Flamencopassion - Sabina Naber - E-Book

Flamencopassion E-Book

Sabina Naber

4,8

Beschreibung

Zwei nackte Leichen, zwei Tatorte und zwei Todesursachen - die eine Leiche ein Erdölspezialist aus der Oberschicht, die andere ein mittelloser Gelegenheitsarbeiter. Einzige Verbindung der Männer: Ihre Frauen sind begeisterte Flamecotänzerinnen. Hat die geheimnisvolle Esma, die provokante Underground-Flamenco-Treffen veranstaltet, etwas mit den Toten zu tun? Der Wiener Chefinspektor Karl Maria Katz und die Gruppeninspektorin Daniela Mayer ermitteln.

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Sabina Naber

Flamencopassion

Ein Fall für Mayer & Katz

Impressum

Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Alexandru Nika / Shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-4966-6

Haftungsausschluss

Da Sieg is der unsre

Und wir san der Sieg

Sei Farb ist di Liebe

Und Liebe is Krieg

(Esma Baykurt)

1/1

Was machst du da?

Ich schau dir zu.

Das sehe ich. Aber du schaust nicht, du starrst.

Nein, ich schau nur.

Ja, aber so, als würdest du mich das erste Mal tanzen sehen.

Vielleicht ist es so.

Blödsinn.

Vielleicht sehe ich es das erste Mal so wirklich und richtig, wie du tanzt.

Was meinst du damit?

Gar nichts.

Oh doch. Heraus mit der Sprache.

Ich kann es nicht sagen.

Doch, das kannst du. Hör auf damit, dich immer so blöd zu stellen. Ich frag mich überhaupt, warum du das tust. Was soll das bringen?

Gar nichts. Ich bin so.

Ja, sicher. Ach, leck mich doch.

Sag das nicht so.

Dann schau du nicht so. Das macht mich nervös. Wenn du nicht gleich damit aufhörst, schmeiß ich dich hinaus.

Du wirst nie nervös.

Woher willst du das wissen?

Ich kenn dich.

Sicher.

Oh doch, ich kenn dich.

Wenn du meinst. Und jetzt gib eine Ruh. Mir ist da was eingefallen. Ein neuer Text. Den muss ich ausprobieren.

PAUSE.

Ich kenne dich.

Hör mal, hör auf mit dem Quatsch. Bist du eingeraucht? Ich kenn dich. Ich kenn dich. Machst du jetzt einen auf Psycho? Und eines sage ich dir, Alter: Nur, weil man mit jemandem seit ewig bekannt ist, kennt man denjenigen noch lange nicht. Da gehört noch was anderes dazu.

Ich sag ja nicht, dass du mich kennst, aber ich kenn dich. All die Jahre. Ich weiß, was du willst, was du verabscheust, was du fürchtest, was dich freut.

Bullshit. Das geht gar nicht.

Doch. Denn ich habe dir zugehört. Ich habe dich beobachtet.

Was heißt das?

Einfach nur, dass ich dich beobachtet habe. Und ich habe mir alles gemerkt. Da, hier oben, ist alles gespeichert.

PAUSE.

Weißt du was? Du bist echt ein Psycho. Aber das ist ja nix Neues.

Nein, ich liebe dich.

Okay, jetzt reicht’s wirklich. Ich werd genug angebaggert, ich brauch deine blöde Tour nicht. What the fuck und wieso überhaupt auf einmal?

Nicht auf einmal, immer schon.

Na, superfein. Aber das ist dein Problem. Kannst du nicht weiter einfach nur schwärmen? Ey? Musst du ausgerechnet heut einen auf Ramazzotti machen? Komm, lass mich in Ruh.

PAUSE.

Geht nicht. Denn heute … ist etwas passiert, das alles ändern wird.

Sicher.

Ja, heute ist der Tag, an dem ich dir meine Liebe beweisen kann.

