Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst - Dorothee Dienstbühl - E-Book

Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst E-Book

Dorothee Dienstbühl

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Beschreibung

Prävention und Gefahrenabwehr Das Handbuch zeigt auf, wie man Gefährdungspotenziale erkennt und wirksame Schutzkonzepte in den Behörden vor Ort entwickelt und installiert – sowohl strukturell als auch für jede einzelne Mitarbeiterin und jeden einzelnen Mitarbeiter. Die Autorinnen schildern reale Fallbeispiele aus unterschiedlichen Behörden und erörtern mögliche Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gefahren nicht unterschätzen Kriminalität und abweichendes Verhalten äußern sich nicht nur gegenüber Polizei- und Vollzugsbeamtinnen und -beamten. Reichsbürgerinnen und Reichsbürger, Extremistinnen und Extremisten, Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Störungen sowie Akteurinnen und Akteure organisiert-krimineller Strukturen stehen auch den Verwaltungsbehörden gegenüber. Sie alle stellen eine enorme Herausforderung für den Arbeitsablauf in den Verwaltungen dar. Schutzkonzepte entwickeln Anhand realer Fallbeispiele aus unterschiedlichen Behörden erörtern die Autorinnen konkrete Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie legen dabei Wert darauf, dass diese praktikabel sind und sich gut in den Arbeitsalltag integrieren lassen. Die Themen: Lagebild der Sicherheit im öffentlichen Dienst Unterschiedliche Sicherheitsstandards in Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden Rechtliche Grundlagen der Gewaltprävention Implementieren eines Risiko- oder Bedrohungsmanagements Individuelles Sicherheitsgefühl/Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz verbessern Innerbehördlicher Notfallordner, Checkliste: Sicherheitsbedarfe im Innen- und Außendienst Woraus erwachsen Bedrohungen? Betrug und Erschleichen von (Sozial-)Leistungen Aggressive und gewalttätige Menschen (Einzelpersonen/Gruppen) Menschen mit Persönlichkeitsstörungen Suizidale Personen Personen mit Suchtproblematik Querulatorische Persönlichkeiten sowie Kolleginnen und Kollegen Querulantinnen und Querulanten Prävention Terror und Amok (u.a. Sicherungstechnik, Vorkehrungen und Alarmierung, Präventives Täterprofiling, Leaking, Verhalten im Alarmfall) Geiselnahmen Bombendrohungen und Bombenalarm Extremismus, Radikalisierung, Umgang mit Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern Vandalismus und Sachbeschädigung Sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung Häusliche Gewalt, Stalking Umgang mit Drohungen Krisenintervention und Aufbau eines Krisenstabes Wenn "es" passiert ist Generelle Anforderungen an einen sicheren Arbeitsplatz Schriftliche Reaktion/Vorlagen Glossar und Kontakte Wertvoller Ratgeber ... Zahlreiche Checklisten, ein umfangreiches Glossar mit den wichtigsten Begriffen, Musterschreiben sowie eine Auflistung von Notrufnummern machen das Werk vollends zum wertvollen Ratgeber. ... für alle Dienststellen der öffentlichen Verwaltung Dienststellenleiterinnen und Dienststellenleiter Personalrätinnen und Personalräte sowie die Personalvertretungen Sicherheitsbehörden

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Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst

Gefahrensituationen erkennen, Schutzkonzepte entwickeln

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein-Westfalen, Fachbereich Polizei

Nadja Sommer

Dipl. Sozialwirtin,

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-415-06608-3 E-ISBN 978-3-415-06610-6

© 2020 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: ©DDRockstar – stock.adobe.com

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Geleitwort

Längst sind nicht nur Polizisten von Gewalt betroffen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diversen Behörden. Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass dieses Handbuch entwickelt wurde und wichtige Aspekte für den täglichen Bedarf aufgreift.

Die Polizei in Essen und Mülheim an der Ruhr setzt beispielsweise mit der BAO Aktionsplan Clan ein besonderes Zeichen gegen Gruppen, die sich unseren Regeln ganz bewusst widersetzen. Dabei haben wir ein besonderes Augenmerk auf Sachverhalte gelegt, bei denen Personen – oftmals ganz unterschwellig – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden unter Druck setzen, um staatliche Maßnahmen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dieser Entwicklung muss seitens der unterschiedlichen Behörden aktiv begegnet werden.

Wir haben in diesem Kontext festgestellt, dass dies nur gemeinsam möglich ist. In dieser Kooperation entwickeln wir gleichzeitig auch mehr Verständnis füreinander und lernen uns in der Zusammenarbeit besser kennen. Im Zuge des Austausches wurde uns seitens der Polizei auch erstmals bewusst, wie häufig Beschäftigte in den unterschiedlichsten Behörden von alltäglichen Beleidigungen oder Anfeindungen betroffen sind, obwohl sie beispielsweise durch Gewährung sozialer Leistungen die Menschen unterstützen. Dabei stellen wir aber auch fest, dass die Hemmschwelle, die Polizei einzuschalten, recht hoch ist.

Häufig existiert eine gewisse Scheu in Ämtern und Behörden, die Polizei hinzuzuziehen, weil man davon ausgeht, dass der erlebte Sachverhalt „nicht ausreichend schlimm genug war“ oder weil ein Auftreten von Polizeibeamten in einer Behörde deren Ansehen schaden könnte. Selbst Tätlichkeiten werden hingenommen, weil die Unsicherheit, ob dies bereits eine Strafanzeige oder polizeiliche Maßnahmen gegen die Person rechtfertigt, sehr groß ist.

Ich bitte Sie in diesen Fällen umzudenken.

