Schwalbentod - Sabina Naber - E-Book

Schwalbentod E-Book

Sabina Naber

4,8

Beschreibung

Der wichtigste Sponsor des Wiener Fußballclubs AC Tröger Danube liegt nach einem Autounfall im Koma - eine Woche zuvor ist der ehemalige Zeugwart des Traditionsvereins unter mysteriösen Umständen vom Balkon gefallen. Dann stirbt auch noch der Sportdirektor, geknebelt mit Handtüchern des Clubs. Chefinspektor Katz und Gruppeninspektorin Mayer durchleuchten den Verein und geraten in einen Wirrwarr von alten Seilschaften und Geschäften mit Afrika. Und dann gibt es da auch noch den mysteriösen Fan, der vehement gegen Betrügereien bei Matches vorgeht ...

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Sabina Naber

Schwalbentod

Kriminalroman

Impressum

Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2015 – Gmeiner-Verlag GesmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Sergey Nivens / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-4634-4

Widmung

Ich widme dieses Buch meinem Mann, durch dessen Fußball­leidenschaft und afrikanische Freunde, die auch die meinen wurden, sich viele Puzzlesteine an Gefühlen und Erlebnissen zu einer Geschichte verdichteten.

1 // Mayer sieht sich Irren gegenüber

Tragödie bei Tröger Danube

Großindustrieller H. Tröger nach Unfall im Koma; Zukunft des Wiener Clubs1ungewiss

WIEN. In der Nacht von Montag auf Dienstag war der Unternehmer Harald Tröger (61) nach einer privaten Feier auf der Höhenstraße von Sievering Richtung Ottakring unterwegs. In einer Rechtskurve kam er von der Fahrbahn ab, überschlug sich mehrmals und prallte schließlich gegen einen Baum. Das Wrack wurde erst Stunden später von einem Angestellten der Forstbetriebe aufgefunden. Der Schwerverletzte musste von der Feuerwehr aus dem Wagen geschnitten werden. Tröger wurde mit dem Hubschrauber ins AKH gebracht, wo zur Stunde die Ärzte um sein Leben kämpfen.

Zur Unfallursache verlautbart die Polizei derzeit nichts, das Fahrzeug wird aktuell von Sachverständigen des Landeskriminalamtes Wien untersucht. Tatsache ist, dass in dieser Nacht heftige Eisregenschauer auf die Bundeshauptstadt niedergingen und die Fahrbahn auch aufgrund von Laub sehr rutschig war.

»Wir sind bestürzt und sehr in Sorge«, meint Manfred Kollaritsch, Sportdirektor des AC Tröger Danube, dessen Ehrenpräsident Harald Tröger ist. Präsident Josef Hüttl und Trainer Piet Sneijder waren noch nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Jenseits der persönlichen Betroffenheit geht es für den AC Tröger Danube auch um seine Zukunft. Wie aus gut unterrichteten Kreisen bekannt wurde, sollte am kommenden Freitag in der Vorstandssitzung der Tröger Company entschieden werden, ob der Sponsorvertrag mit dem Wiener Traditionsclub verlängert wird. Zu Beginn der Saison mehrten sich die Stimmen, die die Unterstützung der Simmeringer Kicker einstellen wollten. Mit den zunehmenden Erfolgen der königsblauen Elf in der Bundesliga verstummten die Kritiker von Harald Tröger, als dessen Hobby der AC Tröger Danube gilt, was einige Anteilseigner nicht mehr akzeptieren wollen. Und es mehren sich auch die Gerüchte, dass es bereits einen finanzkräftigen Interessenten geben soll.

- sn -

Gruppeninspektorin Daniela Mayer ließ die Zeitung sinken, sah zuerst Rössler, dann Katz an. »Und? Was haben wir damit zu tun? Waren die Bremsschläuche durchgeschnitten?«

Sie setzte ein Lachen hintennach. Diese altbackene Methode, ein Auto zu einem Mordinstrument umzufunktionieren, wurde nur mehr selten angewandt. Bei grantigen Eheleuten und Erbschleichern hatte es sich mittlerweile herumgesprochen, dass man diese Spur viel zu gut nachverfolgen konnte. So eine Manipulation wäre zu schön, um wahr zu sein.

Staatsanwalt Hannes Rössler schüttelte den Kopf. »Tröger hatte Klasse …«

»Hat«, unterbrach ihn Chefinspektor Karl Maria Katz.

Rössler nickte, schloss kurz die Augen. Es wirkte, als wolle er sich bei Katz entschuldigen. »Tröger hat Klasse«, korrigierte er. »Wenn jemand die Schläuche durchgeschnitten hätte, wäre er einfach aus dem Auto gesprungen, nachdem er mit der Handbremse etwas die Geschwindigkeit reduziert hätte.« Seine Wangen glühten, und wie ein Roboter drehte er sein Smartphone aus dem rechten Winkel, um es dann sofort wieder parallel zur Tastatur des Computers auszurichten. Schief, gerade, schief, gerade.

»Aha.« Mayer wunderte sich über Rösslers einerseits ernsthafte, andererseits nicht hilfreiche und zudem ex­trem optimistische Ausführungen. Kaum ein Mensch ohne Rennfahrererfahrung reagierte im Moment der Panik so cool.

»Was Hannes damit sagen will«, Katz stand auf und schaute aus dem Fenster in einen der zahlreichen Innenhöfe des Landesgerichtsgebäudes, »jeder weiß, wie trainiert und kaltblütig Tröger ist.« Jeder? Ich nicht. »Für den Mann muss man sich schon eine diffizilere Methode überlegen, um ihn unauffällig um die Ecke zu bringen.« Er hatte die Hände auf seiner Rückseite verschränkt und wippte ständig von den Zehenspitzen auf die Fersen. Er war genauso flippig wie Rössler.

»Äh ja – und hat die KTU2 irgendwas anderes gefunden?«

Die beiden Männer schüttelten synchron den Kopf.

»Die Ärzte vom AKH3?«

Wieder Kopfschütteln.

»Okay, was soll dann das Drama? Ihr erinnert mich ein bissel an die Blogger und Poster, als die Sonne vom Himmel fiel.« Mayer lachte wieder. Sie fand ihre Bemerkung in Bezug auf die Verschwörungstheorien rund um den aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum verursachten Unfalltod eines ehemaligen Landeshauptmanns witzig, doch Rössler und Katz verdrehten nur die Augen zum Plafond. Wieder synchron. Sie waren heute wie siamesische Zwillinge. Und sie gaben keine Antwort.

»Gut, ich präzisiere: Warum sollte ich das lesen?«

Rössler räusperte sich. »Es ist einfach eigenartig. Gerade jetzt.« Seine blauen Augen waren fest auf das Telefon zwischen seinen Händen gerichtet.

Ein Unfall auf einer eisregennassen, laubbedeckten Fahrbahn mit einem SUV, also einem Auto mit viel zu viel Kraft unter der Haube, auf einer Straße, die gern von Betrunkenen benutzt wurde, um einer etwaigen Polizeikontrolle zu entgehen, und das alles zu nachtschlafender Zeit, nein, so ein Unfall war nicht eigenartig. Und schon gar nicht, wenn … »Er ist von einer Feier gekommen! Steht da.« Sie legte die Zeitung auf Rösslers Tisch zurück und tippte auf den Artikel.

Katz setzte sich wieder hin und rückte den Sessel so, dass er Mayer direkt in die Augen schauen konnte. »Dani, der Tröger hat keinen Schluck Alkohol getrunken.«

»Ein Trockener, oder einfach so?«

Ihr Chef ließ den Kopf hängen.

Nun war es an Rössler, sich hingebungsvoll dem Ausblick aus dem Fenster zu widmen. »Trocken. Er hat seine erste Frau bei einem Unfall verloren. Er war damals so betrunken, dass doch sie, entgegen ihrer Abmachung, nach Hause gefahren ist. Er hat wie durch ein Wunder überlebt, sie ist nach drei Wochen im Koma gestorben.«

»Und das Gleiche passiert jetzt ihm«, rutschte es Mayer heraus. Sie hätte den Satz am liebsten zurückgesaugt, denn sie wollte die beiden Hysteriker in ihrer Paranoia nicht auch noch bestärken.

Katz fuhr auch prompt auf. »Eben. Siehst du? Irgendwas stimmt da nicht.« Seine eigentlich grauen Augen blitzten sie schwarz an.

Bislang war der Morgen schön gewesen – eine Runde Radfahren am Donaukanal entlang, gemütliches Frühstück mit Alex, der ihr endlich den offiziellen Untermietvertrag überreicht hatte, wodurch sie sich in seiner Wohnung nicht länger als geduldetes U-Boot fühlen musste, ein kleiner Flirt mit der Frau ihr gegenüber in der Straßenbahn … und jetzt zwei irre Männer, die – ja was eigentlich?

Mayer wurde der starre Blick ihres Chefs zu viel. Sie stand auf und drehte eine Runde in Rösslers Büro. Der Aktenschrank war noch immer nicht abgewischt, seit gut einem halben Jahr staubte er vor sich hin. Das war eigenartig, bei so einem akkuraten Menschen wie Rössler, Zwängler könnte man schon sagen.

