Freier um Brigitte - Liane Sanden - E-Book

Freier um Brigitte E-Book

Liane Sanden

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Beschreibung

"Ich bin zu alt um noch zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein." Getreu diesem Faust-Zitat räumt in diesem ergreifenden Schicksalsroman der General Konsul Eberhard von Wittinghausen sein Privatleben auf. Der 56-Jährige trennt sich mit viel finanzieller Überredungsqual von seiner langjährigen Freundin, der Komödiantin Renate, die bis zuletzt auf eine Heirat gehofft hatte. Er entdeckt sie eng umschlungen mit einem Regierungsrat und Diplomaten und entscheidet deshalb, eine solche Beziehung nicht nötig zu haben. Als am Abend seine 25-jährige Hausdame Brigitte von Pahlen den Tee bringt, entschließt er sich spontan, ihr einen Heiratsantrag zu machen, den sie annimmt. Da der Generalkonsul auf die Etiketten achtet, muss Brigitte zu ihren Eltern ziehen, denn sie darf nicht gleichzeitig als Braut und Hausdame in seinem Haus leben. Doch an dem Tage, als Eberhard von Wittighausen seine Braut besuchen will, um die Eltern kennenzulernen, verunglückt der Bräutigam tödlich. Das Testament im Schreibtisch des Konsuls macht sie zur Generalerbin von Devisen, Geld und Grundstücken in Deutschland, einem Refugium in Tirol und von riesigen Latifundien in Brasilien. Brigitte, in der Liebe unerfahren, in Geschäftsdingen dieser Größenordnung ungeübt und lediglich mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet, zieht die potenziellen Freier an, wie das Licht die Motten.-

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Liane Sanden

Freier um Brigitte

Saga

Freier um Brigitte

© 1930 Liane Sanden

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711593387

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Der Generalkonsul Eberhard von Wittinghausen sass in seinem Fauteuil, schweigend, nachdenklich und versonnen. Seine Gedanken bewegten sich fern der Heeresstrasse.

„Ob ich für den Sommer das staubige Berlin verlasse und auf meine kleine Klitsche ziehe?“

Diese Klitsche war ein reizendes Haus in Tirol, künstlerisch ausgestattet, vornehm im Stil gehalten, gediegen, entzückend und mit allem Komfort. Es lag in der schönsten Natur, umrahmt von hohen Bergen, erfüllt von Sonne, Luft und Licht, ganz nahe bei Zell am See, ein paar Schritte von Saalfelden weg, einem Ort, der bekannt ist durch das „Steinerne Meer“. Hier toben sich jährlich hunderttausend waghalsige oder vorwitzige Bergkraxler aus. Auch der Generalkonsul Wittinghausen juhute in früheren Jahren von mancher Felsenkante im salontiroler Kostüm herab, während er in den letzten Jahren sich die Höhen lieber von unten bei einer Flasche Landwein betrachtete.

Kurz: Klitsche nannte er sein Dorado oder wie er scherzhaft anderen gegenüber meinte, sein Alterversorgungsheim. Während er ein Dutzend Bauern an seinem geistigen Auge vorüberspazieren und die Tiroler Mäderln mit ihren angesteckten Zöpfen à la Defregger Revue passieren liess, wurde er aus seinem geruhigen Träumen geweckt. Das Telefon unterbrach die Mäuschenstille. Der Generalkonsul schrak zusammen.

„Ich möchte Herrn Generalkonsul sprechen. Ist der Diener am Apparat?“

Wittinghausen lächelte:

„Ausnahmsweise der Herr selbst.“

Am andern Ende kicherte eine Frauenstimme:

„Verzeihen Sie, lieber Herr Generalkonsul, seien Sie nicht böse …“

„Aber, meine Gnädigste, wie können Sie nur denken ...“

„Herr Generalkonsul, ich möchte Sie zum Abendbrot, zu einer ganz unbelegten Butterstulle einladen. Würden Sie mir das Vergnügen schenken? Sie haben doch nichts vor?“

Der Konsul überlegte blitzschnell, dann schnalzte er bedauernd mit der Zunge:

„Ei, ei, ei, wie schade, ich habe eine Aufsichtsratsitzung heute abend, und da darf ich leider nicht fernbleiben.“

Die Dame am Apparat trommelte nervös auf dem Hörer herum.