Die Polizei ist Ihr Ansprechpartner in allen Fragen der Sicherheit. Wenn Menschen an ihrem Arbeitsplatz Angst verspüren, hat das regelmäßig Gründe, und die sollte man ernstnehmen. Hier möchten wir vor Ort niederschwellig ansetzen, um größere Gefährdungen zu vermeiden. Und dies ist ein Anliegen der Polizei nicht nur hier.

Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Sobald Sie sich bedroht fühlen, Unsicherheit oder sogar Angst empfinden, schalten Sie die Polizei ein. Sie wird eine Einschätzung treffen und weitere Maßnahmen ergreifen. Und haben Sie dabei keine Angst vor einer „Fehlalarmierung“. Informieren Sie uns lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.

Glück auf!

Frank Richter

Polizeipräsident Essen/Mülheim an der Ruhr

Danksagung

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis diverser Seminare und Gespräche, in denen Erlebnisse geschildert wurden, die die Beschäftigten1 aus den unterschiedlichsten Einrichtungen gemacht haben. Für die Offenheit und das Vertrauen danken wir allen, die ihre Erlebnisse mit uns geteilt und ihre Erfahrungen geschildert haben. Für einige war das Wiedererleben durch die Schilderung sehr belastend und wir hoffen, dass ihre Erfahrungen helfen, wirksame Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und somit weitere Traumata zu verhindern.

Ein ganz besonderer Dank geht zudem an Herrn Syndikusrechtsanwalt Hans-Jörn Bury vom Richard Boorberg Verlag für den stets angenehmen Austausch, die großartige Betreuung und seine Engelsgeduld.

Persönlicher Dank

In der Hochschule Darmstadt (h_da) durfte ich über zwei Jahre lang das Bedrohungsmanagement leiten. Es war eine tolle Zeit, und ich möchte dort allen danken, die mit mir zusammengearbeitet und die mich ins Vertrauen gezogen haben. Ein großer Dank geht dabei an den Präsidenten der Hochschule Darmstadt, Herrn Prof. Dr. Ralph Stengler, der mir alle nötigen Freiräume gelassen hat und mit dem der Austausch stets unkompliziert und herzlich war. Ein ganz lieber Dank geht natürlich an das SSC – Ihr seid ein klasse Team und ich danke Euch von ganzem Herzen für die gemeinsame Zeit. Weiterhin danke ich meiner früheren Büronachbarin Frau Eva Schäfer für den Austausch und ihre unerschütterliche Ruhe. Ein besonderer Dank geht an Herrn Dr. Jens Hoffmann und das Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement (IPBm)2. Vieles, was ich in den Seminaren dort und besonders bei Frau Justine Glaz-Ocik und Herrn Dr. Philipp Horn gelernt habe, hat meine Arbeit und das vorliegende Buch geprägt. Für den Austausch und die Gespräche in der Zeit meiner Tätigkeit im Bedrohungsmanagement der Hochschule Darmstadt möchte ich mich vor allem bei meiner Kollegin Frau Beatrice Wypych bedanken. Sie hat Pionierarbeit an der TU Darmstadt geleistet und stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Als ich im Jobcenter des Landkreises Göttingen und im Jobcenter Darmstadt als Fallmanagerin gearbeitet habe, konnte ich viele Eindrücke und Erfahrungen sammeln. Beide Male hatte ich das Glück, in großartigen Teams zu arbeiten und ich denke jeweils gerne an die Zeit mit Euch zurück.

Dorothee Dienstbühl

Mein Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen, die mich offen an Ihren Erfahrungen und Erwartungen partizipieren haben lassen. Ebenfalls danke ich den örtlichen Polizeidienststellen, die sich immer wieder gern bereit erklärt haben, Sicherheitstrainings durchzuführen und uns als Ansprechpartner und Berater zur Seite zu stehen. Nicht zuletzt danke ich meinem Arbeitgeber, welcher mir durch das entgegengebrachte Vertrauen Gestaltungsspielräume ermöglicht, um das Thema Sicherheit immer wieder in den Fokus zu rücken.

Gewalt entlädt sich oft bei dem ersten Gesicht, welches eine Organisation verkörpert. In der Regel sind dies Kollegen in Eingangszonen, Infoschaltern oder ähnlichem. Nicht immer haben diese Personen Einfluss auf das eigentliche Anliegen und müssen dennoch überproportional oft mit Aggressionen umgehen. Diesen Kolleginnen und Kollegen widme ich dieses Buch.

Nadja Sommer

Über die Autorinnen

Dorothee Dienstbühl ist Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) in Nordrhein-Westfalen im Fachbereich Polizei. Sie unterrichtet Kriminologie und Soziologie. Vorherige Stationen hatte sie als Leitung des Bedrohungsmanagements der Hochschule Darmstadt, als Fallmanagerin in zwei Jobcentern sowie in der Forschungsassistenz am Ludwig-Meyer-Institut der Georg-August-Universität Göttingen in der Forensischen Psychiatrie. Sie ist ausgebildete Präventionsmanagerin für Stalking und Intimpartnergewalt (IPBm).

Forschungsschwerpunkte: Terrorismus, politischer Extremismus, Radikalisierungsprozesse, Organisierte Kriminalität, sowie spezielle Gewaltphänomene wie Hasskriminalität, Amok und Ehrgewalt.

Nadja Sommer ist Dipl. Sozialwirtin und arbeitet als Teamleiterin für die Bereiche Arbeitsvermittlung und Kundenportale der Agentur für Arbeit Göttingen. Beruflich war sie bereits als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, sowie als operative Führungskraft in unterschiedlichen Jobcentern als auch Agenturen für Arbeit tätig.

