Falling for Gage. Unerwartet nah - Mia Sheridan - E-Book
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Falling for Gage. Unerwartet nah E-Book

Mia Sheridan

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Beschreibung

New-York-Times-Bestsellerautorin Mia Sheridan gewährt dem begehrten Junggesellen Gage sein Happy End in Pelion Lake Small-Town-Romance für alle Leser:innen von »Archer´s Voice« und Lucy Score Der perfekte Gage Buchanan immer noch Single? Selbst er versteht es nicht ganz – bis ihn die faszinierende Kellnerin Rory völlig aus der Bahn wirft. Einige Wochen nach dem leidenschaftlichen One-Night-Stand taucht sie in seiner Heimatstadt auf, und Gage merkt schnell, dass Rory viele Geheimnisse hat. Die beiden beginnen Zeit miteinander zu verbringen und entwickeln zarte Gefühle. Und auch sie hat den Verdacht, dass er nicht alles ist, was er zu sein scheint. Aber vielleicht sind es gerade die Fehler des »perfekten« Gage, zu denen sie sich wirklich hingezogen fühlt …

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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((bei fremdsprachigem Autor))

Aus dem amerikanischen Englisch von Uta Hege

© 2024 FALLING FOR GAGE by Mia Sheridan

Titel der amerikanischen Originalausgabe: » Falling for Gage«, by Bloom Books, an imprint of Sourcebooks, New York 2024

© der deutschsprachigen Ausgabe:

everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025

Redaktion: Antje Steinhäuser

Korrektorat: Manfred Sommer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München nach einem Entwurf von Eileen Carey/No Fuss Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1

GAGE

Kapitel 2

RORY

Kapitel 3

GAGE

Kapitel 4

RORY

Kapitel 5

GAGE

Kapitel 6

RORY

Kapitel 7

GAGE

Kapitel 8

RORY

Kapitel 9

GAGE

Kapitel 10

RORY

Kapitel 11

GAGE

Kapitel 12

RORY

Kapitel 13

GAGE

Kapitel 14

RORY

Kapitel 15

GAGE

Kapitel 16

GAGE

Kapitel 17

RORY

Kapitel 18

GAGE

Kapitel 19

RORY

Kapitel 20

GAGE

Kapitel 21

RORY

Kapitel 22

GAGE

Kapitel 23

RORY

Kapitel 24

GAGE

Kapitel 25

RORY

Kapitel 26

RORY

Kapitel 27

GAGE

Kapitel 28

RORY

Kapitel 29

GAGE

Kapitel 30

RORY

Epilog

GAGE

Danksagungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

All denen, die erfüllt sind von einer nichtendenden Sehnsucht.

Gebt ihr nach. Denn Wundervolles erwartet euch.

Kapitel 1

GAGE

»Gage? Erde an Gage.«

Ich riss mich aus dem tranceartigen Zustand, in dem ich, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, zugesehen hatte, wie die Baristas schaumige Getränke für die Kundschaft zubereiteten, und entdeckte Haven Hale, die mich mit neugierigen Blicken maß. An ihrer Wange klebte ein wenig Erde und ein Blatt hatte sich in dem straff geflochtenen Zopf verfangen, der über ihre Schulter hing.

»Haven«, grüßte ich und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich habe dich nicht kommen sehen.«

Sie legte ihren Kopf ein wenig schräg und stellte lächelnd fest: »Anscheinend ging dir gerade etwas sehr Wichtiges durch den Kopf.«

»Hm.« In Wahrheit war mir gar nichts durch den Kopf gegangen, denn vorübergehend hatte mein Gehirn die Arbeit einfach eingestellt. »Stress«, stieß ich schließlich aus. »Ich hatte heute Morgen wieder einmal alle Hände voll zu tun.« Ich sah die Grasflecken in ihren schlabberigen Jeans und auf dem leuchtend gelben Rolli mit dem Logo ihres Gartenbaubetriebes Haven´s Gate und fügte hinzu: »Wobei du offenbar genauso fleißig warst.«

Ein breites Grinsen huschte über ihr Gesicht wie jedes Mal, wenn sie von ihren ein- und mehrjährigen Pflanzen, Setzlingen, Knollen oder sonst was in der Art sprach. Obwohl ich selbst vom Gärtnern keine große Ahnung hatte, tat sie genau das, wozu sie offenbar berufen war, das heißt, sie ging ihrer Bestimmung nach. Ich wusste nicht, warum sich meine Brust bei diesem Wort zusammenzog, denn sie war eine quirlige und wirklich nette junge Frau und hatte alles Glück der Welt, das ihr widerfahren war, seit sie hier in Pelion lebte, verdient. Ich kannte zwar nicht alle Einzelheiten, doch anscheinend hatten Haven und ihr Bruder Easton es zuvor nicht gerade leicht gehabt. »Wir legen einen künstlichen Bachlauf auf dem Anwesen der Fillmores an. Sie haben diesen Riesenhügel hinter ihrem Haus, der für Landschaftsgärtner eine echte Herausforderung ist. Ich habe deshalb diesen Bachlauf vorgeschlagen, der sich zwischen großen Steinen und Pflanzen die Anhöhe runterschlängelt, und sie haben sofort Ja gesagt! So etwas haben wir bisher noch nie gemacht, aber wenn es so wird, wie es mir vorschwebt, wird es sicher toll. Und falls wir so was danach öfter machen sollen, heuern wir vielleicht zusätzliche Leute an und bauen unseren Betrieb aus.« Erschöpft von all den Worten, die aus ihr herausgesprudelt waren, atmete sie keuchend ein. »Ich habe heute Morgen schon mal alles ausgemessen und geplant und jetzt –« Sie winkte lachend ab, weil die Begeisterung mal wieder mit ihr durchgegangen war.

»Ich bin mir sicher, dass der Bach ein echter Knüller wird«, stellte ich lächelnd fest.

»Das ist echt nett, dass du das sagst.« Sie machte einen Schritt zur Seite, und die Frau, die neben ihr gestanden hatte, machte einen Schritt nach vorn und griff nach ihrem fertigen Getränk.

»Wie geht es Travis?« fragte ich. »Ich habe ihn schon länger nicht mehr gesehen.«

Bei dieser Frage wurde ihre Miene entrückt, als wäre Haven plötzlich einer Ohnmacht nah, doch sie blieb bei Besinnung, hielt sich auf den Beinen und sagte: »Gut.« Aus welchem Grund auch immer klang das etwas anzüglich, und in der Hoffnung, dass es niemand anders mitbekommen hatte, blickte ich mich eilig um. Dann fügte Haven noch hinzu: »Im Grunde hat er heute frei, aber er ist auf Katerjagd.« Sie rollte mit den Augen, doch ihr Lächeln zeigte, dass sie ihrem Katzenjäger hemmungslos verfallen war.

»Was sagst du da? Er ist auf Katerjagd?«

»Mmm.« Der nächste Gast schob sich an ihr vorbei, griff nach zwei Becherhaltern, drehte sich behutsam wieder um und balancierte insgesamt acht Becher mit Kaffee, auf denen je ein Berg aus Karamellsprenkeln und Sahne schwamm. Dann aber drehte er sich wieder Richtung Tresen um und rief: »Entschuldigung, auf zwei der Kaffees sollten Schokostreusel und kein Karamell.« Mein Gott. Kein Wunder, dass es eine endlos lange Warteschlange gab. Ich blickte wieder Haven an, die stirnrunzelnd verfolgte, wie der Mann sich diese zusätzliche Dosis morgendlichen Zuckers auf den Kaffee schütten ließ. Eine Todsünde in den Augen einer Frau, der gutes und gesundes Essen über alles ging. »Clawdia hat geworfen«, sagte sie und wandte sich mir wieder zu. »Wir dachten eigentlich, dass sie kastriert wäre, doch offensichtlich war das nicht der Fall. Tja. Du kannst dir sicher vorstellen, wie entrüstet Travis war, als sein geliebtes Schätzchen plötzlich schwanger war.«

Tatsächlich konnte ich das nicht.

»Aber wie dem auch sei«, fuhr Haven fort, »kamen die kleinen Kätzchen gestern auf die Welt, und alle sind orange. Jedes Einzelne von ihnen!«

Ich hatte keine Ahnung, was sie damit sagen wollte oder wie ich darauf hätte reagieren sollen, und starrte sie verwundert an, bis sie am Ende meinte: »Clawdia ist grau.«

»Ah. Verstehe. Also hat der ruchlose Verführer die verräterische Farbe an den Wurf vererbt, und jetzt jagt Travis diesen vierbeinigen Lüstling, der sich an sein Schätzchen rangemacht hat, ohne ihren Ziehvater zu fragen, ob das auch für ihn in Ordnung ist.«

Sie nickte, und mit einem mühsam unterdrückten Lachen dachte ich, oh, Travis Hale, dabei warst du selbst in jungen Jahren ein begehrter Typ und keineswegs ein Kostverächter.

