Finde den Fehler - Andrea Hundsdorfer - E-Book

Finde den Fehler E-Book

Andrea Hundsdorfer

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Beschreibung

Durch eine zeitliche Überschneidung zweier Notarzteinsätze gelangt die Leiche einer Frau unerwartet auf dem Seziertisch des jungen Pathologen Florian Häusler. Er soll die Diagnose (Herzversagen) des Notarztes bestätigen und die Leiche anschließend dem Bestatter übergeben. Bei der Obduktion jedoch entdeckt Häusler zwei bräunliche Flecken an der Innenseite des linken Oberschenkels. Die Sache lässt ihm keine Ruhe und er entschließt sich, seine Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. Vor dem Präsidium stößt er aus Versehen mit der ehrgeizigen Kommissarin Ivonne Holtkämper zusammen. Die Ermittlerin stellt gerade Nachforschungen an, zu zwei ungeklärten Todesfällen, deren Opfer ebenfalls bräunliche Verfärbungen an ihren Oberschenkeln aufweisen. Gemeinsam stößt dieses ungewöhnliche Ermittlerduo auf erste Gemeinsamkeiten zwischen den beiden alten Fällen und dem aktuellen Tötungsdelikt.

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Seitenzahl: 241

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1989

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

1990

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

1992

Fünftes Kapitel

1994

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

1997

Neuntes Kapitel

2003

Verschenkt

Zehntes Kapitel

Der goldene Käfig

Elftes Kapitel

Callboy

2006

Zwölftes Kapitel

2007

Mein Baby

2013

Am Ziel

Dreizehntes Kapitel

Vollwaise

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Tobias

Sechzehntes Kapitel

Mordgedanken

2017

Affäre #1

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Affäre #2

2018

Neunzehntes Kapitel

Verdacht #1

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Affäre #3?

Verdacht #2

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Ermittlungen

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Erkenntnisse

Flucht aus dem Goldenen Käfig

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Prolog

1989

»Finde den Fehler«, forderte er mich auf. Der DIN A3 große Bogen Papier lag ausgebreitet vor mir auf dem Esstisch. Im spärlichen Schein der Glühbirne der alten Pendelleuchte suchten meine Augen nach der Lösung in dem Wirrwarr von Linien, Zahlen und mir größtenteils unbekannten Symbolen. Immer hektischer huschten meine Pupillen über das Blatt. Panik machte sich breit und der Druck auf meine ohnehin volle Blase erhöhte sich.

Ich warf einen flehentlichen Blick in Richtung Küche, doch meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir an der Spüle und gab vor, das Geschirr vom Abendessen abzuwaschen. Ich fixierte einen Punkt zwischen ihren Schulterblättern und verstärkte meinen Blick. Warum nur spürte sie ihn nicht? »Finde den Fehler!« Sie zuckte zusammen, also hatte sie die Aufforderung gehört, rührte sich aber immer noch nicht vom Fleck. Bitte dreh dich um! Hilf mir! Beschütze mich! Komm zu mir und schick mich, deinen gerade mal zehnjährigen Sohn, zum Zähneputzen ins Bad, bettelte ich im Stillen.

Der Schlag traf mich völlig unvorbereitet. Meine Finger und Zehen zogen sich krampfartig zusammen, mein Kopf schlug ruckartig gegen die hölzerne Rücklehne des Stuhls auf dem ich saß. So schnell wie er gekommen war, war der Schmerz wieder vorbei. Mein Kopf dröhnte, kalter Schweiß brach mir aus allen Poren und ich schmeckte Blut. Ich musste mir auf die Zunge gebissen haben.

»FINDE DEN FEHLER! «, schrie mein Vater ungehalten. Tränen schossen mir in die Augen und ich versuchte, durch den feuchten Schleier hindurch, den elektronischen Schaltplan zu entschlüsseln, den er vor mir auf dem Esstisch ausgebreitet hatte. Wieder und wieder wischte ich mir die Tränen von den Wangen. Meine Augäpfel huschten nervös hin und her, unfähig einen Fehler zu entdecken. Ich würde ihn nicht finden, ich hatte keine Chance, ich … Der zweite Stromstoß war noch heftiger als der erste. Der Schmerz, der mich durchfuhr, war unbeschreiblich. Mein Unterschenkel schlug hart gegen das Tischbein, während sich mein ganzer Körper unter der Spannung, die er ertragen musste, aufbäumte und schließlich den Halt verlor. Ungebremst schlug ich auf den harten Fliesen auf, dann wurde es endlich schwarz um mich herum.