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O.

an angegebenem Ort

Abb.

Abbildung

Abs.

Absatz

AGG

Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

AK

Arbeitskreis

Allg. M.

allgemeine Meinung

Alt.

Alternativ

Art.

Artikel

AZ

Aktenzeichen

BAMF

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Bd.

Band

BePo

Bereitschaftspolizei

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichthofes in Strafsachen (amtliche Sammlung) (zitiert nach Band und Seite)

BGS

Bundesgrenzschutz

BGSG

Bundesgrenzschutzgesetz

BKA

Bundeskriminalamt

BKAG

Bundeskriminalamt Gesetz

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

BMI

Bundesministerium des Inneren

BOS

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben

BPol

Bundespolizei

BPolG

Bundespolizeigesetz

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

Ebd.

Ebenda

EU

Europäische Union

EuG

Gericht der Europäischen Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDGO

Freiheitlich Demokratische Grundordnung

FKS

Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung

FN

Fußnote

HG

Häusliche Gewalt

HSA

Hauptschulabschluss

i. d. F.

in der Fassung

i. S.(d.)

im Sinne (des)

i. V.(m)

in Verbindung (mit)

i. w. S.

im weitesten Sinne

Jhd.

Jahrhundert

Jg.

Jahrgang

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JGH

Jugendgerichtshilfe

JVA

Justizvollzugsanstalt

n. ö.

nicht öffentlich (Quellenangabe)

PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

PVB

Polizeivollzugsbeamte

PD

Polizeidirektion

PVD

Polizeivollzugsdienst

Rdn.

Randnummer

sog.

sogenannte(-s,-r)

StA

Staatsanwaltschaft

Stat. Bundesamt

Statistisches Bundesamt

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StrÄndG

Strafrechtsänderungsgesetz

StrRG

Strafrechtsreformgesetz

StrVz

Strafvollzug

StVStat

Strafverfolgungsstatistik

SZ

Süddeutsche Zeitung

u. H.

unter Hinweis

u. U.

unter Umständen

u. v. m.

und vieles mehr

vgl.

vergleiche

vors.

Vorsätzlich

WED

Wohnungseinbruchdiebstahl

z. B.

zum Beispiel

zit. (in/nach)

