Das Amulett des Löwen - Andrea Hundsdorfer - E-Book

Das Amulett des Löwen E-Book

Andrea Hundsdorfer

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Beschreibung

Die Prophezeiung Unausweichlich wird kommen der Tag, den niemand vorauszusagen vermag, da erhebt sich eine unheilvolle Macht, die mit sich bringt nur dunkle Nacht. Und niemand, der dieses Reich bewohnt, wird bleiben davon verschont. Das Land unter einem Fluch wird erbeben, um alte Gefüge aus den Angeln zu heben. Folter und Knechtschaft kehren zurück, nehmen den Menschen Hoffnung und Glück. Kein Lachen mehr, kein selbstbestimmtes Leben wird es unter der neuen Macht geben. Diesem Schicksal zu entrinnen, kann nur jenseits unserer Welt gelingen. So zögert nicht, mehren sich die Zeichen, denn niemand kann dieser Gefahr entweichen. Sendet aus eure treuesten Mannen, auf das sie in die andere Welt gelangen, zu suchen dort auf jedem Kontinent, das Eine, das man Kind des Löwen nennt. Die vier sich nicht im Geringsten gleichen, doch sie alle werden tragen des Löwen Zeichen. In ihnen allen sein Zauber wohnt, sodass die Suche auf jeden Fall lohnt. Sie werden jung sein noch an Jahren, eitel, trotzig, unerfahren. Wissen nichts von ihrer Kraft, die sie zu Auserwählten macht. Zuerst werden sie bilden einen lockeren Bund, das Vertrauen muss wachsen Stund‘ um Stund‘. Ihr Weg dorthin wird sehr beschwerlich, die Aufgabe kräfteraubend und gefährlich. Müssen stark sein, Grenzen überwinden, mutig sein und Wege finden, denn es wird liegen allein in ihren Händen, das Schicksal des Reiches zum Guten zu wenden. So lautet die Prophezeiung in der Legende des Löwen. Doch, werden die vier Löwenkinder dem Ruf der Fabelwesen folgen, die ausgesandt worden waren, sie aus allen Teilen der Welt zusammenzurufen? Werden sie sie begleiten hinein in eine ihnen völlig unbekannte Welt? Und werden sie es schaffen, den von Rachegedanken getriebenen Zaubereranwärter Adalbert Krummsäbel daran zu hindern, die Gunst des Löwen zu erlangen. Denn dieser würde seine neu gewonnene Macht ohne mit der Wimper zu zucken einsetzen, um das Volk zu unterdrücken und ihnen als alleiniger Herrscher seinen Willen aufzwingen.

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Seitenzahl: 367

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Für Beatrix

„Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.“

(James Krüss)

Inhaltsverzeichnis:

1. Teil: Verwirrungen im Königreich

Prolog

Versagt

Adalbert Krummsäbel

Der Trank des Vergessens

Der verstoßene Zauberer

Verwirrungen im Königreich

Der Elfenbaum

Die Dracheninsel

Die Siedlung der Trolle

Die Zwergenstadt

Wilberdingen

2. Teil: Die Legende des Löwen

Auf Spurensuche

Der falsche Gesandte

Die Legende des Löwen

Das Vermächtnis des Großvaters

Die Prophezeiung

Der Twinstone

3. Teil: Die Ankunft der Löwenkinder

Jason

Tim

Sarantuya

Kahini

Polly

Von Westen

Aus der Mitte

Von Osten

Aus dem Süden

Der Tag des Löwen

Die Ankunft der Löwenkinder

4. Teil: Die Gunst des Löwen

Aufbruch ins Ungewisse

Twillington

Auf eigene Faust

Die Halle der geheimen Ängste

Ein ungewollter Aufenthalt

Im Schatten des Löwenfelsen

Die Gunst des Königs

Die Macht des Buches

Zeit des Abschiedes

Epilog

Prolog

Zu Zeiten Wilbert I., von seinen Untertanen nur Wilbert, der Gütige genannt, trat eine Frau vor dessen Thron und brachte untertänigst ihre Bitte vor. Es war Martha, die junge Frau des königstreuen Soldaten August Krummsäbel. Wie vor ihm schon sein Vater, hatte auch er dem alten König jahrelang treu gedient. Doch bei seinem letzten Auftrag im Namen des Königs war das Glück nicht auf seiner Seite gewesen. Er hatte sein Leben auf dem Schlachtfeld verloren.

Seine Frau bat nun den König um den versprochenen Lohn für die heldenhaften Taten ihres Mannes. Sie bat nicht für sich, sondern für ihr ungeborenes Kind. Dabei streichelte sie sanft die leichte Wölbung, die sich unter ihrem einfachen Leinenkleid abzeichnete.

Wilbert I. sagte Martha ein Stück Land, als gerechten Lohn für die jahrelange Treue ihres Mannes, zu. Er teilte dies seinem persönlichen Sekretär mit. Dieser setzte noch in derselben Nacht ein entsprechendes Schriftstück auf.

Doch das Schicksal schlug zu, bevor Wilbert sein Versprechen einlösen und die vorbereitete Besitzurkunde mit seiner Unterschrift und dem königlichen Siegel versehen konnte.

Beim allmorgendlichen Ausritt scheute sein Pferd, stieg und überschlug sich. Dabei begrub es den König unter sich. Er verstarb noch auf dem Weg zurück ins Schloss. An seiner Statt bestieg Wilbert II. den Thron. Im Gegensatz zu seinem Vater, war er ein machtbesessener und herrschsüchtiger Mann. Sein einziges Streben lag darin, sein Königreich zu vergrößern und das egal zu welchem Preis. Dies bekamen alle Bewohner des Königreiches zu spüren. Die Steuern und Abgaben an den Hof wurden erhöht. Zudem erließ der junge König ein neues Gesetz. Dieses erlaubte es ihm, nicht nur den ältesten, sondern so viele Söhne einer Familie in seinen Dienst zu berufen, wie es ihm gefiel. Das flehentliche Bitten der Landwirte, die nun allein kaum ihre Felder bestellen und das Vieh versorgen konnten, tat er als bäuerliche Jammerei ab. Er gewährte niemandem einen Aufschub, wenn dieser mit den Abgaben in Verzug kam. Vielmehr ließ er denjenigen auf dem Marktplatz an den Pranger stellen und auspeitschen. Als Mahnung an alle anderen Untertanen.

Nach angemessener Trauerzeit trat Martha, nun mit einem kleinen Säugling im Arm, erneut vor den Thron, um nach dem versprochenen Landgut zu fragen. Doch Wilbert II. war nicht bereit, auch nur einen kleinen Teil seines Reiches zu verschenken, egal was dieses Weib behauptete. Den alten Schreiber seines Vaters hatte er aus dem Dienst entlassen und durch seinen eigenen Sekretär ersetzt. Nun gab es niemanden am Hofe, der die Rechtmäßigkeit von Marthas Anspruch beweisen konnte...

1. Teil:

Verwirrungen im Königreich

Kapitel 1: Versagt

D er alte Zauberermeister Julius III. von Zackenbarsch stand an der Brüstung des steinernen Balkons der Burg Falkensitz, die seit nunmehr drei Generationen seiner Familie gehörte. Er hielt seine Arme vor der schmalen Brust verschränkt und starrte mit müden Augen in den klaren Abendhimmel. Julius war erschöpft von den anstrengenden Stunden, die hinter ihm lagen.