Erstes Kapitel

Ivonnes Schlüsselbund landete scheppernd in der kleinen Metallschale, die auf dem Schuhschrank im Flur stand, ihre dunkelbraune, abgewetzte Lederjacke am einzigen Haken an der Wand darüber. Ivonne war zu müde, um sich zu bücken und die Schnürsenkel ihrer ausgelatschten Sneakers zu lösen. Deshalb schob sie sich diese einfach mit Hilfe ihrer großen Zehen von den Füßen und ließ sie achtlos mitten im Flur liegen. Ivonne atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Geschafft, jetzt hatte sie wieder vier Wochen Ruhe, bis das nächste gemeinsame Abendessen in ihrem Elternhaus anstand. Ivonne liebte ihre Eltern, ohne Frage, auch wenn sie nicht aufhörten, ihr Ratschläge zu erteilen, egal ob Ivonne diese hören wollte oder nicht. Und so hielten beide Seiten weiterhin an einem Ritual fest, dem Ivonne, wenn sie ehrlich zu sich war, lieber früher als später entrinnen würde. Ivonne hatte des Öfteren in Betracht gezogen, sich in eine andere Stadt versetzen zu lassen, doch letztendlich hatte sie sich dagegen entschieden. Sie spürte die Angst ihrer Eltern, dass sie sich vollständig aus den Augen verlieren würden, wäre nicht jeden ersten Freitag im Monat Futtern bei Muttern angesagt. Ausreden seitens Ivonne wurden nicht akzeptiert, Absagen nur gegen Vorlage eines ausgefüllten Totenscheins.

Der Abend war anstrengend gewesen, wie eigentlich jedes Mal. Frei Haus zum Essen gab es für Ivonne als kostenlose, jedoch ungewollte Beilage, kleine Sticheleien bezüglich ihres Kleidungsstils, verdeckte Vorwürfe gegen ihre Berufswahl und unverhohlene Neugier, was ihr Liebesleben anbelangte.

Ivonne hatte sich bereits abgewöhnt von männlichen Kollegen aus dem Morddezernat zu erzählen. Ihre Mutter würde spätestens beim nächsten Essen nachfragen, wie es denn mit Herrn Soundso liefe, und darauf hatte Ivonne absolut keine Lust. Zudem gab es von Ivonnes Seite im Moment überhaupt nichts zu berichten. Denn es lief nichts, rein gar nichts, und das war gut so! Ivonne stand derzeit nicht der Sinn nach einer festen Beziehung. Im Gegenteil! Sie liebte ihre Unabhängigkeit, die es ihr ermöglichte, das zu tun was sie wollte, wann immer ihr danach war. Ihre Mutter wurde es jedoch nicht leid, zu betonen, dass Ivonne schließlich nicht mehr die Jüngste sei. Nicht mehr die Jüngste! So reden Ü-60 Frauen beim Seniorentreff, dachte Ivonne genervt, ich bin gerade mal dreiunddreißig!

Sie warf einen kritischen Blick in den Flurspiegel. Wie immer hatte Ivonne ihr blondes schulterlanges Haar mit einem Haargummi zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden. Ihre schlanke Figur steckte in bequemen legeren Klamotten, die größtenteils aus den Secondhandläden der Stadt stammten. Ivonne besaß keine ausgeprägten weiblichen Rundungen, die es zu betonen galt. Als Teenager hatte sie dies bedauert, heute hatte sie sich damit abgefunden. Sie war nicht die Frau, nach der sich Männer reihenweise umdrehten, und einen Mr. Right hatte sie ebenfalls noch nicht gefunden.

Ivonne streckte ihrem Spiegelbild die Zunge raus. Sollte die biologische Uhr ruhig ticken, laut wie eine Kirchturmuhr, das war ihr egal. Sie würde sich nicht unter Druck setzen lassen, nicht von einer imaginären Uhr und bestimmt nicht von ihrer Mutter, deren Wunsch nach Enkelkindern um ein Vielfaches größer war, als ihr eigener Kinderwunsch.

Ivonne merkte, dass sie sich erneut aufregte, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, sich nicht mehr provozieren zu lassen. Innerlich noch immer aufgewühlt riss Ivonne die Kühlschranktür auf und pfefferte die mitgebrachten Plastikbehälter achtlos in die Fächer. Ihre Mutter hatte ihr, wie jedes Mal, eine ganze Armada von Frischhaltedosen mitgegeben, denn für sie kam das Wegwerfen von Essensresten einer Todsünde gleich.

»Es wäre doch zu schade um das gute Essen, und es ist noch genau die richtige Menge für eine Person.« Eigentlich eine nette Geste, verbal jedoch verpackt in einer letzten gemeinen Stichelei, ausgeteilt kurz vor dem obligatorischen Wangenküsschen beim Abschied und dem Zufallen der Haustür.

