Wenn Liebe schweigt - Liane Sanden - E-Book

Wenn Liebe schweigt E-Book

Liane Sanden

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Beschreibung

"Tiefblaue Augen, blau wie die See an Sommertagen, blickten weit offen und klar hinaus in die graue Weite des Meeres und des Himmels; durch die eigentümliche Umsäumung von tiefschwarzen Wimpern bekamen sie ein intensiveres und tieferes Leuchten, das Haar, welches sich unter dem Regenhut hervorstahl, war von einem samtigen Braun, spielte ins Gold hinüber und hatte die Farbe eben aufgesprungener Kastanienfrüchte. Der Wind wehte eine Strähne dieses goldigen Braungespinstes dem Mädchen in die Stirn – energisch strich sie es beiseite. Mit Entzücken sah Rupert Sartorius dabei die schön modellierte Stirn, die rein und klug war. Zu dieser Stirn, zu diesen Augen paßte die schmale, aristokratische Nase mit den leicht bebenden Flügeln – paßte der holde Mund, weich und schwellend in seiner keuschen Unberührtheit – und doch lag in der Buchtung der Lippen Energie und Willen." Kein Wunder, dass der Maler Rupert Sartorius dieses holde Wunderwesen, dem er im Seebad begegnet ist, sofort malen muss. Dann jedoch wird er der jungen Frau sogleich noch viel tiefer, ja schicksalshaft verbunden, als sie zusammen einen kleinen Jungen vor dem Tod durch Ertrinken retten. Doch als er weiter nach der Herkunft der jungen Frau forscht, stößt er auf Stacheldraht und scharfe Hunde. Fräulein Elke Hilversen wird von ihrer bösartigen Tante Freda von Hilversen streng bewacht, die verhindern will, dass Elke ein ähnliches Schicksal ereilt, wie ihre Mutter, die Opfer von allzu großer Liebe wurde. Inzwischen aber hat sich auch Elke unsterblich in den jungen Maler verliebt, dem sein Ruf vorausgeeilt ist. Sie beschließt, mit dem Geliebten vor der verbitterten alten Tante zu fliehen ... Doch da ist auch die schöne Blanche Duprès, die bekannte Sängerin der Großen Oper in Wien, mit der Sartorius zuvor geflirtet hat, und die ihn nicht einfach so gehen lassen will und ihre eigenen Pläne schmiedet. Fern in Amerika erfüllt sich ihr Schicksal ... Ein tiefinniger Liebesroman, der zu Herzen geht und berührt!-

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Liane Sanden

Wenn Liebe schweigt

Roman

Saga

Wenn Liebe schweigt

© 1934 Liane Sanden

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711593394

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Erstes Kapitel

Nordwest sauste über die Insel. Brüllend warf er die Wellen an das Bollwerk. Hochauf bäumten sich ihre glasgrünen, durchsichtigen Leiber, schlugen mit wildem Anprall gegen die Steinmauern der Uferbefestigungen. Bis zum Horizont hin wogte es grau, unermesslich, mit weissen Schaumköpfen, die sich immer neu aufreckten, zusammenduckten und wieder emporkamen, als warteten die grossen graugrünen Wellentiere auf Beute.

Unaufhörlich schrillte das Nebelhorn vom Leuchtturm auf dem Nordende, denn über der See lag ein tückischer grauer Schleier, der die Sicht hinwegnahm.