Sie stellte sich mitten in den Raum und verschränkte die Arme. »Bis jetzt gibt es also keine polizeilichen Hinweise, dass mit dem Unfall irgendwas nicht stimmt. So what? Wieso seid ihr beide …«

Rössler wandte sich ihr mit erhobener Augenbraue zu. Es war höchst umständlich, nur mit einer Person im Zimmer per Du zu sein. »Also wieso sind Sie«, korrigierte sie, »persönlich so berührt? Ist das wieder einmal irgendein Schwager von irgendeinem Freund?« Der letzte Satz war ihr herausgerutscht. Eigentlich gehörte es zu Katz’ Repertoire, den Herrn von und zu Hannes Rössler wegen seiner gesellschaftlichen Verbindungen zu hänseln und manchmal auch zu maßregeln. Doch ihr Chef benahm sich ja genauso affig wie der Staatsanwalt.

Katz streckte ihr die Handflächen entgegen, als wolle er sie anflehen. »Dani! Wir reden von Harald Tröger!«

»Äh – ja?«

»Motocross-Weltmeister! Für Österreich!«

Etwas dämmerte da in ihr. Das war weit vor ihrer Geburt, irgendwann in den frühen Siebzigern gewesen. Gelegentlich wurde seine Rennfahrerkarriere in Berichten über sein Wirtschaftsimperium erwähnt. Aber für einen Dinosaurier wie ihren Chef war das alles natürlich ein prägendes Live-Erlebnis gewesen. Deshalb auch diese wilde Fantasie mit der Handbremse.

»Und sein Bruder ist Bernhard Tröger«, setzte er fort.

Nun kam sich Mayer endgültig wie bei einem Quiz für Menschen aus einem Paralleluniversum vor. »Ja?«

Katz sah zu Rössler, sie schüttelten beide den Kopf und bedachten Mayer mit dem Blick, den man einer unterbelichteten Amöbe schenkt: arm, weil sie ja nichts dafür kann, aber auch erschütternd und nervig in ihrer Unwissenheit.

»Oh!« Gerade noch rechtzeitig hatte sich in der hintersten Archivregion ihres Gehirns eine Schublade geöffnet. »Einer aus dem Traumteam.« Der ehemalige Fußballsuperstar wurde in den Artikeln über seinen Bruder hingegen selten erwähnt, was wohl an seinem Selbstmord lag.

»Ja, Daniela«, die Stimme ihres Chefs hatte den Klang eines Lehrers, der um Fassung bemüht ist, »genau der vom Traumteam. Wir reden vom Europapokal der Landesmeister, Finale, nach einem traumhaften Auswärtssieg gegen den FC Brügge im Semifinale, das war in der einundneunzigsten Minute …«

Die nun folgende Suada von Katz über Tore, Torschützen, offensichtliche Schwalben, unfassbare Schiedsrichterentscheidungen und ungerechte Rote Karten, die von fiebrigen Einwürfen Rösslers ergänzt wurde, blendete Daniela aus. Das alles war ewig her! Warum begeisterten sich die beiden nicht genauso für die Neulengbacherinnen, das beste Damenteam von Österreich? Die hatten erst kürzlich das Viertelfinale in der Champions League geschafft. Das war mehr, als auch nur ein einziger der Männervereine in den letzten zwanzig Jahren erreicht hatte. Nun gut, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wusste sie auch nur deshalb so gut Bescheid, weil ein Häschen aus dem Harem ihrer Ex-Freundin Carmen bei irgendeinem Bezirksverein Fußball spielte und sie durch die Gespräche mit ihr an ihre eigene Kindheit am Bolzplatz erinnert worden war. Seitdem hatte sie mehr oder weniger intensiv die Frauen-Liga verfolgt, um für diese Freundin von Carmen, Nora hieß sie oder Laura, eine Plaudergrundlage zu haben. Hm, die hatte nicht nur extrem gut gekickt, die war auch eigentlich ganz nett gewesen. Und ihres Wissens solo. Nun ja, das konnte sich im letzten halben Jahr geändert haben. Aber einen Versuch wäre es wert … nein, das war eine ganz blöde Idee. Sie konnte doch nicht so einfach ohne Anlass eine Freundin ihrer Ex kontaktieren, mit der sie noch nie allein ein privates Wort gewechselt hatte … also ohne Anlass oder Gesellschaft drumherum.

Mayer schreckte auf. Doch nicht Lärm hatte sie irritiert, wie sie nun feststellte, sondern plötzliche Stille. Ihr Chef und Rössler stierten ins Nirgendwo – wohl beseelte Blicke in die Fußballewigkeit.

Sie setzte sich an den Tisch. »Okay, ich fasse zusammen: Wir haben einen verunfallten Ex-Champion und nunmehrigen Großindustriellen, der wahrscheinlich aus Sentimentalität den Verein seines Bruders, der in grauer Vorzeit einmal ganz erfolgreich gewesen ist, unterstützt. Wenn er stirbt, hat der Verein vielleicht keinen Sponsor mehr. Okay. Traurig, aber nicht weltbewegend und schon gar nicht kriminell. Und es gibt auch sonst nichts Verdächtiges. Also warum soll sich die Kriminalpolizei damit beschäftigen? Oder, um meine Frage von vorhin zu präzisieren: Warum sitzen wir hier?«

Mayer wunderte sich selbst über ihre lange Ansprache, normalerweise war sie eher die Wortkarge. Aber irgendwer musste ja ein bisschen Rationalität und Analytik in dieses wirre Gespräch bringen.

»Wir haben auch noch eine Leiche«, seufzte Katz.

»Aha. Eine ungsunde Nacht, könnt ma sagen.«

»Dani, bitte lass deine Witze. Wolfram Egger ist vor acht Tagen von seinem Balkon gestürzt.«

Mayer sah von Katz zu Rössler und wieder retour. Aber da kam keine weitere Erläuterung. »Okay, bevor ich euch jetzt wieder mit einem seichten Witz nerve, so von wegen auch zu viel trinken will gelernt sein …« Sie streckte den beiden auffordernd die Handflächen entgegen.

Katz schob ihr einen Fotoausdruck hin. Er zeigte einen blonden Mann mit Mittelscheitel und rosigen Backen. »Egger war bis zur letzten Saison der Zeugwart vom ACD.«

»Äsidi?«

»’tschuldige, so war früher die gängige Abkürzung für den Athletic Club Danube. Bevor sich der Sponsorname hineingequetscht hat.« Er zog die Mundwinkel nach unten, als röche er etwas Unangenehmes.

»Englisch? Ich hab zwar noch nie über die Abkürzung nachgedacht, aber irgendwie hätte ich jetzt eher was Treudeutsches erwartet. Weil den gibt’s doch schon ewig, den Club, oder?«

»Eben, ewig. Achtzehnhunderteinundneunzig. Und damals haben sich viele an den englischen Vorbildern orientiert und sich entsprechende Namen gegeben.«

»Zum Beispiel auch die Vienna oder die Austria«, warf Rössler ein. »Und der Zeugwart vom ACD …«

»Oder Acid,« grinste Katz.

»Oh ja!«, leuchtete Rösslers Gesicht auf.

»Wie willst du das denn wissen, Hannes? Da warst du doch noch ein Kind,« flachste Katz.

Der Staatsanwalt grinste ebenfalls. »Das hat mir ein Freund von meinem Vater erklärt, ein Ex-Kommunarde vom Mühl.« Putzig! Du würdest einen Selbstversuch wohl nie zugeben! »Und es hat ja wirklich gepasst. Die Matches vom ACD waren doch wirklich wie ein LSD-Trip – bunter, intensiver, geiler, also einfach nur …«

»Sorry!!!! Können wir bitte zum Thema zurückkommen?«

Rössler und Katz sahen sie wie im Spiel unterbrochene und daher höchst enttäuschte Buben an.

»Gut«, Mayer atmete durch, »wir haben also einen toten ehemaligen Zeugwart sowie einen verunfallten Ehrenpräsidenten. Und beide kommen aus dem Umfeld des Vereins. Aber das besagt ja noch genau gar nichts. Jedenfalls nicht zwingend.« Eine kleine arbeitstechnische Atempause wäre wirklich nicht schlecht, waren doch die beiden letzten Wochen aufgrund eines Revierkampfes zwischen Tsche­tschenen und Russen mit ein paar mörderischen Flurbereinigungen voll stressig gewesen.