Wie doch der einst Mächtige gefallen war.

Ich hatte ihn zum letzten Mal gesehen, als er die Löcher für die neuen Bäume ausgehoben hatte, die das Unternehmen seiner Liebsten links und rechts des neu begrünten Parkeinganges hatte setzen sollen.

Ich war dort nur vorbeigelaufen, aber er war diese schweißtreibende Arbeit so begeistert angegangen, als verrichtete er dort das Werk des Herrn.

Bei dem Gedanken blieb mir das Lachen im Halse stecken, denn aus welchem Grund auch immer kam es mir trotz seines tiefen Sturzes vor, als hätte mich mein Buddy überholt.

Ich räusperte mich unbehaglich, wandte mich gedanklich abermals den wollüstigen Katzen zu und fragte: »Und was hat er mit dem Bastard vor?«

Havens Brauen wanderte in zwei verschiedene Richtungen, als hätte sie darüber selbst noch gar nicht nachgedacht. »Ich schätze, dass er einfach mit ihm reden will?«

»Er will mit einem Kater reden?«

»Nein, mit dem Besitzer«, klärte sie mich lachend auf.

»Dann hoffen wir mal, dass dieser Don Juan kein Streuner ist und einen Besitzer hat.«

»Da hast du recht.« Als jemand sie von hinten anstieß, stolperte sie auf mich zu, wobei mir der Geruch von Gras, Lavendel und Lilien entgegenschlug. Es war ein sauberer, angenehmer Duft und passte wunderbar zu ihr.

Ich war vor zwei Jahren mal mit Haven ausgegangen, aber als ich herausgefunden hatte, dass sie hoffnungslos in Travis Hale und er in sie verschossen war, hatte ich gern – und wenn ich ehrlich war, auch mühelos – den Weg für meinen Buddy freigemacht und mich gefreut, als dieses »Opfer« nicht umsonst gewesen war. Bei meinen Dates mit Haven wäre niemals etwas Dauerhaftes rausgekommen, und vor allem liebten sie und Travis sich von ganzem Herzen, und mit der kleinen Familie, die sie in der Zwischenzeit gegründet hatten, hatten sie jetzt alles, von dem ihnen vorher nicht bewusst gewesen war, dass sie es jemals hätten haben wollen.

Schön für sie.

Ich selbst war der Richtigen noch nicht begegnet, obwohl ich bereits vor Jahren zur Ruhe hätte kommen und eine eigene Familie gründen wollen.

Vielleicht, weil es die Richtige für mich nicht gab.

Darüber dächte ich am besten gar nicht nach, denn schließlich gingen auch meine Eltern davon aus, dass ich den Namen Buchanan weitergeben würde, damit er erhalten blieb. Ich trug also alleine die Verantwortung dafür, dass das Familienerbe zukünftig erhalten blieb.

»He«, riss mich Haven in die Gegenwart zurück. »Willst du nicht in zwei Monaten ein kleines Kätzchen haben?«

»In meiner Wohnung sind Haustiere nicht erlaubt.«

Sie ließ die Schultern hängen. »Oh. Aber vielleicht kannst du mal rumfragen, ob irgendjemand anders ein Kätzchen will. Wenn nicht, wird unsere Scheune voller Katzen sein.«

»Vor allem wüsste ich nicht, was ich mit der Katze machen sollte, wenn es für mich in zwei Monaten nach London geht.«

Sie riss die Augen auf. »Nach London? Machst du dort nur Urlaub oder bleibst du länger dort?«

»Wir eröffnen ein Hotel in Westminster.«

Sie runzelte die Stirn. »Verstehe. Nun, ich weiß, du bist schon ziemlich viel herumgekommen, aber ohne dich wird unser Ort nicht mehr derselbe sein. Wie auch immer …« Sie legte eine Hand auf meine Arm. »… ich kann verstehen, dass du mal etwas anderes als Calliope sehen musst.« Sie sah mich an, als wüsste sie etwas über mich, was mir bisher nicht aufgegangen war, und lächelnd fügte sie hinzu: »Ich wünsche dir, dass du dort findest, was du suchst. Auch wenn das Gute manchmal gar nicht so weit weg ist wie man denkt.«

»Gabe«, rief der Barista, der bestimmt noch keine achtzehn und nur in den Ferien hier tätig war.

»Gage«, korrigierte Peggy, die Besitzerin des Ladens, ihn und zwinkerte mir lächelnd zu. Das war es, wodurch meine Heimstadt Calliope sich von dem am anderen Seeufer gelegenen Pelion unterschied. Zwar waren beides kleine Städte, aber während es in Pelion kaum Touristen gab, war hier bei uns zumindest in den Frühjahrsferien und im Sommer jede Menge los, und es gab eine Reihe ziemlich schicker Viertel so wie das, in dem ich aufgewachsen war. Obwohl ich Pelion durchaus reizend fand und es zu schätzen wusste, dass die Leute dort die Natur und die Idylle ihres Orts bewahren wollten, zog ich selbst den Mix aus Tradition und Moderne, der uns hier geboten wurde, und die Vielfalt von Calliope vor.

Ich griff nach meinem Kaffee, und der Junge murmelte verlegen: »Tut mir leid.«

»Schon gut.« Ich blickte wieder Haven an. »War schön, dich wieder mal zu sehen. Sag Travis hi von mir und wünsch ihm alles Gute für die Jagd nach diesem Don Juan. Und falls er einen Suchtrupp bilden will: Am Wochenende spiele ich mit ein paar Freunden aus dem College Golf, aber am Montag bin ich wieder da.«

Sie lachte. »Das ist wirklich nett. Viel Spaß beim Golf.«

Ich prostete ihr noch mit meinem Kaffee zu, ging Richtung Tür, verließ den vollen Coffeeshop und stapfte zu meinem Wagen.

Ich ließ den Motor an, fuhr die Klimaanlage hoch, trank meinen Kaffee, starrte durch die Windschutzscheibe und wippte nervös mit dem linken Knie. Als mir das auffiel, legte ich die Hand auf meinem Oberschenkel ab und schüttelte in dem Versuch, mich auf die Arbeit, die vor mir lag, zu konzentrieren, den Kopf. Mein Gott, warum, zum Teufel, war ich derart nervös? Ich hätte angenommen, dass der nächste Schritt auf der Karriereleiter, den ich bald in London machen würde, meine Unruhe vertreiben würde, doch in Wahrheit wurde sie von dem Gedanken an den Umzug sogar noch verstärkt. Wahrscheinlich war es ganz normal, deshalb nervös zu sein, denn schließlich zöge ich für meinen neuen Job sogar auf einen anderen Kontinent, doch lenkte meine Aufregung mich furchtbar ab, deshalb versuchte ich sie so weit zu verdrängen, wie es möglich war. Sobald ich erst in London angekommen wäre, würde es mir sicher besser gehen.

Ich sah im Rückspiegel, dass jetzt auch Haven, einen Kaffeebecher in der Hand, den Coffeeshop verließ und in die andere Richtung zu dem altmodischen, türkisfarbenen Pick-up mit dem Logo ihres Unternehmens auf der Seite ging. Das Ding war alles andere als schön, zumindest aber konnte man es ganz unmöglich übersehen. Ich trat aufs Gaspedal und hörte meinen Audi schnurren, aber statt der Freude, die ich sonst bei dem Geräusch empfunden hatte, breitete sich ein Gefühl der Leere in mir aus.

Ich hatte mir mein Leben rund um Luxuswagen, Maßanzüge, Premiummitgliedschaften in diversen teuren Clubs und andere Sachen in der Richtung aufgebaut. Die Dinge zeigten, wer ich war und was ich mir vom Leben wünschte, deshalb sollte ich es kaum erwarten können, dass es für mich endlich aus der Kleinstadt in die Metropole London ging. Ich würde dort erfolgreich sein und meinen Reichtum weiter mehren, denn dafür hatte ich mich schon seit Jahren abgerackert, und vor allem hatte auch mein Vater sich das immer schon für mich erträumt. Und trotzdem kam es mir so vor, als ob ich auf der Stelle treten würde. Was nicht den geringsten Sinn ergab.