Der Strand war menschenleer. Die meisten Badegäste sassen in den Hotels der Insel und wagten sich bei dem Sturm nicht heraus. Nur einige vermummte Gestalten in Mänteln und Wetterkapuzen schritten, gegen den Wind ankämpfend, über die Wiesen. Ein einsames junges Mädchen allein ging mit festen, gleichmässigen Schritten am Strande entlang. Der Ölmantel stand schwer und unförmig um die schlanke Gestalt. Der Südwester war, wie der eines der Schiffer, braun und verwittert, ohne Rücksicht auf Schönheit und Eleganz tief in das Gesicht gezogen. Aber das Gesicht darunter war von so unendlichem Reize, dass der Mann, der dort als einziger am Strande in einem Strandkorb sass, überrascht das Zeichenblatt sinken liess, um diesem jungen, seltsamen Menschenwesen nachzuschauen. Gerade ging sie auf ihrer einsamen Wanderung wieder an ihm vorbei — ihre Füsse, die in schweren, derben Wetterstiefeln steckten, gingen in kraftvollem Takte. Tiefblaue Augen, blau wie die See an Sommertagen, blickten weit offen und klar hinaus in die graue Weite des Meeres und des Himmels; durch die eigentümliche Umsäumung von tiefschwarzen Wimpern bekamen sie ein intensiveres und tieferes Leuchten, das Haar, welches sich unter dem Regenhut hervorstahl, war von einem samtigen Braun, spielte ins Gold hinüber und hatte die Farbe eben aufgesprungener Kastanienfrüchte. Der Wind wehte eine Strähne dieses goldigen Braungespinstes dem Mädchen in die Stirn — energisch strich sie es beiseite. Mit Entzücken sah Rupert Sartorius dabei die schön modellierte Stirn, die rein und klug war. Zu dieser Stirn, zu diesen Augen passte die schmale, aristokratische Nase mit den leicht bebenden Flügeln — passte der holde Mund, weich und schwellend in seiner keuschen Unberührtheit — und doch lag in der Buchtung der Lippen Energie und Willen. Unwillkürlich, fast ohne dass er es wusste, hatte Rupert Sartorius eine neue Seite in seinem Zeichenblock aufgeschlagen und mit hastigen Strichen eine Skizze des unbekannten jungen Mädchens begonnen. Wer mochte sie sein? Sicherlich kein Badegast. Kein weibliches Wesen hier in den Hotels würde so ohne Rücksicht auf äussere Reize in einem alten Schiffermantel und Südwester umherlaufen. Alle die jungen Damen, die aus den Städten hier in der Sommerfrische auf der Insel angekommen waren, fürchteten Sturm und Regen, der die mühsame Malerei auf ihren zurechtgemachten Gesichtern erbarmungslos zerstörte. Hier dies unbekannte Mädchen aber hatte die unzerstörbaren Farben der Natur und der Gesundheit — ihre Wangen trugen den weichen Bronzeton von Sonne und Wind und einen Hauch, wie reife Pfirsiche im Süden ihn bergen.

Wer sie auch war, sie war es wert, dass man dies süsse und stolze Mädchengesicht für die Skizzenmappe stahl. Erneut setzte er den Bleistift an, um die Profillinie noch einmal nachzuziehen.

Die Unbekannte, die bisher, ohne einen Blick auf den zeichnenden Mann im Strandkorb geworfen zu haben, unermüdlich ihren einsamen Spaziergang gemacht, schien den aufmerksamen Blick des Mannes zu fühlen. Sie wandte einmal flüchtig den Kopf zu ihm herüber. Der Blick ihrer leuchtendblauen Augen ging von seinem gebräunten, dunklen Gesicht auf das Zeichenblatt in seinen Händen. Rot floss über das schöne, noch kindliche Mädchengesicht, dann ging sie weiter.

Mit leisem Bedauern blickte Rupert der Davonschreitenden nach. Schade, er hätte gern noch eine Zeichnung gemacht, um alles von diesem Gesicht zu erfassen, was der Südwester nur enthüllte. Aber diese unbekannte Schöne schien über seine Aufmerksamkeit beinahe erschrocken. Mit leisem Seufzen nahm Rupert seine angefangene Wellenstudie wieder vor, um derentwillen er sich bei diesem Sturm hier in dem Strandkorb festgesetzt. — Unwillkürlich blickte er noch einmal in die Richtung rechts, dort ging das Mädchen mit den eigentümlich entschlossenen Schritten. Einen Augenblick überlegte er, ob er ihr nachgehen, sie ansprechen, sich entschuldigen sollte. Auf diese Weise hätte er am besten die Bekanntschaft dieses schönen Naturkindes gemacht.