Katz nahm den Fotoausdruck wieder an sich und betrachtete ihn. »Doch, weil Eggers Frau eine Obduktion in Auftrag gegeben hat. Und der Ernstl sie und uns für zehn Uhr in die Sensengasse4 bestellt hat.«

1 In Österreich ist es, im Gegensatz zu Deutschland, erlaubt, den Namen des Hauptsponsors in den Clubnamen einzufügen.

2 Kriminaltechnische Untersuchung, die entsprechende Abteilung heißt beim Landeskriminalamt Wien korrekt AB08.

3 Allgemeines Krankenhaus Wien, das größte und bekannteste seiner Art.

4 Tatsächlich in Wien der Standort des Departments für Gerichtsmedizin.

Ein afrikanisches Märchen 1

Es war einmal ein kleiner Junge, der lebte mit seinen drei Schwestern, seiner Mutter, seinem Onkel, seiner Tante, seinen zwei Cousinen und seinen drei Cousins in einem Haus aus Blech. Und das Blech war so dünn, dass er in der Dunkelheit der Nacht die Hyänen heulen hörte. Doch er hatte keine Angst vor den Totenräubern der Savanne, denn sie waren seine Freunde. Er kannte sie von seinen Streifzügen durch die Halme des Napier5, und sie kannten ihn. Gemeinsam untersuchten sie die toten Dinge am Boden, gemeinsam streckten sie das Gesicht in den Wind und heulten in den Horizont. Manchmal war das Herz des Jungen voll Sehnsucht. Sie schlug um sich und machte sich dick, sodass er Angst hatte, sie würde ihn zum Bersten bringen. Wenn er diese Schmerzen hatte, konnte er nicht anders, als zu laufen und zu laufen. Er strampelte mit seinen noch kurzen Beinchen, doch der Horizont kam nicht näher. Kein einziges Mal. Und immer, wenn die Sonne ins Gras fiel, weinte er. Als er noch ganz klein war, tat er dies herzzerreißend und laut, als er ein bisschen größer wurde, schamhaft und leise. Sein Onkel weinte nicht, Nachbar Mahmud nicht, Nachbar Abedi nicht, Lehrer Samir nicht und auch nicht der große Zahran, den alle um Rat fragten, und schon gar nicht Pili, der sich vor drei Monden seine ältere Schwester geholt und sie nach einem Mond wieder zurückgebracht hatte. Seitdem weinte Kissa, doch kein Mann weinte. Und wenn der kleine Junge ein Mann werden wollte, wie sein Vater einer gewesen war, der ihn nun gemeinsam mit den anderen Ahnen ganz genau beobachtete, musste er lernen, diesen Schmerz zu ertragen. Und wenn er diesen Schmerz beherrschte, so stellte sich der kleine Junge vor, dann hätte er auch Macht über jene Schmerzen, die ihm die anderen Jungen mit Tritten und Stöcken zufügten. Sie würden dann sehen, dass er einer von ihnen war, sie würden ihn nicht mehr wie einen räudigen Hund verscheuchen, wenn er mit ihnen Fußball spielen oder, so wie sie, in der Hütte von Zahran fernsehen wollte. So groß war der Wunsch des kleinen Jungen nach dieser Fähigkeit, dass er manchmal allein zum Baobab6 neben dem Haus seines Onkels schlich, um die Ahnen mit einem besonders schönen Stein oder einem glänzenden Käfer oder Palmöl als Geschenk gütig zu stimmen.

5 Elefantengras

6 afrikanischer Affenbrotbaum

2 // Karl Maria Katz siehtsein Bauchgefühl bestätigt

Katz musterte Daniela nach Anzeichen eines bevorstehenden Gewaltausbruchs. Doch kein Zucken des Mundes oder der Augenbrauen, bloß ihr Lächeln war eingefroren und die Streichelbewegung ihrer rechten Hand mechanisch. Sie hatte sich fantastisch unter Kontrolle, dafür, dass ihr Helga Egger bereits den kompletten Jackenkragen nass geweint hatte. Ausgerechnet seine Dani, die so gar nichts mit rührseligen Anwandlungen am Hut hatte, war von der Witwe des ehemaligen Zeugwarts als Klagemauer und übergroßes Taschentuch auserkoren worden.

Er selbst hätte sich der noch überaus attraktiven Fünfzigerin nur allzu gern angenommen, das musste er sich eingestehen. Er sehnte sich nach weiblichen Körpern, nein, exakter nach weiblicher Zuwendung, seit er bei diesen Morden am Golfplatz der wunderbaren Regina Haas begegnet war. Diese Frau war nach all den mechanischen, flüchtigen Jahren seit seiner Scheidung die Erste gewesen, die in ihm wieder Gefühle geweckt hatte. Nur leider, leider – zuerst war sie in den Fall involviert und danach nicht mehr erreichbar gewesen. Von ihrer Modelagentur wusste er, dass sie viele Aufträge im Ausland hatte. Doch dieser Umstand reichte nicht einmal als Erklärung, geschweige denn als Entschuldigung. Ja, Entschuldigung. Denn sie hatte damals bei der alles entscheidenden Vernehmung gesagt: Und dann schauen wir weiter. Das war ein Versprechen gewesen – oder nicht?

Auf dem Gang des Departments für Gerichtsmedizin wurden Schritte hörbar. Katz erkannte den schwarzen Haarkranz und den Seehundschnauzer von Ernst Wagner, der sich ihnen in Begleitung einer jungen Weißbekittelten näherte. Er winkte Katz zu.

Auch Dani wurde auf den Rechtsmediziner aufmerksam und versuchte, Helga Egger von sich fortzuschieben, was diese aber nicht einmal ignorierte.

Katz tupfte die Witwe am Arm. »Frau Egger, jetzt ist es so weit. Kommen Sie.« Er reichte ihr ein Papiertaschentuch, das er schon seit Beginn ihres Weinkrampfes vorbereitet, jedoch noch nicht an die Frau gebracht hatte.

Die Trauernde sah ihn wie eine Erscheinung an. Es dauerte länger als einen Moment, bis sie im Gebäude der Sensengasse angekommen war und sie offensichtlich realisierte – denn sie räusperte und straffte sich –, wie sehr sie sich gerade hatte gehen lassen. Ihr Gesicht verschloss sich, und sie stieß sich von Dani ab, als hätte diese plötzlich einen Aussatz. Mit einer mehr als ruppigen Bewegung riss sie Katz das Taschentuch aus der Hand und schnäuzte sich. »Jetzt werdet ihr mir endlich glauben.« Aus ihrem Satz quoll Bitterkeit.

»Frau Egger, für das Gutachten des Arztes, der den Totenschein ausgestellt hat, können wir nichts«, fühlte sich Katz bemüßigt, die Polizei in Schutz zu nehmen. »Das sanitärpolizeiliche Gesetz ist nicht mehr so streng wie früher. Es landet nicht mehr jeder unnatürliche Todesfall automatisch auf dem Tisch.«

Egger schnappte nach Luft, und Dani gackerte ein leises Lachen, was bedeutete, dass ihr Katz’ Meldung superpeinlich war. Was? Auf dem Tisch? Wozu herumreden, wenn alle Beteiligten wussten, um was es ging?

Endlich hatten Wagner und seine Assistentin die Gruppe erreicht. Nach allgemeinem Händeschütteln riss der Rechtsmediziner die Tür zum Obduktionssaal auf. »Bitte sehr, nur einzutreten.« Manchmal wirkte er definitiv zu gut gelaunt und zu sehr Fan seiner Arbeit, vor allem in Anwesenheit von Angehörigen.

Egger stoppte an der Türschwelle so abrupt, dass sie beinahe vornüber fiel. Sie würgte. Katz folgte ihrem Blick. Auf dem Tisch mitten im Raum lag eine unbedeckte Leiche.

Auch Wagner registrierte die Situation. »Wer war denn da wieder so schlampert? Ich hab doch extra …« Er brach nach einem Seitenblick auf die Witwe ab, nickte seiner Assistentin zu und dann in Richtung des anderen Endes des Gangs, wo sich die Toiletten befanden. Die junge Frau schleppte die würgende Helga Egger ab.

Katz betrat nach Wagner und Mayer den Raum, schloss die Tür, damit die Egger nicht noch einmal unfreiwillig einen Blick auf die nackten Überreste ihres Mannes werfen musste. »Okay, Ernstl, es ist also was net ganz koscher.«

Wagner nickte. »Ausgangslage war, dass Helga Egger gemeint hat, ihr Mann könne nie und nimmer allein vom Balkon gestürzt sein. Erstens sei er seit Jahren clean von allen Drogen inklusive Alkohol, zweitens absolut schwindelfrei und drittens sicher kein Selbstmörder …«

»Wie ist sie denn auf Selbstmord gekommen?«, unterbrach ihn Mayer.

Wagner zuckte mit den Augenbrauen. »Das soll sie euch selber flüstern. Ich sage nur: l’amour, l’amour. Ist so mein Verdacht. Denn sie ist der Meinung, wenn schon Gewalttat, dann hätte er wohl eher jemand anderen als sich selbst umgebracht.«

»Ja, aber wenn sie eine Affäre hat«, fühlte sich Katz bemüßigt einzuwerfen, »dann macht sie sich doch bei Mord sofort selber verdächtig.«

»Vielleicht deshalb bewusst der Obduktionsauftrag? Falls doch wer Lunte riecht …« Mayer ließ den Satz in der Luft hängen und schüttelte einen Augenblick später den Kopf. »Im Bericht steht, dass die Leiche schon freigegeben war. Eine schöne Feuerbestattung, und die Sache hätte sich gehabt.«

»Ich hab sie das auch gefragt.« Wagner zwirbelte seinen Schnauzer. »Aber bei dem Thema war sie verschlossen wie eine Auster. Na ja, bei euch muss sie jetzt reden.«

»Stimmt. Das waren die Stichwörter: jetzt und muss.« Katz setzte sich rittlings auf den einzigen Sessel im Raum. »Also schieß los, Ernstl.«

Wagner lehnte sich mit verschränkten Armen ans Fensterbrett, wodurch sich der Schein der Straßenlaterne hinter ihm wie eine Korona um seinen Kopf legte. Der Gott der Toten. Oder ein Erzengel mit einer Verkündigung. Katz unterdrückte ein Lachen. Der gute Wagner hätte sich als leidenschaftlicher Agnostiker diese Vergleiche bei Androhung von Folter mit seinem Seziermesser verbeten.

Und doch – wie er jetzt so seine Arme wie zur Segnung ausbreitete … also sprach er: »Ich glaube Angehörigen ja prinzipiell nicht. Die meisten haben von ihren Liebsten keine Ahnung. Also habe ich einmal mit einem Bluttest begonnen.« Jetzt faltete er die Hände vor dem Bauch.

