Funkenmord - Volker Klüpfel - E-Book
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Volker Klüpfel

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Beschreibung

Ein grausames Verbrechen, das ungesühnt blieb, ein Unschuldiger, der jahrelang im Gefängnis saß: Ein Fehler aus der Vergangenheit lastet schwer auf Kluftinger. Der Kommissar ist fest entschlossen, den Fall "Funkenmord" wieder aufzurollen, doch seine Kollegen zeigen wenig Interesse an einem Cold Case. Nur die neue Mitarbeiterin Lucy Beer unterstützt ihn bei der Suche nach dem wahren Täter. Kluftinger ist beeindruckt von der selbstbewussten jungen Frau, die frischen Wind in seine Abteilung bringt. Zu Hause jedoch geht Kluftinger solche Frauenpower ab, weil Doktor Langhammer die angeschlagene Erika von allen häuslichen Arbeiten freistellt – ausgerechnet jetzt, wo die Taufe ihres Enkelkindes unmittelbar bevorsteht. Der Kommissar muss also wohl oder übel beides machen: Hausmann spielen und einen Mörder finden …

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Funkenmord

Die Autoren

Altusried hat einen prominenten Sohn: Kommissar Kluftinger. Volker Klüpfel, Jahrgang 1971, kommt wenigstens aus dem gleichen Ort. Nach dem Abitur zog es ihn in die weite Welt – nach Franken: In Bamberg studierte er Politikwissenschaft und Geschichte. Danach arbeitete er bei einer Zeitung in den USA und stellte beim Bayerischen Rundfunk fest, dass ihm doch eher das Schreiben liegt. Seine letzte Station vor dem Dasein als Schriftsteller war die Feuilletonredaktion der Augsburger Allgemeinen. Die knappe Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, mit der er im Allgäu lebt. Sollte noch etwas Zeit übrig sein, treibt er Sport, fotografiert und spielt Theater. Auf der gleichen Bühne wie Kommissar Kluftinger.
Michael Kobr, geboren 1973 in Kempten im Allgäu, studierte in Erlangen ziemlich viele Fächer, aber nur zwei bis zum Schluss: Germanistik und Romanistik. Nach dem Staatsexamen arbeitete er als Realschullehrer. Momentan aber hat er schweren Herzens dem Klassenzimmer den Rücken gekehrt – die Schüler werden’s ihm danken –, um sich dem Schreiben, den ausgedehnten Lesetouren und natürlich seiner Familie widmen zu können. Kobr wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern im Unterallgäu – und in einem kleinen Häuschen mitten in den Bergen, wo die Kobrs im Winter häufig auf der Skipiste, im Sommer auf Rad- und Bergtouren unterwegs sind. Wenn nicht gerade mal wieder eine gemeinsame Reise ansteht ...

Das Buch

Ein Fehler aus der Vergangenheit lastet schwer auf Kluftinger. Vor über dreißig Jahren wurde eine junge Lehrerin am Funkensonntag an ein Kreuz gefesselt und verbrannt. Der Kommissar hat ihren damaligen Geliebten als Täter überführt – zu Unrecht, wie sich herausgestellt hat. Kluftinger gab ihm vor seinem Tod das Versprechen, den wahren Mörder zu finden. Doch seine Kollegen halten die Beschäftigung mit dem Cold Case für Zeitverschwendung. Nur die neue Mitarbeiterin Lucy Beer unterstützt ihn bei seiner Suche, auch wenn die Teamarbeit mit der selbstbewussten jungen Frau anfangs ziemlich holprig verläuft. Zu Hause steht Kluftinger dagegen erstmals alleine da, weil Doktor Langhammer die angeschlagene Erika von allen häuslichen Arbeiten freistellt – ausgerechnet jetzt, wo die Taufe des Enkelkindes unmittelbar bevorsteht. Der Kommissar muss also wohl oder übel beides machen: Hausmann spielen und einen Mörder finden …

Volker Klüpfel und Michael Kobr

Funkenmord

Kluftingers neuer Fall

Kriminalroman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

ISBN 978-3-8437-2330-5

© 2020 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAutorenfoto: © Jens OellermannUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenE-Book Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Die Autoren / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Epilog

Dank

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

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Kluftinger schob seinen Vater aus dem Wohnzimmer auf den Balkon. Auch wenn es zugig war an diesem Abend: Sie hatten etwas zu besprechen. Dringend. Allein. Seiner Frau ging es gerade nicht sonderlich gut, sie litt immer wieder unter starken Kopfschmerzen und hatte sich ein wenig auf die Couch gelegt. Und seine Mutter brauchte Kluftinger ebenfalls nicht als Zuhörerin. Schon in seiner Kindheit hatte sie mit ihrem übertriebenen Harmoniebedürfnis Auseinandersetzungen gerne verhindert. Aber das war genau, was er jetzt wollte: eine Auseinandersetzung. Er zog die Glastür hinter sich zu.

»Also ehrlich, Vatter, das geht zu weit! Du warst immerhin mal Polizist, vergiss das nicht.«

Kluftinger sah seinem alten Herrn das schlechte Gewissen an. Ob wegen seiner Beteiligung an der Führung oder weil er diese seinem Sohn bislang verheimlicht hatte, wusste er nicht. Wahrscheinlich hatte er sie ja gerade deshalb geheim gehalten, weil er kein gutes Gefühl dabei hatte. Eigentlich hatte der Kommissar einen versöhnlicheren Ton anschlagen wollen, doch nachdem er mitbekommen hatte, dass sein Vater weitere Stationen seiner Polizeikarriere gewinnbringend ausschlachtete, hatte er es sich anders überlegt.

»Vergiss du mal lieber nicht, dass du immer noch ein Polizist bist!«, blaffte der Senior jetzt zurück.

»Was soll denn das heißen, hm?« Sein Vater war der unangefochtene Retourkutschenkönig, eine Eigenschaft, die Diskussionen mit ihm ungeheuer schwer machte.

»Wenn du deinen Beruf ernst nehmen würdest, müsstest du dich nicht abends auf Krimi-Führungen rumschleichen und die Leute belauschen!«

Jetzt platzte dem Kommissar der Kragen. »Du lässt dich bei dieser Leichenfledderei vor den Karren spannen und willst mir vorwerfen, dass ich lausche?«, fragte er aufgebracht. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, nicht laut zu werden.

»Die Leut sind zufrieden mit mir, es gibt jedes Mal ein gutes Trinkgeld.«

»Das rechtfertigt doch nicht, dass …«

»Schluss jetzt mit eurer Streiterei, ich kann das nimmer hören.« Hedwig Maria Kluftinger stand auf einmal im Türrahmen. »Kommt’s jetzt mal rein, das ist ja viel zu kalt heut. Der Vatter schnarcht wegen seiner Bronchitis eh schon jede Nacht wie ein ganzes Sägewerk.«

»Da redet die Richtige.«

»Wenn du für jede Retourkutsche fünf Euro an einen guten Zweck spenden würdest, wärst du schon längst Träger des Bundesverdienstkreuzes am Band«, ätzte Kluftinger.

»Aufhören, sag ich. Und reinkommen.«

»Mutter, ich bin extra raus, damit die Erika Ruhe hat und sich nicht noch zusätzlich aufregt. Außerdem geht das nur den Vatter und mich was an.«

Doch seine Mutter zuckte nur mit den Schultern. »Wenn man jetzt schon nicht mehr miteinander reden darf, bloß weil jemand mal ein bissle Kopfweh hat …«, murmelte sie.

»Die Mutter hat schon recht, wir gehen rein«, schloss sich sein Vater an und betrat das Wohnzimmer.

Der Kommissar folgte ihm und warf einen Blick auf Erika: Sie lag in eine Wolldecke eingerollt auf dem Sofa und ließ einen tiefen Seufzer vernehmen, als sie realisierte, dass das Gespräch nun in ihrem Beisein fortgesetzt werden würde.

»Warum hast du mir das mit den Führungen eigentlich immer verheimlicht, wenn du findest, dass nix dabei ist? Hm, Vatter?«

»Verheimlicht, was soll denn das heißen? Es kam halt nie direkt das Gespräch drauf. Und ich mach das ja erst seit fünf Jahren.«

»Fünf? Ich mein: Jahre?« Ein weiteres Stöhnen vom Sofa zeigte Kluftinger, dass er wieder zu laut geworden war.

»Meine Güte, lass doch dem Vatter seinen Spaß«, mischte sich Hedwig Maria ein. »War doch immer nett, wenn ich sonntagabends zu euch gekommen bin, oder?«

»Moment: Du warst bloß bei uns, weil der Vatter seinem zwielichtigen Hobby nachgegangen ist?«

»Von wegen Hobby, der bringt immer schönes Geld mit heim.«

»Und von wegen zwielichtig«, echauffierte sich sein Vater.

»Müsst ihr so brüllen?«, stöhnte Erika.

