Finstere Zeiten - Petros Markaris - E-Book

Finstere Zeiten E-Book

Petros Markaris

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Beschreibung

Die moderne griechische Tragödie spielt sich in den Läden und Büros, Straßen und Wohnblocks ab. Petros Markaris beobachtet und kommentiert die einzelnen Akte in zwölf Artikeln, die er für deutschsprachige Medien wie Die Zeit, Die Wochenzeitung, Die Tageszeitung und die Süddeutsche Zeitung seit 2009 geschrieben hat.

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Petros Markaris

Finstere Zeiten

Zur Krise in Griechenland

Die Erstausgabe

erschien 2012 im Diogenes Verlag

Die vorliegende Ausgabe wurde

um die beiden Beiträge ›Eine Freundschaft

in Gefahr‹ sowie ›Vom Schwinden der

Erinnerung‹ erweitert, die 2013

erstmals in Buchform erschienen sind

Nachweis am Schluss des Bandes

Covermotiv: ›Griechenlandfahne mit Rost‹,

Copyright © K.F.L./Fotolia.com

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2013

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24269 0 (1.Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60185 5

[7] Eine lange Reise in die Nacht

Als ich in Griechenland mein Projekt angekündigt hatte, eine Romantrilogie über die griechische Krise zu schreiben, fragte mich eine junge griechische Journalistin:

»Herr Markaris, Sie wollen drei Romane über die Krise schreiben?«

»Eine Trilogie sind eben drei Romane«, antwortete ich.

»Und Sie glauben, dass die Krise so lange dauern wird?«, fragte sie entrüstet.

Inzwischen ist klar, dass es nicht bei einer einfachen Trilogie bleiben wird. Ich habe drei Varianten vor Augen: Entweder füge ich der Trilogie noch einen Epilog hinzu, der das Ende der Krise illustriert, oder ich mache aus der Trilogie eine Tetralogie. Es könnte aber auch sein, dass ich die erste Trilogie abschließe und mit einer neuen beginne. Das wäre die schlimmste Variante. Zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich noch nicht, welche von den drei Varianten am wahrscheinlichsten ist.

[8] Die Materialien in diesem Buch, die Artikel, Reden und das Interview, habe ich parallel zur Arbeit an den ersten zwei Romanen der Trilogie, Faule Kredite und Zahltag, geschrieben und veröffentlicht. Sie dienten mir als Grundlage für die Romane.

Das ist nicht theoretisch gemeint. Mit dem Projekt der »Krisentrilogie« wollte ich ja einerseits die Mechanismen und andererseits die Entwicklung der Krise und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung darstellen.

Für einen Autor ist es riskant, wenn er sich mit aktuellen Themen beschäftigt, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Die Artikel, die Reden und die Interviews, in denen ich mich über die Krise geäußert habe, waren eine willkommene Hilfe. Denn darin habe ich die Krise nicht nur den Lesern zu erklären versucht, sondern auch mir selbst. Sie haben mir geholfen, einen klaren Kopf zu bewahren und die Krise in den Romanen mit Blick auf ihre Ursprünge und Ursachen zu beschreiben.

Der erste Artikel in diesem Band datiert vom 30.Dezember 2009, als die Krise gerade ausgebrochen war. Es war eine Zeit der gespaltenen Meinungen und der gespaltenen Gefühle. Ein Teil der Bevölkerung, vor allem Ökonomen, Akademiker und Journalisten, hatte den Ernst der Lage sofort [9] erfasst. Die Mehrheit der Griechen ließ sich aber von den Zusicherungen der Regierung, vor allem des damaligen Premierministers Jorgos Papandreou, einlullen. Er gab sich völlig zuversichtlich, dass die Regierung die Krise in zwei Jahren meistern würde. Daher auch die Frage der jungen Journalistin.

Ich gehörte zu denen, die von Anfang an überzeugt waren, dass die Krise gekommen war, um zu bleiben. Sie würde uns nicht so schnell verlassen, und ich würde Zeit genug haben, um drei Romane zu verfassen.

Seien wir aber ehrlich: Keiner hat das Ausmaß der Krise und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung vorausgesehen. Wir hatten keine Ahnung, was da auf uns zukam. Hauptsächlich weil die damalige Pasok-Regierung den Bürgern nie die ganze Wahrheit sagte. Sie versuchte sie zu beruhigen, indem sie ihnen versicherte, dass jede neue Maßnahme, egal, ob es um Kürzungen der Löhne und Renten ging oder um neue Steuern, die letzte sei. Es kamen aber immer neue Maßnahmen und Sparpakete da-zu. Diese falsche Politik der Besänftigung traf die Griechen völlig unvorbereitet, sie verunsicherte und empörte sie.