Aber da, was war das? Die Fremde, die von ihm abgewandt am Strande entlanggegangen, hob plötzlich, von irgend etwas erschreckt, die Arme. Und nun setzte sich die ferne Gestalt in eine jähe Bewegung. Sie flog wie ein Pfeil am Strande entlang in der Richtung auf Rupert zu. Er sah gespannt und ohne etwas zu begreifen, ihr entgegen. Jetzt riss sie, immer im Laufen, den schweren Ölmantel ab, den Südwester vom Kopf, das weiche Haar, vom Winde erfasst, flog wie eine glänzend braune Mähne um das Gesicht. Nun war das Mädchen in dem rasenden Laufe nähergekommen, sie bewegte die Lippen und schien Rupert irgend etwas zuzurufen, aber der brausende Sturm verschlang ihre Worte. Rupert war unwillkürlich aufgesprungen und machte eine fragende Gebärde ihr entgegen. Da deutete sie mit einer wilden Bewegung der Angst geradeaus auf den Seesteg hinaus — Rupert wandte sich um. Da schrie auch er auf — nun hatte er begriffen: Auf dem einsamen Seesteg bewegte sich ein kleines Wesen — ein Kind, noch sehr klein, zwei, drei Jahre vielleicht — weiss Gott, wie es in diesem Wetter aus der sicheren Hut seiner Eltern hierher auf den sturmumbrausten Seesteg gekommen war. Nun versuchte es, mit seinen kleinen, unsicheren Beinchen auf das Geländer des Seestegs zu klettern. Schreckgelähmt stand Rupert, indes das unbekannte Mädchen schon wie ein vom Winde getriebener Pfeil an ihm vorüberschnellte — er sah Augen, in deren blauem Feuer eine eiserne Entschlossenheit brannte, und nun schrie auch er auf — das kleine Wesen da oben zog ein Beinchen über das Geländer, nun noch eins — man sah einen Augenblick den weichen runden Umriss des kleinen hellen Kinderköpfchens — da — der kleine Körper schwankte — zwei Ärmchen ruderten wild verzweifelt durch die Luft — wie von spielender Hand geschleudert, fiel das Kind wie eine Puppe hinunter in die haushoch aufschäumenden, gierigen Meereswogen. Der Wind, vom Seesteg kommend, trug einen schrillenden, dünnen Kinderschrei herüber — dann war alles vorbei. Nur der Sturm brüllte, und die Wellen leckten mit glasigen Zungen gieriger an dem Steg empor, als warteten sie auf ein neues Opfer.

Da riss sich Rupert aus seiner Erstarrung los — sein Wettermantel flog, von den Schultern geschleudert, rücksichtslos in den Strandkorb auf den aufgeschlagenen Skizzenblock, auch er rannte los, so schnell er konnte.

Aber das unbekannte Mädchen war schon weit vor ihm — im Laufen sah er, wie sie den Rock, der ihr eng um die Glieder lag, einfach abriss, schon war sie mit einem Sprung in die Wellen hinein, und nun tauchte ihr Kopf schon inmitten der gläsernen Wellenleiber auf. Rupert stand einen Augenblick spähend — dort hinten tanzte der kleine Kinderkörper hilflos auf den Wellen — und da war auch das Mädchen — mit wilden Stössen kämpfte es sich vorwärts — dem unglücklichen Kinde entgegen — aber sie verlor in dem Toben der sich überstürzenden Wasser augenscheinlich die Sicht. Sonst hätte sie sehen müssen, dass das Kind aus der Richtung abgetrieben wurde.

