Flow – Fotografieren als Glückserlebnis - Pia Parolin - E-Book

Flow – Fotografieren als Glückserlebnis E-Book

Pia Parolin

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Beschreibung

Wie Sie Ihre Kreativität freisetzen und bessere Fotos im Flow gelingen!

  • Den psychologischen Prozess des Flow verstehen
  • Wie Sie den Flow beim Fotografieren nutzen
  • Konzeptionell fotografieren und Bilder stimmungsvoll gestalten

Jeder hat schon einen "Flow" erlebt – beim Musizieren, beim Sport, beim Lösen einer komplizierten Aufgabe, beim kreativen Schreiben oder auch beim Fotografieren. Man ist konzentriert und vergisst die Welt um sich herum, und plötzlich erzielt man ein unerwartet gelungenes Ergebnis, das sich rund anfühlt. Dieses Erfolgserlebnis wiederum steigert die Begeisterung, sodass man sich schon bald in einer Glücksspirale wiederfindet. Dieser hocheffiziente mentale Zustand funktioniert auch hervorragend in der Fotografie.
Zunächst erklärt die Autorin, selbst Wissenschaftlerin und immer auf der Suche nach dem neuesten Stand der Forschung, was Flow ist und welche psychologischen Prozesse sich dahinter verbergen. Anschließend zeigt sie, wie Sie diesen Zustand gezielt erreichen. Sie gibt eine Anleitung, wie Sie ihn wiederholt reproduzieren können.
Im zentralen Teil des Buchs wendet Pia Parolin, das Flow-Erlebnis auf das Fotografieren an. Die erfahrene Fotografin demonstriert, wie der Flow gezielt für kreativere Bildergebnisse eingesetzt werden kann. Wie gelangen Sie mithilfe des Flows zu einer stimmigeren, harmonischen Gestaltung Ihrer Bilder? Wie können Sie neue Fotoprojekte konzipieren und optimieren? Die Autorin zeigt Ihnen, wie wie Sie Ihren eigenen Weg finden und den Flow für bessere fotografische Leistungen und mehr Spaß an der Kreativität anwenden können.

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©Heike Hahn 2019

In Pia Parolin schlagen zwei Herzen: Sie ist Biologin und Fotografin, Italienerin und Deutsche, lebt in Deutschland und Frankreich, liebt die Natur- und die Straßenfotografie. Ebenso wie sie die Kunstausstellungen an der Côte d‘Azur genießt, kriecht sie als Tropenforscherin durch Brasiliens unwägbare Überschwemmungswälder. Sie hat zwei Kinder, zwei Hunde und zwei sich vermehrende Esel großgezogen. Innerhalb von drei Jahren verschob sich ihr Schwerpunkt von Forschung und Lehre immer weiter hin zur Fotografie, die sie seit ihrer Kindheit begleitet. Inzwischen ist sie Mitglied des Collectif Photon in Nizza, Sekretärin des Antibes Photo Club und Jurorin des französischen Fotografie-Verbandes. Ausstellungen, Preise, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Podcast-Interviews, zwei Fotobücher und alles, was dazugehört, um für das Schreiben eines Fotografie-Fachbuchs ernst genommen zu werden, rasten in kurzer Zeit in ihr neues Fotografinnenleben. Die zündende Idee für dieses Buch kam kurz vor Weihnachten 2019 beim Hören eines Podcasts mit der Psychologin Corinna Peifer: »Im Flow mit Selbstvergessenheit zum Erfolg?«

Für das Schreiben ihrer unzähligen biologischen Fachpublikationen hatte sie jahrelang unbewusst den mentalen Flow-Zustand genutzt. Sie arbeitete sich fortan durch die wissenschaftlichen Grundlagen der Flow-Fachliteratur. Als Wissenschaftlerin liegt es ihr nahe, statt populärwissenschaftlichen Halbwissens messbare Fakten zugrunde zu legen. So übertrug sie die Konzepte aus der Flow-Forschung auf die Fotografie und teilt dies nun mit den Fotografierenden. Mehr über Dr. rer. nat. habil. Pia Parolin gibt es zu erfahren unter www.piaparolin.com sowie auf Facebook und Instagram bei piaparolinphoto und Twitter bei @PiaParolinPhoto.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.plus

Pia Parolin

Flow – Fotografierenals Glückserlebnis

Glücklich fotografieren undfotografierend glücklich werden

Pia Parolin

www.piaparolin.com

Lektorat: Rudolf Krahm

Copy-Editing: Alexander Reischert, www.aluan.de

Layout & Satz: Birgit Bäuerlein

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print    978-3-86490-783-8

PDF     978-3-96910-044-8

ePub   978-3-96910-129-2

mobi   978-3-96910-130-8

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VORWORT

»Flow ist das, was wir erleben, wenn wir ganz in dem, was wir gerade tun, aufgehen. Und wenn sich das gleichzeitig auch noch gut anfühlt.«

Corinna Peifer (SWR2-Podcast vom 18.12.2019)