»’tschuldigung«, zischte Kluftinger, während seine Mutter demonstrativ mit den Augen rollte. »Also, Vatter, du als Polizist …«

»Bin doch gar keiner mehr!«

Kluftinger atmete tief ein. »Ex-Polizist, dreh mir nicht jedes Wort im Mund um.«

»Du musst grad reden.«

»Wenn du was über meine aktuellen Fälle wissen willst, betonst du auch immer, dass ich dir das schon sagen kann, weil du ja immer Polizist bleiben wirst.«

»Das ist was anderes.«

»Braucht ihr Geld? Könnt ihr doch uns fragen. Allerdings möcht ich schon wissen, wozu. Ihr gebt doch eh nix aus von der ganzen Pension.«

Hedwig Kluftinger stemmte die Hände in die Hüften: »Geht doch alles in dein Erbe. Und wir können dir hin und wieder was zustecken. Hast es schließlich auch nicht leicht. Als Alleinverdiener mit so einer großen Familie.«

Da meldete sich Erika zu Wort. »Große Familie? Seit wann jetzt das? Wir haben einen Sohn, der noch dazu erwachsen ist.«

Alle Blicke gingen zur Couch. »Schon, aber das Enkele …«, schob Hedwig Maria nach. Dann schaute sie ihren Mann auffordernd an.

»Jaja, gar nicht so einfach, mit einem Beamtengehalt«, erklärte der pflichtschuldig. »Ich kann ein Lied davon singen. Meine Frau hat schließlich auch keinen Pfennig mehr heimgebracht, seit du auf der Welt bist.«

»Der Adi war auch ein spezielles Kind, das sehr viel Fürsorge und Zuwendung gebraucht hat«, rechtfertigte sich seine Mutter.

»Die braucht er immer noch, euer Adi, da ist kein Platz mehr für einen Beruf«, brummte Erika und drehte sich weg.

»Ja, stimmt, die bräucht er eigentlich immer noch.« Hedwig Kluftinger betrachtete kopfschüttelnd ihre Schwiegertochter auf dem Sofa.

»Mutter, das hört sich ja an, als wär ich irgendwie minderbemittelt«, schimpfte der Kommissar.

Sein Vater sagte mit verschmitztem Lächeln: »Mei, die einen sagen so, die anderen so.«

»Mit so was macht man keinen Spaß«, konterte Hedwig Maria empört.

Erika seufzte. »Habt ihr’s dann?«

»Warum ist sie denn gar so empfindlich?«, flüsterte Hedwig Maria ihrem Sohn zu.

Um nicht noch mehr Staub aufzuwirbeln, drängte Kluftinger seine Eltern aus dem Wohnzimmer in den Hausgang.

»Jetzt sag schon, Bub, was hat sie denn? Depressionen? Da muss man aufpassen, gell? Magst mal unsere Therapieleuchte gegen Lichtmangel ausleihen? Die hilft deinem Vater auch immer, wenn er besonders grantig ist.«

Kluftinger senior zuckte mit den Achseln.

»Was sie hat?« Der Kommissar atmete tief ein. Natürlich konnte er sich zusammenreimen, warum es Erika nicht gut ging: Vor ein paar Wochen hatte sein bislang persönlichster Fall seine ganze Familie in ihren Grundfesten erschüttert. Man hatte Todesanzeigen und Sterbebildchen von ihm verbreitet, ein Grab mit seinem Namen aufgeschüttet, auf ihn geschossen – und dabei seinen langjährigen Freund und Kollegen Eugen Strobl tödlich getroffen.

Schließlich hatten ihn zwei Unbekannte im Wald überfallen und waren geflüchtet, was ihn und das gesamte Kommissariat noch immer auf Trab hielt.

»Muss doch einen Grund haben, dass sie so rumhängt«, bohrte seine Mutter nach.

»Jetzt überleg halt. Die Erika hat das Ganze mehr mitgenommen als uns alle.«

Hedwig Maria schaute ihn ungläubig an. »Wie bitte? Du bist doch überfallen worden, auf dich haben sie geschossen! Du hast immer noch Verletzungen.«

Er griff sich an die schmerzende Schulter, seine Mutter strich ihm über seine Kopfwunde. »Lass, Mama.« Er wischte ihre Hand weg. »Die Erika hat jetzt öfter Migräne, sagt sie.«

»Kopfweh hat doch jeder mal …«

Tatsächlich hatte sich Kluftinger das auch schon gedacht.

»Du müsstest das doch verstehen, Hedwig«, mischte sich sein Vater ein. »Hast doch auch immer Migräne, wenn ich mal …«

»Vatter, das möchte jetzt keiner so genau wissen«, unterbrach ihn sein Sohn. Über das Thema, das sein Vater da vermutlich anschnitt, wollte er mit seinen Eltern nun wirklich nicht reden. »Wir müssten uns noch mal über den Mordfall Karin Kruse unterhalten«, erklärte der Kommissar, um das unangenehme Thema ein für alle Mal vom Tisch zu haben.

»Ja, macht das mal, ihr zwei, und ich kümmer mich um die Spülmaschine. In der Küche schaut’s ja schlimm aus.«

»Mutter lass doch, das kann ich nachher einräumen.«

»So weit kommt’s noch, dass du dich um so was kümmern musst!«

Kurz darauf saßen Kluftinger und sein Vater am Esstisch. Beide hatten sich ein Bier eingeschenkt. Aus der Küche drang leises Geschirrklappern. Erika war auf dem Sofa eingeschlafen, weshalb der Kommissar sich bemühte, leise zu sprechen. »Also, Vatter, was den alten Fall angeht …«

»… da hab ich kaum was mitbekommen, mich hat man ja nicht in die Kripo berufen, seinerzeit. War ja immer bloß ein einfacher Dorfpolizist.«

»Und was posaunst du dann bei den Führungen so raus?«

Der Vater winkte ab. »Da wird nix posaunt. Sind nur Sachen, die man im Ort eh weiß.«

»So? Was denn?«

»Na ja, der Mord, das Kreuz, der Mendler – das ist dir doch alles bekannt.«

»Aber ich weiß nicht, warum die Leute mit einer Gruselführerin und einem abgehalfterten Polizisten immer wieder zum Tatort pilgern.«

»Dir geb ich gleich abgehalftert, Bürschle!« Kluftinger senior drohte seinem Sohn mit dem Zeigefinger. »Das war einfach eine spektakuläre Sache, damals. Der ganze Ort hat das brennende Kreuz gesehen – und dass es noch immer dasteht, sagt ja auch einiges. Traut sich keiner ran. Viele sehen das als Schandmal.«

»Mir wär lieber, sie würden es als Mahnmal sehen.«

Kluftinger senior zuckte mit den Achseln. »Die Leut können doch auch nix dafür. Brauchst übrigens nicht meinen, dass du bei den Führungen schlecht wegkommst. Ich erzähl immer, dass du den Mendler durch deine geschickte Befragung überführt hast.«

»Umso schlimmer!«

»Er hat seine gerechte Strafe bekommen.«

Kluftinger atmete tief ein. »Das glaub ich eben nicht. Ich bin überzeugt, dass der Mendler damals zu Unrecht verurteilt worden ist. Wegen mir.«

»Überschätz dich mal nicht. Nicht du hast ihn verurteilt, sondern ein ordentliches deutsches Gericht.«

»Ja, weil ich ihn in ein Geständnis getrieben hab, das er danach widerrufen hat.«

»Getrieben? Geständnis ist Geständnis! Sei doch stolz, das war dein erster großer Fall. Hat deine Karriere richtig zum Laufen gebracht.«

»Darauf bin ich nicht stolz, im Gegenteil. Und es ist nix, womit du jetzt auch noch angeben musst.«

»Also, über den Vatter kann man ja vieles sagen, aber dass er ein Angeber wär, wirklich nicht.« Kluftingers Mutter streckte ihren Kopf zur Tür herein. Sie schaute zum Sofa, um sicherzugehen, dass ihre Schwiegertochter noch schlief, dann fuhr sie fort: »Du hast noch gar nix gegessen heut Abend. Soll ich dir schnell was richten?«

»Danke, Mutter, ich mach mir dann schon was.«

Kopfschüttelnd zog sie die Tür wieder zu.

Sein Vater seufzte. »Meinst du wirklich, dass der Mendler nicht der Täter war?«

»Ja, mein ich. Er hat mir im Wald das Versprechen abgenommen, dass ich den oder die Schuldigen finde.«

»Ein Versprechen, das man einem Verbrecher gibt, zählt nicht.«

»Verbrecher vielleicht. Aber er war kein Mörder.«

»Der hat doch gelogen.«

»Warum hätte er das in seinen letzten Sekunden tun sollen?«

»Aus Rache. Hast du darüber mal nachgedacht?«

»Und wer sollte mich im Wald überfallen haben, wenn nicht die echten Täter von damals? Aus Angst, dass alles wieder aufgerollt wird?«

Kluftingers Vater hob beschwörend die Hand. »Mei, Bub, ich kann bloß sagen: Ich tät’s nicht.«

»Was?«

»Alles wieder aufrollen. Schau, das versetzt das ganze Dorf in Aufruhr. Und außerdem bringt es dich bloß in Verruf, wenn rauskommt, dass du damals … also … dass das mit dem Geständnis vielleicht doch nicht so gut war.«

»Aha, glaubst du es also auch.«

»Das hab ich nicht gesagt. Aber dein Ruf ist bisher tadellos, zumindest beruflich, und irgendwas bleibt doch immer hängen. Dann reden die Leut über dich.«

»Das tun sie so oder so.«

»Aber dann machen die dich schlecht. Unsere ganze Familie.«

»Drum will ich ja den richtigen Täter finden. Die Wahrheit muss ans Licht. Komm, das war doch auch immer dein Motto.«

