Fear Street 21 - Teuflische Schönheit - R.L. Stine - E-Book

Fear Street 21 - Teuflische Schönheit E-Book

R.L. Stine

4,3

Beschreibung

Als Cory Brooks Anna zum ersten Mal sieht, ist er von ihrer Schönheit wie gebannt. Doch wer ist die Neue an der Shadyside-Highschool? Denn Anna sieht nicht nur umwerfend aus, sie gibt sich auch sehr geheimnisvoll. Und Cory ist bald geradezu besessen, ihr näher zu kommen. Als er endlich herausfindet, was Anna zu verbergen hat, ist es fast schon zu spät. Der Horror-Klassiker endlich auch als eBook! Mit dem Grauen in der Fear Street sorgt Bestsellerautor R. L. Stine für ordentlich Gänsehaut und bietet reichlich Grusel-Spaß für Leser ab 12 Jahren. Ab 2021 zeigt Neflix den Klassiker Fear Street als Horrorfilm-Reihe!

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Prolog

Leb wohl, Anna.

Mach’s gut.

Seht nur, wie sie dort unten liegt. Ganz verkrümmt. Und mit total verknittertem Kleid.

Das würde ihr gar nicht gefallen. Wo sie doch immer so adrett aussah.

Und all das Blut würde ihr auch nicht gefallen – so dunkel und klebrig.

Du warst immer perfekt, Anna. Stets so fröhlich und strahlend, jeden Tag wie aus dem Ei gepellt.

„Mein Diamant“, hat Mum dich genannt.

Aber wer war ich dann?

Wer war ich, während du die kleine Miss Makellos gespielt hast?

Jetzt bist du wirklich vollkommen. Nämlich vollkommen tot, haha.

Ich sollte nicht lachen. Aber es war so einfach.

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so einfach sein würde. Dabei habe ich oft davon geträumt und es mir glühend gewünscht. Mann, hatte ich Schuldgefühle deswegen.

Aber ich wusste nicht, dass es so leicht gehen würde.

Ein Schubs.

Ein kleiner Schubs – und schon bist du hinuntergestürzt.

Sieh dich doch nur mal an, wie du da unten liegst – ganz verrenkt. Vollkommen verrenkt.

Jetzt wird die Haustür geöffnet. Sie kommen zurück. Und ich fange an zu schluchzen.

Schließlich ist es ein schreckliches Unglück.

Ein furchtbarer, tragischer Unfall.

Ich muss nun um dich weinen. Und ich muss hinlaufen und es ihnen erzählen.

„Anna ist tot, Mum! Komm schnell! Es ist so schrecklich – sie ist tot!“

1

Als Cory Brooks die Neue zum ersten Mal sah, stand er in der Kantine auf dem Kopf.

Genauer gesagt, stand er auf dem Kopf und auf einer Hand, während er mit der anderen Hand ein volles Tablett balancierte. Seine schwarzen, knöchelhohen Chucks befanden sich dort, wo normalerweise sein Kopf gewesen wäre.

Ein paar Sekunden zuvor hatte David Metcalf behauptet, dass Cory das nicht schaffen würde. Er war Corys bester Freund und wie er ein Draufgänger und Mitglied der Turnermannschaft der Shadyside-Highschool.

„Leichteste Übung, Mann“, hatte Cory kopfschüttelnd gesagt. Man musste ihn nie zweimal bitten, wenn es darum ging, sich mit David zu messen. Cory war sich mit der Hand durch das lockige schwarze Haar gefahren und hatte seinen Blick kurz durch den großen, überfüllten Raum wandern lassen, um sicherzugehen, dass keine Lehrer zusahen. Dann sprang er hoch, machte eine Drehung in der Luft und landete gekonnt auf beiden Händen. Nachdem er sein Gewicht mit Kopf und einer Hand ausbalanciert hatte, schnappte er sich mit der anderen Hand das voll beladene Tablett, ohne etwas davon zu verschütten.

David, der am Nebentisch saß, pfiff und klatschte begeistert, ebenso wie einige andere lachende und johlende Zuschauer. „Und jetzt ganz ohne Hände!“, rief David.

„Ja, mach schon!“, drängte auch Arnie Tobin, ein weiterer Kumpel aus dem Turnerteam.