Geh bitte, hör mit dem Herumgesülze auf. Ich kann Leute, die auf Drogen sind, nicht ausstehen. Die hören sich gern reden und sind dabei auch noch aufdringlich.

Ich bin nicht …

Oh doch! Das seh ich dir doch an. Und außerdem – nur, weil du mich beobachtet hast, was auch immer das bedeutet, heißt das noch nicht, dass du mich kennst. Und wenn du mich nicht kennst, kannst du mich auch nicht lieben. Ha. So. Du bist nichts anderes als ein Wichser.

Soll ich es dir beweisen?

Tag 1 / Katz

Katz beugte sich zu Danis Ohr. »Ich sag nur Zitrone.«

»Hm?« Sie ließ ihren Blick weiter über die Köpfe im Foyer des Akzent-Theaters1 schweifen.

Katz stellte sich so knapp vor sie hin, dass sie ihn ansehen musste. »Sehr geehrte Frau Mayer, Sie ähneln mit Ihrer in Falten gelegten Stirn und den nach unten hängenden Mundwinkeln einem Menschen, der in mindestens ein Dutzend Zitronen gebissen hat. Das ist für ein erstes Date nicht gerade förderlich.«

Danis grüne Augen blitzten ihn an. »Sehr geehrter Herr Chefinspektor – halt bitte einfach deinen Mund, ja?«

Katz grinste seine Lieblingskollegin an. »Kann ich nicht, dafür liegt mir dein Wohlergehen viel zu sehr am Herzen.« Er zog ihren Kopf am Kinn hoch. »Ehrlich jetzt, was ist los? Glaubst du, dass sie uns sitzen lässt? Sie hat uns eingeladen, sie hat die Karten. Und nach dem, wie du sie mir beschrieben hast, wird sie nicht kneifen.«

Die Klingel, die den Vorstellungsbeginn ankündigte, ertönte. Bereits mit einem Doppelton. Es war also bald so weit. Und prompt irrlichterte Danis Blick wieder über die Menge der Zuschauer, die sich nun zusehends in den Theatersaal begaben.

»Sie kommt sicher gleich, Dani. Und außerdem tritt ihre Schwester auf, zu so etwas kommt man nicht zu spät, da bleibt man nicht einfach daheim.«

»Weiß ich.«

»Ich weiß, dass du das weißt. Ich wollte nur Ausreden vorbeugen. Also, was ist dann los?«

Dani streckte den Rücken durch, ließ den Blick wieder über die anderen Theaterbesucher schweifen, dann zur Tür des Saals. »Ich – schlaf im Theater immer ein.« Dani schloss die Augen. »Vor allem bei Tanztheater.«

»Das ist Flamenco.«

»Noch schlimmer. Und noch dazu eine Tanzschulaufführung. Also irgendwelche Hausfrauen mit zu vielen Speckröllchen auf den Hüften, die auf rassige Südländerinnen machen.«

Katz war über Danis bissige Bemerkung froh, denn sie erlaubte ihm, seine eigenes Unwohlsein wegzulachen. Was er auch tat. »Aber Schulaufführungen sind immer sehr …« Er umfasste die Gäste mit einem weiten Bogen des Arms. »Die werden alle vor Begeisterung ausrasten. Es wird lustig. Also komm, keep smiling. Und das Getanze ist ja nicht der Hauptgrund, warum wir da sind. Also zumindest wir beide.«

Dani sah ihn an. »Ich bin eine Vollidiotin. Man sollte auch bei einer ersten Verabredung nie etwas tun, was man sonst nicht auch tun würde. Jetzt bildet sich Laura dann vielleicht ein, dass ich mit ihr immer zu so was latsche. Und wenn ich dann verweigere, ist sie grantig.«

»Wer ist grantig?«, flötete es rechts neben Katz.

