Grayson´s Vow. Der Preis deines Herzens - Mia Sheridan - E-Book

Grayson´s Vow. Der Preis deines Herzens E-Book

Mia Sheridan

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Beschreibung

Ein Deal, der perfekt sein könnte. Wenn die Liebe nicht wäre … Ein dramatischer Roman über eine Fake-Ehe von der New York Times-Bestsellerautorin der TikTok-Sensation »Archer´s Voice« »Warum jagten die Gefühle, die ich für sie hatte, mir nur einen solchen Schreck ein?« Kira ist hübsch, klug – und obdachlos. Aufgewachsen als Tochter aus reichem Hause, hat sie nach einem Streit den Kontakt zu ihrem gewalttätigen Vater abgebrochen und steht nun mittellos auf der Straße. Ihre einzige Hoffnung ist das Geld, das sie von ihrer Großmutter erben wird. Doch das Erbe bekommt sie erst an ihrem 30. Geburtstag oder wenn sie heiratet.  Auch der attraktive Grayson ist verzweifelt. Bevor sein Vater starb, hat er ihm versprochen, das Weingut der Familie zu retten, das vor dem Ruin steht. Doch Grayson ist vorbestraft und bekommt keinen Kredit.  Obwohl die beiden sich nur flüchtig kennen, gehen sie einen Deal ein: Eine fingierte Ehe, damit das Erbe ausgezahlt wird, das sie sich dann teilen wollen. Nach einem Jahr folgt die Scheidung. So der Plan. Doch je länger sie zusammenleben, desto häufiger flammen leidenschaftliche Gefühlen zwischen ihnen auf. Und schließlich holen die Dämonen aus der Vergangenheit sie ein …

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Dieses Buch enthält mögliche triggernde Inhalte

© Mia Sheridan 2015

© Piper Verlag GmbH, München 2024

© die deutsche Erstausgabe erschien erstmals 2018 unter dem Titel »Der Preis deines Herzens« beim Piper Verlag GmbH, München

Titel der amerikanischen Originalausgabe »Grayson’s Vow«, CreateSpace Independent Publishing Platform 2015

Published by arrangement with Bookcase Literary Agency and Brower Literary & Management

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Uta Hege

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Eileen Carey/No Fuss Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

1 – Kira

2 – Grayson

3 – Kira

4 – Grayson

5 – Kira

6 – Grayson

7 – Kira

8 – Kira

9 – Grayson

10 – Kira

11 – Grayson

12 – Kira

13 – Grayson

14 – Kira

15 – Grayson

16 – Kira

17 – Kira

18 – Grayson

19 – Kira

20 – Grayson

21 – Kira

22 – Kira

23 – Grayson

24 – Grayson

25 – Kira

Epilog

Danksagungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Dieses Buch widme ich meiner Grandma.Du hast mir immer kluge Ratschläge erteilt, hattest stets ein offenes Ohr, ein liebendes Herz, und fehlst mir jeden Tag.

»Sorge dich nicht, mein Schatz,

das Universum bringt immer alles ins Gleichgewicht.

Seine Wege sind vielleicht geheimnisvoll,

doch stets gerecht.«

Grandma Isabelle Dallaire

1 – Kira

Es war erst neun Uhr morgens, aber jetzt schon nahm der Tag auf meiner langen Liste schwarzer Tage einen der vorderen Plätze ein. Ich stieg aus meinem Wagen, atmete tief durch und machte mich auf den Weg zur Napa Valley Savings Bank. Die milde, spätsommerliche Brise wehte mir den süßen Duft nachtblühenden Jasmins entgegen, und ich seufzte, als ich vor die Glastür des Gebäudes trat. Ich empfand die Friedlichkeit und Schönheit der Umgebung beinah als Affront. Die Wärme und der Sonnenschein standen in deutlichem Kontrast zu meiner trüben Stimmung, aber der Gedanke, dass das Wetter sich an meiner Stimmung orientieren sollte, war natürlich arrogant.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine gut gelaunte Bankangestellte, als ich vor den Schalter trat.

»Ja.« Ich schob ihr meinen Ausweis und ein altes Sparbuch hin. »Ich möchte dieses Sparbuch kündigen.« Auf einer umgeklappten Ecke meines Sparbuchs hatte meine Oma ein paar Zahlen eingetragen und mir beigebracht, wie man am einfachsten den Überblick über die Einlagen behielt. Die Erinnerung zerriss mir fast das Herz, doch ich behielt mein – wie ich hoffte – nettes Lächeln bei, und ebenfalls mit einem Lächeln schlug die junge Frau das Sparbuch auf und gab die Nummer in ihren Computer ein.

Ich dachte an den Tag zurück, als ich zum ersten Mal mit meiner Grandma auf der Bank gewesen war. Voller Stolz hatte ich damals mit meinen zehn Jahren die ersten fünfzig Dollar auf das Sparbuch eingezahlt, die ich von ihr als Lohn für Gartenarbeiten bekommen hatte. Im Verlauf der Jahre hatten wir die Bank mit schöner Regelmäßigkeit besucht.

Grandma hatte mich den wahren Wert des Geldes gelehrt: Man musste es mit anderen teilen und Gutes damit tun. Gleichzeitig konnte man selbst erst dann eine gewisse Freiheit genießen, wenn man finanziell von anderen Menschen unabhängig war. Die Tatsache, dass ich im Augenblick kaum Geld, fast keine Möglichkeiten und nur noch so wenige Besitztümer hatte, dass sie in den Kofferraum meines Wagens passten, zeigte mir, wie richtig ihre Theorie gewesen war. Denn ich war alles andere als frei.

Die Angestellte hob den Kopf und sah mich an. »Zweitausendsiebenundvierzig Dollar, sechzehn Cents.«

Ich nickte. Das war sogar etwas mehr, als ich erhofft hatte, und ich atmete auf. Ich brauchte jeden Cent. Mit verschränkten Händen wartete ich, während sie mir diese Summe ausbezahlte.

Sobald das Geld in meiner Tasche steckte, wünschte ich der jungen Frau noch einen guten Tag und wandte mich zum Gehen. Am Trinkbrunnen neben dem Ausgang blieb ich noch mal kurz stehen. Ich benetzte meine Lippen mit dem kühlen Wasser, als ich eine Stimme hörte, die aus einem der Besprechungszimmer um die Ecke kam. »Grayson Hawthorn, angenehm.«

Langsam richtete ich mich wieder auf und wischte mir die Unterlippe mit dem Daumen ab. Grayson Hawthorn … Grayson Hawthorn?

Diesen Namen kannte ich. Ich hatte ihn vor Jahren mit Flüsterstimme mehrmals vor mich hin gemurmelt, als ich meinem Vater einen Kaffee brachte und mein Blick dabei auf die geschlossene Akte auf seinem Schreibtisch gefallen war. Könnte dies derselbe Grayson Hawthorn sein?

Ich spähte um die Ecke, konnte aber nur eine geschlossene Bürotür mit hinter dem Glas herabgelassenen Jalousien sehen.

Entschlossen ging ich in den Waschraum, der dem Zimmer gegenüberlag, zog die Tür hinter mir zu und lehnte mich gegen die Wand.

Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Grayson Hawthorn hier in Napa lebte. Die Verhandlung gegen ihn hatte in San Francisco stattgefunden, und was auch immer sein Verbrechen war, wahrscheinlich hatte er es dort verübt. Mein Vater hatte damals flüchtiges Interesse an dem Fall gezeigt. Mit zusammengebissenen Zähnen trat ich an das Becken, wusch mir die Hände und starrte mich im Spiegel an.

Dann schob ich vorsichtig die Tür des Waschraums wieder auf und spitzte meine Ohren, konnte aber nur gedämpfte Stimmen hören. Bis die Bürotür plötzlich geöffnet wurde und ein zweiter Mann im Anzug – sicherlich der Vorgesetzte der Person, die schon mit Grayson sprach – den Raum betrat. Er schob die Tür wieder ins Schloss, doch sie blieb einen schmalen Spalt weit offen stehen. Wieder spitzte ich die Ohren und konnte endlich etwas verstehen.

Also bitte, Kira. Schäm dich. Was willst du dadurch erreichen, dass du heimlich dem Gespräch dieser drei Männer lauschst? Was ist bloß mit dir los?

Ich ignorierte meine eigene Schelte und presste mein Ohr auch weiter an den Spalt der Waschraumtür.

Diesen alles andere als glorreichen Moment in meinem Leben würde ich in meinen Memoiren einfach auslassen. Es wäre besser, wenn niemand je erführe, wie entsetzlich indiskret und krankhaft neugierig ich manchmal war.

Wieder drangen ein paar Worte aus dem anderen Raum. »Tut mir leid … Gewaltverbrecher … diese Bank … kann unglücklicherweise nicht …«

Gewaltverbrecher? Dieser Grayson Hawthorn musste der sein, dessen Name mir schon damals aufgefallen war. Im Grunde wusste ich nicht das Geringste über ihn. Außer seinem Namen nur, dass er damals vor Gericht gestanden hatte und von meinem Vater wie so viele andere als Schachfigur benutzt worden war. Das hatte er mit mir gemein. Doch mein Vater ruinierte derart regelmäßig und gedankenlos die Leben anderer Menschen, dass ihm der Name dieses Opfers wahrscheinlich längst entfallen war.