Dennoch wird sie bis heute betrieben. Das kleinste positive Zeichen in der griechischen Wirtschaft sowie jede positive Aussage eines [10] europäischen Politikers über Griechenland werden sofort hochgejubelt. Derweil ist die Arbeitslosigkeit seit Oktober 2012 von 23Prozent auf 27Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit von 50Prozent auf 60Prozent gestiegen.

Wenn eine finanzielle Krise ausbricht, dann fragen sich die Leute immer, warum es so weit gekommen ist und wer die Schuld dafür trägt.

Die Gründe liegen im Falle der griechischen Krise weit zurück in der Vergangenheit. Der monströse Staatsapparat, der heute Griechenland lahmlegt, ist das Endprodukt einer Entwicklung, die in der Zeit nach dem Bürgerkrieg Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre begonnen hat. Viele Leute in Griechenland und anderswo gehen jedoch irrtümlicherweise davon aus, dass das heutige Desaster eine Folge der Misswirtschaft der letzten dreißig Jahre ist. Das stimmt nicht. Wenn man den geschichtlichen Aspekt beiseitelässt, dann gelangt man, wie viele Deutsche und andere Ausländer, zur falschen Schlussfolgerung: dass nämlich die Griechen allesamt korrupt sind.

Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die politischen Eliten von der frühen Nachkriegszeit bis heute die Hauptschuld für den Zusammenbruch des Landes tragen. Sie haben durch ihre Klientelmentalität das Land an den Rand des Abgrunds [11] gebracht. Das habe ich in meinem Vortrag ›Nur eine Finanzkrise?‹ zu erklären versucht. Im Artikel ›In Athen gehen die Lichter aus‹ beschreibe ich sowohl die Opfer dieses politischen Systems als auch dessen Profiteure.

Allerdings bin ich Schriftsteller und nicht Politikwissenschaftler. Auch deswegen ist mir der kulturelle Aspekt der Krise sehr wichtig, und zwar nicht nur in Bezug auf Griechenland, sondern auch auf die EU

[12] Kultur der Armut

»Wir brauchen das Verständnis dafür, dass Geld den Menschen dienen muss«, sagte Bundespräsident Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache. Ich fragte mich, ob der Bundespräsident die Deutschen angesprochen hatte oder die Griechen. Denn die Griechen nehmen den Satz wörtlich und betrachten die Bankkredite, die sie zu jedem Zweck bekommen, nicht als geliehenes Geld, sondern als Teil ihres Einkommens. Das ermöglicht ihnen ein Leben auf Pump, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, wie und wann sie die Kredite zurückzahlen werden. Bankiers sind für die Griechen ganz nette Mitbürger, wenn sie einen Bau- oder einen Konsumkredit bewilligen, aber Spekulanten und Haie, wenn sie ihr Geld zurückverlangen.

Die griechische Finanzkrise hat mit der internationalen Finanzkrise wenig zu tun. Es gibt in Griechenland keine Lehman Brothers, keine BayernLB und keine Hypo-Vereinsbank. Zwar haben wir einen Ausläufer der internationalen Finanzkrise auch in [13] Griechenland gespürt, aber die griechischen Geldinstitute spielen auf der Welt keine Rolle. Die griechische Krise ist hausgemacht, von uns Griechen selbst, sowohl von den Regierungen (vor allem von der letzten Karamanlis-Regierung) als auch von den Bürgern. Jede dritte griechische Bank könnte ein gutes Immobiliengeschäft aufbauen mit konfiszierten Wohnungen und Bauten von Kunden, die ihre Kredite nicht bedienen konnten. Und jede zweite Bank hätte leicht einen Autohandel eröffnen können mit Fahrzeugen, die ebenfalls konfisziert wurden. Allein innerhalb der letzten fünf Monate, nachdem die letzte Karamanlis-Regierung die Gebühren für hochmotorisierte Wagen gesenkt hatte (angeblich, um den Autohandel anzukurbeln), wurden 20000 Fahrzeuge konfisziert, und zwar Mercedes, BMW und Jeeps mit Allradantrieb. Jedes zweite Kind, das sein Abitur schafft, bekommt von Papa kein Fahrrad, sondern ein Auto geschenkt, mit dem schlagenden Argument: »Das arme Kind muss ja auf dem Weg an die Uni zweimal umsteigen.«

Nicht nur der griechische Staat steckt tief in Schulden und kann den größten Teil seiner Ausgaben nur noch durch Kredite decken. Jeder zweite Privathaushalt ist tief verschuldet und kann seine luxuriöse Lebensweise nur noch mit Krediten [14] finanzieren. So wie der Staat nur noch widerwillig sparsam zu wirtschaften bereit ist, genauso wenig will der Durchschnittsbürger sparen.