Der Flow hat mich im Griff. Ich bin so begeistert von diesem mentalen Zustand, dass ich ihn unbedingt weitervermitteln möchte. Nach dem zufälligen Hören eines Podcasts bemerkte ich, wie wertvoll der Flow auch in meiner Fotografie ist. Ich habe erst 2017 die Straßenfotografie für mich entdeckt. Bis dahin war ich mit Leib und Seele Wissenschaftlerin und fotografierte nebenbei Natur und Landschaften, die ich aufgrund meiner Arbeit als Tropenforscherin bereisen konnte. Das Intensivieren meines kreativen Schaffens rettete mich aus einer komplizierten Phase meines Lebens. So langsam fand ich durch die Zeit und Ruhe beim Fotografieren mich selbst wieder. In den turbulenten Jahren der Familienbildung und einer Karriere als Biologin war mein Ich irgendwo versandet. Mit etwas Ausdauer und Glück fand ich irgendwann mein Thema: das bunte Treiben auf der Promenade des Anglais in Nizza, an der ich mich so gerne in der Sonne mit Blick aufs Meer aufhalte. Nun wollte ich endlich meinen kühl dokumentierenden Ansatz entschärfen, verwässern. So begann ich beim Fotografieren die Bewegungsunschärfe einzusetzen. Als ich nach längerem Herumspielen die besten Kameraeinstellungen gefunden hatte und mit meinem Fotoapparat technisch fit war, gab es kein Halten mehr. Ich hatte endlich meine Fähigkeiten so weit entwickelt, dass ich aus meiner Perspektive künstlerisch interessante Bilder hinbekam. Ich war FIT: mein Fotoapparat, ich und mein Thema (siehe Abschnitt 4.1).

Im Flow bin ich in diesem besonderen mentalen Zustand, der mich so ähnlich fühlen lässt wie das, was die Person auf diesem Bild für mich ausstrahlt. Fest mit beiden Beinen auf dem Boden in die Weite blickend, von weichen Wellen leicht umspült, nicht abgelenkt von dem, was hinter mir vorgeht, sondern ganz im Hier und Jetzt von der Unendlichkeit des Meeres berauscht. Wenn ich in dieser Verfassung meinen Fotoapparat zur Hand nehme, entstehen tiefgründige, aussagekräftige Bilder. So erlebe ich die Fotografie als Glückserlebnis.

GELEITWORT

Warum schaffen wir Kunst? Warum investieren Künstler viel Energie, Zeit und Herzblut in eine Sache, deren Erfolg oftmals im Auge des Betrachters liegt und somit ungewiss ist? Was hat man davon, sich voll und ganz einer künstlerischen Arbeit hinzugeben, wo die Kunst doch längst nicht jedem Geld und Ruhm einbringt? Was treibt den Künstler an?

Mit solchen oder ähnlichen Fragen begann die Forscherkarriere eines Mannes, der sich später einen – wenn auch zugegebenermaßen schwierig auszusprechenden – Namen als Mitbegründer der Positiven Psychologie machen sollte: Mihály Csíkszentmihályi. Positive Psychologie befasst sich mit all jenem, was das Leben für Menschen lebenswert macht, und Csíkszentmihályis Beitrag zu diesem Forschungsfeld ist heute nicht mehr nur Teil des fachlichen Diskurses, sondern buchstäblich in aller Munde: Flow.

Vielleicht haben Sie auch schon einmal von Flow gehört? Aber viel wichtiger: Vielleicht haben Sie auch schon einmal einen Flow gehabt. Hatten Sie schon einmal das Gefühl, Sie tun etwas und es »läuft« einfach? Sie müssen sich keine Gedanken machen, was als Nächstes zu tun ist – es kommt wie von alleine? Wollen gar nicht mehr aufhören? Vergessen die Zeit, vergessen alles um sich herum? Sind im Grunde selbstvergessen, ganz im Moment? Dabei hochkonzentriert und haben alles unter Kontrolle? Und haben vor allem Freude an dem, was Sie tun?

Dann kennen Sie den Flow. Und da Sie gerade dieses Buch lesen, kennen oder erhoffen Sie diesen besonderen Zustand wahrscheinlich vom Fotografieren. Damit sind Sie den Künstlern, die Mihály Csíkszentmihályi – der Begründer der Flow-Forschung – zu Beginn seiner Forschungslaufbahn interviewte und die ihn darauf brachten, den Flow-Zustand später als wissenschaftliches Konzept zu definieren und mit psychologischen Methoden zu erforschen, gar nicht mal so unähnlich. Denn die Suche nach dem Flow und der inneren Befriedigung, die er mit sich bringt, ist ein wichtiger Antrieb dafür, »am Ball zu bleiben« – und zwar, um der Sache selbst willen, nicht wegen äußerer Anreize wie Bezahlung oder Anerkennung. Zwar haben Csíkszentmihályi und die ihm nachfolgenden Psychologen Flow inzwischen bei vielen verschiedenen Tätigkeiten – vom Bergsteigen über Schachspielen bis hin zu Büroarbeit – untersucht, aber es ist kein Zufall, dass diese Forschung bei Künstlern begann. Denn gerade wenn es um kreative Schaffensprozesse geht, ist der Flow oft nicht weit.

Aber Kunst ist immer auch Handwerk, und das ist beim Fotografieren nicht anders. Deshalb braucht es nicht nur die psychologische Hintergrundtheorie, sondern auch den praktischen Einblick, um Flow beim Fotografieren zu finden. Dieses Buch verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse zum psychologischen Konzept des Flow-Erlebens mit der Erfahrung und dem geschulten Auge des Fotografierenden. Die Autorin ist sowohl Wissenschaftlerin als auch Fotografin und somit bestens geeignet, Ihnen die nötigen Tipps bei der Suche nach dem Flow hinter der Kamera mitzugeben. Beim Lesen dieses Buches werden Sie von ihr lernen, was Flow im Bereich des Fotografierens ausmacht, wie man ihn erkennt und bewusst herbeizuführen versuchen kann.