Natürlich war es reiner Zufall, dass wir beide heute Morgen in derselben Bank gelandet waren, und ich hatte keine Ahnung, warum ich noch immer heimlich ein Privatgespräch belauschte, das für mich im Grunde nicht mal ansatzweise von Interesse war. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass ich von Natur aus neugieriger als die meisten anderen Menschen war.

Ich holte Luft und wollte gerade gehen, als ich gegenüber Stühle rücken hörte und noch einmal innehielt. Anscheinend war die Bürotür in der Zwischenzeit ganz geöffnet worden, denn die Stimmen waren plötzlich deutlich zu verstehen.

»Leider, Mr Hawthorn, kann ich Ihnen dieses Darlehen nicht gewähren«, stellte eine der drei Stimmen bedauernd fest. »Wenn Sie irgendwas zu bieten hätten, irgendeinen Wert …«

Eine andere Stimme, vermutlich die von Grayson, fiel dem Mann ins Wort. »Verstehe. Vielen Dank, dass Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, Mr Gellar.«

Ich erhaschte einen kurzen Blick auf einen großen Mann mit dunklem Haar in einem grauen Anzug, zog die Tür des Waschraums vorsichtig zu, wusch mir abermals die Hände und trat dann wieder in den Flur.

Durch die offene Bürotür sah ich die beiden anderen Männer noch am Schreibtisch sitzen, der Mann im grauen Anzug musste also offenbar der abgewiesene Bankkunde gewesen sein, der bereits gegangen war.

Ich trat selber wieder in den hellen Sommertag hinaus, ging zurück zu meinem Wagen und stieg ein. Statt jedoch sofort den Motor anzulassen, blieb ich noch kurz sitzen und sah mir die hellen, sauberen Markisen vor den Türen der Geschäfte und die großen Kübel voller bunter Blumen auf den Bürgersteigen an. Die Innenstadt von Napa war einfach idyllisch, und ich liebte sie, genauso wie den Fluss und wie die Weinberge der Gegend, die auch noch im Winter nach der Traubenlese dank der leuchtend gelben, wilden Senfblumen, die dort wuchsen, herrlich anzusehen waren. Nach Großvaters Tod hatte sich meine Grandma in den kleinen Ort zurückgezogen, und ich hatte alle meine Sommerferien in ihrem kleinen Häuschen mit der riesigen Veranda in der Seminary Street verbracht. Egal, wohin ich sah, überall entdeckte ich ihr freundliches Gesicht, hörte ihre Stimme, spürte ihre warme Herzlichkeit.

Sie hatte oft zu mir gesagt: Egal, wie schlimm der Tag auch ist, halte durch, denn vielleicht fängt ja morgen schon der schönste Tag in deinem Leben an.

Ich atmete tief durch und kämpfte gegen das Gefühl der Einsamkeit, das wieder einmal in mir aufsteigen wollte. Ach, Grandma, wärst du doch noch hier. Dann würdest du mich in die Arme nehmen und mir sagen, dass alles gut wird. Und ich könnte es glauben, weil du mich in meinem ganzen Leben nie belogen hast.

Ich kniff die Augen zu, lehnte den Kopf zurück und stieß mit leiser Flüsterstimme aus: »Bitte, Grandma, hilf mir. Ich weiß nicht mehr weiter, und ich bin verloren ohne dich. Gib mir doch ein Zeichen. Sag mir, was ich tun soll. Bitte.«

Hinter meinen Augen brannten die seit viel zu langer Zeit zurückgehaltenen Tränen, doch ich blinzelte sie fort, schlug meine Augen wieder auf – und nahm im Rückspiegel des Wagens eine flüchtige Bewegung wahr. Eilig drehte ich den Kopf und fuhr zusammen, als ich einen großen, gut gebauten Mann in einem grauen Anzug auf dem Gehweg hinter meinem Wagen stehen sah. Es war Grayson Hawthorn, und solange er an dieser Stelle stand, konnte ich ihn bequem betrachten. Ich rutschte etwas tiefer und lehnte mich in die Polster meines Sitzes, um ihn mir genauer anzuschauen.

Er hatte den Kopf zurückgelegt, seine Augen waren geschlossen, und ein gequälter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Vor allem aber sah er … o mein Gott, er sah einfach fantastisch aus. Mit einem fein gemeißelten Gesicht, eine Spur zu langem, beinah schwarzem Haar, das sich über dem Kragen seines Hemdes lockte, und so sinnlich vollen Lippen, dass mein Blick daran hängen blieb.

Ich versuchte blinzelnd, seine makellosen, maskulinen Züge bis in alle Einzelheiten zu erforschen, ehe ich den Blick an ihm herunterwandern ließ. Auch der geschmeidig muskulöse Körper mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften war nicht zu verachten.

Also bitte, Kira, schalt ich mich. Das ist wohl kaum der rechte Augenblick, um einen, wenn auch durchaus attraktiven, Ex-Häftling mit Blicken auszuziehen. Du hast erst mal ganz andere Sorgen. Du bist obdachlos, und du hast keinen Schimmer, wie es für dich weitergehen soll. Also konzentrier dich erst mal darauf, ja?

Ich knabberte an meiner Unterlippe, doch noch immer konnte ich den Blick nicht von ihm lösen, und mir ging die Frage durch den Kopf, wofür er damals überhaupt verurteilt worden war.

Ich versuchte, wieder geradeaus zu blicken, aber irgendetwas an ihm zog mich magisch an. Nicht nur seine dunkle Schönheit, sondern auch oder vor allem sein Gesichtsausdruck, der spiegelte, was im Moment auch in mir selbst vorging.

Wenn Sie irgendwas zu bieten hätten, irgendeinen Wert …

»Bist du auch verzweifelt, Grayson Hawthorn?«, murmelte ich leise. Und falls ja, warum?

Er richtete sich wieder auf, massierte sich die Schläfen und sah sich nach allen Seiten um. Eine Frau, die gerade an ihm vorüberging, drehte ihren Kopf und unterzog ihn einer eingehenden Musterung. Er schien es nicht zu bemerken, und zu ihrem Glück sah sie – zwar enttäuscht, aber rechtzeitig – wieder nach vorn, bevor sie gegen einen der Laternenmasten, die den Gehweg säumten, stieß. Ich lachte leise auf, doch Grayson blickte sich erneut mit leeren Augen um.

Als Nächstes näherte sich ihm ein offensichtlich obdachloser Mann. Er hatte auch schon anderen Passanten seine umgedrehte Mütze hingehalten, von der sich aber bisher alle verlegen abgewandt hatten, und als er jetzt auf Grayson zuging, schüttelte ich mitfühlend den Kopf. Sorry, alter Mann. Mir scheint, der Typ, der dir was geben soll, ist selber ziemlich klamm.

Zu meiner Überraschung aber zerrte Grayson seinen Geldbeutel hervor und hielt dem Alten ein paar Scheine hin. Das Innere der Börse blitzte schwarz – es sah aus, als hätte er dem Obdachlosen seine letzten Kröten in die Hand gedrückt. Er nickte kurz, als ihm der Mann in Lumpen überschwänglich dankte, und sah ihm hinterher, bevor er selber in die andere Richtung davonging und meinem Blick entschwand.

Achte darauf, wie sich andere verhalten, wenn sie denken, dass es niemand sieht, mein Schatz. Nur so erfährst du, wie sie wirklich sind.

Wieder konnte ich die Stimme meiner Großmutter so deutlich hören, als säße sie im Wagen neben mir. Dann schreckte mich das Schrillen des Telefons aus meinen Überlegungen. Eilig wühlte ich in meiner Tasche, bis ich es gefunden hatte, und warf einen Blick auf das Display.

Kimberly.

»Hallo«, flüsterte ich und hörte erst mal nichts.

»Kira? Warum flüsterst du?«, flüsterte sie schließlich zurück.

Ich räusperte mich kurz und lehnte mich in meinen Sitz. »Tut mir leid, das Klingeln meines Handys hat mich irgendwie erschreckt. Ich sitze in meinem Wagen vor der Bank in Napa.«

»Konntest du das Sparbuch auflösen?«

»Ja. Es waren zweitausend Dollar und ein paar Zerquetschte drauf.«

»He, das ist doch toll. Oder auf jeden Fall besser als nichts.«

Ich seufzte leise. »Damit kann ich mich zumindest erst mal über Wasser halten. Also ja.«

Im Hintergrund hörte ich die Jungs toben. Meine beste Freundin hielt den Hörer zu, fuhr sie auf Spanisch an und kam dann wieder an den Apparat. »Mein Sofa gehört dir, wenn du es willst.«

»Danke, Kimmy, das ist nett.« Doch das könnte ich ihr niemals antun, denn ihre winzig kleine Wohnung in San Francisco reichte schon für sie, ihren Mann Andy und die vierjährigen Zwillingssöhne nur mit Mühe aus.

Kurz nach dem Schock der ungeplanten Schwangerschaft mit gerade einmal achtzehn hatte sie auch noch den Schock verdauen müssen, dass sie Zwillinge bekam. Und obwohl die jungen Eltern sich bisher sehr tapfer schlugen, war es alles andere als einfach, und das Letzte, was sie brauchen könnten, wäre, dass jetzt auch noch ihre obdachlose Freundin in das winzige Apartment zog und auf ihrem Sofa schlief.