»Und?«, übernahm Dani brav die Rolle der Stichwortgeberin.

Wagner nickte der Leiche zu, löste die Hände voneinander, als wolle er das Mysterium präsentieren, und stellte ein »Koks« in den Raum.

Während der darauffolgenden Stille faltete er die Hände erneut und sinnierte den Toten an. »Genau genommen, Herzinfarkt infolge des Konsums. Interessant ist, dass er es nicht geschnupft hat, wie es die meisten Leute in unseren Breiten und in seinem Alter zu tun pflegen. Es gibt auch keine Einstiche. Er hat es geraucht. Cracker sind normalerweise jünger. Wobei sich in letzter Zeit die Grenzen etwas aufgeweicht haben, also die Zuordnung, welche Bevölkerungsgruppe welche Drogen wie konsumiert.«

»Aber eine Überdosis?«, vergewisserte sich Katz.

Wagner wiegte den Kopf. »Nicht unbedingt. Die Dosis an sich sollte ein gesunder Mensch aushalten. Aber das Herz von unserem Kunden war schon etwas reparaturbedürftig, um es einmal so auszudrücken.«

»Hat er das gewusst?« Katz lauschte seiner Frage nach und attestierte, dass sein Gehirn wohl noch etwas verschlafen war. Denn der Tote würde Wagner wohl kaum seine Wehwehchen geklagt haben.

»Das müsst ihr seine Witwe fragen«, antwortete Wagner folgerichtig mit einer weit ausholenden Armbewegung Richtung Tür. »Oder sicherheitshalber seinen Hausarzt, denn von seinem Rückfall hat sie ja auch nichts gewusst.«

»Rückfall?«, fragte nun Daniela nach.

»Stimmt, das ist das zu hinterfragende Element. Denn nachdem ich Angehörigen nicht nur prinzipiell misstraue, sondern auch prinzipiell glaube, habe ich einen Haartest gemacht. Der Mann war bis zu diesem finalem Trip tatsächlich clean.«

Mayer stellte sich ans Kopfende und schaute der Leiche ins Gesicht. »Das heißt, es sieht so aus, als hätte er beim Wiedereinstieg einfach nicht mehr die Dosierung im Griff gehabt, beziehungsweise wirklich nichts von der Schwäche seines Herzens gewusst.«

»Richtig, Frau Mayer. Nachdem ich aber drittens prinzipiell auch nicht dem Offensichtlichen traue, hab ich nach Gewaltanwendungen gesucht.«

»Geh bitte, Ernstl.« Katz stand auf und ging in die Tiefen des Raumes. Auf dem zweiten, blank geputzten Seziertisch erkannte er sein ausgefranstes Spiegelbild. Er flüchtete zur Leiche zurück. »Du hast selber gesagt, er hat’s geraucht.« Falsch, ganz falsch. Der Gerichtsmediziner hätte sie nicht verständigt, wenn nichts Verdächtiges gewesen wäre. »Also wie willst du jemanden zum Rauchen zwingen?«

Nun bequemte sich auch Wagner zurück zum Tisch und stellte sich Katz gegenüber. »Tja, solche Fragen kann, nein, muss man sich stellen. Denn ich hab schon viele Dinge gesehen, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass man auf so eine Idee kommen kann. Also: Druckspuren? Fesselungen? Aber wie ihr seht – auf den ersten Blick nichts außer diesen harmlosen Druckspuren auf den Knien.«

»Hast irgendeine Schauspielerausbildung gemacht, lieber Wagner?«, warf Katz ein. »Sonst baust deine Berichte doch auch nicht so theatralisch auf.«

Der Gerichtsmediziner grinste. »Ich hab dich auch lieb.« Und, sogleich wieder ernst, deutete er auf das rechte und dann auf das linke Fußgelenk des Mannes. »Da hab ich’s dann gefunden. Sehr eigenartig.«

»Aha?« Mayer beugte sich über den Fuß des Leichnams. »Die Innenknöchel sind gerötet, beziehungsweise aufgerieben. Münzgroße Stellen.«

»Richtig.«

»Passt zu einer Fesselung. Reiben an einem harten Stuhlbein oder so.«

»Richtig. Aber wo sind die markanten Fesselspuren? Ich hab mir also noch einmal genau seine Handgelenke angeschaut. Nichts. Allerdings auf den Oberarmen jeweils ein dünner Streifen, auf dem die meisten Haare fehlen. Und dieselben haarfreien Streifen finden sich bei genauer Betrachtung auch auf den Unterschenkeln«

Mayer richtete sich auf und verschränkte die Arme. »Klebeband?«

Wagner strahlte sie an. »Heiß, sehr heiß, Frau Kollegin. Das Mikroskop hat es mir dann gezeigt: ein bisschen Kleber sowie blaue und schwarze Faserreste. Und laut KTU«, er streckte Katz seinen Bericht in die Hand, »handelt es sich um ein Material, wie es für Handtücher verwendet wird. Ich hab dann aufgrund der Biografie unseres Kunden einen ersten Gedanken abklären, sprich die Farbnummer checken lassen …«

»Und es könnten Handtücher des AC Danube gewesen sein«, ergänzte Dani.

»Woher kennst du denn die Vereinsfarben?«, entfuhr es Katz. Beim Gespräch mit Rössler hatte die Jungspundmaus ja nicht einmal etwas mit dem Traumteam anzufangen gewusst.

Dani steckte die Daumen in den Hosenbund. »Rapid hat Grün, die Austria Violett, Sturm Graz Schwarz-Weiß und Salzburg Weiß-Rot. Ich leb ja nicht hinterm Mond.« Sie drehte sich demonstrativ zu Wagner. »Und hab ich recht? Mit den Danube-Handtüchern?«

Wagner grinste Katz an. »Du hast wirklich gut daran getan, dir Frau Mayer in die Gruppe zu holen. Endlich ein Mensch, der so richtig mitdenkt.«

Katz grinste zurück. »Jetzt hab ich dich auch so richtig und wirklich lieb.« Ja, unabhängig von der aufgelegten Flachserei war er noch immer sehr froh darüber, Dani vor einem halben Jahr von ihrem Kommissariat West ins Landeskriminalamt geholt zu haben.

Wagner zwinkerte ihm zu und wandte sich an Mayer. »Die Farbnummern passen. Doch Beweis ist das keiner. Es gibt noch Tausende Handtücher mit Motiven in Schwarz und Blau, die genau diese Farbnummern haben. Interessanterweise hergestellt von einer Firma in Weißrussland.«

»Wieso ist das interessant?«, fragte Katz Wagner ehrlich verwundert.

Der zuckte mit den Schultern. »Wirtschaftspolitisch halt. Wird ja sonst alles in Asien gemacht.«

»Und deswegen denken wir jetzt an arme ausgebeutete Kinder aus Minsk, die sich an den Fußballclubs der Welt für ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen rächen wollen, oder was?«

»Wundern tät’s mich nicht, aber ich hab das mehr allgemein gemeint.«

»Okay, mein lieber Philosoph.« Katz rollte den Bericht von Wagner zusammen, ging zum Sessel, drehte ihn um und setzte sich mit überschlagenen Beinen drauf. »Egger ist also – vielleicht – mit Handtüchern vom ACD gefesselt worden. Und dann hat man ihn gezwungen, Koks zu rauchen. Mit Kopf- und Nasenklemme wahrscheinlich. Und dabei ist er hopsgegangen. Klingt abenteuerlich.«

»Keine schlechte Fantasie, Herr Chefinspektor. Wir haben auf der Nase tatsächlich den Hauch von Spuren einer Nasenklemme gefunden. Und bei den Handtüchern möchte ich korrigieren: Handtücher und Klebebänder, Letztere über dem Stoff. Als wollte ihm unser Täter nicht wehtun. Oder keine Spuren hinterlassen.«

»Perfide«, entschlüpfte es Katz. Wenn ihre sämtlichen Überlegungen stimmten, dann hatten sie es mit einem Mörder zu tun, der sehr planmäßig vorging.

»Und jetzt zum letzten Punkt, auf den ich mir allerdings überhaupt keinen Reim machen kann«, setzte Wagner fort. »In den Scheuerwunden an den Innenknöcheln habe ich winzigste Holzsplitter gefunden. Wenn man an einem Stuhlbein scheuert, kann man sich natürlich einen Schiefer einziehen, aber den erkennt man normalerweise auch als solchen, denn er stammt von einem bearbeiteten Holz. Unsere Splitter sind nicht bearbeitet. Also entweder ein ganz maroder Sessel oder etwas, das ich mir noch nicht erklären kann.«

Stille senkte sich über den Raum.

Katz konnte nicht anders, er musste zur Leiche gehen und sich die beiden Wunden ansehen. Als könnten sie ihm ihr Geheimnis verraten. Was sie natürlich nicht taten.