Auch Rupert sprang ins Wasser. Eiskalt stürzten die Wellen über ihm zusammen, peitschten seinen Körper durch die Kleider hindurch, wollten ihn ersticken in ihren würgenden Armen. Aber er zwang sich; sollte er sich beschämen lassen von jenem tapferen Mädchen, dessen lichter Kopf hin und wieder vor ihm aus dem glasigen Grün der Wellen auftauchte? Ach was, beschämen lassen? Hier ging es um mehr, ging es um ein Menschenleben, vielleicht um zwei. Denn wie lange das tapfere Mädel das Schwimmen in diesen mörderischen Wellen noch aushalten würde, war die Frage. — Gewaltsam zwang er sich, die Tempi ruhig zu nehmen; „gleichmässig atmen“ befahl er sich selbst — und nun ging es. So gut er konnte, hielt er Richtung links vom Seesteg, denn dorthin war die Gefahr des Abgetriebenwerdens am grössten. Und nun sah er, das Mädchen hatte das dunkle, auf den Wellen tanzende Menschenbündel erreicht — er hob eine Hand und winkte — und nun schwamm sie zurück, den kleinen Körper vor sich herschiebend. Aber die Kräfte hatten das tapfere Menschenkind doch verlassen, zu stark war die Gewalt der Wellen, die sich hochgetürmt immer erneut dem menschlichen Willen entgegenwarfen. Da schwamm Rupert der Unbekannten entgegen. Wie gut es war, dass er sich noch nicht ganz verausgabt hatte. Im Gegenteil, jetzt, da er die Unbekannte schwach werden sah, verdoppelten sich seine Kräfte in geheimnisvoller Weise. Noch ein paar Stösse, er war neben dem Mädchen, ergriff das bewusstlose Kind, welches sie mit letzter Energie durch die Wasser vor sich herschob, und stiess es vor sich her an Land. Das Mädchen, von seiner Last befreit, gewann nun auch wieder Mut. Kaum hatte Rupert das Kind an Land geschoben, kam auch sie mit einigen Tempi heran. Aber nun war es mit ihrer Kraft zu Ende. In dem seichten Wasser des Strandes blieb sie liegen und schloss erschöpft die Augen.

„Um des Himmels willen“, sagte Rupert erschreckt und legte das bewusstlose Kind vorsichtig in den Sand, um dem Mädchen beizuspringen.

Da öffnete die Unbekannte die Augen: „Lassen Sie“, flüsterte sie, „erst das Kind — — —.“ Sie schwieg.

Unschlüssig stand Rupert. Aber ein Blick auf das anscheinend leblose Kind zeigte ihm, wo die höchste Gefahr lag. Er achtete nicht darauf, dass der Wind seinen nassen Körper eisig durchschauerte, dass die triefenden Kleider wie ein Panzer aus Eis um die erschöpften Glieder lagen. Er trug keuchend das bewusslose Kind in den Schutz des Strandkorbes, riss die nassen Sachen von dem fühllosen kleinen Körper, mit fliegenden Händen schlug er seinen weichen Lodenmantel um den weissen kalten Kinderleib, und dann begann er langsam und gleichmässig die Ärmchen auf und nieder zu bewegen, immer auf und nieder, wie er es gelernt, um das Leben in den fühllosen kleinen Körper zurückzupumpen. Da hörte er ein leises Gehen im Sande. Das Mädchen kam auf ihn zu. „Sie werden sich auf den Tod erkälten“, sagte Rupert angstvoll, aber er konnte kaum zu Ende sprechen, denn auch ihm schlugen die Zähne aufeinander. Er fühlte einen Fieberschauer durch seine Glieder jagen. Wortlos kniete die Fremde in ihren triefenden Unterkleidern bei dem immer noch bewusstlosen Kinde — nahm Rupert die willenlosen Kinderärmchen aus der Hand — „laufen Sie bitte ins Dorf, holen Sie einen Wagen.“ So schnell seine fieberschauernden Glieder ihn tragen wollten, lief er davon. — Im Gehen hörte er noch, wie das Mädchen, das dort bei dem kleinen Kinde kauerte, plötzlich einen schluchzenden Laut der Freude ausstiess. „Es lebt“, hörte er sie rufen — er wandte sich um, das Mädchen hob das Kind mit einer unendlich mütterlichen Bewegung empor, schritt langsam und sorglich mit seiner Last über das dünne Gras des Deiches, kam Rupert nach. Wer mag sie sein? dachte Rupert, aber dann vermochte er nicht weiterzudenken. Gerade, dass er noch an die erste Hütte des Dorfes kam und dem erschreckten Fischer mit mühsamen Worten von dem Vorgefallenen berichten konnte. Er sah nicht mehr, wie ein kleiner Fischerwagen mit einem mageren Pferde hastig nach dem Deiche rollte. Er sank fieberglühend zusammen.

