Extremismus und Radikalisierung - Dorothee Dienstbühl - E-Book

Extremismus und Radikalisierung E-Book

Dorothee Dienstbühl

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Beschreibung

Interdisziplinär gegen Extremismus Das Handbuch befasst sich mit Extremismus und Terrorismus aus kriminologischer und somit interdisziplinärer Perspektive. Denn gerade solche komplexen Kriminalitätsgefüge verdienen eine fächerübergreifende Betrachtung: Politischer und religiöser Extremismus sind in den letzten Jahren zu Kernproblemen für die deutschen Sicherheitsbehörden geworden und stehen folglich stark im öffentlichen Fokus. Der besondere Stellenwert des Themenbereiches für die Sicherheitsbehörden allgemein und speziell für die polizeiliche Ausbildung und Praxis ergibt sich aus der Tatsache, dass Extremismus und Terrorismus Kriminalitätsfelder darstellen, in denen nahezu alle Straftaten verwirklicht werden. Neue Ansätze bei der Terrorbekämpfung Zum einen bietet das Buch aus der Perspektive der Kriminologie einen fundierten Überblick über die Themenkomplexe Terrorismus und Extremismus. Zum anderen dient das Werk als weniger theoriefokussierte, sondern mehr phänomenbezogene wissenschaftliche Grundlage. Diese Erkenntnisse verhelfen den Sicherheitsbehörden zu einem tieferen Verständnis dieser Kriminalitätserscheinungen und erleichtern somit den praktischen Umgang mit deren Akteuren und Strukturen. Die Verfasserin vermittelt darüber hinaus grundlegendes Wissen zur Einschätzung von Bedrohungspotenzialen vor Ort. Ein kriminologischer Zugang ermöglicht außerdem eine sachliche und wissensbasierte Annäherung mit Distanz, die im Berufsleben aufgrund aktueller und akuter Entwicklungen nicht immer möglich ist. Interessant für ... Das Handbuch richtet sich in erster Linie an die Angehörigen von Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz, Zoll, aber auch der Bundeswehr) sowie deren Anwärterinnen und Anwärter. Außerdem wendet es sich an Studierende, die sich mit der umfassenden Materie Extremismus in Deutschland auseinandersetzen müssen. Zudem bietet die Untersuchung fachlich Interessierten einen Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland sowie über geschichtliche und gegenwärtige Entwicklungen.

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Extremismus und Radikalisierung

Kriminologisches Handbuch zur aktuellen Sicherheitslage

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen Außenstelle Mülheim a. d. R.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-415-06579-6 E-ISBN 978-3-415-06581-9

© 2019 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © domoskanonos – stock.adobe.com

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

gewidmet

all denen, die täglich dafür arbeiten,

um uns zu schützen

Vorwort

„Die größte wissenschaftliche Tragödie:

Wenn eine häßliche Tatsache eine schöne Theorie ermordet.“

Thomas Henry Huxley (1825 – 1895)

Politischer und religiöser Extremismus sind in den letzten Jahren zu Kernproblemen der deutschen Sicherheitsbehörden geworden. Während sich die Phänomene vor allem unterscheiden und auch gegenseitig bekämpfen, ist ihnen gemein, dass sie sich vor allem über Anti-Haltungen definieren: Extremisten sind in erster Linie dagegen. Gegen Ausländer, gegen Globalisierung, gegen westliche Werte, etc. Aus dieser Antihaltung entwickeln sich der Wille zum Protest und vor allem der Wille zur Beseitigung alles dessen, was als falsch verstanden wird. Die Beseitigung muss jeweils konsequent und komplett sein. Entsprechend sind alle Mittel erlaubt.

Allen extremistischen Bestrebungen ist gemein, dass sie sich gegen den Staat und gegen demokratische Grundprinzipien richten. Insbesondere der Gleichheitsgrundsatz wird von sämtlichen extremistischen Strömungen abgelehnt und die eigene ideologische Ausrichtung über die bestehenden Rechte des Gegenübers gestellt. Terroristen gehen noch einen Schritt weiter und stellen das eigene Leben unter ihre Ideologie und sind nicht nur bereit, ihr ganzes Handeln danach auszurichten, sondern mitunter auch ihr Leben dafür zu opfern. Der vernichtende Hass, die grenzenlose Brutalität und der Umstand, dass sich sogar junge Menschen, teilweise schon im Kindesalter, solchen Ideologien verschreiben, wirft die Frage nach Gründen für diese Entwicklung auf.

Journalisten1, Psychologen, Soziologen, Ethnologen, Pädagogen, Verhaltens- und Konfliktforscher mühen sich, Phänomene von Extremismus und Terrorismus zu ergründen und Gegenstrategien zu finden. Was sind die Ursachen? Armut oder Überfluss? Zu strenge oder zu lasche Erziehung? Zu viel oder zu wenig Religion? Was ist mit psychologischen Aspekten? Kann fanatische Gewalt seine Ursache in einem Krankheitsbild haben? Und wie soll man den Terrorismus bekämpfen? Mit präventiven Maßnahmen, mit mehr Toleranz und Zugeständnissen oder mit strengeren Gesetzen und repressiven Strategien? Mit offenen oder überwachten Grenzen? Mit Bildung und Erziehung oder harten Sanktionen und Ausweisung?

Die Ursachen von Kriminalitätsformen zu erforschen und die Phänomene interdisziplinär darzustellen, ist originäre Aufgabe der Kriminologie, unter Hinzunahme der erforderlichen Geistes-, Rechts- und Naturwissenschaften. Tatsächlich war Extremismus in der deutschen Kriminologie bislang jedoch kein Schwerpunkt, hingegen ist die Dimension politikwissenschaftlicher, soziologischer und journalistischer Literatur zu Extremismus und Terrorismus unübersehbar. Der Kriminologe Hans-Joachim Schneider sieht diesen Umstand u. a. darin begründet, dass auf Ideologien basierte Kriminalität von Kriminologen als zu spekulativ und zu abhängig vom jeweiligen Staatssystem betrachtet wird.2 Gleichzeitig stellen Extremismus und Terrorismus Kriminalitätsfelder dar, in denen nahezu alle Straftaten verwirklicht werden. Und gerade komplexe Kriminalitätsgefüge verdienen eine fächerübergreifende Betrachtung.

Vorliegendes Handbuch befasst sich entsprechend mit Extremismus und Terrorismus aus kriminologischer und damit interdisziplinärer Perspektive. Es richtet sich in erster Linie an die Angehörigen von Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz, Zoll, aber auch der Bundeswehr) sowie deren Anwärter und Studenten, die sich mit der umfassenden Materie Extremismus in Deutschland auseinandersetzen müssen. Zudem soll es fachlich Interessierten einen Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland sowie geschichtliche und gegenwärtige Entwicklungen bieten und grundlegendes Wissen zur Einschätzung von Bedrohungspotentialen vor Ort vermitteln. Dabei handelt es sich aufgrund der dynamischen Entwicklungen um eine gegenwärtige Bestandsaufnahme, die sich in den jeweiligen extremistischen Bereichen sehr schnell anders darstellen kann. Insbesondere die genannten Zahlen verändern und entwickeln sich freilich im Laufe der Zeit.

Werke zu Terrorismus und Extremismus existieren mehr oder weniger aktuell und aus sämtlichen wissenschaftlichen Perspektiven heraus. Meistens liegt der Schwerpunkt auf Extremismus, einer Form des Extremismus oder auf Terrorismus. Ziel des vorliegenden Buches ist es, aus Perspektive der Kriminologie einen fundierten thematischen Überblick zu bieten und eine Basis zu schaffen, die weniger theoriefokussiert, sondern phänomenbezogen ist. Mit dieser Art wissenschaftlicher Erkenntnis soll ein Verständnis der Themenkomplexe Terrorismus und Extremismus ermöglicht werden, das im praktischen Umgang mit deren Akteuren und Strukturen hilfreich ist. Um gegenwärtige Erscheinungen von Extremismus und Terrorismus zu begreifen, müssen ihre Ursprünge, Historien und Entwicklungen verstanden werden. Entsprechend erfolgen Darstellungen und Analysen an zahlreichen Beispielen. Um ein schnelles Nachschlagen zu erleichtern, haben wir bewusst die Form eines Handbuches verwendet. Um das Verständnis auch für komplexere Sachverhalte zu erleichtern, wurden häufiger Modelle und Vergleichstabellen erstellt.

Gerade Terrorismus und Extremismus stehen als politische und gesellschaftsrelevante Themen im öffentlichen Fokus, werden jedoch zuweilen auf Basis von Meinungen behandelt. Jeder Polizist, Journalist und auch jeder Wissenschaftler entwickelt ebenfalls eine eigene Meinung, die durch eigene Erlebnisse, Medienberichte, Gespräche im eigenen soziokulturellen Umfeld und durch diverse Erfahrungen geprägt wird. 100 %ige Objektivität kann niemand gewährleisten. Ein kriminologischer Zugang ermöglicht jedoch eine sachliche und wissensbasierte Annäherung. Gerade diese ist für Angehörige von Sicherheitsbehörden und besonders für seine Anwärter in Ausbildung und Studium unabdingbar. Und auch im Berufsleben kann eine wissenschaftliche Perspektive für eine notwendige Distanz sorgen, die aufgrund aktueller und akuter Entwicklungen nicht immer möglich ist. Auch um diese Distanz zu erzeugen, kann der vorliegende Band hoffentlich einen Beitrag leisten.