Dann rumpelte der Pick-up-Truck der Gärtnerei an mir vorbei, und grinsend winkte Haven mir zum Abschied zu. Ich nickte und sah auf der Ladefläche Dutzende Paletten voller bunter Blumen stehen. Ich hob die Hand an meinen Mund und merkte, dass ich statt zurückzulächeln, grimmig das Gesicht verzog.

Mit einem Seufzer lenkte ich meinen Audi auf die Straße und fuhr ins Büro, denn schließlich standen dort jede Menge Meetings an.

Tatsächlich war ich froh, dass ich auch morgen noch den ganzen Tag beschäftigt sein würde, aber vielleicht tat mir die kurze Pause, die übers Wochenende geplant war, gut und ich bekam endlich wieder einen halbwegs klaren Kopf. Das Wochenende mit den Jungs würde bestimmt nicht übel. Nein, es würde sicher rundum toll.

Kapitel 2

RORY

Die Frauen kreischten, als mein Onkel schwungvoll aus dem Glas in seiner Rechten Eiswürfel in das andere Glas in seiner Linken fliegen ließ, und seufzten, als sie dann auch noch sein schiefes Lächeln und sein ach so süßes Grübchen sahen. Ich presste meine Lippen aufeinander und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Zumindest war ich hinlänglich darin geübt, das Augenrollen zu unterdrücken, wenn die Ehrfurcht, die die Mädchen ihm entgegenbrachten, mal wieder total übertrieben war. Den simplen Trick beherrschte jeder Barkeeper, doch wenn mein Onkel ihn den Frauen präsentierte, saßen sie wie liebeskranke Welpen da und wären ihm am liebsten mit den Zungen durchs Gesicht gefahren.

Ich stellte mein Tablett auf einen gerade frei gewordenen Tisch, sammelte kopfschüttelnd die leeren Gläser ein und wischte ihn unter den nächsten lauten »Ohs« und »Ahs« der Mädels an der Theke sorgfältig mit einem feuchten Lappen ab. Natürlich konnte ich verstehen, dass die Frauen auf meinen Onkel standen, denn er sah tatsächlich wie der junge Elvis Presley aus.

»Den Mann hat eindeutig der liebe Gott Mud Gulch geschenkt.« Auch Karla, die mit mir und Sherry heute Abend in der Bar bediente, blickte wie gebannt in seine Richtung, während sie an der Kasse stand.

»Was bei der Konkurrenz hier keine sonderliche Leistung ist«, gab ich zurück und lief an ihr vorbei. Das wäre was, wenn ich als seine Nichte ebenso verschossen in ihn wäre wie die anderen Frauen aus dem Ort. Und dazu hieß er noch Romeo. Anscheinend hatte meine Großmutter vorausgesehen, was einmal aus ihm würde, denn ich hätte wirklich niemanden gewusst, zu dem der Name besser passte als zu ihm. Womöglich aber hatte meine Gran als ausgemachter Shakespeare-Fan einfach gehofft, ihr Zweitgeborener schlüge einmal dem berühmten Liebhaber aus der Tragödie nach.

Und wie das neuerliche laute Kreischen an der Theke zeigte, hatte diese Hoffnung sich erfüllt.

Ich bahnte mir mit meinem voll beladenen Tablett den Weg zwischen den Tischen durch, schob die Küchentür mit meiner Schulter auf und stellte die benutzten Gläser auf der Spülmaschine ab. »Essen steht bereit, Rory«, brüllte unser Koch aus Richtung Grill.

»Danke, Eli.« Ich nahm die zwei voll beladenen Teller und er nickte, ohne seinen Blick vom Fernseher abzuwenden, der in einer Ecke hing. »Du hast nur eine einzige Aufgabe! Schlag den verdammten Ball, du Depp!«, schrie er, und während ich die Schwingtür wieder aufschob, machte der von ihm gescholtene Depp anscheinend endlich seinen Job und drosch geräuschvoll mit dem Schläger auf den Ball.

»Ein Burger, medium, ohne Zwiebeln und Tomaten, aber mit Zwiebelringen daneben, Larry«, sagte ich und stellte einem unserer Stammkunden sein Essen hin.

»Danke, Rory.«

Nickend stellte ich den zweiten Teller auf den Tisch. »Hier, Kip. Du wolltest Fish and Chips mit extra Krautsalat, nicht wahr?«

Ich klapperte noch meine anderen Tische ab und druckte dann die Bons an der Kasse aus.

»Das kann ja wohl nicht sein«, entfuhr es Sherry, unserer dritten Kraft. Ich folgte ihrem Blick, und während mir die Kinnlade herunterklappte, meinte sie: »Guck besser gar nicht hin!« Sie nahm meinen Arm und drehte mich gewaltsam um. Die Mühe aber hätte sie sich sparen können, denn ich hatte schon gesehen, was ich nicht hätte sehen sollen.

Tatsächlich saß mein Ex mit seiner Neuen an Tisch sechs. Der Ex, der, als er was mit dieser anderen angefangen hatte, nichts mehr von mir hatte wissen wollen. Er saß an einem Tisch in einem Lokal, das unserer Familie gehörte, während ich dort bei der Arbeit war.

»Was für ein blöder Arsch.« Kopfschüttelnd stellte Sherry volle Bierflaschen auf ihr Tablett. »Dass er sich hier tatsächlich blicken lässt.« Sie wandte sich mir zu und bot mir grimmig an: »Du brauchst es mir nur zu sagen, wenn der Kerl verschwinden soll.«

Das klang, als würde sie ihn am liebsten ein für alle Male verschwinden lassen. Ich zögerte einen Moment, doch meine Wut war nicht mehr groß genug, dass jemand anders mir zuliebe einen Mord hätte begehen sollen.

»Du brauchst wirklich nur einen Ton zu sagen«, bot sie mir erneut an, bevor sie die Getränke zu den Tischen trug.

Mit einem gezwungenen Lachen gab ich ihr mit auf den Weg: »Das ist ein wirklich nettes Angebot, Sher, aber das ist der Kerl nicht wert. Und ein orangefarbener Gefängnisoverall beißt sich mit deinem Haar.«

Ihr dumpfes Knurren konnte Zustimmung bedeuten oder, dass sie ihn zur Not auch ohne mein Einverständnis verschwinden lassen könnte und in Kauf nahm, danach bis ans Lebensende in Orange gekleidet zu sein.

Als Karla die Bestellung meines Ex-Freunds, Thaddeus Willoughby III, aufnahm, sah er kurz an ihr vorbei, und als sich unsere Blicke trafen, hatte er zumindest so viel Anstand, leicht verlegen auszusehen.

Verdammt, was machte er hier überhaupt? Er wohnte doch in Claremont Landing, unserer Nachbarstadt mit ihrem landesweit bekannten Golf- und Countryclub, die auf der Skala des Pro-Kopf-Einkommens genau am anderen Ende als Mud Gulch lag. Ich kannte ihn von einem Junggesellenabschied, auf dem er und seine Freunde in die Docks gekommen waren. Er hatte mich mit seinem Charme bezirzt, und als ich daran dachte, fuhr ich innerlich zusammen, denn wahrscheinlich hatte er sich nicht mal echte Mühe geben müssen, bis ich schwach geworden war. Wenn ich mit irgendwelchen reichen Kerlen mit gestärkten, weißen Hemden ausging, endete das jedes Mal in einer Katastrophe und ich hatte mir geschworen, niemals wieder auf ein strahlend weißes Lächeln, für das ein Zahnarzt ein Vermögen erhalten hatte, reinzufallen.

Als ich die Rechnungen an die Tische brachte, zwang ich mich, nicht noch mal in die Richtung von Tisch sechs zu sehen. Dann ging ich wieder an die Bar, holte zwei Bier und Romeo fragte leise: »Alles klar?« Offensichtlich hatte er Thaddeus und die prachtvolle Blondine ebenfalls gesehen.

Ich nickte lächelnd, so, als wäre mir vollkommen schnuppe, dass der Kerl, der mich vor gerade mal drei Wochen hatte sitzenlassen, jetzt die absolute Dreistigkeit besaß, mit einem neuen Date in das Lokal zu kommen, von dem er wusste, dass ich dort Bedienung war, und obwohl sich die Augen meines Onkels kurz verengten, wandte er sich mit einem Nicken wieder seinem Fanclub zu.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Thaddeus nicht mehr an dem Tisch saß, und als ich den Kopf ein bisschen weiterdrehte, fiel mir auf, dass seine neue Freundin ihr makelloses Kinn auf eine ihrer Hände stützte und verträumt in Romeos Richtung sah. Das freute mich, doch die Genugtuung, die ich deshalb empfand, verflog, denn plötzlich zerrte irgendwer mich um die Ecke in den kleinen, düsteren Flur, an dessen Ende die Toilette lag.