Ivonne schnappte sich eine kalte Flasche Bier aus der Kühlschranktür. Während der erste Schluck ihre Kehle hinabfloss, entspannte sie sich endlich. Nach Abenden wie diesen wünschte sich Ivonne, sie wäre kein Einzelkind. Nicht weil sie eine Schwester oder einen Bruder vermisste, sondern aus dem einfachen Grund, dass ihre Eltern dann jemand anderen mit ihrer Fürsorge nerven könnten. Sie hatten nur äußerst widerwillig Ivonnes Berufswunsch akzeptiert und machten keinen Hehl daraus, was sie davon hielten. Trotzdem hatte Ivonne sich um einen Studienplatz an der Hochschule der Polizei beworben, und war angenommen worden. Nach dem dreijährigen Bachelor-Studium, war sie zunächst ein Jahr im Streifendienst tätig gewesen, und anschließend für zwei Jahre in einer Einsatzhundertschaft. Danach war für Ivonne klar gewesen, dass sie nicht in den Streifendienst zurückkehren wollte. Ihr Ziel war es, als Ermittlerin in einem Kommissariat zu arbeiten.

Und dieser Traum hatte sich nun erfüllt. Trotzdem waren ihre Eltern nicht wirklich stolz auf sie. Das wären sie erst, wenn sie mit einem Verlobungsring an ihrem Finger und dem passenden Mann am Arm bei einem der nächsten Abendessen auftauchen würde.

Ivonne schlurfte auf Socken quer über den langen breiten Flur, der ihre Altbauwohnung mittig teilte. Rechts lagen Bad und Schlafzimmer, links Küche und Wohnzimmer. Die Decken waren, gemäß der Bauweise des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, gut drei Meter hoch. Ein Stuckateur hatte an ihnen sein handwerkliches Geschick bewiesen. Und so war jede Zimmerdecke mit einer filigranen Borde und reichlich schmückenden Ornamenten versehen. Diese hatten Ivonne gleich bei der ersten Besichtigung der Wohnung extrem gut gefallen. Ihr Inventar hingegen passte überhaupt nicht zu diesem Stil, denn es war ein bunter, zusammengewürfelter Mix aus Möbelstücken der 70er Jahre, die sie meist bei Ebay erwarb oder auf ihren regelmäßigen Streifzügen über die Trödelmärkte der Region in den letzten Jahren ergattert hatte. Spätestens alle zwei Jahre strich Ivonne die Wände neu, jedes Mal in einer anderen Farbe. Neben Ivonne bewohnten noch vier weitere Parteien – allesamt Ehepaare im Rentenalter – diese ehrwürdige Stadtvilla im Süden der Stadt. Ivonne genoss die Ruhe und Geborgenheit, die dieses Haus und seine Bewohner ausstrahlten.

Zweites Kapitel

Florian Häusler betrat den Flur seiner fünfundsechzig Quadratmeter großen Eigentumswohnung in der angesagten Neubausiedlung im Norden der Stadt. Er putzte die Sohlen seiner Schuhe ordentlich auf der Fußmatte ab, öffnete die Schnürsenkel und schob die Schuhe von den Fersen, bevor er sie in das freie Fach des Schuhschranks stellte. Seine Jacke zog er auf den Bügel und hängte diesen an die, von einer mannshohen Spiegelwand verdeckte, Garderobenstange. Vom schmalen kurzen Flur aus führten jeweils zwei Türen auf die rechte und die linke Seite der symmetrisch geschnittenen Wohnung. Die vorherrschenden Farben waren weiß, schwarz und Chrom. Weiße Wände, schwarze Möbel und chromfarbene Leuchten.

Bevor Florian sich umzog, stellte er seinen Rucksack auf einer der beiden ledernden Schwingstühle, die vor der erhöhten Theke seiner Wohnküche platziert waren, und leerte ihn. Im bequemen T-Shirt und Short schnippelte er anschließend alle Zutaten für seinen Smoothie klein, und warf sie in den Standmixer. Nach seinem täglichen Fitnessprogramm würde dieses Hightech Küchengerät das Ganze innerhalb weniger Sekunden in einen grünen, zähflüssigen Brei verwandeln. Frisch geduscht und nur noch mit einer Boxer Short bekleidet drückte Florian knapp eine Stunde später den Startknopf dieser Höllenmaschine, die sich daraufhin mit fünfundzwanzigtausend Umdrehungen in der Minute an die Arbeit machte.

Bewaffnet mit diesem flüssigen Abendessen machte Florian es sich auf dem Sofa bequem, und zappte durch die Auswahl von Filmen und Serien seines Netflix Abos. Keine zehn Minuten später stellte er den Fernseher wieder aus. Er spürte, dass sich keine Entspannung einstellen würde, solange er nicht die Ursache für die zwei bräunlichen Verfärbungen an dem Oberschenkel der Frauenleiche herausgefunden hatte, die er heute obduziert hatte. Und so ließ Häusler die Ereignisse des Tages vor seinem geistigen Auge nochmals wie einen Film ablaufen.

Eigentlich war es ein ganz normaler Freitag gewesen, und Florian hatte sich schon auf sein wohlverdientes Wochenende gefreut. Wenn alles gut lief, würde er heute eventuell sogar etwas früher Schluss machen können. Doch der Anruf seines Freundes Jonas, seines Zeichens Notarzt am Städtischen Klinikum, hatte Florians Pläne zunichte gemacht.