„Und dann ohne Kopf!“, grölte ein Witzbold. Alle lachten.

Cory fühlte sich inzwischen etwas unbehaglich. Das Blut strömte ihm in den Schädel. Ihm war schwindlig und die Stelle, wo er mit dem harten Fliesenboden in Kontakt war, begann zu schmerzen.

„Wetten, du kannst dein Mittagessen nicht so essen?“, rief David, der ihn wie üblich noch weiter herausforderte.

„Und was gibt’s zum Nachtisch? Gestürzten Pudding?“, kreischte ein Mädchen, das nahe beim Fenster saß. Einige andere Kids stöhnten und buhten bei diesem schlechten Witz.

„Hey, Cory – steht dir echt gut, die Frisur!“, rief jemand.

Die Sticheleien, die lauten Stimmen, das Gegröle und Gelächter – all das schien zu verebben, als die Neue in Corys Blickfeld schwebte. Sie war so blass, so blond, so unglaublich zart und schön, dass er sie zuerst für eine Erscheinung hielt. Ob er vielleicht wegen des ganzen Bluts, das ihm in den Kopf gelaufen war, schon Halluzinationen hatte?

Das Mädchen eilte an der gegenüberliegenden Wand entlang auf die große Doppeltür der Kantine zu. Cory erhaschte nur einen kurzen Blick auf sie – und das auch noch kopfüber. Mit einem Mal blieb sie stehen und sah ihn aus hellblauen Augen an. Ihre Blicke trafen sich. Lächelte sie oder runzelte sie die Stirn? Aus dieser Position konnte er das unmöglich sagen. Dann schüttelte sie ihren blonden Kopf, als würde sie die Verbindung absichtlich abbrechen, und verschwand aus seinem Blickfeld.

Diese Augen!

„Wer ist sie?“, dachte Cory. „Die ist ja unglaublich!“

In Gedanken ganz bei der Neuen vergaß er, sich auf das empfindliche Gleichgewicht zu konzentrieren, in dem sein Körper sich befand. Das Tablett fiel als Erstes, gefolgt von Cory, der mit dem Gesicht mitten im Essen landete. Er knallte mit der Brust hart auf den Boden, die langen Beine hinter sich ausgestreckt.

Die ganze Kantine brach in Gelächter und höhnischen Applaus aus.

„Noch mal!“, dröhnte Arnie Tobins Stimme durch den Raum. Er konnte mit seiner Röhre locker ganze Menschenmassen übertönen.

David eilte zu seinem Freund, um ihm aufzuhelfen. „Na, noch mehr so tolle Ideen?“, stöhnte Cory, während er sich Spaghetti und Tomatensoße aus den Haaren fischte.

„Hol dir doch nächstes Mal einfach ein Sandwich“, sagte David lachend. Er hatte karottenrotes Haar und viele Sommersprossen. Wenn er sein hohes, durchdringendes Gelächter ausstieß, stellten die Hunde noch in einer Meile Entfernung die Ohren auf.

Cory wischte sich mit der Vorderseite seines T-Shirts die Spaghettisoße aus dem Gesicht. Als er aufblickte, fiel sein Blick auf MrsMacReedy, die Lehrerin, die heute in der Kantine Aufsicht hatte. Sie hatte sich wortlos vor ihm aufgebaut und schüttelte nur den Kopf.

„Tut mir leid deswegen“, nuschelte Cory und kam sich ziemlich bescheuert vor.

„Weswegen?“, fragte MrsMacReedy, ohne eine Miene zu verziehen.

Cory lachte. Zum Glück hatte die Frau Humor!

„Das war alles Arnies Idee“, behauptete David und zeigte auf den Tisch, wo sein Freund saß und sich mehrere Salzstangen gleichzeitig in den Mund stopfte.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Arnie jemals eine eigene Idee hatte“, sagte MrsMacReedy, nach wie vor mit unbewegtem Gesicht. Dann blinzelte sie Cory einmal kurz zu und verschwand.