»Rory.«

»Thaddeus.« Ich entzog ihm meinen Arm und machte einen Schritt zurück. »Was, zur Hölle?«

»Tut mir leid. Ich weiß, es ist nicht nett, dass ich hierhergekommen bin, aber sie wollte unbedingt mal in die Docks. Ich habe ihr verschiedene andere Lokale vorgeschlagen, aber sie hat darauf bestanden, dass es diese Bar sein muss. Sie hat gesagt, sie hätte immer schon mal …«

»… in die Slums gewollt?«

»So hat sie es nicht formuliert.«

»Natürlich nicht.« Und trotzdem hatte sie es so gemeint. Und dass er plötzlich einen roten Kopf bekam, verriet, dass ihm das ebenfalls bewusst gewesen war. Ein Mädchen aus dem Countryclub, das unbedingt mal die Proleten in den Docks erleben wollte, um danach auf ihre sorgsam eingezäunten, grüneren Weiden heimzukehren und den anderen zu erzählen, wie das Leben in der Wildnis war.

»Sie will in diesem Sommer was erleben«, fuhr Thaddeus fort.

Ich zuckte innerlich zusammen. »Wir sind kein Abenteuer, sondern Menschen«, klärte ich ihn auf und funkelte ihn zornig an. »Aber ich nehme an, dass ich für dich im Grunde auch nichts anderes als ein kleines Abenteuer war.«

Bevor er etwas sagen konnte, hob ich abwehrend die Hand. Vergiss nicht, was du dir geschworen hast, Rory. »Nein, sag nichts. Inzwischen ist es mir egal.«

»Sei nicht so, Rory.« Er drehte seinen Kopf, riskierte einen schnellen Blick in Richtung Bar, drehte sich wieder zu mir um und schob mir eine Strähne meiner Haare hinters Ohr. Obwohl ich meinen Kopf zurückzog und ihn wütend ansah, meinte er: »Hör zu, Rory. Wir können uns doch weiter sehen.«

»Im Schutz der Dunkelheit? Soll ich mich dann vielleicht auch noch verkleiden oder so?«

»Himmel, Rory. Sei keine solche Dramaqueen. Natürlich müsstest du dich nicht verkleiden. Es reicht völlig aus, wenn man uns nicht zusammen sieht.«

»Das heißt, dass du dich heimlich hinter abgeschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen mit mir vergnügen willst?«

»Natürlich müssten –«

»Kein Interesse«, wies ich ihn zurück. »Und ich an deiner Stelle würde mir jetzt sofort einen Virus einfangen oder so, damit du schleunigst abhauen kannst, denn Sherry kann es kaum erwarten, auf dich loszugehen und ich halte sie ganz sicher nicht zurück.«

Er riss die Augen auf und öffnete den Mund, ich aber machte auf dem Absatz kehrt und stürzte um die Ecke zurück an die Bar.

Im nächsten Augenblick marschierte er mit seinem Date zur Tür, hielt sich dabei den Bauch und verzog derart schmerzlich das Gesicht, dass seine Freundin ihn mit irritierten Blicken musterte. Doch ehe sie den Raum verließ, sah sie noch einmal über ihre Schulter auf den schwarzhaarigen, blauäugigen Gott des Weines – hier bei uns eher des Bieres – hinter der Bar, und als mein Onkel ihr sein über die Grenzen unseres Ortes hinaus berühmtes schiefes Grinsen schenkte, stolperte sie gegen meinen Ex und fiel mit ihm zusammen praktisch durch die Tür.

Dann waren sie weg, und Romeo warf eine Flasche hinter seinem Rücken von der einen in die andere Hand und wieder spendeten ihm seine Groupies donnernden Applaus.

Ich klapperte noch einmal eilig meine Tische ab und ging zur Tür. »Ich brauche frische Luft.«

Mein Onkel nickte mir kurz zu und füllte eine Reihe Shotgläser, die vor ihm auf dem Tresen stand. Dann war ich draußen, sah mich um und atmete erleichtert auf, als keine Spur von meinem Ex und seiner Neuen zu sehen war. Ich ging über die Straße, stützte mich mit meinen Ellenbogen auf das von der Sonne ausgebleichte, hölzerne Geländer oberhalb des Wassers, faltete die Hände, starrte auf das mondbeschienene Meer, und so wie jedes Mal an diesem Ort stieg ein Gefühl der Sehnsucht in mir auf. Was hatte dieses Sehnen, wenn ich in die Ferne blickte, zu bedeuten? Vielleicht hatte ich es ja von meinen Vorfahren geerbt, die alle Seeleute gewesen waren? Das Wasser hatte ihnen Frieden und ein Ziel, vor allem aber eine Chance, die Familie zu ernähren, geschenkt. Romeos Bruder Cassius war ebenfalls dem Ruf des Ozeans gefolgt und Käpt´n eines Boot, doch auch wenn ich natürlich gerne hin und wieder auf dem Wasser unterwegs war, zog ich festen Boden unter meinen Füßen vor und blickte, statt den Wellen zu trotzen, lieber auf sie hinaus. Das hieß, dass meine Sehnsucht offenkundig nicht dem Wasser galt.

Das war es also nicht, und trotzdem blieb sie weiterhin bestehen. Das war verwirrend und frustrierend und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte, weil ich dafür hätte wissen müssen, was das Ziel meines Begehrens war.

Dann stupste etwas gegen meinen Oberschenkel, und als ich meinen Blick nach unten lenkte, sahen zwei seelenvolle Augen zu mir auf.

»Loki«, grüßte ich den Streuner und ging in die Hocke, sodass wir auf Augenhöhe zueinander waren. »Was machst du schon am frühen Abend hier?« Ich rahmte sein Gesicht mit meinen Händen, neigte meinen Kopf, stieß mit der Nase seine Nase an, zog meinen Kopf wieder zurück und sah ihn in der Hoffnung, dass es ihm gut ging und ihm nichts fehlte, forschend an. »Es ist noch keine Abendessenszeit. Komm später an die Hintertür, dann kriegst du was.«

Mit einem leisen Schnauben fuhr er mir mit seiner feuchten Nase durchs Gesicht.

»Verstehe. Du brauchst einfach etwas Liebe, stimmt´s? So geht es uns allen ab und zu, selbst einem so harten Kerl wie dir.«

Er sah mich derart sanft aus seinen schwarzen Augen an, dass ich mich fragte, ob vielleicht eher ich die Liebe brauchte und das meinem einfühlsamen, vierbeinigen Freund bewusst gewesen war.

Ich streichelte ihn hinter seinen Ohren und kraulte ihm den Kopf. »Danke für die Liebe, die du mir gegeben hast. Anscheinend suche ich sie immer an den falschen Orten, deshalb hat mir das jetzt wirklich gut getan.«

Mit einem leisen Winseln legte er den Kopf zurück, denn schließlich hatte ich sein Kinn noch nicht gekrault.

»Du weißt, dass du auch gerne mit zu mir nach Hause kommen kannst. Das Angebot besteht … und dort bekämst du regelmäßig was zu fressen und ein Bad, wenn du es brauchst.« Als Loki knurrend einen Schritt nach hinten machte, lachte ich und sagte: »Also gut. Wenn du dich nicht an die Regeln halten willst, streun einfach weiter frei hier draußen rum.«

Ich hörte, wie die Tür der Bar geöffnet wurde und dass irgendwer in meine Richtung kam. Es war mein Onkel Romeo, und da der Hund die Drohung mit dem Bad anscheinend ernst genommen hatte, machte er sich eilig aus dem Staub.

»Tisch acht will noch ´ne Runde, stimmt´s?«

Er stützte seine Ellenbogen auf dem Holzgeländer ab. »Genau. Aber ich habe Sherry hingeschickt«, erklärte er und blinzelte mich an. »Ich dachte, dass du vielleicht ein paar Minuten brauchst.«

»Danke.« Seufzend stützte ich mich neben ihm auf das Geländer, starrte auf das mondbeschienene Meer und spürte seinen nachdenklichen Blick.

»Was suchst du, Rory?«

Was ich suchte? Mir war klar, dass Romeo wissen wollte, woher diese unbestimmte Sehnsucht kam, von der ich öfter sprach. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre nie zufrieden, weil ich immer blind nach irgendetwas suchte, was sich nicht benennen ließ. Und damit hatte er tatsächlich recht.

»Ich habe keine Ahnung«, gab ich zu. Vielleicht mich selbst.