Obdachlos. Ich war tatsächlich obdachlos.

Ich atmete tief durch. »Mir fällt schon etwas ein.« Ich biss mir auf die Lippe und die Hoffnungslosigkeit des Morgens wurde durch Entschlossenheit ersetzt. Wieder sah ich Grayson Hawthorns unglückliche Miene vor mir, und ich fragte: »Kimmy, hattest du schon einmal das Gefühl, als eröffne sich dir plötzlich ein vollkommen neuer Weg? Als wollte dir das Schicksal deutlich machen, wie es für dich weitergehen soll?«

Nach einer kurzen Pause stieß sie hervor: »O nein! Auf keinen Fall. Ich kenne diesen Ton. Er bedeutet, dass du irgendwas im Schilde führst, was ich versuchen muss, dir auszureden – auch wenn ich inzwischen wissen sollte, dass ich mir die Mühe sparen kann. Du willst doch wohl nicht wirklich diesen hanebüchenen Plan durchziehen und dir einen Ehemann im Internet suchen, denn ich …«

»Keine Bange«, fiel ich ihr ins Wort. »Ich habe eine andere, viel bessere Idee.«

Stöhnend fragte Kimberly: »Eine dieser ganz spontanen, sehr schlechten Ideen, die nie zu etwas Gutem führen? Die völlig hirnverbrannt und meistens alles andere als ungefährlich sind?«

Ich musste einfach grinsen. »Ach, hör auf. Ich habe oft spontan Ideen, die alles andere als hirnverbrannt sind und auch völlig ungefährlich.«

»Wie, als du deine selbst kreierte Bio-Gesichtsmaske mit Kräutern aus dem eigenen Garten auf dem Markt verkaufen wolltest?«

Lächelnd dachte ich an das – okay, misslungene – Experiment zurück. »Ach, das. Die Formel hätte fast gestimmt. Ich stand kurz vor dem Durchbruch, nur dass meine Testperson im letzten Augenblick gekniffen hat.«

»Mein Gesicht war eine Woche lang giftgrün. Und genau in dieser Woche haben wir die Schulfotos gemacht.«

Ich lachte leise auf. »Meinetwegen, also gut, das war ein Schlag ins Wasser, aber schließlich waren wir da erst zehn.«

»Und mit sechzehn wolltest du mit mir zusammen heimlich abends aus dem Fenster klettern, nur weil Carter Scott uns zu der blöden Party eingeladen hat.«

»Das hätte funktionieren können …«

»Hätte nicht die Feuerwehr ausrücken müssen, um mich von dem blöden Dach zu holen.«

»Ich kann doch nichts dafür, dass du schon damals eine solche Memme warst.«

»Und was war, als du in den Sommerferien aus dem College kamst und uns zum japanischen Essen eingeladen hast? Du hast uns alle in bescheuerte Kimonos gesteckt, und es war das reinste Wunder, dass niemand an dem verfluchten Fisch gestorben ist.«

»Woher hätte ich denn bitte wissen sollen, dass man eine eigene Ausbildung nur für die Zubereitung dieses Fisches braucht? Und vor allem ist das ja wohl ewig her.«

»Gerade mal zwei Jahre.« Sie versuchte, möglichst streng zu klingen, was ihr aber leider nicht gelang.

Inzwischen lachte ich aus vollem Hals. »Okay, jetzt hast du’s mir gegeben, elendige Besserwisserin. Aber trotz allem liebst du mich.«

»Das stimmt«, räumte sie seufzend ein. »Ich kann einfach nicht anders, denn du bist nun mal ein furchtbar liebenswerter Mensch.«

»Ich schätze, das kann man auch anders sehen.«

»O nein, das kann man nicht. Dein Vater ist ein Arschloch, aber dieses Thema haben wir schon x-mal durchgekaut. Und, Schätzchen, die Geschichte ist jetzt ein Jahr her. Höchste Zeit, über die Dinge zu sprechen, die damals passiert sind, auch wenn du gerade erst zurückgekommen bist.«

Wieder biss ich mir auf die Lippe, und obwohl sie mich durchs Telefon hindurch nicht sehen konnte, schüttelte ich vehement den Kopf. »Noch nicht«, sagte ich leise. »Es hat gutgetan, mit dir zu lachen, aber ernsthaft, Kim, ich stecke augenblicklich richtig in der Scheiße, und ich fürchte, dass mir nur noch eine meiner ganz schlechten Ideen helfen kann.« Meine Stimme klang gepresst, denn auch wenn es Kimberly wie gewöhnlich gelungen war, mich aufzumuntern, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben echte Angst.

»Ich weiß«, gab sie verständnisvoll zurück. »Und wenn du wirklich fest entschlossen bist, keinen der Kontakte deines Vaters anzuhauen, wirst du wohl oder übel kellnern müssen, bis du weißt, wie es für dich weitergehen soll.«

Ich seufzte tief. »Vielleicht. Wobei du doch bestimmt nicht ernsthaft willst, dass mich jemand auch nur in die Nähe einer Küche lässt.«

»Da hast du leider recht.« Wieder lag ein Lächeln in der Stimme meiner Freundin, und sie fügte aufmunternd hinzu: »Egal, wie du dich entscheidest, wir bleiben für alle Zeit die beiden Kats, okay?« Den Namen hatte ich mir mit zwölf für uns ausgedacht, als ich durch Singen auf der Straße Geld verdienen wollte, um ein Patenkind in Afrika zu unterstützen. Mein Vater hatte sich geweigert, das zu tun. Bevor wir auch nur einen Cent hatten ersingen können, hat er uns allerdings dabei erwischt, wie wir uns in den von mir selbst entworfenen bunten Papierkostümen aus dem Haus schleichen wollten, und mir vier Wochen Hausarrest erteilt. In jenem Monat hat Kimmys Mom das Geld für die Unterstützung Khotsos bezahlt und auch danach immer dann, wenn ich selbst die fünfundzwanzig Dollar nicht zusammenbekam.

»Du bleibst für immer meine Kimmy Kat.«

»Und du für immer meine Kira Kat. Trotzdem muss ich erst mal Schluss machen. Die Jungs sind wieder einmal außer Rand und Band.« Ihre Stimme wurde fast von Levis und von Micahs kreischendem Gelächter und dem Trommeln ihrer kleinen Füße auf dem Boden übertönt. »Hört auf zu rennen, Jungs! Und hört vor allem auf zu schreien!« Sie hielt das Telefon aus Rücksicht auf mein Trommelfell ein Stückchen von sich fort, bevor sie es noch mal ans Ohr nahm und mich fragte: »Kommst du heute Abend klar?«

»Auf jeden Fall. Vielleicht gehe ich sogar so weit, mir ein günstiges Hotelzimmer im Ort zu nehmen und hinunter an den Fluss zu gehen. Dort fühle ich mich meiner Grandma immer ganz besonders nah.«

Ich verschwieg ihr, dass mein Vater heute schon in aller Frühe vor der Tür der Wohnung, die er mir bezahlte, herumgeschrien hatte und ich eilig nur mit den paar Sachen, die ich jetzt im Kofferraum herumkutschierte, durch das Fenster abgehauen war. Sonst würde sie sich nur Sorgen machen, doch fürs Erste hatte ich ein wenig Bargeld und eine Idee, die ihrer Meinung nach wahrscheinlich noch viel schlechter war als alle anderen ganz schlechten Ideen, auf die ich je gekommen war.

Natürlich würde ich die Sache erst nach gründlichen Recherchen endgültig entscheiden, und ich würde eine Liste all der Vor- und Nachteile des Plans erstellen, damit ich klarer sah.

»Gott hab sie selig. Deine Großmutter war eine wirklich tolle Frau.«

»Auf jeden Fall«, stimmte ich zu. »Küss die Jungs von mir. Ich rufe morgen wieder an.«

»Okay. Bis dann. Und, Kira, ich bin wirklich froh, dass du wieder hier in der Gegend bist. Du hast mir fürchterlich gefehlt.«

»Du mir auch. Bye, Kimberly.«

Nach Ende des Gesprächs blieb ich noch kurz in meinem Wagen sitzen und suchte im Internet nach günstigen Hotels.

2 – Grayson

»Ich fürchte, wir brauchen eine neue Pumpe, Sir, denn diese hier ist hin.«

Leise fluchend legte ich den Schraubenschlüssel wieder in den Werkzeugkasten und stand auf. Natürlich hatte José recht. Ich wischte mit dem Unterarm den Schweiß von meiner Stirn und lehnte mich nickend an die nutzlose Maschine, die es wie so viele andere auf dem Gut zu reparieren oder auszutauschen galt.

José bedachte mich mit einem mitfühlenden Blick. »Aber der Abbeerer läuft wieder wie geschmiert. Aus meiner Sicht ist er so gut wie neu.«

»Endlich einmal eine gute Nachricht«, antwortete ich und hob den Werkzeugkasten auf. Die anderen Nachrichten der letzten Zeit waren alle schlecht gewesen, also klammerte ich mich an jeden Strohhalm, der sich mir in meiner momentanen Lage bot. »Danke, José. Und jetzt werde ich erst mal duschen gehen.«

Er nickte. »Irgendwelche Neuigkeiten von der Bank, Sir?«

Ich blieb stehen, drehte mich aber nicht noch einmal zu ihm um.

