Fremd geführt - Nicole de Groot - E-Book

Fremd geführt E-Book

Nicole de Groot

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Beschreibung

Ein Wochenende im Wellnesshotel. Geplant war es zu zweit – doch sie fährt allein. Was als Rückzug beginnt, wird zur Begegnung mit einem Mann, einem Blick, einem Moment, der alles verändert. Zwischen Dampfbad und Morgenlicht verliert sie nicht nur ihre Hemmungen, sondern auch die Gewissheit darüber, wer sie ist – oder wer sie zu sein glaubt. Zurück bleibt ein Körper, der neu erwacht ist. Und eine Seele, die beginnt zu spüren, was sie jahrelang verdrängt hat: die Sehnsucht nach Berührung, nach Wahrhaftigkeit, nach sich selbst. Dieser Roman erzählt nicht von einer Affäre. Sondern von einer Frau, die sich aus dem stummen Alltag herauslöst – leise, aber entschlossen. Es ist eine Reise durch Zweifel und Verlangen, durch Kontrolle und Hingabe. Ein Roman über Nähe, Grenzen, Entfremdung – und das stille Beben, das bleibt, wenn alles gesagt und alles getan ist.

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Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Fremd geführt

Erotischer RomanvonNicole de Groot

„Das Leben gehört dem Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“

— Johann Wolfgang von Goethe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Nachwort

Über die Autorin

Impressum

Vorwort

Manchmal beginnt eine Geschichte nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem leisen Seufzen.

Ich schreibe nicht, um zu provozieren.

Ich schreibe, weil ich glaube, dass Lust eine Sprache ist. Eine, die uns mehr über uns selbst verrät, als wir oft ahnen.

Dieser Roman entstand nicht aus Kalkül. Nicht aus dem Wunsch, eine »heiße Story« zu schreiben. Sondern aus einer Frage: Was passiert mit einer Frau, wenn sie plötzlich aus dem Takt ihres Alltags fällt – und spürt, dass da etwas in ihr lebt, das sie lange überhört hat?

Ich habe viele solcher Frauen getroffen. Nicht in Talkshows oder auf Titelseiten. Sondern in echten Gesprächen. In Momenten, die leicht zu übersehen sind – ein gestohlener Blick, ein kurzes Zögern, ein fast unmerkliches Zittern in der Stimme.

Ich schreibe erotische Romane, weil ich solche Geschichten erzählen möchte.

Leise Geschichten. Tiefe Geschichten.

Nicht laut, aber ehrlich. Nicht erklärend, sondern erlebbar.

Wenn Sie bereit sind, sich einzulassen – nicht auf eine Affäre, sondern auf ein inneres Beben – dann ist diese Geschichte vielleicht auch ein bisschen die Ihre.

Nicole de Groot

Kapitel 1

Der Stachel saß tief. Noch vor wenigen Stunden hatte sie sich gefreut wie ein Kind. Und da war sie jetzt – leer, enttäuscht, verletzt.

Janine saß im Schlafzimmer auf dem Bett. Auf dem kleinen Tischchen an der Wand standen die gepackten Reisetaschen. In ihrem Inneren brodelte es, der Schmerz war so nah, dass der Kloß im Hals ihr das Atmen erschwerte.

Ein schöner Kurzurlaub hatte es werden sollen. Sie und Peter in einem Wellnesshotel. Ein ganzes Wochenende, nur sie und ihr Mann.

Doch er hatte den Moment zerstört, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Eben war er heimgekommen. Betrunken, wie immer. Und er hatte ihr eröffnet, dass er sie nicht begleiten würde.

Einer seiner Kumpel, Mark, wäre krank geworden und Kalli hätte doch die Karten für dieses Europacup Spiel. Also hatte Peter spontan zugesagt, ihn zu begleiten.

Dass er ihr schon vor Wochen diesen Kurzurlaub versprochen hatte, war ihm dabei völlig gleichgültig.

»Das ist doch kein Beinbruch«, hatte er gesagt. »Dann fährst du eben alleine und wir holen das nach.«

Nachholen … wie oft hatte sie dieses Wort schon aus seinem Mund gehört. Und nie hatten sie auch nur eine Sache nachgeholt.

Er lag auf seiner Seite, schnarchte leise, der Alkoholgeruch schwer in der Luft. Und sie saß hier in der Dunkelheit, unglücklich, enttäuscht, fast schon gebrochen.