Ich wünsche Ihnen viel Flow beim Lesen und danach beim Fotografieren!

Dr. rer. nat. Birte Thissen

Psychologin mit Schwerpunkt in der Flow-Forschung

Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt

INHALTSVERZEICHNIS

1Einleitung

1.1Als Straßenfotografin in der Stadt

1.2Die Idee

1.3Workflow, kreativer Flow, mentaler Flow

1.4An wen ist das Buch gerichtet?

1.5Warum Schreiben mit dazugehört

1.6Der Aufbau des Buches

2Flow, Kreativität und Glückserlebnis

2.1Der Flow

2.1.1Wer kommt in den Flow?

2.1.2Ist das ein Flow?

2.1.3Definition von Flow

2.1.4Ein Cocktail aus Neurotransmittern

2.1.5Grundvoraussetzung: das ideale Gleichgewicht

2.1.6Stufen zum Flow

2.1.7Typen von Motivation

2.1.8Neun Komponenten

2.1.9Im Flow macht Fleiß Spaß

2.1.10Dauer eines Flows

2.1.11Tiefe des Flows

2.1.12Drohende Gefahren

2.1.13Vom Wert der »Unvollendeten«

2.1.14Rational oder esoterisch?

2.1.15Glückserlebnis im Flow

2.1.16Flow im Team

2.2Die Kreativität

2.2.1Kreatives Schaffen mit Disziplin

2.2.2Zeit für Kreativität

2.2.3Der Fehlglaube an Talent

2.3Das Glück

2.3.1Glückliche Fügung oder selektive Wahrnehmung?

2.3.2Definition von Erfolg

2.3.3Vergänglichkeit akzeptieren

3Wie erlangst du den mentalen Flow-Zustand? Konkrete Tipps

3.1Streng notwendige Bedingungen

3.2Deine innere Verfassung

3.3Die Beziehung zu deiner Kamera

3.4Flexible Bedingungen

3.4.1Triviales

3.4.2Kognitives

3.4.3Orientierendes

3.4.4Zeitliches

3.5Lass es laufen

3.6Workflow zum Flow

3.6.1Der Vorabend

3.6.2Der Morgen-Flow

3.6.3Der Tag im Flow

3.6.4Am Schreibtisch

3.6.5Der Zeitpunkt für das Ende

3.7Fotografierend in den Flow kommen

4Anwendungen des Flows in der Fotografie

4.1In Kürze: FIT – mein Fotoapparat, Ich und mein Thema

4.1.1F: Fotoapparat

4.1.2I: Ich

4.1.3T: Thema

4.2Die Entwicklung deiner Fotografie

4.2.1Vom Knipsen zum Einzelbild

4.2.2Die Fotoserie

4.2.3Ein komplexes Einzelbild

4.2.4Ein Fotoprojekt

5Anregungen und bildlich gewordene Flow-Wirkung

5.1Erfahrungsschatz sammeln

5.2Inspiration umsetzen

5.3Beispiele berühmter Fotografen im Flow

Anhang

Schlusswort

Danksagung

Weiterführende Literatur

Bücher und wissenschaftliche Veröffentlichungen

Zitierte Episoden

Podcasts und YouTube-Serien, die mich regelmäßig inspirieren

1 EINLEITUNG

Wäre es nicht toll, deine Fotografie spürbar zu steigern? Tiefgründige, interessante Bilder zu machen, dich kreativer und produktiver zu fühlen, ohne Anstrengung dabei zu empfinden oder zu ermüden? Konkreter zu wissen, worauf du mit deiner Fotografie abzielst? Konzentriert Schritt für Schritt zielgerichtet weiterzugehen und dabei von Glücksgefühlen erfüllt zu sein? Was nach Quacksalberei klingt, ist mithilfe eines durch Forschung gut ergründeten mentalen Zustands möglich: Flow.

1–1Das Foto einer chinesischen Touristin auf der Promenade des Anglais in Nizza, die sich gerade für ein Porträt ihrer Freundinnen in Pose bringt. Ich mag keine große Bildnachbearbeitung. Und so ist das Bild praktisch unbearbeitet direkt in meiner Kamera entstanden (17-mm-Objektiv, ISO 100, Blende 22, 1/5 s, in der Abenddämmerung im September 2017, mit niedriggestelltem Stativ und Kabelauslöser).

Im Laufe meiner eigenen Fotografie bin ich immer wieder an Stolpersteinen hängen geblieben. Nach den hübschen Pflanzen und malerischen südfranzösischen Türen wiederholte sich alles und ich langweilte mich. Was sollte ich außerdem mit meinen vielen tausend Fotos anstellen, die langsam, aber sicher meine Festplatten füllten? Wofür noch mehr produzieren? Wie konnte ich weiterkommen, wieder richtig Spaß dabei empfinden? Statt ein entspanntes Hobby darzustellen und tolle, inhaltlich wertvolle Fotos zu machen, hatte ich das Gefühl, dass ich mich im Kreis drehte und meine Kreativität gegen eine Wand lief. So kehrte ich oft enttäuscht oder gelangweilt von meinen Foto-Walks zurück.

Um Ideen zu finden, hörte ich Podcasts mit Gesprächen über Kreativität, Reisen und Fotoprojekte, besuchte die neuesten Ausstellungen und Fotoevents, setzte mich mit Themen wie persönliche Entwicklung und Zeitmanagement auseinander. Das war bereichernd, lehrreich, inspirierend. Im Dezember 2019 hörte ich zufällig einen Podcast mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum mentalen Zustand des Flows. Da wurde ich hellhörig.