»Es gibt keinen Kredit.« Als er nicht reagierte, setzte ich den Weg in Richtung Wohnhaus fort. Ich konnte deutlich spüren, wie sich mir seine Enttäuschung in den Rücken brannte, denn obwohl ich mir geschworen hatte, den Betrieb des Weinguts aufrechtzuerhalten, und es nichts gab, was mir mehr am Herzen lag, musste José eine Familie ernähren, deren jüngstes Mitglied erst vor ein paar Wochen auf die Welt gekommen war. Und wenn ich versagte, stünden außer mir auch meine Leute ohne Arbeit da.

Wenn Sie irgendwas zu bieten hätten, irgendeinen Wert …

Zähneknirschend dachte ich an diesen Satz zurück, bei dem es ganz eindeutig nicht allein um meinen finanziellen Hintergrund gegangen war. Er hatte mich daran erinnert, dass ich auch ansonsten völlig nutzlos war.

Wenn Sie irgendwas zu bieten hätten.

Wenn …

Mit diesem großen Wenn und einem Dollar in der Tasche könnte ich mir vielleicht eins der Angebote bei McDonald’s leisten, aber sonst auch nichts.

Immer wieder ging ich in Gedanken die Was-wäre-Wenns in meinem Leben durch, auch wenn das schmerzlich und vor allem reine Zeitvergeudung war.

Ich brauchte ganz sicher keinen zusätzlichen Grund, mich selber zu verachten, denn das tat ich schon mein Leben lang.

Ich verdrängte diesen Gedanken, denn ich wusste aus persönlicher Erfahrung, wie schwierig es war, aus diesem tiefen Loch wieder herauszukommen, wenn man erst einmal im Selbstmitleid versank. Es war besser, sich in Kälte und Gefühllosigkeit einzuhüllen, die Verzweiflung weitestgehend in Schach zu halten und mit der Arbeit fortzufahren.

Am Schluss hatte mein Vater mich als wert erachtet, seine Arbeit fortzusetzen, und ich hatte mir geschworen, mich als seiner würdig zu erweisen, was mir bis zu seinem Tod niemals gelungen war.

Es war früher Abend, irgendwo in meiner Nähe summten ein paar Bienen, und ich roch den Duft der Rosen, die der ganze Stolz meiner verhassten Stiefmutter gewesen waren. Ich blieb stehen und betrachtete zufrieden die Reihen der Rebstöcke, die voller süßer Trauben hingen. Ich spürte, dass es eine gute Ernte würde. Und vor allem müsste sie es werden, weil mich nur die Aussicht darauf weitermachen ließ, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ich mit den Trauben machen sollte, stünde ich im Herbst noch immer ohne funktionierende Maschinen da. Ich hatte praktisch alles aus dem Haus, was irgendeinen Wert besaß, verkauft, sonst hätte ich nicht mal genügend Geld für die Setzlinge gehabt …

Ein paar Minuten später trat ich durch die Tür des Hauses, das von meinem Vater aus Naturstein im Stil der alten Welt errichtet worden war. Ein echtes Prunkstück, das ich allerdings genau wie die Maschinen erst mal gründlich hätte überholen lassen müssen, was in meiner finanziellen Lage jedoch völlig ausgeschlossen war.

»Die Pumpe ist also endgültig hin.« Mit diesen aufmunternden Worten nahm mich Walter, der Familienbutler und Mädchen für alles auf dem Weingut, in Empfang.

Ich knirschte mit den Zähnen. »So sieht’s aus.«

»Ich habe eine Liste sämtlicher Geräte, die wir reparieren oder ersetzen müssen, angelegt und sie entsprechend ihrer Dringlichkeit farblich markiert.«

Na toll. Jetzt hatte ich es also schriftlich, dass die Rettung dieses Weinguts ein im Grunde hoffnungsloses Unterfangen war.

Ich hörte auf, in meiner Post zu blättern, die auf dem Tischchen in der Eingangshalle lag. »Bist du jetzt auch noch mein Sekretär, Walter?«

»Jemand muss den Job ja machen, Sir. Das Weingut ist zu groß, als dass ein Mensch es ganz alleine führen könnte.«

»Darf ich dich was fragen, Walter?«

»Selbstverständlich, Sir.«

»Gibt es vielleicht auch eine Liste mit verschiedenen Möglichkeiten, um die Reparaturen und den Austausch der Maschinen in der ersten Liste zu bezahlen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, die Ideen, die ich diesbezüglich hatte, hatten Sie auch selber alle schon. Trotzdem hoffe ich, dass Ihnen diese Liste vielleicht eine Hilfe ist.«

»Ganz sicher nicht«, gab ich zurück und stapfte auf die Treppe zu. »Und ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du mich weder siezen noch Sir nennen sollst. Du kennst mich schließlich schon, seit ich ein Baby war.«

Vor allem hatte ich die Anrede ganz sicher nicht verdient. Walter Popplewell aus England war seit über dreißig Jahren hier im Haus, aber obwohl er selber wissen musste, dass er dreimal mehr Respekt verdiente als ich, schien seine Butler-Ehre es ihm zu gebieten, sprachlich höfliche Distanz zu mir als neuem Herrn des Hauses zu halten.

Er hüstelte diskret. »Hier ist noch jemand, der Sie sprechen möchte, Sir.«

Verwundert drehte ich mich zu ihm um. »Und wer soll das sein?«

Er hüstelte erneut. »Jemand, der nach einem Job sucht, Sir.«

Ich rollte mit den Augen. Himmel noch mal! »Wie blöd muss jemand sein, dass er sich hier um einen Job bewirbt? Okay, dann wimmle ich den Typen erst mal ab.«

Walter zeigte auf die Küche, wo sich Charlotte, seine Frau und unsere Haushälterin, lachend mit dem Besucher unterhielt.

Also ging ich statt hinauf ins Bad erst einmal in die Küche, wo ein Mann vor einem Teller Plätzchen an dem großen Holztisch saß. Er sprang eilig auf, als ich den Raum betrat, und warf dabei den Teller auf den Boden, wo das Porzellan in tausend Stücke sprang.

»Oje!«, rief Charlotte aus und ließ das Milchglas, das sie gerade hatte füllen wollen, auf der Arbeitsplatte stehen. »Schon gut, Virgil, das ist nicht schlimm. Sprich du einfach mit Mr Hawthorn, und ich sammle in der Zeit die Scherben ein. Mach dir darüber keine Gedanken, ja?«

Der Mann war fast zwei Meter groß, hatte ein rundliches Gesicht, trug eine Khakihose, ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt und eine Giants’ Baseballmütze auf dem Kopf. Ängstlich blickte er zwischen mir und dem kaputten Teller hin und her.

Ich trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Grayson Hawthorn.«

Zögernd schüttelte er meine Hand, und als er endlich wagte, aufzusehen, verriet sein arglos-unschuldiger Blick, dass er geistig zurückgeblieben war.

So etwas hatte mir jetzt gerade noch gefehlt.

»Mein Name ist Virgil Potter, Sir, Hawthorn, Grayson, Sir.« Er zog seine Hand zurück, sah schüchtern dorthin, wo Charlotte mit Besen und mit Kehrblech auf dem Boden kniete, zuckte leicht zusammen und schaute mich wieder an. »Wie der Zauberer, Sir, nur ohne Narbe auf der Stirn. Aber ich habe eine Narbe auf dem Rücken, weil ich mal zu nah an unseren Heizlüfter gekommen bin, als ich …«

»Also, Mr Potter«, fiel ich ihm ins Wort. »Was kann ich für Sie tun?«

»Oh, Sie müssen nicht Mister zu mir sagen, Sir. Nennen Sie mich einfach Virgil.«

»Meinetwegen, Virgil.«

Ich ignorierte Charlottes durchdringenden Blick und sah ihm weiter ins Gesicht.

Virgil trat nervös von einem auf den anderen Fuß, wandte sich zu Charlotte um, die lächelnd zu ihm aufblickte. Eilig nahm er seine Mütze ab, als fiele ihm verspätet ein, dass er sie trug, und hielt sie zwischen seinen großen Händen fest. »Ich hatte gehofft, Sir … nun … ich brauche eine Arbeit, Sir … und dachte, dass ich Ihnen vielleicht auf dem Weingut helfen kann. Ich habe gehört, wie ein paar Leute in der Stadt gesagt haben, Sie könnten dieses Weingut kaum am Laufen halten, und ich dachte, dass ich Ihnen vielleicht bei der Arbeit helfen kann. Und wissen Sie, ich würde nicht viel kosten, weil ich nicht so schlau wie manche anderen Leute bin. Aber meine Mama sagt, ich könnte sehr hart arbeiten und sollte fragen, ob ich nicht bei Ihnen einen Job bekommen kann.«

Ich seufzte. Genau so etwas hatte mir jetzt noch gefehlt. Natürlich hatte ich zu wenig Leute, doch ich konnte schon die wenigen, die mir geblieben waren, nur mit Müh und Not bezahlen, und ich könnte es mir ganz bestimmt nicht leisten, noch jemanden anzustellen, den ich obendrein bei der Arbeit überwachen müsste, weil er geistig zurückgeblieben war.