Er würde morgen fahren, ihr zum Abschied »Tschüss« sagen und wäre verschwunden. Nichtmal einen Abschiedskuss wäre sie ihm wert. Diese Angewohnheit hatte er schon lange abgelegt.

Am nächsten Morgen geschah genau das: Er nahm seine Reisetasche, die sie natürlich auch schon am Abend gepackt hatte, trank seinen Kaffee und sagte: »Tschüss.«

Dann fiel die Tür ins Schloss und er war weg. Sie blieb allein mit ihrer Enttäuschung zurück.

Irgendwann stand sie auf, ging in die Küche, setzte sich an den Tisch. Sie trank ihren Kaffee aus, dann griff sie zum Telefon.

»Hey, noch ein kurzes Abschiedstelefonat?«, meldete sich wie aus weiter Ferne ihre Freundin Claudia.

Janine zögerte. Ihr Blick fiel auf die dampfende Kaffeetasse, die sie mit der Hand umklammerte. »Wir fahren nicht«, sagte sie leise.

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. »Was soll das heißen, ihr fahrt nicht?«

Janine erklärte ihrer Freundin die Situation. In ihrem Hals saß ein Kloß, der nicht weichen wollte. Noch ein Wort, und sie würde weinen.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« Claudia war außer sich vor Wut. »Schon wieder?«

Diese Frage ihrer Freundin traf sie hart. Härter, als Janine es sich gedacht hatte, denn sie holte alle Situation, die durch ihn zunichtegemacht wurden, wieder hervor.

Die Fahrt nach Köln zum Klassikkonzert von David Garrett. Oder auch der Rhein in Flammen, den sie sich schließlich allein im Fernsehen angesehen hatte.

Immer mehr enttäuschende Erinnerungen kamen auf und sie konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten.

Claudia versuchte behutsam, sie zu beruhigen: »Janine, ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist. Wieder einmal. Aber weißt du was? Du fährst einfach wirklich allein.«

Schluchzend, fast flüsternd, erwiderte sie: »Hast du nicht Lust, mitzukommen?« Die Worte kamen aus ihr heraus, getragen von einem verzweifelten Wunsch nach Trost.

»Das geht leider nicht, Janine. Glaub mir, ich würde gern mitkommen. Aber heute steht der Freizeitpark mit den Jungs an.«

Natürlich verstand Janine das. Und doch hatte sie insgeheim gehofft, es würde vielleicht irgendwie klappen. Claudia hatte ihre eigenen Pläne – daran war nichts falsch. Aber die Absage tat trotzdem weh.

»Was ist denn so schlimm daran, allein zu fahren? Ihr habt doch schon alles bezahlt. Und es ist doch Peters Problem, wenn er nicht mitfährt. Das sollte dich nicht hindern.«

Janine dachte über die Worte ihrer Freundin nach. Sie allein? Allein in einem fremden Hotel? Da hätte sie doch sicher keinen Spaß. Und außerdem – würden die anderen Gäste nicht sofort merken, dass sie allein war? Vielleicht sahen sie sie beim Frühstück mitleidig an, vielleicht flüsterten sie, wenn sie allein zur Massage ging. Bestimmt dachten sie, sie sei verlassen worden. Oder – schlimmer noch – verzweifelt auf der Suche.

Als sie Claudia ihre Ängste mitteilte, erklang am anderen Ende der Leitung plötzlich ein Lachen – warm, aber für Janine vollkommen irritierend. Sie horchte in den Hörer, das innere Lächeln war ihr schlagartig vergangen. Warum lachte sie? Hatte sie etwas Dummes gesagt? Hatte Claudia sie durchschaut?

»Wie kommst du nur immer wieder auf diese Ideen?« Claudia klang belustigt, aber auch ein wenig besorgt. »Wir leben doch im 21. Jahrhundert. Es ist längst nicht mehr ungewöhnlich, dass Frauen allein verreisen.«

Janine wusste nicht, was sie erwidern sollte und blieb stumm.