zitiert

Inhaltsverzeichnis

I. Grundlagen

1. Unser Körper als Alarmanlage

2. Aggression und Gewalt

3. Gewalt am Arbeitsplatz

4. Angst und die Reaktionsmuster in Gefährdungssituationen

5. Aggressionsfördernde Faktoren

6. Aggressionsvermeidende/deeskalierende Faktoren

7. Generell deeskalierende Maßnahmen

II. Sicherheit im öffentlichen Dienst

1. Aufkommen von Gewalttaten

2. Unterschiedliche Sicherheitsstandards in Bundes-. Landes- und Kommunalbehörden

3. Rechtliche Grundlagen der Gewaltprävention

4. Implementieren eines Risiko- oder Bedrohungsmanagements

5. Individuelles Sicherheitsgefühl

6. Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz verbessern

7. Anlegen eines innerbehördlichen Notfallordners

8. Checkliste: Sicherheitsbedarfe im Innen- und Außendienst

a) Innendienst

b) Außendienst

III. Betrug und Erschleichen von (Sozial-)Leistungen

1. Zur Psychologie des Betrugs

2. Bedrohungsmanagement

3. Zusammenfassung

IV. Umgang mit aggressiven und gewalttätigen Menschen

1. Aggressive Personen

a) Der Erregungstyp

b) Der emotionale Typ

c) Der instrumentelle Typ

2. Warnverhalten-Typologie

3. Bedrohungsmanagement

a) Umgang mit einer einzelnen aggressiven Person

b) Umgang mit einer aggressiven Gruppe

c) Aggressionen mit Verwendung gefährlicher Gegenstände und Waffen

d) Umgang mit Beleidigungen

4. Verarbeitung der Erlebnisse

5. Zusammenfassung

V. Umgang mit Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

1. Allgemeines zu Persönlichkeitsstörungen

2. Ausgewählte Persönlichkeitsstörungen

a) Hauptgruppe 1

b) Hauptgruppe 2

c) Hauptgruppe 3

3. Umgang mit Betroffenen

4. Bedrohungsmanagement

5. Zusammenfassung

VI. Umgang mit suizidalen Personen

1. Risikoeinschätzung

a) Gefährdungskriterien und Erkennungsmerkmale

b) Gefährdungsrisiken

c) Erkennungsmerkmale

d) Hinweise für das Gespräch mit suizidgefährdeten Menschen

2. Bedrohungsmanagement

3. Verarbeitung

4. Zusammenfassung

VII. Umgang mit Personen mit Suchtproblematik

1. Hinweise auf ein Suchtproblem

2. Sucht am Arbeitsplatz

3. Formen der Abhängigkeit

4. Umgang mit Suchterkrankten

a) Suchterkrankungen thematisieren

b) Prävention und Intervention am Arbeitsplatz

5. Zusammenfassung

VIII. Umgang mit querulatorischen Persönlichkeiten und Kollegen

1. Begriff und Allgemeines

2. Typologie

a) Rechtsquerulanten

b) Karrierequerulanten

c) Altruistische Querulanten

d) Kollektiv-Querulanten

e) Ehequerulanten

f) Haftquerulanten

3. Generelle Merkmale und Verhaltensweisen von Querulanten

4. Möglichkeiten und Grenzen im Umgang

5. Aggressionspotential von Querulanten

6. Zusammenfassung

IX. Prävention Terror und Amok

1. Terroristische Anschläge

2. Amok

3. Bedrohungsmanagement

a) Sicherungstechnik, Vorkehrungen und Alarmierung

b) Präventives Täterprofiling

c) Leaking

4. Verhalten im Alarmfall

5. Zusammenfassung

X. Geiselnahmen

1. Prävention

2. Umgang mit dem Täter/den Tätern

3. Zusammenfassung

XI. Bombendrohungen und Bombenalarm

1. Entgegennahme der Bombendrohung

2. Evakuierungsalarm und Verhalten der Beschäftigten

3. Zusammenfassung

XII. Extremismus

1. Formen und Erkennungsmerkmale

2. Gründe für die Entstehung von Extremismus

3. Bedrohungsmanagement

4. Zusammenfassung

XIII. Radikalisierung

1. Radikalisierungsprozesse

2. Erkennen von Radikalisierungsprozessen

3. Bedrohungsmanagement

4. Zusammenfassung

XIV. Umgang mit Reichsbürgern

1. Allgemeines zum Phänomen Reichsbürger

2. Aktuelle Entwicklungen

3. Bedrohungsmanagement

4. Zusammenfassung

XV. Umgang mit Vandalismus und Sachbeschädigung

1. Bedrohungsmanagement

2. Zusammenfassung

XVI. Sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung

1. Definition und Abgrenzung

2. Bedrohungsmanagement

3. Zusammenfassung

XVII. Häusliche Gewalt

1. Allgemeines zu Häuslicher Gewalt

2. Kennzeichen Häuslicher Gewalt

3. Bedrohungsmanagement

4. Zusammenfassung

XVIII. Stalking

1. Wesen und rechtliche Einordnung

2. Stalkertypologien

3. Bedrohungsmanagement

4. Nachstellung und Verfolgung gegen Mitarbeiter

5. Zusammenfassung

XIX. Zum Umgang mit Drohungen

1. Risikoeinschätzung von Drohungen

2. Bedrohungsmanagement

3. Umgang mit anonymen Bedrohungen

4. Zusammenfassung

XX. Krisenintervention und Aufbau eines Krisenstabes

1. Vorgehen nach Lage

2. Aufbau eines Krisenstabes

3. Infrastruktur eines Krisenraumes

4. Intervenierende Krisenkommunikation

XXI. Wenn „es“ passiert ist

1. Krisenkommunikation nach einer Tat

2. Der Prozess der Viktimisierung aus kriminologischer Perspektive

3. Folgen für unmittelbare und mittelbare Opfer

4. Aufgaben der Leitung

XXII. Zusammenfassung: Generelle Anforderungen an einen sicheren Arbeitsplatz

XXIII. Schriftliche Reaktion/Vorlagen

1. Umgang mit Beschwerdebriefen

a) Umgehende Eingangsbestätigung

b) Unterschiedliche Arten von Beschwerden

c) Umgang mit unsachlichen und ungerechtfertigten Beschwerden

d) Beleidigungen

2. Besondere Konstellationen

a) Versagen der Behörde

b) Unsachliches Verhalten der Behörde

3. Erteilung von Hausverboten

Glossar

Kontakte

Stichwortverzeichnis

Vorwort und Einleitung

„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“

Joachim Ringelnatz

Überall, wo unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten oder sich begegnen, entstehen positive Effekte wie Kollegialität, Freundschaft, ein Gemeinschaftsempfinden und ein Miteinander. Aber zum menschlichen Zusammenleben gehören auch negative Dynamiken aufgrund solcher Aufeinandertreffen. Ausufernde Streitigkeiten, Drohungen, Übergriffigkeit und sogar körperliche Gewalt sind hierfür Beispiele. Findet dies am Arbeitsplatz statt, spricht man von Workplace Violence.3

Und längst betreffen Kriminalität und abweichendes Verhalten nicht nur Polizei- und Vollzugsbeamte. Auch Beschäftigte in Jobcentern, Finanzämtern, (Hoch)Schulen und diversen kommunalen Einrichtungen sehen sich zunehmend mit Aggressionen und Gewalt konfrontiert, obwohl gerade sie ihren Dienst für den Bürger versehen. Selbst Rettungskräfte der Feuerwehr und medizinischer Ersthilfe werden zunehmend zum Ziel entladender Aggressionen im öffentlichen Raum. Betroffene und Beobachter berichten von einer Zunahme, die mittlerweile auch die Politik auf den Plan ruft, um die Helfer im Berufsalltag besser zu schützen.4

In der Öffentlichkeit wird das Thema von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst meist nur dann registriert, wenn es zu Tötungsdelikten kommt. Am 16. Januar 2020 attackierte ein 58-Jähriger eine 50-jährige Mitarbeiterin im Jobcenter in Rottweil mit einem Messer und verletzte sie schwer. Die Tat kündigte er zuvor auf Twitter an und kommentierte sie nach Beendigung ebenfalls.5 Doch längst nicht nur in Deutschland finden Gewaltattacken in Tötungsabsicht statt. Am 31. Mai 2019 schockierte ein Amoklauf im US-Bundesstaat Virginia die Öffentlichkeit: Freitagnachmittag stürmte ein 40-jähriger Angestellter in ein Gebäude der Stadtverwaltung von Virginia Beach und tötete zwölf Menschen, vier mussten in Krankenhäusern operiert werden. Elf der Opfer waren Angestellte der Stadt. Augenzeugen berichten von Schüssen, Panik und Todesangst der Anwesenden.6