»Virgil …«, fing ich an, doch er fiel mir ins Wort.

»Sie müssen wissen, Sir, dass meine Mama nicht mehr putzen gehen kann. Dafür tut ihr der Rücken zu weh. Und wenn ich keine Arbeit habe, haben wir kein Geld, um Essen einzukaufen, und ich weiß, ich werde gute Arbeit leisten, wenn mir jemand eine Chance gibt.«

Meine Güte. Ich bedachte Charlotte, die inzwischen vor den Mülleimer getreten war, mit einem bitterbösen Blick. Sie steckte hinter dieser Sache, doch was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wenn ich das Weingut nicht am Laufen halten konnte, stünden auch sie und Walter ohne Arbeit da.

Ich kniff die Augen zu und schlug sie wieder auf. »Es tut mir leid, Virgil, aber ich kann …«

»Ich weiß, wahrscheinlich denken Sie, wenn Sie mich anschauen, dass ich nichts zu bieten habe. Aber, Sir, ich habe was zu bieten, und ich könnte Ihnen wirklich nützlich sein.« Er sah mich hoffnungsvoll aus großen Kinderaugen an.

Wenn Sie irgendwas zu bieten hätten …

»Meinetwegen, Virgil, du bist engagiert«, erklärte ich, bedachte aber Charlotte, die zufrieden lächelte, erneut mit einem bösen Blick. Dann wandte ich mich wieder Virgil zu und hob abwehrend die Hände, als ich die vor Freude aufgerissenen Augen sah. »Allerdings kann ich nur wenig zahlen, und vor allem müssen wir erst einmal sehen, ob es wirklich funktioniert. Manchmal arbeiten wir bis zum späten Abend, und ich habe draußen keinen Wagen stehen sehen. In der Kelterei stehen ein paar Pritschen, von denen du im Notfall eine benutzen kannst. Ich stelle dich erst mal für einen Monat ein, und dann werden wir weitersehen, in Ordnung?« Wenn es dieses Weingut dann noch gibt, schränkte ich gedanklich ein, doch Virgil nickte glücklich und zerrte derart an seiner armen Mütze, dass sie sicher längst nicht mehr zu tragen war. »Sie werden es ganz sicher nicht bereuen, Sir. Ich werde sehr hart arbeiten und Sie ganz sicher nicht enttäuschen, Sir.«

»In Ordnung, gut, Virgil. Wegen des Vertrags kommst du am besten morgen noch mal wieder und bringst deinen Ausweis mit. Wäre neun für dich okay?«

Virgil nickte immer noch. »Ich werde da sein, Sir. Aber ich werde früher kommen. Spätestens um sieben«, versprach er mir.

»Neun Uhr reicht, Virgil, und bitte nenn mich Grayson«, bat ich ihn.

»Ja, Sir, Grayson, Sir. Neun Uhr. Okay.«

Grinsend lenkte Virgil seinen großen, plumpen Körper Richtung Tür, winkte Charlotte zu und stürzte, ehe ich es mir noch einmal überlegen konnte, aus dem Raum.

Schweigend beobachtete ich durch das Fenster, wie der Mann das Haus verließ und schwerfällig zu dem Tor lief, das das Grundstück von der Straße trennte. Mit dem x-ten stummen Fluch des Tages wandte ich mich wieder Charlotte zu und funkelte sie zornig an. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass das ein Versuch war, mir das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist.«

»Ach, aber du weißt es besser, Junge. Du weißt ganz genau, dass ich dich unterstütze, wo ich kann.«

Natürlich tat sie das.

Ich schnaubte aus Prinzip, doch sie grinste nur, trat vor die Spüle und ließ heißes Wasser ein.

Wortlos wandte ich mich ab und ging ins Bad. Ich trank so gut wie nie, doch heute Abend würde ich mich hemmungslos besaufen, weil die Rückschläge des Tages nur auf diese Weise zu verkraften waren.

Der morgendliche Sonnenschein, der durch die Fenster strömte, tauchte das Foyer in goldenes Licht, als ich nach einer ausschweifenden Nacht die Treppe runterkam. Mir dröhnte der Schädel, und ich schirmte meine Augen mit der Hand gegen die Helligkeit des Morgens ab. Natürlich hatte ich die Kopfschmerzen verdient, doch meine Sauftour hatte sich gelohnt, denn ich hatte meine zahlreichen Probleme wenigstens vorübergehend im Alkohol ertränkt. Ich arbeitete ohne Unterlass, kam aber trotzdem nicht voran. Und gestern nach dem Banktermin … nun ja, ich hatte es verdient, mich sinnlos zu betrinken, weil auch ich gelegentlich an meine Grenzen kam.

»Gray, mein Lieber, guten Morgen. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte«, nahm mich Charlotte lächelnd unten in Empfang. »Oh.« Sie runzelte die Stirn. »Du siehst aus, als ob du unter die Räuber gefallen wärst.«

»Wer ist es denn diesmal?«, ging ich achtlos über ihren letzten Satz hinweg. Was konnte derart wichtig sein, dass irgendwer um diese unchristliche Uhrzeit hier erschien? Ich fühlte mich erbärmlich, und ich hatte bisher nicht mal Zeit zum Frühstücken gehabt. »Ich nehme an, es geht auch dieses Mal um einen Job? Vielleicht sucht dieses Mal ja jemand Arbeit, dem die Arme oder Beine fehlen?«

Charlotte lächelte mich einfach weiter an. »Ich glaube nicht, dass sie nach Arbeit sucht, und körperlich und geistig wirkt sie völlig unversehrt. Sie hat mir nicht gesagt, weswegen sie dich sprechen möchte, also habe ich sie erst mal ins Büro geführt.«

»Sie?«

»Eine junge Frau. Sie hat sich mir als Kira vorgestellt, und sie ist wirklich hübsch.« Charlotte zwinkerte mir fröhlich zu.

Nun, vielleicht fing dieser Tag ja besser als erwartet an. Ich hoffte nur, ich wäre nicht irgendwann einmal mit dieser jungen Frau im Bett gewesen und hätte mich danach wie so häufig einfach heimlich aus dem Staub gemacht …

Ich nahm zwei Schmerztabletten, ging mir einen Kaffee in der Küche holen und trug den Becher in das große Arbeitszimmer, das von meinem Vater eingerichtet worden war.

Eine junge Frau in einem weich fallenden, cremefarbenen Seidenkleid stand vor dem großen Buchregal und schaute sich die Titel an. Als ich mich räusperte, fuhr sie herum, das Buch, das sie aus dem Regal genommen hatte, fiel ihr aus der Hand, und erschrocken griff sie sich ans Herz. Sie riss die Augen auf, bückte sich geschmeidig nach dem Buch und stieß dabei ein leicht gepresstes Lachen aus. »Entschuldigung. Sie haben mich erschreckt.« Sie richtete sich wieder auf und trat entschlossen auf mich zu.

»Sorry, tut mir leid. Grayson Hawthorn, richtig?« Sie legte das Buch zur Seite und gab mir die Hand. Sie war etwas kleiner als der Durchschnitt, schlank, mit glänzendem, kastanienbraunem Haar, das sie in einer Art Knoten trug. Sie war tatsächlich hübsch, doch leider nicht mein Typ. Ich stand eher auf große, elegante, blonde Frauen. Vor allem auf eine ganz bestimmte große, elegante, blonde Frau. Doch die Erinnerung an sie war schmerzlich, und entschlossen wandte ich mich wieder meinem Gegenüber zu.

Erst als diese Kira direkt vor mir stand, nahm ich die großen Augen mit den dichten, fein geschwungenen Brauen in der Farbe ihrer Haare wahr. So grüne Augen hatte ich noch nie gesehen. Sie sahen wie zwei leuchtende Smaragde aus, und plötzlich kam es mir so vor, als könnten diese Augen mehr als andere Augen sehen. Sie zogen mich in ihren Bann, und mühsam atmete ich ein.

Entschlossen trat ich einen Schritt zurück, nahm aber ihre Hand und hatte das Gefühl, als ob die Wärme ihrer Hand meinen Arm entlangwanderte.

Stirnrunzelnd zog ich meine Hand zurück.

»Und Sie sind?«, fragte ich und hörte selbst, wie unfreundlich ich klang.

»Kira«, sagte sie, als würde das etwas erklären. Enttäuschung wogte in mir auf, als sie die leuchtend grünen Augen einen Moment schloss, doch dann blickte sie wieder auf und sah mir ins Gesicht. »Verzeihung, aber könnten wir uns vielleicht setzen?«

Ich wies ihr mit dem Kopf den Stuhl, der vor dem großen Mahagonischreibtisch stand, und nahm selbst dahinter in dem großen Ledersessel Platz.

»Kaffee?«, fragte ich. »Ich bitte Charlotte, Ihnen eine Tasse zu bringen.«

Was wollte diese Frau nur von mir? Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen.

»Nein danke«, lehnte sie kopfschüttelnd ab. »Sie hat mir schon einen angeboten.« Eine Strähne löste sich aus ihrem Knoten und mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln strich sie sie glatt.