Julius war ein Zauberermeister ersten und damit höchsten Ranges, von denen es im ganzen Königreich nur noch zwei gab. Ihn und Grimalde von Rotheim.

Vor vielen, vielen Jahren bildeten sie gemeinsam mit einem weiteren Zauberermeister den Hohen Rat. Diese angesehenen Meister der Zauberergilde hatten dem Königshaus in schwierigen Zeiten stets mit Rat und Tat getreu zur Seite gestanden. Die Zeiten der Unruhen und Kriege waren nun schon lange vorbei.

Seit über zwei Jahrzehnten herrschten Frieden und Wohlstand im ganzen Reich. Das Könighaus Wilbert II. benötigte nur noch selten die Hilfe des Hohen Rates. Die Zauberermeister genossen weiterhin ein hohes Ansehen in der Bevölkerung und wurden entsprechend ihres Rangs respektvoll behandelt. Die Zusammenkünfte der Zauberermeister wurden immer seltener. Julius und Grimalde trafen sich daher nur noch bei feierlichen Anlässen oder zu privaten Besuchen.

Die Abnahme der alljährlichen Abschlussprüfungen war Julius‘ einzige verbliebene Aufgabe als Zauberermeister. Heute hatte er über die Zukunft eines noch recht jungen, aber anscheinend sehr ehrgeizigen Absolventen der Zaubererhochschule entscheiden müssen. Dieser war in aller Frühe angereist, um seine Abschlussprüfung abzulegen. Die verschiedenen theoretischen und praktischen Aufgaben hatte Julius auf den ganzen Tag verteilt. Doch schon vor der Pause am Mittag war ihm aufgefallen, dass der junge Mann trotz seiner Verbissenheit eher unsicher wirkte. Meistens brauchte er sehr lange für seine Antworten.

Im praktischen Teil wirkten seine Handgriffe ungeschickt. Oft hatte er leise vor sich hin gemurmelt. Dieses Verhalten erweckte auch nicht gerade den Anschein, dass er sich seiner Sache sicher war.

Insgesamt hatte der Anwärter die Aufgaben gelöst, dabei hatte er aber keinen überzeugenden Eindruck hinterlassen. Das bewog den Zauberermeister dazu, ihn nicht bestehen zu lassen.

Und nun stand Julius an der hüfthohen Brüstung des Balkons und schaute dem enttäuschten Anwärter hinterher, wie dieser den schmalen Weg entlangstapfte.

Julius fragte sich, ob er vielleicht doch zu streng gewesen war. Ihm war die Entscheidung nicht leicht gefallen.

Noch einmal drehte der junge Mann sich um und drohte mit seinem knorrigen Wanderstab in Richtung Burg. Trotz der Dunkelheit konnte Julius, die wutverzerrten Gesichtszüge des jungen Mannes erahnen. Dieser Anwärter war nicht einfach nur enttäuscht, nein, er war stinksauer.

Julius strich sich über seine hohe Stirn und seufzte. Er war schon so lange im Amt und manchmal war er einfach nur müde. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, es würde sich bald ein jüngerer Zauberermeister finden, dem er diese Aufgabe übertragen könnte.

Julius drehte sich um und betrat langsamen Schrittes den kleinen Salon, den er als Wohnzimmer nutzte. Er ließ jedoch die Balkontür weit offen stehen, um die frische Abendluft ins Zimmer zu lassen. Im Zimmer warteten seine Freunde, der kleine Drache Reginald und Polly, auf ihn. Diese beiden engen Vertrauten des Zauberers wohnten schon seit Jahren mit ihm auf seiner Burg.

Reginald vom Grünfels, dessen Nasenspitze bis etwa an Julius‘ Schulter heranreichte, entstammte einem adeligen Drachengeschlecht. Er war auf der Dracheninsel geboren worden, die sich weit draußen auf dem Grünen Meer befand. Doch für einen Drachen war Reginald ein viel zu geselliger Bursche.

Deshalb lebte er lieber auf dem Festland bei dem Zauberermeister und seinen Freunden. Reginald genoss es, Julius Gesellschaft zu leisten oder ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Irgendwann hatte ihm Julius angeboten, bei ihm zu wohnen und Reginald hatte freudig zugestimmt.

Polly war ein Polyanimalis. Sie konnte, besser gesagt, sie musste sich in regelmäßigen Abständen in ein anderes Tier verwandeln. Deshalb trug sie eine kleine Amphore um den Hals. Darin befand sich eine glitzernde Flüssigkeit, deren wechselndes Farbspiel die nächste Verwandlung ankündigte.

Vor vielen, vielen Jahren war Polly als Eule total erschöpft und ziemlich zerrupft im Garten von Julius‘ Burg gelandet. Der Zauberermeister hatte sie aufgepäppelt und zum Dank war Polly bei ihm geblieben. Aufgrund ihres hohen Alters, das jedoch niemand genau kannte, lag sie am liebsten auf der faulen Haut. Dies tat sie bevorzugt als Katze in Julius‘ altem Ohrensessel.

„Er ist noch jung, er wird es verkraften“, sagte Reginald, da er merkte, wie sehr Julius an der Richtigkeit seiner Entscheidung zweifelte. Julius ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht“, entgegnete er, „meine Entscheidung mag ja richtig gewesen sein, aber er war so maßlos enttäuscht.“

„Und die Aussicht, die Prüfung im nächsten Frühjahr wiederholen zu dürfen hat ihn auch nicht beruhigt?“, hakte Reginald nach. „Nicht wirklich“, meinte Julius und schüttelte erneut den Kopf. „Im Frühjahr, im Frühjahr! Hat er immer wieder vor sich hingemurmelt. Und Zu spät, ich brauche es jetzt! Irgendetwas schien ihm sehr wichtig zu sein. Er wirkte so gehetzt und ich habe keine Ahnung warum“, sagte Julius.

Grundsätzlich stand es den Zaubereranwärtern frei, in welchem Monat sie ihre Prüfung ablegen wollten. Und die meisten von ihnen nutzten nach ihrem letzten Semester, das Mitte Juni endete, die Sommermonate, um sich intensiv vorzubereiten. Nur die Überflieger wagten diesen Schritt direkt im Anschluss an das Studium.

Und zu den Überfliegern gehörte der heutige Anwärter definitiv nicht.

Julius hatte sich, wie er es immer tat, über den Studenten bei dessen Professor informiert. Er hatte sich die Zeugnisse sowie eine persönliche Einschätzung zusenden lassen.

Die Mappe, die Julius daraufhin erhalten hatte, war erstaunlich dünn gewesen. In der Abschlussbewertung wurde von einem eher unscheinbaren Schüler mit mäßiger Begabung berichtet. Der Studienleiter beschrieb ihn als eigenbrötlerisch, still, zurückhaltend und kontaktscheu.

Auch gab es keinerlei Hinweise über die Herkunft des Schülers. Von einer Familie mit dem Namen Helfsohne hatte noch niemand gehört. In seinem Lebenslauf hatte der Student angegeben, eine Vollwaise zu sein. Man hatte es dabei belassen und nicht weiter nachgehakt, um ihn nicht zu kränken.

Umso neugieriger war Julius auf diesen Prüfling gewesen. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die Studenten oft ganz anders waren, als in den Unterlagen beschrieben. Julius trat jedem Prüfling offen und ohne Vorbehalte gegenüber. Für ihn zählte das, was dieser ihm während des Prüfungstages an Wissen, Können und Selbstbewusstsein zeigte. Und das war Julius heute nicht genug gewesen.