Diese Mentalität hat sich schleichend seit Anfang der achtziger Jahre, also mit dem Beitritt Griechenlands in die damalige EWG, durchgesetzt. Bis dahin war Griechenland ein armes Land, das mit seiner Armut anständig leben konnte. Es hatte sogar nach seiner langjährigen Erfahrung mit der Sparsamkeit eine Art »Kultur der Armut« entwickelt. Dann kam das Jahr 1981, und das Geld begann in Strömen in das Land zu fließen. Die Griechen brauchten »die Kultur der Armut« nicht mehr, konnten aber auch keine »Kultur des Reichtums« entwickeln. Der Konsum wurde die treibende Kraft der Gesellschaft. In diesen knapp dreißig Jahren hat sich der öffentliche Sektor fast verdreifacht, weil er für die meisten Regierungen nicht als öffentlicher Dienst gesehen wurde, sondern als ein wolkiges Gebilde, in das man beliebig Leute einstellen konnte, mit dem einzigen Ziel, Wähler zu gewinnen. Aus dem öffentlichen Dienst wurde ein Selbstbedienungsladen mit öffentlichen Mitteln. Staat und Bürger konkurrierten miteinander, wer am meisten ausgeben konnte.

Als ich Mitte der sechziger Jahre nach Athen kam, sah ich, wie in fast allen armen Stadtvierteln die Armierungseisen aus den Dächern der Häuser [15] herausragten. Diese Eisenstangen standen für den Traum vom zweiten Stockwerk. Die Familie musste fast ein Leben lang sparen, damit die Tochter oder der Sohn eine eigene Wohnung bekommen konnte. Heute bauen die Griechen Sommerhäuser und Villen und zerbrechen sich kaum den Kopf darüber, wie sie die Kredite zurückzahlen sollen.

Die Armierungseisen sieht man heute noch in den Dörfern auf dem Land. Was man nicht bemerkt, das ist die Mühsal einer stillen Minderheit. Diese Minderheit ist die einzig treibende Kraft Griechenlands. Wenn das Land noch nicht pleitegegangen ist, so ist es dieser Minderheit zu verdanken, die seit Jahrzehnten maßvoll und produktiv arbeitet und in die marode Wirtschaft weiter investiert. Ein Teil dieser Minderheit musste während der Dezember-Krawalle 2008 zusehen, wie man ihre Geschäfte zerstört, in Brand gesteckt oder geplündert hat. In den Nachrichten konnte man dann die Bilder von der Zerstörung Athens sehen; es meldeten sich Studenten, Polizisten und Politiker zu Wort, aber die stille Minderheit schwieg. Sie hatte weder Sprache, noch fand sie Gehör.

Wohlgemerkt: Ich rede nicht von einer Oberschicht, die im Parteiensystem gut verankert ist und auch davon reichlich profitiert, sondern von kleinen und mittleren Unternehmen und Betrieben, [16] die seit eh und je das Fundament der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft bilden. Diese Schicht ist zwar zusammengeschrumpft, bleibt aber im Kern nach wie vor gesund.

Im Laufe der letzten zwei Monate ist das Defizit zum Lieblingsthema in den Zeitungen und im Fernsehen geworden, wobei die Griechen weniger über den Schuldenberg des Landes entsetzt sind. Entsetzt sind sie vielmehr über den Druck, den die EU, die Europäische Zentralbank oder der Internationale Währungsfonds ausüben. Immer wenn die Griechen hilflos sind, greifen sie nach Verschwörungstheorien. Einmal sind es Frau Merkel und Herr Schäuble, die die Stimmung gegen Griechenland anheizen, weil sie ein Exempel für die anderen EU-Länder statuieren wollen und Griechenland als Versuchskaninchen benutzen. Ein anderes Mal sind es die EU und der IWF, die uns an den Pranger stellen wollen. Dann sind es die Rating-Agenturen wie Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch, die unsere Kreditwürdigkeit herabsetzen und mit ihren Schattengeschäften zulasten Griechenlands arbeiten.