Den Flow-Zustand kannte ich zunächst nur von dem Gefühl, dass ich mich manchmal sehr gut konzentrieren kann und es einfach fließt. Beim Schreiben wissenschaftlicher Abhandlungen hat mir der Flow jahrelang wunderbare Dienste erwiesen, ohne dass ich ihn bewusst als besonderen mentalen Zustand wahrgenommen hätte.

Ich wurde neugierig und wollte mehr darüber erfahren. So las ich dutzende komplizierter Fachbeiträge von Psychologen, Neurologen und Produktivitätsforschern. Nebenbei bemerkte ich, dass meine besten Fotos und Ideen entstanden, wenn ich im Flow war. Ich blieb Flow-getrieben länger am Ball – oder am Fotoapparat – und konnte meine kreativen Ideen hemmungsloser umsetzen. Da ich ein unruhiger Geist bin, half mir der Flow, meine Leistung zu fokussieren und meine Kreativität insgesamt auf ein höheres Niveau zu heben.

Ich hatte wieder Spaß am Fotografieren, weil ich mir neue Ziele steckte. Mit der Inspiration aus dem Aufgenommenen und dem Wissen über die Funktionsweise des Flows merkte ich: Durch systematisches Suchen gelange ich zu neuen Ideen. Diese ständige Suche, in der alle Kreativen sich wahrscheinlich irgendwann wiederfinden, wird durch eine geduldige Zeit des Fleißes befördert. Die »Spaßbremse Fleiß« wird durch den Flow abgepuffert. Der Flow steigert nämlich deine Geduld um ein Vielfaches. Du trägst Gesehenes und Erfahrenes zusammen und entwickelst deine Gedanken und Inhalte weiter. Du spürst Lust, Ausdauer und Motivation für das Aufbauen neuer Ideen. Du fühlst dich beflügelt und setzt deine Suchergebnisse neu zusammen. Damit befeuerst du deine Kreativität, findest neue Themen und erkennst, wie du tiefgründigere Bilder machen kannst.

1–2Wenn ich im Flow bin, spiele ich wie ein glückliches kleines Mädchen mit meiner Kamera. Ich nehme die unwahrscheinlichsten Positionen mitten unter den Menschen ein, um die beste Perspektive für mein Foto zu erzielen. Wie das aussieht, ist mir dann gleichgültig. Es hat auch noch nie geschadet: Die Leute lächeln höchstens etwas mitfühlend bis mitleidig, wenn sie mich so kleinkindhaft fröhlich sehen. So wie dieses Mädchen, das ich 2019 in Madagaskar fotografierte. Ich hatte auf einer Tagungsreise an einer recht touristischen Stelle gehalten, um Baobabs zu fotografieren. Die beiden Kinder gingen von Touristenauto zu Touristenauto. Sie bettelten nicht wirklich, hofften aber doch, dass eine Kleinigkeit für sie abfallen möge. Ich hielt mich wie meistens länger auf, spazierte um die wundervollen Bäume und ließ mir Zeit, die Natur und die Umgebung auf mich wirken zu lassen. Auch die Kinder nahmen meine Spiellaune mit der Kamera wahr. Statt sich in Bettelstellung zu begeben, hüpften sie ausgelassen umher. So beeinflussen meine Stimmung und der Flow auch meine Umgebung und das Foto, das dabei entsteht.

In diesem Buch wende ich meine eigenen Erfahrungen und die wissenschaftlichen Grundlagen, die ich in wochenlanger Recherche zusammengetragen habe, auf die Fotografie an. Ich erkläre mit wenigen wissenschaftlichen Begriffen die Hintergründe und baue eine Anleitung auf, wie du dich gezielt in den mentalen Zustand des Flows versetzen kannst. Ich benutze eigene Bilder, die zum Teil weit weg von Perfektion sind, um dir an meinen Beispielen zu zeigen, welche Fehler man selbst machen muss und wie du dich entwickeln kannst. Dabei hat mir die Corona-Krise einen Strich durch die Rechnung gemacht, da ich vorhatte, noch einige Bilder gezielt zu fotografieren. Die Ausgangssperre hat mich also gezwungen, auf mein Archiv zurückzugreifen. So haben die vielen angesammelten Bilder letztendlich nun doch einen Sinn.

Ich zeige auf, wie jeder Fotografierende für sich einen Weg finden kann, den Flow für bessere fotografische Leistung und mehr Spaß in der Kreativität anzuwenden. Viel Spaß beim glücklichen Fotografieren!

1.1ALS STRAßENFOTOGRAFIN IN DER STADT

Meinen Fotoapparat in der Hand gehe ich durch die Stadt. Ich habe ein paar Stunden Zeit und einige Ideen. Mal sehen, was so kommt. Als Straßenfotografin lasse ich mich gerne treiben. Ich bin gut drauf, beobachte Licht und Schatten, die in die Gassen fallen. Meine Idee ist, mit starken Kontrasten und Farben zu spielen. Ich erspähe einen Mann mit einer Pfeife im Mund. Er kommt auf mich zu. Ich warte den Moment ab, bis er aus dem Schatten hinaustritt und – klick. Nicht schlecht, es könnte ein interessantes Bild geworden sein. Ich gehe etwas mehr nach rechts, verändere meinen Winkel und warte. Ich sehe immer wieder nach oben, in den Himmel, um nochmal nachzubessern. Wo steht die Sonne in den nächsten Minuten, wann wird sie wohl hinter dem Giebel verschwinden, wie viel Zeit bleibt mir noch an diesem Fleck?