In diesem Moment wurde die Tür des Wohnzimmers aufgestoßen und drei weitere gute Freunde von Julius stürmten ins Zimmer. Allen voran quetschte sich der Waldtroll Trompatsch Dudel mit tief eingezogenen Kopf durch den Türrahmen. Trompatsch stolperte mit unbeholfenen Schritten über den dicken Teppich.

Ihm folgte Winfried Breitstiel, der junge Zwerg.

Zum Schluss schwirrte die neugierige Elfe Josephine herein, die alle nur Josie nannten.

Genau wie Reginald machte es sich Trompatsch direkt neben dem Sofa auf dem Teppich gemütlich. Winfried hingegen ließ sich in den Ohrensessel fallen.

Beinahe hätte er sich dabei auf Polly gesetzt, die es sich dort gemütlich gemacht hatte. „Entschuldige Polly, ich habe dich glatt übersehen“, sagte Winfried schnell, bevor sich Polly vor Ärger in eine Schlange verwandelte. Das tat sie oft, wenn sie wütend war. Polly, nun als Papagei, schaffte es gerade noch, sich auf die hohe Rückenlehne des Sofas zu retten. Von dort aus warf sie dem Zwerg einen verärgerten Blick zu.

„Und? Haben wir einen neuen Zauberer?“, fragte Josie. Genau wie ihre Freunde, wusste sie von der heutigen Abschlussprüfung. Sie blickte Julius fragend an, doch dieser schüttelte den Kopf. „Nicht?“, sagte sie erstaunt. „Er war noch nicht so weit“, antwortete Reginald für Julius, während der Zauberermeister sich nachdenklich über die Stirn strich. „Warum hatte er es nur so verdammt eilig? Darüber zerbreche ich mir schon den ganzen Abend den Kopf“, sagte er dann.

„Und mit leerem Magen denkt es sich so schlecht“, meinte Luise. Julius‘ treue Haushälterin betrat genau in diesem Moment das Wohnzimmer mit einem großen Silbertablett. „Ah Isi, du kommst gerade richtig. Oder hast du etwa mein Magenknurren bis hinunter in die Küche gehört?“, fragte Reginald.

Luise, die von allen nur Isi genannt wurde, bekam rote Wangen, wie eigentlich immer, wenn jemand ihr ein Kompliment machte. „Ach, es sind doch nur ein paar Schnittchen“, wehrte sie verlegen ab und stellte das Tablett auf dem Wohnzimmertisch.

Isis liebevoll hergerichtete Schnittchen waren heißbegehrt. Frisch gebackenes, meist noch warmes Brot, bestrichen mit guter Butter und großzügig belegt.

„So, nun greift ordentlich zu. Nicht, dass ich das Tablett halbvoll wieder abholen muss“, scherzte sie. Aber das musste Isi wahrlich nicht befürchten, denn schon langten der Troll und der Zwerg ungeniert zu.

„Isi, bleib doch hier und setz dich zu uns“, forderte Julius sie auf. „Und die Küche unaufgeräumt lassen? Niemals!“ „Das kannst du doch morgen früh erledigen“, schlug ihr Josie vor. „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“, entgegnete Isi zwar mit hocherhobenem Zeigefinger, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Und so verließ sie das Zimmer, um sich wieder in die Küche im Untergeschoss der Burg zu begeben.

Kapitel 2: Adalbert Krummsäbel

RUMMS! Adalbert knallte die Holztür so fest hinter sich zu, dass die rostigen Scharniere fast aus den Angeln gerissen wurden. Dann pfefferte er seinen Wanderstab in die Ecke der kleinen Waldhütte. Diese bestand nur aus einem einzigen Wohnraum, der etwa sechs mal sechs Meter maß. Es gab eine kleine Kochnische, einen Arbeitstisch und einen Esstisch mit Stuhl. Das schmale Bett war hinter einem schäbigen Vorhang versteckt. Auch vor dem winzigen Fenster der Hütte hing ein grober Leinenvorhang. Mehr Platz oder Komfort brauchte Adalbert nicht, denn er lebte schließlich allein. Wer wollte schon mit ihm, Adalbert Krummsäbel zusammenleben? Mit ihm, dem Versager, dem Nichtsnutz!

Dem Sohn eines einfachen Soldaten, der es zu Lebzeiten trotz all seiner Tapferkeit nicht geschafft hatte, den gerechten Lohn für seine jahrelangen, treuen Dienste beim alten König einzufordern. Weshalb seine Familie, als einzige Soldatenfamilie im ganzen Königreich, kein eigenes Land besaß.

Dem Sohn einer Mutter, die sich deshalb als einfache Küchenmagd für einen Hungerlohn von morgens bis abends an eben diesem Hofe, nun für den neuen König, abrackern musste. Für Wilbert II., der sich einen Dreck um die Verdienste von Adalberts Vater oder das Versprechen des verstorbenen Königs kümmerte.

Nach einem heftigen Streit mit seiner Mutter hatte Adalbert den Entschluss gefasst, den ihm so verhassten Königshof zu verlassen, sobald es ihm möglich war. Adalbert verachtete seine Mutter. Nicht nur, dass sie sich so einfach in ihr Schicksal ergeben hatte und nicht bereit war, um ihr Recht zu kämpfen. Nein, schlimmer noch. Sie hatte zugestimmt, dass Adalbert ebenfalls in den Dienst des Königs treten sollte, sobald er alt genug war.

Seine schwache Mutter war der Meinung, das seien sie dem neuen Herrn schuldig. Schließlich gewährte er ihnen ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit am Tag. Doch Adalbert sah das ganz anders. Was waren ein Dach und eine warme Mahlzeit schon gegen ein eigenes Stück Land!

Als die Zeit gekommen war, dass er seinen Dienst im Heer des Königs antreten sollte, lief er mitten in der Nacht fort, ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden. Er entkam den Schergen des Königs, indem er immer tiefer in den nahen Fichtenwald flüchtete.

Nach Tagen des ziellosen Herumirrens stieß Adalbert durch Zufall auf eine halb verfallene Holzhütte. Dort hauste ein alter, ziemlich verwahrloster Mann. Adalbert erkannte in ihm den alten Zauberermeister Bartholomäus, den er als kleiner Junge häufiger im Schloss des Königs gesehen hatte.

Damals hatte sich Adalbert oft heimlich an die Tür zum großen Saal geschlichen. In dem Saal fanden die regelmäßigen Zusammenkünfte der Zauberermeister statt. Unbemerkt hatte er deren Gespräche belauscht.

Denn die Zauberei faszinierte Adalbert bereits von Kindesbeinen an. Er träumte davon, ein weit über das Königreich hinaus berühmter Zauberermeister zu werden. Einmal hatte Adalbert es sogar geschafft, sich in den Saal zu schleichen und sich dort zu verstecken. Er wollte unbedingt dabei sein, wenn die drei mächtigsten Zauberermeister des Reiches sich berieten. Und wenn auch nur ein einziges Mal!

Bei dieser Versammlung war ebenfalls der junge König Wilbert II. zugegen gewesen. Adalbert hatte sich vor Aufregung fast in die Hose gemacht. Es wurde heftig und lautstark diskutiert.