Es war sein Freund Alex, der einen dunkelroten Fächer vor das Gesicht hielt. Nur mehr die Augen waren sichtbar. Er klimperte mit den Wimpern. »Schönes Ding, oder? Gibt’s da hinten bei dem Stand. Bei diesem«, er gurrte, »netten Cornetto.«

Katz folgte dem Blick seines Buddys. Der Verkäufer von Kastagnetten, Videos, Fächern und dergleichen war der klassische Typ Hüne, der es Alex seit seiner Pubertät angetan und ihn immer wieder enttäuscht hatte. Dieses Mal in der Ausführung blauäugig und kinnlange blonde Locken. Katz sah seinen Freund an und zog die Augenbraue hoch.

Alex hob die Handflächen. »Nein, ich hab gar nichts gemacht. Ich hab nicht einmal seine Telefonnummer. Je jure2!« Erneut klimperte er mit dem Wimpern. Dann streckte er den ausgebreiteten Fächer von sich und betrachtete ihn, während er mit der Hand kreisende Bewegungen vollzog. »Ich werd bei meiner Show so eine Nummer einbauen. Spanisch kommt immer gut. Und du machst den Torero mit Bolerojäckchen, Charles.«

Ja, im Gegensatz zu Dani und ihm war Alex definitiv vor allem wegen des Getanzes da. Ständig suchte er nach Inspirationen für seine Travestieshow. »Du im Rüschen­kleid?«, flachste Katz.

Alex ließ den Fächer so gekonnt zusammenklappen, als hätte er diesen Handgriff schon als Baby gelernt. »Ja, ich weiß, diese Volants tragen auf. Aber noch, ich betone noch, kann ich es mir leisten.« Er lächelte Dani an. »Also, ma chère, wer ist auf meine Lieblingsuntermieterin grantig?«

»Laura. Wenn sie draufkommt, dass ich Tanztheater nicht mag.«

»Wirklich? Oh, ich finde es magnifique. Hast du so viele schlechte Erfahrungen gemacht?«

Dani wiegte den Kopf. »Nur einmal. So Figuren in weißen Strampelhosen im Serapions3.«

Alex klopfte ihr mit dem Fächer auf die Brust. »Ja, aber das heute ist Flamenco. Und außerdem hast du immer noch die Ausrede, dass du mitgegangen bist, weil du Lauras Schwester als Familienmitglied die Ehre erweisen wolltest.«

»Hi.«

Sie wandten sich alle drei zu der Grüßenden um. Katz sah sich einer Endzwanzigerin gegenüber, naturkrause, schwarze kurze Haare, blitzblaue Augen, weiße Haut und ein Puppenmund. Ganz okay, hatte Dani auf seine Frage nach Lauras Aussehen geantwortet, an das er sich nur mehr schemenhaft erinnern hatte können. Die Untertreibung des Jahres. Die neue Flamme seiner Kollegin könnte als Model durchgehen, wenn sie nicht diese gschmackigen Kurven hätte, sondern ein Hungerhaken wäre. Sie erinnerte ihn irgendwie an … Er spürte, wie er schlaff und zugleich angespannt wurde. Noch immer machte ihn jeder Gedanke an Regina Haas unrund. Ungefähr ein Jahr war es jetzt her, dass er sie im Zuge der Ermittlungen am Golfplatz kennengelernt hatte. Zu Silvester hatte er sich geschworen, sie nicht mehr zu erreichen zu versuchen. Denn die vielen Auslandsaufträge als Model für die reifere Dame waren offensichtlich nur eine Ausrede. Wenn sie Kontakt zu ihm haben wollte, hätte sie ihn angerufen, er hatte öfter als für den Selbstwert zuträglich seine Nummer in ihrer Agentur hinterlassen.