Immer noch vor Spaghetti und Tomatensoße tropfend, beugte Cory sich hinunter, um das Tablett aufzuheben. „Hey David, wer war eigentlich das Mädchen?“

„Welches Mädchen?“

„Die Blonde. Sie ging gerade raus, als …“

„Wer?“ David wirkte verwirrt. Er hob Corys Besteck auf und warf es aufs Tablett. „Meinst du etwa, wir haben ’ne Neue?“

Cory stöhnte genervt. „Hast du sie denn nicht gesehen?“

„Nein, ich hab mir lieber angeschaut, wie du dich total zum Affen gemacht hast.“

„Ich? Das war doch deine Idee!“

„Von wegen. Es war bestimmt nicht meine Idee, dass du einen Kopfsprung in einen Teller Spaghetti machst.“

„Sie ist blond und hat ein hellblaues Kleid getragen.“

„Wer?“

„Das Mädchen, das ich gesehen habe.“

„Du hast ein Mädchen gesehen, das in einem Kleid zur Schule gekommen ist?“

„Du glaubst mir immer noch nicht, was?“ Cory blickte zur Tür, als sei sie immer noch da. Doch dann knurrte sein Magen und ihm fiel wieder ein, dass er gerade sein Mittagessen zermanscht hatte. „Hey, hast du mal ein bisschen Kohle für mich? Ich sterbe vor Hunger.“

„Da fragst du den Falschen, Alter“, sagte David grinsend und wich mit ausgestreckten Händen zurück.

„Komm schon. Du schuldest mir was.“ Cory stellte das Tablett auf einem leeren Tisch ab und folgte ihm.

„Vergiss es, Mann.“

„Wo ist dein Mittagessen? Das können wir uns doch teilen.“ Cory schlug einen Haken und ging auf Davids Tisch zu.

„Mein Mittagessen? Kommt nicht infrage. Ich habe doch nichts …“

Cory griff nach dem Apfel auf Davids Tablett und schnappte sich dann eine Handvoll Salzstangen von Arnies Teller.

„Hey, die brauche ich!“, protestierte Arnie und grapschte vergeblich danach.

„Sei ein Kumpel“, nuschelte Cory, den Mund voll Apfel. „Wir haben doch nach der Schule Training. Wenn ich nichts esse, bin ich zu schwach, um auf den Schwebebalken zu klettern.“

„Es bricht mir das Herz“, höhnte Arnie. Er brach blitzschnell die Salzstangen ab, die Cory in der Hand hielt, und stopfte sie sich in den Mund. „Dann haben wir anderen wenigstens auch mal ’ne Chance.“

Cory hörte mehr als ein bisschen Groll aus Arnies Worten heraus. Er fühlte sich mies deswegen, aber was sollte er tun? Er konnte doch nichts dafür, dass er mehr Talent hatte als die anderen in seinem Team. Seit seinem ersten Jahr auf der Highschool war er schon in der Auswahlmannschaft der Turner. Und Trainer Welner war davon überzeugt, dass er es im nächsten Frühjahr bis zu den nationalen Meisterschaften schaffen würde.

„Gut, dass der Coach nicht gesehen hat, wie ich in meinem Mittagessen gelandet bin“, dachte Cory. Er verdrückte die Reste von Arnies Salzstangen und schlürfte die letzten Schlucke von Davids Schokomilchshake. Dann zerdrückte er den Pappbecher mit der Hand.

„Ein ausgewogenes Mittagessen“, sagte er und hickste.

Arnie war inzwischen dazu übergegangen, David eine neue Art des Abklatschens beizubringen. Sein normalerweise ständig grinsendes Gesicht hatte einen konzentrierten Ausdruck angenommen, während er wieder und wieder gegen Davids Hand schlug, um es noch besser hinzukriegen. „Nicht so, du Trottel“, stöhnte er ein ums andere Mal.

Cory fragte sich kopfschüttelnd, wer der eigentliche Trottel war. „Bis später“, sagte er und warf den zerdrückten Pappbecher quer durch den Raum in einen Mülleimer. Die beiden sahen nicht einmal auf.

Er ging auf die Doppeltür zu und ignorierte ein paar Leute, die sich über sein fleckiges T-Shirt und seine verschmierten Haare lustig machten. „Hey, Cory – fang mal!“ Jemand warf eine Milchtüte nach ihm. Sie prallte von einem Tisch ab und landete auf dem Boden.

Cory reagierte überhaupt nicht, denn er war in Gedanken wieder bei dem Mädchen mit dem blauen Kleid. Er hatte sie nur für ein paar Sekunden gesehen – und das auch noch verkehrt herum – und doch wusste er mit absoluter Sicherheit, dass sie das schönste Mädchen war, das er jemals getroffen hatte.