Jetzt lehnte er sich rücklings gegen das Geländer, legte den Kopf in den Nacken, blickte den Himmel und die Sterne, die nicht wirklich mit dem Licht der Straßenlampen konkurrieren konnten, an und stellte seufzend fest: »Zumindest können wir uns vielleicht darauf einigen, dass es dich nicht nach Claremont Landing zieht.«

Ich lachte leise auf. »Sieht nicht so aus.«

Er schüttelte den Kopf, sah mich mit seinem wunderschönen, hellen Lächeln, das das Licht der Lampen ganz problemlos überstrahlte, an und meinte ebenfalls: »Genau, sieht nicht so aus.«

»Na los.« Ich stieß mich vom Geländer ab und zog am Ärmel seines Hemds. »Wahrscheinlich leiden deine Groupies unter schrecklichen Entzugserscheinungen, seit du verschwunden bist. Ich habe mir sogar mal einen Splitter in den Hintern gerammt, als ich vor diesen Frauen hierher geflüchtet bin.«

»Ach was«, stellte er lachend fest und ging mit mir zurück in Richtung Bar.

»Glaubst du mir etwa nicht?«

Er zwinkerte mir zu, und grinsend füllte ich noch einmal meine Lungen mit der salzhaltigen Luft des Orts, in dem ich auf die Welt gekommen und aufgewachsen war, und öffnete die Tür unseres Lokals. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, welchem Ruf die Sehnsucht, die ich permanent verspürte, hätte folgen sollen, wusste ich zumindest mit den Rufen meiner Kunden, die wahrscheinlich bald die nächsten Runden haben wollten, umzugehen.

Kapitel 3

GAGE

Das Männerwochenende lief schon jetzt ganz anders als geplant, und vollkommen durchnässt standen wir vier vor einem Schild und lasen dort: Mud Gulch, 3700 Einwohner.

Wir hatten zwanzig elende Minuten bis hierher gebraucht, nachdem wir irrtümlicherweise von der Haupt- auf eine dunkle Nebenstraße abgebogen waren, wo ein Reifen von Trents Wagen schlappgemacht hatte.

Kein Ersatzreifen.

Kein Empfang.

Kein einziges anderes Auto auf dieser Straße, seit wir angehalten hatten.

Wir alle guckten auf das Schild mit dem Pfeil, der Richtung Küste wies. »Den Namen habe ich schon mal gehört«, stellte ich fest. »Das ist ein kleiner Fischerort.«

»Ich hoffe nur, dort gibt´s ein Telefon«, bemerkte Trent.

»Und in welchem Fischerort gibt´s denn kein Telefon?«, fragte Grant. »Natürlich hat dort irgendwer ein Telefon. Der Ort liegt zwar am Meer, aber nicht auf dem Grund.«

Mein Gott, Trent hatte den IQ eines Genies, doch manchmal konnte er erschreckend dämlich sein. Er hatte den Ersatzreifen bereits vor einer halben Ewigkeit gebraucht, und daran, dass er während unserer Reise vielleicht noch mal eine Reifenpanne haben könnte, hatte er anscheinend nicht gedacht und deshalb keinen neuen eingepackt.

Ich atmete tief durch und wandte mich der Straße zu, die irgendwo im Wald verschwand. Zumindest hatte der verfluchte Regen etwas nachgelassen – auch wenn das so nass, wie wir inzwischen waren, im Grunde völlig nebensächlich war.

Wir brauchten eine knappe Stunde durch den Wald, bis wir auf einer Klippe standen und den Leuchtturm auf der kleinen Insel irgendwo zu unserer Rechten sahen. Die Spitze war im Nebel nicht zu sehen, aber die fahlen Lichter leiteten die Fischerboote sicher heim. Wir sahen auch ein paar Häuser, doch die einzigen erleuchteten Lokale lagen unten in den Docks.

»Das ist ein ganz schön langer Abstieg«, stellte Aidan fest.

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte selbst keine Lust mehr, durch den Regen zu marschieren, obwohl ich einen Bärenhunger hatte und es dort wahrscheinlich was zu essen gab. »Am besten sparen wir uns den Weg. Da vorn sind ein paar Wohnhäuser.« Ich wies nach links auf die Gebäude, hinter deren Fenstern Licht zu sehen war. »Warum fragen wir nicht, ob einer von den Leuten uns sein Telefon benutzen lässt, damit wir –«

Meine Füße fingen an zu rutschen, und dann gab der Boden nach.

Ich ruderte mit meinen Armen durch die Luft, doch meine Finger rutschten von den Ästen und den Wurzeln, die ich packen wollte, einfach ab, und die verdammte Schlammlawine riss mich unbarmherzig mit.

»Scheeeeiße«, brüllte jemand hinter mir, denn offensichtlich hatte die Lawine auch die anderen erfasst.

Wir kämen nie im Leben unversehrt dort unten an. Das war´s.

Ich wurde unsanft hin und her geworfen, als ich über Steine, Pflanzen und wer weiß was rutschte, und am Ende landete ich unsanft in einer Pfütze, die mir fast bis zu den Schultern ging. »Verdammt!« Die anderen drei kamen auf mich zugeschossen, und ich hatte gerade noch Zeit, ein Stück nach links zu rutschen, damit meine Freunde mich nicht unter sich begruben, als sie mit drei lauten Platschern ebenfalls im Wasser landeten.

Dann saßen wir benommen da, sahen uns entgeistert um und fassten nicht, dass wir tatsächlich noch am Leben waren.

»Seid ihr okay?« erkundigte ich mich und überprüfte, ob womöglich eins von meinen Beinen, ein Arm oder irgendwas anderes gebrochen war. Die anderen nickten und wir rappelten uns auf und stiegen aus der Pfütze auf den Weg, auf dem man zu den Docks und zu den Lichtern, die wir von der Klippe aus gesehen hatten, kam.

»Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell hier runterkommt«, bemerkte Grant und schnipste einen Matschklumpen aus seinem Gesicht.

»Ein so beschissenes Männerwochenende hatte ich noch nie«, murmelte Aidan, und ich lachte bellend auf.

Auch meine Freunde fingen brüllend zu lachen an, wobei ich nicht hätte sagen können, ob Vergnügen oder Hysterie der Grund für ihr Gewieher war.

»Verdammt, was war das?«, fragte Grant am Schluss, und Trent stieß heiser aus: »Warum sind wir nicht tot?«

Wir atmeten tief durch, schüttelten den Schlamm so gut wie möglich ab und liefen durch die regennassen Straßen auf die Lichter zu. Das Holz der Docks war alt und knarzte unter unseren Füßen, doch zumindest war in diesem Teil des Ortes um diese Tageszeit noch etwas los. Die Lichter waren heller, und von irgendwo ein Stückchen vor uns drangen Stimmen an mein Ohr.

Dann tauchte plötzlich eine pittoreske Bar aus dem Nebel auf, und vor Erleichterung und Freude wäre ich fast losgerannt. Obwohl wir durch den Regen und den Nebel kaum etwas sahen, fand ich das warme Licht, die Stimmen und das Gelächter äußerst einladend und Aidan meinte ebenfalls: »Das sieht vielversprechend aus.«

Auf jeden Fall.

Ich öffnete die Tür, und als wir das Lokal betraten, wurden wir in den Geruch von Bier, leckerem Essen, Putzmittel und einem Hauch Moder eingehüllt.

Zu unserer Linken gab es einen hübsch verzierten, handgeschnitzten Mahagonitresen, über dem Laternen hingen, und dahinter waren jede Menge Flaschen in den an die rückwärtige Wand montierten, hell erleuchteten Regalen aufgereiht. Die Frau hinter der Bar hatte orangefarbenes Haar, und als sie uns entdeckte, hielt sie überrascht beim Schütteln ihres Silbershakers inne, und die Gäste, die die Barhocker besetzten, folgten ihrem Blick.

Wir standen da und tropften alles nass, und alle starrten uns verwundert an. »Hi«, sagte Trent, doch als er lächelnd winkte, grüßte niemand ihn zurück.

»Ich weiß nicht, ob der Laden hält, was er versprochen hat«, murmelte Aidan.

»Was hast du denn gedacht, was das hier ist? Wir sind hier in den Docks. Da gibt es nur Absteigen wie diese hier«, erklärte ich, und da genau in diesem Augenblick das Lied, das aus der Jukebox kam, vorbei war, hallte meine Stimme laut durch das Lokal, und plötzlich sahen die Gesichter, die uns vorher fragend angesehen hatte, geradezu erschreckend grimmig aus. Verdammt. So hatte ich es nicht gemeint, aber vor allem hätte niemand diese Worte hören sollen.