Im Rahmen der seit April 2016 laufenden dbb-Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ kann man sich einen beinahe tagesaktuellen bundesweiten Überblick über gewaltsame Übergriffe gegen im Öffentlichen Dienst tätige Personen verschaffen.7 Tatsächlich kann einem in sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, vom Einwohnermeldeamt bis hin zu einer Hochschulverwaltung alles an Gewalt und abweichendem Verhalten begegnen. Reichsbürger, Extremisten, Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Störungen oder auch organisiert-kriminelle Strukturen sind behördliches Gegenüber und sie stellen eine enorme Herausforderung und unter Umständen sogar eine Bedrohung für das eigene Leben dar. Zudem können Mitarbeiter von sexueller Gewalt bedroht oder sie können Häuslicher Gewalt und Stalking ausgesetzt sein und Hilfe bedürfen, um weiter ihrer Arbeit nachgehen zu können. Doch auch innerhalb der Dienststellen kann es zu Auseinandersetzungen und Belästigungen kommen, die ein akzeptables Maß überschreiten und in die eingegriffen werden muss, um den Frieden am Arbeitsplatz wiederherzustellen.

Es sind nicht nur besonders exzessive Gewalttaten, die wir in Deutschland beispielsweise durch Amokläufe in Schulen wie in Erfurt und Winnenden bereits erleben mussten.8

Auf die Gefährdung der Beschäftigten wird ebenfalls meist erst dann reagiert, wenn eine schlimme Gewalttat an einem Arbeitsort stattgefunden hat. Doch meist geht es gar nicht um exzessive Gewalttaten. Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind vor allem alltäglicher Gewalt ausgesetzt, die sich nicht nur auf verbale Angriffe und Drohungen beschränken muss. In vielen Einrichtungen, in denen Kundenverkehr besteht, gehört ein Sicherheitsdienst zum Standard. Doch noch immer wird vor allem nicht-physische oder „leichte Gewalt“ zu häufig hingenommen. Zum einen, weil die Beschäftigten es aus dem Gewöhnungseffekt nicht mehr als Übergriff wahrnehmen und zum anderen, weil sie Angst haben, dagegen vorzugehen. Dafür bedarf es der entsprechenden Priorität in der Führungsebene und Rahmenbedingungen in den Behörden, die den Beschäftigten Sicherheit geben.

Für Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen ist nicht fakultativ, sondern eine elementare Aufgabe jeder Führungsebene. Denn Gewalt und Bedrohungen am Arbeitsplatz sind

1.ein ethisches Risiko für jede Behördenleitung, da es eine Verantwortung für die Sicherheit der Mitarbeiter gibt,

2.ein Unternehmensrisiko, da vor allem schwere Gewalttaten zu negativen Folgen führen wie Angstverhalten am Arbeitsplatz, ein entsprechend hoher Krankenstand und auch Reputationsschäden für die Behörde,

3.damit einhergehend auch ein Kostenfaktor, weil Arbeitsausfall als Folge sich als Kosten monetär niederschlägt (z. B. notwendige Einstellung befristeter Arbeitskräfte, Strafzahlungen aufgrund von Verfristungen, etc.),

4.ein gesetzliches Risiko, da möglicherweise Schadenersatzansprüche entstehen können, wenn auf Warnsignale der Gewalt nicht reagiert wurde.9

Häufig verfassen Einrichtungen mit Kundenverkehr Verhaltensregeln, die sichtbar am Eingangs- oder im Wartebereich angebracht sind. Das In-Erinnerung-Rufen bestimmter Benimmregeln ist nie verkehrt, wenn es als Anweisung klar formuliert ist. Gefährder als Personen, die zu Gewalthandlungen neigen, wissen dann, dass in dieser Einrichtung eine Sensibilisierung für das Thema Gewalt existiert. Aber es schützt die Beschäftigten allerdings nicht vor Übergriffigkeiten und Anfeindungen. Sicherheit im öffentlichen Dienst ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis sorgfältig getroffener Maßnahmen.

Um beim Arbeiten dauerhaft produktiv sein zu können, möchten sich Beschäftigte in einem bestimmten Maße wohlfühlen. Dazu ist es wiederum notwendig, dass sie ein Gefühl von Sicherheit an ihrem Arbeitsplatz haben. Entsprechend wichtig ist es, dass Beschäftigte wissen, dass ihr Arbeitgeber ihrer Sicherheit höchste Priorität einräumt. Der Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten erfordert es, Vorkehrungen für den Notfall zu treffen. Jedoch kann keine noch so detaillierte Regelung den absoluten Schutz des Einzelnen gewährleisten; es ist ausgeschlossen, für jede Gefahrensituation ein wirksames Abwehrverhalten gegenüberzustellen. Gefährdungspotentiale zu erkennen, wirksame Schutzkonzepte sowohl strukturell, als auch für den einzelnen Mitarbeiter zu installieren, sind Gegenstand des Handbuches.

Unser Ziel ist es, gesammelte Erfahrungen und Sachverhalte aufzugreifen und Möglichkeiten zum Umgang aufzuzeigen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, dass wir damit allgemeingültige Lösungen anbieten können. Das Handbuch soll helfen, Ansätze für Problemlagen zu entwickeln, um die Beschäftigten zu unterstützen, Risiken zu senken, Sicherheitsmängel zu beseitigen und insgesamt zu einem gesteigerten Sicherheitsempfinden am Arbeitsplatz beizutragen. Wenn ein Vorfall passiert ist, bedarf es Maßnahmen zum Wiederherstellen bzw. zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Sie werden sich, auch nach der Lektüre des Handbuches, nicht sofort auf bedrohliche Momente einstellen oder für solche „präparieren“ können. Das eigene Sicherheitsempfinden zu steigern und Schutzmechanismen zu entwickeln, ist ein Lernprozess, der Übung erfordert.