»Der Täter hat Handtücher, die zu Tausenden verkauft werden, benutzt, vielleicht mit Klebeband, um keine offensichtlichen Spuren zu hinterlassen«, sprach Dani aus, was Katz sich dachte. »Wieso hat er nicht auch die Knöchel bandagiert?«

»Eigentlich bedeutet das ja auch, dass er keine Socken getragen hat«, analysierte Katz weiter. »Oder hast du entsprechende Gewebefasern gefunden?« Wagner schüttelte den Kopf. »Aber um diese Jahreszeit trägt jeder Socken. Wenn er angezogen ist. Und die Leiche war bei der Auffindung bekleidet, oder nicht?« Wagner nickte. »Das heißt, jemand hat sie wieder angezogen.«

Der Gerichtsmediziner ging zu einem Kasten neben der Eingangstür und holte ein Laken heraus. Breitete es über den Leichnam. »Jedenfalls ist dieser Mensch nicht freiwillig gestorben. Der Sturz vom Balkon war nur Ablenkung, und ob es sich bei dem davor um Nötigung mit Todesfolge oder um geplanten Mord handelt …«

»It’s our business«, ergänzte Dani. »Jedenfalls kein Suizid.«

Der Spott, der ihre Augen im Gespräch mit Rössler beherrscht hatte, war verschwunden. Die Ermittlerin in ihr stand auf Startposition. Das war schon einmal gut. Aber Katz wartete auf noch einen Ausdruck in ihrem Gesicht: Bewunderung. Die konnte sie nie verhehlen, wenn sich seine Intuition wieder einmal als richtig erwiesen hatte, auch wenn sich ihr Pragmatismus dagegen wehrte. Doch da kam nichts.

Da musste er wohl nachhelfen. »Ich hab’s ja gesagt, dass da was nicht stimmt.«

»Beim Unfall von diesem Tröger.«

»Und dass der gleichzeitig mit dem Tod von Egger stattgefunden hat.«

»Der war acht Tage davor.«

So eine kleine Klugscheißerin. »Selber Zeitrahmen. Und beide beim Club.«

»Wenn seine Witwe nicht Alarm geschlagen hätte, wüssten wir es gar nicht.« Ihre grünen Augen funkelten, aber waren da nicht auch noch Lachfältchen in den Augenwinkeln? Die Girlie-Madame pflanzte ihn!

»Wir hätten es bei der Recherche rund um Tröger entdeckt, nur halt ein bisserl später«, setzte er drauf.

»Wir hätten gar nicht recherchiert, weil Unfalltod ist Unfalltod.«

Wagner stellte sich zwischen ihn und Dani. Er sah sie abwechselnd an. »Hallo, hallo! Was rennt da gerade bei euch ab? Das ist ja schlimmer als im Kindergarten.«

Dani zupfte am Schläfenhaar ihres rotblonden Kurzhaarschnitts und lächelte Katz an. »Du hast eh recht gehabt.« Na bitte, sah sie es endlich ein. »Zu fünfzig Prozent.« Jetzt glich ihr Lächeln mehr einem Zähnefletschen. Voll auf Kampf, die Madame, sie konnte es einfach nicht lassen.

Aber bevor Katz zu einer gewitzten Replik ausholen konnte, klopfte es leise an der Tür zum Gang. Helga Egger. Die hatten sie völlig vergessen. »Ernstl, bitte sag ihr nur das Notwendigste. Die Details brauchen wir …«

»Um sie abzuklopfen. Schon klar.« Wagner öffnete die Tür. Und neben Egger und der Assistentin stand der Abgott von Katz’ Jugend, der Linksaußen vom Traumteam: Josef Hüttl, nunmehriger Präsident des AC Tröger Danube.

Ein afrikanisches Märchen 2

Ja, der kleine Junge, nennen wir ihn Talib, spielte gern mit dem Ball. Er fand es lustig, dass das runde Ding wie eine Antilope auf der Flucht in immer andere Richtungen sprang, dass es hoch aufsteigen konnte wie ein Marabu, dass es pfeilschnell wie ein Leopard dahinjagte. Doch er durfte sich mit dem Ball nur heimlich anfreunden, wenn die älteren Jungen alle bei Samir rechnen und schreiben lernten. Dann nahm er den Ball vom Lager von des Onkels ältestem Sohn und lief mit ihm weit hinaus in die Savanne zu dem großen Baobab, auf den er manchmal kletterte, um das Ende des Horizonts zu sehen. Denn bei diesem Baum war kein Napier. Er trat mit den Zehen gegen den Ball – der schlug einen Haken nach rechts. Er trat mit der Innenseite seines Fußes gegen ihn – der Ball vollzog eine gerade Linie. Er trat mit der Außenseite gegen ihn – der Ball flog in die Luft und beschrieb einen eigentümlichen Bogen. Er trieb mit der Innenseite des Fußes den Ball rund um den Baobab, er zielte mit ihm auf den Baum, er versuchte, ihn auf dem Kopf zu balancieren. Und er beobachtete die älteren Jungen, ihr Spiel mit dem Ball, und er versuchte, ihre Bewegungen nachzuahmen. Denn er hoffte, dass er bei ihnen mitspielen durfte, wenn er nur gut genug mit dem eigenwilligen Ding umgehen konnte, auch wenn er noch nicht alt genug war. Er wollte zu ihnen gehören und nicht mehr allein unter lauter Mädchen Mädchenarbeit machen müssen. Er wollte nicht mehr Wasser und Holz schleppen, er wollte die Herden betreuen und die Maschinen reparieren. Und deshalb musste er die Kugel beherrschen lernen, damit ihn die älteren Jungen ernst nahmen. Und so übte er und übte er. Und irgendwann stellte er sich an den Rand des Spielfeldes auf dem Dorfplatz und kickte den entkommenen Ball zurück. Er traf die anderen Jungen immer genauer, schon bald jedes Mal, doch sie bemerkten es nicht. Und als Talib es nach dem großen Regen wagte, mit dem Ball ins Feld zu laufen, verabreichte ihm des Onkels ältester Sohn eine schallende Ohrfeige. Da kickte Talib keinen Ball mehr ins Feld zurück. Und er ging auch nur mehr zum großen Baobab, um von ihm aus den Horizont zu sehen. Nur manchmal sah ihn der Ball vom Lager des ältesten Sohnes seines Onkels aus traurig an, und er sprach zu Talib: »Niemand sieht uns, solange du in der Hütte bleibst. Mir ist die Zeit lang, so wie dir. Komm, lass uns Spaß haben.« Und da nahm Talib den Ball, doch er konnte ihn nicht mit dem Fuß stoßen, denn da war kein Platz in der Hütte. Und so balancierte er ihn wieder auf dem Kopf. Dann legte er ihn auf einen Oberschenkel, auf den anderen, dann ließ er ihn von einem Bein auf das andere rollen, jonglierte ihn mit den Füßen. Und beide waren es zufrieden. Es war ihr großes Geheimnis.

3 // Karl Maria Katzwird desillusioniert

Die Treppen zum Alten AKH7 hinauf waren mit halb gefrorenem Blattwerk bedeckt. Hüttl stützte die Egger. Dani hingegen, ausgerüstet mit Timberlands, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Katz beschloss, seinen Protest gegen das Ende des Herbstes aufzugeben, es seiner Kollegin gleichzutun und endlich seine Winterschuhe herauszuholen. Denn es war definitiv sexyer, mit starkem männlichem Schritt dahinzuschreiten, als mit glatten Sohlen eine Pirouette nach der anderen hinzulegen.

Aus dem Augenwinkel sah Katz, wie Dani am Plateau stehenblieb und die Arme verschränkte. Alles an ihr war Grant. Wieso müssen wir ins Bräu gehen? Wieso können die Leut’ nicht einfach in die Berggasse kommen?, hatte sie gemault. Da können wir dann gleich alles ins System eingeben. Matschger, matschger.8 Dabei hatte er gedacht, dass sie inzwischen verstanden hatte, wie hilfreich Nebenbeigespräche an nicht polizeilichen Orten waren. Und mit ihrem Tablet war sie sowieso ständig mit dem Mutterschiff in Verbindung.

Sie lief weiter durch die Innenhöfe des Gebäudes. Hüttl, Egger und er selbst hatten Mühe, ihr zu folgen. Als Katz mit den beiden Zeugen den ersten Hof und somit das Bräu erreichte, hatte Dani bereits einen hohen Tisch mit Barhockern in Beschlag genommen und einen gespritzten Apfelsaft vor sich stehen. Wenigstens nicht im Nichtraucherraum, in dem Punkt war sie völlig entspannt. Sie drei gaben nun ihrerseits ihre Bestellungen auf. Hüttl zündete sich eine selbst gedrehte Zigarette an, was Katz erleichterte, denn manchmal meinte er, bereits in Little USA zu leben – selbst in der stressigen Situation einer Zeugeneinvernahme oder gar eines Verhörs verzichteten mittlerweile viele auf die beruhigende Wirkung des Nikotins und er musste sich dem anpassen.

Er tat es Hüttl gleich und sah ihn an. »Was also wollen Sie mit uns besprechen?«

Hüttl blickte sich um, zog an der Zigarette, zupfte sich Tabak vom Mund. Und diese letzte Tätigkeit nahm ihn eine volle halbe Minute in Anspruch.