»Florian, ich bin's Jonas, du musst mir aus einer Bredouille helfen ...«

Sein ehemaliger Studienkollege und WG Mitbewohner war heute früh zu einer leblos aufgefundenen Frau gerufen worden, um ihren Tod festzustellen und die Todesursache zu benennen. Doch kaum dass er am Tatort angekommen war und den Tod der Frau bestätigt hatte, wurden er und sein Team zu einem schweren Verkehrsunfall auf der Stadtautobahn abberufen. Es war absolute Eile geboten, denn das Retten von Leben hatte natürlich eine höhere Priorität, als die intensive Leichenschau einer Toten, der ohnehin nicht mehr geholfen werden konnte.

Schlussendlich fehlte Jonas aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit des Rettungseinsatzes einfach die Zeit, die Krankenvorgeschichte der Person so gründlich zu ermitteln, dass er eine zweifelsfreie Todesursache bescheinigen könnte.

Doch gerade mit dieser Feststellung wurden entweder polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungen in Gang gesetzt oder verhindert.

»Da ich überhaupt keine Zeit hatte, mir ein genaues Bild über die Tote zu machen, habe ich ungeklärte Todesart angekreuzt. Aber eigentlich möchte ich gar nicht den gesamten Polizeiapparat in Gang setzen, denn ich tippe auf Herzversagen. Daher meine Bitte an dich. Schaust du sie dir an?«

»In Ordnung«, versprach Florian, »ich kläre das mit dem Professor. Veranlasst du alles andere vor Ort?«

»Ist schon passiert. Der Polizeibeamte informiert den Bestatter und wird für den Leichentransport sorgen. Außerdem habe ich ihn gebeten, sich hier noch umzuschauen, den Hausarzt der Frau zu ermitteln und die Krankenakte anzufordern. Er wird anschließend bei dir vorbeikommen und dir alles Weitere berichten. Ich bin jetzt an der Unfallstelle und muss Schluss machen.«

Schon hatte Jonas das Gespräch beendet.

Grundsätzlich war Florians Hauptaufgabe als Facharzt für Pathologie am Städtischen Klinikum die Begutachtung von entnommenen Gewebeproben von lebenden Patienten. Zum Beispiel bei der Entfernung eines Tumors durch den Chirurgen untersuchte Häusler – meist noch während die OP lief – das entfernte Gewebe.

Die Ergebnisse dieser interoperativen Schnittuntersuchungen gaben dem behandelnden Arzt Auskunft darüber, ob er den gesamten erkrankten Bereich erfolgreich entfernt hatte oder noch weiteres Gewebe entnommen werden musste. Diese Gewebeprüfungen hatten höchste Priorität, und aufgrund des engen Zeitfensters, stand man als Pathologe mächtig unter Druck.

Zusätzlich zu dieser ersten Begutachtung, dem sogenannten Schnellschnitt, folgte später eine zweite intensivere Überprüfung der entnommen Proben, um absolut sicher zu gehen. Stimmten die Angehörigen zu, wurden am Institut auch verstorbene Patienten obduziert. Im vergangenen Jahr hatten insgesamt fünfunddreißig Autopsien stattgefunden, von denen Florian gut ein Drittel durchgeführt hatte.

Die Frauenleiche, die ihm der Notarzt angekündigt hatte, war gut zwei Stunden nach dessen Anruf eingetroffen. Florian hatte eine der Medizinisch Technischen Assistentinnen des Institutes gebeten, Röntgenbilder anzufertigen, die Tote anschließend mit dem Aufzug hinunter in den Sektionsraum zu bringen und dort für die Obduktion vorzubereiten. Währenddessen hatte er sich mit dem Polizeibeamten unterhalten und sich von ihm die näheren Umstände des Leichenfundes berichten, sowie Totenschein und die Krankenakte aushändigen lassen. Die 55-jährige Frau, war von ihrer Putzfrau am Morgen tot in der Wohnung aufgefunden worden. Die Leiche hatte zusammengesackt auf dem Stuhl am Esstisch gesessen, das Kinn tief auf die Brust gesunken.

Vor ihr auf dem Tisch hatte die aufgeschlagene Zeitung des Vortages gelegen, am Boden neben dem Stuhl eine Kaffeetasse, deren Henkel abgebrochen war. Der Inhalt der Tasse hatte sich einer breiten Lache auf dem beigen Teppich ausgebreitet und war bereits eingetrocknet. Die Totenflecken, die sich aufgrund des Stillstandes des Blutflusses nach Eintritt des Todes auf der Haut bildeten, waren vollständig ausgeprägt und konnten nur noch mit starkem Druck weggedrückt werden.