Ein paar Menschen gehen an mir vorbei, nehmen mich nicht weiter wahr. »Noch so eine Touristin«, denken sie wohl. Ich nutze meine »Unsichtbarkeit« und konzentriere mich auf den Moment, in dem sie ins Licht treten. Nochmal optimiere ich meine Position, gehe etwas tiefer. Und dann kommt die Frau mit dem großen Hut und dem blauen Hemd. Ich warte, bis das Licht den Hut vollständig trifft, und löse aus – Bingo! Das war ein guter Treffer.

1–3Diese drei Bilder entstanden hintereinander in einem Flow, der mich vor Freude fast hüpfen ließ. Ich erkannte zuerst zufällig die Lichtspots und wartete für die ersten zwei Fotos Touristen ab, die einer nach dem anderen in meine virtuellen Fotofallen tappten. Einmal erkannt, wie ich mich am besten bezüglich der Sonneneinfallsrichtung und dem Touristenstrom zu positionieren hatte, gab es kein Halten mehr. Zu perfekt erschienen mir die vielen Gelegenheiten, die sich boten. Ich hätte Stunden in diesen Straßen zubringen können.

Ab jetzt läuft alles wie geschmiert. Ich habe die Lichtverhältnisse enträtselt. Meine Kamera ist richtig eingestellt und ich bekomme das Gesicht der Leute in meinem Bildausschnitt im richtigen Moment scharfgestellt. Ich weiß, wo ich stehen muss, damit ich dieses Spiel aus Licht und Schatten genau hinbekomme. Plötzlich bin ich komplett versunken in meinem Thema. Ich nehme alles um mich herum wie durch einen Filter wahr. Was nicht in meine Fotoidee passt, verschwindet unauffällig. Und überall erkenne ich wie aus dem Nichts wunderbare Gelegenheiten für mein heutiges Fotothema.

Ich finde schnell einen neuen Standort, denn ich weiß genau, wonach ich suche. Ein dunkler Hintergrund, der Sonnenstrahl – ich erkenne ohne Schwierigkeiten die beste Stellung. Und da ist schon die nächste Touristin mit ihren knallig türkisfarbenen Fingernägeln, rotem Mund und roter Tasche – sie läuft in meine Lichtspot-Falle! Ein Ladenbesitzer beobachtet mich und grinst. Mir ist es sowas von egal, was er denkt. Ich werde jetzt sicher nicht aufhören, bin so in meinem Element, dass es sich rundherum perfekt anfühlt. Das sind die Momente, die ich an der Straßenfotografie liebe.

Als ich bei Sonnenuntergang müde und glücklich nach Hause fuhr, wusste ich, dieser Tag war genial, einsame Spitze. Alles war perfekt gelaufen, eine tolle unerwartete Gelegenheit nach der nächsten, welches Glück.

Aber war es wirklich Glück? Es war der Flow! Und das Glücksgefühl floss!

1–4Noch ein Bild aus der Serie meiner Lichtspots:Auch diese Touristin lief in meine Falle, ohne mich – wegen des Gegenlichts – überhaupt wahrzunehmen.

1.2DIE IDEE

Auf die Idee zu diesem Buch bin ich gekommen, weil ich mir zunehmend des Flow-Zustands bei mir selbst bewusst wurde. Ich fand es völlig selbstverständlich, mich stundenlang konzentrieren zu können, um fokussiert ein Thema zu bearbeiten. Ich habe ihn instinktiv gefunden. Der Flow trat recht verlässlich ein, scheinbar völlig beliebig. Ich begann ihn zu schätzen und herbeizusehnen, unbewusst zu suchen. Aber ich nahm mir nie die Zeit, ihn genauer zu analysieren. Erst später wurde mir klar, dass es ein sehr spezieller, aber erlernbarer Prozess ist. Und jeder kann ihn bei sich herbeiführen, wenn gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind.

Im Vollzeitberuf, zu Hause zwei Kinder, war ich jahrzehntelang latent überfordert. Mein Hobby, die Fotografie, lag allzu lange brach – bis das Bedürfnis nach ständig Neuem und Abwechslung der Suche nach innerer Ruhe wich. Es stellte sich eine Sehnsucht danach ein, endlich die Zeit zu haben, selbstgesteuert meine Kreativität ausleben zu können. Der Flow und die neu entdeckte Freude am Fotografieren hoben mich jedenfalls aus einer monatelangen deprimierten Stimmung heraus.

Was das Modewort Flow anbelangt, wurde meine selektive Wahrnehmung gleichzeitig sehr effizient. Ich wollte verstehen, wie er sich einstellt, wie ich ihn aktiv finden kann, um ihn besser für mich zu nutzen. Die Ergebnisse meiner Recherche teile ich in diesem Buch mit dir.