Betörend schön.

Die Worte schossen ihm plötzlich durch den Kopf.

Cory merkte, dass er nach ihr Ausschau hielt, während er auf dem Weg zu seinem Spind den Flur hinunterging.

Wo ist sie? Wer ist sie? Ich habe sie mir doch nicht eingebildet, oder?

„Hey, Cory – hast du in deinem Mittagessen gebadet?“, rief ihm jemand zu.

Er schaute stur geradeaus. Ihm war klar, dass er ziemlich schlimm aussah. Plötzlich hoffte er, dass er dem Mädchen nicht gerade jetzt begegnen würde. Er wollte nicht, dass sie ihn mit Tomatensoße im Haar und auf dem T-Shirt sah.

Cory blieb vor seinem Spind stehen und überlegte, was er jetzt tun sollte. Hatte er noch genug Zeit, um nach unten zu den Duschen zu gehen? Er warf einen Blick auf seine Uhr. Keine Chance. In knapp zwei Minuten würde es zur fünften Stunde klingeln. Vielleicht konnte er Englisch ausfallen lassen. Nein. MrHestin wollte heute die Referate verteilen.

In diesem Moment tauchte Lisa Blume neben ihm auf und fummelte an ihrem Zahlenschloss herum, um den Spind zu öffnen. Nachdem es ihr gelungen war, musterte sie Cory. „Du siehst ja super aus.“

„Danke.“ Er blickte auf sein T-Shirt hinunter. „Erinnert dich das an die Zeit, als wir noch Kinder waren?“

„Nö, damals warst du sauberer.“ Sie lachte.

Cory und Lisa hatten schon ihr ganzes Leben im Stadtteil North Hills Tür an Tür verbracht. Bereits als kleine Kinder hatten sie miteinander gespielt. Ihre beiden Familien standen sich so nahe, dass sie fast wie eine große Familie waren.

Da sie so eng zusammenwohnten, war es Cory und Lisa gelungen, selbst in der schwierigen Phase, wo Jungen nur mit Jungen und Mädchen nur mit Mädchen spielten, befreundet zu bleiben. Jetzt, als Teenager, kannten sie sich so gut und waren so vertraut miteinander, dass ihnen ihre Freundschaft wie ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens vorkam.

Lisa war ein dunkler Typ und sah richtig gut aus. Sie hatte lange schwarze Haare, die ihr in Locken auf die Schultern fielen, mandelförmige Augen und einen schön geschwungenen, betonten Mund, der sich zu einem spöttischen Lächeln verzog, wenn sie etwas Lustiges sagte, was ziemlich häufig vorkam. Ein Haufen Leute sagte, sie sähe aus wie ein Filmstar. Und auch wenn Lisa nicht zugab, dass sie sich dadurch geschmeichelt fühlte, freute sie sich doch im Stillen darüber.

Während sie so vor ihren Spinden standen, starrte sie Cory neugierig an. „Ich habe in der Kantine einen Kopfstand gemacht“, sagte er, als würde das seinen Aufzug erklären.

„Nicht schon wieder“, seufzte sie und beugte sich hinunter, um einige Bücher vom Boden ihres Spinds aufzuheben. „Wen wolltest du denn diesmal beeindrucken?“

Ihre Frage ärgerte ihn. „Wie kommst du darauf, dass ich angeben wollte? Ich habe nur gesagt, dass ich einen Kopfstand gemacht habe.“

„David hat dich herausgefordert. Stimmt’s?“

„Woher willst du das wissen?“

„Och, nur so ein Schuss ins Blaue.“ Sie stand auf, den Arm voller Bücher und Hefte. „So kannst du jedenfalls nicht in die Klasse gehen. Du riechst wie ’ne Pizza.“

„Was soll ich denn machen?“

„Hier. Ich leih dir ein T-Shirt.“ Sie kniete sich wieder hin und begann, in ihrem vollgestopften Spind herumzuwühlen.

„Ein Mädchen-T-Shirt? Ich kann doch keinen Mädchenfummel tragen!“ Er packte den Ärmel ihres Pullovers und versuchte, sie hochzuziehen.