Die Totenstarre bildete sich bereits zurück, sodass der Zeitpunkt des Todes mindestens vierundzwanzig Stunden zurück lag. Laut dem Polizeibeamten, hatte es in der Wohnung der Frau keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gegeben. Ebenso fehlten Spuren, die auf ein gewaltsames Eindringen eines Täters hingewiesen hätten.

Nachdem der Beamte sich verabschiedet hatte, begab sich Florian in sein Büro und verschaffte sich mit seinem Passwort den entsprechenden Zugang, um sich die Röntgenbilder auf dem großen Bildschirm seines PCs anzuschauen. Dann überflog er die Krankenakte der Frau, die erfreulich dünn war und keinerlei Hinweise auf mögliche Vorerkrankungen oder eine Herzschwäche hinwiesen. Anschließend ging er hinunter in den Sektionssaal, um die Leichenschau vorzunehmen. Auf dem Weg dorthin passierte er den Umkleidebereich, in dem er sich Handschuhe anzog, eine türkisfarbene Plastikschürze umband und in seine Gummiclogs stieg.

Der Körper der Toten lag, das Genick auf der Kopfstütze, nackt auf der kalten Edelstahlplatte des Untersuchungstisches.

Die Kleidungsstücke der Frau waren einzeln in Plastikbeutel verpackt und sorgfältig verschlossen.

Häusler fielen zuallererst ihre gepflegten Hände und Füße auf. Die Frau musste regelmäßig zur Mani- und Pediküre gegangen sein. Die Fingernägel waren, ebenso wie die Fußnägel, in einem auffallenden Dunkelrot lackiert. Die Stellung der beiden großen Zehen wies die Frau als leidenschaftliche Highheels Trägerin aus, was sich ebenfalls in der ausgeprägten Wadenmuskulatur widerspiegelte.

Die Augenbrauen waren sorgfältig gezupft, die modische Kurzhaarfrisur erst kürzlich in Form geschnitten und die schlanken, leicht gebräunten Beine frisch epiliert. Alles in allem hatte Häusler eine Frau vor sich, die sehr auf ihr Äußeres geachtet und ihren Körper in Schuss gehalten hatte. Die Muskulatur von Bizeps und Trizeps an den Oberarmen war definiert und die Bauchdecke flach. Die Frau musste regelmäßig Sport betrieben haben. Kleine Fettpölsterchen an den Außenseiten der Oberschenkel ließen jedoch darauf schließen, dass sie nicht allzu streng mit sich gewesen war und nicht um jede Tüte Chips oder Tafel Schokolade einen Bogen gemacht hatte. Trotzdem war diese Frau definitiv keine Kandidatin für ein Herzversagen. Häusler stellte das Aufnahmegerät an und begann mit der äußeren Leichenschau. Sorgfältig betrachtete er dabei jeden Zentimeter des Körpers. Er scannte ihn quasi mit seinen Augen ab. Häusler wollte keine Auffälligkeit, keine Abnormität, und sei sie auch noch so klein, übersehen.

Er hatte die Untersuchung des Oberkörpers abgeschlossen und sich anschließend den unteren Extremitäten und dem Schambereich der Frau zugewandt.

Da die Tote auf einem Stuhl gesessen hatte, hatten sich auf der Rückseite der Oberschenkel die typischen dunkelblauvioletten Todesflecke ausgebildet.

Florian hatte gerade das rechte Bein zur Seite geschoben, um sich dessen Innenseite anzuschauen, als sein Blick an zwei kleinen, gleichförmig runden Punkten am linken Oberschenkel, etwa auf Höhe des Po Ansatzes, hängenblieb. Sie waren in der dunklen Umgebung des verfärbten Gewebes kaum auszumachen. Daher nahm er eine Lupe zur Hilfe und betrachtete die beiden Punkte genauer.

Es waren keine Muttermale, das sah Häusler auf den ersten Blick. Aber was waren sie dann? Vielleicht Blutergüsse? Dafür waren sie eigentlich zu klein. Bisswunden? Dafür fehlten die Wundränder und das Krustengewebe. Einstiche schloss Häusler aus demselben Grund aus. Er rief sich nochmals die Krankenakte in Erinnerung. Hatte er einen möglichen Eintrag überlesen? Nein, die beiden Punkte wurden nicht erwähnt. Häusler entschloss sich, Nahaufnahmen von ihnen zu machen.

Nach Beendigung der äußeren Leichenschau legte er eine kurze Pause ein. Er trank einen Schluck Wasser, um seine Stimme zu ölen, da er jeden Handgriff und jede Beobachtung, dem Diktiergerät detailliert mitteilte. Dann begann Häusler mit der Öffnung des Brustkorbs. Er nahm das Skalpell vom Tablett und setzte es kurz unterhalb des rechten Schlüsselbeines an. Vor dem ersten Schnitt hielt Häusler inne. Er betrachtete noch einmal das attraktive Gesicht der Frau, mit den hohen Wangenknochen und den vollen schön geschwungenen Lippen. Häusler wusste nichts über diese Frau, außer den Daten aus der Krankenakte und dem Totenschein.