1–5Im Flow bin ich vertieft in mein Ding, alles fließt. Das Bild mit der vorbeigehenden Frau und dem sitzenden Mann »The Orange Cap« entstand, als ich bei starkem Wind im September in Nizza an der Promenade des Anglais mit meiner Kamera spielte. Im Sommer davor, 2016, hatte genau hier ein Terroranschlag stattgefunden. Meine Kinder feierten in der Nähe, sie übernachteten bei Unbekannten, bevor ich sie nach einer sorgenvollen Nacht am Folgetag nach Hause holen konnte. Depressive Stimmungen und die Sorge über die Terroranschläge führten mich zur aktiven Suche nach Luft, Farben, Perspektiven, Weitsicht. So fuhr ich oft zum Meer in Nizza. Ich war an jenem Nachmittag völlig vertieft und habe mehrere gute Bilder in kurzer Zeit geknipst. Dieses Foto repräsentiert auch meine Geschichte als Fotografin. Bis dahin war ich nämlich »nur« leidenschaftliche Biologin. Ich spielte gerne mit meiner Kamera, als Hobby. Zwei Freundinnen drangen mich dazu, meine Bilder schön zu drucken und an einem populären Fotofestival in der Region teilzunehmen. Sie fotografieren selbst wunderbar und glaubten an mich – viel mehr als ich selbst an mich glaubte. So machte ich 2017 meine allererste Fotoserie: »Promenade Moments«. Es war spannend, das erste Mal meine eigenen Bilder für eine Ausstellung zusammenzustellen und auf teurem, wunderbar glänzendem Metall gedruckt zu sehen. Wenn, dann richtig, dachte ich mir. Und dieses Foto gewann auf Anhieb den ersten Preis! Im Folgejahr war es das Symbolbild des Festivals. Wer hätte 2017 gedacht, dass ich jetzt, nur drei Jahre später, sogar ein Buch über Fotografie schreiben würde? Es floss einfach, ich wusste nicht wohin und warum, aber ich schwamm mit dem Fluss, genoss das Neue, Kreative in meinem Leben und alles, was sich damit einstellte. Heute bin ich aus meiner Krise heraus, habe ein Standing als Fotografin. Das alles hat funktioniert, weil ich spielerisch heranging, offen für alles war, was da kam, weil ich mir Mühe gab, positiv zu sein, und weil ich lernte. Unaufhörlich saugte ich alles zu Fotografie und Kreativität auf, wollte mehr wissen, verstehen, praktizieren können. Vor allem aber: Ich blieb dran. Denn auf Anhieb zu gewinnen, klingt einfach. Sich danach weiterzuentwickeln ohne immerzu riesige Erfolge, ist hingegen die Realität, der man sich dann stellen muss. Ich hatte die Ausdauer, weil ich immer wieder im Flow war. Auch vorher hatte ich schon fotografiert. Aber nach Natur und Landschaften, Makro und hübschen provenzalischen Fenstern und Türklinken fiel mir nicht mehr viel Interessantes ein. Fast hätte ich die Fotografie aufgegeben. Dann fand ich mein Thema in der Straßenfotografie. Plötzlich wartete ich nicht mehr, dass die Menschen aus meinem Bildausschnitt verschwanden, sondern dass sie vielmehr hineintraten. Das machte Spaß, war neu und stellte neue Herausforderungen dar, also fing ich Feuer. Ich merkte, wie ich in der Fotografie immer besser wurde und meinen Ort in der Sonne, am Meer gefunden hatte. Und dieses Thema, »Promenade Moments«, floss. Den Flow konnte ich weiter nutzen für alles, was nach diesem Siegerfoto folgte: Reden und Vorträge, zwei Bücher, Diskussionsrunden, weitere Wettbewerbe und Siege, Solo-Ausstellungen, die seit zwei Jahren durch Deutschland touren. Ich wurde zur Botschafterin von Nizza ausgezeichnet, ins renommierte Collectif Photon aufgenommen … ich komme kaum hinterher. Aber jeder Schritt hat mich glücklich gemacht, und der Prozess, bei dem ich Flow-getrieben mitunter schwere Aufgaben löste und Hindernisse nahm, war ebenso bereichernd wie die Ergebnisse am Ende.

Falls du dich übrigens über das quadratische Format dieser Serie wunderst: Dieses verdanke ich Instagram. Das Quadrat war nämlich in den ersten Zeiten der Existenz dieses sozialen Netzwerks das einzig zugelassene Format. So presste ich meine langen Promenaden-Bilder in diese Form – und sie gefiel mir.

1.3WORKFLOW, KREATIVER FLOW, MENTALER FLOW

Der Begriff des Flows ist gerade ziemlich angesagt. Es gibt Bücher, Videos, Podcasts und seitenweise populärwissenschaftliche Anleitungen im Internet darüber. Der »kreative Flow« ist fast schon eine Floskel für das Fließen, das sich einstellt, wenn du tief in etwas eingetaucht bist. Was aber als allgemeinverständliches Wort hingenommen wird, ist keineswegs trivial. Der Flow ist keine esoterische Spielerei, sondern ein psychologisch und neurologisch erwiesener Zustand des Gehirns.

Ich wette, die wenigsten wissen, was es wirklich damit auf sich hat. So wie kaum jemand, der nicht ungarische Eltern hat, spontan den Namen des wissenschaftlichen Vaters des Flow-Konzepts aussprechen kann: Mihály Csíkszentmihályi (aus englischsprachiger Sicht: »me-HIGH chick-sent-me-HIGH-ee«). Dieser ungarischstämmige Psychologieprofessor von der University of Chicago hat bereits im Jahr 1975 den mentalen Zustand des Flows beschrieben. Unzählige Bücher und Vorträge folgten. Sie handeln nicht nur vom Flow, sondern vor allem von den Glücksgefühlen, die damit einhergehen.

Was aus dem Englischen als »das Fließende« zu übersetzen wäre, bedeutet nichts weiter als dass du dich in einem schwerelosen Gemütszustand befindest, in dem plötzlich alles wie am Schnürchen läuft. Ob beim Musizieren, bei einem Leistungssport, beim Lösen einer komplizierten Aufgabe im Arbeitsalltag, beim Daddeln am Computer oder sogar beim Sortieren alter Klamotten. Wenn es dich packt, verschwinden Raum und Zeit.