Mülheim an der Ruhr im Mai 2019

Dorothee Dienstbühl

Danksagung

Für die vorzügliche Betreuung, seine Geduld und den entspannten Umgang mit zeitlichen Engpässen danke ich ganz besonders Herrn Hans-Jörn Bury vom Richard Boorberg Verlag.

Zu einem fertigen Buch tragen aber nur selten Autor und Verlag allein bei.

Zu diesem Buch hat besonders die Arbeit von Frau Sigrid Herrmann-Marschall beigetragen. Ihr Fachwissen, insbesondere zu islamistischen Szenen und Akteuren in Deutschland, ist beispiellos. Zunächst war das Buch als gemeinsames Projekt geplant. Da sie als Szene-Kennerin entsprechend gefragt ist, konnte sie die letzten Monate nicht die Zeit dafür aufbringen, stand mir aber stets für alle Fragen zur Seite. Ihr Blog3 sei an dieser Stelle jedem empfohlen, der sich aktuell und detailliert über diese Thematik informieren möchte.

Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem Mann Stephen Nickel, der mir mit Fachkompetenz, Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Ein ganz herzlicher Dank für seine kollegiale und freundschaftliche Hilfe geht an Herrn Prof. Dr. Stefan Piasecki, der insbesondere bei dem Forschungsüberblick fachkundig und souverän durch den Literaturdschungel geführt hat. Herzlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Frau Nadja Sommer, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Fortschritte der Arbeit in Augenschein zu nehmen und Impulse aus sozialen Behörden für die Thematik zu geben. Weiter möchte ich mich bei Herrn Regierungsdirektor Dr. Andreas Schwegel (LKA Niedersachsen) bedanken, dessen Freundschaft und stetiger Impuls ursächlich für die Entstehung so vieler Publikationen und nicht zuletzt meines Forschungsschwerpunktes war. Für seine Expertise und Ideen zum Aufbau danke ich zudem Herrn KOK André Balthasar. Für sehr praktische Hinweise und den unkomplizierten Austausch bedanke ich mich herzlich bei Frau POK’in Tania Kambouri und Herrn Burak Yilmaz (HeRoes Duisburg).

Zudem bedanke ich mich bei all den Polizeibeamten, mit denen ich mich in den unterschiedlichsten Seminaren austauschen konnte (v. a. an der Bundespolizeiakademie in Lübeck, bei der Bereitschaftspolizei Niedersachsen, im Schloss Gimborn mit Polizisten aus diversen Ländern, Verbindungsbeamten aus NRW und Niedersachsen und vielen weiteren).

Auch möchte ich mich bei meinen Mülheimer Bachelorstudenten des Studienganges PVD an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW bedanken, bei denen ich Kriminologie unterrichtet habe, nämlich die Kurse MH 15/01, 15/02, 15/03 und 15/04, MH 16/01, 16/02, 16/54 und 16/55, MH 17/01, 17/02, 17/03, 17/04 und 17/58 sowie den Teilnehmern des Proseminars Extremismus in den EJ 2016 und 2017 am Standort Mülheim an der Ruhr. In all den Kursstunden mit ihnen sind die ein oder anderen Einfälle für das Buch entstanden – oder aber im Geiste wieder gestrichen worden, wenn ich feststellen musste, dass ich damit dann doch den Rahmen des Buches sprengen würde.

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

I. Extremismus als kriminologischer Forschungsgegenstand

1. Extremismus und Terrorismus als gegenwärtiges und zukünftiges Sicherheitsproblem

2. Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland

3. Herausforderungen für die Polizei

4. Aufgabe der Kriminologie

4.1 Methoden der Kriminologie

4.2 Zum Umgang mit Statistiken

5. Zusammenfassung

II. Begriffe, Abgrenzungen und Überschneidungen

1. Populismus

2. Radikalismus

3. Extremismus

4. Terrorismus

5. Rassismus

6. Faschismus

7. Fundamentalismus

8. Fanatismus

9. Abgrenzung Terroranschlag und Amoklauf

III. Rechtsextremismus

1. Deutscher Rechtsextremismus

1.1 Historie und Phänomenologie

1.2 Aktuelle Entwicklungen

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Parteien

2.1.1 NPD

2.1.2 „Die Rechte“

2.1.3 Der III. Weg

2.1.4 Pro NRW

2.2 Bürger- und Protestbewegungen

2.2.1 PEGIDA

2.2.2 Verdachtsfall: Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)

2.2.3 Neue Rechte

2.3 Sonstige gewalttätige Gruppierungen

2.3.1 Combat 18

2.3.2 Autonome Nationalisten (AN)

2.3.3 Oldschool-Society (OSS)

2.3.4 Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)

3. Ausländischer Rechtsextremismus

3.1 Internationale rechtsextreme Bündnisse

3.2 Die Grauen Wölfe (Bozkurtlar/Ülkücü-Bewegung)

4. Zusammenfassung

IV. Phänomen Reichsbürger und Selbstverwalter

1. Historie und Phänomenologie

2. Aktuelle Entwicklungen

3. Handlungsempfehlungen im Umgang mit Reichsbürgern in Behörden

4. Zusammenfassung

V. Linksextremismus

1. Deutscher Linksextremismus

1.1 Historie und Phänomenologie

1.2 Aktuelle Entwicklungen

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Parteien

2.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

2.1.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

2.2 Bündnisse

2.2.1 Antifaschistische Bündnisse

2.2.2 Autonome

2.3 Sonstige Organisationen

2.3.1 Die „Rote Hilfe“

3. Internationaler und ausländischer Linksextremismus

3.1 Das Phänomen (Bl)Occupy-Bewegung

3.2 Linksextremismus in Europa

3.3 Die PKK und die DHKP-C

4. Zusammenfassung

VI. Islamismus

1. Phänomenologie und Historie

1.1 Islamismus als religiöser Extremismus

1.2 Abgrenzung Islam und Islamismus

1.3 Islamistische Regimes

1.4 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)

1.5 Hizmet- oder Gülen-Bewegung

1.6 Salafismus

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Gewaltverhalten

2.2 Entwicklungen und Gefahrenpotentiale

3. Zusammenfassung

VII. Weitere extremistische Gruppen

1. Scientology

2. Öko-Extremismus

3. Zusammenfassung

VIII. Vergleichende Analysen

1. Antisemitismus

1.1 Rechtsextremismus und Antisemitismus

1.2 Linksextremismus und Antisemitismus

1.3 Islamischer Antisemitismus

2. Viktimologie

2.1 Folgen für unmittelbare und mittelbare Opfer

2.2 Polizeiarbeit mit Opfern extremistischer und terroristischer Gewalt

2.3 Schäden durch Extremismus und Terrorismus

3. Strategie und Taktik im Extremismus/Terrorismus

3.1 Individuelle und gruppendynamische Rekrutierungsstrategien

3.2 Narrative

3.3 Provokation und Kriegserklärung

3.4 Androhen von Handlungen

3.5 Gewalttaten

3.6 Angst und Chaos

4. Propaganda

4.1 Propaganda der Tat

4.2 Stilmittel von Propaganda

4.3 Wirkung von Gewaltpropaganda

5. Rekrutierungsmedien

5.1 Linksextremistische Mediennutzung

5.2 Rechtsextremistische Mediennutzung

5.3 Islamistische Mediennutzung

6. Radikalisierung

6.1 Forschungsstand und wissenschaftliche Ansätze

6.1.1 Faktoren der Radikalisierung

6.1.1.1 Radikalisierung und Jugend

6.1.1.2 Radikalisierung und Geschlecht

6.1.1.3 Orte der Radikalisierung

6.1.2 Argumentation und Rechtfertigung

6.2 Typologien und Profile

6.2.1 Generelle Kriterien für Tätertypologien:

6.2.2 Radikalisierungstypen

7. Wechselwirkungen und Kooperationspotentiale

8. Zusammenfassung

IX. Intervention und Gegenmaßnahmen

1. Kriminal- und Extremismusprävention

1.1 Primäre Prävention

1.2 Sekundäre Prävention

1.3 Tertiäre Prävention und Deradikalisierung

1.4 Extremismusprävention auf dem Prüfstand

2. Kriminalprognose

2.1 Prognosearten

2.2 Kriminalitätsvorhersage (Predictive Policing)

2.3 Einstufung und Gefährdungsbewertung

2.4 Früherkennung

3. Einsatz-, Ermittlungs- und Bekämpfungsstrategien

3.1 Erkennen von Attentätern

3.2 Bewältigung der Einsatzlagen BOS

3.3 Ermittlungen unter Zunahme der Kriminologischen Einzelfallanalyse (KEA)

3.4 Ermittlungen in sozialen Netzwerken

3.5 Bekämpfungsfokus Finanzierung

3.5.1 Finanzierungsbedarf

3.5.2 Finanzierungsstrategien

3.5.3 Finanzierungsbekämpfung

3.6 Bewertung: Chancen und Grenzen polizeilicher Arbeit

X. Schlusskapitel

1. Ausblick

1.1 Kriminologische Forschungsbedarfe

1.2 Kriminalpolitische und gesellschaftliche Ansätze

2. Fazit

XI. Personen- und Stichwortverzeichnis

XII. Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O.

am angegebenen Ort

Abb.

Abbildung

Abs.

Absatz

AJK

Arbeitskreis Junger Kriminologen

ALN

Aliança Libertadora Nacional

AK

Arbeitskreis

Allg. M.

allgemeine Meinung

Alt.

Alternativ

APO

Außerparlamentarische Opposition

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

AQAP

Al Qaida Arabian Peninsula

Art.