Wenigstens hatte Dani Glück. Ihre Laura hatte damals mit dem Fall in der Bundesliga nichts zu tun gehabt, sie konnte sich also frank und frei in eine Affäre – oder auch mehr – mit der angehenden Fußballtrainerin stürzen. Wobei das Wort stürzen ebenfalls eine Übertreibung des Jahres war, denn Dani hatte in den letzten sechs Monaten viele Abende mit Alex, ihm selbst und einer gedopten Wasserpfeife benötigt, um sich den Ruck zu einer verbindlichen Verabredung zu geben. Zu sehr saß ihr noch das miese Verhalten ihrer Ex im Nacken.

»Mais certainement! Pas vrais, Charles4?« Alex stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Was?« Verdammt, immer, wenn er an Regina Haas dachte, verschwand die Welt um ihn herum.

»Wir lieben Flamenco!« Sein bester Freund funkelte ihn an.

»Ja – also – ich hab’s erst einmal gesehen, bei einem Urlaub in Málaga. Ist ewig her. Da haben ein paar Frauen im Restaurant – ja.«

Laura lächelte ihn an. »Verstehe. Aber das heute ist ein bissel was anderes. Nora, meine Schwester, kommt vom Ballett. Und auch die Leiterin der Flamencoschule, Irana, ist ausgebildete Tänzerin.«

»Aha«, brachte sich nun Dani in ihrer bekannt eloquenten Art ein.

Aber auch Katz wäre nichts Aussagekräftigeres eingefallen, denn Tanzausbildung musste ja nicht zwingend ein Weniger an Kitsch bedeuten.

Die Pausenklingel ertönte nun drei Mal.

Laura seufzte, presste kurz die Lippen zusammen und setzte dann ein breites Lächeln auf. »Ich hoff nur, dass alles glattgeht. Eine von den Einser-Fortgeschrittenen, eine Freundin von der Nora, ist bis vor ein paar Minuten noch nicht aufgetaucht gewesen. Aber die Gruppe kommt erst als Dritte dran. Wird sich schon alles ausgehen.«

Dani klopfte sich mit dem Zeigefingerknöchel auf die Stirn und grinste Laura an. Diese Geste, um etwas nicht zu verschreien, wirkte so süß unbedarft und ungelenk. Am liebsten hätte Katz seinen Arm um die Schultern seiner Kollegin gelegt. In ihrem sonstigen Leben war sie bei Weitem nicht derart unsicher und hilfsbedürftig. Flirten und Charmieren gehörten eindeutig nicht zu ihren herausragendsten Fähigkeiten.

Sie drängten mit der Meute in den Saal, und Laura strebte zur zweiten Reihe. Beste Kategorie. Naja, wenn man Angehörige war. Alex schlüpfte als Erster auf seinen Platz, Katz folgte ihm, dann zwängte sich Dani zu ihrem Sitz, und Laura schloss die Lücke. Es war zumindest in der vorderen Hälfte ausverkauft, dahinter wurde es etwas schütterer, der Balkon war fast leer. Katz schätzte auf vierhundert Besucher. Immerhin.

Laura, die ihn offensichtlich beobachtet hatte, lehnte sich über Dani hinweg zu ihm. »In Düsseldorf oder Berlin oder sonst wo in Deutschland wäre die Bude knackevoll. Die haben da eine ganz andere Flamencoszene, sagt Nora immer.« Und dann mit einem Lächeln zu Dani: »In Österreich ist sie erst im Aufbau. Zusammengezählt vielleicht dreihundert Aktive, vielleicht noch einmal so viele Aficionados.«

»Aha.«

Laura sah Dani eine Spur zu lange in die Augen, worauf die äußerst konzentriert in ihrer Handtasche nach dem Handy suchte und es dann auf lautlos schaltete. Was sie allerdings schon im Foyer, so wie auch Alex und er selbst, gemacht hatte. Mein Gott, wenn das in dem Tempo weiterging, war Dani Polizeipräsidentin und Laura Nationalelfcoach, bis sie endlich miteinander im Bett landeten. Katz beschloss, in der Pause und danach helfend einzugreifen, auch wenn er noch nicht wusste, wie.