Hatte sie ein glückliches, erfülltes Leben geführt? Hatte sie viel gelacht? War sie beliebt gewesen oder eher einsam? Während der Autopsie würde er ihr näher kommen, als irgendjemand sonst, aber würde er sie deshalb danach besser kennen? Häusler holte tief Luft und setzte erneut das Skalpell an.

Es gab mehrere Arten von Vorgehensweisen, mit denen das Gewebe über dem Brustkorb aufgeschnitten und die Rippen freigelegt werden konnten.

Der sogenannte Y-Schnitt, bei dem zwei Schnitte, von den beiden Schultergelenken schräg nach unten bis zum Ende des Brustbeins führten. Oder der T-Schnitt, bei dem sich eine horizontale Linie unterhalb der Schlüsselbeine mit einer vertikalen Linie, die am Brustbein nach unten führte verband. Ebenfalls üblich war ein einzelner Schnitt beginnend vom Kehlkopf bis hinunter ans Ende des Brustbeins. Häusler entschied sich für die erste Variante. So könnte die Frau in einem Kleid beerdigt werden, ohne dass die Wundnähte zu sehen wären.

Nachdem Florian die beiden Hautlappen zur Seite geklappt hatte, begann er die Rippen, eine nach der anderen, mit der Knochenschere zu durchtrennen. Anschließend hob er den gesamten Block aus Brustbein und Rippen, der an ein Dreieck erinnerte, heraus und legte die darunterliegenden Organe frei. Nacheinander entnahm Häusler die einzelnen Organe und legte sie behutsam in die bereit stehenden Edelstahlschalen. Alle entnommenen Organe wiesen dem Alter der Frau entsprechende Veränderungen auf, die allesamt aber nicht besorgniserregend oder gar als auffällig zu bezeichnen gewesen wären. Der Magen der Frau war leer, aber die Speiseröhre war leicht gereizt.

Sie musste sich kurz vor ihrem Tod übergeben haben. Das würde die Diagnose seines Freundes unterstützen, da heftige Übelkeit häufig der erste Vorbote eines bevorstehenden Herzinfarktes sein konnte. Hatte die Frau dieses Warnzeichen ignoriert? Wie viele in ihrem Alter, war wohl auch sie nicht auf den Gedanken gekommen, dass ein drohendes Herzversagen die Ursache für ihre Magenbeschwerden sein könnte.

Häusler stellte winzige Essensreste sicher, die sich am unteren Ende der Speiseröhre befanden. Danach setzte er die Obduktion fort. Wie er es erwartet hatte, wies das Herz eine etwas weichere Konsistenz auf und die Herzkammern waren ein wenig erweitert. Beides waren typische Hinweise auf ein Herzversagen. Wenn Häusler einen Schnitt durch das Gewebe führen würde, würde er mit Sicherheit auf Areale stoßen, die unterschiedlich mit Blut gefüllt wären. Vielleicht würde er sogar winzig kleine Einblutungen finden.

Häusler nahm sich Zeit und untersuchte jedes Organ in Ruhe. Er wog es und entnahm von jedem Gewebeproben. Nach knapp drei Stunden hatte er seine Aufgabe beendet und er stellte das Aufnahmegerät ab. Häusler legte die zuvor entnommenen Organe zurück in den Körper, setzte das Brustbein ein und nähte die Hautlappen wieder zusammen. Gerade bei diesem letzten Schritt nahm Häusler sich besonders viel Zeit, um dem Körper der toten Frau den Respekt zu zollen, der ihm seiner Meinung nach gebührte. Anschließend bedeckte er ihn mit einem dicken Baumwolltuch und brachte ihn in die Kühlraum. Häusler kreuzte natürliche Todesart auf dem Totenschein an und bestätigte Herzversagen als Todesursache. Nun war die Leiche zur Abholung durch das Bestattungsunternehmen frei.

Dies musste laut den Bestimmungen des Bundeslandes innerhalb von sechsunddreißig Stunden geschehen. Da es aber bereits später Nachmittag war, und das Institut am Wochenende geschlossen blieb, bedeutete das in diesem Fall frühestens Montagvormittag. So hatte es der Notarzt auch bereits mit dem Bestatter besprochen.

1990

Finde den Fehler wurde zum Synonym für die Misshandlungen, die ich durch meinen Vater erfuhr. Immer wieder stellte er mich vor unlösbare Aufgaben, wohlwissend, dass ich sie niemals würde erfüllen können. Er genoss es, mir vor Augen zu führen, für wie dumm er mich hielt, bis ich es selber glaubte.