»Motto, Motto! Man muss nicht immer in alten Sachen wühlen. Da wirbelt man bloß jede Menge Dreck auf. Dreck, der die Leut krank macht.«

Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Was haben wir damals falsch gemacht? In was hab ich mich verrannt?«

»Verrannt? Das tust du jetzt, mit dieser fixen Idee! Schau, die Kruse macht niemand mehr lebendig, der Mendler ist tot …«

»Und der Täter läuft frei rum. Vielleicht verkauft er uns jeden Tag unsere Semmeln.«

»Der Dedler?« Kluftinger senior dachte kurz nach. »Meinst du … ach, Himmel, du machst mich auch schon ganz verrückt. Lass den Bäcker aus dem Spiel, Bub! Bei dem Schmarrn mit den alten Fällen, da ist noch nie was rausgekommen.«

»Das stimmt doch gar nicht. Aber egal. Also, überleg noch mal, wo könnt ich ansetzen? Was hab ich übersehen?«

»Mein Gott, frag doch deinen ehemaligen Chef und Vorgänger, den alten Hefele. Der hat doch eh immer so große Stücke auf dich gehalten.«

Kluftinger sah ihn mit großen Augen an. »Gute Idee, Vatter!«

»Brauchst mich nicht veräppeln, nur weil ich nicht bei der Kripo war.«

»Nein, ich mein’s ernst. Den Alten hab ich gar nicht mehr auf dem Zettel gehabt.« Er klopfte seinem Vater auf die Schulter.

»Ja, ja, manchmal haben wir doch noch einen Rat für euch Junge.«

»Erstens bin ich beileibe nicht mehr jung, zweitens kannst du einfach nichts unkommentiert lassen.«

»Von irgendjemandem musst du es ja geerbt haben.«

»Ich geb auf.«

»Sagst der Erika noch einen schönen Gruß, wenn sie schon nicht selber auf Wiedersehen sagen kann. Sie müsst doch allmählich ausgeruht sein.«

»Mutter, sie schläft halt. Und sie hat euch ja schon hunderttausendmal verabschiedet, da wird es auf dieses eine Mal nicht ankommen, oder?«

Während sein Vater sich noch anzog, stand seine Mutter bereits in der offenen Haustür. »Hast du das Geld von der Rimmele in den Geldbeutel gesteckt? Nicht dass es wieder ewig in der Manteltasche rumfährt.«

Reflexartig griff Kluftinger senior in seine Tasche. »Zefix, das Geld hab ich in der Eile ganz vergessen!«

Hedwig Maria Kluftinger schüttelte genervt den Kopf. »Wo bist bloß immer mit deinen Gedanken! So was vergisst man doch nicht.«

Der Vater zog die Schultern hoch. »Weil der Bub so einen Wind gemacht hat, hab ich …«

»Immer sind die anderen schuld«, fuhr ihm seine Frau in die Parade. »Denk bloß dran, beim nächsten Mal. Die Rimmele ist imstand und unterschlägt deinen Lohn.«

Kluftinger musste grinsen, was der Mutter nicht entging.

»Brauchst gar nicht so lachen, das Geld fehlt dann dir und dem Enkel. So, und jetzt machst schön Brotzeit, ich hab dir was zusammengerichtet, nicht dass du es am Ende noch selber machen musst.«

Fünf Minuten später hatte er die stattliche, mit Tomaten und Gürkchen verzierte Wurst- und Käseplatte, die seine Mutter angerichtet hatte, auf dem Esstisch drapiert, Brotzeitbrettchen und Besteck bereitgelegt und Gläser aus dem Schrank geholt.

»Erika, komm essen!«, flötete er zum Sofa hinüber.

Seine Frau schlug müde die Augen auf und drehte sich auf die andere Seite. »Ich bring glaub nix runter heut«, murmelte sie.

»Aber ich hab extra ein bissle was gerichtet, schön auf der Platte, so wie du es magst. Setz dich doch wenigstens zu mir.«

»Lieb von dir, Butzele, aber es geht heut nicht. Morgen wieder. Versprochen.«

»Dann halt nicht.« Der Kommissar konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. Zu gern hätte er mit der Brotzeitplatte seiner Mutter bei Erika gepunktet und vielleicht auch den Hauch eines schlechten Gewissens bei ihr erzeugt. Schließlich war er derjenige, der am meisten unter den Ereignissen der letzten Wochen zu leiden gehabt hatte, da hatte seine Mutter schon recht. »Erhol dich gescheit, ist die Hauptsache. Damit du morgen fit bist. Da ist ja Musikprobe, und danach machst du wieder Kässpatzen, oder? Erika?«

Als Antwort kam von seiner Frau nur ein leises Schnarchen.

- 3 -

Die Stufen hinauf in sein Büro fielen dem Kommissar genauso schwer wie an jedem Tag der letzten Wochen. Hier, im Gebäude der Kriminalpolizeiinspektion Kempten, konnte er nicht so tun, als sei alles wie immer. Gleich würde er seine Abteilung betreten, und Strobl würde nicht da sein. Seit dem schmerzhaften Verlust seines Kollegen kamen ihm die Stufen manchmal schier unüberwindlich vor. Dennoch wollte er nicht den Aufzug nehmen, um sich noch ein bisschen zu sammeln.

»Morgen Chef«, begrüßte ihn seine Sekretärin Sandy Henske und versuchte sich an einem warmen Lächeln, doch die Schatten um ihre Augen verrieten, dass es ihr nicht besser ging als ihm. Sie war wie schon die letzten Tage ganz in Schwarz gekleidet, was bei ihr besonders auffiel, liebte sie es ansonsten doch quietschbunt. Er grüßte freundlich zurück und nickte ihr aufmunternd zu.

Als er das Gemeinschaftsbüro der Kollegen betrat, stockte ihm aber doch der Atem: Auf Strobls Platz stand das Bild mit dem Trauerflor, das sie für immer an ihren Kollegen erinnern sollte. Gut sichtbar hatten sie es auf »seinen« Schreibtisch gestellt, bevor sie einen endgültigen Platz dafür finden würden. Doch das war es nicht, was den Kommissar aus der Fassung brachte. Es war der Anblick seines Mitarbeiters Richard Maier, der daneben gerade ein rotes Grablicht entzündete. Jeden Tag ließ er sich etwas Neues einfallen, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen – und machte es ihnen allen damit nur noch schwerer. Auch wenn das mit der Kerze an sich eine schöne Geste war.

»Morgen«, murmelte Maier, als er seinen Vorgesetzten bemerkte.

Der holte tief Luft, um dann mit fester Stimme zu antworten: »Morgen, Richie. Na, was liegt heute an?«

Maier blickte ihn an, als verstünde er die Frage nicht. Tatsächlich war das eigentlich überhaupt nicht Kluftingers Ausdrucksweise, aber irgendwie mussten sie ja versuchen, sich den Alltag zurückzuerobern.

»Guten …« Hefele war hereingekommen und beim Anblick der Kerze sofort verstummt. Er tauschte einen Blick mit Kluftinger, der nur mit den Achseln zuckte. Sie wussten beide, dass sie als pietätlos dastehen würden, wenn sie Maiers Verhalten kommentierten, also schwiegen sie.

»Sagt’s mal, Kollegen«, startete Kluftinger einen neuen Anlauf, »wo ist denn die Akte vom Kruse-Fall? Ich hab gestern … also jedenfalls würd ich gern noch mal reinschauen.«

»Die liegt auf dem Schreibtisch vom …«, begann Hefele, vollendete aber seinen Satz nicht, sondern zeigte auf den Tisch mit der Kerze und dem Bild. Sie vermieden es, den Namen ihres getöteten Kollegen in den Mund zu nehmen.

»Ah, stimmt.« Der Kommissar erinnerte sich wieder, dass er die Akte am Freitag dort abgelegt hatte, weil er mit seinem Team über den Fall reden wollte, doch die anderen hatten sich bereits ins Wochenende verabschiedet. Jetzt nahm er sich die Unterlagen und verschwand in seinem Büro. Immerhin: Hier war alles wie immer. Ein unaufgeräumter Schreibtisch und ein dampfender Kaffee, den Sandy schon für ihn bereitgestellt hatte. Mit einem Ächzen ließ sich Kluftinger in den Drehstuhl fallen, nippte an der Tasse und schlug die Akte auf. In den letzten Tagen war das seine einzige Lektüre gewesen, manche Seiten kannte er fast schon auswendig, doch so richtig durchdrungen hatte er den Stoff noch nicht, das spürte er. Immer wieder schweiften seine Gedanken beim Lesen ab, galoppierten mit ihm davon und trugen ihn an Orte, an die er eigentlich nicht wollte. Das würde nun anders werden, beschloss er und beugte sich über die Papiere. In diesem Moment öffnete sich die Tür.

»Chef, Sie sollen zur Chefin …, also ich mein, zur Dombrowski kommen.« Sandy stellte sich in den Türrahmen und wartete.

»Jetzt?«

»Hat sie gesagt.«

Kluftinger stutzte. Es war selten, dass ihn Polizeipräsidentin Birte Dombrowski ohne Vorwarnung in ihr Büro zitierte, noch dazu, wo das Präsidium in einem anderen Teil der Stadt lag. Im Geiste ging er die Szenarien durch, die ein solches Erscheinen seinerseits nötig machen würden, kam aber auf keine Lösung.