„O, mein Lieber, Sie wollen wohl nicht? Sagen Sie, sind auch weibliche Mitglieder im Aufsichtsrat?“

„Ja, eine Dame,“ antwortete er.

„Das zeugt für unbescheidene Verhältnisse.“

Als der Speech zu Ende war und er den Hörer aufgelegt hatte, schnarrte er durch die Zähne:

„Alte Schachtel! Auf den Wohlstand hat sie es ja nur abgesehen. Nun erst recht nicht! Eine Witwe im reifsten Mannesalter haben wir nun doch nicht nötig!“

Und er ging zum kleinen Biedermeierspiegel hin, nahm eine fast militärisch stramme Haltung an, zwirbelte den Belgierschnurrbart etwas in die Höhe, so ungefähr wie es in einem ähnlichen Fall ein sehr ausgereifter Militärattaché tut, und dann machte er sich das Geständnis:

„Eberhard, das haben wir nicht nötig. So, wie wir gewachsen sind, jung, fesch und knusprig. Nein, verehrte Witwe Bolte alias Aurelia Hoppe, wir, mit erst 58 Jahren haben andere Ambitionen.“

Und der Herr Generalkonsul walzerte beinahe ätherisch durch den Raum. Dann setzte er sich in den Schreibtischstuhl und dachte über die Zukunft nach. Er atmete beschleunigt, denn die ungewohnte körperliche Uebung hatte sein Herz doch etwas angestrengt.

Wie alle Lebensphilosophen überlegte er oft und bedächtig:

„Ist es besser, einst einsam das Zeitliche zu segnen, oder soll eine liebende Hand dem Scheidenden die Augen zudrücken?“

Und immer wieder gelangte er zur Erkenntnis, dass die liebende Hand für ihn wichtig wäre. In solch ernsten Momenten fiel es dem Manne ein, dass nur eine selbstlose Frau in Betracht komme. Keine Frau Hoppe, die den Krösus von Berlin in ihm erblickte und sich lediglich versorgen wollte, auch keiner seiner Verwandten, die ihm jedes Jahr zum Geburtstag einige Sofakissen lieferten. Aber wer ist heute selbstlos? Wer naht sich mit dem Gedanken, einen alternden Herrn einst zu pflegen und auf seine Diät peinlich zu achten? Eberhard seufzte.

Nun fiel ihm Renate ein, Renate, seine Freundin, der Star der Komödie. Aber Renate, die mit allen Oberflächlichkeiten des Lebens bewaffnet war, war gewiss auch nicht die Richtige. Er ging immer von dem Gedanken aus, dass man eine Schauspielerin wohl lieben, vergöttern und verehren könne, aber zur Ehe? — Nein. Eberhard zeigte sich auch gern in der Oeffentlichkeit mit der berühmten Frau, sie war ihm jahrelang eine gute Freundin, allerdings, ohne viel Seele und Herz, aber ihre Ansprüche an Juwelen und Pariser Modellkleidern wurden grösser und grösser. In stillen Stunden überrechnete er den Etat für ihre Bedürfnisse und immer kam er zum Ergebnis, dass dies schliesslich nicht länger so bleiben könne.

Sich aber von ihr zu trennen, wäre ihm im Augenblick doch schwer geworden, denn sie kannte seine Eigenarten, und sie war eben die mondäne Frau, die ihm Lebensbedürfnis schien. Sobald er aber ganz in sich gekehrt, einsam und verlassen, fern vom Telefon, seine Stunden verbrachte, wurde er etwas schwermütig und dachte:

„Wie befreist du dich von Renate?“

Zu gleicher Zeit aber kam ihm der Gedanke: „Es wird schwer gehen, denn die ganze Stadt spräche von dieser Abdankungsurkunde. Und schliesslich: man gehört ja der Oeffentlichkeit an, und es gehört zum guten Ton, als Mann der vornehmen Gesellschaft mit einer Künstlerin eine Liaison zu haben. Ohne Künstlerin — man wäre ja nicht vollwertig. Man wäre ein regelrechter Spiesser.“

Als er wieder einmal so grübelte und über sein Schicksal nachdachte, hörte er von draussen einen bewegten Stimmenkampf. Renate und Brigitte! Renate war die erklärte Feindin seiner Hausdame.