Im Gegensatz zur schreienden Mehrheit, die über den zu erwartenden Verlust ihrer Privilegien jammert und wie immer die Rechnung in fremde Taschen stecken will, sieht die stille Minderheit im Eingreifen der EU und des IWF die einzige [17] Hoffnung, damit sie endlich ein normales Dasein führen kann. Die Hoffnung, dass Griechenland sich von selbst heilen kann, hat sie längst aufgegeben.

30.Dezember 2009

[18] Die schönen Tage sind vorbei

»Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.« So fängt Don Karlos an. Friedrich Schiller hat den Vers nicht für die Griechen geschrieben. Dass er trotzdem auf sie zutrifft, ist reiner Zufall. Griechenland erlebt derzeit seine wohl schwerste Krise der Nachkriegszeit, und sie ist zu neunzig Prozent hausgemacht. Mittlerweile gibt das der größte Teil der Bevölkerung ohne Wenn und Aber zu. Worauf die Griechen sich nicht einigen können, ist, wann dieses große finanzielle Desaster begonnen hat. Die meisten beschuldigen die zwei Regierungen der Partei Nea Dimokratia unter Premierminister Kostas Karamanlis, die das Land von 2004 bis 2009 regierten. Andere gehen bis zum Anfang der achtziger Jahre zurück, in die Zeit also, als Griechenland in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) kam. Jene, die so argumentieren, verweisen zu Recht auf die zwei Finanzkrisen: die erste von 1985, als das Staatsdefizit auf 9,5Prozent des Bruttoinlandsprodukts stieg, und die zweite, [19] die Anfang der neunziger Jahre kam. Demnach wäre die Krise, die wir jetzt erleben, die dritte und die schlimmste.

Das klingt zwar nach einem überzeugenden Zusammenhang, doch ich glaube, dass der Ursprung der gegenwärtigen Krise in den Olympischen Spielen von 2004 liegt. Der Etat der Olympischen Spiele betrug 2,4Milliarden Euro. Offiziell haben sie aber 11,5Milliarden gekostet. Die zusätzlich benötigten Milliarden wurden mit Krediten finanziert. Fast ein Fünftel der Kreditsumme, die das Land heute braucht, geht also auf die Olympiade zurück. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Kredit, von dem in der letzten Zeit in der EU viel die Rede ist. Im Jahre 2002 verschaffte die Bank Goldman Sachs Griechenland einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro. Dieser Kredit floss weder in die Wirtschaft noch in die Rüstungsausgaben, sondern wie eine Reihe weiterer Kredite in die Olympischen Spiele. Die Griechen hatten eine eindrucksvolle Eröffnungsfeier, sie feierten den Erfolg Griechenlands, zumal das Land vor den Spielen von vielen unterschätzt, sogar verpönt wurde, fragten aber nicht nach der Rechnung und wer sie bezahlen sollte.

Wir Griechen versuchen, mit oder ohne die EU, immer das Symptom zu heilen und nicht die Ursache. Denn das Problem Griechenlands ist primär [20] ein politisches. Die finanziellen Krisen kehren immer wieder zurück, sie sind die Folge einer jahrelangen falschen Politik.

Griechenland war bis 1981 ein armes Land, das aber mit seiner Armut anständig leben konnte. Dann begannen die EWG-Subventionen zu fließen. Zum ersten Mal in der neugriechischen Geschichte hatte die Regierung volle Kassen. Andreas Papandreou, der Premierminister der ersten Pasok-Regierung, versuchte damit die Gunst der Wählerschaft zu gewinnen. Er ließ es zu, dass die Subventionen an Privilegierte verteilt und für andere Zwecke verwendet wurden als jene, die von der EWG und später von der EU vorgeschrieben waren. Das war eine politische Entscheidung, und es war der Anfang einer Klientelwirtschaft zum Zweck der Wiederwahl, die dann von allen Regierungsparteien weitergeführt wurde. Jede Regierung brachte ihre eigenen Leute im Staatsapparat unter, der so aufgepumpt wurde, bis er funktionsunfähig war. Alle Welt konnte sich während der Brände 2007 ein Bild davon machen, wie unfähig dieser Staatsapparat ist.