»Zu den Toiletten geht es da entlang«, klärte uns eine Frauenstimme schnippisch auf. »Falls ihr euch erst mal sauber machen wollt, bevor ihr hier den ganzen Fußboden verdreckt.«

Ich drehte meinen Kopf, doch plötzlich flackerte aufgrund des Unwetters das Licht. Trotzdem sah ich die Bedienung, die mit uns gesprochen hatte und auf unsere Füße starrte, folgte ihrem Blick und sah, dass ich in einer riesengroßen Schlamm- und Wasserpfütze stand. Sie stemmte wütend ihre Hände in die Hüften, und verlegen zogen meine Freunde die von Trent gekauften Nylonregenjacken aus. Die hatten wir alle in der Hoffnung, nicht vollkommen durchzuweichen, angezogen. Ich selbst aber stand wie angewurzelt da und starrte auf die junge Frau.

Sie trug ihr rabenschwarzes Haar in einem Pferdeschwanz, doch ein paar Strähnen hatten sich daraus gelöst und rahmten ihr Gesicht. Die leuchtend blauen Augen waren von dichten, schwarzen Wimpern und perfekt geschwungenen Brauen eingerahmt und ihre vollen Brüste zeichneten sich unter ihrem langärmligen, kragenlosen weißen Baumwollhemd ab, an dem die beiden oberen Knöpfe offen standen und mir einen Blick in ihren Ausschnitt boten.

Mein Gott. Sie sah fantastisch aus.

Mir wurde schwindelig, als würde ich nur träumen, dass ich in einer kleinen Hafenstadt an der Nordküste von Maine in einer schmuddeligen Bar gelandet war. Dann aber stieß mich Aidan an, und aus dem Augenwinkel sah ich, dass er mit halb über seinen Kopf gezogener Regenjacke und erhobenen Armen auf der Stelle hüpfte, weil er das verdammte Ding nicht aus bekam. Die Frau bedachte mich mit einem Blick, denn offensichtlich wartete sie darauf, dass ich irgendetwas sagte, weil ich momentan als Einziger von uns nicht in den Kampf mit einem nassen Kleidungsstück verwickelt war. Mit rauer Stimme stieß ich das Wort »Essen« aus. Ob ich vielleicht an Unterkühlung litt? Auf alle Fälle spielten meine Nerven gerade vollkommen verrückt.

Sie ließ den Blick an mir herunterwandern und verzog verächtlich das Gesicht. Das war ich nicht gewohnt, denn wenn die Frauen sonst an mir heruntersahen, drückten ihre Mienen für gewöhnlich unverhohlene Anerkennung aus.

Ich schaute selbst an mir herab, als hätte sich vielleicht etwas verändert, seit ich hier in diesem Kaff gelandet war. Doch nein. Ich war zwar durchnässt und hatte eine schlammverschmierte Cargohose und darüber eine hoffnungslos verdreckte Regenjacke mit dem Harvard-Logo an, doch davon abgesehen, sah ich so wie immer aus.

»Essen?«, wiederholte sie. »Will unser Harvardschnösel wissen, ob es hier etwas zu essen gibt?«

Harvardschnösel. Ja, okay, das hatte ich nach der Beleidigung, die gar nicht so gemeint gewesen war, auf jeden Fall verdient. Inzwischen war es Trent gelungen, die verfluchte Regenjacke über seinen Kopf zu zerren. Er schüttelte sich wie ein Hund, und als das Wasser spritzte, riss mich das aus dem bizarren Traum, in dem ich bei Betreten des Lokals gelandet war. Wahrscheinlich war der Wetterumschwung schuld, dass ich vorübergehend derart aus dem Gleichgewicht geraten war, und eilig setzte ich ein breites Lächeln auf. »Genau. Serviert ihr noch etwas zu essen?«

»Unsere Küche ist bis zehn geöffnet«, klärte sie mich seufzend auf und bot uns mit einer vagen Handbewegung einen der freien Tische an. Die anderen Leute hatten sich inzwischen wieder ihren Gesprächen zugewandt, und es drangen Stimmen und Gelächter an mein Ohr.

»Sehr gut …« Ich blickte auf das Namensschild an ihrem Hemd. »Cakes.«

Sie wirkte kurz verwirrt, dann aber sah sie selbst auf ihr Namensschild. »Unser Lokal heißt Cakes and Ale.«

Auch ich sah noch mal auf das Schild und stellte fest, dass das and Ale wie das Wort darüber – offenbar ihr Name – stark verblichen und deswegen nicht mehr lesbar waren.

»Die Leute kennen mich.« Anscheinend wollte sie mir damit sagen, dass es keine Rolle spielte, dass ihr Name nicht zu lesen war, doch ehe ich etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und ging davon.

»Am besten machen wir uns erst mal etwas sauber, rufen einen Abschleppwagen und bestellen uns was zu essen, bis er kommt.« Dann wandte ich mich wieder an die junge Frau, die, eine Küchenrolle in der Hand, zurückgekommen war, um die von uns im Eingang hinterlassene Pfütze aufzuwischen, während meine Freunde bereits auf dem Weg in Richtung der Toiletten waren. »Können wir frei wählen, wo wir sitzen wollen?«

Sie nickte knapp. »Vielleicht steht ja Jim Moseley noch mal auf, um euren Wagen abzuschleppen«, meinte sie, und als sie sich vornüberbeugte, um die Pfütze aufzuwischen, konnte ich in ihrem Ausschnitt ihren Spitzenbüstenhalter und den Rand ihrer glatten, weichen Brüste sehen und stellte fest, dass eine nasse Hose, wenn man einen Ständer hatte, alles andere als komfortabel war. Ich räusperte mich unbehaglich und zwang mich, woanders hinzusehen.

»Aber die Werkstatt macht erst morgen wieder auf.«

»Tja. Wir brauchen keine Werkstatt hier im Ort. Wir haben ein Hotel in Claremont Landing, deshalb schleppt er unseren Wagen besser gleich dorthin.«

Sie richtete sich wieder auf, warf die nassen Tücher in den Mülleimer neben der Bar und klemmte sich die Rolle unter ihren Arm. »So weit wird er nicht fahren.«

»Okay. Dann rufen wir am besten einen Abschleppdienst von dort.«

»Da wünsche ich viel Glück. Ich glaube nämlich nicht, dass der um diese Uhrzeit noch geöffnet hat. Ich komm schon, Ted«, rief sie und schlenderte an einen Tisch, an dem ein Trio älterer Männer saß.

Ich schlappte meinen Freunden hinterher auf die Toilette, um mir mit Papierhandtüchern den verbliebenen Schlamm von meinen Kleidern abzuwischen und war froh, dass dank der Regenjacke wenigstens mein Polohemd trotz Regen, Schlammlawine und der Landung in der Riesenpfütze halbwegs sauber war. »Verdammt, ich wusste nicht, dass es noch Automaten für Kondome gibt«, bemerkte Grant, bevor er ein paar nasse Dollarscheine in den Schlitz des Automaten schob. Dann warf er jedem von uns eins der einzeln eingepackten Dinger hin und meinte augenzwinkernd: »Man kann nie wissen.«

Augenrollend steckte ich das rote Päckchen ein und tupfte meine Schuhe ab. Zum Glück waren wir in einer warmen Bar, in der wir einen Shot bestellen konnten, um uns von innen aufzuwärmen. Wenngleich wir ganz bestimmt nicht froren. Tatsächlich dampften wir.

Na toll.

»He Jungs, im Grunde ist es wirklich witzig und vor allem eine super Story, findet ihr nicht auch?«, versuchte Trent die Stimmung aufzuhellen und lachte, als er unsere bösen Mienen sah, verlegen auf. »Okay, vielleicht ist es dafür ja noch zu früh.«

Wir gingen wieder ins Lokal und setzten uns an einen Tisch im hinteren Bereich neben dem Billardtisch.

»Verdammt.« Verzweifelt wischte Grant sein Smartphone an der Vorderseite seines Polohemdes ab. »Das Ding ist hin.«

Ich zog mein Smartphone aus der Tasche, doch als ich es anstellen wollte, blieb der Bildschirm schwarz. »Verflucht.« Ich hatte es in meiner Hosentasche vor dem Regen schützen wollen, doch die Schlammlawine und die Landung in der Pfütze hatten ihm anscheinend den Garaus gemacht. Trent hatte seins schon in den Schlamm fallen lassen, ehe wir ins Tal geschlittert waren, und Aidan warf sein Smartphone traurig auf den Tisch und meinte: »Das tut keinen Mucks mehr, aber vielleicht haben sie hier ja trockenen Reis.«

Ich rollte mit den Augen, denn ich wagte ernsthaft zu bezweifeln, dass ein bisschen trockener Reis den Dingern jetzt noch half.