Artikel

AZ

Aktenzeichen

BAMF

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BAO

Besondere Aufbauorganisation

Bd.

Band

BDK

Bund Deutscher Kriminalbeamter

BePo

Bereitschaftspolizei

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichthofes in Strafsachen (amtliche Sammlung) (zitiert nach Band und Seite)

BGS

Bundesgrenzschutz

BGSG

Bundesgrenzschutzgesetz

BKA

Bundeskriminalamt

BKAG

Bundeskriminalamtgesetz

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

BMI

Bundesministerium des Innern

BMVg

Bundesministerium der Verteidigung

BND

Bundesnachrichtendienst

BNS

Bund Nationaler Studenten

BOS

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben

BPA

Bundespresseamt

BPol

Bundespolizei

BPolG

Bundespolizeigesetz

BR

Brigate Rosso

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BSI

Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BWH

Bewährungshelfer

CIA

Central Intelligence Agency

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DFF

Dunkelfeldforschung

DGST

Direction générale de la surveillance du territoire (Marokkanischer Geheimdienst)

d. h.

das heißt

DITIB

Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.)

DPolG

Deutsche Polizeigewerkschaft

DVJ

Deutscher Journalisten-Verband

Ebd.

Ebenda

EGGVG

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

EMRK

Europäische Menschenrechtskommission

EOKS

Ermittlungsgruppe Organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung

ETA

Euskadi Ta Askatasuna

EU

Europäische Union

EuG

Gericht der Europäischen Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

EZB/ECB

Europäische Zentralbank/European Central Bank

FATF

Financial Action Task Force on Money Laundering

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FBI

Federal Bureau of Investigation

FDGO

Freiheitlich Demokratische Grundordnung

FLN

Front de Liberation Nationale

FN

Fußnote

FR

Frankfurter Rundschau

FS

Festschrift

GAR

Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/terrorismus

GAFI

Groupe d’Action Financière

GBA

Generalbundesanwalt

GdP

Gewerkschaft der Polizei

GG

Grundgesetz

GMBI

Gesetzes- und Ministerialblatt

GSG 9

Grenzschutzgruppe 9

GTAZ

Gemeinsames Terroristisches Abwehrzentrum

GETZ

Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum

GwBekErgG

Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWG

Geldwäschegesetz

HG

Häusliche Gewalt

HK

Heckler & Koch

HoGeSa

Hooligans gegen Salafisten

HSA

Hauptschulabschluss

i. d. F.

in der Fassung

IDKO

Identifikationskommission

IHH

Internationale Humanitäre Hilfsorganisation

IIRO

International Islamic Relief Organisation

IJU

Islamische Jihad Union

IMK

Innenministerkonferenz

IRD

Islamic Relief Deutschland

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof

i. S. (d.)

im Sinne (des)

i. V. (m.)

in Verbindung (mit)

i. w. S.

im weitesten Sinne

Jhd.

Jahrhundert

Jg.

Jahrgang

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JGH

Jugendgerichtshilfe

JVA

Justizvollzugsanstalt

KBZ

Kriminalitätsbelastungszahl (Zahl der ermittelten Tatverdächtigen pro 100.000 Einwohner)

KDD

Kriminaldauerdienst

KFN

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (Hannover)

KgIntTE

Koordinierungsgruppe Internationaler Terrorismus

KronzG

Kronzeugengesetz

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (zitiert nach Jahr und Seite)

LIC

Low Intensity Conflict

MEK

Mobiles Einsatzkommando

MIK

Ministerium für Inneres und Kommunales (NRW)

MGWMS

Motorisierung, Geld, Waffen, Munition, Sprengstoff (Logistikformel der RAF)

m.W.v.

mit Wirkung vom

NATO

North Atlantic Treaty Organisation

NCTC

National Counter Terrorism Center

NGO

Non-Governmental Organizations

NGvP

Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen

NIAS

Nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle

NIM

Niedersächsisches Innenministerium

NJM

Niedersächsisches Justizministerium

NCAZ

Nationales Cyber-Abwehrzentrum

n. ö.

nichtöffentlich (Quellenangabe)

NRO

Nichtregierungsorganisation

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (nach Jahr und Seite)

NSU

Nationalsozialistischer Untergrund

OAA

Ohne Autorenangabe

OC/OK

Organized Crime/Organisierte Kriminalität

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OEF

Operation Enduring Freedom

OLAS

Organización Latinoamericana de Solidaridad

OLG

Oberlandesgericht

oOA

ohne Ortsangabe

OrgKG

Gesetz zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität

PDV

Polizeidienstvorschrift

Pegida

Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes

PEP

Passersatzpapiere

PFLP

Popular Front for the Liberation of Palestine

PIAS

Polizeiliche Informations- und Analysestelle

PIOS

Personen, Institutionen, Objekte, Sachen

PKK

Partıya Karkeren Kurdistan

PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

PLO

Palestinian Liberation Organization

PMK

Politisch Motivierte Kriminalität

PolG

Polizeigesetz

PPK

Polizeipistole Kriminal

PTAZ

Polizeiliches Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum

PVB

Polizeivollzugsbeamte

PD

Polizeidirektion

PVD

Polizeivollzugsdienst

RAF

Rote Armee Fraktion

RSA

Realschulabschluss

RZ

Revolutionäre Zellen

SEK

Sondereinsatzkommando

SiKo

Sicherheitskonferenz

sog.

sogenannte(-s, -r)

SRP

Sozialistische Reichspartei

StA

Staatsanwaltschaft

Stasi

Staatssicherheit

Stat. Bundesamt

Statistisches Bundesamt

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StrÄndG

Strafrechtsänderungsgesetz

StrRG

Strafrechtreformgesetz

StrVz

Strafvollzug

StVStat

Strafverfolgungsstatistik

SZ

Süddeutsche Zeitung

taz

Die Tageszeitung

TBG

Terrorismusbekämpfungsgesetz

TBEG

Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

TE

Terrorismus

TerrorBekG

Terrorismusbekämpfungsgesetz

TOA

Täter-Opfer-Ausgleich

TOC

Transnational Organized Crime

TV

Tatverdächtiger

TVBZ

Tatverdächtigen-Belastungszahl

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

u.H.

unter Hinweis

UK

United Kingdom

UN

United Nations

UNO

United Nations Organisation

UNODC

United Nations Office on Drugs and Crime

u. U.

unter Umständen

u.v.m.

und vieles mehr

VDS

Vorratsdatenspeicherung

vgl.

vergleiche

VIKZ

Verband der Islamischen Kulturzentren e.V.

vors.

vorsätzlich

WED

Wohnungseinbruchdiebstahl

WTC

World Trade Center

z. B.

zum Beispiel

zit. (in/nach)

zitiert

ZMD

Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Darstellung der deutschen Sicherheitsbehörden

Abbildung 2:

Aufgaben und Spannungsfelder der Polizei

Abbildung 3:

Kriminalwissenschaften

Abbildung 4:

Hellfeld/Dunkelfeld

Abbildung 5:

Darstellung Rekrutierung

Abbildung 6:

Darstellung Wirkung Gewaltpropaganda im Internet

Abbildung 7:

Phasenmodell der Push- und Pullfaktoren zur Online-Rekrutierung

Abbildung 8:

Idealisiertes Modell Rekrutierung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Verhältnis Polizei / Wissenschaft

Tabelle 2:

Tat- und Handlungsebene

Tabelle 3:

Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität 2016 und 2017

Tabelle 4:

Vergleich Populismus – Radikalismus – Extremismus – Terrorismus

Tabelle 5:

Einstellung und Verhalten im Rechtsextremismus

Tabelle 6:

Opferinteressen und Polizeiarbeit

Tabelle 7:

Strategie und Taktik im Terrorismus / Extremismus

Tabelle 8:

Geplante und ungeplante Gewalttaten

Tabelle 9:

Merkmale von Extremismus nach Art und Personengruppe

Tabelle 10:

Präventionsmatrix

Tabelle 11:

Maßnahmen gegen Extremismus nach Art und Akteuren

Tabelle 12:

Maßnahmen nach Unterscheidungskriterien

Tabelle 13:

Ziele und Indikatoren nach Tatphasen

Tabelle 14:

Stadien der Suizidalität

Tabelle 15:

Waffen und Verletzungen nach Anschlagsart

Tabelle 16:

Einschätzung BOS nach Einsatzlage

Tabelle 17:

Bereiche nach Zuständigkeit

Tabelle 18:

Kriminologische Einzelfallanalyse (KEA)

I. Extremismus als kriminologischer Forschungsgegenstand

„Die Bekämpfung des Verbrechens setzt voraus die Kenntnisse der Ursachen des Verbrechens und die Wirkung der Strafe.“

Franz von Liszt4

Da Terrorismus und Extremismus sehr komplexe Phänomene sind, betreffen sie sämtliche Bereiche der deutschen Sicherheitspolitik. Nachfolgend werden zunächst aktuelle Probleme und Aufkommen von Extremismus und Terrorismus in jüngster Zeit dargestellt. Anschließend werden Eckpfeiler der föderalen Sicherheitsarchitektur erläutert und die besondere Herausforderung für Polizeibeamte in den unterschiedlichsten Einsatzbereichen aufgezeigt. In diesem Zusammenhang wird darauf aufbauend die Kriminologie als praxisorientierte Wissenschaft vorgestellt, die gerade in diesen Aspekten Hilfestellung für die unterschiedlichen Bereiche der sicherheitsbehördlichen und insbesondere der polizeilichen Arbeit bieten kann. Da die Dimension von Kriminalität und auch von extremistischer Kriminalität nach quantitativen Gesichtspunkten bewertet wird, schließt dieses einführende Kapitel mit den Spezifika von Erfassung und Statistik ab.