»Ach Janine«, sagte Claudia leise. »Es ist doch gar nicht schlimm, allein zu fahren. Ich glaube sogar, es wird dir gut tun.«

»Allein in einem Hotel? Das ist doch peinlich«, wehrte sie ab. »Alle werden denken, ich wurde versetzt.«

»Und wenn schon. Dann denken sie das eben. Oder sie denken: Da gönnt sich jemand mal Zeit für sich. Ehrlich, Janine – du machst dir viel zu viele Gedanken darüber, was andere denken könnten.«

Sie seufzte. »Ich weiß nicht … Ich glaub einfach nicht, dass ich mich da wohlfühlen würde.«

»Dann fahr hin, fühl dich von mir aus unwohl, aber gib dir wenigstens die Chance, es auszuprobieren. Schlimmstenfalls liegst du einen Tag lang muffelig im Spa und fährst dann wieder heim. Aber du tust dir etwas Gutes. Was du sonst nie tun würdest.«

Janine schwieg. Ein kleiner Teil von ihr hatte das Gefühl, dass ihre Freundin recht hatte. Ein sehr kleiner Teil.

Claudia schien das Thema weiterzudenken. »Und was würdest du sonst tun, Janine? Was genau ist der Plan, wenn du jetzt nicht fährst?«

Janine atmete tief aus. »Das Übliche«, sagte sie leise. »Hier sitzen, warten, dass der Tag irgendwie rumgeht. Vielleicht noch ein bisschen putzen oder Fernsehen.«

»Aber am Ende ist es immer dasselbe: Langweilig. Und das ist irgendwie traurig.«

Janine schüttelte leicht den Kopf. Nein, so war es doch gar nicht. Oder doch?

Claudia redete weiter: »Das ist doch der Punkt! Du brauchst doch keine Ausreden, um dir selbst zu erlauben, mal etwas anderes zu machen. Fahr einfach. Du bist doch nicht auf Peter angewiesen. Denn später wirst du bereuen, es nicht getan zu haben.«

Janine legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. »Vielleicht hast du recht«, murmelte sie, aber so wirklich überzeugt klang es nicht. »Ich weiß nicht …«

Claudia atmete tief durch, als sie ihre zögerliche Antwort hörte. »Weißt du, was ich glaube, Janine?« Ihre Stimme wurde entschlossener, fast ein bisschen energisch. »Du versuchst dich selbst zu bremsen. Du hast die Chance, einfach mal etwas für dich zu tun. Peter hat dich im Stich gelassen, also warum solltest du ihm den Gefallen tun und den Rest des Wochenendes in dieser Leere verbringen?«

Janine spürte, wie sich ihre Miene verhärtete. »Ich will ihm doch nicht absichtlich wehtun.« Ihre Stimme war leise, fast entschuldigend, aber in ihrem Inneren regte sich ein kleiner Funke. Eine leise, rebellische Ahnung, dass Claudia vielleicht doch recht hatte.

»Ach, du tust ihm doch nichts Böses, Janine. Du nimmst dir einfach das, was du dir längst verdient hast.«

Sie schluckte. Der Gedanke, es ihm heimzuzahlen, war verlockend – aber gleichzeitig fühlte sich das irgendwie falsch an. »Das ist nicht einfach …«

Claudia unterbrach sie, mit einem Ton, der so bestimmt war, dass sie kaum entkommen konnte: »Janine, du kannst nicht immer diejenige sein, die nachgibt. Du musst auch mal für dich selbst da sein. Es geht nicht nur um diesen Urlaub. Es geht darum, dir zu zeigen, dass du mehr bist als diejenige, die immer wartet. Sei mutig. Fahr allein. Zeig ihm, dass du nicht auf seine Erlaubnis angewiesen bist.«

Janine hörte Claudia zu und spürte, wie sich etwas in ihr öffnete. Es war keine Wut, sondern ein neues Gefühl von Entschlossenheit. Vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, sich selbst zu beweisen, dass sie auch ohne ihn etwas erleben konnte. Sie atmete tief ein und flüsterte dann: »Okay. Ich werde es tun. Ich fahre allein.«

Claudia klang erleichtert, als sie ein leises, freudiges Lachen durch die Leitung schickte. »Endlich! Du wirst sehen, es wird dir guttun, Janine. Ich weiß, dass es das Richtige ist.«

»Ich hoffe es.« Janine konnte das Zögern in ihrer Stimme kaum übertönen. Sie hatte sich so viele Jahre hinter der Sicherheit ihrer Routine versteckt, dass der Gedanke, etwas Neues zu wagen, fast überwältigend wirkte. Die Zeit des Wartens war vorbei.

»Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.« Claudia klang so zuversichtlich, dass Janine sich fast ein bisschen verpflichtet fühlte, es jetzt durchzuziehen. Aber was, wenn sie in Wahrheit nicht diejenige war, die das alles konnte? Was, wenn sie in diesem Hotel einfach nur die Fremde war, die sich nicht einmal den Luxus gönnte, zu entspannen?