»Soll ich ihr sagen, dass Sie nicht können?«, fragte die Sekretärin.

»Wie? Ach so, nein, ich bin schon unterwegs«, antwortete er und eilte hinaus.

Das Büro der Polizeipräsidentin sah seltsam aus: Ihr Schreibtisch war leer geräumt, daneben standen ein paar Kisten mit Bildern und persönlichem Krimskrams. Birte Dombrowski war nicht zu sehen. Kluftinger schaute sich stirnrunzelnd um. Alles wirkte nackt und kahl. Er wandte sich wieder zur Tür.

»Nicht mehr sehr wohnlich, nicht wahr?«, tönte es plötzlich hinter ihm. »Guten Morgen, Herr Kluftinger.«

Er fuhr herum. »Jesses, haben Sie mich erschreckt«, sagte er, als der Kopf seiner Vorgesetzten hinter dem Schreibtisch auftauchte.

Sie wedelte mit einem Kugelschreiber in ihrer Hand. »Da ist er ja! Den will ich nicht hierlassen, ein Geschenk meines … egal. Jedenfalls muss er mit.« Damit erhob sie sich und legte ihn in eine der Kisten.

»Mit?«, wiederholte der Kommissar. »Gehen Sie weg?« Der Gedanke schien ihm absurd, und mit einem Grinsen fügte er hinzu: »Sind Sie strafversetzt worden?«

Ihr Lächeln gefror. »Sieht so aus.«

Auch das Grinsen des Kommissars verschwand sofort. »Ich … das war doch nur … zefix!«

»Ja, da ist ausnahmsweise mal ein Fluch angebracht, Herr Kluftinger. Das war’s für mich, zumindest was diese Dienststelle hier angeht. Ade, Polizeipräsidium Schwaben-Südwest. Ich werde an … höherer Stelle gebraucht.« Sie machte eine kleine Pause. »So hat man es netterweise formuliert.«

Kluftinger begriff noch immer nicht, was hier gerade passierte.

»Schauen Sie nicht so, Herr Kluftinger. Der G7-Gipfel braucht ein Sicherheitskonzept, und jetzt raten Sie mal, wer das federführend entwickeln soll.«

»Au weh, so schlimm?«

Birte Dombrowski lächelte bitter. »Ich sage ja nicht, dass das keine reizvolle Aufgabe ist, aber, nun ja, eben eher ein Nebengleis, auf dem ich mich erneut beweisen muss. Mal sehen, ob ich mich dann wieder zurück in die Hauptspur kämpfen kann.«

Sie klang resigniert, und Kluftinger wusste nicht, wie er darauf antworten sollte.

»Sie brauchen nichts zu sagen«, erklärte sie, und er entspannte sich etwas. »Es war wohl etwas zu viel, was hier unter meiner Verantwortung suboptimal gelaufen ist.« Sie hörte ihren eigenen Worten nach. »Suboptimal, ich klinge schon wie mein Vorgänger. Ich meine: Was ich verkackt habe.«

Kluftinger stand der Mund offen. Noch nie hatte er die Präsidentin so reden hören. »Frau Dombrowski, wenn ich etwas tun kann, mit jemandem reden oder so …«

Sie hob abwehrend die Hand. »Sie? Danke, Sie haben schon genug getan.« Die Art, wie sie das sagte, ließ deutlich erkennen, wen sie für ihre Lage verantwortlich machte.

»Frau Dombrowski, wenn Sie damit andeuten wollen, dass ich …«

»Ich will gar nichts andeuten, Herr Kluftinger. Ich weiß, ich habe das alles nur mir selbst vorzuwerfen. Dass ich Ihnen geglaubt habe. Mich auf Sie verlassen, Ihren Fähigkeiten vertraut habe. Das war ganz allein mein Fehler und eigentlich gegen meine Intuition. Dafür bekomme ich nun die Rechnung präsentiert.«

Der Kommissar schwieg. Er verstand, was sie ihm damit sagen wollte: Es war allein seine Schuld. Sie formulierte es nur anders. Dabei hätte sie sogar bei einer direkten Anschuldigung keinen Widerspruch geerntet. Er sah es genauso, plagte sich mit Schuldgefühlen, die es ihm manchmal schwer machten, den Tag zu überstehen. Wenn er damals, vor dreißig Jahren, nicht so ehrgeizig gewesen wäre und ein falsches Geständnis aus Harald Mendler herausgekitzelt hätte, wenn er Strobls Probleme ernster genommen hätte, wenn er nicht den Lockvogel gespielt hätte für … wenn, hätte … All das half niemandem weiter, es war, wie es war, und auch wenn er fand, dass ihn die Hauptschuld traf, so wollte er seine Chefin doch nicht von einer Mitschuld freisprechen. Allerdings hatte sie die Konsequenzen zu tragen, zumindest was das Berufliche anging. »Also ehrlich, Frau Dombrowski, das ist doch eine wahnsinnige Aufgabe, die Sie da bekommen haben. Ich mein: G7, danach würden sich viele die Finger lecken. Wer da alles kommt: die Merkel und … die anderen halt. Kann man sicher tolle Fotos machen.«

Die Präsidentin blickte ihn prüfend an. Sie schien nicht sicher zu sein, ob er es ernst meinte. Dann wischte sie mit der Hand durch die Luft: »Was soll’s, jedenfalls wünsch ich Ihnen hier weiterhin alles Gute.«

»Ja, vielen Dank, Ihnen auch.« Er überlegte einen Augenblick, dann fuhr er fort: »Ich hätte da gern noch was mit Ihnen besprochen, wo ich schon mal da bin.«

»Da bin ich nicht mehr zuständig.«

»Na ja, vielleicht nicht als Chefin, aber als …« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Ratgeberin«, war das Beste, das ihm einfiel.

»Ach, auf einmal wollen Sie meinen Rat?«

Vielleicht doch keine so gute Idee, dachte er.

Dann rang sie sich ein Lächeln ab. »Entschuldigung, das war nicht so gemeint. Schießen Sie los, Herr Kluftinger.«

»Also, die ganze Sache mit der Kruse und dem Mendler, das stellt sich ja jetzt ganz anders dar als früher. Und der Mendler hat mir das Versprechen abgenommen … Also, ich überleg halt, ob es nicht vielleicht gut wäre, die Sache noch mal aufzurollen.« Jetzt, da er es endlich ausgesprochen hatte, fühlte Kluftinger sich erleichtert. »Ich bin überzeugt, dass der wahre Täter von damals noch frei rumläuft. Und weil es ja eh geheißen hat, wir sollten uns immer mal wieder um eines dieser kalten Dinger kümmern …«

»Sie meinen Cold Cases?«

»Ja, genau, finden Sie auch, oder?«

Sie lachte bitter. »Das mit den Cold Cases vielleicht. Aber der Fall Karin Kruse ist ja kein solcher. Dabei handelt es sich um eine geschlossene Akte. Und, ganz ehrlich, ich finde es schon ziemlich dreist, dass Sie ausgerechnet mich in dieser Sache um Rat fragen. Nach allem, was mich diese Mendler-Geschichte gekostet hat.«

»Finden Sie? Ich mein, G7 …« Er sah, wie ihre Augen kampfeslustig aufblitzten. »Vielleicht sollt ich das doch mit jemand anderem …«

»Sie können ab heute eh machen, was Sie wollen.«

»So brauchen Sie das jetzt aber auch nicht sagen.«

»Nein, ich meine das ganz im Ernst. Sie können das jetzt ganz allein entscheiden. Weil Sie nämlich die kommissarische Leitung des Präsidiums übernehmen werden.«

Kluftinger öffnete den Mund, doch er wusste nicht, was er sagen sollte. Was für ein Spiel trieb die Frau hier mit ihm?

»Ja, deswegen habe ich Sie hergerufen. Um Ihnen das mitzuteilen.«

»Frau Präsi…, äh, Frau Dombrowski, das ist sicher ein Irrtum. Wer soll denn so einen Schmarrn gesagt haben? Das könnte doch eigentlich nur der …«

Die Tür öffnete sich, und ein Mann mit Trachtensakko und einem Strahlen im Gesicht trat ein. »Mein lieber Kluftinga, do san S’ ja. Großartig, wie sich ois entwickelt hat, ned?«

»Herr … Lodenbacher?«

»Ja, des is a Überraschung, oder?« Kluftingers ehemaliger Vorgesetzter klopfte ihm jovial auf die Schulter.

»Aber Sie sind doch im Ministerium.«

»Freilich, unter anderem zuständig für Personalfragen. Und wenn Not am Mann is, bin ich allweil zur Stelle, ned?«

Kluftinger spürte, wie sich sein Puls beschleunigte: »Kommen Sie etwa wieder zurück?«

»Hat die Frau Dombrowski Sie denn ned informiert?«

Natürlich, das hatte sie. Er solle kommissarischer Leiter werden. Stimmte es also? War Lodenbacher deswegen hier?

»Ich hab mir gedacht, wenn mein bester Mann als dienstältester leitender Kriminalhauptkommissar jetzt kommissarisch meinen früheren Posten übernimmt, dann komm ich doch persönlich vorbei. Und bin auch jederzeit mit Rat und Tat an Ihrer Seite, wenn was sein sollt.«

Dem Kommissar schwante Böses. Ganz offensichtlich sah Lodenbacher darin eine Möglichkeit, wieder öfter in seinem alten Dienstbereich aufzuschlagen. München war, Ministerium hin oder her, wohl nicht ganz das, was sich der Niederbayer versprochen hatte, das hatte er in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal durchblicken lassen.