1. Extremismus und Terrorismus als gegenwärtiges und zukünftiges Sicherheitsproblem

In den vergangenen Jahren haben sich extremistische Bestrebungen in Deutschland sowohl in den Personenzahlen als auch in ihren Strategien entwickelt. Teilweise wurden Kooperationen gebildet, teilweise wurden Splittungen von Szenen oder auch Transformationsprozesse beobachtet. Gegenwärtig vergeht kein Tag ohne Meldungen über Gewalt und Kriminalität durch extremistische Akteure im In- und Ausland. Nachfolgend werden aktuelle Vorkommnisse der drei großen Extremismusfelder Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus in Schlaglichtern dargestellt.

Während Linksextremismus in der öffentlichen Wahrnehmung häufig eher als weniger relevantes Problem betrachtet wird, sind die dadurch verursachten Schäden enorm. Und tatsächlich ist politisch links motivierter Extremismus in ganz Europa sowohl mit steigender Tendenz, als auch in einer Zunahme der Gewaltbereitschaft präsent und zeigt besorgniserregende Ausmaße. So bewarfen am 1. Mai 2017 linksextreme Autonome französische Polizisten in Paris am Rande der Mai-Kundgebungen mit Molotowcocktails. Einer der Beamten erlitt schwere Verbrennungen im Gesicht, ein anderer an seiner Hand.5 Die Bilder von Polizisten in Flammen gingen um die Welt und schockierten die Öffentlichkeit. Doch solche brutalen Angriffe gegen Polizeibeamte finden schon seit Jahren in Deutschland statt.

2015 beispielsweise protestierten linksextreme Aktivisten unter dem Demonstrations-Kollektiv Blockupy gegen die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt und dokumentierten dabei eindrucksvoll ihre Zerstörungswut. Insbesondere Polizeibeamte wurden zur Zielscheibe ihrer Gewalt. Nach polizeilicher Bilanz wurden 150 Polizeibeamte verletzt (davon zwei schwer) und 62 Polizeifahrzeuge beschädigt, sieben durch Brandanschläge völlig zerstört.6 Es wurden 26 Strafverfahren eingeleitet, davon drei wegen gefährlicher Körperverletzung. Neben Personen aus dem gesamten Bundesgebiet war eine hohe Anzahl von Aktivisten aus dem europäischen Ausland nach Frankfurt angereist – insbesondere aus Italien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden und Belgien. Doch die Gewalt in Frankfurt wurde spätestens während des 12. G20-Gipfels7 am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg völlig in den Schatten gestellt. Ca. 31.000 Polizisten aus ganz Deutschland waren zum Schutz der Veranstaltung und den Teilnehmern aus der internationalen Spitzenpolitik im Einsatz. Zehntausende Demonstranten protestierten mehrheitlich friedlich gegen den Gipfel und deren politische Inhalte. Durch Ausschreitungen, Sachbeschädigungen, Plünderungen und gezielte Angriffe gegen Polizisten durch Linksextremisten wurden hunderte Personen verletzt. Laut Erklärung des Hamburger Senats wurden ca. 400 Polizeibeamte während des Gipfels verletzt, in 182 Fällen durch Reizgas.8 In der Silvesternacht 2017/18 wurden vor allem in Leipzig Polizeieinsatzkräfte durch Linksextremisten attackiert. Etwa 1.000 Menschen hatten sich gegen Mitternacht am Connewitzer Kreuz, einem Brennpunt linksmotivierter Gewalt, versammelt. Schnell kam es zu Vandalismus, Brennsätzen in Mülltonnen und einem Brand im Leipziger Haus des Jugendrechts9. Anrückende Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr wurden attackiert. Einen Tag später bekannte sich ein linkes Aktionsbündnis zu dem „Neujahrsgruß“, das auf diese Art und Weise seinen Protest gegen „Bullen und Staatsanwälte“ sowie die gegenwärtige Politik und einem allgemeinen Rechtsruck zum Ausdruck habe bringen wollen.10 Am 28. August 2018 stürmten vermummte Autonome das Büro des Referatsleiters im Berliner Justizsenat und bedrohten diesen.11 Dies sind nur Beispiele für die Gewaltkultur von Linksextremisten, die vorzugsweise „anlassbezogen“ und exzessiv zelebriert wird. Zudem legen Vertreter solcher Szenen Listen mit Namen von Rechtsextremen und vermeintlichen Rechtsradikalen und politischen Gegnern, aber beispielsweise auch Polizisten an, gegen die „Aktionen“ gerichtet werden.12 Auch systematische Brandanschläge gegen Züge und Signalanlagen der Deutschen Bahn werden als linksextreme Gewaltakte eingeschätzt, die nicht nur Menschenleben gefährden, sondern auch enorme Kosten verursachen. Die durch Brandanschläge vom 19. August 2017 auf zwei ICE-Strecken bei Berlin verursachten Schäden wurden fast dreimal so hoch eingeschätzt, wie die nach dem G20-Gipfel in Hamburg.13 Nach neuesten Erkenntnissen der Deutschen Bahn waren bundesweit 442 Züge im Fern-, Nah- und Güterverkehr betroffen, was die Umleitung von 173 Zügen und insgesamt 14.625 Minuten Verspätungen zur Folge hatte. Es kam zu 22 Zugausfällen und 137 Teilausfällen im Bahnbetrieb.14 Im September 2018 wurden auf der Bahnstrecke zwischen Duisburg und Düsseldorf Kabelschächte entlang der Strecke geöffnet und die Signalkabel zerstört. Dadurch kam es zwei Tage zu erheblichen Störungen im Zugverkehr in Nordrhein-Westfalen. Auf Indymedia.org bekannten sich „namenlose abschiebegegner“ zu der Tat, die von der Polizei als linksextremistisch motiviert eingestuft wurde.15

Doch auch Rechtsextremismus war und bleibt ein Problem. Gerade im Zuge der Flüchtlingskrise bekommen rechte Ideologien Zuspruch. Ab Ende August 2018 wurde Chemnitz zum Ort ausgetragener Gewalt einer gut vernetzten rechtsextremen Szene, die Bürgerproteste nach dem Tötungsdelikt an einem Menschen und zwei Schwerverletzte durch zwei mit Messern bewaffnete Asylbewerber für sich beanspruchten.16 Die angespannte Situation in der Stadt, die durch Übergriffe und Hetze Rechtsextremer einerseits und einer fühlbaren Gewaltkriminalität durch Asylbewerber andererseits gekennzeichnet war, entlud sich und sorgte für ein nicht nur bundesweites, sondern internationales Medienecho. Auch die Polizei wurde kritisiert, da sie rechte Gewalttäter habe agieren lassen, zudem wurde der Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Haupttäter mit allen persönlichen Angaben durch einen Justizbeamten an die Öffentlichkeit herausgegeben.17 Doch nicht nur in Chemnitz, insgesamt ist eine latente Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses zwischen Asylbefürwortern und Asylgegnern wahrnehmbar. Grenzen zwischen Kritik an der Flüchtlingspolitik einerseits und Feindschaft gegenüber Fremden verschwimmen dabei zunehmend und Rechtsextremismus wird in Zeiten von Flüchtlingskrise und Zuwanderung zu einem Dauerthema. 2016 wurden 907 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte durch das BKA registriert, 2017 waren es 286 Angriffe.18 Vor allem Einrichtungen, die noch in Fertigstellung waren, waren im Fokus von Rechtsextremisten, um sie unbewohnbar zu machen und so den Einzug der geflüchteten Menschen zu verhindern. Im Jahr 2016 wurden zudem 12 versuchte Tötungsdelikte mit fremdenfeindlichem Hintergrund festgestellt.19 Bereits in den Jahren zuvor bildeten sich neue Gruppen und Bündnisse, die sich von lokalen Bewegungen, wie beispielsweise Pro Köln und Pro Mainz, abheben und die auch auf Landes- und Bundesebene agieren; so die Bürgerbewegung Pro NRW, die bundesweiten Pro-Bewegungen zugeordnet wird.20 Ein weiteres Beispiel stellte das Aktionsbündnis HoGeSa21 dar, bei deren gewalttätigen Agitation auch die Polizei in den Fokus geriet. Oder das rechtspolitische Demonstrationsbündnis „Pegida“22, das sich 2014 in Dresden gegründet hat und in diversen Städten Ableger bilden konnte. Das Spektrum der Teilnehmer reicht von Personen, die aktuellen Entwicklungen in Deutschland ängstlich gegenüber stehen, bis hin zu eindeutig rechtsextremen Anhängern. Aufmärsche und Demonstrationen rechter Anhänger nehmen zu und werden in dreierlei Hinsicht zum Sicherheitsrisiko: Erstens werben sie auf diese Weise um weitere Anhänger, zweitens sind sie Grund für bzw. geraten häufig in gewalttätige Konflikte mit Gegendemonstranten und drittens werden sie damit zu einem wachsenden Gefährdungspotential für Polizisten.