Ich war ein perfektes Opfer, unfähig diesem Teufelskreis aus Angst und dem Ringen um seine Anerkennung und Liebe zu entkommen. Und meine Mutter? Sie schaute weg, sie hörte weg, sie sagte nichts. Jedes Mal.

Drittes Kapitel

Nein, er war nicht Hugh Grant und sie war definitiv nicht Julia Roberts. Es war auch kein Orangensaft, sondern ein cremiges, zuckersüßes Irgendetwas, das nicht mal mehr dem Namen nach an Kaffee erinnerte, das sich gerade aus einem XXL Pappbecher über die helle Bluse der jungen Frau verteilte und ihr ein wütendes »FUCK!« entlockte.

»Es tut mir leid, ich habe Sie gar nicht gesehen«, entschuldigte sich Häusler.

»Verdammt, und gerade heute habe ich auf den Deckel verzichtet.«

»Sehr lobenswert, spart Unmengen an Plastik«, meinte Florian unpassender Weise, da ihm so schnell nichts Besseres einfiel.

Der Blick, den ihm sein wütendes Gegenüber daraufhin zuwarf zeigte Häusler deutlich, dass ihr das Thema Müllvermeidung im Moment vollkommen egal war.

»Arbeiten Sie hier?«, fragte er, einfach nur, um irgendetwas zu sagen.

»Oh Gott, bewahre!«

Die Worte waren raus, bevor Ivonne nachgedacht hatte. Warum war sie auch gerade heute an einen dermaßen mundfaulen Kollegen geraten, der all ihre Fragen bezüglich zweier unaufgeklärter Todesfälle, die sie derzeit bearbeitete, völlig uninteressiert und genervt beantwortete. Sie hatte überhaupt nicht vor, dem Kollegen ans Bein zu pinkeln, sondern wollte nur die Aussagen aller Beteiligten nochmals abgleichen. Aber das schien dieser nicht zu kapieren. Zudem machte er sich nicht mal die Mühe, seinen Unmut über ihre intensive Befragung zu verbergen.

Dabei opferte Ivonne gerade ihren freien Samstag für weitere Recherchen, da sie die beiden Fälle um die zwei getöteten Frauen einfach nicht loslassen wollten.

In regelmäßigen, wiederkehrenden Rhythmen wurden alte unaufgeklärte Fälle, die sogenannten Cold Cases, den Ermittlern der Morddezernate zugeteilt, damit sie diese nochmals überprüften und mithilfe immer neuerer und besserer Verfahren und Vergleichsmöglichkeiten vielleicht doch noch lösen könnten. Denn Mord war und blieb nun mal ein Kapitalverbrechen das niemals verjährte.

Ivonne hatte nur kurzzeitig die Polizeiwache verlassen, um ihre schlechte Laune über die fehlende Bereitschaft seitens des Beamten zur Mitarbeit mit einem extra großen Latte Macchiato aufzubessern. Bei ihrer Rückkehr zum Revier war es direkt vor der Eingangspforte zum Zusammenstoß gekommen, und deshalb befand sich ihr Lieblingsgetränk nun größtenteils auf ihrer Bluse.

»Aber Sie gehören zu dem Verein?«, hörte Ivonne den jungen Mann fragen.

»Sie sind ziemlich neugierig Herr …?«

»Häusler, Florian Häusler. Und nochmal, es tut mir leid, ich war abgelenkt. Ich hatte es gerade mit einem äußerst ignoranten Beamten zu tun, und …«

Florian stockte. Das kenne ich, dachte Ivonne, doch diesmal hatte sie ihre Zunge besser im Zaum und behielt ihre Meinung für sich.

»Ich meine …«, stotterte Häusler.

»Kein Panik, das fällt nicht unter Beamtenbeleidung«, meinte Ivonne.

»Das beruhigt mich«, meinte Florian erleichtert.

»Aber zurück zu meinem Missgeschick. Ich übernehme natürlich die Kosten für die Reinigung.«

Florian fasste sich an die Hosentasche, um sein Portemonnaie herauszuholen. Das würde den Wert der Bluse, die Ivonne bereits vor Jahren in einem Secondhand Laden gekauft hatte bei weitem übersteigen und deshalb winkte sie ab.

»Nein, nicht nötig. Ist schon okay.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«

Es entstand eine peinliche Pause.

»Ich muss dann mal wieder rein.«

»Oh, natürlich.«

Florian steckte das Portemonnaie wieder ein.

»Dann … äh, man sieht sich.«

»Mann, Mann, Mann, die Leute schauen einfach zu viele Krimis, und dann vermuten sie immer gleich einen Mord hinter jeder aufgefundenen Toten!«

Der Polizeibeamte schüttelte den Kopf und ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Ivonne, die gerade die Wache zum zweiten Mal an diesem Morgen betrat und aufgrund der Aussage des Polizeibeamten hellhörig wurde.

»Ach, eben war ein Arzt vom Klinikum da und wollte einen Kommissar sprechen. Ich habe ihm erstmal erklärt, dass …«

»Warum?«, unterbrach Ivonne ihn brüsk.