Den Grund für die Empörung der Zauberermeister und die wütenden Vorwürfe konnte Adalbert damals noch nicht begreifen. Dazu war er viel zu jung.

Es war der Abend, an dem über das Schicksal von Bartholomäus von Hohenfels, entschieden werden sollte. Von Verrat war die Rede und von Verstößen gegen den Ehrenkodex der gesamten Zaubererzunft. Vorwürfe wurden erhoben und Beweise vorgelegt. Eine erbitterte Diskussion folgte, die aber zu keinem Ergebnis führte. Da es bereits sehr spät und die Gemüter zu erregt waren, verschob man die letztendliche Abstimmung und das Festlegen der Strafe auf den nächsten Vormittag. Der König und alle Zauberer zogen sich auf ihre Zimmer zurück.

Adalbert war ein wenig enttäuscht und trottete mit hängenden Schultern zurück in den Dienstbotenflügel, wo er sich mit seiner Mutter eine schäbige, kleine Kammer teilen musste. Doch bevor Adalbert diese erreicht hatte, beobachtete er etwas Sonderbares. Er sah, wie der Zauberermeister, über dessen Schicksal am nächsten Morgen entschieden werden sollte, sich bei Nacht und Nebel über die Hintertreppe des Schlosses aus dem Staub machte. Dabei trug ein dickes Bündel Papiere unter dem Arm geklemmt.

Dann war Adalbert Jahre später, nach seiner eigenen Flucht aus dem Schloss, durch Zufall auf diesen Zauberermeister gestoßen. Der alte Mann erinnerte sich natürlich nicht an den kleinen, unbedeutenden Sohn der Küchenmagd und Adalbert zog es vor, den alten Mann nicht über seine Herkunft in Kenntnis zu setzen. Schließlich nahm Bartholomäus ihn als vermeintliches Waisenkind auf und erklärte sich bereit, ihn das Zauberhandwerk zu lehren.

Zunächst wähnte sich Adalbert am Ziel seiner Träume. Mit großem Eifer machte er sich an diese neue Herausforderung und versprach, ein gelehriger Schüler zu sein. Wie ein trockener Schwamm sog Adalbert aufmerksam alle Informationen auf, die er erhielt.

Doch immer häufiger musste Adalbert feststellen, dass der Zauberer reichlich wirr und ohne Zusammenhang nur einzelne Bruchstücke seines Wissens preisgab.

Adalbert war nun schon einige Monate bei dem Zauberer und allmählich beschlich ihn das Gefühl, dass er auf der Stelle trat und nicht wirklich weiterkam. Es fehlte ein erkennbarer roter Faden und Adalbert wurde nicht wirklich schlau aus dem Geschwafel seines Meisters.

Adalbert kam es so vor, als würde sich der alte Mann zusehens verändern. Er schien mehr und mehr zu vergessen. Erst hatte Adalbert noch versucht, soviel wie möglich zu erfahren und ihm deshalb geduldig zugehört. Denn ständig wollte dieser ihm etwas über eine uralte Legende erzählen. Doch schon bald nervten Adalbert die stets in Reimform gehaltenen Sätze des Zauberers.

„Bitte nicht Meister, nicht schon wieder“, hatte Adalbert ihn schon so häufig gebeten. Doch irgendwann hatte Adalbert die Geduld verloren. Er stellte nicht nur das Fragen und seine Bitten ein, sondern begann seinem Unmut lautstark Luft zu machen.

„Jeden Tag die gleiche Geschichte. Ich kann dein Gebrabbel über den König der Tiere und dessen Legende nicht mehr hören! Es sei denn, du verrätst mir endlich wann er ist, dein ach so toller Tag des Löwen!“, schrie Adalbert den Zauberermeister an und fasste diesen grob an den Schultern. Er schüttelte ihn heftig.

„Sag mir endlich wann?“ „Oh, der Tag ist nicht mehr fern und ich würde selbst so gern…“ „Schweig, alter Mann!“, schrie Adalbert den Zauberermeister an und stieß ihn von sich. Oh, wie er ihn hasste, diesen alten verwirrten Kauz, von dem er sich so viel erhofft hatte.

Adalbert überlegte, ob er den Zauberer nicht gegen eine saftige Belohnung am Königshof verraten sollte. Doch das hieße auch, sich dem Schloss zu nähern und sich der Gefahr auszusetzen, wiedererkannt zu werden. Adalbert entschied sich, noch eine Woche zu warten, bevor er seine endgültige Entscheidung fällen würde.

Durch das spurlose Verschwinden des alten Mannes am darauf folgenden Tag, erledigte sich die ganze Angelegenheit für Adalbert schließlich von selbst.

Der Zauberer war in den frühen Morgenstunden, gestützt auf seinen Wanderstab, zu seinem täglichen Spaziergang durch die nähere Umgebung aufgebrochen. Aber dieses Mal war er nicht zurückgekehrt.

Adalbert überlegte für einen kurzen Moment, ob er ihn suchen sollte, entschied sich aber dagegen. Insgeheim war er froh, den Alten auf diese Weise losgeworden zu sein.

Gleich am nächsten Tag begann Adalbert damit, die Hütte nach seinen Wünschen umzuräumen. Er entzündete ein großes Feuer vor der Hütte und verbrannte die alten Kleidungsstücke des Zauberers. Einzig dessen Zaubererumhang behielt er.

Adalbert war gerade dabei, das Bett des Zauberers aus der Hütte zu zerren, um es ebenfalls zu verbrennen, als ein Bündel loser Blätter auf den Boden fiel. Es musste wohl unter der Matratze versteckt gewesen sein. Adalbert hob es auf und blätterte es angewidert durch.

Seinem ersten Impuls folgend, hätte er die dreckigen Seiten am liebsten gleich mit ins Feuer geworfen. Wahrscheinlich enthielten sie sowieso nur weiteres, sinnloses Gekritzel des Meisters. Doch Adalbert verspürte eine magische Anziehungskraft, die von diesen Blättern ausging, der er sich nicht entziehen konnte. Diese unheimliche Macht zwang Adalbert, sich schließlich auf die Bettkante zu setzen und sich jede einzelne Seite genauer anzusehen.

Das Feuer vor der Hütte war schon lange niedergebrannt und die Nacht über den dichten Fichtenwald hereingebrochen, doch Adalbert kauerte immer noch auf der Kante des Bettes. Er hielt Bartholomäus‘ geheime Aufzeichnungen aus dem Buch der Geächteten Flüche in der Hand, die dieser vor vielen Jahren unerlaubterweise angefertigt und aus dem Schloss geschmuggelt hatte.

In seiner krakeligen Handschrift hatte der Zauberermeister, die von ihm als besonders erachtenswerten Flüche notiert. Adalberts Gesicht hatte sich in eine hämische Fratze verwandelt. Mit jeder neuen Seite, die er las, wurde ihm bewusst, welchen Nutzen diese Schriftstücke für ihn hatten. Für ihn und seinen Racheplan, der schon seit seiner Flucht aus dem Schloss in ihm gärte.

Adalbert kamen die ersten Ideen, wie er dieses Wissen nutzen könnte, um alle zu bestrafen, die ihm in seinem bisherigen Leben Unrecht getan hatten. Allen voran Wilbert II., der ihm seinen rechtmäßigen Anspruch auf ein eigenes Stück Land verwehrt und damit sein Schicksal besiegelt hatte. Und Julius von Zackenbarsch für die Ablehnung seiner Mutter. Die beiden würde er am meisten büßen lassen.