Das Saallicht dimmte aus. Auf die Bühne, die zu Katz’ Erleichterung frei von überdimensionalen Fächern, Palmen, künstlichen Bougainvilleas oder sonstigen spanischen Kitschutensilien, sondern mit Paneelen in einfachem Schwarz gehalten war, kamen zwei Gitarristen und setzen sich auf die Sessel im linken Eck. Auch sie waren kitsch-, sprich bolerofrei, trugen vielmehr neutrale schwarze Hosen und Hemden. Einfache Akkorde erklangen, als würden die beiden an ihren Saiten nur herumsinnieren. Langsam verdichtete sich das Gezupfe zu dem bekannten Flamencorhythmus, und einer der Männer warf den Kopf in den Nacken. Oh Gott, jetzt begann er gleich zu singen. Vor dem hatte sich Katz am meisten gefürchtet. Um nicht vollkommen blank dazustehen und sich vielleicht zu blamieren, hatte er sich auf YouTube ein paar einschlägige Videos reingezogen. Die mit dem Tanz waren ja noch gegangen, manche waren sogar richtig mitreißend gewesen, hatten ihn ein bissel an die Zeit erinnert, als er in jugendlichem Überschwang versucht hatte, Stepptanz zu lernen, aber jene, in denen nur gesungen wurde, hatten ihn nervös gemacht. Bei aller Liebe, es kam ihm meist einfach wie das Gejaule eines Möchtegerngesangskursteilnehmers vor. Oder wie der Ruf eines Muezzins zum Gebet.

Und es jaulte.

Katz krampfte sich ein, stellte sich vor, wie sich Wattebäuschchen in die Gehörgänge schoben. Eigentlich hätte er auch gut und gern auf den Abend verzichten können, aber Dani hatte auf seelische Unterstützung bestanden und Alex ihn als Kulturmuffel beschimpft. Das war er gar nicht, und zu Tanz hatte er durch seine Ausflüge mit Alex und seine einstigen Steppversuche sogar fast so etwas wie ein Naheverhältnis, nur musste man ja nicht von jedem Kuchen haben.

Die virtuellen Wattebäuschchen versagten, die Musik boxte sich in sein Gehirn. Und sie erzeugte ein Ziehen in seiner Brust. Doch es war kein Unwohlsein, sondern – ja, Sehnsucht. Plötzlich war für ihn der Gesang nicht mehr ein unprofessionelles Jaulen, sondern der Ausdruck von großer Emotionalität. Er versuchte, den Text zu verstehen, was ihm aber nicht gelang, dafür reichte sein vor Jahren erlerntes Urlaubsspanisch nicht einmal im Ansatz. Der Rhythmus steigerte sich, der eine Musiker schlug mit der Handfläche auf den Corpus der Gitarre, der andere ließ seine Hände über die Saiten fliegen wie einst Django Reinhardt. Ansatzlos verharrten sie wie aus einem Guss, um eine einfache Melodie folgen zu lassen, die nun von Klatschen unterstützt und zugleich konterkariert wurde. Zwei Frauen in langen, taubenblauen schwingenden Kleidern kamen von links und rechts auf die Bühne. Sie waren die geheimnisvolle Percussion.

Alex stieß ihn an. »Merde, gar keine Rüschen.« Er klang wie ein enttäuschtes Kleinkind.

»Vielleicht kommt das ja noch.«

»J’espère, j’espère5.«

»Du solltest von Französisch zu Spanisch wechseln.« Eine Abwechslung bei Alex’ Attitüde, in einer Fremdsprache zu parlieren, wäre wirklich einmal ganz angenehm.

Das mittelalterliche Ehepaar hinter ihnen zischte »Pst«. Also schwiegen und schauten sie.