Er hörte:

„Sie haben hier gar nichts hereinzureden, denn ich bin die Freundin des Herrn von Wittinghausen.“

„Gestatten Sie, gnädige Frau, ich lasse mir von Ihnen keine Massregeln geben!“

„Mein Name ist in ganz Deutschland bekannt. Ich bin eine Künstlerin von Ruf und habe es nicht nötig, mich mit einer Angestellten hier auseinanderzusetzen.“

„Gestatten Sie, ich setze mich nicht mit Ihnen auseinander. Ich sage Ihnen nur, dass Herr von Wittinghausen für niemanden zu sprechen ist. Ausdrücklich hat er mir befohlen …!“

„Für Andere, aber nicht für mich! Das merken Sie sich!“

„Ich richte mich nur nach den Befehlen des Herrn von Wittinghausen.“

Ein Lächeln huschte über die Züge Eberhards. Zu gleicher Zeit aber wurde er sehr nervös und etwas verlegen. Streit zwischen Frauen war ihm immer unangenehm, umso mehr, wenn es sich dabei um seine Person drehte.

Er stand auf, ging zur Tür, öffnete und sagte:

„Meine Damen, meine Damen, bitte nicht zu heftig, nicht zu stürmisch … Bitte, Renate, komm herein, für dich bin ich ja immer zu sprechen ...“ und zu Brigitte gewandt, meinte er: „Fräulein Brigitte, Sie haben es sicher gut gemeint, aber es gibt Dinge ...“ er stotterte „… wo … man eben Ausnahmen machen muss ...“

Brigitte stieg die Röte ins Gesicht:

„Herr von Wittinghausen, dann weiss ich wirklich nicht, wie ich mich verhalten soll. Sie haben ja …“

Er unterbrach sie:

„Jawohl, ich habe gewünscht, allein zu bleiben, aber lassen wir es schon gut sein.“

Brigitte biss sich auf die Lippen, machte kurz kehrt und verschwand wortlos.

Nun brach drinnen das Gewitter los.

Gewohnt, auch im Leben ihre schauspielerischen Künste spielen zu lassen, donnerte Renate ihren Freund mit gewaltiger, heroischer Stimme an. Sie gestikulierte in lebendigster Weise, stampfte heftig mit den kleinen Füssen auf, liess die Augen blitzen, und nun ergoss sich ein Hagel von lieblichen Worten über den armen Eberhard.

Er hörte ruhig zu, fuhr mit der rechten Hand oft über die Stirn, ein Zeichen seiner starken Gemütserregung, und plötzlich, als habe er einen Gedanken gefasst, einen Gedanken, der alles zunichte machen sollte, ging er zum Schreibtisch, um hier nach einem Etui zu greifen.

Das wusste er: eine Frau kann man nicht leichter entwaffnen, als wenn man sie beschenkt, und besonders eine Frau wie Renate.

Renate folgte mit den Blicken seinem Gebahren. Im Augenblick dachte sie: er wird doch nicht etwa zum Revolver greifen? Ihr Gesicht wurde etwas bleich, und ihr Wortschwall verstummte.

Aber statt eines Revolvers kam ein Smaragdring zum Vorschein.

„Gnädige Frau, gestatten Sie, wenn ich Sie unterbreche ...“

Er reichte ihr den Ring.

„Eberhard!!“ kam es von ihren Lippen. „Eberhard!“

„Es ist ja nicht der Rede wert. Du weisst doch, wie lieb ich dich habe.“

Stürmisch umfasste sie ihren Freund und wirbelte ihn wie toll im Kreise herum.

„Genug! Genug! Halt! Halt!“ rief er atemlos. „Kind, ich bin ja nicht mehr der Jüngste.“

Sie lachte hellauf, dass man ihre blendendweissen Zähne sah, und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küsste ihn regelrecht, nach allen Paragraphen der hohen Schauspielkunst, ab.

Eberhard warf sich in den Sessel. Er war reichlich erschöpft.

„So, jetzt bin ich tot,“ erklärte er. „Meine Jugend ist, liebes Kind, schon längst begraben.“

Renate hatte Instinkte für so etwas. Sie kannte seine Schwächen.