Die Aufzeichnungen des Zauberermeisters enthielten weit mehr, als nur die Informationen über die geächteten Flüche, deren Wirkung und die benötigten Zutaten.

Es gab einen zusätzlichen Teil, der ähnlich wie ein Tagebuch geführt war.

Somit standen Adalbert alle Ergebnisse von Bartholomäus‘ eigenen Forschungen zur Verfügung. Diese Berichte schienen zunächst nur eine wirre Aneinanderreihung von Experimenten wiederzugeben. Adalbert fiel es schwer, einen Sinn in dem Ganzen zu erkennen. Doch wenn sie nicht wichtig waren, warum hatte sie der Zauberer so ausführlich beschrieben?

Adalbert studierte den Anhang eingehend und stieß auch hier auf Hinweise zur Legende des Löwen, von der ihm Bartholomäus unentwegt berichtet hatte. Sollte tatsächlich mehr dahinter stecken? Würde er vielleicht hier endlich die Antworten auf all seine Fragen erhalten, die ihm der Alte solange verwehrt hatte?

Ebenso stieß Adalbert immer wieder auf Hinweise zu Textstellen aus anderen Büchern und Schriften, die für ihn aber unerreichbar waren, da sie sich in der Bücherei der Zaubererschule befanden. Und so entsann Adalbert einen Plan, der ihm den Zutritt zu den nötigen Informationen ermöglichen würde. Auch wenn es ihm schwerfiel, übte er sich in Geduld. Adalbert wusste, es würde ein langer und harter Weg werden. Aber die Vorfreude auf die Genugtuung, die er dabei verspüren würde, spornte ihn an.

Ihm war bewusst, was er in den Händen hielt und welche Möglichkeiten sich ihm boten. Er würde weitere, eigene Studien durchführen und das zu Ende führen, was Bartholomäus nicht vermocht hatte. Das würde ihn endlich weit über die Grenzen des Königreiches hinaus berühmt machen! Nicht nur Julius, sondern die gesamte Zauberergilde, würde sich vor ihm verneigen müssen und ihm den gebührenden Respekt zollen!

Als die Zeit reif war, fertigte Adalbert einen gefälschten Lebenslauf an. Damit bewarb er sich um einen Platz an der Hochschule für Zauberei. Dort würde er mindestens zwei Jahre studieren müssen, um anschließend die Prüfung zum Zaubererlehrling ablegen zu können.

Natürlich konnte Adalbert sich nicht unter seinem richtigen Namen anmelden. Das Risiko erkannt zu werden, wäre zu groß gewesen und für Adalbert stand zu viel auf dem Spiel. Außerdem sollte nichts, aber auch rein gar nichts, je wieder an seine Familie von Verlierern erinnern! Also begann Adalbert Krummsäbel sein Studium unter dem Namen Albert Helfsohne.

Während seiner Zeit an der Hochschule, nutzte er jede freie Minute für seine eigenen Studien. Adalbert verbrachte unzählige Stunden in der Bibliothek. Er las jedes Buch über die Geschichte des Königreiches, das er in die Finger bekam. Und es geschah in einer dieser langen Nächte, in der Adalbert endlich auf das letzte Puzzlestück zur Legende des Löwen stieß.

Und jetzt saß Adalbert an seinem Arbeitstisch und ging diesen verkorksten Prüfungstag noch einmal in Gedanken durch. Er war so überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten gewesen. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, die Prüfung nicht zu bestehen! Und es war erneut dieser hochnäsige, alte Zauberermeister Julius III. von Zackenbarsch gewesen, dem er diese weitere Schmach zu verdanken hatte. Julius, immer wieder Julius.

Erst kurz vor seiner Flucht aus dem Schloss, hatte Adalbert erfahren, dass seine Mutter sich vor vielen Jahren um eine Stelle im Haushalt von Julius bemüht hatte. Doch der hatte sich für Luise entschieden, obwohl diese schon viel älter gewesen war. Am Hof des Königs wurde sogar getuschelt, dass Martha sich Julius förmlich an den Hals geschmissen hätte, aber er hatte ihr Flehen nicht erhört.

Wie anders hätte sein Leben verlaufen können, wenn seine Mutter bei Julius angestellt gewesen wäre. Vielleicht hätte seine Mutter doch noch das Herz des Zauberers erobern können. Vielleicht hätte Julius ihn sogar adoptiert. Dann wäre er der Sohn eines berühmten Zauberermeisters geworden und Julius hätte ihn bestimmt unterrichtet. Schließlich hatte er keinen eigenen Sohn, an den er sein Wissen weitergeben konnte.

Andererseits wäre er so niemals in den Besitz dieser wertvollen Schriftstücke gelangt, spann Adalbert den Gedanken weiter. Seine Wut verrauchte ein wenig, auch wenn Julius ihm heute erneut einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

Den ganzen Weg von Burg Falkensitz nach Hause hatte Adalbert sich überlegt, mit welchem Fluch er sich an Julius und allen anderen Erwachsenen des Reiches rächen könnte. Niemand würde je wieder von einem von und zu Zackenbarsch sprechen wenn er, Adalbert Krummsäbel, erst einmal seinen teuflischen Racheplan zur Unterwerfung des Königreiches umgesetzt hatte!

Diese Gedanken brachten Adalbert schließlich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Er würde seinen Plan ändern müssen, denn er hatte die Prüfung nicht bestanden.

Deswegen hatte er kein Amulett überreicht bekommen.

Als Anerkennung des erfolgreichen Abschlusses erhielt nämlich jeder Zaubereranwärter ein goldenes Amulett, das das Sternkreiszeichen des Zeitraums darstellte, in welchem die Prüfung abgelegt worden war.

Adalbert war diese Auszeichnung verwehrt worden. Und dabei brauchte er genau dieses besondere Amulett. Dieses und kein anderes, jetzt und nicht erst im nächsten Jahr. Er brauchte das Amulett des Löwen.

Nun, er würde es sich eben auf eine andere Art und Weise besorgen. Adalbert schob den alten, schweren Arbeitstisch zur Seite. Verborgen unter einer losen Bodendiele lagen dort seine wertvollen Unterlagen in einem Lederbeutel versteckt. Adalbert nahm sie heraus, legte die Diele wieder über das Loch und schob anschließend den Tisch zurück an seinen Platz. Hastig blätterte er durch die handgeschriebenen Seiten, bis er die richtige Stelle gefunden hatte.

Das Kerzenlicht flackerte und zeigte Adalberts wutverzerrtes Gesicht, während er sich ans Werk machte. Es waren noch zwei Stunden bis Mitternacht. Punkt zwölf würde der Fluch seine größte Wirkung entfalten können.

Kapitel 3: Trank des Vergessens

Adalbert hatte sich entschieden, den Demenzia Warus, den Trank des Vergessens zu brauen. Dieser geächtete Fluch war einer der gefürchtetsten und Flüche, da er absolut unumkehrbar war. Alle vom Fluch betroffenen Wesen, verloren ihr Gedächtnis, ihre Erinnerungen und nach und nach die Fähigkeit, selbst die einfachsten Arbeiten des Alltags alleine zu bewältigen.