Die Parteienlandschaft zeigt sich unruhig. Während über Ambitionen und Einordnung der AfD (Alternative für Deutschland) diskutiert wird und die Partei nacheinander in sämtliche Landesparlamente sowie bei der Bundestagswahl 2017 in den deutschen Bundestag eingezogen ist, scheiterte zum zweiten Mal das Verbotsverfahren23 gegen die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands). Wäre die NPD verboten worden, hätten die neonazistische Partei „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ bereit gestanden, um Neonazis politisch zu vertreten.24 Abseits von Bestrebungen, die den Weg in den öffentlichen Raum suchen, gibt es auch solche, die schon deutlich länger existieren und jahrelang vom Großteil der Bevölkerung unentdeckt blieben. Ein erschreckendes Beispiel dafür ist der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Die neonazistische Terrororganisation wurde Ende der 1990er Jahre gegründet und erst im November 2011 mit dem Suizid der zwei führenden Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt25 der Öffentlichkeit bekannt. Im Mai 2013 wurde der Prozess gegen das dritte Mitglied Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte eröffnet.26 Das Trio soll mindestens neun Menschen aus Fremdenhass ermordet haben.27 Zschäpe wurde schließlich am 1. Juli 2018 wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung vom sechsten Strafsenat des Oberlandesgericht (OLG) München zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl ihr keine eigenhändigen Tatbeteiligungen nachgewiesen werden konnten.28, 29 Der Prozess gilt in seiner Dauer von fünf Jahren und 437 Hauptverhandlungstagen als einer der längsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Kosten des Gerichtsprozesses liegen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Im Januar 2019 musste die erstaunte Öffentlichkeit feststellen, dass es Anhänger des amerikanisch-rechtsextremen Ku-Klux-Klan auch in Deutschland gibt.30

Doch ein weiteres Phänomen mit rechtsextremem Bezug wird mit einem Schlag allseits bekannt. Im Oktober 2016 erschießt ein sogenannter Reichsbürger,31 der dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet wird, einen SEKBeamten.32 Am Ende des Jahres 2016 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter auf über 15.000 beziffert, bereits im Januar 2017 steigt sie auf 15.600, von diesen gelten 900 als Rechtsextremisten. Zudem schrecken zu Beginn des Jahres 2017 weitere Pressemeldungen die Öffentlichkeit auf, wonach Reichsbürger Pläne für eine eigene Armee hegen.33 Rechtsextremismus bleibt ein Problem, das nicht nur für Menschen anderer Herkunft gefährlich ist, sondern auch für die Polizei. Doch neben Links- und Rechtsextremisten gibt es noch weit mehr Feinde der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung (FDGO).

Vor allem Europa ist seit Jahren Ziel des islamistischen Terrors. Bereits 200434 und 200535 fanden islamistische Anschläge in Madrid und London statt. Seit 2014 wird dieser islamistische Terror verstärkt mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ in Verbindung gebracht. Im Mai 2014 wurden in einem Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen erschossen. Am 7. Januar 2015 griffen Terroristen in Paris das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und am Folgetag weitere Menschen in einem jüdischen Supermarkt an. Sie erschossen insgesamt 17 Personen und verletzten eine Vielzahl weiterer Menschen.36 Im Februar 2015 erschoss ein Terrorist bei zwei Angriffen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge in Kopenhagen zwei Menschen und verletzte fünf Polizeibeamte zum Teil schwer.37 Am 21. August 2015 konnte ein geplanter Anschlag in einem Thalys-Schnellzug gerade noch durch drei US-Bürger, die mit dem Zug fuhren, verhindert werden.38 Dieser Terrorismus gipfelte vorläufig in den an mehreren Orten in Paris ausgeführten Anschlägen vom 13. November 2015, bei denen 130 Menschen getötet und über 680 Personen verletzt wurden.39 Vom 21. bis 26. November 2015 wurde Brüssel auf Grund einer Terrorwarnung fast eine Woche lang komplett lahmgelegt. Am 22. März 2016 kam es in Brüssel schließlich zu mehreren Bombenanschlägen, bei denen 35 Menschen getötet und 340 Menschen zum Teil lebensbedrohlich verletzt wurden.40 In der Türkei erschüttern binnen weniger Monate mehrere Anschläge das Land. Einige davon werden kurdischen Gruppen, einige dem Islamischen Staat zugeordnet. Am 12. Januar, am 19. März und am 28. Juni 2016 wurden Bombenanschläge in Istanbul verübt, die dem IS zugerechnet wurden. Dabei verloren insgesamt 77 Menschen ihr Leben, hunderte Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.41 England wird 2017 mehrfach von Terroranschlägen erschüttert. Am 22. Mai 2017 reißt ein Attentäter auf dem Konzert eines Popstars mindestens 22 Menschen in den Tod, unter ihnen auch Kinder. Nur wenige Tage später, am 3. Juni attackieren drei Männer Personen mit einem Lieferwagen und langen Messern. Dabei werden sieben Passanten getötet und rund 50 weitere teils schwer verletzt.42 In Hamburg sticht am 28. Juli 2017 ein 26-jähriger Asylbewerber in einem Supermarkt im Stadtteil Barmbek-Nord auf Kunden ein. Er tötete einen 50-Jährigen und verletzte fünf weitere, bevor er gestoppt werden kann. Am 31. August 2018 erschütterte ein Anschlag mit einem Messer am Hauptbahnhof Amsterdam die Niederlande. Schnell konnte auch hier ein terroristisches Motiv festgestellt werden.43

Doch auch Deutschland rückte in den Fokus. Am 2. März 2011 erschießt Arid Uka amerikanische Soldaten im Frankfurter Flughafen und verletzt zwei weitere schwer. Sein Fall wird die Radikalisierungsforschung in beispielloser Weise beeinflussen, denn Uka hatte sich via Internet radikalisiert.44 Im Dezember 2012 wird im Bonner Hauptbahnhof eine Sporttasche mit einem Sprengsatz gefunden. Die Bundesanwaltschaft geht von einem versuchten Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund aus. 2013 werden vier Verdächtige festgenommen, die einen Anschlag auf den Chef der rechtsextremen Splittergruppe „Pro NRW“ geplant haben sollen.45

Vor allem das Jahr 2016 stand im Zeichen des islamistischen Terrors und war von ihm geprägt, wie kein anderes zuvor in Deutschland. Fünf Anschläge bundesweit fanden jeweils mehr oder weniger Aufmerksamkeit in Politik und Öffentlichkeit. Im Februar 2016 sticht die damals 15-jährige Salafistin Safia S. im Hauptbahnhof Hannover einem 34-jährigen Bundespolizisten ein Messer in den Hals und verletzt ihn schwer. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine spontane Tat aus einem Reflex oder eines Wortgefechts heraus. Das Mädchen plante die Ermordung eines Polizisten und hatte zu diesem Zweck bereits am Tag zuvor über einen Internet-Nachrichtendienst Kontakt zu IS-Mitgliedern aufgenommen,46 um diesen ihr Bekennervideo für die am nächsten Tag geplante Tat zuzusenden und die Videobotschaft verbreiten zu lassen.47 Am 16. April 2016 verüben zwei Islamisten einen Sprengstoff-Anschlag auf den Gebetstempel der sikhistischen48 Religionsgemeinschaft Gurdwara Nanaksar in Essen während einer Hochzeit. Dabei wurde der Priester schwer, zwei weitere Gäste leicht verletzt. Da die meisten Gäste im Tempel verteilt und viele schon im angrenzenden Gemeindesaal waren, gab es nur wenig Verletzte. Die zur Tat sechzehnjährigen Täter sind Anhänger einer salafistischen Szene und verstehen sich als Krieger für die Sache des Islamischen Staates (IS), jedoch konnten keine konkreten bzw. physischen Verbindungen zu Akteuren des IS nachgewiesen werden. Im März 2016 wurden die drei ermittelten Täter Yusuf T., Mohamad B. und Tolga I. zu mehreren Jahren Jugendstrafe verurteilt, im Juli 2016 wurde ein 20-jähriger Mittäter aus Münster zu 20 Monaten auf Bewährung verurteilt.49 In der zweiten Juli-Hälfte überschlugen sich die Ereignisse, eine Schreckensnachricht jagte die nächste. Der 14. Juli 2016 wird als Terroranschlag von Nizza in die Geschichte eingehen.50 Während Europa ob des Anschlages noch in Schockstarre verharrte, löst ein vermeintlicher Putschversuch in der Türkei in der Nacht des 15. Juli 2016 eine Welle der Gewalt in dem Land aus.51 Während diese Meldungen die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, werden Menschen in Deutschland Opfer von islamistischer Gewalt. Am 18. Juli 2016 geht ein Geflüchteter aus Afghanistan mit einem Beil in einem Regionalzug in Richtung Würzburg auf die Reisenden los und verletzt fünf Menschen schwer, einen Familienvater aus China lebensgefährlich. Er wird von der Polizei erschossen, als er auch diese angreift. Auch hierbei handelte es sich nicht um eine spontane, sondern um eine geplante Tat: Am 19. Juli beanspruchte der IS über sein Propaganda-Sprachrohr Amaq52 die Täterschaft für sich und veröffentlichte ein Video im Internet, in dem der Täter, der sich in selbigem Muhammad Riyad nennt und in paschtunischer Sprache mit einem Messer die „heilige Operation in Deutschland“ ankündigt. Nur wenige Tage später, am 24. Juli 2016, sprengt sich der in Deutschland als Flüchtling registrierte Mohammed Daleel bei einem Musikfestival im fränkischen Ansbach in die Luft. Die Besucher entgehen nur knapp einer Katastrophe. Ursprünglich wollte er sich während des Konzertes und inmitten der Menschenmenge in die Luft sprengen. Da dem 27-jährigen Täter aufgrund der nicht vorhandenen Konzertkarte der Eintritt verweigert wurde, zündete er den Sprengsatz vor den Absperrungen. Auch hier bekannte sich die Terrormiliz des Islamischen Staates zu der Tat. Im Oktober 2016 wird der Syrer Dschaber al-Bakr in Leipzig festgenommen, nachdem ihn mehrere seiner Landsleute überwältigt haben. Der 22-Jährige hatte sich Sprengstoff besorgt und wollte laut Polizei einen Berliner Flughafen angreifen. Al-Bakr erhängte sich kurz nach der Festnahme in seiner Gefängniszelle. Der Fall löste einen bundesweiten Skandal aus, da der Verdächtige al-Bakr sich trotz Beobachtung das Leben nehmen konnte.53 Am 19. Dezember erfolgte dann der islamistische Terroranschlag in Deutschland, der mehrere Todesopfer forderte. Der zur Tatzeit 23-jährige Tunesier Anis Ben Othman Amri54 steuerte nach Vorbild des Anschlags von Nizza einen LKW mitten in einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, direkt vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Dabei tötete er insgesamt 12 Menschen (mit dem Fahrer des LKW, den er zuvor erschoss) und verletzte 55 Menschen zum Teil lebensgefährlich. Die Toten sind zum Teil so schlimm zugerichtet, dass die Identifizierungskommission (IDKO) des BKA55 identifizieren muss.56 Der Anschlag hätte deutlich schlimmer ausfallen können, hätte das automatische Bremssystem des LKWs nicht gegriffen und den Lastwagen nach ca. 70–80 Metern gestoppt.57 Damit erlebte Deutschland den ersten großen Terroranschlag durch Islamisten, der nicht durch Glück, Ermittlungserfolge und Hinweise ausländischer Sicherheitsbehörden verhindert werden konnte – obwohl der marokkanische Geheimdienst DGST, der BND und auch das BKA vor Amri gewarnt hatten.58