Ich massierte mir die Schläfe, weil mir immer noch der Schädel dröhnte, und am liebsten hätte ich geblinzelt, als mich abermals der Blick aus ihren grünen Augen traf.

Sie atmete tief durch und richtete sich kerzengerade auf. Da ihr Stuhl nicht direkt vor dem Schreibtisch stand, konnte ich problemlos ihre wohlgeformten Waden und die schlanken Knöchel in den blauen, hochhackigen Sandalen sehen. Ihre Handtasche, die auf ihrem Schoß lag, war mit Perlen in genau demselben Blau bestickt, und selbst als ausgewiesener Modemuffel konnte ich dank meiner kaltherzigen Stiefmutter, die der Inbegriff gepflegter Dekadenz gewesen war, erkennen, wenn ein Outfit teuer war.

»Ich will Sie nicht zur Eile drängen, aber leider habe ich nicht endlos Zeit.«

Abermals riss sie die Augen auf. »Richtig. Ja, natürlich. Verzeihen Sie mein Zögern. Tja, nun, ich nehme an, am besten komme ich gleich auf den Punkt. Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen.«

»Ein Geschäft?« Ich zog skeptisch eine Braue hoch.

Sie nickte und befingerte nervös die lange goldene Kette, die sie um den Hals trug. »Tja, nun, tatsächlich, Mr Hawthorn, denke ich, wir sollten heiraten.«

Vor lauter Überraschung hätte ich beinah den Kaffee, den ich gerade hatte trinken wollen, wieder ausgespuckt. »Wir sollten was?«

In ihren wundervollen Augen blitzte etwas auf, das ich nicht definieren konnte, und entschlossen fuhr sie fort: »Bitte hören Sie sich meinen Vorschlag an. Ich bin überzeugt, dass wir beide davon profitieren könnten.«

»Und woher wollen Sie wissen, wovon ich womöglich profitieren könnte, Miss … am besten sagen Sie mir erst mal, wie Sie heißen. Bisher haben Sie sich nur als Kira vorgestellt.«

Trotzig reckte sie ihr kleines Kinn. »Dallaire. Kira Dallaire.«

»Dallaire?« Ich runzelte die Stirn. Den Namen kannte ich. »San Francisco hatte einmal einen Bürgermeister, der so hieß.«

»Genau.« Sie reckte abermals ihr Kinn, was eine ausnehmend hochmütige Geste war. Aber schließlich war sie ja auch eine reiche Erbin und gehörte zum politischen Establishment. Ich wusste kaum etwas über Frank Dallaire, außer dass er zweimal in Folge zu San Franciscos Bürgermeister gewählt worden war und mit Immobilien oder etwas in der Richtung viel Geld verdient hatte. Auf jeden Fall tauchte sein Name ständig in der Reiche-Leute-Liste unseres Landes auf. Was zum Teufel machte also seine Tochter hier?

»Dann sollte ich wohl eher fragen, Ms Dallaire, wie in aller Welt Sie selbst von einer solchen Heirat profitieren sollten«, meinte ich und lehnte mich gespannt auf meinem Stuhl zurück.

Sie seufzte, sah aber auch weiter irgendwie hochmütig aus. »Ich stecke augenblicklich in der Klemme, Mr Hawthorn«, gab sie unumwunden zu. »Mein Vater und ich …« Sie knabberte an ihrer Unterlippe, bis sie wusste, wie sie es am besten formulieren sollte, und fuhr fort: »Wir haben uns zerstritten, und ich brauche Geld, damit ich ohne seine Unterstützung überleben kann.«

Ich sah ihr forschend ins Gesicht und lachte leise auf. »Da hat Sie irgendwer nicht richtig informiert. Ich kann Ihnen versichern, Ms Dallaire, dass Sie von unserer Hochzeit finanziell bestimmt nicht profitieren würden. Ganz im Gegenteil.«

Sie schüttelte den Kopf und beugte sich leicht vor. »Wir würden beide davon profitieren, glauben Sie es mir.«

»Das fällt mir schwer.« Ich hatte wirklich keine Zeit für diesen Unsinn und ließ mir meinen Unmut inzwischen auch deutlich anhören.

Doch sie fuhr unerschrocken fort: »Nun, mir kam zu Ohren, dass Ihr Weingut, nun, dass es in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Das heißt, Sie brauchen dringend Geld.«

Wütend riss ich meine Hand von meiner Schläfe und bedachte sie mit einem kalten Blick. »Und das wissen Sie woher?«

Wieder reckte sie ihr Kinn. »Ich habe Sie gegoogelt.«

»Ach.«

»Und, tja, nun, ich habe gestern, als ich auf der Bank war, zufällig mit angehört, dass Ihnen ein Kredit verweigert wurde.« Ich verfolgte reglos, wie ihr eine leichte Röte in die Wangen stieg. Nun, zumindest hatte sie noch so viel Anstand, sich für ihre Lauscherei zu schämen. »Zufällig« mit angehört, dass ich nicht lachte.

Voller Zorn und Scham wegen der Dinge, die sie mitbekommen haben musste, richtete ich mich in meinem Sessel auf. »Sie haben also ein Gespräch von mir belauscht, mich gegoogelt, und jetzt bilden Sie sich ein, Sie wüssten über mich Bescheid?« Was zum Teufel bildete sich diese unverschämte Göre ein?

Ihre Miene wurde sanft, und mein Körper reagierte sofort mit Verlangen, als sie ihre kleine, pinkfarbene Zunge über ihre Unterlippe gleiten ließ. Gewaltsam unterdrückte ich die in mir aufsteigende Lust – diese eingebildete Prinzessin hatte ganz sicher nichts, was mich reizte. Noch dazu hatte ich erst letzte Nacht mit einem hübschen blonden Mädchen namens Jade, das nach Melone oder vielleicht Ananas geduftet hatte, schweißtreibenden Sex gehabt. Ihr Enthusiasmus war zu Anfang ansteckend gewesen, doch am Ende war ich irgendwie leicht unbefriedigt und in den Geruch von Obstsalat gehüllt hierher zurückgekehrt.

Am besten konzentrierte ich mich erst mal wieder auf den Rotschopf, der mir gegenübersaß. Oder waren ihre Haare eher braun? Auf alle Fälle waren sie seidig weich, und wie als Reaktion auf meine Überlegungen glitt wieder eine Strähne aus dem Knoten, und sie schob sie sich entschlossen hinters Ohr.

»Natürlich kenne ich nicht alle Einzelheiten, doch ich weiß, Sie brauchen Geld und haben nicht viele Möglichkeiten, auch oder vor allem aufgrund Ihrer … Vergangenheit.« Wieder stieg ihr eine leichte Röte ins Gesicht, und eilig fuhr sie fort. »Ich brauche ebenfalls so schnell wie möglich Geld. Tatsächlich bin ich auch nicht besser dran als Sie.«

Ich stieß den nächsten Seufzer aus. »Wenn Sie zu Ihrem Daddy gehen würden, gäbe es doch sicher eine Lösung. Die gibt es fast immer.« Nur für mich in meiner Lage leider nicht.

Ihre Augen sprühten Funken, aber ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos. »O nein, ich werde sicher nicht zu meinem Daddy gehen. Ich habe ihn seit unserem Streit vor über einem Jahr nicht mehr gesehen.«

»Mhm. Und wie sind Sie bisher allein zurechtgekommen?«

»Ich war ein paar Monate im Ausland.«

Wahrscheinlich auf Europareise, während der sie wechselweise shoppen und am Strand gewesen war. Ich lenkte meinen Blick zurück auf ihre Beine, und natürlich waren sie angenehm gebräunt. Wahrscheinlich hatte sie auf dieser Reise ihre ganze Kohle rausgehauen, und jetzt war Daddy nicht bereit, ihr Konto wieder aufzufüllen. Was wirklich tragisch war.

»Haben Sie ein Problem damit, sich einen Job zu suchen? Sie haben doch sicher eine Ausbildung gemacht.«

»Ich bin… vorzeitig vom College abgegangen«, gab sie zu. »Und nein, natürlich macht es mir nichts aus, mir einen Job zu suchen, wenn es nötig ist. Aber …« Wieder richtete sie sich zu ihrer ganzen Größe auf und sah mich reglos an. »Ich bin heute hergekommen, weil ich glaube, dass es für uns beide eine bessere Möglichkeit gibt.«

Wieder fing mein Schädel an zu brummen. Warum hörte ich mir diesen Schwachsinn überhaupt so lange an?

»Okay, können wir das hier kurz machen? Wie Sie selbst so zutreffend gesagt haben, steht es um mein Weingut nicht zum Besten, und um noch etwas zu retten, fange ich am besten sofort mit der Arbeit an.«

»Okay. Tja, nun, Sie sollten wissen, Mr Hawthorn, dass meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, aufgrund des wirtschaftlichen Geschicks meines Großvaters als ausnehmend wohlhabende Frau gestorben ist. Sie hat ihr Vermögen ihren beiden Enkelkindern hinterlassen, mir und einem Vetter, dem ich vor zehn Jahren zum letzten Mal begegnet bin. Leider aber hat sie festgelegt, dass wir unser Erbe erst zu unserer Hochzeit oder unserem dreißigsten Geburtstag ausbezahlt bekommen, je nachdem, was früher kommt.«

Ich lehnte mich zurück, bildete ein Dreieck mit den Fingerspitzen und bedachte sie mit einem ausdruckslosen Blick.