Dieser Fluch würde zum einen Adalberts Gier nach Vergeltung befriedigen und seinen geplanten Diebeszug erleichtern. Zum anderen verschonte dieser Fluch alle Bewohner des Königreiches, die noch keine zwanzig Jahre alt waren.

Denn mit denen hatte Adalbert noch ganz andere Pläne. Mit ihnen würde ein Heer junger Soldaten zusammenstellen, um sie in den Krieg zu schicken. Unter seiner Herrschaft würde das mickrige Königreich zu neuem, unendlichen Ruhm gelangen! Er selbst würde die Regentschaft über das ganze Land übernehmen.

Adalbert begann alle Zutaten zusammenzusuchen.

Zutatenliste: „Demenzia Warus“

1 getrocknete Schlangenhaut

1 Büschel Wolfshaare aus dem Nacken eines Welpen

1 Backenzahn eines Keilers

1 graue Schwanenfeder

100 g geriebener Fliegenpilz

100 ml Fledermausblut

10 Blütenkelche Fingerhut

500 g zerriebene Hühnerknochen

250 g gekochte Schweineleber

Pah, er würde von allem das Doppelte nehmen! Sein Fluch sollte schließlich selbst den letzten Winkel des gesamten Königreichs erreichen! Adalbert zerrte den größten Topf, den er finden konnte aus dem Küchenschrank und füllte ihn mit Wasser.

Dann trug er den Kübel nach draußen und hing ihn über die Feuerstelle, die sich vor der Hütte befand. Adalbert entzündete die Holzscheite und brachte das Wasser zum Kochen. Nach und nach warf er die Zutaten in den Topf und rührte alles mit einem großen Holzlöffel um.

Adalberts Gesicht wurde vom Schein der Flammen hell erleuchtet. Seine Stimme klang fest und entschlossen, als er die Zauberformel in die Stille der Nacht hinausschrie:

„Nichts bleibt wie es war.

War es dieses oder letztes Jahr?

Fragen über Fragen,

werden euch plagen.

Beendet nie was ihr beginnt,

langsam Stund um Stund verrinnt

eure Lebenszeit wie in Trance,

zum Rückholen habt ihr keine Chance.

Chaos tobt in euren Gedanken,

eure Wissenswelt gerät ins Wanken.

Eure Namen wisst ihr nimmer mehr,

versinkt im Sumpf ohne Wiederkehr.

Nun wehe, wehe weit oh Wind,

trage mit dir fort geschwind

diesen Rauch zu allen Lungen,

und wenn du erst tief eingedrungen,

breite aus die volle Macht,

so dass es werde dunkle Nacht

in den Köpfen, in den Herzen,

doch quäle sie nicht mit Schmerzen!

Sollen frohen Mutes, doch ohne zu verstehen,

sorglos in ihre Verdammnis gehen!“

Erst passierte gar nichts und Adalbert war versucht, über den Rand des Topfes zu schauen. Aber damit hätte er, ohne es zu wissen, fast den gleichen fatalen Fehler begangen, der Bartholomäus von Hohenfels vor vielen, vielen Jahren zum Verhängnis geworden war.

Der Zauberermeister war damals, als er sich das erste Mal verbotenerweise dieses Fluches bemächtigt hatte, ähnlich ungeduldig gewesen, wie Adalbert jetzt. Bei der Zubereitung des Trankes zur Schwächung des gegnerischen Heeres, hatte Bartholomäus ebenfalls über den Rand des Topfes geschaut. Dabei hatte er eine, wenn auch nur geringe, Dosis des giftigen, grünen Nebels selbst abbekommen.

Von einer Sekunde auf die andere, begann es im Topf zu brodeln. Dicke Blasen stiegen auf und zerplatzten mit einem lauten Plop. Endlich stieg der grünliche Nebel empor, auf den Adalbert gewartet hatte. Ein triumphierendes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Es ließ ihn fast vergessen, sich zu schützen, aber eben nur fast.

Er schnürte den Zaubermantel fest über seine Schultern und zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. Adalbert holte ein letztes Mal tief Luft. Dann begann er, den aufsteigenden Nebel mit seinem Wanderstab aufzuwirbeln. Ohne eine Spur von Mitleid schickte Adalbert mit vier ausladenden Schwüngen je eine dicke Wolke weit in jede Himmelsrichtung. Die giftgrünen Schwaden machten sich auf den Weg und trieben im klaren Nachthimmel davon.

Julius versuchte sich gerade zwischen zwei leckeren Schnittchen zu entscheiden, als er innehielt. Ein unbeschreibliches, beklemmendes Gefühl beschlich ihn. Eher instinktiv als bewusst, begab er sich zur Balkontür und sah hinaus. Der Nachthimmel war klar und wolkenlos. Morgen würde wieder ein schöner, sonniger Tag werden.

Der Zauberermeister bemerkte nichts Besonderes. Hatte er sich etwa getäuscht?

Doch dann entdeckte er eine dichte, grünschimmernde Nebelwand, die sich erstaunlich schnell seiner Burg näherte. In wenigen Sekunden würde sie den Balkon erreicht haben.

Augenblicklich schloss Julius die Balkontür, riss seinen Zaubermantel von der Lehne des Sofas und breitete ihn über seinen Schultern aus. „Schnell, kommt alle unter den Mantel!“ Schon rollte die dichte Wolke über die Brüstung auf das Fenster zu. „Schließt eure Augen! Haltet die Luft an und bedeckt eure Nasen!“

Der dichte Nebel drang durch die Ritzen des Fensterrahmens und breitete sich gleichmäßig im gesamten Zimmer aus.

Julius wirbelte seinen Zauberstab hoch über dem Kopf. So bündelte er die Dunstschwaden wieder zu einer Wolke und schickte sie durch den Kamin nach draußen. Er hörte erst auf, als auch das letzte bisschen Nebel aus dem Zimmer verschwunden war.

„Was war das denn?“ Josie traute sich als Erste unter dem Mantel hervor.

Sie schwirrte benommen hin und her und landete etwas unsanft auf der Sofalehne. „Mein Kopf“, brummte Trompatsch und auch er schwankte auf unsicheren Beinen auf das Sofa zu, ließ sich dann aber einfach auf den Teppich plumpsen.

„Ich weiß auch nicht“, sagte Reginald, „es fühlte sich kalt und irgendwie besitzergreifend an. Es war auf jeden Fall sehr unangenehm.“ Sie alle suchten sich einen Sitzplatz und ruhten sich erst einmal einen Moment aus. Es blieb still im Zimmer und jeder versuchte das gerade Erlebte zu verstehen.

„Von so einem Phänomen“, ergriff Julius schließlich das Wort, „habe ich bisher nur einmal gehört. Damals als…“ Julius stockte und hielt inne. „Als was?“ Josie flog aufgeregt vor Julius Nase hin und her. „Nun sag schon!“ „Oh Gott!“, entfuhr es Reginald. „Du meinst?“ Julius nickte nur. „Das hieße ja… das würde bedeuten, dass… aber das ist völlig unmöglich!“ Reginald brachte keinen Satz zu Ende. Das passierte ihm immer dann, wenn er total aufgeregt war.

„Wäret ihr endlich mal so freundlich uns aufzuklären?“, forderte Josie. Sie hatte vor Aufregung schon einen ganz roten Kopf bekommen. Trompatsch und Winfried pflichteten Josie bei, denn auch sie wollten jetzt endlich wissen, an was der Zauberermeister dachte. Julius rieb sich sein Kinn und schien noch einen Moment zu überlegen. Dann setze er sich in den Sessel, räusperte sich und begann stockend zu erzählen.

