sitz ich auch schon auf seinem Schoß, und er riecht an meiner Wange, sagt, so hätte ich schon immer gerochen, mein besonderer Katja-Geruch sei das. »Dr. Hauschka?«, frag ich, aber er schüttelt den Kopf. »Du.« Und dann: »Ich denke, ich habe jetzt begriffen, woran es lag, dass wir trotz unserer Anziehung immer wieder diese komischen, uns emotional voneinander abstoßenden Momente erleben mussten. Egal, ob wir Anfang zwanzig oder Mitte dreißig waren. Oh, deine Tram!«

»Auf keinen Fall steige ich jetzt da ein. Das musst du jetzt erst erzählen.«

Also bleibe ich auf seinem Schoß sitzen, und er erzählt. »Zwischen uns war es immer so energiegeladen, dass ich es nicht geschafft hab, in Ruhe mit dir zu sein. Mit dir war ich im Vollgas-Modus, und damit bin ich auch in den Sex gedonnert, voll auf dich los. Und du hast einfach zugemacht.«

»Ich wollte mich dir nah fühlen. Hat so aber nicht geklappt. Es war, als würdest du dein eigenes Ding machen, ohne mich zu sehen. Ohne mich zu kennen.«

»Du hast nie so gewirkt, als würdest du Nähe wollen. Im einen Moment warst du da, im nächsten schon wieder weg. Einfach unberechenbar. Eine einzige große Party, aber nichts, wo man bleibt. Obwohl ich ja bleiben wollte. Ich dachte immer wieder: Jetzt hab ich dich gefunden, mit dir geht mein Leben los. Aber dann merkte ich: Ich kann mich nicht auf dich verlassen. Kein bisschen. Du würdest niemals Rücksicht auf mich nehmen.«

»Und ich dachte immer, du hättest keine auf mich genommen. Weil du damals sagtest, du willst nicht mehr.«

»Ich hatte das Gefühl, ich muss mich vor dir schützen.«

»Ich wollte dich so sehr.«

»Du hast das Gegenteil vermittelt.«

So ist das also, wenn man endlich spricht. Die zweite Wahrheit kommt ans Licht. Die des:der andere:n. Sechzehn Jahre lang ging ich durch mein Leben in der Gewissheit, von ihm sitzen gelassen worden zu sein. Brutal verlassen. In seiner Geschichte bin ich diejenige, die brutal gewesen ist. Und ich fürchte, er hat recht.

In diesem Moment begreife ich, dass die Geschichten, die ich mir über mich und meine Beziehungen, all die anderen Beziehungen in meinem Leben, erzähle, nur zu einem Teil stimmen, und zwar zu meinem. Auf dieser Seite sind die Dinge sonnenklar; natürlich, ich habe Fehler begangen, Charakterschwächen bewiesen, schlecht gewählt zuweilen, auch das. Doch wenn es je ein wahres Opfer gab in meinen Erinnerungen, dann war das sicher ich.

Aber wie war es wirklich?

Noch während ich auf Paolos Schoß sitze, beschließe ich, ihnen allen zu schreiben. Allen wichtigen Ex-Männern meines Lebens. Vielleicht bin ich wirklich nicht so gut im Führen von Beziehungen, wie ich dachte. Aber jetzt werde ich wenigstens endlich rausfinden, wieso.

X

Felix

Nicht, dass es vor Felix nicht schon andere gegeben hätte. Typen, mit denen ein paar Wochen was lief. Ein bisschen Knutschen, ein bisschen Händchenhalten, manchmal sogar ein bisschen Verknalltsein. Mit ihm war es womöglich nicht viel anders, und dennoch beginne ich mit ihm und niemand sonst. Denn Felix himself ist der Entdecker meiner Klitorisperle, und auch wenn garantiert in Kürze jemand anderes draufgekommen wäre, dass es die gibt (vielleicht ja sogar ich selbst!), werde ich ihm für immer dankbar dafür sein, wie routiniert er seine Finger anleckte, um zwischen meinen Beinen für Furore zu sorgen.

Ein Blick auf Facebook, und ich habe ihn. Zum Glück ist die Suche schnell erledigt. Mein Kopf fühlt sich auch Tage nach Mannis Geburtstag noch so an wie nach einer Gehirnerschütterung. Kein Wunder, dass man früher Elektroschocks gegen Ungehorsam oder Aufbegehren einsetzte und noch heute gegen psychische Ausfälle verordnet – nach so einer kleinen Therapieeinheit hat man schon gar keine Lust mehr auf irgendeine Art von Aufruhr. Will nur noch liegen und Kopf stillhalten. Aber mein Herz, das schlägt ganz ruhig seitdem.

Felix und ich sind sogar schon Facebook-befreundet. Schließlich haben wir zusammen Abi gemacht, ein ganzer Haufen Menschen verbindet uns, eine lange gemeinsame Zeit. Aber sonst eigentlich: nichts. Kein bisschen Kontakt.