»Und wenn ich zurück bin, will ich alles wissen!«, fügte Claudia hinzu. »Du musst mir erzählen, was du erlebt hast, ganz detailliert!«

Janine schmunzelte, aber es war mehr ein maskiertes Lächeln, das sie aufsetzte. »Ja, ja, du wirst alles hören, keine Sorge. Ich wünsche dir viel Spaß im Freizeitpark.«

»Und dir viel Spaß beim Wellness-Wochenende! Mach dir zwei schöne Tage. Und wehe, du fährst nicht. Ich bekomme das mit und dann versohle ich dir den Hintern!«

Janine lachte über den kleinen Scherz, doch es war kein echtes Lachen. Ihre Gedanken begannen sich erneut zu überschlagen. »Ja doch, ich fahre ja.« Dann beendete sie das Telefonat.

Die Worte waren schnell gesagt – Claudia musste ja nicht wissen, ob sie wirklich fuhr. Sie würde sich online ein paar Details über das Hotel heraussuchen und ihr später eine glaubwürdige Geschichte auftischen. Das konnte sie sicher.

Doch in ihrem Inneren regte sich die Angst. Was, wenn sie es wirklich tat? Wenn sie allein dort saß und sich die ganze Zeit fragte, warum sie das alles überhaupt auf sich genommen hatte? Die Vorstellung, von den anderen im Hotel als »die einsame Frau« gesehen zu werden, ließ sie erröten – und gleichzeitig aufbegehren.

Sie wollte nicht, dass ihre Freundin wusste, wie verunsichert sie sich noch fühlte. Sie fürchtete sich einfach vor der Reise allein. Immer wieder hatte sie diese Ausflüchte in ihrem Kopf, die sie beruhigten: Du hast genug zu tun. Du brauchst das nicht. Du bist nicht diejenige, die allein glücklich wird. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nur die Angst war, die sie zurückhielt.

Was, wenn sie sich selbst beweisen könnte, dass sie doch mehr war als das?

Natürlich musste sie sich vor Claudia nicht erklären. Sie brauchte ihr nicht erzählen, wie tief sie in ihrer Unsicherheit gefangen war. Vielleicht war das auch der einfachste Weg, sich selbst zu schützen – vor den neugierigen Fragen.

Der Gedanke, sich später vor Claudia zu rechtfertigen und eine Entschuldigung für ihr Zögern zu finden, wenn sie nicht fuhr, war allerdings nicht gerade verlockend.

Nein, sie würde es tun. Heute war der Tag, an dem sie den ersten Schritt aus ihrer eigenen Angst wagte.

Sie ging in das Schlafzimmer, um das Bett zu machen. Und schon verschwand die Entschlossenheit wieder.

Doch dann blieb sie mitten in der Bewegung stehen. Ihr Blick fiel auf den Tisch mit ihrer gepackten Reisetasche. Ein kurzer, flüchtiger Gedanke drängte sich in ihren Kopf: Was, wenn du es einfach tust? Was, wenn du dich jetzt dieser Herausforderung stellst, statt weiter in der alten Leere zu verweilen?

Plötzlich wurde der Gedanke stärker, drängender. Sie stellte sich vor, wie es wäre – allein in diesem Hotel zu sein, ohne sich den Erwartungen anderer zu beugen. Und dann war da dieser Funke, dieses Gefühl, dass sie sich etwas beweisen konnte. Kannst du das tun?, fragte sie sich. Kannst du einfach mal an dich selbst glauben, ohne dich ständig zu verstecken?

Und dann, ganz unvermittelt, wurde der Gedanke zur Entscheidung. Sie atmete tief ein und sagte leise zu sich selbst: »Ich gehe jetzt. Ich tue es.«

Der erste Schritt war getan. Die Reisetasche in ihrer Hand fühlte sich nicht mehr wie ein schwerer Ballast an, sondern wie ein Symbol für die Freiheit, die sie sich selbst noch nie zugestanden hatte. Es war immer leicht gewesen, sich hinter ihren Ängsten zu verstecken. Aber diesmal würde sie sich dem stellen. Sie konnte es schaffen. Sie wusste nicht, was sie erwartete, aber sie ahnte, dass dieser Schritt mehr zählte als jeder Zweifel.