»Was darf´s denn sein?«, fragte die schwarzhaarige, blauäugige Frau, und wieder wogte ein Gefühl des Schwindels in mir auf, denn sie war einfach wunderschön, und derart strahlend blaue Augen hatte ich bislang nie gesehen. Natürlich war ich schon mit jeder Menge wunderschöner Frauen ausgegangen, aber schwindlig war mir bei keiner geworden.

»Gage? Hallo?«

Ich zwang mich in die Gegenwart zurück. Die anderen hatten schon bestellt, deswegen war die Reihe jetzt an mir. Worum ging es noch mal? Genau. Ich sollte was bestellen. »Essen.«

Wieder zog sie ihre dunkle Braue hoch. »Darf´s was Bestimmtes sein, oder soll ich was aussuchen?«

Ich stieß ein dünnes Lachen aus. »Es tut mir leid. Es war ein anstrengender Abend. Ah. Ein Burger wäre toll. Am liebsten medium rare. Und ein Glas von Ihrem besten Bourbon.«

Sie schrieb sich alles auf, schob ihren Block in ihre Schürze und sah Aidan an. »Ich würde eher sagen, dass das Handy keinen Mucks mehr macht.«

Er sah sie fragend an.

»Du hast gesagt, es würde keinen Mucks mehr tun, aber es heißt, dass etwas keinen Mucks mehr macht. Ich hatte bisher nie die Chance, einen Harvardabsolventen zu verbessern, und ich will die Gelegenheit nicht einfach ungenutzt verstreichen lassen«, klärte sie ihn auf.

Kopfschüttelnd griff er abermals nach seinem Telefon, als hätte er die Wendung googeln wollen, und warf es, als ihm einfiel, dass es nicht mehr funktionierte, auf den Tisch.

Sie machte auf dem Absatz kehrt, und als sie wieder ging, sah ich ihr hinterher und nahm den wunderbaren Hüftschwung, den sie hatte, wahr. Mein Gott.

Kopfschüttelnd stellte Aidan fest: »Natürlich irrt sie sich, aber sie sieht –«

»… aus wie eine Zuckerschnitte«, entfuhr es mir, und meine Freunde starrten mich mit großen Augen an.

»Verdammt, wie´s aussieht, hat sich Gage in das Servierfräulein verguckt.« Grinsend warf Aidan seine Hände in die Luft und zeigte dadurch seinen Ehering. »Da hat er aber wirklich Glück, dass ich bereits vergeben bin und diese beiden Loser keine Chance haben gegen ihn.«

Servierfräulein. Warum nur hätte ich dem Kerl für dieses Wort am liebsten eine reingehauen? Denn auch wenn meine beiden anderen Freunde leise knurrten, widersprachen sie ihm nicht. Ich atmete tief durch, denn bisher hatte ich es Aidan ebenfalls immer durchgehen lassen, wenn er so herablassend von Frauen sprach, und es war völlig lächerlich, dass ich deshalb jetzt plötzlich sauer auf ihn war. Vor allem, weil ich diesem Mädchen offenkundig völlig schnuppe war.

»Hört zu, wir werden einfach etwas essen und dann wieder gehen«, erklärte ich den dreien. »Deswegen ist es vollkommen egal, ob einer von uns eine Chance bei ihr hätte oder nicht.«

Sie kam kurz darauf mit einem voll beladenen Tablett aus Richtung Bar, und als ich ihr kurz winkte, rollte sie zwar mit den Augen, fragte aber übertrieben freundlich: »Ja?«, als sie mit unseren Getränken kam.

»Anscheinend geht keins unserer Smartphones mehr. Haben Sie ein Telefon, mit dem wir diesen Jim anrufen können, damit er mit seinem Abschleppwagen kommt?«

»Er hat nur einen Truck, mit dem er auch was ziehen kann.«

Ich starrte sie mit großen Augen an. »Ah … nun, haben Sie also vielleicht ein Telefon, mit dem ich diesen Jim mit seinem Truck anrufen kann?«

Sie schüttelte den Kopf. »Der schläft jetzt schon.« Dann stützte sie sich mit den Händen auf den Tisch, beugte sich zu mir vor, und ich erhaschte einen Hauch von ihrem Duft. Sie roch nach Orchidee und Jasmin, nach Salzwasser und ganz dezent nach irgendetwas, das ich nicht benennen konnte, das aber der Grund für meinen Schwindel war. Ich reckte unauffällig meinen Kopf, um mehr von dem Geruch in meine Lungen einzusaugen, ehe sie mich wenig sanft aus der Geruchs-Trance riss. »Aber, Harvardschnösel, wenn du eine Runde für die Gäste ausgibst, rufe ich bei seiner Frau an, damit die ihn weckt. Um diese Zeit guckt Patrice meist noch eine ihrer heiß geliebten Netflixserien, also haben wir vielleicht Glück.«

Patrice? Wer ist Patrice? Mein umnebeltes Gehirn nahm mühsam seine Arbeit wieder auf. Jim. Truck. Patrice. Alles klar. Sie wollte mit mir spielen, und als ich sie aus zusammengekniffenen Augen ansah, starrte sie mich reglos an. Ich wurde abermals in ihren herrlichen Geruch gehüllt, und unsichtbare Funken stoben durch den Raum. »So was nennt man Erpressung, Cakes.«

Ich hätte fast gestöhnt, als sie sich mit der Zungenspitze über ihre Schneidezähne fuhr, dann aber stieß sie sich vom Tisch ab und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Das ist ein ziemlich großes Wort. Ich zwinge dich zu nichts, und die Entscheidung liegt allein bei dir.« Mit einem Seufzer hob sie eine ihrer Hände vors Gesicht und sah sich ihre Fingernägel an. »Ich hoffe nur, dass sie nicht ausgerechnet heute Abend einmal früher in der Falle liegt.«

Ich lachte widerstrebend auf, denn schließlich hatte sie mich wirklich in der Hand. »Okay. Lokalrunde.« Ich zerrte eine meiner Karten aus dem aufgeweichten Portemonnaie und drückte sie ihr in die Hand. »Wenn du so freundlich wärst, Patrice zu bitten, Trucker Jim zu wecken, wäre das sehr nett.«

Mit einem strahlenden Lächeln nahm die kleine Intrigantin mir die Karte ab und schlenderte zurück in Richtung Bar.

»Ich glaube nicht, dass sie dich mag«, bemerkte Trent und gönnte sich den ersten großen Schluck von seinem Bier.

»Mich mag jeder«, antwortete ich, weil das die Wahrheit war. Ich gab den Leuten keinen Grund, mich nicht zu mögen, und ich hätte auch der Handvoll Menschen, die ich im Verlauf der Jahre irgendwann einmal zurückgewiesen hatte, niemals wehtun wollen, denn ich hasste jede Form von Streit.

Auch diesem wunderschönen Mädchen gegenüber hatte ich mich durch und durch korrekt verhalten, hatte ihre hübschen Brüste nur bewundert, während sie in eine andere Richtung schaute, und um meinen Blick auf ihren straffen Hintern zu bemerken, hätte sie ein zusätzliches Augenpaar im Hinterkopf gebraucht.

Wenn sie mich also mit Verachtung strafte und mich einen Harvardschnösel nannte, konnte das nur daran liegen, dass sie Vorurteile hatte oder schon des Öfteren irgendwelchen reichen Jungs begegnet war, die sich für etwas Besseres hielten als die Arbeiter, die hier in der Bar versammelt waren. Und dass ich das Lokal als Absteige bezeichnet hatte, nahm sie ganz bestimmt nicht für mich ein.

»Wie wäre es mit einer Runde Billard?«, fragte Aidan, und Grant nickte.

»Sicher. Warum nicht?«

Seufzend kippte ich den Bourbon runter, der verblüffend weich durch meine Kehle rann und dessen herrlicher Vanille-Nuss-Geschmack im Abgang zeigte, dass es anders als vermutet hier statt irgendwelchen Billigfusels wirklich edle Brände gab.

»Ich spiele mit«, meinte auch Trent.

Ich drehte leicht den Kopf und stellte fest, dass Aidan schon beim Einsammeln der Kugeln war. Die anderen spielten eine halbe Stunde bevor die Bedienung aus dem Hinterzimmer kam, an unseren Tisch trat und erklärte: »Glück gehabt. Patrice hat tatsächlich noch ferngesehen und Jim geweckt.«

Wer hätte das gedacht?