»Was willst du denn wissen, Kathi?«, fragt Felix noch am selben Nachmittag, nachdem wir Job (leitende Position, aber mit latenter Unzufriedenheit), Beziehungsstatus (seit etlichen Jahren glücklich liiert), Kinder (keine) und Haustiere (aufmerksamkeitsdefizitäre Katze) verhandelt haben. Zu mehr als Telefon konnte ich ihn nicht überreden. Eigentlich wollte ich ihn in zwei Wochen treffen, wenn ich mit den Kindern für ein paar Tage bei meinem Vater im Westen wäre, wie jedes Jahr in den Sommerferien. Im Osten, dieser kleinen Kneipe, in der wir als Sechzehnjährige rumhingen. Kölsch kostete eine Mark achtzig, es war das billigste Getränk auf der Karte, wir tranken es wie Wasser. Der Boden schwarz-weiße Schachbrettfliesen, ich musste ihn oft angucken wegen zu viel Kölsch. Und nun, als unser Treffen schon abgemacht war, sagte Felix, er möchte doch lieber nicht. Schließlich sei ich nicht gerade die beste Beziehung seines Lebens gewesen. Vermutlich ist das eine Untertreibung.

»Alles will ich wissen«, sage ich. »Ich erinnere mich an fast gar nichts.«

»Das wundert mich nicht. So hast du dich auch verhalten. Als hättest du harte Drogen genommen oder so. Ich hab schon damals gedacht: Was bringt einen Menschen dazu, so zu werden?« Seine Stimme hat die gleiche Melodie wie früher. Gleiche Tiefe, Kölscher Einschlag. Mir wird warm.

Ich strenge mich an, kratze, wühle durch mein Inneres: Wie? Wie war ich denn geworden? Ich finde: nichts. »Entschuldige«, sage ich vorsorglich. »Ich war bestimmt ein Biest damals.« Bis heute bin ich das. Zumindest manchmal. Genau das ist ja mein Problem. Aber das sage ich nicht. Stattdessen sage ich: »Weißt du noch, wie alles angefangen hat?«

»Ich hatte jedenfalls nicht damit gerechnet. Es war schon fast Winter, schweinekalt. Wir waren im JuZe auf einem Konzert, und irgendeinem von uns beiden war schlecht, vielleicht sogar beiden, darum waren wir draußen, an den Bahngleisen. Plötzlich hast du mich geküsst, und ich fragte mich noch: Warum mache ich das überhaupt? Aber gleich darauf: Warum mache ich das nicht immer?«

»Wie? Du hattest mich gar nicht auf dem Radar?« Ich bin ein wenig entrüstet. »Also ich fand dich schon immer toll.« Wirklich. Wie auch nicht? Felix war einer der coolsten Jungs unserer Klassenstufe. Tief sitzende Hosen, Skateboard, dauerbekifft. Seine Bandproben waren ein soziales Ereignis, dem ich beinahe wöchentlich beiwohnte. Ich war auf seiner Schule. Ich war in seinem Freund:innenkreis. Ich war auf jeder Party. Und da hatte er mich gar nicht wahrgenommen?

»Doch, doch, ich fand dich auch toll. Aber ich glaube, ich habe nie darüber nachgedacht, was mit dir anzufangen. Sonst wäre ich nicht so überrascht gewesen. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich glaube, ich hatte ein bisschen Angst vor dir. Du wirktest absolut unberechenbar.«

»Und wie sind wir dann ein Paar geworden?«

»Wir waren es einfach. Du hattest mich geküsst, und dann waren wir es.«

Stimmt, jetzt weiß ich es wieder. So war das damals. Man knutschte besoffen rum, und wenn man sich nicht völlig scheiße fand gegenseitig, war man halt zusammen. Felix war cool, Felix war süß, und das hier war meine Chance, ihm nah zu sein. Klar ließ ich die nicht verstreichen. Und wurde offensichtlich zum Motor der Geschichte.

»Zuerst hab ich gedacht, du meinst es ernst mit mir. Es hat sich so angefühlt, als würdest du mich komplett in was reinziehen. Aber dann merkte ich: Du selbst warst gar nicht da. Du warst wie eine Katze, die ganz kurz mit dir kuschelt und sich dann sofort in deinen Arm verkrallt. Unberechenbar. Du hast nicht gesagt, wie es dir geht oder was du brauchst. Ich hab mich gefühlt wie dein Spielzeug. Das hat mich wirklich verrückt gemacht.« Konkreter wird Felix’ Erinnerung nicht. Aber dann fällt ihm doch noch eine Sache ein: »Einmal, als wir in deinem Zimmer abgehangen haben, wolltest du, dass ich mich untenrum ausziehe. Einfach so, zu deiner Erheiterung. Wir haben nicht mal rumgemacht oder so, sondern einfach nur Musik gehört. Du hattest da eine selbstgebrannte CD, die du richtig gut fandst. Wie hieß die Band noch? … Ich weiß es wieder! Pulp Garlic! Echt thrilling: Dein Vater war unten, und ich hatte die ganze Zeit Angst, dass er reinkommt und ich keine Hose anhabe. Aber vielleicht wolltest du ja genau das.«

Verflucht. Schon in derart jungen Jahren kam meine ganze Beziehungsunfähigkeit zum Tragen. Andere waren zärtlich verknallt, ich schien einfach nur ein Arschloch gewesen zu sein. Sagen wir ehrlich, was es ist: ein kleiner Vorgeschmack auf alles, was noch kommt.