Zweites Kapitel

Erst nach einigen Tagen fand sich Rupert wieder bei Bewusstsein, und zwar in dem kleinen Krankenhause der Insel. Von der freundlichen Schwester Martha erfuhr er endlich, wer die Unbekannte war. Eine Nichte des Fräuleins von Hilversen, der Gutsherrin der kleinen Insel Seehöft. Das gerettete Kind gehörte einer jungen Schifferwitwe, die allein im letzten Hause von Venndorf wohnte. — „Und das junge Mädchen, ist es auch erkrankt?“ forschte Rupert besorgt. Schwester Martha lachte über ihr ganzes freundliches, rotbäckiges Gesicht: „Die Elke erkrankt? Die ist wie Eisen, Herr Sartorius, die ist von Kind an gewohnt, in jedem Wind und Wetter draussen zu sein, so ein kaltes Bad macht der ebensowenig wie einem Fisch.“ — „Wer ist eigentlich die junge Dame, Sie nannten sie Elke?“ fragte Rupert interessiert und richtete sich in seinen Kissen auf. „Erzählen Sie mir doch etwas Näheres darüber, wie kommt sie zu der Gutsherrin von Seehöft, von deren Schrullen man doch Wunderdinge erzählt.“

„Sie ist eine entfernte Verwandte des Fräuleins von Hilversen, sie wird dort erzogen.“

„Diese Gutsherrin von Seehöft soll doch die Landungsstellen ihrer kleinen Inselbesitzung mit Stacheldraht gegen unerwünschte Besucher gesichert haben und mit der Schrotflinte schiessen, wenn sich jemand Unbefugtes ihrem Grund und Boden nähern will!“

Schwester Martha lächelte: „Allerdings, sie schliesst sich gegen alle Fremden ab — ist von Jugend an hart und ungütig gewesen. Das hat sich mit den Jahren noch verstärkt.“

„Aber das junge Mädchen, diese Nichte Elke, wird die auch so hermetisch abgeschlossen? Sieht man die nicht einmal wenigstens hier bei den Veranstaltungen des Kurbetriebes?“

„Ach nein, das Fräulein von Seehöft hält ihre junge Verwandte genau so von den Badegästen abgeschlossen, wie ihren eigenen Besitz.“

„Aber ein junges Mädchen“, beharrte Rupert mit eigentümlicher Eindringlichkeit, „kann doch nicht leben wie eine alte menschenfeindliche Dame — das braucht doch ein wenig Lebensfreude.“

„Sie sollen doch nicht soviel sprechen, Herr Sartorius“, mahnte Schwester Martha energisch und schob ihrem Patienten das Thermometer unter die Achsel. „Fieberfrei“, sagte sie befriedigt nach zehn Minuten, „das ist also nun der dritte Tag ohne Temperatur, na, dann wird ja unser guter Doktor ein Einsehen haben und Sie herauslassen.“

„Gott sei Dank“, sagte Rupert mit einem Aufatmen. — Schwester Martha sah ihn mit komischer Entrüstung an: „Ich bin ja ganz gekränkt, haben Sie es denn so schlimm bei uns gehabt?“

„Liebe Schwester Martha“, erwiderte Rupert Sartorius herzlich, „was hätte ich wohl ohne Ihr Krankenhaus angefangen und ohne Ihre treue Pflege? Aber schliesslich bin ich ja doch nicht zum Kranksein hergekommen.“

Aber warum er sich so sehr heraussehnte, das verriet Rupert Schwester Martha nicht; das Bild dieser jungen Elke hatte ihn während seiner ganzen Krankheit nicht verlassen, nicht im Wachen und nicht im Traum. Er musste sie wiedersehen. Bald! Um jeden Preis.