»Er meinte, er wäre bei einer Leichenschau eventuell auf eine Auffälligkeit gestoßen.«

»Worauf genau?«, wollte Ivonne wissen und hatte das Gefühl, sie müsste ihrem Gegenüber jede Information einzeln aus der Nase ziehen.

»Er sprach von winzigen, bräunlichen Hautveränderungen unbekannter Herkunft, die vielleicht ein Hinweis sein könnten, blablabla…«

Der Beamte winkte ab.

»Mann, der hat so um den heißen Brei herumgeredet. Ich vermute, er wollte sich nur wichtigmachen, so à la Karl-Friedrich Boerne aus dem Münsteraner Tatort.«

Der Beamte lachte.

»Wo ist dieser Mann jetzt?«, schnitt ihm Ivonne erneut das Wort ab.

»Der ist gerade gegangen. Er müsste ihnen eigentlich entgegen gekommen sein.«

Man sieht sich. Etwas Blöderes ist dir wohl nicht eingefallen, was? Florian klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Mann, da läuft dir quasi eine Traumfrau direkt in die Arme und du? Und Sie? Das wäre die einfachste und logischste Rückfrage gewesen, als sie nach seinem Namen gefragt hatte. Aber nicht einmal das hatte er auf die Reihe bekommen. Ganz zu schweigen davon, dass er sie nicht mal zur Entschädigung auf einen Kaffee eingeladen hatte, und zwar auf einen richtigen. Einen Kaffee, der diese Bezeichnung auch verdiente. Er hatte es auf ganzer Linie verbockt! Die letzten zwölf Jahre hatte er sich fast ausschließlich auf sein Studium und die anschließende Facharztausbildung konzentriert. Während andere Party gemacht hatten, hatte er meistens hinter und nicht vor der Theke gestanden, da er sich das notwendige Geld für sein Studium dazu verdienen musste. Nun, mit Anfang dreißig hatte er es geschafft.

Er hatte eine Anstellung als Pathologe am Städtischen Klinikum und war seit zwei Monaten stolzer Besitzer einer kleinen Eigentumswohnung. Doch die meisten seiner früheren Freunde waren bereits in einer festen Beziehung, verheiratet oder sogar stolze Eltern von kleinen Hosenscheißern. Nun drehten sich die Unterhaltungen nur noch über die Schwierigkeiten, einen geeigneten Kita Platz zu bekommen oder welche Windelmarke die ökonomisch unbedenklichste ist.

Und was machte er? Er vertrödelte seinen freien Samstagvormittag auf einem Polizeipräsidium! Florian schüttelte den Kopf. Doch er hatte nicht anders gekonnt. Ihm waren die beiden braunen Wundmale am Oberschenkel der Frauenleiche, die er am Vortag obduziert hatte, nicht aus dem Kopf gegangen. Sollte er seine Beobachtungen nicht besser der Polizei melden?

Was, wenn es doch keine natürliche Todesursache gewesen ist? War er dann nicht verpflichtet, jeden Hinweis zu melden? Doch als Florian eben vor dem Beamten gestanden hatte, war er sich seiner Sache plötzlich nicht mehr so sicher gewesen. Er versuchte sich zu erinnern, wie oft er dem Beamten gegenüber die Wörter vielleicht und eventuell benutzt hatte. Wäre er an dessen Stelle gewesen, er hätte wahrscheinlich genauso skeptisch reagiert. Florian hatte sich deshalb vorgenommen, sich die Leiche zusammen mit seinem Vorgesetzten am Montagmorgen nochmals anzuschauen. Florian wollte absolut sicher sein, bevor er erneut auf der Polizeiwache die Pferde scheu machte und den Unmut der Beamten auf sich zog.

Verdammt, dachte Ivonne, wie war der Name noch? Hauser oder Häuser? Nein Häusler, Florian Häusler. Da war sie sich sicher, dachte sie belustigt, denn er hatte sich vorgestellt wie James Bond in seinen Filmen. Dabei fiel ihr auf, dass er sich gar nicht nach ihrem Namen erkundigt hatte. Ihre Begegnung hatte wohl keinen entsprechenden Eindruck bei dem jungen Mann hinterlassen. Egal jetzt, sie musste schnellstmöglich seine Telefonnummer herausfinden.

Florians Smartphone klingelte. Er schaute aufs Display, doch die Nummer, die dort erschien, sagte ihm nichts.

»Häusler.«

»Holtkämper. Wir sind uns gerade eben vor der Polizeiwache über den Weg gelaufen.«

»Der XXL Latte«, rutschte es Florian raus.

Super gemacht, Florian, schimpfte er mit sich selbst und biss sich auf die Unterlippe, zum zweiten Mal verbockt.

»Richtig«, bestätigte seine Gesprächspartnerin trocken,