»Deshalb mein Vorschlag«, fuhr sie eilig fort. »Wir könnten heiraten, das Geld teilen, uns dann wieder scheiden lassen und getrennte Wege gehen.«

Wieder hob ich eine Braue an. »Das Geld teilen. Von wie viel Geld reden wir genau?«

»Von siebenhunderttausend Dollar.«

Wovon die Hälfte immer noch dreihundertfünfzigtausend Dollar waren.

Mein Herz fing an zu rasen. Das war mehr als das mir von der Bank verwehrte Darlehen. Genug, um den Maschinenpark und selbst das Haus auf Vordermann zu bringen, den Wein, der momentan in Fässern lagerte, in Flaschen abzufüllen und mindestens zwei zusätzliche Leute einzustellen. Und wenn die neue Ernte auch nur annähernd so gut würde, wie ich voraussah, hätte ich das Weingut innerhalb von weniger als einem Jahr gerettet und meinen im Namen meines Vaters abgelegten Schwur erfüllt.

Ich antwortete nicht, denn erst mal musste ich den Vorschlag dieser jungen Frau verdauen, und vor allem hoffte ich sie nervös zu machen, indem ich schwieg.

Doch sie blieb völlig ruhig, und schließlich meinte ich: »Das klingt tatsächlich ziemlich interessant. Und es gibt keine Klausel, die bestimmt, wann eine Scheidung frühestens möglich ist?«

Sie schüttelte den Kopf und atmete erleichtert auf. Wahrscheinlich ging sie davon aus, dass ich ernsthaft überlegte, auf diesen verrückten Vorschlag einzugehen.

Tat ich das?

Und wäre dieses Vorgehen wirklich legitim?

Es gab doch sicher einen Haken bei der ganzen Angelegenheit. Es wäre einfach zu schön, um wahr zu sein.

Mir wurde etwas schwindelig, was aber nicht mehr an dem Kater lag.

»Nein, aber mein Vater wäre … alles andere als erfreut, wenn er erführe, dass ich heirate, um an das Erbe meiner Grandma zu gelangen und es dann mit … jemandem zu teilen.« Ein Ausdruck, den ich nicht ergründen konnte, huschte über ihr Gesicht. »Und wenn er einen Hinweis darauf hätte, dass wir keine echte Ehe führen, würde er bestimmt versuchen zu verhindern, dass das Geld, das mir rechtmäßig zusteht, auf mein Konto überwiesen wird. Deshalb sollten wir auf alle Fälle möglichst überzeugend sein. Aber wie gesagt, ich habe den Kontakt zu meinem Vater schon vor einer ganzen Weile abgebrochen, deshalb dürfte das nicht weiter schwierig sein.«

Diesmal hob ich beide Brauen und dachte über ihre Worte nach. Einen derart haarsträubenden Vorschlag hatte mir noch nie jemand gemacht.

Eilig beugte ich mich zu ihr vor. »Moment mal, Sie sind doch nicht etwa eine dieser irren Frauen, die mir Liebesbriefe in den Knast geschrieben haben?«

»Was?« Sie starrte mich mit großen Augen an, und ich lehnte mich abermals in meinem Stuhl zurück.

»Von denen gab es jede Menge. Manchen Frauen verschafft so was anscheinend einen kranken Kick.«

»Warum denn das?« Sie schüttelte den Kopf, als würde sie sich wundern, wie wir von dem eigentlichen Thema unserer Unterhaltung abgekommen waren, und ihre Verblüffung wirkte durchaus echt.

»Nach allem, was ich weiß, haben viele Frauen eine Vorliebe für böse Jungs«, klärte ich sie feixend auf.

Sie sah mich reglos an und meinte nachdrücklich: »Ich kann Ihnen versichern, dass ich keine dieser Frauen bin.«

Ich nickte langsam. »Da bin ich wirklich froh, denn auch wenn dem so wäre, wären Sie andersrum ganz sicher nicht mein Typ.«

Sie straffte ihre schmalen Schultern, und ich merkte deutlich, wie empört sie über diese Antwort war. »Umso besser. Schließlich ist mein Vorschlag rein geschäftlicher Natur.« Sie wandte ihre grünen Hexenaugen kurz ab, und als sie wieder aufblickte, nahm ich erneut die leichte Röte ihrer Wangen wahr. »Trotzdem wäre es verdächtig, wenn ich nicht hier leben würde, und, offen gestanden, Mr Hawthorn, brauche ich ein Dach über dem Kopf. Deshalb dachte ich, als Gegenleistung für die Unterkunft könnte ich ja Ihre Bücher führen oder so. Ich nehme an, Sie haben keinen Angestellten mehr, der diese Arbeit macht.«

Wieder lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück. »Sie haben wirklich gründlich recherchiert, Ms Dallaire. Nein, ich habe keinen Buchhalter und keine Sekretärin und auch sonst kaum Angestellte mehr.« Von denen jedoch niemand hier gelebt hatte, weshalb auch keine Unterkunft für solche Zwecke zur Verfügung stand.

Sie nickte. »Ich kann gut mit Zahlen umgehen. Ich habe eine Zeit lang für meinen Vater in der Buchhaltung seines Unternehmens gearbeitet. Und auch mit den entsprechenden Programmen kenne ich mich aus. Als Gegenleistung für ein Dach über dem Kopf und drei Mahlzeiten am Tag wäre ich bereit, für Sie zu arbeiten. Dadurch würde gleichzeitig der Schein gewahrt. Es muss ja nicht ein ganzes Jahr lang sein. Wahrscheinlich reichen zwei, drei Monate, damit mein Vater unsere Ehe akzeptiert und mich weiter ignoriert. Dann könnte ich diskret woanders hinziehen, und wir bräuchten uns nur noch einmal zu unserer Scheidung vor Gericht zu sehen. Es wäre ganz simpel, nur vorübergehend, und natürlich gäbe es dazu auch einen schriftlichen Vertrag. Und bitte, nennen Sie mich einfach Kira, ja?«

Ich unterzog sie einer eingehenden Musterung. Sie wirkte elegant und selbstbewusst, wie sie da vor mir saß. Oder machte das Gespräch mit mir sie vielleicht doch etwas nervös? Ich behielt den Blickkontakt etwas zu lange bei, doch sie zuckte nicht zusammen und hielt meinem durchdringenden Blick auch weiter stand.

»Und was werden Sie mit Ihrer Hälfte dieses Gelds machen, Kira? Falls ich diese Frage stellen darf.«

Sie räusperte sich leise. »Abgesehen davon, dass ich selbst von irgendetwas leben muss, bin ich bei verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen in San Francisco engagiert. Eins der Zentren ist in finanziellen Schwierigkeiten und wird schließen müssen, wenn sich niemand findet, der es weiter unterstützt.«

Ich lächelte sie grimmig an. Aha. Sie war genau wie meine Stiefmutter. Eine reiche Erbin, die versuchte, irgendwie ihr leeres Leben auszufüllen. Ich konnte sie mir vorstellen, wie sie in ihrem Bentley vorfuhr, um als selbst ernannte Menschenfreundin das niedere Volk vor Hunger und vor Elend zu bewahren, bevor es weiterging zu Louis Vuitton, weil dort die neue Taschenkollektion eingetroffen war.

»Verstehe.«

Doch im Grunde konnte mir gleichgültig sein, was sie mit dem Geld machte. Und aus welchem Grund. Es reichte völlig aus, wenn ich mir um mich selbst und meine eigene Situation Gedanken machte. Alles andere war egal.

»Einen solchen Vorschlag bekommt man nicht alle Tage unterbreitet.« Ich stand auf und sah sie an. »Ich werde drüber nachdenken und mich bei Ihnen melden.«

»Nun, wissen Sie, ich brauche Ihre Antwort möglichst schnell«, erklärte sie mit atemloser Stimme, und ich verspürte ein leises Ziehen in meinen Lenden.

Verdammt! Ich wollte nicht auf diese Weise auf sie reagieren. Obwohl meine Lenden schließlich noch nie besonders wählerisch gewesen waren. Mit einem leisen Seufzer nahm ich wieder Platz.

»Ich würde Ihnen wirklich gerne mehr Zeit lassen, Mr Hawthorn, aber unglücklicherweise sind die Umstände nun einmal so …«

Ich hob die Hand. »Ich gebe Ihnen heute noch Bescheid. Wie kann ich Sie erreichen?«

»Bis morgen bin ich noch im Motel 6. Am besten rufen Sie auf meinem Handy an.«

Im Motel 6? Oje, da war sie wirklich tief gesunken. Offensichtlich war sie tatsächlich klamm.

Sie nahm ein Post-it und einen Stift von meinem Tisch, schrieb ihre Handynummer auf und verfolgte dann mit zusammengepressten Lippen, wie ich nach dem Zettel griff und ihn achtlos auf den unordentlichen Haufen anderer Papiere fallen ließ.