Du kannst den Flow-Zustand umso zuverlässiger herbeiführen, je besser du ihn verstehst. In diesem Buch hinterfrage ich den Begriff und gehe kurz auf die physiologischen Grundlagen und das gedankliche Modell ein, das Mihály Csíkszentmihályi aufgebaut hat. Die Erkenntnisse wende ich dann auf Fotografie und Kreativität an.

Mihály Csíkszentmihályi schrieb mir persönlich, er freue sich sehr, dass ich Flow mit Fotografie analysiere und ein Buch darüber veröffentliche. Leider sei er im Ruhestand und krank. Ich freue mich jedenfalls über seine positive Rückmeldung.

Der Begriff des Flows ist mitunter missverständlich, weil er in unterschiedlichen Zusammenhängen benutzt wird.

Bei Fotografierenden drehen sich die Gespräche häufig um den Workflow. Damit ist eine Routine, eine zeitliche Abfolge praktischer Schritte gemeint. Zum Beispiel wie du deine Speicherkarte ausliest und deine Fotos in einem Bildbearbeitungsprogramm optimierst. Es ist äußerst praktisch, die Vorgehensweise anderer Fotografen zu kennen, um deinen eigenen Weg zu optimieren. Wenn du viel Zeit dafür aufwendest, wie du am besten deine vollgeknipste Chipkarte sicherst, kann es helfen, dir den Prozess von anderen erklären zu lassen: dass sie zum Beispiel erst mal alles auf ihre Festplatte laden, dann sofort zusätzlich auf eine externe Speicherplatte zur Sicherheit kopieren, dann die Fotos mit bestimmten Schritten in ein Bildbearbeitungsprogramm importieren, die alte Karte aber nicht löschen, sondern vorsichtshalber in einem getrennten Fach aufbewahren.

1–6Der Straßenkünstler macht Riesenseifenblasen und fasziniert damit die Passanten und Kinder. Er ist ein polnischer Rucksackreisender, der mit seinem Kumpel in Nizza Zwischenstation machte. Er verdiente sich ein paar Münzen für die Weiterreise dazu. Ich trug auch etwas bei und so entstand unter anderem dieses Foto, in dem ich ihn durch eine seiner Seifenblasen einrahmte. Er hat seinen Workflow, um sein Material aus seinem kleinen Reisegepäck hervorzuzaubern und aufzubauen und danach alles wieder darin eng verpackt und trocken zu verstauen, bevor es zur nächsten Reiseetappe weitergeht. Müsste er jedes Mal den Aufbau, Transport, das Anmischen der Seifenlauge, das Säubern und Zusammenpacken neu überlegen und optimieren, würde er wahrscheinlich bald seine Reise genervt aufgeben. Da er aber dazu eine Routine entwickelt hat, bleibt ihm alle Freiheit, sich mit den Touristen an den besonders großen Seifenblasen zu erfreuen und kreativ neue Seifenblasenspiele zu erfinden.

All dies sind Einzelschritte, die zusammen den Workflow ergeben. Hast du deinen eigenen Ablauf gefunden, erleichtert das ungemein deine Arbeit als Fotograf. Du musst dann nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, sondern kannst Altbewährtes routinemäßig einsetzen.

1–7Einer der Schlüssel zur Kreativität ist für mich, eine spielerische Leichtigkeit zu bewahren. Diese Frau sieht aufs unendliche Meer hinaus und wirft ihre Haare zurück. Frei und entspannt wirkt das so, wie du beim kreativen Schaffen bist.

Daneben tritt häufig der Begriff des kreativen Flows auf. Er wird mit Spaß gleichgesetzt. Dabei geht es um das Fließenlassen der Kreativität, wenn es beim Herumspielen »einfach fluppt«. Dieser Begriff von Flow wird auch gerne von Coaching-Beratern und in Ratgebern rund um Persönlichkeitsentwicklung und Achtsamkeit verwendet. Dort hat er die Bedeutung, dass du mit deiner »Sache verschmilzt«. Es wird beschrieben, dass es sich gut anfühlt, wenn alles fließt und du diese tiefe Wahrnehmung von dir selbst oder deiner Beschäftigung hast. Der Begriff wird auf etwas bezogen, das in deinem Körper fließt, so wie Gedanken fließen. Er kommt dem wahren wissenschaftlichen Begriff nahe. Jedoch wird selten von den begeisterten Flow-Coaches tiefer in das eigentliche Flow-Thema und dessen Ursprung eingedrungen und so manches auch dazugedichtet. Daher betrachte ich diesen Begriff eher als ein Modewort, das nur teilweise mit dem tatsächlichen Flow gleichbedeutend ist.

Zu beiden bisher genannten Fließzuständen gibt es reichlich Beispiele für Fotografierende. Sie haben aber recht wenig mit dem wissenschaftlichen Flow-Konzept zu tun, wie es hier im Buch beschrieben wird. Zuerst kannte ich den Unterschied auch nicht. Aber aus wissenschaftlicher Sicht ist es keineswegs so, dass Flow bloßer Spaß ist. Wichtige Komponenten wie Absorption, fließende Verarbeitung und intrinsische Freude gehören zum Flow-Konzept dazu. Wenn ich dich mit diesen Wörtern jetzt nicht zu sehr abgeschreckt habe, kannst du das ausführlich mit vereinfachten Umschreibungen in diesem Buch nachlesen.