„Nein, mein Lieber, du bist kein alter Mann, und du musst wieder heiraten. Du musst eine Frau haben, die repräsentiert.“

Er horchte auf:

„Ich soll also wieder Ehemann werden? Wer wird mich an den Altar führen wollen?“

Sie lächelte.

„Moi! Ich! Ich höchstpersönlich!“

Eberhard wieherte auf. Das kam ihm etwas plötzlich.

„Renate! Du machst mir ja Spass! Du machst mir ja Laune! Also du … also ich … wir beide ...? Kind, das ist ja zum Schiessen komisch ...“

Renate nahm einen ernsten Gesichtsausdruck an. Es hatte den Anschein, als kreiere sie eine sehr tragische Rolle.

„Eberhard, das ist kein Scherz von mir! Eberhard, die Zeit verlangt es.“

Er blickte sie starr an. Dann wiederholte er:

„Die Zeit verlangt es? Weisst du denn nicht, dass es viel besser wäre, wenn man sich mit solchen Gedanken nicht beschäftigte?“ Und dann fuhr er nach einer Pause fort:

„Kannst du es schöner haben, als du es hast? Du bist ein freier Mann bezw. eine Freifrau, hast keine Verpflichtungen, brauchst mir keine ewige Treue zu schwören …“ In Wirklichkeit aber war er eifersüchtig wie Othello. Er brauchte nur an seinen Freund zu denken, mit dem man sie, wie man ihm sagte, öfters sah.

Sie fiel ihm ins Wort: „Hallo, Eberhard. Diese Version gibt mir zu denken … Strolch, du betrügst mich …“

Er wehrte ab. „Ich dich betrügen? So abgeschmackt bin ich nicht.“

Nun wurde sie schmiegsam wie eine Schlange. Sie ringelte sich mit ihren Gedanken und mit ihren Armen um den Konsul.

„Eberhard, ich muss ein ernstes Wort mit dir in dieser Stunde sprechen. Du weisst, ich liebe dich. Die Voraussetzungen zu einem grossen Glück sind gegeben. Und sicher: wir werden vernünftig zusammen leben ... du, ich, ich, du, kurz: wir. Hat das Leben denn irgendwelchen Endzweck, wenn man keine Ideale hat, wenn man dahinlebt, wie zwei Menschen, die parallel dahinjagen …?“

„Das ist mir zu hoch,“ erwiderte er. „Du weisst, ich liebe keine Biedermeiereien, und, verzeih mir, liebe Renate, aus deinem Munde klingen solche Worte höchst wunderlich … Du bist Schauspielerin, du gibst das Leben anderer in deiner Kunst wieder, und du …“

„Jetzt sage nur noch, ich empfinde nicht, ich fühle nicht und ich sehe meine Gestalten, die ich wiedergebe nicht vor mir.“

„Mag alles sein, aber ihr Schauspielerinnen und Schauspieler spielt in der Komödie Leben, und im Leben Komödie.“

„Weisst du, Eberhard, gelinde gesagt ist das eine Frechheit. Vor zweihundert Jahren oder dreihundert Jahren, so um Molieres Zeiten herum, waren die Komödianten Menschen, die als unehrlich galten, die vom Priester nicht einmal die letzte Oelung bekamen … Also versetzt du mich in diese Zeit … Das ist ja sehr lieb von dir, aber mein lieber Freund, so geht das nicht weiter.“

„Und was soll werden?“

„Was werden soll? Ich will Frau Generalkonsul von Wittinghausen heissen.“

Er stand auf, sprach kein Wort und rannte mit grossen Schritten im Zimmer hin und her.

Dann wiederholte er mit farbloser Stimme: „Frau Generalkonsul von Wittinghausen … von Wittinghausen … Ueberfallkommando auf den Herrn Generalkonsul von Wittinghausen.“

Sie erblasste, zitterte vor Wut, und dann schrie sie laut auf:

„Mein Lieber, diesen Zustand ertrage ich nicht mehr länger … Zur Freundin bin ich nicht auf Lebensdauer prädestiniert.“

Irgendein Gefühl sagte ihm: „Vielleicht tust du Unrecht an dieser Frau.“ Aber dann machte dieses Gefühl wieder kehrt.