Ich sagte möglichst freundlich: »Vielen Dank. Es war sehr nett, dass du dort angerufen hast.«

»Und wo steht der Wagen?«

»Meilenstein vierzehn«, sagte Grant aus Richtung Billardtisch und zeigte hinter sich. »Auf dieser stockfinsteren Straße, über die man in den Ort gelangt.«

»Marke und Modell?«

»Lexus LS.«

»Dann brauche ich jetzt noch den Schlüssel.«

»Den können wir Jim doch geben, wenn er kommt.«

»Tja, nun, er kommt hier nicht vorbei. Die Straßen hier im Hafen sind zu eng für seinen Truck. Aber wenn ihr eine zweite Runde ausgebt, findet sich bestimmt jemand, der ihm die Schlüssel bringt.«

»Und wer soll dieser Bote sein?«

»Wer?«

»Genau. Ich wüsste gern, wer ihm die Schlüssel bringen soll.«

»Äh … Ernest von nebenan macht seinen Laden gleich für heute zu und kann ihn mitnehmen, weil er ganz in ihrer Nähe wohnt.«

»Ernest?«

»Mm-hmm.«

»Und wie heißt dieser Ernest weiter?«

»Ernest … Buffalobeam.«

»Buffalobeam?« Ich blickte auf die Deckel von den Bourbonfässern, die die Wände schmückten und mit Logos unter anderem von Buffalo Trace sowie Jim Beam versehen waren.

»Und was für ein Geschäft betreibt der Mann?«

Sie sah unter die Decke, wandte sich mir wieder zu und meinte: »Er hat einen Lampenladen.«

»Einen Lampenladen?«

»Ja, genau. Wir brauchen schließlich alle Lampen, wenn wir was im Dunkeln sehen wollen.«

»Das stimmt.« Wir sahen uns weiter aus zusammengekniffenen Augen an und kämpften heldenhaft gegen ein Grinsen an. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass der Truck von diesem Jim problemlos durch die engen Straßen hätte fahren können und sie mich im Grunde nur dazu bewegen wollte, eine weitere Runde auszugeben, weil das gut für ihren Laden war. »Gib ihr die Schlüssel, Trent.«

»Und was, wenn dieser Ernest dann nie wiederkommt?«

»Wo soll er denn mit einem Wagen, der mit einem platten Reifen irgendwo am Straßenrand steht, hin?«, mischte sich Aidan ein.

»Vielleicht klaut er ja unsere Sachen,« meinte Trent und flüsterte so laut, dass es im ganzen Raum zu hören war. »Wir haben schließlich unser ganzes Zeug im Kofferraum.«

»Ernest ist ganz bestimmt kein Dieb und hat vor allem bereits mehr als genügend Poloshirts und Boxer Shorts von Calvin Klein.«

Mit einem leisen Pfeifen sagte ich: »Das klingt, als ob du jede Menge Vorurteile hättest, Cakes.«

»Woher weiß dieses Mädchen, was in meiner Tasche ist?«, flüsterte Trent erneut so laut, dass Aidan ihn mit seinem Ellenbogen in die Rippen stieß und er mit einem leisen »Autsch« die Schlüssel aus der Tasche nahm und unserer Bedienung überließ.

Sie kehrte uns den Rücken zu und rief: »Die Jungs hier geben noch eine Runde aus.«

Die anderen Gäste jubelten und während wir eine Runde Billard spielten und die Drinks, die ich hatte spendieren müssen, tranken, stellte Cakes uns unser Essen auf den Tisch und meinte: »Jim hat gerade angerufen und gesagt, dass er den Wagen in die Werkstatt bringt, das heißt, dass er am Morgen sicher einen neuen Reifen kriegen wird. Noch eine Runde?«

»Warum nicht. Wir müssen schließlich nicht mehr fahren.«

Lächelnd und mit einem Augenzwinkern wandte sie sich wieder ab, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass wir, selbst wenn unsere Telefone funktionieren würden und wir uns ein Uber rufen könnten, das uns nach Claremont Landing brächte, morgen noch mal wiederkommen müssten, um den Wagen abzuholen. Und da wir sowieso nicht mehr an unsere Sachen kamen, hätte sich dieser Aufwand sicher nicht gelohnt. Ich hätte vielleicht fragen sollen, ob dieser Jim mit seinem Truck die Taschen mitbringen könnte, aber dafür war es jetzt zu spät.

Dann kam das Mädchen wieder aus der Küche, und ich stellte meinen Billardstock zur Seite und ging dorthin, wo sie einen Tisch abwischte, der vor Kurzem wieder frei geworden war. Als sie mich kommen hörte, drehte sie sich um und sah mich mit hochgezogenen Brauen an.

»Ich traue mich fast nicht, zu fragen, aber wenn wir heute Abend nicht mehr weiterkommen, bräuchten wir hier auch eine Übernachtungsmöglichkeit.«

Sie warf sich das Geschirrtuch über eine Schulter und bot mir mit einem hübschen Lächeln an: »Ich kann bei Mimi Jenkins fragen, ob das Zimmer über der Garage ihres Hauses, das sie ab und zu vermietet, zu haben ist.«

Ein Zimmer über der Garage klang nicht unbedingt verlockend, doch ich würde ihr bestimmt nicht den Gefallen tun, den verwöhnten Harvardschnösel rauszukehren, und vor allem wäre es ja nur für eine Nacht. »Und was wird mich das kosten?«

»Ein, zwei Runden sind doch ganz bestimmt noch drin.«

»Du hast den Bogen wirklich raus.«

Sie stimmte in mein Lachen ein, zwinkerte mir, als sie sich zum Gehen wandte, erneut zu, und als ich selbst zurück zu meinem Tisch ging und mein Spiegelbild im Glas eines gerahmten Fotos an der Wand erblickte, hatte ich noch immer ein vergnügtes Lächeln im Gesicht. Und das, obwohl ich von dem Mädchen ausgenommen wurde wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans.

Weil du ihr hübsches Lächeln, ihre leuchtend blauen Augen und die Art, wie sie dich ansieht, magst, obwohl sie dich für praktisch jeden ihrer Blicke eine neue Runde blechen lässt.

Das war echt jämmerlich. Was mir so gar nicht ähnlichsah. Normalerweise war ich immer ruhig und ausgeglichen, aber jetzt …

Als ich zurückkam, sah mich Aidan fragend an. »Was grinst du so?«

»Ich grinse, weil ich dich beim Billard fertigmachen werde«, gab ich gut gelaunt zurück und rieb die Spitze meines Queues mit Kreide ein. »Na los, geh aus dem Weg.«

Dann wurden uns die nächsten Shots gebracht, doch da ich halbwegs nüchtern bleiben wollte, rührte ich mein Glas nicht an. Ich zog auch Grant beim Billard ab, zum einen, weil ich besser war als er, zum anderen, weil er inzwischen merklich angetrunken war, und als ich nach Versenken meiner letzten Kugel aufsah, brachte uns die kleine Gaunerin tatsächlich eine weitere Runde an den Tisch. »Mimi legt den Schlüssel unter ihre Fußmatte. Zu eurem Zimmer geht es die Treppe rauf, aber am besten werft ihr eure Sachen vorm Zubettgehen in den Trockner, der in der Garage steht. Der Hund, der dort sein Bett hat, ist normalerweise lieb, am besten tut ihr aber einfach trotzdem so, als ob ihr ihn nicht seht. Ich habe mich für euch verbürgt, also benehmt euch, ja?«

»Warum hast du das für uns getan?« Obwohl sie mich problemlos all die Runden zahlen ließ, kam es mir nicht so vor, als ob wir ihr sympathisch wären.

Sie klopfte sich mit dem Tablett gegen das Bein. »Auch wenn ihr Harvardschnösel seid, kommt ihr mir nicht wie Typen vor, die einer alten Dame wegen einer Rechnung an die Gurgel gehen.«

Ich beugte mich leicht zu ihr vor und stellte drohend fest: »Du könntest dich auch in uns täuschen, Cakes.«

Sie lächelte mich wissend an, und plötzlich stockte mir der Atem, so als hätte sie mir in den Bauch geboxt. »Ach was.«

Ich lächelte zurück, wenngleich mein eigenes Lächeln etwas wacklig und benommen war. Dann flog etwas direkt an meinem linken Ohr vorbei und riss mich, als es in der Wand an meiner Seite stecken blieb, aus meiner Trance. Was, zur Hölle?

Ich riss meinen Kopf herum und sah, dass Grant, mit einem weiteren, wurfbereiten Pfeil in seiner Hand, verwundert auf die Dartscheibe, die nicht mal in der Nähe meines Schädels an der Wand hing, starrte. Trotz der Entfernung hätte er mich fast mit seinem ersten Pfeil durchbohrt.