Lisa befreite sich aus seinem Griff. „Es ist von einem echt coolen Label. Das können Mädchen und Jungen tragen. Entspann dich, es ist doch nur ein T-Shirt.“ Sie zog ein schwarz-weiß gestreiftes Teil aus dem Chaos und warf es ihm zu. „Aber wasch dir die Haare, bevor du es anziehst.“

Es klingelte. Spindtüren wurden zugeknallt und im Flur wurde es langsam ruhiger, als die Schüler zum Beginn der fünften Stunde in ihren Klassen verschwanden.

„Spinnst du? Wie soll ich mir denn hier die Haare waschen?“

Lisa zeigte auf den Trinkbrunnen auf der anderen Seite der Eingangshalle. Cory lächelte sie dankbar an. „Du bist echt clever. Hab ich doch schon immer gesagt.“

„Wow, was für ein Kompliment von einem Typen, der mittags den Kopf in seine Spaghetti steckt“, erwiderte sie, während ihr Mund sich zu dem vertrauten Lächeln verzog.

„Könntest du für mich auf den Knopf drücken?“, bat Cory und flitzte zu dem niedrigen weißen Trinkbrunnen hinüber. Er ließ seinen Blick durch die Halle wandern, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete.

„Vergiss es, Cory. Ich will nicht zu spät kommen“, sagte Lisa, aber folgte ihm trotzdem. „Und ich möchte ganz bestimmt nicht mit dir gesehen werden.“

„Hey, du bist ein echter Kumpel.“

Er sah nicht, wie Lisa genervt das Gesicht verzog. Sie hasste dieses Wort. Seufzend drückte sie auf den Wasserknopf und hoffte, dass niemand vorbeikam. Cory klemmte seinen Kopf unter den Trinkwasserbrunnen und versuchte, sich die getrocknete Tomatensoße aus den verklebten Locken zu spülen.

Als es noch einmal klingelte, ließ Lisa den Knopf des Wasserspenders los. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“

Cory richtete sich kurz auf. Das Wasser strömte ihm übers Gesicht. Er zog sich das alte T-Shirt über den Kopf und rubbelte sich damit die Haare ab.

„Cory, echt. Ich will nicht zu spät kommen.“ Lisa warf ihm das saubere Hemd zu und rannte dann los, die Bücher und Hefte mühsam umklammert.

Das gestreifte T-Shirt fiel direkt vor Corys Füßen zu Boden. Während er sich weiter die Haare mit dem schmutzigen Teil trocken rubbelte, bückte er sich nach dem sauberen.

Und dann sah er das Mädchen wieder.

Zuerst nahm er ihr blaues Kleid wahr. Dann ihr blondes Haar.

Sie war schon halb den Flur hinunter und offenbar auf dem Weg in ihre Klasse.

Ihre Bewegungen waren irgendwie seltsam. Ihre Füße machten beim Laufen kein Geräusch. Sie war so zart, dass es aussah, als schwebte sie ein paar Zentimeter über dem Boden.

„Hey, warte …!“, rief er ihr nach.

Sie blieb stehen und drehte sich um. Ihre blonden Haare wehten dabei um ihren Kopf. Wieder trafen sich ihre Blicke. Was war das in ihren blauen Augen? Furcht?

Ihre Lippen bewegten sich. Offenbar sagte sie etwas, aber er konnte es nicht verstehen.

„Bitte nicht.“

War es das, was sie gemeint hatte?

Nein. Bestimmt nicht.

Das konnte nicht sein. Aber Cory war furchtbar schlecht im Lippenlesen.

„Tu’s nicht!“

Nein. Auf keinen Fall.

Was hatte sie wirklich gesagt? Und warum sah sie so verschreckt aus?

„Bitte, warte doch …!“, rief er.

Doch sie verschwand in einem Klassenraum.

2

Cory knallte die Tür seines Schließfachs im Umkleideraum zu und schlug wütend mit der Faust dagegen.

„Hey, was ist los mit dir, Mann?“, fragte David, immer noch in seinen Trainingsklamotten.

„Ich hab’s versaut!“, rief Cory. „Am Barren war ich der letzte Versager.“

„Na und?“, erwiderte David achselzuckend. „Wenigstens hast du dir nicht den Knöchel verstaucht.“ Er rieb sich über seinen eigenen, der inzwischen fast auf die Größe eines Tennisballs angeschwollen war.