Katz sehnte sich schlagartig nach einem Bier. Dabei war es gar nicht so heiß im Saal, aber es war … das enge, intime Licht auf der Bühne, die Frauenkörper, die sich in den Hüften wiegten, die Busen, die rausgestreckt wurden, mitreißendes Stampfen, lockende Drehungen und über allem der Rhythmus, der immer fordernder wurde. Dazu sich windende Arme, die sich zu ihm zu schlängeln schienen. Alles sehr weich, rund. Erotisch.

Wieder beugte sich Laura über Danis Schoß zu ihm. »Die Linke ist Irana, die Chefin der Schule.« Sie stützte sich auf Danis Oberschenkel ab.

Katz spürte, wie sich seine liebste Kollegin versteifte, statt beiläufig die Hand auf den Rücken von Laura zu legen. Herrgott, sie war dreißig Jahre alt und stellte sich wie eine Zwölfjährige an. Was sollte ihr Date denn noch alles machen, um so unauffällig wie möglich Körperkontakt herzustellen? Er musste wahrlich ein ernstes Wort mit ihr reden, so von Vater zu Tochter quasi. Im passenden Alter war er ja.

Laura ließ sich in ihren Sessel zurückplumpsen. Ein wenig zu heftig, wie es Katz vorkam.

Und auch auf der Bühne erfolgte eine Zäsur. Die beiden Frauen standen nun nebeneinander und frontal zum Publikum. Unendlich langsam rafften sie ihre Kleider bis knapp unters Knie. Ansatzlos klapperten sie mit ihren Schuhen los. Die Bewegungen waren so ratternd, dass Katz keine definierbaren Schrittfolgen ausmachen konnte. Nun ja, er hatte bei Tanz auch wenig Erfahrung. Irgendwie erinnerte ihn das Ganze an Stepp, doch es war viel … Er suchte nach einem Begriff. Fester war es nicht, brutaler auch nicht. Erdiger vielleicht. Jedenfalls waren die Füße der beiden Frauen so schnell wie Nähmaschinen, gleichzeitig schienen sie dicke, fette Geschichten zu erzählen. Und der Rhythmus drang direkt in seinen Bauch. Er merkte, wie er die Luft anhielt, und atmete bewusst aus. Doch die Anspannung blieb. Eine Schulaufführung hatte er sich eindeutig wesentlich weniger auf- und anregend vorgestellt. Aber wahrscheinlich waren die beiden Frauen die Meisterklasse. Katz konnte sich nicht vorstellen, dass es in der Tonart weiterging, doch falls es so sein sollte, schwor er sich, für diese Schule Werbung zu machen. So manch einer Frau – er korrigierte sich im Geiste – so manch einer Person in seinem Bekanntenkreis könnte es nicht schaden, sich auch ein wenig von dieser Eleganz und der stolzen Körperhaltung anzueignen.

Es piepste. In der Handtasche von Laura. Eine SMS. Mit hastigen Bewegungen kramte sie das Telefon heraus. Nach der Lektüre der Nachricht legte sie die Hand auf das Display, als wolle sie dieselbe unsichtbar machen. Sie starrte auf die Bühne, blickte dann auf ihre Hand, zu Dani und schließlich zu Katz.

Erneut beugte sie sich zu ihnen beiden und flüsterte: »Die Kollegin von meiner Schwester, die, die zu spät … also, ihr Mann ist tot.«

»Tut mir leid.« Danis Hand zuckte zu jener Lauras, blieb dann aber doch im luftigen Nichts hängen.

»Ermordet.«

Katz spürte, wie sein Herz den rasenden Rhythmus der Bühne übernahm. »Oh!«

»Pst«, kam es von hinten und nun auch von vorne.

»Das ist doch euer Job, oder?«, fuhr Laura fort.

Was wollte sie mit der Frage, die von ihrem Charakter her eine rhetorische war, da sie Dani und ihn selbst ja im Zuge einer Mordermittlung kennengelernt hatte?

»Wir werden gerufen, wenn es die Kollegen vom Bezirkskommissariat für notwendig erachten«, erläuterte Dani nun wie eine Oberlehrerin.