Die Vorstellung, allein im Hotel zu sein, war nun weniger beängstigend als noch vor ein paar Minuten. Es war immer noch eine Herausforderung, keine Frage. Aber sie konnte sie annehmen. Sie war nicht länger das hilflose Mädchen, das darauf wartete, dass ihr jemand den Weg zeigte. Sie war eine Frau, die für sich selbst stand.

Mit einem letzten tiefen Atemzug griff sie nach ihrer Tasche, und als sie sie aufhob, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass das, was sie heute tat, mehr war als ein einfacher Urlaub. Es war eine Reise zu sich selbst. Und wenn sie nun fuhr, konnte sie Claudia davon erzählen. Ohne sich zu schämen.

Kapitel 2

Die Fahrt verlief wie in einem Nebel. Janine nahm kaum wahr, wie die Felder an ihr vorbeizogen, wie der Himmel langsam aufriss. Erst als das Hotel vor ihr auftauchte – groß, ruhig, wie aus einer anderen Welt –, spürte sie, dass es jetzt wirklich begann.

Es lag am Rand eines dichten Waldes, leicht erhöht über einem kleinen, glasklaren See, dessen Oberfläche in der Vormittagssonne wie flüssiges Silber schimmerte. Das Gebäude selbst war modern, aber mit natürlichen Materialien gebaut: viel Holz, große Fenster, ein Dach, das sich beinahe unauffällig in die umgebenden Baumwipfel schmiegte.

Rund um das Hotel führte ein schmaler Weg durch den Wald, der zwischen Moos, Farnen und Birkenstämmen verschwand – einladend wie ein Versprechen. Alles hier schien stiller, langsamer, entkoppelt vom Rest der Welt.

Sie parkte den Wagen am Rand des kleinen Gästeparkplatzes, der sich harmonisch in die Landschaft schmiegte. Kein Asphalt, sondern festgepresster Kies, gesäumt von flachen Steinen und niedrigen Hecken. Als der Motor verstummte, wurde es still – fast unheimlich still. Nur das leise Zwitschern von Vögeln war zu hören und das ferne Rauschen der Bäume, als würde der Wald atmen.

Janine legte die Hände auf das Lenkrad und schloss für einen Moment die Augen. Sie war wirklich hier. Die Entscheidung war gefallen, unausweichlich geworden, und jetzt, da sie nichts mehr davon trennen konnte, spürte sie wieder dieses nervöse Kribbeln unter der Oberfläche. Keine Ausreden mehr.

Sie griff nach ihrer Reisetasche auf dem Beifahrersitz, stieg aus und stellte sich aufrecht in die kühle, klare Luft. Der Kies unter ihren Schuhen knirschte leise, als sie um den Wagen herumging. Ein schmaler Weg führte vom Parkplatz zum Haupteingang des Hotels – gesäumt von Lavendel, der noch letzte Blüten trug, und alten Birken, deren weiße Stämme im Sonnenlicht matt glänzten.

Vor ihr erhob sich das Gebäude, ruhig und einladend zugleich. Große Fensterflächen reflektierten das Licht, dazwischen dunkles Holz, das Wärme ausstrahlte. Die Eingangstür war aus massivem Eichenholz gefertigt, flankiert von seitlichen Scheiben, durch die man bereits einen ersten Blick in die Lobby werfen konnte: weiche Farben, sanftes Licht – ein Ort der Ruhe.

Langsam ging Janine den Weg entlang. Mit jedem Schritt schien die Welt hinter ihr leiser zu werden. Der Kies unter ihren Füßen, das Rascheln der Bäume, sogar ihr eigener Atem – alles fügte sich in diese neue, fremde Stille. Als sie vor der Tür stand, zögerte sie kurz, dann legte sie die Hand auf den kühlen, metallenen Griff.

Ein tiefer Atemzug, ein sanftes, kaum hörbares Klicken, dann schwang die Tür lautlos auf. Wärme schlug ihr entgegen – nicht nur körperlich, sondern auch in der Stimmung des Raums, der sich vor ihr ausbreitete.

Die Lobby war großzügig ausgestattet, aber nicht kühl. Hohe Decken ließen Luft und Licht zirkulieren, doch es waren die Details, die Janine sofort auffielen: Das leise Plätschern eines Brunnens in der Ecke, der Duft nach Holz, Zitrus und einem Hauch Lavendel, der in der Luft lag, und das gedämpfte Licht, das durch große, stoffbespannte Leuchten fiel wie Sonnenstrahlen durch Nebel.