Wir hoffen, mit den nachfolgenden Ausführungen einige Ansätze zu bieten, die Sie in Ihren Arbeitsalltag integrieren können, und die dazu beitragen, Ihr Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz zu steigern.

Mülheim an der Ruhr/Northeim, im April 2020

I. Grundlagen

Gewalt ist kein gesellschaftliches Randthema, sondern betrifft jeden Menschen im Laufe seines Lebens – direkt oder indirekt. In unterschiedlicher Art und Weise wird jeder Mensch immer wieder mit aggressiven Verhaltensweisen konfrontiert. Mal mehr, mal weniger intensiv, mal direkter, jedoch am häufigsten indirekt durch passives Erleben von Gewalt, beispielsweise durch Medienberichte oder die Erzählungen von Gewalterfahrungen anderer Menschen. Diese Erlebnisse wirken sich auf das persönliche, subjektive Sicherheitsempfinden aus und beeinflussen, bei einzelnen Erlebnissen meist temporär, eigene Einstellungen und das Erleben.

1. Unser Körper als Alarmanlage

So ziemlich jede Kollegin und jeder Kollege wird im Dienstalltag Situationen erleben, die sie als bedrohlich empfinden, bzw. empfunden haben. Mit dem Begriff „Bedrohung“ verknüpft jeder Mensch eigene Erinnerungen und vor allem Erinnerungen an das Empfinden in dieser Situation. Unser Körper verrät uns, ob wir uns bedroht fühlen. Seine Reaktionen sind je nach Anlass, Abfolge und Dauer unterschiedlich. Bei einem kurzen Schreck reagieren wir mit einer blitzschnellen physischen Reaktion. Diese kann aus einem Aufschrei, einem Zusammenzucken, einer Affektbewegung wie einem Sprung oder einen Schlag, Übelkeit und einem so plötzlichen Anstieg des Pulses einhergehen. Betroffene beschreiben dies später mit Sätzen, wie: „mir ist das Herz stehen geblieben“ oder „ich war starr vor Schreck“. In solchen Schreckenssituationen schnappen wir nach Luft, das Gehirn möchte umgehend mit Sauerstoff versorgt werden. Wenn wir uns also erschrecken, reagiert als erstes der Körper, nahezu ohne Kontrolle. Diese Empfindung ist dem Gefühl der Angst geschuldet, das ebenso schwer kontrollierbar ist. Sobald sich der Körper von dem Schrecken erholt und wieder entspannt, wird der Herzschlag langsamer, die Atmung flacher und schließlich normal. Dass unser Körper in dieser Art und Weise reagiert, ist dabei nicht als eine Schwäche zu betrachten, vielmehr ist es eine biologische Schutzfunktion.

Ihr Körper warnt Sie. Denn gleichzeitig mit dem Schrecken weiten sich die Pupillen, sie nehmen weniger Informationen aus der Umgebung auf, nur die, die nun unmittelbar notwendig sind. Das macht Sie im besten Fall reaktionsschnell für eine Maßnahme zur Eigensicherung. Beispiele, in denen der Körper reagiert, bevor das Gehirn es tun kann, sind der Griff nach Halt, wenn man stürzt oder die Abwehr eines Schlages. Natürlich können Körper und Kopf auch Schrecksekunden im Zwiegespräch verbringen, dann werden Sie zu keiner Handlung fähig sein („wie angewurzelt stehen bleiben“). Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr oder Bundeswehr bekommen nicht beigebracht, diese Emotionen zu übersehen, sondern richtig mit ihnen umzugehen. Es ist ein Irrglaube, das Empfinden von Schrecken und Furcht sei ein Manko. Nur sollten Sie in den Körper hineinhorchen, wenn sie einen Schrecken erleben und anhand von Schreckerlebnissen Ihr Verhalten trainieren.

Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Körper Sie warnt, sobald Sie oder Ihr körperliches Wohlbefinden gefährdet sind. Und lernen Sie mit dem umzugehen, was Ihr Instinkt Ihnen rät. Rät er zur Flucht? Rät er zur Abwehr? Haben Sie bei einer bestimmten Person den dringenden Wunsch nach Abstand, obwohl er sich freundlich verhält? Dann sollten Sie zunächst mit diesen Instinkten arbeiten. Wie zuvor beschrieben, ist es weniger der Körper, der uns die Einschätzung erschwert, ob es sich in der gegenwärtigen Lage um eine Gefahrensituation handelt oder nicht. Er signalisiert uns das und empfiehlt sogar, wenn auch ausgesprochen subtil, einen Lösungsweg. Unser Kopf ist meist der Übeltäter. Doch unser Kopf ist lernfähig und kann somit zu unserem Helfer werden.

Das Schlimmste oder Mächtigste am Schrecken ist der Überraschungseffekt. Der Körper reagiert darauf in Sekundenschnelle, der Kopf benötigt eine Weile für die Verarbeitung der Impulse, um reagieren zu können. Zudem beraubt uns die Plötzlichkeit eines Schreckens des Gefühls des Alltäglichen, der sicheren Routine und der Kontrolle. Das bedeutet aber auch, dass Wachsamkeit das Schreckempfinden reduzieren und somit die Reaktionsfähigkeit steigern kann. Ihre Wachsamkeit und Aufmerksamkeit zur Umgebung können Sie jeden Tag trainieren. Dabei geht es nicht darum, fremde Menschen als potentielle Gefahr zu denunzieren. Es geht darum, gegenüber sich selbst und seinem nahen Umfeld aufmerksam sein. Beispielsweise haben sie einen Gesprächstermin mit einem Studierenden, den Sie nicht kennen. Sie werden ihn ohnehin beobachten, seine Mimik und Gestik. Hinterfragen Sie das, was Sie registrieren. Wie nähert er sich Ihnen? Wie wirkt seine Stimme auf Sie? Hält er den gewünschten Abstand zu Ihnen ein? Wenn Ihnen etwas nicht behagt – was ist es? Und was macht das Nicht-Behagen mit Ihnen?