„Kommt bestimmt noch“, murmelte Cory genervt. Er warf David sein nasses Handtuch über den Kopf und stieß wütend die Tür zum Umkleideraum auf. Er hatte gerade das schlechteste Training des Jahres – ach was, seines Lebens! – hinter sich. Und er wusste auch, warum.

Es war die Neue.

Cory hielt jetzt schon seit drei Tagen nach ihr Ausschau. Seit der kurzen Begegnung im Schulkorridor vor der fünften Stunde am Montag hatte er sie nicht wiedergesehen. Aber sie war ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Sie war einfach zu schön!

In der ersten Nacht hatte er sogar von ihr geträumt.

In seinem Traum aß er gerade in der Schule zu Mittag. Sie schien durch die Kantine zu schweben und kam direkt an seinen Tisch. Ihre blauen Augen funkelten wie das Meer im Sonnenlicht. Als sie sich vorbeugte, fiel ihr Haar weich und duftend über sein Gesicht.

Sie fing an, ihn zu küssen – seine Wange, seine Stirn, seine Lippen. Sanfte Küsse, die so zart waren, dass er sie gar nicht spürte.

Dabei wollte er es unbedingt. Aber sosehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts fühlen.

Er streckte die Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren, aber seine Finger schienen direkt durch sie hindurchzugehen.

Dann wachte er auf.

Der Traum ließ ihn nicht wieder los. Eigentlich hätte es ein schöner, aufregender Traum sein müssen. Doch so war es nicht. Er hatte etwas Unheimliches. Warum konnte er die Küsse des geheimnisvollen Mädchens nicht spüren oder ihr Gesicht berühren?

Die nächsten drei Tage hielt er in der Kantine und während der Pausen in den Fluren nach ihr Ausschau. Er wartete sogar nach Schulschluss an der Eingangstür auf sie, in der Hoffnung, wenigstens einen Blick auf sie zu erhaschen. Aber sie tauchte nicht wieder auf. Und keiner der Leute, die Cory gefragt hatte, wusste, wer sie war, oder konnte sich erinnern, sie gesehen zu haben.

Als er jetzt durch den leeren Gang trottete und darüber nachdachte, warum sein Timing während des Turntrainings so schlecht gewesen war, sah er ständig ihr Gesicht vor sich. Und zum tausendsten Mal stellte er sich vor, wie sie leichtfüßig durch die Halle schwebte.

„Gibt es dich wirklich?“, fragte Cory laut. Seine Stimme hallte von den gekachelten Wänden wider.

„Ja, natürlich. Und was ist mit dir?“, antwortete eine Mädchenstimme. Cory sprang vor Schreck beinahe aus seinen Schuhen.

Als er herumfuhr, fiel sein Blick auf Lisa, die ihn mit fragender Miene ansah.

„Führst du jetzt schon Selbstgespräche?“

Cory spürte, wie er rot anlief. „Was machst du denn hier? Es ist doch schon nach fünf.“

„Es ist auch meine Schule, weißt du. Ich kann so lange hierbleiben, wie ich will. Ihr Sportskanonen denkt wohl, euch gehört hier alles, was?“

Cory zuckte mit den Schultern. Er war jetzt nicht in der Stimmung, mit ihr herumzualbern.

„Wir haben uns wegen des Layouts für die nächste Ausgabe getroffen.“ Lisa war die stellvertretende Herausgeberin der Highschoolzeitung. „Ich nehme mal an, du hast Räder in der Sporthalle geschlagen.“

„So ’nen Quatsch machen wir nicht“, sagte er mürrisch. „Wir haben für den Wettkampf am Freitag trainiert.“

„Na, dann viel Glück“, sagte sie und knuffte ihn in die Seite. „Die sind ziemlich gut, oder?“

„So gut nun auch wieder nicht.“

Als sie gemeinsam weitergingen, hallten ihre Schritte laut durch den Flur. Bei den Spinden angekommen, blieben sie stehen, um ihre Jacken und Rucksäcke herauszuholen.

„Gehst du nach Hause?“, fragte Lisa und fügte hinzu: „Dann könnten wir ja zusammen gehen.“

„Klar“, antwortete er, obwohl er im Moment eigentlich lieber alleine gewesen wäre.