„Nein, mein Kind, ich eigne mich nicht zu der Hausbackenheit eines Ehemannes. Ich will nicht. Ich kann nicht.“ Diese Worte stiess er heftig und überzeugend hervor.

Sie aber erklärte nun hart und bestimmt:

„Wir werden ja sehen, wer Sieger bleibt. Du oder ich.“

„Zu deutsch also: Du willst mich unter die Haube bringen. Die ganze Art sagt mir, dass ich ein Pantoffelheld werden soll.“

Eine Pause folgte. Dann fuhr er fort: „Nein, Renate, darauf gehe ich nicht ein. Und es wird auch so gehen. Wenn es aber nicht so gehen sollte, und du dein Köpfchen durchsetzen willst, dann darf ich dir sagen, dass wir uns in aller Freundschaft trennen.“

Sie erfasste die letzten Worte, nahm ihre Handschuhe und sagte:

„Mein lieber Eberhard, ich gebe dir Bedenkzeit bis morgen. Morgen wirst du wieder vernünftig sein und deiner zukünftigen Frau reumütig Abbitte leisten.“

Nach diesem Vorfall sass der Generalkonsul Eberhard von Wittinghausen sorgenvoll in seinem Fauteuil und grübelte.

Er fand in dieser stillen Stunde doch, dass er nicht mehr der Mann war, der für den Widerstand geeignet war.

Der Gedanke einer Ehe mit seiner Freundin liess ihm keine Ruhe.

„Vielleicht macht sie mich doch glücklich,“ überlegte er.

Wie bei allen alternden Herren machte sich die Ueberzeugung breit, dass eine Frau die Sorgen und Gebrechen des Spätsommers des Lebens zu mildern vermochte. Er dachte an seine Magenbeschwerden, an seinen chronischen Hexenschuss, und an hundert andere Dinge, die das Leben oft stören. Jünger wird man auch nicht … kurz das Alter braucht Pflege und Schonung. „Vielleicht ist sie doch die Richtige.“

Zwei Stunden später begab er sich in das Eden-Restaurant, um dort zu soupieren.

Viele Menschen hatten sich eingefunden, um diesen Abend bei einer schönen Speisekarte gemütlich und fröhlich zu verbringen. Eberhard sass nahe bei der Musik und genoss die schwermütigen Klänge eines malayischen Liedes. Da fiel sein Blick auf den Stehgeiger, einen auffallend schönen Menschen, der mit seinen feurigen Augen unverwandt nach einer Richtung schaute. Seine Blicke schienen erwidert zu werden, es huschte ein überlegenes Lächeln über seine Züge. Wem galten diese Blicke? Eberhard war neugierig. Am Fenster sass eine Frau mit einem tiefen Dekolleté. Und neben dieser Frau ein eleganter, charmanter Mann, recht zärtlich tuend, recht innig … Dieser Herr war sein junger Freund, und diese Dame — heiss ging ein Blutstrom durch seinen Körper — diese Dame war sie, war Renate, die Geliebte, die vor wenigen Stunden noch allen Ernstes ihm einen veritablen Heiratsantrag machte.

Der Herr Generalkonsul war auf alles gefasst, aber auf diese Situation war er nicht vorbereitet. Im Augenblick schien es ihm, als sei sie der Vorgeschmack der Ehe. Man hatte ihn also doch richtig unterrichtet.

Er seufzte erregt. Und als der Kellner ihm die Suppe brachte, schlug er heftig Wellen im Bereich des Tellers. Er rief den Kellner zurück:

„Herr Ober, ich mag keine Suppe, nehmen Sie sie wieder zurück!“

Der Ober sah ihn erstaunt an:

„Der Herr sind wohl nicht damit zufrieden?“

„Mit der Suppe, ja, aber nicht mit der Umgebung!“

Dann überlegte er.

„Es ist immer gut, wenn man die Situation richtig erfasst.“ Er stand auf, rückte die Krawatte gerade, hüstelte nervös, strich über seine angegrauten Schläfen und ging an den Tisch der beiden Glücklichen.

Die Glücklichen waren so miteinander beschäftigt, dass sie zuerst seine Anwesenheit gar nicht bemerkten. Er räusperte, aber die beiden merkten immer noch nichts. Dann legte er die linke Hand auf die Schulter seines Freundes. Beide schreckten auf.