»Und es wird auch Zeit, dass hier amoi wieder Ordnung einkehrt, eine starke Hand ans Steuer gelassen wird. Wenn wir Männer zwei Sachen besser können als die Frauen, dann einparken und steuern, oda, Kluftinga?«

Der Kommissar hatte keine Lust, sich auf Lodenbachers Stammtischniveau ziehen zu lassen, zumal er völlig anderer Meinung war. »Also, ich muss sagen, wir waren hochzufrieden, wie es die letzten Jahre hier gelaufen ist.«

Lodenbacher zwinkerte ihm mit einem Auge zu. »Freilich, das hätt ich jetzt auch gesagt. Gehört sich so. Passt schon.«

»Ich glaube, ich lasse Sie beide mal alleine«, meldete sich nun Birte Dombrowski, die Lodenbacher bisher keines Blickes gewürdigt hatte. »Sie haben sich ja offenbar viel zu erzählen.« Mit diesen Worten verließ sie das Büro.

»Erst an rechten Schlamassel anrichten und dann au noch dünnhäutig sein«, flüsterte Lodenbacher dem Kommissar zu. »Hab ich mir glei denkt, dass die sich hier ned lang halten wird. Mit Stöckelschuhen kann man halt ned in so große Fußstapfen treten, sag ich immer.«

Der Kommissar hatte noch im Ohr, wie Lodenbacher seine Nachfolgerin über den grünen Klee gelobt hatte, als er sie ihnen präsentiert hatte. »Nein, Herr Lodenbacher, wirklich, Frau Dombrowski und ich haben gut zusammengearbeitet, es war geradezu harmonisch, so kannte ich das bisher gar nicht.«

»Kluftinga, es ehrt Sie, dass Sie jetzt, wo die Frau am Boden liegt, ned nachtret’n, obwohl Sie doch am meisten unter ihr zu leiden g’habt ham.«

»Herr Lodenbacher, ich …«

»Scho in Ordnung, sagen S’ nix. Die Dame is jetzt erst mal weg vom Schuss, und nachm Gipfel wird sich schon irgendwo a Verwendung finden. So, Kluftinga, jetzt richten mir amoi den Blick nach vorn. Sie sind ja jetzt unterbesetzt in Ihrem Kommissariat, aber des kann natürlich ned so weitergeh’n. Ich hab mich persönlich beim Innenminister eing’setzt, dass da schnell Ersatz für den … also für die freie Stelle kommt. Und jetzt passen S’ auf: Ich kann Vollzug melden.«

Jetzt hatte Lodenbacher Kluftingers volle Aufmerksamkeit.

»Ja, da schaun’ S’! Zwar auch wieder a Frau, aber sie wär sehr gut, heißt’s. Nur beste Beurteilungen. Und die kennan Sie sich dann ja entsprechend formen. Is noch a ganz a junge.« Wieder zwinkerte er.

Kluftinger war es unangenehm, hier von Lodenbacher mit derartigen Sprüchen vereinnahmt zu werden, und er suchte nach einem Ausweg. Also lenkte er die Diskussion auf eine Frage, die ihm noch immer unter den Nägeln brannte. »Herr Lodenbacher, meinen Sie, es wäre möglich, dass ich mich als Nächstes ein bisschen um den Mordfall Kruse kümmere?«

»Die oide G’schicht?«

»Mei, sie hat ja jetzt wieder eine aktuelle Wendung bekommen.«

»Ich sog’s Eahna ganz ehrlich, Kluftinga, i dad’s ned. Aber des Schöne am Chefsein is ja, dass Sie jetzt selber entscheiden kennan, ned?«

Das war nicht die Antwort, die sich der Kommissar erhofft hatte. Er hätte gern von irgendjemandem ein eindeutiges »Machen Sie’s, sonst tut’s ja keiner!« oder dergleichen gehört, aber den Gefallen tat ihm niemand. Nicht einmal Lodenbacher. Immerhin hatte der noch einen anderen Vorschlag.

»Oiso, wenn’s irgendwelche repräsentative Aufgaben gibt, die Sie zeitlich zu sehr fordern, da könnt ich jederzeit … also … helfen, ned? Ich weiß ja, wie wenig Eahna solche Sachen lieg’n.«

Und ich, wie gern Sie so was machen, dachte Kluftinger, der Lodenbachers Profilneurose immer als die unangenehmste seiner vielen unangenehmen Eigenschaften empfunden hatte.

»Gut, dann wär ja ois geklärt. Dann wollen S’ jetzt bestimmt einpacken.«

»Einpacken?«

»Na, Ihre Soch’n in der Kripo, damit S’ ins neue Interims-Büro ziehen kennan. Wird scho a bisserl dauern, bis mir einen neuen Präsidenten berufen ham. Bloß nix überstürzen, jetzt.«

Daran hatte der Kommissar noch gar nicht gedacht. »Könnt ich das nicht auch von meinem Büro aus machen? Sonst … bleibt ja so viel liegen.«

»Aha, ohne Fleiß kein Preis. Brav, Kluftinga. Natürlich kennan S’ des auch so machen. Aber jetzt muss ich wieda, der Chauffeur wartet, ned?«

»Der Chauffeur, klar.« Kluftinger war sich sicher, dass Lodenbacher diesen nur erwähnt hatte, um Eindruck zu schinden. Sie verabschiedeten sich, und der Kommissar blieb noch eine Weile in dem ausgeräumten Büro stehen. Als er endlich ging, traf er auf dem Gang noch einmal Birte Dombrowski, die ihm die Hand entgegenstreckte. »Gratuliere, Herr Präsident! Ich wünsche Ihnen ein besseres Händchen für den Job, als ich es hatte.«

»Ist ja nur vorübergehend. Und Frau Dombrowski, Sie müssen mir glauben, ich war nie auf Ihre Stelle aus.«

»Das zumindest glaube ich Ihnen sogar, Herr Kluftinger. Leben Sie wohl!«

Sie gaben sich die Hand und wandten sich zum Gehen. Kluftinger fand es schade, dass es so endete. Er hatte die Frau immer respektiert. »Wir sehen uns noch, gell? Es täte mir leid, wenn wir so auseinandergehen«, rief er ihr nach.

Da drehte sie sich um, schaute ihn an und zuckte mit den Achseln. »Tja, manche Dinge lassen sich nun mal nicht ändern.«

»Ernsthaft? Du bist jetzt tatsächlich Präsident? Ich mein, … du?« Richard Maiers Stimme überschlug sich fast.

Kluftinger nickte. »Erstens mal übernehme ich nur kommissarisch einen Teil der präsidialen Aufgaben, bis die Stelle von Frau Dombrowski neu besetzt ist, und zweitens weiß ich nicht, was daran so wahnsinnig ungewöhnlich sein soll.«

»Na, du! Ich mein ja nur …« Maier brach ab und biss sich auf die Unterlippe.

»Ja? Was meinst du denn genau, Richie?«

»Ich finde es sehr, sehr schade, dass Frau Präsidentin Dombrowski gehen muss. Ich habe sie immer besonders geschätzt. Und eine besondere Energie zwischen uns beiden gespürt.«

Kluftinger hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Richie, wenn es dir hilft, kannst du mir ja auch regelmäßig frische Blumen bringen, wie der Dombrowski.«

»Ich hab nie … Als ob du das zu schätzen wüsstest.«

»Vielleicht mehr als die Birte«, raunte der Kommissar.

»Was?«

»Nix. Komm, Richie, sei nicht traurig, dass sie nicht mehr da ist. Irgendwann kommt eine andere oder ein anderer, die oder der …«

Maier runzelte die Stirn. »Der was?«

»Der Präsident wird. Und bei dem kannst du dann auch wieder … was aufbauen.«

»Was, Richie, du willst bauen?« Roland Hefele kam ins Büro und gesellte sich zu den beiden.

»Nein, er soll sich mit jemand anderem was aufbauen, hab ich gemeint«, erklärte Kluftinger.

»Was genau soll ich aufbauen?«

»Himmel, so eine Beziehung oder Energie, von der du grad geredet hast.«

Maier seufzte tief. »Jemand wie die Dombrowski kommt so schnell nicht wieder. Diese Frau war einfach besonders. Sie hatte eine Souveränität, ein fast viriles Auftreten, eine beinahe männliche Art in all ihrer dennoch verletzlichen Weiblichkeit. So etwas habe ich selten, ja vielleicht nie zuvor, bei einer Frau gespürt.«

»Dann such dir doch gleich einen Mann, Richie!«, gluckste Hefele.

Eine kurze Stille entstand, in die hinein Maier mit finsterer Miene fragte: »Und? Was wäre daran so schlimm?«

Kluftingers Grinsen gefror ebenso wie das seines Kollegen Hefele. Die beiden sahen sich an, zuckten dann verlegen mit den Schultern und schüttelten die Köpfe. »Nix, also … ich mein, jeder wie er … dings, gell, Roland?«, stammelte Kluftinger.