Der Kriminalpsychologe Uwe Füllgrabe spricht hierbei von einer „gelassenen Wachsamkeit“,10 die das eigene Sicherheitsempfinden steigern kann. Dabei empfiehlt er die gezielte Suche nach Informationen in einer Situation, die Sie hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials einschätzen müssen. Welche Information ist in diesem Moment für Ihre persönliche Einschätzung wichtig? Die Fokussierung auf für Sie wissenswerte Informationen lässt Sie

–aktiver beobachten,

–ruhiger werden,

–baut den empfundenen Stress ab und verändert dadurch Ihr Auftreten.

Bereits diese Fähigkeit des aktiven Beobachtens stärkt Ihr Sicherheitsempfinden nachhaltig. Daneben müssen Sie über geeignete Mittel zur Gefahrenabwehr verfügen. Gemäß der Prämisse, stets das mildeste Mittel zu verwenden, kann schon eine gezielte Rhetorik ausreichen. Deswegen lohnen sich Schulungen in deeskalativer Rhetorik und Verhaltensweisen in Konfliktsituationen.

2. Aggression und Gewalt

Aggression und Gewalt und ihr Verhältnis zueinander sind ein ewiges Streitthema in der psychologischen Forschung. Während beispielsweise Sigmund Freud davon ausging, dass Aggressionen zur menschlichen Natur gehören, sehen das Psychologen, wie Joachim Bauer anders.11 Er und weitere Psychologen sehen alles, was als Kränkung empfunden wird (Gefühl der Ausgrenzung, Benachteiligung oder Demütigung), als Auslöser für Aggressionen und damit für Gewalthandlungen. Gewalt ist demnach Aggression, die extremen Schmerz zum Ziel hat.12 Aggressionen als Emotionen müssen jedoch nicht zwangsläufig in Gewalt münden. Nach Hans-Peter Nolting ist Aggression in seiner Bedeutung ein eher ein weiter und Gewalt ein bereits eingeengter Begriff.13

Weitere Definitionen von Gewalt sind beispielsweise jeder „zielgerichtete direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen“14 oder der „Einsatz physischer und psychischer Mittel, um einer anderen Person gegen ihren Willen

a)Schaden zuzufügen,

b)sie dem eigenen Willen zu unterwerfen (sie zu beherrschen) oder

c)der solchermaßen ausgeübten Gewalt durch Gegengewalt zu begegnen“.15

Jede Gewalt ist demnach Aggression, aber nicht jede Aggression ist Gewalt. Dass Menschen aggressiv auffällig sind, kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, von mangelnden kommunikativen Fähigkeiten bis hin zu Ursachen, die mit entsprechenden Erlebnissen in der Kindheit zusammenhängen. Menschen, die schnell aggressiv reagieren, haben häufig diese Erlebnisse nicht im Prozess des Erwachsenwerdens aufgearbeitet. Natürlich gibt es Personen, die ihr Gegenüber in allen möglichen Situationen als kränkend wahrnehmen und entsprechend schnell aggressiv reagieren. Andere Menschen definieren ihr Selbst durch gewalttätiges Verhalten, um andere Menschen zu erniedrigen und zu verletzen und sich selbst dadurch zu erhöhen.16

Vor diesem Hintergrund kann die Dimension von Gewalt und Aggression anhand folgender Kriterien differenziert eingeordnet werden:

1.Motivationale Hintergründe,

2.Involvierte Personen und

3.Kontexte, in denen sie stattfinden.17

Als Form der Kommunikation kann sie eigenes Unvermögen, eine Angelegenheit anders zu regeln offenbaren, ein Mittel zur Selbstdarstellung sein und um Aufmerksamkeit zu erlangen, oder um Solidaritätseffekte hervorzurufen. Die Form von Gewalt wird durch die Absicht (bewusst oder unbewusst) des Täters bestimmt:

•Zweckrational: Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen und zur Maximierung eigener Vorteile.

•Wertrational: Gewalt dient der Befolgung vorgegebener Normen oder der Durchsetzung eigener Wertvorstellungen.

•Expressiv: Gewalt ist Selbstzweck (z. B. verabredete oder bewusst herbeigeführte Schlägereien).

•Affektiv: Die Gewalthandlung erfolgt „im Affekt“, d. h. unkontrolliert und ungeplant unter Einfluss starker Emotionen wie z. B. Wut.18

3. Gewalt am Arbeitsplatz

Formen von Gewalt am Arbeitsplatz sind vielfältig. Eine allgemein gültige Definition existiert bisweilen nicht.