Während diese Taten eindeutig als terroristisch identifiziert werden konnten, gibt es zum Teil noch ungeklärte Mordfälle in verschiedenen Städten Deutschlands, welche scheinbar völlig willkürlich begangen wurden, wobei Aufrufe des Islamischen Staates existieren, wonach Glaubenskrieger vereinzelt Menschen töten sollen. In einem Fall aus Hamburg könnte es möglicherweise bereits zu einem Todesopfer durch einen islamistisch motivierten Terroristen gekommen sein. Am Abend des 16. Oktober 2016 saß ein 16-jähriger Junge zusammen mit einem 15-jährigen Mädchen an der Alster, als er völlig unvermittelt erstochen und die Begleiterin in den Fluss geworfen wurde. Der IS beanspruchte via Amaq die Tat für sich. Zwar passt auch eine solche Vorgehensweise in die Diktion der Terrormiliz („Kämpfer“ sollen zu jeder Zeit für jedermann eine tödliche Gefahr darstellen), jedoch konnte der Täter nicht identifiziert und ein tatsächlich terroristischer Mord nicht bewiesen werden. In der Nacht zum 29. Mai 2016 wurde eine 70-jährige Frau in ihrer Wohnung in Bad Friedrichshall ermordet, an mehreren Stellen wurden vom mutmaßlichen pakistanischen Täter islamische Schriftzeichen angebracht. Obwohl Sicherheitsbehörden nicht von einem terroristischen Akt sprechen wollen, können die Tatumstände so gedeutet werden. Laut Anklage wollte der Täter eine „Ungläubige“ töten.59

Neben all diesen Anschlägen und weiteren Anschlagsversuchen60 und Gewaltverhalten muss zudem und zwingend die Frage geklärt werden, inwiefern der politische Islam mit demokratischen Werten einhergeht und ab wann von einer religiösen Form des Extremismus auszugehen ist.

Die Meldungen über Terroranschläge und extremistische Gewalt dokumentieren nicht nur eine Zunahme von Gewalttaten und Anschlagsversuchen, sondern auch das immense Bedrohungspotential jeglicher extremistischen Couleur. Für Linksextremisten zählt ein Menschenleben genauso wenig wie für Rechtsextremisten oder Islamisten, solange dieses dem Feindbild entspricht oder als Kollateralschaden betrachtet werden kann. Extremismus und Terrorismus führen zu einer stetig steigenden Kriminalitätsfurcht im ganzen Land und in ganz Europa. Dabei wird die Gefährdung der jeweiligen Bestrebungen noch völlig unterschiedlich bewertet: Während Rechtsextremismus in Deutschland aufgrund der grausamen Vergangenheit noch immer eine breite gesellschaftliche Ächtung hervorruft, wird Linksextremismus auf „autonome Steineschmeißer“ reduziert und deren Gewalt damit verharmlost. Islamistischer Extremismus und Terrorismus spalten die Gesellschaft in polarisierender Art und Weise: Nämlich in die zunehmende Angst vor einer Islamisierung auf der einen Seite und die Angst vor einer sich daraus ergebenden Zunahme des Rechtsextremismus auf der anderen Seite. Die Gesellschaft wird durch diese Extreme sehr stark beeinflusst und dabei der Gefährdung einer um sich greifenden Radikalisierung ausgesetzt. Diskussionen in sozialen Netzwerken zeigen beispielhaft die Schwierigkeit auf, neutral über solche Phänomene zu sprechen. Debatten, beispielsweise in Meldungen um extremistische Gewalt oder auch im Zuge politischer Talkshows, demonstrieren sowohl Angst als auch eine Zunahme des „Schwarz-Weiß-Denkens“. Tatsächlich sind gesellschaftliche Phänomene, und zu solchen zählen auch politischer und religiöser Extremismus, komplex und voller Graustufen. Die zunehmende Übernahme einfacher Muster in „Gut – Böse“-Manier führen zu einer Radikalisierung der breiten gesellschaftlichen Mitte in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Diese Entwicklung wird nicht nur im Wahlverhalten ersichtlich. Cesare Beccaria61 plädierte einst dafür, die Schwere von Kriminalität nach ihrem Schaden für die Gesellschaft zu bewerten.62 Wie stark Terrorismus und Extremismus einer Gesellschaft schaden, zeigt sich in Angst, Misstrauen und nicht zuletzt den Opfern ihrer Gewalt. Und darunter sind nicht nur die Menschen zu verstehen, die ihr Leben verloren oder die verletzt wurden, sondern auch all die, die einen Menschen verloren oder aufgrund des Erlebens traumatisiert wurden. Entsprechend relevant und gefährlich bleibt das Thema in Deutschland und ganz Europa.

2. Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland

Die wichtigsten Aufgaben des Staates sind die Gesetzgebung und die Ausführung dieser Gesetze (Exekutive), Verwaltung, Rechtsprechung (Judikative), Finanzen und Sicherheit. Jeder Staat hat Gesetze, die das Zusammenleben der Menschen regeln. Das Grundgesetz beschreibt, wer für diese Gesetze zuständig (kompetent) ist. In der Bundesrepublik können der Bundesstaat (Bund) oder die Bundesländer (Föderalstaatsprinzip) zuständig sein. Das Grundgesetz definiert und regelt die Aufgaben des Staates und klärt, welche Zuständigkeiten (Kompetenzen) der Bund hat und welche die Länder haben. Bezüglich der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus tritt vor allem die Polizei in (öffentliche) Erscheinung. Doch die Sicherheitsarchitektur in Deutschland ist deutlich umfassender. Die deutsche Sicherheitspolitik ist durch die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit geprägt. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und aufgrund der Herausforderungen durch transnationalen Terrorismus wird diskutiert, ob diese Trennung der neuen Sicherheitslage noch gerecht wird. Und trotz dieser Trennung stellen Terrorismus und Extremismus nicht nur eine immense Gefährdung dar, regelmäßig stellen sie die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch vor das sehr praktische Problem der Zuständigkeit und praktischer Absprachen. Die Einrichtung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) 2004 in Berlin erfolgte aufgrund dieser Bedürfnislage, die nicht nur Deutschland mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Bedrohung durch transnationalen islamistischen Terrorismus vor Augen geführt hat. Das GTAZ ist keine eigenständige Behörde, sondern eine Kooperations- und Kommunikationsplattform von 40 nationalen Behörden.63 Folgende Einrichtungen sind im GTAZ vertreten:

•Generalbundesanwalt

•Bundeskriminalamt

•Bundesamt für Verfassungsschutz

•Bundesnachrichtendienst

•Bundespolizei

•Zollkriminalamt

•Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

•Militärischer Abschirmdienst

•Landesämter für Verfassungsschutz

•Landeskriminalämter

Intension ist die Kooperation zwischen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Institutionen und Akteuren anderer Behörden (wie beispielsweise dem BAMF zur Klärung von Fragen des Asyls, etc.). Die GTAZ-Mitglieder arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen (AG) zusammen.64 Rechtlich nicht ganz einfach gestaltet sich genau dieser Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Institutionen und Verwaltungen.65 Generell obliegt die Strafverfolgung der Polizei der Länder. Für besondere Fälle wie Terrorismus, Spionage, Landesverrat und Verbrechen gegen des Völkerstrafrecht wird die Bundesanwaltschaft tätig. Darüber hinaus kann der Generalbundesanwalt nach § 120 Abs. 2 Absatz 2 GVG aufgrund einer Gefährdung für die Sicherheit Deutschlands das Verfahren an sich ziehen (Evokation66).67 Diese Möglichkeit ist deswegen problematisch, weil sie die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Länder außer Kraft setzt.68 Die polizeiliche Zuständigkeit liegt in solchen Fällen dann beim Bundeskriminalamt (BKA) oder den Landeskriminalämtern (LKA), zudem kann der GBA auch direkt die GSG 9 der Bundespolizei beauftragen. Das BKA ist dem Bundesministerium des Innern (BMI) unterstellt und übernimmt Ermittlungen sogenannter länderüberschreitender Kriminalität,69 wie beispielsweise bei Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK). Eine weitere Bundesbehörde, die dem BMI unterstellt ist, ist die Bundespolizei. 1951 als Bundesgrenzschutz (BGS) gegründet, wurde sie 2005 zur Bundespolizei. Eine der Hauptaufgaben besteht in der Grenzsicherung, des Weiteren soll sie Gefahren auf den Gebieten von Bahnanlagen abwehren und für öffentliche Sicherheit und Ordnung sorgen, ebenso im Luftverkehr und auf See.70 Im Notstands- oder Verteidigungsfall nimmt sie zudem Aufgaben zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes/Landes wahr und unterstützt andere Bundesbehörden, wie beispielsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz. International kann sie im Auftrag der Vereinten Nationen und der Europäischen Union tätig werden, wie beispielsweise in der europäischen Grenzsicherungsagentur FRONTEX71 und RAILPOL.72