Maier wechselte das Thema. »Ich würd mich bei Gelegenheit gern mal mit euch über die Raumverteilung unterhalten. Wir müssen jetzt einfach enger zusammenrücken.«

Hefele sah seinen Vorgesetzten flehend an. Sie wussten genau, was ihr Kollege meinte: Er wollte ins große Büro, denn nach ihrem Umzug ins neue Gebäude hatten sie ihn in ein winziges Einzelzimmer verpflanzt.

»Aus Pietätsgründen möchte ich aber noch ein paar Wochen ins Land gehen lassen«, erklärte Maier.

Hefele schien erleichtert.

»Dann packen wir’s mal.« Kluftinger wollte schon gehen, da machte er noch einmal kehrt: »Mir fällt grad ein: Diese Woche kommt noch unsere neue Kollegin, nur dass ihr vorbereitet seid.«

Hefeles Kiefer klappte nach unten. »Was kommt?«

»Nicht was – wer. Unsere neue Kollegin. Sie ist erst Ende zwanzig, hat aber anscheinend eine saugute Prüfung hingelegt. Und beste Beurteilungen durch ihre jetzige Dienststelle. Klingt vielversprechend.«

»Also worst case, oder wie?«, fragte Maier.

Kluftinger sah ihn fragend an. »Wie meinst du das?«

»Bei einem Worst-Case-Szenario handelt es sich quasi, wie soll ich sagen, um den schlimmsten aller anzunehmenden Fälle.«

»Depp! Ich weiß schon, was es bedeutet. Nur nicht, was du damit sagen willst.«

Hefele sprang seinem Kollegen bei: »Der Richie will sagen, dass es halt nicht unbedingt eine junge Frau hätte sein müssen. Noch dazu so eine Streberin aus der Stadt, die wahrscheinlich hier alles furchtbar provinziell und altbacken findet, stimmt’s?«

Maier nickte.

»Ach, aber von der Dombrowski hast doch grad noch so geschwärmt«, wandte der Kommissar ein.

»Schon. Das ist ja auch was anderes. Eine Präsidentin. Also, ich bin ja Neuerungen gegenüber wirklich offen, aber in der momentanen Situation, in der wir, wie gesagt, enger zusammenrücken wollen …«

»Das willst nur du, Richie«, brummte Hefele.

»… müssen wir als Team erst einmal die schrecklichen Ereignisse verwinden. Alles aufarbeiten. Trauerarbeit leisten. So etwas einem Außenstehenden zu vermitteln, der unseren lieben Eugen nicht einmal gekannt hat, ist quasi unmöglich. Und eine Frau ist …«

»Eine Frau ist immer ein Stressfaktor in einer Abteilung«, unterbrach ihn Roland Hefele.

Kluftinger schüttelte den Kopf. »Herrschaftszeiten, Männer, jetzt seid doch nicht schon von vornherein so negativ. Ich bin froh, dass wir überhaupt so schnell Ersatz kriegen.«

Maier sah ihn mit Leichenbittermiene an. »Niemand kann uns den Eugen ersetzen.«

»Du weißt schon, wie ich’s mein«, stöhnte Kluftinger.

Doch Hefele war noch nicht fertig. »Hätt’s nicht ein Mann sein können? Es verändert doch die ganze Dynamik, wenn wir auf einmal eine Frau in der Abteilung haben. Gab’s ja noch nie.«

Die drei Polizisten drehten sich ruckartig um, da in ihrem Rücken ein Räuspern zu vernehmen war. Hinter ihnen stand Sandy Henske.

Hefele wurde nervös. »Bei dir, Sandy, ist das natürlich was anderes. Du bist doch …« Er stockte.

»Alt?«

Kluftinger sah, wie in den Augen seiner Sekretärin die Kampfeslust aufblitzte.

»Schmarrn. Ich mein … du bist ja schon so lange da, du gehörst zum Inventar. Und deswegen bist du …«

»Keine richtige Frau?«

Bevor Hefele sich um Kopf und Kragen reden konnte, zischte Kluftinger: »Könntet ihr euch jetzt endlich mal entscheiden, ob ihr euch mögt oder nicht?«

Da mischte sich Maier ein: »Es geht bei unseren vagen Vorbehalten nur um direkte Kolleginnen, also Ermittlerinnen, nicht um …«

»Tippsen?«

»Mir liegt es fern, Tätigkeiten wie die deine, die für uns alle unerlässlich sind, herabzuwürdigen. Daher lehne ich pejorative Begriffe wie Tippse von Haus aus ab. Zudem möchte ich betonen, dass ich keine allgemeinen Ressentiments gegen Frauen als Kollegen hege.«

»Kolleginnen meinste wohl, oder?«

»Exakt.« Maier nickte, als wollte er salutieren.

»Das kann nur guttun, wenn dieser Haufen alter weißer Männer mal ein wenig aufgemischt wird.« Sandy lächelte Kluftinger an. »Nix für ungut, Chef, aber das ist meine feste Überzeugung. Frauenpower schadet nie. Und frischer Wind schon gar nicht.«

»Soso, also dann, mit frischem Wind an die Arbeit. Kurze Morgenlage in einer Stunde.«

Er wollte sich jetzt endlich in die Akte Kruse vertiefen, ein Vorhaben, bei dem er heute Morgen bereits gestört worden war. Doch diesmal hielt Maier ihn auf.

»Moment, Chef, hatten wir nicht mal gesagt, dass wir morgens eine Schweigeminute für unseren verstorbenen Eugen halten wollen?«

Kluftinger schloss die Augen und seufzte. Hatten sie das wirklich gesagt? Er wusste es nicht mehr. Möglich war es, er wollte nach Strobls Tod ja auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber man konnte es sogar mit der Trauer um den Kollegen übertreiben. Und mit man meinte er Maier. Gequält lächelnd blickte der Kommissar in die Runde. »Gut. Also dann, Schweigeminute ab jetzt.«

Maier schüttelte jedoch den Kopf. »Man muss bei einer Schweigeminute schon vorab was sagen. Sonst bringt es nichts für die Bewältigung. Ich bin dafür, dass wir uns jeden Tag an etwas anderes erinnern, was der Eugen für uns bedeutet hat. Zum Beispiel hat er oft am Wochenmarkt für alle Brotzeit geholt. Lasst uns heute daran denken.«

Niemand traute sich, Maier zu widersprechen. Sie senkten also die Köpfe, und Kluftinger begann innerlich zu zählen. Als er bei sechzig angekommen war, sagte er: »Also, Männer, äh … und Fräulein Henske, bis später.« Dann wandte er sich zum Gehen, doch Richard Maier hielt ihn am Arm fest.

»Das waren aber erst fünfzig Sekunden. Wenn wir so weitermachen, sind wir in ein paar Monaten bloß noch bei einer halben Minute.«

In ein paar Monaten? Kluftinger bekam Schweißausbrüche bei der Aussicht auf die unzähligen Minuten, die er regungslos hier im Büro herumstehen sollte.

»Könnten wir noch mal anfangen?«, bat Maier, und diesmal war auch Hefele und Sandy Henske der Unmut deutlich anzumerken.

»Ein andermal, Richie«, erwiderte Kluftinger. »Das nimmt uns sonst alle zu sehr mit. Wisst ihr was, machen wir die Morgenlage halt jetzt gleich, geht eh fix heute. Wenn ich also in mein Büro bitten dürfte.«

- 4 -

Als alle in der kleinen Sitzgruppe Platz genommen hatten, kam Kluftinger sofort zur Sache. Er wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. »Also, ich mach’s kurz: Ich will den Fall Karin Kruse noch einmal aufrollen.« Kluftinger musterte die Gesichter seiner Kollegen. Was er sah, war völliges Unverständnis.

Eine Weile blieb es still, dann begann Maier: »Mit Verlaub: Ich zweifle nur ungern Entscheidungen von dir an, Chef, aber ich denke, wir haben genug damit zu tun, die beiden zu finden, die dich im Wald überfallen und niedergeschlagen haben. Bevor wir uns also einem Cold Case widmen, sollten wir erst einmal zusehen, dass wir die dingfest machen. Meine Meinung.«

Kluftinger zuckte mit den Achseln. »Ich widerspreche dir da gar nicht, es ist wichtig, dass wir die Angreifer aus dem Wald finden. Aber wenn du mich fragst: Damit klären wir mit großer Wahrscheinlichkeit auch den alten Fall auf.«

»Ist doch gar nicht gesagt, dass es da einen Zusammenhang gibt.«

»Also bitte, das liegt doch auf der Hand.«

»So klar ist das wirklich nicht«, gab Hefele Maier recht.

»Ich hab dem sterbenden Harald Mendler das Versprechen gegeben, den wahren Täter zu finden, und das hab ich auch vor. Wenn ihr mir dabei nicht helfen wollt, respektier ich das. Schließlich gibt es zwei Wege, die zum gleichen Ziel führen. Ihr geht den einen und sucht die Leute aus dem Wald, ich geh den anderen.«

Maier gab sich damit nicht zufrieden. »Ich glaube nicht, dass eine solche Zweiteilung unseres Teams der Präsidentin besonders gut …« Er stockte und sah mit offenem Mund zu seinem Vorgesetzten.

Der grinste ihn nur an. »Noch Fragen?«

»Aber wie hängen die zwei aus dem Wald in der Sache mit der Kruse drin?«

»Das weiß ich noch nicht. Aber ich geh davon aus, dass unsere Ermittlungen und unsere Kontaktaufnahme mit Harald Mendler sie aufgeschreckt haben. Wie gesagt, das Ganze ist erst mal mein Bier. Aber wenn ich euch brauch, dann macht ihr mit, dann sticht der Präsident den Unter. So, und jetzt an die Arbeit. Wir haben zu tun.«

Die anderen sahen ihn mit großen Augen an.