Gewalt am Arbeitsplatz unterscheidet zwischen interner und externer Gewalt: „Jede Aktion, jeder Vorfall oder jedes Verhalten, das von einem angemessenen Verhalten abweicht und mit dem eine Person angegriffen, bedroht, beschädigt oder verletzt wird – und zwar während der Arbeit oder in direkter Folge davon. Interne Gewalt am Arbeitsplatz ist die unter Beschäftigten. Externe Gewalt am Arbeitsplatz findet zwischen Beschäftigten und einer anderen Person, die am Arbeitsplatz präsent ist, statt.“19

Nicht jede Gewalt erfolgt physisch und nicht jede ist strafrechtlich zu ahnden. Zudem ist sie zu unterscheiden in physische/tätliche und psychische Gewalt:

Physische Gewalt bzw. tätliche Angriffe sind

•Treten/Schlagen/Stoßen

•Angriffe mit Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen

•Werfen mit einem Gegenstand

•Handgreifliche sexuelle Belästigung (z. B. unsittliche Brührungen bis hin zur Vergewaltigung)

•Kontakt mit Körperflüssigkeiten (z. B. anspucken)

Psychische und damit nicht-tätliche Angriffe sind:

•Anschreien/verbale Provokation

•Bedrängen/Umzingeln (ohne zu berühren)

•Nachstellen

•Beleidigung und Verleumdung (direkt und indirekt)

•Sexuelle Gewalt ohne Körperkontakt (verbal/nonverbal)

•Androhen körperlicher Gewalt

•Androhen von Anzeigen

•Foto- bzw. Videografieren (zur Provokation oder als Drohgebärde)

•Miterleben von Gewalt gegen Kollegen

Gerade nicht-tätliche Aggressionen werden vom Empfänger nicht zwangsläufig als Gewalt betrachtet, insbesondere dann, wenn sie nicht besonders intensiv oder aber ein beispielsweise aggressiver Ton, bzw. Beleidigungen bereits zum Alltag gehören. Zudem kann Gewalt systematisch und nicht nur als einzelner Akt ausgeübt werden. Gewalt kann unter Kollegen, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oder durch Dritte wie z. B. Klienten, Kunden, Patienten oder Schüler stattfinden. Sie kann von einer oder mehreren Personen ausgehen.

4. Angst und die Reaktionsmuster in Gefährdungssituationen

Nicht nur das Gewaltverhalten kann typisiert werden, auch das Verhalten der Betroffenen von Gewalt. Wie wir uns in einer Gefahrensituation verhalten, hängt, insbesondere wenn wir nicht darauf trainiert sind, von unseren Reflexen ab. Dabei zeigt sich, dass Menschen mit akuten Stresssituationen besser zurechtkommen, wenn sie ihren chronischen Stress gut unter Kontrolle haben.20 Gefährdung verursacht Angst, Angst verursacht wiederum eine Stressreaktion. Evolutionsbiologisch betrachtet ist das Empfinden von Angst ein Warnsignal, um den Menschen auf eine drohende Gefahr vorzubereiten.21 So betrachtet ist sie etwas Gutes. Tatsächlich hätten die Menschen früher nicht ohne Angst überleben können. Und auch heute noch warnt uns die Angst vor Risiken.

Diese kann sich in Angriff, Flucht22 oder Starre23 äußern. Akuter Stress führt dazu, dass eine Person nicht mehr im Denkprozess Alternativen abwägen kann. Stressreaktionen aus Angst äußern sich unter anderem durch Pulsbeschleunigung, Erweiterung der Pupillen und Händeringen; psychisch wirkt sie als Gefühl des Entsetzens und der Ausweglosigkeit. Angst ist aber nicht nur eine lähmende, sondern auch eine mobilisierende Emotion. So sind Menschen, die sich vor einer drohenden Gefahr ängstigen, manchmal zu Leistungen fähig, die ihnen unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wären. Der Körper übernimmt das Kommando. In riskanten oder als riskant empfundenen Situationen schütten die Nebennieren die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus. Das Herz schlägt dann schneller und das Blut bindet mehr Sauerstoff. Der Körper ist damit besser in der Lage, sich zu verteidigen oder zu fliehen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort, wonach Angst Flügel verleiht. Sie ist aber wegen ihrer Warnfunktion oft lebensrettend. Angst überkommt den Menschen meist unfreiwillig und unkontrolliert.24 Zur Flucht oder zum Angriff benötigt der Körper Energie. Entsprechend wird das Blut in die Körpermitte und die Beine gepumpt (deswegen auch kalte Hände und kalter Schweiß). Alle überflüssigen Systeme werden runtergefahren, wie das Immunsystem und die Verdauung. Starre hat regelmäßig einen schlechten Ruf als Stressreaktion. Doch auch sie kann in einer akuten Gefahrensituation lebensrettend sein. Bei dieser Reaktion wird der Puls heruntergefahren, Denken und Schmerzempfinden werden kurzzeitig ausgeschaltet und auch Erinnerungen danach sind kaum oder gar nicht vorhanden. Übernimmt der Stress die Kontrolle über den Körper, hat man sie selbst verloren. Gerade dieses Gefühl ist häufig auch in späteren Betrachtungen besonders problematisch für einen Menschen, der eine solche Situation durchlebt hat.

Aus der Angst heraus jedoch Entscheidungen zu treffen, ist gleichzeitig problematisch. Der Volksmund kennt daher den Spruch: „Angst ist ein schlechter Berater“. Dies ist insofern richtig, wenn Angst die Perspektiven einschränkt.25 Deswegen ist es wichtig, dass Menschen ihre Ängste kennen- und verstehen lernen.

Die Emotionspsychologie unterscheidet zwei Gründe für das Empfinden von Angst: Manche Menschen bekommen aus übergroßer Ängstlichkeit Angst. Andere verspüren Angst in einem Moment tatsächlicher, akuter Bedrohung. Jeder Mensch reagiert auf empfundenen Stress, der durch das Gefühl, bedroht zu werden, hervorgerufen wird, zunächst anders. Einige Hilfestellungen und Tipps können Ihnen helfen, sich umsichtig zu verhalten, bewusster reagieren zu können und sich dadurch sicherer zu fühlen.

5. Aggressionsfördernde Faktoren