Egger nahm Hüttls silberne Tabatiere und fuhr mit dem Fingernagel das eingeätzte Muster nach. »Ali-Schatz, wir sollten das hinter uns bringen. Es ist wirklich besser so.«

Josef Hüttl seufzte und atmete tief durch, doch es kam nichts. Katz ließ seinen Blick über seinen ehemaligen Halbgott schweifen – fußballerisch sowieso, aber auch modisch, war doch der Ali-Schatz einer der Ersten gewesen, der eine Vokuhila Mischna9 getragen hatte. Wenn Katz an seine darauf folgende eigene Gnackwiesn dachte, wurde ihm heiß. Es hatte in der Geschichte von Männerfrisuren kaum Peinlicheres gegeben, je nach Geschmack kamen noch Allongeperücken und ein Afrolook aus Minipli ins Ranking. Nein, vor allem Vokuhila mit Schnauzbart, wie es eben das Markenzeichen von Hüttl gewesen war, schlug alles. Und jetzt? Der Ex-Star, der inzwischen Mitte Sechzig sein musste, hatte braun gefärbte Haare, die sich am Scheitel stark lichteten, wovon die zwar gekürzten, aber für Katz’ Geschmack noch immer zu langen Nackenhaare wohl ablenken sollten. Die Augenringe waren gut sichtbar, vor allem, weil geplatzte Äderchen auf dem Wangenteil darunter wie ein Hinweisschild leuchteten: Kann nicht alt werden und ist Alkoholiker.

Zu dieser Beobachtung passte auch die erste Regung Hüttls seit einer geschlagenen Minute, denn er bestellte zu seiner Melange einen Obstler.

Dani und er schwiegen, ließen das seltsame Pärchen über Wärmendes bei diesem Wetter sinnieren, Ätzmuster nachritzen und – inzwischen Plural – leere Schnapsgläser im Schein der Lampe begutachten.

Schließlich setzte Hüttl das zweite Glas sanft auf dem Tisch ab und strich über die Platte, als müsste er ein verschobenes Tuch auf seinen richtigen Platz bringen. Und zu guter Letzt schloss er einen weiteren Knopf seines zugegebenermaßen perfekt geschnittenen anthrazitfarbenen Anzugs. Wenigstens im Stylingbereich Kleidung hatte er sich seinem Ruf gemäß weiterentwickelt. »Es ist mir …« Seitenblick zur Egger. »Es ist uns etwas unangenehm, aber wir haben uns gedacht, wir sagen es Ihnen gleich, weil Sie es sowieso herausfinden. Und vielleicht wirbelt das Ganze dann weniger Staub auf, wenn Sie wissen, was ich meine.« Er sah Katz von unten herauf an.

»Nein.«

Der Ex-Star zog den Nacken ein und verdrehte den Oberkörper, wodurch er wie eine sich windende Blindschleiche wirkte. »Helga und ich haben eine …« Er wedelte mit der Hand.

Egger assistierte mit »Affäre. Wir sind seit fünf Jahren zusammen.«

Wagner hatte also mit seiner Vermutung recht gehabt. Es war allerdings höchst eigenartig, dass Betroffene in einem Gewaltdelikt Derartiges von sich aus zugaben. »Und wieso erzählen Sie uns das?«

Helga Egger schniefte, wandte sich ab. »Na ja, jetzt, wo klar ist, dass der Wolfi …« Sie schluckte. Für Katz’ Geschmack ein wenig zu theatralisch.

»Und Sie wollen sich selber belasten?«

»Was? Wieso?«

»Frau Egger, achtzig Prozent aller Morde und Totschläge passieren aus Eifersucht, oder um eben einen unliebsamen Eifersüchtigen zu beseitigen.«

Sie warf Hüttl einen Blick zu, er schnaufte. Sie sahen in entgegengesetzte Richtungen. »I hab da ja gsagt, dass des a Schnapsidee is«, fiel Hüttl nun in einen etwas tieferen Wiener Dialekt.

Eggers Lippen zitterten – nur kein neuerlicher Heulkrampf!

Katz löste seine verschränkten Arme und lehnte sich vor. »Stopp, stopp. Rein prinzipiell ist es eine gute Idee gewesen, dass Sie uns das gleich sagen, es ist nur verdammt ungewöhnlich. Also wieso?«

Egger lächelte, doch der Blick, den sie Katz nun zuwarf, war sehr, sehr giftig. »Weil wir beide – also, weil der Josef ja verheiratet ist. Und wie er schon anzumerken beliebte, hofft er, dass seine Frau auch jetzt nichts mitbekommt, wenn Sie nämlich nichts mehr zum Wühlen haben. Vielleicht indiskrete Fragen zu einem unpassenden Zeitpunkt stellen.«

Dani setzte sich auf ihrem Barhocker zurecht – sehr umständlich. Und als sie von den beiden Turteltäubchen abgewandt war, bemerkte Katz, dass sie grinste, was ihn auch zum Lachen animierte. Wie er anzumerken beliebte. Geschwind nahm Katz einen Schluck von seinem gespritzten Orangensaft. Der gute Hüttl konnte sich in nächster Zeit, nun, wo sein Gspusi frei war, sicher Arien anhören über die Geliebte, die so arm war, weil er nie bereit wäre, seine Frau zu verlassen. Jaja, war das Gleichgewicht einmal gestört … Was Hüttl selbst nahezu unverdächtig machte, denn jeder Mann wusste, dass eine verheiratete Frau unbedingt einer alleinstehenden als Bettgenossin vorzuziehen war, er würde niemals freiwillig diesen Zustand ändern. Doch wie stand es mit Helga Egger? Erster Schritt: den eigenen Mann beseitigen? Zweiter Schritt: zur Scheidung drängen oder die Konkurrentin töten? Doch dann hätte sie niemals auf eine Obduktion bestehen dürfen.

»Wir sind keine Denunzianten«, ließ nun Dani verlauten. »Wenn es nicht sein muss.«

Hüttl beugte sich zu ihr. »Dann lassen Sie es bitte nicht sein müssen.« Treuherziger Blick hintennach.

Nun nahm sie einen Zahnstocher aus der Halterung und schälte ihn, knickte die Spitze ab – was hieß: große Beherrschung, sehr große Beherrschung. »Das ist alles ein bissel verwirrend für uns, wissen Sie? Wie mein Chef schon angemerkt hat: Bei Untreue sind immer die jeweiligen Partner verdächtig. Warum also haben Sie«, sie drehte sich zu Egger, »überhaupt eine Obduktion in Auftrag gegeben?«

Die Witwe setzte sich kerzengerade hin. »Man kann es doch nicht hinnehmen, wenn einem der Mann einfach so wegstirbt.«

»Das heißt, Sie haben nicht gewusst, dass er eine Herzschwäche hatte.«

Diese Info hatte Dani gut platziert.

»Wie?« Egger schaute zwischen ihnen beiden hin und her. »Eine Herzschwäche?«

Dani und er nickten synchron.

»Oh.« Üblicher Blick auf den Tisch. »Nein.«

»Sicher?«, fragte Dani nach.

Egger nickte und murmelte »Herzschwäche«, »Nein, wirklich« und »Hätte ich nicht gedacht« vor sich hin, dabei zupfte sie am Kragen ihres olivgrünen Wollkostüms.

Katz dämpfte seine Zigarette aus, schob den Aschenbecher zur Seite und schaute Helga Egger direkt ins Gesicht. »Liebe gnädige Frau, Sie haben das Motto unseres Gesprächs ausgegeben: Ehrlichkeit.«

Jetzt zupfte sie am Kragen ihrer zartgelben Bluse. »Ist ja nur, weil mir erst jetzt klar geworden ist, dass das alles für Sie sehr seltsam ausschauen muss. Man kennt das ja aus dem Fernsehen, dass sich Mörder … also … dass sie …«

»Sich bei Untersuchungen wichtigmachen, scheinbar Brisantes, tatsächlich aber Irrelevantes zugeben, um so von sich abzulenken«, half ihr Katz.

Sie nickte.

Dani zückte ihr Tablet und tippte, seufzte wie eine alte, von ihren störrischen Schäfchen genervte Gouvernante – inzwischen hatte sie, trotz ihrer Unwilligkeit, das psychologische Spiel schon ganz gut drauf. Einlullen und dann forsch, beim Anzeichen erster Verunsicherung, die offizielle Beichte abnehmen, bei der Zeugen wie Täter nur mehr Erleichterung verspürten. Und prompt setzten sich die beiden aufrecht hin, wie Schüler vor einer Prüfung, doch ihr Blick war offen.

Dem Drehbuch entsprechend stand Katz auf und lugte Dani über die Schulter auf das noch fast leere Display, nickte, als stünde da bereits die Weisheit der Welt. »Gut, also von vorn. Sie beide haben seit fünf Jahren ein Verhältnis. Frau Hüttl weiß nichts davon. Wusste es Wolfram Egger?«

Die Witwe schüttelte vehement den Kopf, ihr Bettwärmer etwas verzögert.

»Herr Hüttl?«

»Ich bin mir nicht sicher.«

»Sicher nicht!«, fuhr ihn Egger an.

»Ich glaub, es hat ihn einfach nicht interessiert.« Und säuselnd in Richtung seiner Gespielin: »Nicht mehr. Was ich ja nie verstanden habe, Demi-Maus.«

Helga Egger zog eine Augenbraue hoch. Unter diesem ihrem Blick wurde jeder Hengst sofort ein Wallach. Was war an dieser Aussage so schlimm? Sie hatte sich ja auch nicht mehr sonderlich für ihren Mann interessiert. Bereits ein halbes Dezennium lang.

Hüttl fuhr mit dem Zeigefinger über ihren Unterarm. »Ich mein doch nur, dass er dir einfach auch Spaß gegönnt hat. Weil er dich eben … im Grunde … auch noch gern gehabt hat.«

»Auch Spaß?« Dani sah von ihrem Tablet auf.