„Du!?“

„Du!?“

Der Weltmann lächelte: „Jawohl, ich! Ich habe mir erlaubt, heute hier zu essen.“

„Eberhard,“ sagte sie verlegen.

„Nun ja, Zufall, dass man sich trifft.“

Der junge Regierungsrat fand sich rasch in die Situation. Er hatte ja nicht umsonst die diplomatische Karriere eingeschlagen.

„Eberhard, du siehst, wenn man nicht mit jungen Damen ausgehen will und immer … Wir haben uns beide zufällig getroffen, und weil wir beide gerade heute unseren freien Tag hatten, sind wir hierher geschlendert.“

Eberhard war klug genug, nicht etwa den Eifersüchtigen zu spielen, und er gab seinem jungen Freund recht.

Renate spielte nach wie vor die Erstaunte.

„Nein, so ein Zufall, Berlin ist doch wie ein Dorf.“ Dann wandte sie sich ihm etwas zärtlicher zu, tätschelte seinen Arm und meinte:

„Eberhard, Hardi, du bist doch ein vernünftiger Mensch. Ich glaube, ohne dich könnte ich nicht leben.“

Hardi ward etwas spöttisch.

„Aber Renate, ich bin sicher, dass Franz Wilhelm mich ganz und gar ersetzen könnte. Sieh mal, Franz Wilhelm ist jung, ist fesch und ein ausgezeichneter Gesellschafter — wie ich vorhin bemerken konnte.“

Renate sah ihn gross an.

„Was heisst vorhin?“

Sie wurde etwas verlegen, denn ihre Selbstbeherrschung war schon etwas ins Wanken geraten.

Eberhard schien die Worte zu überhören, und er sagte:

„Meine Herrschaften, amüsieren Sie sich gut, ich möchte nur bezahlen, und dann will ich gehen.“

„Wo sitzt du denn, Eberhard?“ fragte sie möglichst unbefangen.

„Dort drüben.“

Plötzlich entschloss sich Renate, ihren Freund zu begleiten. Kurz erklärte sie:

„Ich gehe mit.“

Er hob die rechte Hand.

„Renate, du wirst nicht mitgehen. Du hast hier Verpflichtungen.“

Dem jungen Freund wurde die Sache etwas unbehaglich.

„Aber lieber Konsul, ich bitte Sie, verfügen Sie doch ganz über Renate. Sie haben ja ältere Rechte, und ich trete in den Hintergrund.“

„Sehr diplomatisch gedacht,“ erwiderte Eberhard. „Ein solches Opfer kann ich von Ihnen nicht annehmen.“

„Meine Herrschaften, ich empfehle mich!“

Er nahm Renates Hand und führte sie zum Mund.

Dann gab er dem jungen Freund die Rechte und mit festen Schritten entfernte er sich.

Renate konnte nicht umhin, sich umzudrehen. „Ob er wohl allein hier ist?“ dachte sie. Peinlich war ihr aber doch der Vorfall.

Draussen in der Budapesterstrasse dachte Eberhard über Renate nach. Sicher würde das eine sehr flotte Ehe werden, meinte er. Doch besser, man heiratet nicht. Man hat wenigstens keine Herzbeschwerden.

Die Sache hatte ihn aber doch mehr erregt, als er sich eingestehen wollte.

Renate, diese schöne Frau, diese ausgezeichnete Künstlerin auf der Bühne, diese entzückende Gesellschafterin, hatte er doch im Laufe der letzten drei Jahre ganz lieb gewonnen.

Er, der Einsame, hatte mit ihr schöne Stunden verbracht, und manchesmal schien es ihm, als sei er restlos glücklich in ihrer Nähe. Tag und Nacht beschäftigten sich seine Gedanken mit ihr, und wenn sie nicht bei ihm war, so fehlte ihm etwas. Es fehlte ihm nicht nur dieses Etwas, mit allen Nerven und Gedanken sehnte er diese interessante Frau herbei. Das Leben ohne sie schien ihm inhaltlos.