Doch vergeblich schaute Rupert in den kommenden Tagen nach der schönen Unbekannten aus — nie wieder war sie am Strande zu sehen. Wie oft war es, dass er in der Schar der Badegäste von weitem eine Mädchensilhouette erblickte, in der er Elke wiederzuerkennen glaubte. Eilte er dann nach, so hatte eine flüchtige Ähnlichkeit ihn genarrt. Nach acht Tagen hielt es ihn nicht mehr. An einem strahlenden Sommermorgen mietete er sich ein Segelboot von Fischer Gau und fuhr nach Seehöft, der Besitzung des Fräuleins von Hilversen, hinüber.

Die hohen Pappeln, die das Ufer säumten, schlossen die kleine Insel in einen undurchdringlich dichten Laubwall. Einsam träumte ein kleiner Kahn an dem Bollwerk. Die Bootskette schlug leise gegen das Holz des Pfahles. Eine dichte Mauer von Stacheldraht schloss den ganzen Uferrand der kleinen Insel ab. Die Pforte, die von dem Landungssteg hineinführte in die kleine Sommerwildnis, war mit einem schweren, altmodischen Vorhängeschloss versperrt.

Rupert trieb sein Boot dicht ans Ufer, zog die Segel ein und spähte vergebens, wo man hier an Land gehen könnte. Endlich entschloss er sich, an der alten verrosteten Klingel zu ziehen. Ein dünnes, jämmerliches Läuten ertönte. Na, mit dieser Glocke weckt man noch nicht einmal eine Katze, musste Rupert denken. Aber er hatte sich geirrt. Nach einer Weile schlürften Schritte aus dem sommergrünen Laubdickicht — ein alter Mann in einer verschlossenen Livree kam hervor. „Sie wünschen?“ fragte er und sah mit unverhohlenem Misstrauen auf die elegante Gestalt Ruperts in dem hellen Segeldress.

„Kann ich Fräulein Elke Hilversen sprechen?“ Rupert reichte aus dem Segelboot seine Karte dem Alten hinauf. Der nahm die Karte gar nicht.

„Unser Fräulein ist überhaupt nicht zu sprechen“, war seine mürrische Antwort.

„Hören Sie“, sagte Rupert scharf, „wenn Sie jetzt nicht augenblicklich meine Karte nehmen“, er tat einen Sprung aus dem Segelboot und hatte bereits die Hand an dem Griff, mit dem der Alte die kleine Tür geöffnet hatte, „dann gehe ich allein, um zu sehen, ob Fräulein Elke Hilversen für mich zu sprechen ist. Wir haben neulich zusammen einen kleinen Jungen aus dem Wasser gezogen, und ich möchte nur hören, wie es ihr nach diesem kalten Bade ergangen.“

Der Alte sah mit einem erschrockenen Gesicht auf Rupert: „Dann kann ich ja die Karte hineintragen“, sagte er, „aber viel nützen wird’s nicht, und ich würde Ihnen nicht raten, mein Herr, mir nachzukommen, wir haben Hunde, die auf den Mann dressiert sind.“

Das scheint hier ja ein reizendes Paradies zu sein, musste Rupert denken, als der alte Diener wieder abschlürfte. Stacheldraht, scharfe Hunde, möcht’ wissen, ob’s hier denn noch andere Kostbarkeiten zu bewachen gibt, ausser der reizenden jungen Elke.