Katz spürte eine Hand auf seiner Schulter, die ihn zur Sessellehne zurückriss, und warmen Atem an seinem Ohr. »Wenn Sie nicht gleich still sind, mach ich auf Carmen und stech Sie ab.«

Katz verkniff sich die Anmerkung von wegen Polizistenmord sei ungesund, auch weil Laura mittlerweile halb auf Danis Schoß lag und mit beiden Händen ihr Smartphone umklammerte, als wäre es ein Rosenkranz. »Die Arianne ist die beste Freundin von meiner Schwester. Könntet ihr nicht vielleicht einfach so …? Also, das fragt die Nora«, flüsterte sie viel zu laut weiter, wobei sie auf das Display deutete.

Die Frauen auf der Bühne streckten den Rücken, hoben das Kinn, wodurch der Hals ganz lang wurde. Katz spürte den unbändigen Drang, diese eleganten Linien sacht mit dem Zeigefinger nachzufahren. Die Hände drehten und wanden sich, schienen ihn zu sich zu locken.

Kurze Generalpause, deren Stille wie ein Trommelwirbel dröhnte.

Unter rhythmischem Klatschen kamen sechs weitere Frauen mit klackernden Schuhen auf die Bühne. Und da waren sie, die etwas groben Bewegungen. Er hatte den Höhepunkt wohl bereits gesehen. Er beugte sich Laura entgegen: »Aber nur, wenn wir noch einmal Karten für so ein Event bekommen.«

Seine liebste Kollegin wandte sich ihm mit aufgerissenen Augen zu. Es blitzte ihn Mordlust an.

1 Akzent-Theater: im 4. Wr. Gemeindebezirk gelegen, hps. mit Fremdproduktionen bespielt.

2 Je jure: Ich schwöre

3 Serapionstheater: Wiener Theatergruppe, bekannt für ihre eigenwilligen Produktionen

4 Aber natürlich! Nicht wahr, Karl?

5 J’espère : Ich hoffe

1/2

Soll ich es dir beweisen?

Nein, wirklich nicht. Nur weil du irgendwas eingeschmissen hast und dich unwiderstehlich fühlst, brauchst du das nicht an mir ausprobieren. Also: Wehe, du fasst mich an! Kein Kuss, nichts. Lass mich einfach in Ruh, okay?

Das werde ich nicht.

Oh doch, das wirst du. Keinen Menschen interessiert dein Anfall von wegen Shit, ich brauch endlich eine Freundin. Geh mir nicht auf die Nerven. Such dir wen anderen.

Das werde ich nicht.

PAUSE.

Okay, okay. Du bist doch ein Lieber, oder? Die ganze Zeit checkst du alles, machst du alles. Bist immer da. Und ich mag dich auch. Echt. Aber du und ich – das ist nicht. Capito?

Oh doch, das ist schon die ganze Zeit, nur hast du es noch nicht gewusst …

DA IST NICHTS!!!

Nein, gewusst ist das falsche Wort. Du hast es nicht zugelassen. Weil du Angst hast, Angst vor Nähe.

Aus welchem Psycho-Chat hast du denn den Scheiß?

Schau dich doch an! Dein ganzes Leben läufst du davon, wenn’s eng wird.

Du redest so eine gequirlte Scheiße. Ich brauch mir das echt nicht länger anhören, und wenn du nicht freiwillig gehst, dann …

Dein Handy ist nicht in der Tasche.

Wie bitte?!

Ich hab’s rausgenommen. Ich wollte einfach sichergehen, dass uns niemand stört. Es ist auch abgeschaltet. SIM-Karte raus. Keine Ortung. Übrigens solltest du dir einmal einen anderen Klingelton zulegen. La Habanera ist doch wirklich ein bissel – billig.

PAUSE.

Nur, dass ich das richtig verstehe. Du hast mir mein Handy geklaut.