Dieser Abend aber warf alles auf Stunden über den Haufen. Er dachte: „Sie ist treulos und falsch, wie sie alle treulos und falsch sind, diese Frauen von heute.“ Seine Gedanken kreisten um sie, und eine Bitterkeit stieg in ihm auf. Plötzlich war er wie ein junger Liebhaber erregt und bewegt. „Man müsste den Kerl niederschiessen,“ sagte er, „man müsste die Waffe auf ihn richten, auf ihn, auf sie und auf mich.“ Dann aber lachte er hellauf: „Das sind ja die Allüren eines Studenten oder eines jungen Künstlers. Sie hatte ja alle Freiheit.“

„Du sollst nicht töten, Eberhard. Töten ist Sünde. Morden ist das Vorrecht der geistig Minderwertigen.“

Er überlegte hin und her, schaltete das Herz aus, und seinen Verstand ein. „Sie sollen alle leben und glücklich werden,“ entschied er.

„Vielleicht sind die beiden das richtige Paar. Man kann nicht wissen.“ Dann wurde er realistisch in seinen Reflaktionen.

„Ich werde Renate, wenn sie damit einverstanden ist, ausstatten, damit sie ein sorgenloses Dasein führen kann.“

Plötzlich aber wieder kam es ihm zum Bewusstsein, dass es doch besser wäre, wenn ein Mann wie er, ein Mann in den allerreifsten Jahren, doch eine Frau hätte. Er kam sich vor wie ein von der Herde abgeirrtes Tier, das den Familienanschluss verpasst hat.

In diesem Augenblick klopfte es.

Wie aus Träumen geschreckt, rief er:

„Herein, Herein!“

Vor ihm stand Brigitte. Brigitte, die Hausdame, Brigitte, das feine, zartempfindende Wesen, das über alles im Hause schaltete.

Brigitte brachte heute selbst den Tee. Der Generalkonsul war bass darüber erstaunt. Freundlich fragte er sie:

„Fräulein Brigitte, Sie bringen mir selbst ...“

„Jawohl, Herr Konsul.“

Wohlwollend betrachtete er das hübsche Mädchen mit den vornehmen, edlen Gesichtszügen.

Seine Blicke weilten länger auf ihr als je zuvor.

Erst heute bemerkte er, wie ihre Augen leuchteten, und wie der Mund zu lächeln verstand. Blendend weisse Zähne hinter frischem Rot. Ihre Wangen hatten den zarten Hauch von Pfirsichen. Und die ganze Gestalt verriet einen Charme und eine Grazie, wie man sie selten sah.

Immer mehr hatte sein Gesicht sich aufgehellt. Renate schien plötzlich vergessen zu sein. Das Seelenbarometer stieg von schlechtem Wetter urplötzlich auf Schön.

Und mit dem Steigen dieses Barometers kam Eberhard von Wittinghausen der Gedanke, dass diese Frau in ihrer Jugendfrische und Reinheit begehrlicher war als all diese mondänen Frauen mit ihrer auffälligen Eleganz und ihren gezierten Manieren, und die nur den Zweck verfolgten, Männer zu betören und sich ihnen botmässig zu machen.

Und was war Renate? In diesem Augenblick fiel ihm der letzte Schleier von seinen Augen. Renate hasste er in dieser Minute. Ihm kam die Erkenntnis, dass sie nichts anderes war als mondäne Dutzendware. Das Bild des Abends im Eden-Hotel erschien ihm und mit einem gewissen Unwillen warf er diese Erinnerung von sich.

Brigitte, die Hausdame, hatte entschieden das Uebergewicht bekommen.

Sie sah ihn fragend an:

„Herr Konsul, Sie haben wohl etwas Schönes erlebt?“

Und der Herr Konsul nickte wohlwollend.

„Allerdings!“

„Darf man wissen, um was es sich handelt?“

Es war keine Neugier von ihr, es war ein gewisser Grad von menschlicher Teilnahme und von Interesse.

Eberhard machte ein überkluges Gesicht. In seinen Zügen lag Frohheit, Wohlbehagen und auch Güte. Lag etwas, was sie noch nie bisher bemerkt hatte.

„Herr Konsul, verzeihen Sie, Sie haben heute etwas ganz Rätselhaftes an sich.“

„Finden Sie, Brigittchen?“

Das „Brigittchen“ war ihr ganz neu. Nun war die Fröhlichkeit an ihr.