Doch er kam nicht dazu, weiter nachzudenken. Schon nahten sich wieder Schritte, aber diesmal andere, feste, dazwischen ein taktmässiges Aufschlagen eines Stockes — die Zweige der tief herabhängenden Bäume teilten sich — vor ihm stand eine eigentümliche Gestalt — in hohen Stulpenstiefeln und einer Art Hose, die aber zugleich ein Rock war, darüber eine alte Joppe. — Diese erstaunliche Erscheinung, sehr lang und unglaublich dürr, hatte ein verwittertes, scharfes Vogelgesicht unter einer männlichen Schirmmütze. Zwei dunkle Augen, scharf und feindlich, spähten hinter einer enormen Hornbrille hervor. Rupert unterdrückte mühsam ein Lächeln. Also das war dies sagenhafte Fräulein von Hilversen, das mit Schrotflinte auf unliebsame Gäste zu schiessen gewohnt war. Nun, heute hatte sie zwar keine Waffe bei sich, aber der Blick, mit dem sie den vor ihr stehenden Mann musterte, verhiess nichts Gutes.

„Sind Sie noch immer hier, mein Herr?“ fragte sie mit einer knarrenden männlichen Stimme. „Der alte Lars hat Ihnen doch deutlich genug erklärt, dass wir keine Besuche auf Seehöft wünschen.“

„Verzeihen Sie“, erwiderte Rupert so ruhig er konnte, „ich glaubte, dass Sie in einem Falle eine Ausnahme machen würden, mein gnädiges Fräulein.“

„Der Teufel hole Ihr gnädiges Fräulein“, grollte die Angeredete. „Wer sind Sie eigentlich, Herr, dass Sie sich erlauben, hier an meinem Bollwerk zu landen.“

„Ach, hat der Diener verabsäumt, meine Karte abzugeben?“ fragte Rupert, und tat, als verstände er die Worte der wütenden Dame falsch, „dann gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle.“

„Ich gestatte nichts.“ Das alte Fräulein stiess wütend seinen Stock auf die Holzdecke des Stegs. „Ich bin nur selbst gekommen, um Ihnen klarzumachen, dass wir Ihre Annäherung hier auf Seehöft durchaus nicht wünschen.“

„Sprechen Sie auch im Namen Ihrer Nichte, gnädiges Fräulein?“ fragte Rupert ruhig.

„Ich spreche immer im Namen meiner Nichte, die zu tun und zu lassen hat, was ich wünsche. — Und nun ein für allemal, nur weil Sie mit meiner Nichte zusammen dies dumme kleine Balg aus dem Wasser gezogen haben, darum wünschen wir doch durchaus nicht, irgend etwas mit Ihnen zu tun zu haben. Und nun werden Sie sich wohl entfernen.“

Rupert machte eine stumme Verbeugung und sprang ins Boot zurück. Fürs erste war hier nichts zu machen. Dies Mannweib von Tante schien tatsächlich von einem geradezu krankhaften Menschenhass besessen. Aber man würde ja sehen, ob man diesen Drachen nicht überlisten konnte. Er war nicht der Mann, etwas aufzugeben, das er sich ernstlich vorgenommen. Und dass er seine kleine Wasserjungfrau mit den meerblauen Augen und dem samtigen Goldbraun des Haares wiedersehen würde, das lag fest in seiner Seele beschlossen. Er wandte das Segel und fuhr aus der kleinen Bucht von Seehöft — noch von fern sah er, wie das alte Fräulein, auf den Stock gestützt, ihm mit einem misstrauischen und empörten Gesicht nachblickte. —

Als Rupert ins Hotel zurückkam, war sein erster Gang zu dem Wirt.