Die Korruption, die heute von der ganzen EU und vor allem von den Deutschen beklagt wird, hat ihre Anfänge in dieser Zeit. Nur sollte man dabei bedenken, dass die Korruption ein Verbrechen ist und wie jedes andere Verbrechen Täter und Opfer [21] braucht. Und die Opfer sind weder die EU noch die Deutschen, sondern fast nur die Griechen selbst. Die Übertreibung also, dass Griechen allesamt korrupt seien, trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass der größte Skandal der letzten dreißig Jahre, der Siemens-Skandal, kein griechischer war.

Ein Jahr nach dem Kredit für die Olympiade verschaffte die Londoner Niederlassung der Deutschen Bank in Zusammenarbeit mit der Commerzbank Griechenland einen Milliardenkredit für den Kauf von Rüstungsgütern. Damit sind wir beim zweiten Teil der politischen Entscheidungen, und das sind die Rüstungsaufträge. Griechenland zahlt seit Jahren enorme Beträge für Rüstungsaufträge, die sich ein kleines Land auf die Dauer nicht leisten kann. Sie werden mit dem soliden Argument »Konflikt mit der Türkei« begründet. Von diesen Aufträgen profitieren aber weder die auf Pump lebenden Griechen noch der kranke griechische Staatsapparat, vielmehr profitiert Deutschland mit seinen Eurofightern und Leopard-Panzern, Frankreich mit seinen Mirages und auch Russland mit seinem TOR-M1-Raketensystem.

Noch vor ein paar Monaten, inmitten der Finanzkrise, bekam Deutschland einen saftigen Rüstungsauftrag für Leopard-Panzer und zwei U-Boote zusätzlich zu einem früheren Auftrag. Bei seinem [22] letzten Besuch in Griechenland versuchte der deutsche Außenminister, uns Mut zu machen, indem er uns versicherte, dass die rigorosen Sparmaßnahmen der Regierung Erfolg haben würden. Gleichzeitig warb er aber hinter den Kulissen für einen Auftrag für Eurofighter. Die EZK-, Eurostat- und IWF-Experten, allen voran Herr Olli Rehn, kamen mit Riesenscheren nach Griechenland, um überall zu schneiden und zu kürzen, nur die Rüstungsausgaben wurden nicht angetastet, womöglich um einige Staaten der Eurozone nicht zu verärgern.

Nun sieht der griechische Stabilitäts- und Wachstumspakt ungefähr so aus: Gekürzt werden vor allem die Gehälter des öffentlichen Sektors. Die Rüstungsausgaben bleiben unangetastet, damit das Wachstum von bestimmten Europartnern Griechenlands nicht gefährdet wird. Die Schuld dafür schieben die Griechen, die diese Vorgehensweise stillschweigend akzeptieren, den Türken in die Schuhe.

Einige deutsche Blätter, Journalisten und mittlere Parteifunktionäre, die uns in jüngster Zeit empfehlen wollten, die Akropolis oder einige Inseln zu verkaufen, um unser Kreditvolumen zu verringern, hätten uns einen besseren Dienst erwiesen, wenn sie uns geraten hätten, mit unseren Rüstungsausgaben sparsamer umzugehen.

[23] Es ist auch naiv, die Empörung der Griechen über solche Aussagen damit abzutun, dass man diese Empörung auf Traumata aus der deutschen Besatzungszeit zurückführt. Das ist ungefähr wie das Argument der Israelis, jeder, der die israelische Politik kritisiere, sei ein Antisemit. Das haben die Griechen wirklich nicht verdient. Ich habe mir immer den Kopf darüber zerbrochen, wie es dazu kommen konnte, dass die Griechen die ehemaligen Besatzer höher schätzen und freundlicher aufnehmen als ihre ehemaligen Befreier, die Briten und die Amerikaner. Nirgendwo sonst in Griechenland war die deutsche Besatzung so brutal wie auf Kreta. Auf Kreta, in der Nähe von Chania, gibt es heute ein deutsches Dorf. Die Deutschen leben dort das ganze Jahr, haben eine sehr enge und freundschaftliche Beziehung zu den Kretern. Dieses Verhältnis ist jetzt gestört, teils wegen der Arroganz deutscher Medien, teils aber auch wegen der völlig deplatzierten Aussagen griechischer Politiker. Jedenfalls haben weder die Deutschen noch die Griechen etwas davon.