„Aber Herr Konsul, was haben Sie denn nur?“

Mit fast sachlichem Ernst erklärte er:

„Mein Kind, ich habe soeben entdeckt, wie reizend und entzückend Sie sind.“

Sie wollte abwehren, die Situation war ihr nicht ganz geheuer. Er aber fuhr fort:

„Verneinen Sie nichts … Ich bin ein alter gediegener Menschenkenner, und Sie sind noch viel zu jung, verzeihen Sie, um vielleicht das Gegenteil davon zu behaupten.“

Sie versuchte, ihn zu unterbrechen. Er aber liess sich nicht beirren.

„Ich kenne Sie mehrere Jahre, wir haben sozusagen Freud und Leid zusammen getragen. Sie haben mir oft einen vernünftigen Ratschlag gegeben, Sie, die kleine, reizende Brigitte, mit dem klaren Menschenverstand.“

„Herr Konsul, das ist zuviel des Guten … Aber ich weiss wirklich nicht … Um was handelt es sich eigentlich?“

Der Herr Generalkonsul setzte sich wieder in seine bekannte Positur. Er räusperte sich einige Male und dann ging es los.

„Brigitte, wie Sie wissen, hatte ich eine Freundin ...“

„Hatte …?“ kam es von ihren Lippen.

Er nickte. „Hatte … Ich glaube, die Sache gehört der halben Vergangenheit an. Diese Frau ist mir nicht treu … Ich glaube, es wenigstens vermuten zu können ...“

Brigitte war etwas betroffen über diese Erklärung. Nun sagte sie:

„Kann man einen Mann wie Sie betrügen?“

Er lachte hellauf. „Man kann.“

„Herr Konsul, ich darf Ihnen wohl sagen, dass ich mich nicht gerne in solche Dinge mische. Eine Frau, die einen Mann liebt, würde sich auch jeden Einspruch von anderer Seite recht sehr verbitten.“

Eberhard war darauf nicht vorbereitet.

„Liebes Kind, Sie sind doch meine treue Beraterin. Sie sind meine Hausgenossin, Sie sind …“ Er suchte nach Worten, nach Worten, die etwas Liebes ihr sagen sollten. Aber er, der Weltmann, war plötzlich nicht fähig, auf dieser Linie, die er so schön beschritten hatte, weiterzugehen. Die profanen Worte, die er Renate gegenüber immer gebrauchte, erschienen für diese Frau hohl und abgeschmackt. Er zögerte, machte eine lange Pause, und während Brigitte etwas nervös mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte, fand er plötzlich wieder zu sich selbst zurück.

„Kurz und bündig … Ich bin kein Maun von Phrasen und Rankwerk, ich sage es Ihnen offen heraus: Brigitte, ich habe Zuneigung zu Ihnen gefasst.“ Und er, der Routinier Frauen gegenüber, war plötzlich befangen wie ein Primaner.

„Also kurz und bündig,“ setzte er wieder an, „ich möchte, dass unser Verhältnis von heute an sich ändere.“

Sie stand ihm erstaunt gegenüber.

„Was wollen Sie damit sagen?“

Er streckte beide Arme aus, und es hatte den Anschein, als wollte er diese reizende kleine Frau umfassen. Brigitte wich zurück. Eine jungfräuliche Scham trieb ihr die Röte in die Wangen.

„Seien Sie ganz vernünftig, es ist mein vollster Ernst … Brigitte, ich möchte, dass Sie immer an meiner Seite bleiben.“

„Herr Konsul,“ gab sie zurück, „Herr Konsul,“ wiederholte sie, „ich bin kein Mädchen, das sich zur Freundin eignet.“

„Das weiss ich, dafür kenne ich Sie zu genau, und darum … möchte ich Sie — heiraten.“

Brigitte stand verwirrt da. Wenn sie an alles dachte, auf diesen Gedanken wäre sie nie gekommen.

Ihr Atem flog, ihre Augen irrten unruhig im Zimmer umher, sie wusste nicht, war es Ernst, war es Scherz.

Eberhard schritt auf sie zu, erfasste ihre Hände und küsste sie. Sie suchte abzuwehren. Er aber lächelte und sagte:

„Nicht doch, Brigitte.“

„Herr Konsul …“