„Hören Sie, Herr Kruse“, sagte er harmlos, „können Sie mir nicht sagen, wo der kleine Junge wohnt, den ich mit dem Fräulein vom Seehöft zusammen aus dem Wasser geholt habe? Ich möchte mal nach ihm sehen und ihm etwas bringen.“

„Gewiss, Herr Sartorius, gerade im letzten Hause drüben in Vendorf wohnt der kleine Malte. Recht verwöhnt wird der kleine Bengel seit seinem Unfall, auch das junge Fräulein von Hilversen kommt oft zu ihm.“

„So, das Fräulein von Hilversen — kommt öfters hier herüber, Herr Kruse?“

„Alle Montag, doch, Herr Sartorius, wenn sie drüben in Vendorf Besorgungen für die Woche macht. Früher kam das alte Fräulein, aber das kann wegen der Gicht nicht mehr auf den Wagen klettern, und so macht’s das Fräulein Elke.“

Rupert ging sehr befriedigt dem Strande zu — noch zwei Tage, dann war Montag, und trotz Teufel und alten Tanten würde er Elke wiedersehen. In den nächsten beiden Tagen arbeitete er eifrig an der Skizze, die er von ihr gemacht. Bald war ein Pastellgemälde fertig, aus dem Elkes süsses, reines Gesicht wie lebend herausblickte.

Drittes Kapitel

Am Montag morgen war Rupert schon frühzeitig von seinem Hotel in Klosters aus nach Vendorf gewandert. — Das Haus, in dem Malte mit seiner Mutter wohnte, lag ganz am Ende, dort, wo das Dorf in den Sand der Heide überging. Rupert postierte sich mit seinem Malbuch dicht vor dem Haus, das mit seinem tief herabgezogenen Strohdach, dem blühenden Holunder und dem kleinen, sommerbunten Gärtchen davor wohl ein Malerauge anlocken konnte. Er sass kaum eine halbe Stunde, als der kleine Malte, blondschöpfig und rotbäckig auf seinen dicken Beinchen aus der niedrigen Kate herauskam und mit neugierigen Blicken den fremden Malersmann betrachtete.

Er erkannte natürlich seinen Retter nicht. Aber Rupert wusste sich bald bekannt zu machen. Aus seiner Tasche holte er eine Tüte mit Schokoladenstückchen hervor und hielt sie dem kleinen Blondkopf hin. Mit aufleuchtenden Augen griff der Junge zu. Dann nahm Rupert ein paar abgebrochene Farbstifte, riss aus seinem Skizzenblock ein Stück Zeichenpapier. „Da“, sagte er aufmunternd, „nun darf sich Malte hinsetzen und auch so schöne Bilder malen wie der Onkel.“

Der Kleine starrte ihn erst einen Augenblick misstrauisch an. Rupert legte das Zeichenpapier und die bunten Stifte nebst der Tüte in einiger Entfernung von sich auf das Gras und fuhr in seiner Arbeit fort, ohne den kleinen Blondkopf zu beachten. Da rückte er näher und näher. Nach einer Weile hob Rupert einen schnellen Blick von seiner Arbeit auf. Der kleine Kerl malte seelenvergnügt und vertieft Linien auf das Papier, die nicht nur von den Pastellstiften herzustammen schienen, sondern auch von den schokoladebeschmutzten kleinen Fingerchen.

Rupert lächelte gerührt. Dies Bild des versunken spielenden Kindes war reizend. Schnell entschlossen fing er eine neue Zeichnung an. Mit ein paar sicheren Strichen hatte er den kleinen spielenden Wicht auf das Papier gezaubert, genau wie er da sass, mit dem ernsthaften Gesichtchen, dem Braun und Blau — und den dicken, ungeschickten Händchen. Als nach etwa einer halben Stunde eine junge, blonde Frau in der Haustür erschien und besorgt nach dem kleinen Jungen ausspähte, war Rupert mit seiner Zeichnung fertig geworden. Er nickte dem Kinde lächelnd zu, dann schlenderte er mit seinen Sachen wie von ungefähr weiter. Die junge Frau beachtete ihn nicht, man war es hier gewohnt, dass viele Künstler kamen, um diesen oder jenen malerischen Fleck der schönen Insel aufzunehmen.