Nein, nein, du bekommst es ja wieder. Nachdem ich das mit dir besprochen habe, was ich besprechen will.

PAUSE.

Du versiffter, widerlicher Junkie, gib mir sofort …

Lass das, Esma. Du hast keine Chance gegen mich. Frauen haben nie eine Chance gegen Männer, außer natürlich, sie haben Selbstverteidigung gelernt. Aber das weißt du ja.

Du Arsch. Ich hab dir damals gesagt, du sollst das nie wieder erwähnen. Schlimm genug, dass ich es dir erzählt habe. Aber da hast du mich ja besoffen gemacht.

Das warst schon du, die gesoffen hat. Und die darüber geredet hat. Du wolltest dein Schlimmstes mit jemandem teilen. Und manchmal überlistest du dich eben selber. Mit Alkohol. Damit du über die Grenze gehen kannst.

Klugscheißer. Und ab nun nie wieder. Klar? Sonst reiß ich dir eigenhändig die Eier ab.

Klar.

Verdammt, das hab ich jetzt echt nicht gebraucht.

PAUSE.

Ich frage mich ja immer, warum du das nicht nachgeholt hast.

Das geht dich einen Scheiß an. Und jetzt gib mir mein Handy wieder.

Bitte sei nicht immer so ordinär.

Ich bin so viel ordinär, wie ich will. Und das darf dich doch eigentlich gar nicht stören, wenn du mich so gut und so lange kennst. Ha?! Aber das tust du nicht, weil sonst hättest du mich das nicht gefragt, weil du es sowieso weißt. Also was ist jetzt? Nichts kommt da. Alles nur blödes Blabla.

Du hast es nicht gemacht, weil es dich ständig an damals erinnert hätte. An den Park, an deine Ohnmacht, an seine Hand auf deinem Mund, sein Glied in dir. – Sinnlos, dir die Ohren zuzuhalten. Aber es passt so zu dir, denn alles, was dir wehtut, was dir, ganz persönlich dir, unangenehm ist, das schiebst du weg. So wie deine Tochter.

Hör. Jetzt. Auf!

Wie deine Tochter. Aber sie ist da. Hier in der Stadt. Es nützt dir nichts, dir die Probleme der Welt aufzuladen. Sie verdrängen die anderen nicht, sie machen den Berg nur größer.

PAUSE.

Woher weißt du das überhaupt von meiner Tochter? Das habe ich dir nie erzählt. Da bin ich mir ganz sicher.

PAUSE.

Ey … echt … das kann jetzt nicht sein. Shit. Ich hab mich damals schon … und in letzter Zeit auch … du verfolgst mich, du krankes Hirn!

Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich schon dein ganzes Leben lang beobachte.

Tag 1 / Mayer

Daniela Mayer wünschte sich eine Fee herbei, die mit einem Stupser ihres Zauberstabs die letzte Stunde ungeschehen machen konnte. Wie hieß es so schön? Wenn man Pech hatte, hatte man Glück gleich auch nicht. Nein, nein, das war es nicht. Sie, nur sie selbst war schuld an diesem missglückten Date. Laura hatte mehr als offensichtlich gezeigt, dass sie, nun ja, Interesse hatte. Aber Mayer musste sich eingestehen, dass sie irgendwie paralysiert gewesen war. Shit, shit, shit. Und jetzt noch diese dämliche Aktion von dem verehrten Herrn Chefinspektor. Wie standen sie dann da, wenn sie eingestehen mussten, dass sie den Fall nicht übernehmen und daher auch nicht lösen konnten? Sie hatten keine Bereitschaft. Also, selbst wenn der Mord dem Landeskriminalamt zugewiesen wurde, erledigten ihn Kollegen.

Aber wenigstens blieb ihr der Rest der Tanzerei erspart, auch wenn der Beginn ganz vielversprechend gewesen war. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass die weiteren Nummern der Aufführung dieses Niveau halten konnten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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