Kapitel 4: Der verstoßene Zauberer

„Wie ihr wisst, herrschte vor vielen, vielen Jahrzehnten ein grausamer Krieg an den Grenzen unseres Königreiches. Unzählige Soldaten auf beiden Seiten verloren ihr Leben in den unerbittlichen Kämpfen, die sich die damaligen Herrscher lieferten.

Es wurde geplündert, gebrandmarkt und zerstört. Nichts schien den Kämpfern heilig zu sein. Viele Kirchen und Häuser wurden zerstört und niedergebrannt. Unzählige wertvolle Kunstwerke und alte Schriften gingen so unwiederbringlich verloren.

Schließlich trafen sich die damaligen Gelehrten der Zauberergilde, die sich bis dahin zurückgehalten hatten. Sie entschieden, dass es nun an der Zeit sei, in diesen Krieg einzugreifen. Zunächst wollten sie in Gesprächen zwischen den verfeindeten Gegnern vermitteln.

Aber diese Zusammenkünfte endeten nur in Streit und Beschuldigungen von beiden Seiten. Die Zauberermeister sahen, wie sehr das einfache Volk unter dem Krieg und den Entbehrungen litt. Als sie einsehen mussten, dass eine schnelle Einigung nicht in Sicht war, trafen sie sich zu einer geheimen Zusammenkunft und fällten nach einer langen Nacht voller hitziger Debatten eine Entscheidung.

Diese entsprach in keinster Weise dem Ehrenkodex ihrer Zunft, der es ihnen untersagte, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zum Schaden der ihnen anvertrauten Menschen einzusetzen. Trotzdem wurde der Vorschlag schließlich einstimmig angenommen.

Die Soldaten sollten am Kämpfen gehindert werden und zwar mit einem einfachen, wenn auch unangenehmen Mittel. In einem großen Kübel brauten die Zauberermeister einen Trank, der bei jedem, der ihn zu sich nahm, unweigerlich zu hohem Fieber und langanhaltendem Durchfall führen würde.

Die gegnerischen Heere hatten ihre Lager jeweils an den Ufern eines breiten Flusslaufs aufgeschlagen. Jeden Morgen schöpfte der Koch frisches Wasser aus dem Fluss, für den ersten heißen Kaffee des Tages. Unsere Großväter wurden ausgewählt, um in der Nacht den Trank in den Wasserlauf oberhalb der Lager zu verteilen.

Bereits gegen Mittag lagen alle Soldaten auf ihren Pritschen und schafften es kaum aufzustehen, um sich zu erleichtern. Bald stank es in den Lagern rechts und links der umkämpften Grenze fürchterlich. Auch die beiden Könige hatte es erwischt. Unsere Großväter führten die verfeindeten Herrscher auf dem Schlachtfeld zusammen. Sie nahmen ihnen die Waffen und Rüstungen ab und ließen sie Mann gegen Mann kämpfen.

Doch keinem der beiden geschwächten Männer gelang es, einen Sieg über den anderen zu erringen. Bald lagen sie erschöpft und von Schmerzen geplagt im Schlamm des Schlachtfeldes.

Noch am selben Abend unterschrieben beide Könige einen Friedensvertrag, der die bestehenden Grenzen des jeweiligen anderen Reiches akzeptierte und den sofortigen Rückzug der Truppen zum Inhalt hatte.

Diese drei Zauberermeister, denen das Reich die Beendigung des sinnlosen Krieges zu verdanken hatte, gründeten anschließend den Hohen Rat. Sie unterstützten das Könighaus und sorgten für ein friedvolles Miteinander.

Und sie taten noch mehr. Sie machten es zu ihrer Hauptaufgabe, ja zu ihrem Lebenswerk, alle Schriftstücke und Aufzeichnungen von geächteten Flüchen zu sammeln und in einem Buch zusammenzufügen. Dies verschlossen sie anschließend mit einem Siegel und kamen überein, es im Keller der Bibliothek zu verwahren. Alle anderen Unterlagen wurden zerstört. Sie schworen einander, die dort aufgeführten Flüche niemals anzuwenden. Diesen Eid legten sie ebenso vor dem König ab.

Als Zeichen der Verbundenheit zwischen Königshaus und Zauberergilde spendeten die drei Zaubererfamilien je einen Edelstein. In einer feierlichen Zeremonie wurden diese in die Rückenlehne des Throns eingebracht, auf dass sie für immer dort verbleiben mögen.

Neben dem Wappen des Königs symbolisieren sie drei wichtige Eigenschaften, die für eine weise und gerechte Führung eines Reiches unabdingbar sind.

Die Familie von Rotheim stiftete einen Bergkristall, der für Klarheit und Energie steht. Die von Hohenfels wählten den Turmalin, der den Sinn zur Realität symbolisiert. Und mein Großvater schließlich wählte den Selenit, als Zeichen für Besonnenheit und Ruhe.

Die Mitglieder des Hohen Rates verstießen nie wieder gegen ihren Kodex. Mehr noch, sie sahen sich als Bewahrer des Wissens und gaben dieses jeweils an ihre Nachfahren weiter. Nach dem Tod des alten, ehrgeizigen Königs bestieg sein Sohn Wilbert I. dessen Thron und es folgte eine lange Zeit des Friedens und des Wohlstands für das gesamte Königreich.

„Ja, ja, das ist ja alles schön und gut“, unterbrach Josie ungeduldig Julius` Geschichtsstunde über längst vergangene Kriege und die Entstehung des Hohen Rates. „Aber was hat das alles mit den Ereignissen des heutigen Abends zu tun?“ „Geduld, Josie, Geduld. Dazu komme ich jetzt“, erwiderte Julius und setzte seine Erzählung fort.

„Nach vielen Jahren des Friedens, bezogen erneut Soldaten an der Grenze Stellung. Der König schickte seinen besten Späher, den Soldaten August Krummsäbel aus. Doch dieser kehrte schwerverletzt zurück und verstarb bevor er dem König Bericht erstatten konnte. Wilbert I. strebte Verhandlungen an und wurde vom Hohen Rat in seinen Bemühungen unterstützt.

Als die Verhandlungen sich jedoch hinzogen, kam der ehrgeizige Bartholomäus III. von Hohenfels dem König und dem Rat zuvor.

Dieser junge Zauberermeister entstammte einer der angesehensten Zaubererfamilie des ganzen Reiches. Stets war der Erstgeborene dieser Familie zum Zauberergesellen ausgebildet worden und hatte aufgrund seiner Begabung schnell den Rang eines Meisters erlangt. So war es nicht verwunderlich, dass Bartholomäus schon bald in den Hohen Rat berufen wurde, dem auch Grimalde von Rotheim und ich angehörten.

In seinem Eifer, Wilbert I. zu gefallen, verschaffte Bartholomäus sich Zugang zum Keller der Bibliothek und bemächtigte sich verbotenerweise eines der Geächteten Flüche. Er nutzte den Demenzia Warus Fluch. Einen der verheerendsten aller geächteten Flüche, da er nicht umzukehren ist.

Alle Soldaten des gegnerischen Heeres waren einem grünen, giftigen Nebel, so wie wir ihn heute erlebt haben, schutzlos ausgeliefert. Sie irrten verwirrt und ziellos umher. Sie waren unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, einen Befehl auszuführen.