Egger überschlug die Beine in die andere Richtung und verschränkte die Arme, wodurch sie nun völlig abgewandt von ihnen saß. »Das ist alles so … peinlich.«

Mister President nutzte die Gunst der Stunde und eroberte seine Tabatiere zurück. Er zündete sich eine weitere Zigarette an. Nach dem ersten Lungenzug nahm er Katz ins Visier. »Wolfram ist schon seit Jahren nur mehr zu Nutten gegangen.«

»Woher wissen Sie das?«

»Er hat es mir gesagt. Uns. Also nicht gleichzeitig. Irgendwann einmal halt.«

»Haben Sie es einmal gesehen? Miterlebt?«

»Ich fang nichts mit Prostituierten an.«

Egger wippte mit dem Bein. Ihr Fell schien einen Hauch geglätteter.

Dani wischte auf dem Display herum. »Ich fasse also zusammen: Wolfram Egger geht seit Jahren zu Prostituierten, wovon einige Menschen wissen. Seine Frau, sein – in welchem Verhältnis standen Sie eigentlich zu Wolfram Egger, Herr Hüttl?«

»Na, er war mein Angestellter. Also Angestellter des Clubs. Und über die Jahre … Auswärtsmatches, Siegesfeiern, Weihnachtsfeiern, Besprechungen …«

»Also ein Freund«, insistierte Dani.

»Nein, nein, ein guter Arbeitskollege.«

Eggers Blick huschte zu ihm und schnellte wieder zurück in die Tiefen des Lokals.

Katz stellte sich vor sie hin. »Wollen Sie etwas korrigieren, gnädige Frau?«

Sie sah ihn lange an. Dann sprang sie vom Barhocker, strich ihren Rock glatt und legte, klassisch bereit für eine Rede, die Unterarme auf den Tisch. »Nein, ich will das hier endlich beschleunigen. Ja, mein Mann ist zu Nutten gegangen. Ja, ich habe darunter gelitten. Nein, wir hatten kein Arrangement, aber ja, ich bin irgendwann fremdgegangen. Und das hat mir gut getan.« Ihr blendendes Äußeres unterstrich diese Aussage definitiv. »Und ja, vielleicht hat er etwas geahnt, aber wir hatten kaum mehr Kontakt zueinander …«

»Sie haben doch zusammengewohnt.«

»Man kann sich auch in einem kleinen Einfamilienhaus prächtig aus dem Weg gehen, Herr Chefinspektor. Meine Trauer hält sich also in Grenzen.«

»Aha?«, warf Dani ein.

Eggers Blick flog zu ihr und dann auf den noch immer feuchten Jackenkragen. Sie fing zu lachen an – mit einer Stimme wie eine ungeölte Schaukel. Sehr hysterisch. Hüttl empfand das wohl auch, denn er ließ seinen Arm über ihren Schultern schweben und legte ihn dann wieder auf die Barhockerlehne, als wolle er sich nicht verletzen.

Währenddessen verschluckte sich die lustige Witwe. Sie hustete, röchelte und trank in einem Schluck ihren Rotwein aus. »Gut, Sie fragen sich jetzt wahrscheinlich, warum ich unbedingt eine Obduktion wollte, wenn ich ihn doch nicht mehr mochte? Und warum ich dann geweint habe? Ganz einfach: Seine Lebensversicherung zahlt bei Selbstmord nicht und auch nicht bei einem ungeklärten Unfall. Ich brauch aber das Geld.«

»Demi-Maus …« Der Bremsversuch von Hüttl klang armselig. Und außerdem – dieser komische Kosename. Nein, Plural. Weder hatte Demi was mit Helga oder Egger noch Ali was mit Josef oder Hüttl zu tun.

»Nein, es ist, wie es ist, Josef.« Sie tätschelte seinen Unterarm. »Ich bin einen gewissen Lebensstil gewohnt und nicht daran interessiert, darauf zu verzichten. Und was den Weinkrampf vorhin betrifft …« Sie holte tief Luft, griff nach dem Glas, musste aber feststellen, dass es leer war. »Ich hab in letzter Zeit oft mein Leben verflucht. Genau genommen, meine Entscheidung von einst, Wolfram zu ehelichen.«

Sie sagte tatsächlich ehelichen. Katz fragte sich, aus welchem Stall sie ursprünglich eigentlich stammte.

»Zuerst keine Karriere als Profifußballer«, fuhr sie fort, »dann keine Kinder, irgendwann kein Sex mehr, vor einem Jahr ein mieser Job als Schuhflicker, statt zumindest als Zeugwart, und jetzt noch ein mühseliger Tod, der mich vielleicht in Armut stürzt. Ich war einfach deprimiert, okay?«

Schlagartig war Katz extrem froh darüber, dass sich die Egger nicht an ihn gelehnt hatte, seine Jacke war dünner als jene von Dani, und vielleicht hätte er sich ein paar Frostbeulen eingefangen.

»Ich bitte Sie also, ehebaldigst herauszufinden, wer meinem Mann Koks verabreicht und ihn dann über den Balkon geschmissen hat.« Mit diesen Worten schnappte sie ihren Lammfellmantel und hob auffordernd das Kinn Richtung Ali-Schatz. Der sprang auch sofort vom Hocker und griff nach seinem steingrauen Lodenmantel.

Katz schnappte sich Eggers Mantel. »Und während ich Ihnen behilflich sein darf, gnädige Frau, verraten Sie mir sicherlich, wo Sie heute vor acht Tagen waren, bevor Sie am Donnerstagmorgen die Leiche Ihres Mannes gefunden haben?«

Sie hielt im Hineinschlüpfen inne und nickte Hüttl zu. Der kramte in der Innentasche seines Sakkos und holte ein Kuvert heraus. Dem entnahm er eine Rechnung, die ihm Dani sofort aus der Hand schnappte.

»Grand Hotel Panhans. Semmering«, las sie vor. »Mittwoch auf Donnerstag, Superior Doppelzimmer mit Panoramablick. Hundertachtzehn Euro die Nacht inklusive Frühstück.«

»Und Badewanne«, ergänzte Helga Egger.

Hüttl knöpfte seinen Mantel zu. »Sie können gern dort anrufen, man kennt uns. Wir nächtigen öfters dort. Nicht weit von Wien, aber wie Urlaub.«

Das hatte sich die bessere Gesellschaft des Fin de Siècle auch gedacht, denn damals war das Panhans gebaut worden. Alle waren vor der sommerlichen Hitze in der Kaiserstadt im Pulk an denselben Ort geflüchtet, wodurch alles wie daheim war: Man sah und wurde gesehen. Moment …

Demi-Maus und Ali-Schatz strebten mit einem zurückgeworfenem »Bis demnächst und schönen Tag« zum Ausgang. Katz lief ihnen nach, baute sich vor ihnen auf. »Ich dachte, Ihre Frau darf von Ihrer Liaison nichts wissen, Herr Hüttl. Und da gehen Sie ins Panhans und nicht ins Orient10?«

Sein ehemaliger Halbgott senkte den Kopf. »Wenn Sie darauf anspielen, dass uns jemand gesehen haben und es dann meiner Frau verraten haben könnte … es wissen schon alle. Nur sagen wird niemand was. Man tut einem Krüppel nicht weh.« Er sah Katz an. »Meine Frau hat sich die Beine strecken lassen, aus Schönheitsgründen. Das ist schief gegangen. Die Beine mussten wieder und immer wieder gebrochen werden. Jetzt sitzt sie im Rollstuhl. Guten Tag.«

7 Altes Allgemeines Krankenhaus: Vorgänger des bereits erwähnten AKH, aus dem 17. Jahrhundert, heute Campus der Universität Wien.