Eine besondere Rolle nimmt der Zoll ein, der dem Bundesministerium für Finanzen untersteht. Die Zollbehörden werden zu häufig eher als Randerscheinung in der Sicherheitsarchitektur betrachtet, dabei haben sie vergleichbare Aufgaben wie Polizeibehörden und durchaus weitreichende Befugnisse. Mit acht Zollfahndungsämtern in Berlin, Dresden, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart besitzt der Zoll eigene Observationseinheiten, die im gesamten Bundesgebiet tätig werden können. Der Vorbehalt liegt in der Nützlichkeit eines Einsatzes für den Zoll, der bei sämtlichen illegalen Finanzierungsmethoden gegeben ist. Der Zoll wird im Bereich der Terrorismusbekämpfung somit interessant für sämtliche Methoden zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, die regelmäßig mit ganz unterschiedlichen Straftaten einhergeht und auch illegalen Waffenhandel miteinbezieht.73

Abbildung 1: Darstellung der deutschen Sicherheitsbehörden; eigene Darstellung nach Angaben des BMI)

Behörden, in die die Zuständigkeit der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus fällt, sind insbesondere auch die Nachrichtendienste (des Bundes und der Länder). Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat das Sammeln und Auswerten von Informationen (sach- und personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen) zur Aufgabe, um sämtliche Bestrebungen ausfindig zu machen, die sich gegen die FDGO, den Bestand und die Sicherheit des Bundes/des Landes und dergleichen richten.74 Auf Ebene der Länder agieren die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) oder Abteilungen der Landesinnenministerien für Verfassungsschutz. BKA und Verfassungsschutz arbeiten mit unterschiedlichen Informationssystemen.75

Die Sicherheitsarchitektur in Deutschlands steht seit vielen Jahren in der Kritik. Insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September in den USA wurden Stimmen laut, die beispielsweise das Föderalprinzip für die Sicherheitsbehörden außer Kraft gesetzt oder die Befugnisse für Einsätze der Bundeswehr im Innern erweitert haben wollten. Diese Debatten dauern, trotz diverser vollzogener Reformen der Sicherheitsbehörden und auch der Einrichtung des GTAZ, weiter an. Auch existieren nach wie vor Überschneidungen in den Zuständigkeiten, die dazu führen können, dass unterschiedliche Behörden Ermittlungen gegen bzw. Informationen über dieselben Personen sammeln, jedoch kein Austausch existiert. Auch haben die Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz häufiger auf ausgebildete Polizisten zurückgegriffen, um den Personalbedarf zu decken. Dies verschärft den Personalmangel in der Polizei einerseits, zudem sind die Befugnisse der Polizei ganz andere, die wenig mit denen der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten gemein haben.76

Wenn die Strukturen und vor allem die von den Sicherheitsbehörden ergriffenen Maßnahmen funktionieren und beispielsweise terroristische Anschläge verhindert werden können, dann fällt genau dies deutlich seltener in der Öffentlichkeit auf. Findet jedoch ein terroristischer Anschlag, wie der durch Anis Amri am Weihnachtsmarkt 2016 in Berlin durchgeführt, statt, sind Angst und Misstrauen der Bevölkerung in die Behörden eine wahrscheinliche und logische Folgeerscheinung. Wenn Bürger fordern, der Staat solle sie schützen, dann wird damit die Polizei als sichtbare staatliche Exekutive angesehen. Und es ist vor allem die Polizei, die extremistische Gewalt unmittelbar zu spüren bekommt.

3. Herausforderungen für die Polizei

Die demokratische Gesellschaft stellt an ihre Polizei hohe Erwartungen. In erster Linie erwartet sie Schutz und die Abwendung von Gefahren für die eigene Sicherheit. Erfolgreiche Terroranschläge mit Toten und Verletzten, Meldungen über gewalttätige Ausschreitungen, die Silvesternacht des Jahres 2015 auf 2016, sogenannte No-Go-Areas oder die Machenschaften des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) fördern nicht nur die Kriminalitätsfurcht. Sie fördern auch das Misstrauen der Menschen in den Staat und dessen Kompetenzen, seiner Kernaufgabe, nämlich der Sicherung des Friedens nach innen und außen noch gerecht zu werden und stellen mitunter auch die Frage nach der Kontrolle des Verfassungsschutzes.77 Dieses Misstrauen betrifft ganz besonders die Polizei als sichtbare staatliche Exekutive, als Ordnungshüter und Strafverfolgungsbehörde. Doch nicht nur die Wut der extremen Lager bekommen Polizisten zu spüren. Das Sicherheitsempfinden in Deutschland hat in den vergangenen Jahren sehr gelitten. Die latente Gefährdung durch Terrorismus, die täglichen Medienberichte von Vergewaltigungen, sexueller Belästigung und Angriffen mit Messern im öffentlichen Raum, und trotz sinkender Fallzahlen ein nach wie vor hohes Niveau von Wohnungseinbruchdiebstahl (WED) bei einer unerfreulichen Aufklärungsquote78 führen zu der Angst, dass die Polizei den Bürger nicht mehr schützen kann. Das wiederum führt im schlimmsten Fall zur Bildung von Bürgerwehren und Bejahung der Selbstjustiz.

Abbildung 2: Aufgaben und Spannungsfelder der Polizei; eigene Darstellung

Technisch obliegt der Polizei als staatliche Exekutive die Gefahrenabwehr (Prävention) und die Strafverfolgung (Repression).79 Doch die Polizeibeamten stehen auch aufgrund diverser struktureller Gegebenheiten und nicht zuletzt der unterschiedlichen Erwartungshaltungen an sie in einem enormen gesellschaftlichen Spannungsverhältnis zur Gesellschaft, der Justiz und nicht zuletzt der eigenen Familie.

Nie schien extremistische Gewalt, ganz gleich aus welchem Lager, einen solchen Aufschwung zu erleben wie heute. Entsprechend gefordert ist die Polizei. Deutschland besitzt bereits langjährige Erfahrung mit Extremismus. In den vergangenen Jahrzehnten konnten Konjunkturen ausgemacht werden, die es erlaubten, kriminalpolitische Schwerpunkte zu setzen. Das ist gegenwärtig kaum möglich: Nahezu alle Formen des politischen und religiösen Extremismus zeigen Anhängerwachstum und immer häufiger gewalttätige Agitation. Der Polizeidienst in Deutschland ist ohnehin ein hochkomplexes Aufgabenfeld. Und gerade extremistische Strukturen zeigen sich zunehmend als vernetzt, nicht selten transnational aufgestellt und mitunter in Gesellschaft und Politik etabliert. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) und vor allem daraus resultierende Gewalt richtet sich zudem immer häufiger gegen Polizisten. Nicht nur deutsche Formen des Extremismus und Islamismus bilden ein weites und problematisches Aufgabenspektrum, auch sog. Ausländerextremismus (ohne Islamismus)80 tritt in den Vordergrund. In Deutschland zeigen sich vor allem durch die Entwicklungen in der Türkei türkischer Ultranationalismus und die wachsende Solidarität der Kurden mit der PKK81 mehr denn je. Schon öfter kam es dabei zu schwerwiegenden gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen die Polizei eingreifen musste.