In diesem Buch geht es ausschließlich um den wissenschaftlich geprägten Begriff des mentalen Flows nach Mihály Csíkszentmihályi, dem Begründer des wissenschaftlichen Modells. Flow ist ein mentaler Zustand, der sich physiologisch einstellt und mit Hormonausschüttungen einhergeht. Mit bestimmten Verhaltensmustern kannst du die Wahrscheinlichkeit erhöhen, in einen Flow zu kommen.

Diese Muster sind einerseits klar, andererseits aber auch variabel. Du kannst einen Flow-Zustand fördern und seine Wirkung für deine konkreten Zwecke nutzen. Das will verstanden und geübt werden. Ich helfe dir, den wissenschaftlichen Flow zu verstehen, die optimalen Umstände für dich selbst herauszufinden und zu definieren. Ich bringe dich auf den Weg, die für dich besten Bedingungen herauszufiltern und konkret anzuwenden.

1.4AN WEN IST DAS BUCH GERICHTET?

Das Buch richtet sich an alle Menschen, die fotografieren, und auch an jene, die über das Fotografieren schreiben. Täglich fotografierende Profis können das Buch ebenso nutzen wie Menschen, die nur im Urlaub oder am Wochenende zu ihrer Kamera greifen. Besonders wenn du in einer Kreativitäts-Sackgasse steckst, kann dich dieses Buch motivieren, in neue Richtungen zu denken und dich weiterzuentwickeln.

Es ist ein Leitfaden, um den Zustand des Flows zu erkennen, zu verstehen, seine Herbeiführung zu trainieren und abrufbar zu machen. Die Hauptidee ist, ihn für die Entwicklung deiner Fotografie einzusetzen. Ob du eine Landschaft oder ein Stillleben fotografierst, an einem Fotoprojekt mit einem Model oder einer Hochzeit arbeitest, ob du auf der Straße nach passenden Situationen jagst: Der Flow stellt sich bei jedem kreativ Schaffenden ein.

Dabei steht das hedonistische Erleben im Vordergrund. Es geht darum, deine Fotografie mit Optimierung und Spaß auf ein höheres Niveau zu bringen.

Dir wird vielleicht auffallen, dass die Verben »sollen« und »müssen« recht häufig auftauchen. Vielleicht denkst du jetzt: »Ich will nicht müssen, ich möchte nicht sollen. Und schon gar nicht in meiner Freizeit, bei meinem Hobby.« Für kreative Menschen, die das Lockere, Neuartige suchen, sind Substantive wie Optimierung und Steigerung mitunter ein rotes Tuch.

Aber selbst bei völlig frei gelebter Kreativität drehst du dich vielleicht irgendwann im Kreis. Es kommt der Moment, in dem du zwar ganz frei bist und nach Neuem suchst, aber es kommt nichts. Und auch das fröhliche Glückserlebnis bleibt dann aus.

Nun könntest du sagen, sich im Kreis zu drehen sei ja auch eine Bewegung. Sie ist aber nicht zielführend. Statt dich im planlosen Knipsen zu wiederholen, wirst du durch Konzepte und Fragen angeregt, deine Herangehensweise klarer zu definieren und eine Steigerung deiner Fotografie zu erreichen.

Wie beim Erklimmen einer Sanddüne ist der Weg zum tollen Foto in mehrere Abschnitte unterteilt. Leichtigkeit und Freude werden von komplizierteren Wegabschnitten unterbrochen. Der Flow-Zustand überbrückt diese aber so, dass du sie leicht meisterst. Das ist die eigentliche Kraft des Flows.

1–8Das frei zugängliche Treppenhaus des Sprinkenhofs in Hamburg hat eine interessante Treppe im Inneren. Die gebildete Spirale symbolisiert ein Sich-im-Kreis-Drehen, bei dem du dich aber auch aufwärtsbewegen kannst.

Vielfalt. Ich lasse sehr viel eigene Erfahrung und Beobachtungen in dieses Buch mit einfließen. Ich bin mir aber auch bewusst, dass ich mit meinem Wesen nur eine kleine Gruppe von Menschen repräsentiere und sehr viele Leser gar nicht. Freunde bezeichnen mich als extravertierten, lauten, strahlenden, sozialen Menschen. Ich habe aber auch sehr introvertierte Momente. Am liebsten fotografiere ich allein und kann ganz schön eigenbrötlerisch sein. Ich stehe gerne früh auf und lache dem Tag entgegen. Ich würde mich als organisiert, planend, effizient beschreiben. Vielleicht bist du das krasse Gegenteil. Oder irgendwo dazwischen. Das fällt aber nicht ins Gewicht.

Ich versuche Allgemeingültiges so aufzuzeigen, dass jeder Charaktertyp, jedes Individuum seinen eigenen Weg für sich finden kann. Alter, Beruf, Zeitbudget, kultureller Hintergrund, kreative Vorgeschichte und künstlerischer Anspruch – nichts davon schränkt dich ein, beim Fotografieren in einen Flow zu kommen. Einzige Bedingung: Du solltest bereit sein, dich Herausforderungen zu stellen.

»Die Tatsache, dass eine technisch fehlerhafte Fotografie gefühlsmäßig wirksamer sein kann als ein technisch fehlerloses Bild, wird auf jene schockierend wirken, die naiv genug sind zu glauben, dass technische Perfektion den wahren Wert eines Fotos ausmacht.«

Andreas Feininger

Der Fehlglaube an die Ausrüstung.