Sandy Henske hob eine Hand, mit der anderen notierte sie etwas auf ihren Schreibblock. »… Präsident sticht Unter. So, jetzt hab ich’s. Von mir aus können wir loslegen.«

»Also dann, auf geht’s. Ich muss … Präsidialsachen machen. Habe die Ehre!«

Damit schob Kluftinger die Kollegen aus dem Zimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch.

Endlich hatte er Ruhe. Der Kommissar zog sich die Akte mit dem hellbraunen Deckel heran und las seufzend das Deckblatt. Funkenmord hatte jemand mit einem Etikettendrucker darauf geschrieben, darunter stand offiziell Mord zum Nachteil von Karin Kruse durch Harald Mendler in Opprechts, Gemeindegebiet Altusried / Oberallgäu am 24. Februar 1985. Der Karton war speckig, kein Wunder, er war in all den Jahren, ja Jahrzehnten, durch viele Hände gegangen – jetzt also wieder einmal durch seine. Wie so oft in den letzten Tagen.

Er zog das Stoffband auf, mit dem die umfangreiche Akte zusammengehalten wurde, und begann darin zu blättern. Wieder und wieder hatte er seinen eigenen Bericht gelesen: Am Funkensonntag war er als diensthabender Polizist in seiner Heimatgemeinde zu einem brennenden Kreuz in Opprechts gefahren, in Begleitung seines Vaters, damals ebenfalls noch Streifenpolizist. Die nüchternen Worte, die den Tatort beschrieben, ließen den Schrecken nur erahnen, den er damals gefühlt hatte.

Unbekannte hatten Paletten und Bretter um das große Holzkreuz aufgeschichtet, das die höchste Erhebung des Ortes Altusried markierte. Das Holz hatte man mittels Brandbeschleuniger angesteckt. Als Kluftinger mit dem Streifenwagen ankam, nahm er gleich den seltsamen Geruch wahr. Er rührte von einer menschlichen Gestalt her, die dort am Kreuz hing – völlig verkohlt. Keine Strohpuppe wie beim Funkenfeuer unten im Dorf, wo zur selben Zeit die Leute feierten, Glühwein tranken und Funkenküchlein aßen. Nein, ein Mensch war in Opprechts verbrannt worden, Karin Kruse, sechsundzwanzig Jahre alt, Volksschullehrerin zur Anstellung, ursprünglich aus Kassel. Ob man sie umgebracht und ans Kreuz gebunden hatte, um sie zu beseitigen, oder ob sie zu dem Zeitpunkt noch gelebt hatte, konnte nie genau rekonstruiert werden. Bis jetzt.

Er nahm sich einen Block und notierte ein paar Fragen: Was wollte K. in dieser Nacht in Opprechts? Zufall? Wurde ihr aufgelauert? Hat sie jemand gesehen? Alle Nachbarn befragt?

Dann las er weiter: Zunächst war die Sonderkommission, zu der er, der diensthabende Streifenbeamte, eingeladen worden war, von einem Fanal, einer Art Hexenverbrennung, ausgegangen, denn einige Kreise im Dorf hatten Karin Kruse ein sehr lockeres Moralverständnis nachgesagt. Doch diese Spur war schließlich im Sand verlaufen.

Kluftinger blätterte weiter, betrachtete die Fotos vom brennenden Kreuz, dem Feuerwehreinsatz, den gelöschten Resten des Brandes. Und von den Beweismitteln, die sie gefunden hatten: ein T-Shirt in einem alten Stadel unweit des Tatorts, eindeutig dem Mordopfer Karin Kruse zuzuordnen. Schließlich brachte sie ein eigentümlich geformtes Werkzeug, ein Zimmermannsbeil, das sie in der erkalteten Asche gefunden hatten, auf die Spur des Altusrieder Dachdeckermeisters Harald Mendler. Mendler hatte in besagtem Schuppen Materialien gelagert. Alles passte so gut. Man musste nur eins und eins zusammenzählen.

Wieder notierte er sich etwas auf seinen Block: Verhalten während und nach der Tat: Was hat der Täter gemacht, was er nicht hätte tun müssen => Kreuz. Warum? Beweise deponiert, um von sich abzulenken?

Er blätterte weiter zum Vernehmungsprotokoll, das für ihn, vor allem aber für Harald Mendler, von größter Wichtigkeit gewesen war. Doch das geschriebene Wort reichte ihm nicht aus. Er musste, auch wenn es wehtat, noch tiefer eintauchen. Und es würde wehtun. Würde ihm die Fehler, die er bei der Vernehmung damals gemacht hatte, allen voran seinen Übereifer, noch einmal vor Augen führen. Aber da musste er durch. Seufzend zog er den kleinen, batteriebetriebenen Kassettenrekorder aus der unteren Schublade seines Schreibtischs. Er brauchte ihn selten, weswegen er vergraben war unter alten Faxformularen und nicht mehr benötigten Notizen, Hustenbonbons, vollgekritzelten Bedienungsblöcken und mehreren Packungen Taschentüchern. »Hier gehört auch mal ausgemistet«, brummte er.

Aus dem Archiv hatte er sich die Tonbandkassette seiner Vernehmung bringen lassen, die er nun in das Gerät einlegte. Nach ein paar Knacksern schepperte Kluftingers Stimme aus dem Lautsprecher. Er hasste es, sich selbst hören zu müssen.

»Vernehmung des Tatverdächtigen Harald Mendler im Mordfall Karin Kruse am dritten März 1985 durch Polizeiobermeister Adalbert Ignatius Kluftinger. Sind Sie mit einem Tonbandmitschnitt einverstanden?«

Kluftinger stoppte die Kassette. Polizeiobermeister! »Einen Pimpf wie mich hat der Alte den Hauptverdächtigen vernehmen lassen«, murmelte er. Warum hatte ihm Hermann Hefele, sein Amtsvorgänger als leitender Kriminalhauptkommissar im K1, diese Aufgabe so sorglos übertragen? Ihm, der keinerlei Erfahrung mit so etwas hatte? Hatte er damit nicht auch Mitschuld an der ganzen Misere, die schließlich zum falschen Geständnis geführt hatte? Er seufzte und drückte wieder auf Play.

»Herr Mendler, Ihnen ist hoffentlich klar, dass es sich strafmildernd auswirkt, wenn Sie gestehen?«

Kluftinger schüttelte den Kopf, diesmal mit einem bitteren Lächeln. »Wie im Tatort«, brummte er. »Ich Depp!«

Er war zwiegespalten: Zum einen erkannte er sich in dem ehrgeizigen, agilen und dienstbeflissenen jungen Ermittler, der sich für seinen Beruf begeisterte, durchaus wieder. Andererseits schämte er sich nun dafür, wie er damals aufgetreten war. Er war sich groß vorgekommen, überlegen – ein Wichtigtuer. Kluftinger wusste, wie es weiterging. Spulte ein langes Stück vor. Wieder und wieder hörte er in die Vernehmung hinein. Manchmal musste er über sich selbst lachen, manchmal wäre er vor Scham am liebsten im Boden versunken. Dann schließlich kam die Stelle, wo er Mendler seine betrogene schwangere Frau, sein ungeborenes Kind vorgehalten hatte. Er lauschte gebannt.

»Wenn Sie es zugeben, haben Sie vielleicht eine Chance, Ihr Kind irgendwann zu sehen, bevor Sie im Gefängnis verrotten.«

Daraufhin hatte ihm Mendler die unheilvollen Worte hingespien: »Dann war ich’s halt, Scheiße noch mal. Da hast du dein Scheißgeständnis.«

Kluftinger hatte noch den Grund für den Mord an Karin Kruse wissen wollen. Doch den Gefallen hatte ihm Mendler nicht getan, sondern nur geantwortet: »Such dir was aus. Eifersucht? Erpressung? Enttäuschte Liebe? Was ist dir am liebsten, hm?«

Die Wahrheit sei ihm am liebsten, hatte Kluftinger damals gesagt.

»Hol dir von mir aus einen runter auf die Wahrheit. Aber lass mich in Ruhe. Und vor allem: Lass meine Familie in Ruhe, sonst geht’s dir genau wie der Karin. Kapiert?«

Jetzt stoppte der Kommissar das Band. Er konnte nicht mehr. Wollte nicht mit seinen letzten, abschließenden Worten konfrontiert werden, mit denen er, wahrscheinlich in triumphierendem Ton, die Vernehmung von Harald Mendler beendet hatte, die letztlich zu dessen Verurteilung geführt hatte – auch wenn er im Prozess sein Geständnis widerrufen hatte. Das Gericht hatte ihm nicht geglaubt.

Eine ganze Weile saß Kluftinger da und starrte aus dem Fenster ins trübe Kempten. Dann zog er seinen Janker an, packte sein Handy und seine Autoschlüssel und verließ sein Büro. Er musste raus hier.