»Ich kann Ihnen versichern, dass nichts Unrechtmäßiges an meinem Vorschlag ist.«

»Das hoffe ich. Natürlich würde ich mich vor der Hochzeit noch mit dem Verwalter dieses Erbes treffen wollen, aber trotzdem muss ich erst mal überlegen, welche anderen Auswirkungen dieser Deal womöglich auf mein Leben hätte. Wenn ich mich schon während meiner Zeit im Knast nur mühsam vor Verehrerinnen retten konnte, frage ich mich, wie es werden soll, wenn ich nicht mehr nur ein Verbrecher, sondern obendrein auch noch geschieden bin.«

Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Tja, nun, wenn ich nicht selbst Probleme hätte und auf andere Weise an mein Geld gelangen könnte, dächte auch ich bestimmt nicht über eine Heirat nach.«

Diese Prinzessin würde ein richtiges Problem nicht mal dann erkennen, wenn es ihr direkt ins Gesicht spränge, ging es mir verächtlich durch den Kopf.

Noch immer starrte sie mich reglos an, doch plötzlich blitzte etwas in ihren Augen auf. Egal, wie kühl und wie geschäftsmäßig sie sich mir gegenüber gab, in Wirklichkeit unterdrückte sie nur mühsam ihren Zorn. Genau wie ich von Anfang an vermutet hatte, schlummerte in dieser Prinzessin eine kleine Hexe, die es offensichtlich nicht gewohnt war, ihren Willen nicht zu bekommen. Schweigend beugte sie sich vor, als würde sie auf irgendetwas … warten.

Dachte sie etwa im Ernst, ich würde mich bei ihr dafür bedanken, dass sie hier erschienen war? »Auf Wiedersehen.«

Sie stand langsam auf und reichte mir die Hand. Wieder wanderte die Wärme ihrer Finger erst durch meinen Arm und breitete sich dann in meinem ganzen Körper aus. Eilig zog ich meine Hand zurück.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hoch erhobenen Hauptes aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen.

Ich trat ans Fenster, hob die Jalousie etwas an und sah, wie sie zu einem weißen Jetta lief. Es überraschte mich, dass sie einen so unauffälligen Wagen fuhr. Sie öffnete die Tür, blieb stehen und sah sich auf dem Weingut um. Etwas an ihrer Miene ließ mich einen Schritt nach vorne machen, und fast wäre ich gegen die Scheibe gestoßen. Ihr Gesicht hatte Bewunderung für diese schäbige Umgebung und gleichzeitig so etwas wie Verständnis gezeigt. Noch bevor ich überlegen konnte, was das zu bedeuten hatte, kletterte sie in den Wagen, zog die Tür hinter sich zu und bog vom Grundstück auf die Straße, wo sie meinem Blick entschwand.

Vielleicht hatte ich ja vorschnell über sie geurteilt. Und wenn jemand das Gefühl, verurteilt zu werden, kennen musste, dann ich.

Vielleicht war mein Kater schuld daran gewesen und die Tatsache, dass der Typ Frau, den sie verkörperte, mich an die Frau meines Vaters erinnerte. Außerdem war es mehr als unverfroren, einfach hier aufzutauchen und mir nur aus finanziellen Gründen eine Ehe anzubieten …

Oder aber sie war ganz anders, als sie auf den ersten Blick erschien.

Ich nahm wieder hinter meinem Schreibtisch Platz, um sie zu googeln. Schließlich hatte sie das andersherum ebenfalls gemacht.

Sobald ich ihren Namen eingab, tauchte eine ganze Serie von Bildern auf: Kira Dallaire im Abendkleid, wie sie aus einer Limousine stieg, Kira Dallaire bei der Premiere eines Films, Kira Dallaire auf einer Wohltätigkeitsgala neben ihrem Vater Frank. Immer mit demselben schmalen, arroganten Lächeln im Gesicht.

Auf mehreren Fotos stand sie neben einem attraktiven, blonden Mann, der gut zehn Jahre älter schien als sie. Ich klickte eins der Bilder an und las, dass Cooper Stratton und seine Verlobte darauf abgebildet waren. Ich schaute auf das Datum und erkannte, dass das Bild vor über einem Jahr geschossen worden war. Hatte Kira deshalb ihre Ausbildung am College abgebrochen? Hatte sie gedacht, sie hätte an der Seite eines erfolgreichen Mannes ein für alle Mal ausgesorgt?

Ich klickte mich durch eine Reihe von Artikeln, und meine Verachtung nahm mit jeder Zeile zu. Zwar wurde es nirgendwo direkt ausgesprochen, doch man konnte ohne Mühe aus den Texten schließen, was geschehen war. Kira war mit Cooper Stratton verlobt gewesen, einem jungen vielversprechenden Staatsanwalt, der als Richter ans Gericht von San Francisco hatte wechseln sollen. Dann aber war sie in einen peinlichen Skandal verwickelt worden – irgendwas mit Drogen in einer der Suiten des St. Regis – Stratton hatte sich von ihr getrennt, und Frank als treu sorgender Vater hatte sie in dem Bemühen, sie zu schützen und ihr zu helfen, in eine Entzugsklinik oder vielleicht eher ein schickes Spa in London oder Paris geschickt. Doch jetzt war sie zurückgekommen, und ihr Vater wollte offenbar das ausschweifende Partyleben, das sie führte, nicht mehr finanzieren und sie auch sonst so lange nicht unterstützen, bis sie den Beweis erbrachte, dass sie ein für alle Mal geläutert war. Natürlich wusste ich nicht, ob es tatsächlich genauso war. Doch aus welchem Grund auch immer, jetzt wollte sie die Dinge anscheinend selber in die Hand nehmen.

Ich hatte recht gehabt: Sie war wie meine Stiefmutter. Sie hatte immer alles auf dem silbernen Tablett serviert bekommen und war deswegen der Überzeugung, dass sie einen Anspruch darauf hatte, dass es stets nach ihrem Willen ging. Eine selbstsüchtige Frau, die davon ausging, dass sich jeder ihren Wünschen beugte, und wenn sich ihr jemand widersetzte, unternahm sie ohne Rücksicht auf Verluste alles, bis die Dinge wieder liefen, wie es ihr gefiel.

Ich lehnte mich zurück und dachte nach. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass mir einmal die Erfüllung meines größten Traums auf einem silbernen Tablett serviert werden würde. Doch genau das war geschehen.

Auf meine Art war ich nicht weniger verzweifelt als Kira Dallaire. Doch war meine Verzweiflung wirklich groß genug, um meinen Namen – wenn auch nur vorübergehend – herzugeben für die Rettung dieses Weinguts und für die Erfüllung meines Schwurs?

Mein Blick fiel auf ein kleines Bild am Ende des Artikels, den ich kurz zuvor gelesen hatte. Mit einem stolzen Lächeln hatte Cooper Stratton seine Hand besitzergreifend auf den Rücken von Kira Dallaire gelegt, und sie sah grinsend und mit einem hübschen Grübchen in der rechten Wange zu ihm auf.

Die kleine Hexe hatte tatsächlich ein Grübchen, aber diese winzige Vertiefung war doch sicherlich nicht Grund genug, dass mein Herz plötzlich schneller schlug.

3 – Kira

Obwohl er aussah wie ein Prinz, hätte er in einem Märchen sicher eher den Drachen dargestellt. Biestig, vorurteilsbeladen, Feuer speiend.

Im Grunde aber hätte mich sein Auftreten nicht wirklich überraschen sollen. Um meine Menschenkenntnis war es schließlich alles andere als gut bestellt. Das hatte ich schon mal bewiesen und einen schmerzlich hohen Preis dafür bezahlt.

Trotzdem war ich nicht gefasst gewesen auf die spöttische Verachtung, mit der Grayson Hawthorn mir begegnet war. Und ja, okay, wahrscheinlich hatte ihm noch nie jemand ein derart frevlerisches Angebot gemacht. Aber schließlich würde ich ihm einen riesigen Gefallen tun. Ich bot ihm jede Menge Geld. Natürlich gegen einen Preis – das hatte ich ihm gegenüber sofort eingeräumt. Ich hatte ihn gebeten, mich für Geld zu heiraten. Ich fuhr zusammen, weil die Wahrheit doch ein wenig schmerzlich war. Doch auf meiner Liste mit dem Für und Wider dieser Übereinkunft waren die Vorteile eindeutig in der Überzahl. Obwohl die Nachteile durchaus gewichtig waren und egal, wie man sie nannte, dazu führen könnten, dass er Abstand von der Sache nahm. Obwohl ich mich bemüht hatte, möglichst geschäftsmäßig zu wirken, hatte er mich so verächtlich angesehen, als wäre ich der letzte Dreck. Und dass ich mich selbst so fühlte, hatte es nicht einfacher für mich gemacht.

Je herablassender er mich angesehen hatte, umso unsicherer und nervöser war ich während des Gesprächs geworden. So war es mir immer schon gegangen. Das Gefühl, nichts wert zu sein, war mir von Kindesbeinen an schmerzlich vertraut.

Und dann hatte er mir erklärt, ich wäre nicht sein Typ. Als ob das eine Rolle spielen würde. Nein, das tat es nicht. Das war mir vollkommen egal. Es reichte völlig aus, wenn er auf meine Kohle stand.

Weshalb also hatte dieser Satz mir in der Seele wehgetan?