So hatte Bartholomäus zwar dafür gesorgt, dass es keinen neuen Krieg gab, aber aufgrund seiner eigenmächtigen Handlungsweise fiel er bei Wilbert I. in Ungnade. Grimalde und ich waren ebenso enttäuscht über seine Eigenmächtigkeit und der unverzeihlichen Missachtung des Ehrenkodex‘ und bestraften Bartholomäus mit einer Herabstufung. Er war jetzt nur noch Zauberermeister zweiten Ranges und somit nicht mehr Mitglied in unserem Rat. Diese Demütigung traf Bartholomäus tief und er zog sich enttäuscht zurück.

Unter der Regentschaft von Wilbert II. strebte Bartholomäus erneut danach, ein höheres Ansehen zu erlangen. Der junge König war machtbesessener als sein Vater und Bartholomäus sah seine Chance, wieder an Einfluss zu gewinnen. Unverhohlen trug er seine Ideen vor, wie er die Feinde des Königsreiches mittels seiner Macht besiegen könnte. Aber Grimalde und ich bekamen Wind davon und stellten ihn zur Rede. Bartholomäus stritt die Vorwürfe gegen ihn nicht einmal ab. Im Gegenteil! Er verteidigte sogar seine Sicht der Dinge. Er meinte, wenn man über ein entsprechendes Wissen verfüge, solle man es auch einsetzen. Schließlich geschähe es ja zum Wohle des Königs.

Wilbert II. konnte seine Begeisterung für die ihm vorgetragenen Ideen kaum verbergen. Es kostete Grimaldes und meine gesamte Überredungskunst, ihn zu überzeugen, nicht auf Bartholomäus‘ Vorschläge einzugehen. Schließlich gab der König unserem Drängen nach.

Doch Bartholomäus war uneinsichtig und beharrte auf seiner Meinung. Er tobte und verfluchte uns für unsere Engstirnigkeit. Daraufhin entschieden wir, Bartholomäus endgültig aus der Gilde auszuschließen. Aber in der Nacht, bevor wir ihm unsere Entscheidung mitteilen konnten, stahl er sich davon.

Am nächsten Tag herrschte große Aufregung im ganzen Schloss. Mehrere Suchtrupps wurden in alle Richtungen des Reiches ausgeschickt, doch sie alle kamen ohne den Zauberer zurück. Sie suchten noch Wochen und Monate nach ihm, aber die Suche blieb vergebens. Als man auch im neuen Jahr, nach einem besonders harten Winter, immer noch keine Spur von ihm gefunden hatte, erklärte Wilbert II. ihn schließlich für tot.“

„Aber wenn er schon seit Jahren tot ist, kann er doch diesmal nichts mit diesem Nebel zu tun haben, oder?“, meinte Josie. „Nun Josie“, entgegnete Julius, „nur der König behauptete Bartholomäus sei tot. Vielleicht ist er es gar nicht und sinnt nun auf Rache. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass er soweit gehen würde.“ „Er tat es schon einmal“, erinnerte ihn Reginald. „Trotzdem“, beharrte Julius, „irgendein Gefühl sagt mir, er war es nicht.“ „Gut, hören wir mal auf dein Gefühl. Wer könnte es deiner Meinung nach denn gewesen sein?“, fragte Winfried, doch Julius zuckte nur mit den Schultern.

„Isi! Mein Gott, wir haben Isi ganz vergessen.“ Julius sprang vom Sessel hoch, aber Josie kam ihm zuvor. „Lass mich das machen. Ich sause schnell zu ihr.“ Schon schwirrte sie davon, um keine Minute später völlig aufgeregt zurückzukommen. „Kommt, schnell!“

„Isi? Alles in Ordnung mit dir?“ Behutsam legte Julius seine Hand auf Isis Unterarm. In sich zusammengesunken saß sie am Küchentisch und starrte vor sich hin. Das dreckige Geschirr türmte sich auf der Arbeitsplatte neben der Spüle. Der Wasserhahn war weit aufgedreht. Das Becken war bereits übervoll und das schaumige Wasser lief über den Rand auf den Boden, wo es sich gleichmäßig über die Fliesen verteilte.

Reginald eilte zum Hahn und drehte ihn zu. Dann zog er den Stöpsel aus der Spüle und ließ das Wasser ablaufen. „Wolltest du nicht noch abspülen?“, fragte Julius die völlig verwirrte Isi. „Ich… ich weiß nicht“, stotterte sie. „Sollte ich das?“ Isi schaute unsicher in die Runde. Alle Augen waren auf sie gerichtet.

„Ich… ich“, stammelte sie und blickte den Zauberer mit leeren Augen an. In diesem Moment wurde Julius klar, dass seine treue Haushälterin, auch wenn sie sich im Untergeschoß der Burg aufgehalten hatte, dem giftigen Nebel ungeschützt ausgesetzt gewesen war. Ihr verwirrter Zustand erinnerte Julius an das hilflose Verhalten der Soldaten, die Bartholomäus mit dem Demenzia Warus Fluch belegt hatte.

„Komm Isi, ich bringe dich jetzt zu Bett“, sagte er deshalb traurig und reichte ihr den Arm. Julius nickte den anderen unmerklich zu und verließ mit Isi die Küche. Die anderen machten sich daran, die Küche zu reinigen und das Geschirr abzuspülen. Dann begaben sie sich wieder ins Wohnzimmer.

Julius stand bereits an der Balkontür und starrte nun zum zweiten Mal an diesem Tage in den Abendhimmel hinaus. Er war so klar wie vorher, vom grünen Nebel keine Spur. Niedergeschlagen schloss Julius die Tür und drehte sich zu seinen Freunden um. Der Schock über das eben Erlebte saß tief. Niemals hätte Julius erwartet, einem so mächtigen Fluch so unvorbereitet gegenüber zu stehen. Und dementsprechend unzureichend und stümperhaft war seine Gegenwehr gewesen. Sie alle hätten Opfer dieses Fluches werden können. Er musste sich eingestehen, dass er alt und träge geworden war. Die langen Jahre des Friedens und der Ruhe hatten ihn unaufmerksam werden lassen. Blind und taub für die Gefahren und Geschehnisse um ihn herum.

Und seine Trägheit, seine Unaufmerksamkeit war schuld, dass es heute Isi getroffen hatte. Seine ergebene Haushälterin, die niemanden jemals ein Leid zugefügt und ihm all die Jahre treu zur Seite gestanden hatte. Ihr Wohlergehen lag in seinen Händen. Und er hatte kläglich versagt. Das würde er sich niemals verzeihen können. Reginald war neben ihn getreten und legte seine Pfote auf den Arm des Zauberers.

„Vielleicht wird Isi langsam alt und beginnt Sachen zu vergessen“, meinte Reginald, aber irgendwie schien er selbst an seiner Aussage zu zweifeln.

„Vielleicht lebt Bartholomäus tatsächlich noch“, überlegte Julius laut. „Oder er hat einen Nachahmer, einen Bewunderer“, warf Reginald ein. „Vielleicht steckt sogar der König selbst dahinter“, mutmaßte Winfried. „Das sähe ihm ähnlich, diesem gierigen...“ „Langsam, langsam“, meldete sich Reginald erneut zu Wort, „wir sollten nicht zu voreilig Schlüsse ziehen.“