- 5 -

Kluftinger war etwas mulmig zumute, als er auf das Haus seines ehemaligen Mentors und Vorgängers zuschritt. Er hatte Hermann Hefele nie besucht, seit er in den Ruhestand gegangen war. Vielleicht wollte der »Alte«, wie sie ihn immer genannt hatten, ja gar nichts mehr mit der Polizei zu tun haben. Würde seinen Besuch nur als Störung seines Pensionistendaseins empfinden. Immerhin hatte der Kommissar ihn nie auf Weihnachtsfeiern oder derartigen Anlässen gesehen, zu denen auch die ausgeschiedenen Kollegen eingeladen waren. Womöglich ging es ihm wie vielen anderen Senioren, die im Ruhestand mehr Termine zu haben schienen als in ihrer beruflich aktiven Zeit.

Das wird mir nicht passieren, dachte Kluftinger, als er am Klingelbrett des Hauses ankam. Er brauchte eine Weile, um den Namen Hefele unter den Einträgen zu finden. Es wohnten recht viele Parteien in dem Hochhaus in einer der besten Wohngegenden der Stadt.

Nur ein paar Sekunden nachdem er den Klingelknopf gedrückt hatte, ertönte ein Summton, und Kluftinger stieß die Tür auf. Hefele war zu Hause, immerhin. Geradezu beschwingt erklomm der Kommissar die Stufen in den zweiten Stock. Früher hätte er dafür den Aufzug genommen, doch das tägliche Treppensteigen im Präsidium zeigte bereits Wirkung in Form einer leichten Verbesserung seiner Fitness.

Und was war schon so ein kleiner Aufstieg im Vergleich zu der Hürde, die man früher nehmen musste, um zu Hermann Hefele zu gelangen. Denn der Weg zu ihm hatte stets über seine ebenso unbeliebte wie gefürchtete Sekretärin geführt, mit der auch Kluftinger noch eine Weile zusammengearbeitet hatte, bevor sie von Sandy Henske abgelöst worden war. Karin Meise war ihr Name, aber alle nannten sie damals immer nur …

»Die Krähe!« Kluftinger biss sich auf die Lippen. Die Frau im Türrahmen war eben jene ehemalige Bürokraft, an die er sich gerade mit einem Schaudern erinnert hatte.

»Bitte?« Karin Meise schaute ihn entgeistert an. Sie schien nicht einen Tag gealtert – aber sie hatte auch damals schon steinalt ausgesehen.

»Was? Nein, ich mein … Frau Meise, so eine … Überraschung.«

»Hefele.«

Sie hatte wohl keine Lust auf Konversation. »Ja, zu dem will ich.«

»Mein Name ist nicht mehr Meise, sondern Hefele.«

Kluftinger stand der Mund offen. Erst nach einer Weile verstand er. »Ach, dann haben Sie und der Alte …«

»Ich muss doch sehr bitten.«

»Mei, Entschuldigung, so war das nicht gemeint, wir haben das früher immer gesagt, weil er, also … ist der Herr Hefele denn da?«

»Warum?«

»Weil ich ihn besuchen will.«

»Auf einmal?«

Kluftinger seufzte. Die Frau war im Alter kein bisschen milder geworden. »Also, vielleicht bräucht ich seinen Rat.« Er fühlte sich wieder ganz wie der junge Streifenpolizist, der beim großen Kriminaler um einen Termin nachsucht.

»Soso, einen Rat wollen Sie. Na, kann ja vielleicht nicht schaden bei Ihrer aktuellen Aufklärungsquote.«

»Bitte?«

»Ich muss zum Einkaufen, Sie können gern bleiben, wenn Sie wollen. Aber bitte, er …« Sie schien nachzudenken.

»Ja?«

»Machen Sie einfach zu, wenn Sie wieder gehen.«

Nickend trat der Kommissar ein. »Klar. Zu. Mach ich. Auf Wiedersehen, Frau …« Doch da hatte sie die Tür schon von außen geschlossen.

Reizend wie immer, dachte er. Warum hatte Roland Hefele, der Neffe des Alten, denn nichts davon erzählt, dass die beiden jetzt ein Paar waren. Sei’s drum, jetzt war sie ja erst einmal weg, und er hatte freie Bahn. Kluftinger schaute sich um. Als er aus einem der hinteren Zimmer Geräusche hörte, setzte er sich in Bewegung. Er klopfte, und da niemand antwortete, stieß er die Tür auf und trat ein. Hermann Hefele saß auf einer abgewetzten Couch, über den Beinen eine Decke, den Körper leicht nach vorn gebeugt. Auf dem kleinen Tischchen vor ihm stand ein schwarzer Apparat, daneben lag ein Block, auf dem der Alte gerade etwas notierte. Der Kommissar lauschte den Stimmen, die aus dem Gerät drangen. Erst jetzt erkannte er, dass es sich dabei nicht um ein Radio handelte: Es war der Polizeifunk, der da aus dem Lautsprecher knisterte. Kluftinger war schockiert. Andererseits: Musste man es einem ehemaligen Kripo-Leiter nicht nachsehen, dass er sich auch im Ruhestand für seine einstige Arbeit interessierte?

Da Hefele ihn noch immer nicht bemerkt hatte, hüstelte Kluftinger ein wenig, um auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt hob der Alte den Kopf. In seinen Augen loderte immer noch das alte Feuer, sie wirkten wach und aufmerksam.

»Ah, der Kluftinger, grüß dich. Haben wir einen Termin heut?«

»Ich … nein, ich dachte, ich schau einfach mal vorbei. Hätt ich mich vorher anmelden sollen?« Der Kommissar bekam ein schlechtes Gewissen. Ältere Menschen waren es oft nicht gewohnt, dass man spontan bei ihnen reinschneite. Wenn es bei seinen Eltern klingelte, ohne dass sich irgendjemand angesagt hatte, schauten die beiden sich immer an, als stünde der Sensenmann vor der Tür, um dann ausgiebig zu mutmaßen, wer denn da geklingelt haben könnte. »Das tut mir leid.«

»Ach was, Schmarrn, das muss dir nicht leidtun. Ich frage mich nur, wie du es geschafft hast, an der Krähe vorbeizukommen.«

Kluftinger lachte. Dass der Alte so über seine Frau sprach, zeugte von einer gehörigen Portion Galgenhumor. »War gar nicht so schwer, aber ich …«

»Pscht!« Hefele legte einen Zeigefinger an die Lippen, schnappte sich den Stift, beugte sich noch etwas weiter zu dem Funkscanner und notierte offenbar mit, was gesprochen wurde. Es ging um ein verdächtiges Fahrzeug ohne Nummernschild, das Kollegen von der Verkehrspolizei entdeckt hatten. Nachdem der Funkspruch beendet war, legte Hefele den Stift wieder weg und blickte Kluftinger gespannt an. »Was kann ich für meinen besten Mann tun?«

Kluftinger winkte ab. »Bester Mann, also ich weiß ja nicht …«

»Doch, doch. Ehre, wem Ehre gebührt. Aus dir wird noch mal was.«

Wieder lachte Kluftinger. Er war froh, den Alten nach so langer Zeit so gut gelaunt anzutreffen. »Es ist so, Hermann, du erinnerst dich doch an die Sache mit … also an den Funkenmord in Altusried.«

»Freilich. Gibt’s da schon was Neues?«

»Schon? Mei, es ist ja jetzt doch eine ganze Weile her, aber tatsächlich, ja.«

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»Gleich sind wir da.« Die Stimme der alten Frau hallte durch die klamme Herbstnacht. Mit starrer Miene blickte sie in die Dunkelheit, doch durch den zuckenden Feuerschein der Fackeln wirkte es, als wären ihre Gesichtszüge in ständiger Bewegung. Als kämpfte sie selbst mit den Dämonen, die bei dieser nächtlichen Wanderung heraufbeschworen wurden. »Da hinten ist es passiert. Seid jetzt vorsichtig.«

Angestrengt versuchten ihre Begleiter, in der Schwärze etwas auszumachen, irgendetwas, das ihnen verraten würde, wo genau sich ihr Ziel befand. Einer nahm allen Mut zusammen, holte Luft, doch bevor er etwas sagen konnte, legte die Alte ihren Finger an die Lippen. »Schhhhhhh …«, zischte sie, wobei ihre Spucke in alle Richtungen flog.

Keiner wagte mehr zu sprechen. Alle spürten, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag. »Leise, wir wollen nicht, dass uns jemand bemerkt. Los jetzt«, flüsterte die Frau und winkte mit ihrer knochigen Hand. Dann ging sie weiter. Sie machte dabei keinen Laut, setzte ihre Schritte mit traumwandlerischer Sicherheit. Jedem war klar, dass sie nicht zum ersten Mal hier war. Für ihre Begleiter galt das nicht. Auch wenn sie sich Mühe gaben, sich ebenso geräuschlos zu bewegen, rutschten sie immer wieder im feuchten Gras weg und pressten die Lippen zusammen, um nicht aufzuschreien.

Nach einem anstrengenden Marsch bergauf über schmierige Wiesen und matschige Trampelpfade erreichten sie ein kleines Plateau. »Könnt ihr es schon sehen?«, fragte die Frau, und alle kniffen die Augen zusammen, suchten nach einer bestimmten Form, die sich vom Horizont abhob.

»Da!«, rief einer, streckte die Hand aus, nur um sie gleich wieder vor seinen Mund zu halten, erschrocken über seine eigene Lautstärke.

»Nicht so schlimm«, erwiderte die Frau, »hier oben ist niemand mehr, der uns hören könnte.«