Sie nahmen den Hinterausgang, der auf den Lehrerparkplatz führte. Dahinter erhob sich das Footballstadion, ein Oval aus Beton mit lang gezogenen hölzernen Tribünen zu beiden Seiten. Und hinter dem Stadion lag der Shadyside-Park, ein weitläufiges, grasbewachsenes Gelände, auf dem uralte Eichen, Platanen und Sassafrasbäume wuchsen. Es fiel sanft zum Ufer des Cononka-Flusses ab, der lediglich ein schmaler, gewundener Wasserlauf war.

Durch die Nähe des Parks zur Highschool hingen hier nachmittags fast alle ab, die nicht nach der Schule jobben mussten. Es war der ideale Ort, um Freunde zu treffen, zu relaxen, Picknicks oder spontane Partys zu organisieren, zu lernen, rumzumachen, stundenlang Frisbee zu spielen, ein Nachmittagsschläfchen zu halten oder einfach die Eichhörnchen oder den langsam dahinfließenden Fluss zu beobachten.

Aber nicht heute. Der Wind war kalt und böig und wirbelte Kaskaden brauner Blätter in schnellen Kreisen über den Parkplatz. Während sie die Reißverschlüsse ihrer Jacken zuzogen, um sich gegen die unerwartete Kälte zu schützen, blickten Cory und Lisa zum dunklen Himmel mit den tief hängenden Wolken auf. Es war ein typischer Novemberhimmel, der Schnee versprach.

„Lass uns lieber den Hauptweg nehmen“, sagte er. Sie gingen um das Schulgebäude herum bis zum Vordereingang. Beim Gehen lehnte Lisa sich an ihn. „Wahrscheinlich will sie sich ein bisschen aufwärmen“, dachte Cory.

„Jetzt wird’s wohl richtig Winter“, seufzte Lisa.

Sie gingen den Park Drive entlang und dann in Richtung North Hills – ein Weg, den sie schon tausendmal zusammen zurückgelegt hatten. Doch heute kam es Cory irgendwie anders vor als sonst.

Sie schwiegen eine ganze Zeit, als sie den Hügel hinaufstapften. Zuerst hatten sie den böigen Wind im Rücken, dann blies er ihnen plötzlich mit voller Wucht von vorn ins Gesicht. Auf einmal begannen beide gleichzeitig zu reden.

„Hast du ein Mädchen mit blonden Haaren und …“

„Hast du am Samstagabend schon was vor?“

Beide verstummten im selben Moment und setzten gleichzeitig wieder an.

Lisa schubste ihn. „Du zuerst.“

Cory schubste zurück, aber nicht so fest. „Nein. Du.“

Ein vorbeifahrendes Auto hupte ihnen zu. Wahrscheinlich jemand aus der Schule. Es war zu dunkel, um erkennen zu können, wer darin saß.

„Ich habe dich gefragt, ob du Samstagabend schon etwas vorhast“, wiederholte Lisa und lehnte sich wieder an ihn.

„Nein, ich glaube nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte sie. Ihre Stimme klang komisch, irgendwie angespannt. Cory nahm an, dass es am Wind lag.

„Hast du zufällig ein Mädchen mit blonden Haaren und großen blauen Augen gesehen?“, fragte er.

„Was?“

„Sie ist total hübsch, sieht aber irgendwie komisch aus. Ein bisschen altmodisch und sehr blass.“

Lisa ließ seinen Arm los. Cory entging der enttäuschte Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Meinst du etwa Anna?“, fragte sie.

Er blieb stehen und drehte sich, plötzlich ganz aufgeregt, zu ihr um. In diesem Moment gingen die Straßenlaternen flackernd an. Es wirkte, als hätten sie auf Lisas Stichwort gewartet. „Anna heißt sie?“

„Ja, sie ist neu an der Schule. Sehr blass. Blond. Klemmt ihren Pony mit einer Haarspange fest. Trägt immer Kleider.“

„Genau. Das ist sie! Anna. Wie heißt sie mit Nachnamen?“

„Was weiß ich“, fauchte Lisa und bedauerte gleich darauf, dass sie ihm gezeigt hatte, wie sauer sie war. „Corwin, glaube ich. Anna Corwin. Sie ist in meinem Physikkurs.“