Der Politisch motivierten Kriminalität (PMK)82 werden Straftaten zugeordnet, wenn die Tatumstände und/oder die Tätereinstellung Anhaltspunkte dafür bieten, dass sie

•den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten,

•sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,

•durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,

•gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.83

Darüber hinaus werden Tatbestände gem. §§ 80 a – 83 StGB (Friedens- und Hochverrat)84, §§ 84 – 86a, §§ 87 – 91 StGB (Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats), §§ 94 – 100 a StGB (Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit), §§ 102 – 104 a StGB (Straftaten gegen ausländische Staaten), §§ 105 – 108 e StGB (Straftaten gegen Verfassungsorgane), §§ 109 – 109 h StGB (Straftaten gegen die Landesverteidigung), § 129 a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung im Inland), § 129 b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung)85, § 234 a StGB (Verschleppung) oder § 241 a StGB (politische Verdächtigung) erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.86 Staatsschutzdelikte und PMK sind wesensgleich.87

Staatsschutzdelikte werden Straftaten genannt, die sich gegen den Bestand des Staates, seine verfassungsmäßigen Einrichtungen, das Funktionieren des Staatapparates und andere lebenswichtige Interessen und Rechtsgüter des Staatswesens richten. Dazu gehören u. a. Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Landesverrat. Für einen Teil von ihnen ist in erster Instanz das Oberlandesgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat (sog. Staatsschutzsenat); ein anderer Teil wird von einer besonderen, für den gesamten Oberlandesgerichtsbezirk zuständigen Strafkammer eines Landgerichts abgeurteilt (sog. Staatsschutzkammer). Hier kann in Fällen von besonderer Bedeutung der Generalbundesanwalt die Verfolgung übernehmen und Anklage beim Oberlandesgericht erheben (sog. Evokationsrecht) und dadurch die Zuständigkeit des OLG begründen; sie können aber dem LG wieder überwiesen werden (gem. §§ 74 a, 120 II GVG).88

Auch Straftaten, die ebenso in der Allgemeinkriminalität begangen werden, können als politisch motiviert eingestuft werden (z. B. Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Sachbeschädigungen, etc.). Dies erfolgt jedoch nur dann, wenn die Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür geben. Damit ist sog. Hasskriminalität ebenfalls als politisch motiviert einzustufen, wenn sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder des äußeren Erscheinungsbildes, der Behinderung, sexuellen Orientierung oder des gesellschaftlichen Status richtet. Dies impliziert auch Straftaten gegen eine Institution oder eine Sache. Weder Extremismus noch Terrorismus kann völlig isoliert von anderen Kriminalitätsformen betrachtet werden und er schlägt sich mitnichten ausschließlich in Gewalttaten nieder. Das verdeutlichte bereits die erste Generation der RAF, die vor allem mit Banküberfällen als Verbrechen auffiel. Daher werden nachfolgend Deliktsbereiche aufgezeigt, die typischerweise mit Terrorismus und Extremismus in Verbindung zu bringen sind und entsprechende Berücksichtigung in der Strafverfolgung finden müssen.

Das Repertoire von Straftaten, die durch Extremisten, Terroristen und Unterstützer begangen werden, ist sehr groß. Neben den bereits zuvor erwähnten Staatsschutzdelikten gehen häufig noch viele weitere Tatbestände einher, um beispielsweise einen Anschlag vorzubereiten, Personen anzuwerben, Identitäten zu verschleiern oder auch Gelder zu generieren. Nachfolgende exemplarische Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigt die Vielseitigkeit von:

•Bildung, Beitritt und Unterstützung krimineller Gruppen nach § 129 a, b StGB (Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen, wie dem IS, dem NSU etc.)

•Propagandadelikte nach §§ 86, 86 a StGB (z. B. Verwendung verbotener und verfassungsfeindlicher Symboliken auf Demonstrationen, Zeigen des Hitlergrußes, Verbreiten illegales Propagandamaterial, etc.)

•Terrorismusfinanzierung nach § 89 c StGB/illegale Finanzierungsmethoden (Bank- und Raubüberfälle, Diebstahlsdelikte, Wett- und Kreditkartenbetrug, etc.)

•Betrug, Urkundenfälschung (z. B. Anbringen falscher Kennzeichen; Fälschungen von Ausweisdokumenten zur Identitätsfälschung/-verschleierung, Sozialbetrug)

•Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme (z. B. zum Austausch gegen inhaftierte Terroristen oder auch als Möglichkeit zur Finanzierung)

Der Schwerpunkt von Terrorismus und Extremismus fällt in der polizeilichen Arbeit vor allem in den Bereich des Staatsschutzes. Aufgrund der oben dargestellten Deliktsbreite kann so ziemlich jede polizeiliche Einheit mit Extremisten in Berührung kommen.

Praxishinweis:

Nachfolgend werden exemplarisch Einsatzbereiche und Beispielsachverhalte dargestellt:

• Staatsschutz: Gezielte Ermittlungsarbeit zu den unterschiedlichen Phänomenbereichen von Extremismus ist das originäre Arbeitsfeld des Staatsschutzes. Er bildet das polizeiliche Gegenstück zum Verfassungsschutz.

• Streifendienst: Extremismus findet häufig im Verborgenen statt. Nun kann eine Streife aufgrund von Ruhestörung oder des Verdachts einer Häuslichen Gewalt (HG) gerufen werden und findet in einer Wohnung dann extremistische Erkennungszeichen oder Terrorpropaganda vor. Auch eine einfache Personenüberprüfung während einer Routinekontrolle kann zur Feststellung einer wegen des Terrorverdachts gesuchten Person führen. Daneben treten extremistische Bestrebungen aber zuweilen ganz offensiv auf, um für ihre Ideologie zu werben (beispielsweise die Werbung von Salafisten durch ihre „Lies!“-Stände).

• Kriminaldauerdienst (KDD): Da, ähnlich wie beim Streifendienst auch, zunächst alles beim KDD landet, gibt es auch hier Berührungspunkte mit ganz unterschiedlichen Formen und Akteuren von Extremismus.

• Bereitschaftspolizei (BePo): Gewalt durch oder auch zwischen extremistischen Gruppierungen entlädt sich, vor allem zwischen rechten und linken Gruppierungen bevorzugt bei Demonstrationen und Aufmärschen, doch auch bei Terroranschlägen werden sie eingesetzt.

• Spezialeinheiten (MEK, SEK, GSG 9): Eskalierende Gewalt von Extremisten (wie während des G20-Gipfels 2017), die Festnahme von Terrorverdächtigen, terroristische Geiselnahmen (z. B. die Entführung der Lufthansamaschine Landshut 1977), etc. können Einsätze von Spezialkommandos notwendig machen.

• Mordkommission: Tötungsdelikte erfordern das entsprechende Fachkommissariat der Mordkommission. Nach Anschlägen müssen zudem die Opfer identifiziert werden (z. B. durch die IPKO des BKA)

• Kommissariate für Jugendkriminalität: Da häufig junge Menschen durch extremistisches Gedankengut beeinflusst werden und Radikalisierung zudem mit anderen Formen von Kriminalität korrelieren kann, wie beispielsweise KV-Delikten. Zudem begleiten sie mitunter Präventionsprojekte.

• Fahndung, Observations- und Festnahmeeinheiten: Sobald Extremisten/Terroristen zur Fahndung ausgeschrieben oder observiert werden, übernehmen dies Mobile Einsatzkommandos (MEK) oder die Fahndung. Doch auch die Observation von Personen aus diesem Zirkel, wenn zu befürchten ist, dass sie einen Anschlag planen, sind wesentliche Bestandteile polizeilicher Arbeit.

• OK-Kommissariate: Finanzierung extremistischer und terroristischer Interessen kann zum Gegenstand von Ermittlungen im Bereich Bandenkriminalität/Organisierte Kriminalität werden.

• Polizeilicher Opferschutz/Zeugenschutz: Sobald Personen als Zeugen aussagen oder aus der Szene aussteigen wollen, bedürfen sie des polizeilichen Schutzes und beispielsweise auch Beratung hinsichtlich Schutz der Familie, Verhaltensmaßnahmen, etc.

Doch hat die Polizei aus terroristischer Perspektive nicht nur den gegnerischen Part der staatlichen Exekutive. Zunehmend gerät sie explizit in den Fokus und wird zum erklärten Anschlagsziel. Die Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat fordert bereits seit Jahren von ihren Anhängern, gezielt Polizisten und Soldaten in westlichen Staaten zu ermorden. In Magnanville, in der Nähe von Paris, ersticht am 13. Juni 2016 der vorbestrafte Islamist Larossi Abballa (25) einen Polizisten und schnitt dessen Frau die Kehle durch.89 Im Februar 2017 wurde im niedersächsischen Northeim ein 26-jähriger Mann festgenommen, der einen Bombenanschlag auf Polizisten plante.90 Im April 2017 wurde bekannt, dass der IS erneut explizit zum Terror gegen deutsche Polizeibeamte aufgerufen hat. Mit einem Video wird Anhängern zudem gezeigt, wie sie Polizisten ablenken, um sie dann mit einem Messer anzugreifen.91 Die dargestellte Taktik gleicht also dem Verhalten, das die damals 15-jährige Safia S. gezeigt und wodurch sie einen Polizeibeamten schwer verletzt hat. Im Oktober 2017 berichten Medien von einer Warnung ausländischer Geheimdienste, wonach in Deutschland Giftgasanschläge durch islamistische Terroristen geplant seien.92 Das Repertoire von Waffen und Anschlagsmöglichkeiten ist schier unerschöpflich: Eine Terrorfahrt mit entführten/gemieteten Lastwagen/Autos, Anschläge mit selbstgebastelten Sprengsätzen in herkömmlichen Kochtöpfen oder der sogenannte (Küchen-)Messer-Dschihad – ein solches Equipment steht prinzipiell jedem zur Verfügung. Zudem beenden die militärischen Niederlagen des IS in Syrien und im Nord-Irak den grenzüberschreitenden Terrorismus nicht. Vielmehr ruft das Netzwerk zu Anschlägen in Europa auf. Vor allem große deutsche Städte müssten sich auf diese Gefahr einstellen. Die Entwicklung, wonach insbesondere Polizisten und Soldaten zur ausgewählten Zielscheibe von Terroristen werden, auch in Deutschland, ist keine neue. Bereits die RAF rief zu Morden an Polizisten als Vertreter des „Schweinesystems“ auf.

4. Aufgabe der Kriminologie

Daher muss Kriminologie als ein interdisziplinärer Forschungsbereich verstanden werden, da sie auf sämtlichen empirischen Wissenschaften basiert, die Erkenntnisse über das Zusammenleben und menschliches Verhalten bieten.94