8 übelnehmen, leise schimpfen

9 VOrne KUrz HInten LAng MIt SCHNAuzbart, eine Regionalversion ist »Gnackwiesn«.

10 Bekanntestes Stundenhotel in Wien.

Ein afrikanisches Märchen 3

Und der kleine Junge namens Talib hatte noch ein zweites Geheimnis: Als die älteren Kinder bei Samir lernten, ging er zu dem weisen Mann Zahran und sah fern. Er bestaunte fremde Menschen und Berge und Häuser und Tiere und Pflanzen. Ein Gesicht, so groß und weiß wie ein Fladen, erschreckte ihn, doch Zahran lachte nur. Der alte Mann nahm ein Papier aus seiner Kiste und breitete es vor dem noch so kleinen Jungen aus. Blaue, braune, graue und grüne Flecken befanden sich darauf. »Das ist die Welt«, sagte Zahran zu ihm. »Das ist Afrika, und hier bist du.« Er deutete in die Mitte eines großen, an dieser Stelle braunen Flecks. Und der weiße Fladen war ein Deutscher, erklärte Zahran. Er deutete auf die Stelle, wo sich dieser Mann befand, Deutschland genannt. Sie war größtenteils grün und weit von Talibs Platz auf der Welt entfernt. »Wie viele Tage geht man, um zu dem weißen Mann zu kommen?«, fragte er. Zahran führte ihn aus der Hütte, legte das Papier, das Karte genannt wurde, in eine bestimmte Richtung auf den Boden. Er zeigte auf die grüne Stelle und dann zum Horizont: »Wenn du gehst, wechseln sich Regen und Trockenheit einmal ab, so weit weg ist dieses Land. Du musst fahren, mit dem Auto, mit dem Schiff. Oder du musst wie ein Vogel fliegen.« Er sah in den Himmel und zeigte auf einen silbernen Punkt, der einen weißen Schwanz hatte. »Oder mit dem Flugzeug«, lachte er. Er ging mit Talib zurück in die Hütte. Sie betrachteten die wechselnden Bilder im Fernsehen: ein Fluss mit grünen Hügeln, ein Wald mit hohen Bäumen. Ein weiterer kleiner Fluss, dessen Wasser so klar wie ein Spiegel war. An seinem Rand drängten sich Blumen wie in Talibs Dorf nach dem Regen. »Und diese Blumen wachsen in diesem Land das ganze Jahr«, erklärte Zahran. Und mit einem Mal war dem kleinen Jungen klar, warum er immer weiter und weiter laufen musste, bis die Sonne ins Gras fiel: weil es hinter dem Horizont so viele wunderschöne Dinge gab und Gott wollte, dass er sie eines Tages sah. Talib dachte das nicht, dazu war er noch zu klein, aber er fühlte es. Ab diesem Tag schlich er sich jedes Mal, wenn die älteren Kinder bei Samir lernten, zuerst zum großen Baobab in der Savanne, um mit seinem Freund, dem Fußball, zu spielen, und danach zu Zahran, um die Landkarte zu betrachten. Und er wünschte sich nichts sehnlicher, als auch endlich die große Magie der Schriftzeichen zu verstehen, damit er die Welt auf der Karte erforschen konnte. Und er lief und lief und stahl sich heimlich Essen, um schneller größer zu werden, damit er schon bald in diese Welt hinausgehen konnte. Doch Zahran lachte nur: »Dafür benötigst du Geld, kleiner Mann. Und niemand von uns hat so viel Geld, um in die Welt zu gehen.« Daraufhin weinte Talib. Sogleich schämte er sich, trat mit dem Fuß gegen die Landkarte. Zahran faltete sie zusammen und sagte: »Du musst lernen. Wenn du gut bist, schaffst du es vielleicht, in die große Stadt zu gehen. Und wenn du in der großen Stadt bist, dann schaffst du es vielleicht in die Welt.« Talib ließ sich Zahrans Ratschlag durch den Kopf gehen. Er schien ihm zu unsicher und so sagte er: »Nein, ich gehe zum großen Inyanga11. Er soll mir ein Muti machen.« Zahran sah ihn lange an und nickte dann. »Zauber ist immer gut, doch die Ahnen helfen nur dem, der ihrer würdig ist. Lerne.«

11 Kräuterdoktor, Medizinmann, oft auch Sangoman genannt, der unter anderem durch ein Muti, also Zaubermittel, Erfolge sicherstellt.

4 // Mayer revidiertein Klischee

Kevin zwirbelte die Strähne seiner Entenschnabelfrisur und lauschte ihrem Bericht. Sein Mund stand offen. »Es gibt echt Leute, die sich die Beine verlängern lassen? Voll krank. Wieso tun die das? Das tut doch nur weh!«

»No idea. Musst du googeln.« Mayer zeigte auf seinen Teller mit Gemüse aller Art. »Deine Bambussprossen werden kalt.«

Brav nahm Kevin die Stäbchen in die Hand und stopfte das Essen in sich hinein – noch immer mit großen runden Augen.

Mayer konnte seine Verwunderung nur allzu gut nachvollziehen. Sie selbst und Katz hatten im Bräu den beiden Turteltäubchen schweigend nachgesehen, schweigend den Weg in die Währinger Straße zum Asiaten absolviert, wo sie sich mit Rössler und ihrem Azubi Kevin Draganović zum Mittagessen verabredet hatten – im Gegensatz zum Angebot im Bräu ganz nach Mayers Geschmack: ein Spottpreis, frische Zubereitung und all-you-can-eat. Sie hatte nach einer Misosuppe und ein paar Vorspeisenhäppchen bereits die zweite Portion gegrilltes Fleisch.

Rössler legte die Gabel ab und stützte sein Kinn auf die gefalteten Hände. »Nun gut, die beiden fallen wohl aus. Ich bin sicher, dass ihr Alibi hieb- und stichfest ist. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass man mit so einem Aufwand, wie ihr ihn geschildert habt, einen Ehemann um die Ecke bringt und dann auch noch selber die Obduktion in die Wege leitet.«

»D’accord«, murmelte Katz, während er sich mit dem Schälen einer Garnele abmühte.

»Gut. Aber bevor wir die Vorabrecherchen von Kevin sowie das weitere Vorgehen besprechen, erlaubt mir bitte eine Frage.«

Mayer sah Rössler an. Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass auch Katz das rosa Ding rosa Ding sein ließ, wohl weil er, wie sie, den grummelnden Unterton registriert hatte.

Als sich Rössler ihrer Aufmerksamkeit sicher war, setzte er ein Lächeln auf. »Wieso habt ihr nicht gleich gefragt, warum Egger als Zeugwart entlassen worden ist? Das ist doch nun, angesichts des Todesumstandes, ein interessanter Punkt. Auch wenn das bereits ein Jahr her ist.«

Weil wir noch gar nicht auf einen Mord eingestellt waren. – Weil wir von der Mafiageschichte müde und träge im Kopf sind. – Weil die beiden so schräg gewesen sind, dass wir den Faden verloren haben. – Weil, weil, weil. – Alles Ausreden, die Frage war berechtigt und von ihrem Charakter her ein noch viel berechtigterer Vorwurf seitens des Herrn von und zu des Verfahrens. Sie hatten geschludert.

Katz widmete sich wieder seiner Garnele. »Touché.«

Ja, zugeben und vorwärts schauen, die wahrscheinlich beste Strategie. Sich fortan am Riemen reißen. Mayer packte mit den Stäbchen eine Brokkoli-Rose und versuchte, sich auf deren frischen, bitteren Geschmack und die knackige Konsistenz zu konzentrieren. Vielleicht das letzte gemütliche Mittagessen für ein paar Tage, wenn jetzt die Ermittlungen volle Fahrt aufnahmen. Die Spurensicherer waren bereits in Eggers Haus, Telefonlisten und Bankauszüge angefragt.

Rössler wirkte eigenartigerweise verloren, als hätte er einen Kampf erwartet und stünde nun mit Schwert und Schild allein ohne Gegner da. »Äh ja. Also in Zukunft …«

Katz wedelte mit der Hand und grunzte einen Laut, der einer Beruhigung nahekam. Wenn man allerdings genau hinhörte, schwang im Unterton Ja, eh, nerv net mit.

Folgerichtig kniff Rössler die Lippen zusammen. »Kevin?«

Der schob mit affenartiger Geschwindigkeit den Rest des Essens hinein, den Teller zur Seite und einen ausgedruckten Bericht in die Mitte des Tisches. Abschließend aktivierte er sein Tablet. »Ja, also da wäre einmal Wolfram Egger. Er ist neunzehnachtundfünfzig geboren, Simmering, dort aufgewachsen, gelernter Automechaniker, mit fünfzehn in den Jugendkader vom Athletic Club Danube, mit siebzehn bereits in die Hauptmannschaft …«

»Das heißt Kampfmannschaft«, schmatzte Katz.

»Kampfmannschaft. Drei Jahre Einsatz in der ersten Liga …«

»Bundesliga. Der AC war damals in der höchsten Spielklasse«, korrigierte Katz neuerlich.

»Das hab ich doch gesagt.«

Nun sah Katz den Azubi an. »Bundesliga, erste Liga, Regionalliga, Landesliga und dann je nach Bundesland der Rest wie Klasse oder Gebiet in mehreren Stufen.« Über der akkuraten Aufzählung schwebte ein Du Dillo.

»Lass ihn doch«, fühlte sich Mayer bemüßigt, den Youngster, der bloß fünf Jahre jünger als sie war und sich dennoch oft wie ein Kind maßregeln ließ, zu verteidigen. »Wenn ihn Fußball nicht interessiert …«

»Sollte es ab nun aber wahrscheinlich. Könnte ich mir vorstellen.« Damit widmete sich Katz der letzten Garnele auf seinem Teller. »Außerdem kann ein bissel Allgemeinbildung nicht schaden«, grummelte er hintennach.

»Wenn das dein hehres Ziel ist, lieber Karl Maria, dann solltest du aber auch ein bissel genauer sein«, giftete Rössler. »Bis Vierundsiebzig war die Bundesliga die Nationalliga. Und dann bis Vierundneunzig die Bundesliga 1. Division.«

Katz grinste ihn an. »Mit der Akkuratesse eines Juristen kann ich natürlich nicht mithalten.« Er neigte sein Haupt wie eine Hofschranze vor dem Kaiser.

Das entlockte nun auch Rössler ein Lächeln. Mit erhobener Hand in ebenso übertriebener Manier nahm er die Huldigung entgegen.

Ihr zwei Klugscheißer! Aber Hauptsache, die dicke Luft hatte sich verflüchtigt.

Kevin strich seine Haarsträhne nach hinten und atmete durch. »Okay, Egger war also drei Jahre Nationalligaspieler, und dann ist er im Kader …« Er warf dem Chef einen Seitenblick zu, als wolle er kontrollieren, ob der bemerkte, wie lässig er einen Fachbegriff eingeworfen hatte, doch der reagierte nicht. Also setzte Kevin fort: »… nicht mehr aufgelistet. Nicht einmal in der Reserve. Die Homepage des Vereins ist ziemlich genau. Ich bin also die Polizeiakten durchgegangen und – Punktlandung.« Er sah sich triumphierend um.

Mayer lächelte ihm aufmunternd zu, Rössler ebenfalls.